[Deutschland]
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[*]Frankfurt, 3.
Juni.
Die Nationalversammlung ist heute, nach dreitägiger Ruhe, unter dem Präsidium
des „edlen Gagern“ wiederum zu dem erwünschten Beschluß gekommen, eigentlich
nichts zu beschließen; wenn man bedenkt, welche lastende Sorge es den
einzelnen Deputirten bereiten muß, die täglichen 3 Thaler, welche ihnen aus
dem Seckel des Volks zufließen, in der Krämerrepublik Frankfurt ersprießlich
zu verwenden, so kann man freilich eine solche frühreife Abspannung der
Versammlung nicht erstaunlich finden. Unter den neuen Anträgen, Petitionen
und Berichten war dafür manches Interessante. Der Präsident gab Mittheilung
über mehrere Beiträge zur Bildung einer deutschen Flotte, darunter ein
Beitrag von 100 Gulden aus Mannheim, wonach es also scheint, daß die
deutsche Nationalität flott werden, und aus dem Sand ins Wasser kommen
solle. Hr. v. Rönne berichtete über den Ausschuß für Volkswirtschaft. (Tiefe
Stille, neugierige Erwartung in der Versammlung und auf den Galerien.)
Zuerst, erklärte Hr v. Rönne, habe er mitzutheilen, daß sich der Ausschuß
wirklich konstituirt habe; (Bewunderung und Akklamation!) aber er sei
hierbei nicht stehen geblieben; er habe ein Direktorium gewählt, bestehend
in dem Berichterstatter den Herren v. Bruck und Eisenstuck; dies Direktorium
habe sich zu der Ansicht vereinigt, daß nur durch „Herstellung des
Vertrauens“ die ‒ ‒ Spekulationslust gehoben er
bitte die Versammlung um die Erlaubniß, „Sachverständige“ (aus welchem
Leuten besteht wohl der „Ausschuß und das Direktorium für
Volkswirthschaft“?) heranzuziehen, dieselben zu vernehmen und vernehmen zu
lassen und sich mit den Behörden in Verbindung zu setzen. Die Versammlung,
außerordentlich befriedigt von so viel Eifer und Thätigkeit, ertheilte
einstimmig die erbetene Erlaubniß, durch welche die wirkliche Verhandlung
über diesen Gegenstand auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben wird. Hierauf
berichtete Hr. v. Bruck aus Triest für den Marine-Ausschuß, daß derselbe
noch keinen Bericht erstatten könne. Hr. Mittermaier,Wohlgeboren, berichtete
über die Proteste der Polen wegen Zulassung polnischer Deputirten in die
deutsche Nationalversammlung, weil Posen nicht zum deutschen Bund hätte
gezogen werden sollen; der Ausschuß, erklärte Hr. Mittermaier, halte sich
nicht für kompetent; er schlage vor, die Polen vorläufig zuzulassen, das
Weitere aber von dem „Verfassungsausschuß“ später zu erwarten. Jacobus
Venedey, der bekanntlich als königlich-preußischer Flüchtling schon gegen
die Einverleibung Krakaus „protestirte,“ (Heine sagte: die Sache steht
bedenklich, Palmerston und Venedey haben protestirt!) Jacobus Venedey trat
auf die Tribüne und rief, daß auch er gegen die Zulassung der Deputirten
„protestirt“ habe, daß er immer „protestirt“ habe, und noch „protestire“.
Als ihn der Präsident bedeutete, daß dies gar nicht zur Frage gehöre,
verschwand Hr. Venedey wieder, und die Versammlung nahm den Antrag
Mittermaiers an, die Entscheidung der angeregten Polenfrage von dem
Verfassungsausschuß zu erwarten. Hierauf Tagesordnung: Bericht des Prioritäts-Ausschusses über die Anträge
auf Bildung einer provisorischen Central-Gewalt. Der Prioritäts-Ausschuß ist
gebildet, um die selbstständigen Anträge der Mitglieder zu „ordnen, und ihre
Reihenfolge für den Vortrag zu bestimmen.“ Man erwartet also in diesem Fall,
wo er den Anträgen auf einen Vollziehungs-Ausschuß die Priorität einräumt,
daß er die verschiedenen hierhergehörenden Anträge „geordnet“, und die Sache
für den Vortrag bestimmt hat? Ueberspannte Ungeduld! Der Ausschuß sprach in
dem Bericht einstimmig aus, daß die Frage einer Central-Gewalt wegen ihrer
großen Dringlichkeit den Vorrang habe, und beantragte deshalb, die
Verhandlung ‒ noch weiter hinauszuschieben; der Ausschuß beantragte, einen
neuen Ausschuß zu wählen, welcher alle Anträge auf Bildung eines
Vollziehungsausschusses erst prüfen und „ordnen“ soll. Der Antragsteller im
Ausschuß, Hr. Simon aus Trier, sprach lediglich über die Wichtigkeit der
Sache selbst: es handle sich darum, ob man souverain sein wolle in Wort und
auf Papier, oder auch in der That; durch eine vollziehende Centralgewalt
könne man sowohl „anarchischen Versuchen“ wie „separatistischen Gelüsten
einzelner Staaten“ entgegen treten u. s. w. Ueber die Dringlichkeit einer
sofortigen Verhandlung der Anträge erhob Niemand seine Stimme, auch aus der
Linken nicht, aus welcher doch so manche Anträge in Betreff eines
Vollziehungsausschusses hervorgegangen waren. Der in Kurhessen als
„Radikaler“ bewunderte Schwarzenberg meinte sogar sehr bedenklich man müsse
vor Allem doch auch das „Bestehende“ berücksichtigen, (dazu gehört doch wohl
nicht die Leiche des Bundestags?) und gab zu erwägen, daß die Anträge auf
einen Vollziehungsausschuß am besten ihre „Erledigung“ finden würden, wenn
man dieselben dem Verfassungsausschuß zur „Berücksichtigung“ beim
Verfassungsentwurf übergäbe. Auffallend war es, daß man weder den Ritter
Vincke, noch den Bundestagsgesandten Welcker bei dieser Gelegenheit ihr
Liedchen pfeifen hörte. Die Versammlung drängte zur Abstimmung, und der
Simon'sche Antrag auf Bildung eines Prüfungsausschusses für die Anträge auf
Bestellung eines Vollziehungsausschusses wurde mit großes Majorität
angenommen. Die Wahlen für diesen Prüfungsausschuß, welche gleich nach der
Sitzung von den Abtheilungen vorgenommen wurden, sind völlig im Sinn der
Rechten ausgefallen. ‒ Noch wurde ein Bericht über die Kompetenz des
Prioritätsausschusses vorgelegt. In diesem Ausschuß hatte nämlich ein
schlauköpfiger Jurist, Hr. Fuchs aus Breslau, das gewissenhafte Bedenken
erhoben, ob nicht Jemand bei Gelegenheit vielleicht dem Ausschuß Incompetenz
vorwerfen könne; der Ausschuß, erzählte Hr. Fuchs, sei unter der Herrschaft
der provisorischen Geschäftsordnung ins Leben getreten, und es frage sich,
ob vielleicht durch Annahme der neuen Geschäftsordnung der Auftrag der
Versammlung für den Ausschuß erloschen sei; Hr. Fuchs müsse dies indessen
aus „allgemeinen Rechtsgrundsätzen“ entschieden vereinen, indem ein Auftrag
stets von dem Machtgeber ausdrücklich zurückgenommen werden müsse; ferner,
sagte Hr. Fuchs. könne nach der neuen Geschäftsordnung zweifelhaft sein, ob
die Prioritätsausschuß auch wirklich über Priorität der Anträge zu
entscheiden; er, Hr. Fuchs, hatte indeß auch dies Bedenken aus juristischen
Gründen für unbegründet. Dieser juristische Kohl, der Bedenken zauberte, um
sie selbst zu widerlegen, wurde von der Versammlung mit ernster Würde, von
den Galerien mit leichtsinnigem Gelächter aufgenommen, und die Versammlung
beschloß dem Ausschuß noch 15 neue Mitglieder beizugesellen, damit die
ersten die selbstständigen Anträge, die letztern die Petitionen „ordnen“ und
zur Berathung bringen sollten. Nach diesen wichtigen Arbeiten für das Wohl
des Vaterlandes vertagte sich die Versammlung bis übermorgen; den morgigen
Tag wird Jeder dem unverkümmerten Genuß seiner drei Thaler zuwenden
können.
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Frankfurt, 3. Juni.
Motivirtes Manifest der radikal-demokratischen Partei in der konstituirenden
Nationalversammlung zu Frankfurt am Main.
„Wer die majestas populi an den Cäsar abtritt,
verräth ganz einfach das Volk an den Cäsar.“
Geleitet von der Ansicht, daß es nützlich und nöthig ist, sich ohne Rückhalt
auszusprechen, überzeugt von der Lebenskraft und Fortwirkung der
radikal-demokratischen Prinzipien, aus denen die große europäische Umwälzung
von 1848 hervorgegangen ist, sprechen wir es hiermit vor dem ganzen Volke
scharf und entschieden aus, was wir für die Aufgabe der Partei halten, die
beim Volke wirklich das unumschränkte Selbstregiment erhalten (konserviren)
will.
I.
Wir wollen im Innern die vollständige Verwirklichung der demokratischen
Staatsform. Ihr Zweck ist die Befreiung jedes Einzelnen. Wir wollen nach
Außen die Emanzipation und Selbstregierung aller Völker. Alle Eroberungs-
und Unterdrückungsgelüste der Deutschen gegen ihre Nachbarn und
nichtdeutschen Staatsgenossen sollen aufhören. Die europäischen Völker sind
im Begriff, sich zu freien Staaten frei zu vereinigen. Wir finden hierin die
wahre Bedeutung der Nationalität und erwarten, es werde in nicht gar ferner
Zeit kein anderes Völkerrecht geben, als die Dekrete eines souveränen
Kongresses freier Nationen, die weder um die Gränzen des Landes, noch um die
Vortheile des Handels sich entzweien, sondern in allgemeiner Föderation sich
zu vereinigen.
In der Vereinigung Freier und Gleicher oder in der Föderation finden wir die
einzig mögliche Lösung der Aufgabe, Einheit und Freiheit in Deutschland (und
in Europa) herzustellen. Wir wollen das nordamerikanische Förderativsystem.
Wenn wir also die Einheit der souveränen deutschen Nation wollen, so wollen
wir nichts anderes, als die Vereinigung ihrer Abgeordneten in der
Nationalversammlung und in dem verantwortlichen Regierungsausschuß
derselben.
Diese Einheit Deutschlands ist bereits vorhanden. Die Einheit Deutschlands
ist nicht die Vereinigung der verschiedenen Domänen in eine Domäne; sie ist
vielmehr die Einheit des deutschen Volks durch die Vereinigung seiner
Abgeordneten im souveränen Parlament hier zu Frankfurt am Main. In dieser
Vereinigung sehen wir zugleich seine Freiheit; wenn wir die Freiheit des
Volks wollen, so wollen wir seine vollkommene unumschränkte Selbstregierung
durch seine Urversammlungen und durch seine Abgeordneten. Der unumschränkte
Wille oder die Souveränetät des Volkes kann wohl durch Abgeordnete und durch
Regierungsausschüsse, durch Geschworne im Gericht, durch Kriegsheere im
Felde ausgeübt, aber nie an eine Person oder eine erste Kammer abgetreten
werden.
Wie die Einheit, so ist auch die Freiheit des Volkes in diesem Augenblicke
faktisch schon vorhanden. Der Volkswille hat die Nationalversammlung
vereinigt. Weiß nun diese Versammlung, daß sie souverän ist und bleiben muß,
und führt sie diejenige Konstituirung Deutschlands, welche aus diesen beiden
Grundsätzen folgt, ernstlich und praktisch, durch die lebendig wirkenden
Staatsgewalten herbei, so begründet sie die Freiheit, sie verwandelt die
untergeordnete Freiheit in eine geordnete. Dies ist eine große, positiv
revolutinäre Arbeit. So verstehen wir unsere Aufgabe. Die
Nationalversammlung hat den Auftrag, das souveräne Volk zu konstituiren,
also es mit solchen Organen seines Willens zu versehen, welche die
Souveränetät für alle Zeiten beim Volk erhalten.
Diese Organe sind 1) die Volksvertretung in der Nationalversammlung, welche
aus dem Volke durch direkte Wahl hervorgeht und nach Erlöschung ihres
Mandates ins Volk zurücktritt; 2) der Vollziehungsausschuß oder der
Präsident und sein Ministerium, welche aus der Nationalversammlung
hervorgehen, ihr verantwortlich sind und wenn sie die Mehrheit in ihr
verlieren, wieder in die Versammlung zurücktreten.
Jede andere Form der Freiheit enthält einen Verstoß gegen die
Volkssouveränetät. Nur in der freigewählten Versammlung der
Volksabgeordneten und in der Regierung, die aus ihr hervorgeht, kann der
unumschränkte Wille des freien Volkes verwirklicht werden. Beschlösse z. B.
das souveräne Volk durch seine Vertreter, die hier beisammen sind, seine
Einheit, glaubte aber zu dem Zwecke einen erblichen König von Deutschland
wählen zu müssen, so wäre das keine Vereinigung des freien Volks, sondern
eine Vereinigung aller Fürstenhüte unter einen Königshut. Aber nicht die
Fürsten unter Einen Hut zu bringen ist die Aufgabe; die Aufgabe ist, das
Volk zu vereinigen und zwar ohne es zu unterjochen, also das freie Volk,
welches jetzt faktisch souverän ist, unverkürzt bei dieser Souveränetät zu
erhalten. Es wäre ein Verrath an sich selbst, wenn ein Volk in dem
Augenblicke, wo es durch Revolution und Anarchie die Souveränetät faktisch
in der Hand hat, eine lex regia, ein Königsgesetz machte, und dadurch die
Souveränetät an einen König verschenkte. Die Thorheit eines solchen
Verfahrens ist nicht ohne Beispiel. Wir werden den Dänen nicht
nachahmen.
Aber, sagen die Konstitutionellen, wir werden einen konstitutionellen
deutschen König machen. Abgesehen davon, daß die Könige nur gezeugt, nicht
gewählt zu werden pflegen, ist der konstitutionelle König einfach der Rest
des absoluten, und dieser Rest ist durch die demokratische Revolution von
1848 so zusammengeschwunden, daß die Volkssouverainetät unser faktischer
Zustand, der König also kein Souverain mehr, sondern in Wahrheit nur noch
ein Staatsdiener mit sehr beschränkten Funktionen ist. Er hat für die
Ernennung des Premierministers und für die Erzeugung seines Nachfolgers zu
sorgen. Die Weisheit, welche dem Despotismus nur diese beiden Sinekuren
übrig läßt, ist sehr weise, und wir bewundern sie gewiß hinlänglich, wir
werden die Bewunderung noch steigern, wenn wir es erleben, daß sie sich
durchsetzt; aber in dem Gesammtstaate Deutschland, wo (wie in der
Gesammtheit von Europa) gar kein Herr vorhanden ist, finden wir uns außer
Stande, jenen Rest des Herrenthums zu erschaffen. Der konstitutionelle König
ist der abgenutzte absolute; sollen wir Deutsche nun im Jahr 1848 hier in
Frankfurt das Problem lösen, wie man einen abgetragenen Hut macht, ohne ihn
vorher abzutragen? Wir hoffen es nicht.
Was bleibt also übrig? Der souveräne Kongreß oder, daß man gar keinen König
macht, sondern nur den verantwortlichen Minister-Präsidenten und seinen
verantwortlichen Ministerrath, oder einen verantwortlichen
Vollziehungs-Ausschuß mit einem verantwortlichen Reichskanzler an der
Spitze.
Die Weisen sagen dagegen : das ist zwar richtig, aber unpraktisch, weil das
Volk nicht logisch denkt, sondern konfuse Vorstellungen hat. Diese
Volksvertreter, die sich schmeicheln praktisch zu sein, weil sie die
Konfusion, nicht die Auflösung der Konfusionen vertreten, irren sich; sie
sind die Unpraktischen; jeder Mensch ist froh, seine Konfusion los zu
werden. Wenn er sie hat, will er sie nur so lange behalten, als er sie nicht
kennt. Also lehrt das Volk nur richtig denken, es wird es euch danken.
Es ist auch völlig unwahr, daß die Gemüthsbewegung und der Instinkt des
Volkes nicht radikal wären, im Gegentheil, alle Folgerungen der
demokratischen Revolution von 1848 werden überall mit unerbittlicher Strenge
gezogen werden; und wir gehören nicht zu denen, die dieß nicht schon heute
verlangten, wenn es auch erst morgen durchzusetzen wäre.
Die geflissentliche Mäßigung in der Vernunft, deren sich die Unentschiedenen
rühmen, entspringt aus dem Mißtrauen in die Bewegung, die
uns hervorgebracht hat. Es ist wahr, in diesem Augenblicke stockt
die Befreiung der europäischen Menschheit. An der Gränze Rußlands steht die
Revolution still. Aber daraus folgt nur, daß die slavische Befreiungsfrage
die Lebensfrage der Revolution ist. Der Sturz des Despotismus in Polen und
Rußland, sowie bei allen übrigen slavischen Stämmen, ist die Vernichtung
seiner Zuflucht in Europa; und nur so ist auch die Befreiung Deutschlands zu
sichern. Wir würden der Reaction und der brutalen Gewalt erliegen, wenn die
Verschwörung unserer inneren Feinde mit dem russischen Militairdespotismus
gelänge.
Wir wollen daher die heilige Allianz der Völker. Wir gehen mit den Franzosen,
mit den Italienern, mit den demokratischen Slaven; wir wollen gleichzeitig
mit der Wiedergeburt Deutschlands die Wiedergeburt Polens und Italiens. Die
französische Republik bietet uns die Hand, wir nehmen sie mit Freuden
an.
II.
Um die Wiedergeburt Deutschlands ins Werk zu richten, wollen wir kraft der
Souverainität des deutschen Volkes durch die konstituirende
Nationalversammlung diejenige Verfassung einführen, welche die
Nationalsouverainetät nicht wieder aufgibt, sondern für immer sichert. Wir
wollen deßhalb
1) Eine immer auf drei Jahre gewählte Nationalversammlung für den
Gesammtstaat Deutschland, gewählt ohne Census und durch directe Wahlen.
2) Einen Vollziehungsausschuß, welcher durch einen verantwortlichen
Präsidenten und sein verantwortliches Ministerium gebildet und durch die
jedesmalige Mehrheit der Versammlung aus ihrer Mitte gewählt wird. Jede
neugewählte Nationalversammlung entscheidet daher von neuem über ihren
Vollziehungsausschuß.
3) Wir verlangen, daß mit der Feststellung und Verkündigung der Volksrechte
oder der deutschen magna charta begonnen und der Verfassungsausschuß mit der
sofortigen Vorlage dieser Volksrechte beauftragt werde.
4) Wir nehmen die Gestaltung Deutschlands seit dem März 1848 als Thatsache
an, und sind der Ansicht, daß die politische Lage, in der wir Deutsche uns
gegenwärtig befinden, folgende ist: die einzelnen deutschen Staaten treten
durch die Vereinigueg aller deutschen Abgeordneten in der
Nationalversammlung zu Einem Föderativstaat zusammen, und geben dadurch so
viel von ihrer Souverainetät auf, als die Nationalversammlung zur Bildung
des souverainen Gesammtstaates für nöthig erachtet.
5) Die einzelnen Staaten sind ungehindert, wie die freien Reichsstädte,
Republiken, oder, wie die übrigen Staaten, konstitutionelle Monarchieen zu
sein; jedoch wird durch die Volksrechte, welche die Nationalversammlung
proklamirt, derjenige Grad von Volksfreiheit festgesetzt, welcher unter
allen Umständen dem Volke gewährt werden muß.
6) Zu der definitiven Konstituirung des Gesammtstaates ist keine weitere
Zustimmung der einzelnen Staaten erforderlich, als die, welche bereits in
dem Zusammentritt der souverainen konstituirenden Nationalversammlung liegt.
Die Versammlung vereinigt jetzt noch alle Staatsgewalten des Gesammtstaates
in sich und hat diese verschiedenen Gewalten und politischen Lebensformen,
die sie zu beschließen berufen ist, auch sofort in Wirksamkeit zu setzen und
die innere und äußere Politik des Gesammtstaates zu handhaben.
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Frankfurt, 3. Juni.
Der von der Nationalversammlung heute gewählte Ausschuß für die Prüfung der
auf Bildung einer provisorischen Centralgewalt bezüglichen Anträge besteht
aus folgenden Abgeordneten: v. Trätschler, M. v. Gagern, v. Meyern, v.
Sauken, Flottwell, Dahlmann, v. Lindenau, Claussen (Schriftführer),
Stedtmann (1. Vorsitzender), Würth (Stellvertreter des Vorsitzenden),
Zenetti, Blum, Dunker, v. Raumex, Wippermann.
‒ In der Sitzung des Bundestages vom 2. Juni erstattete der k.
würtembergische Gesandte, Namens des Militär - Ausschusses, noch in Bezug
auf die in Mainz stattgehabten Vorfälle und die dagegen ergriffenen
Maßregeln, so wie das Ergebniß der hierüber angestellten Nachforschungen
Bericht ab.
In einem Bericht des Festungs - Gouvernements vom 28. Mai ist angezeigt
worden, die k. preuß. Garnison habe ‒ nachdem sie durch den Beschluß der
National-Versammlung hinreichende Genugthuung für die ihr widerfahrenen
Unbilden erhalten ‒ den Wunsch geäußert, ganz oder wenigstens theilweise von
Mainz versetzt zu werden und dieser Wunsch sei bereits dem k. preuß.
Kriegsministerium vorgetragen worder. Zugleich hat das Festungs-Gouvernement
über die stattgehabte Androhung der Beschießung der Stadt und die
aufgetauchte Besorgniß wegen Wiederholung ähnlicher Maßregeln, ohne daß
gewichtige Gründe für solche vorlägen, sich dahin ausgesprochen, daß das
Gouvernement, wie aus seiner vieljährigen Amtsführung hervorgehe, bei
Anwendung und Ausführung außerordentlicher Maßregeln sich stets von den
Grundsätzen der Humanität und Billigkeit leiten lassen und nur im Falle der
Bedrohung und des Angriffs gegen die Sicherheit der Festung nach seiner
Pflicht für deren Erhaltung zum Aeußersten schreiten werde.
Was die Reorganisation der Bürgerwehr betrifft, so bemerkt das Gouvernement,
daß es solche für die nächste Zeit nicht für angemessen halte und dieselbe
nur unter veränderten Verhältnissen in beschränktem Maße und allein unter
den im Festungsreglement gebotenen Garantieen und nach Maßgabe des hierüber
erst zu erwartenden Bewaffnungsgesetzes stattfinden könnte.
Nach Erwägung der Lage der Sache, wie sich solche durch durch diesen Bericht
und die von den Kommissarien der Bundesversammlung eingezogenen
Erkundigungen darstellt, wurden über die Anträge des k. sächsischen
Gesandten vom 27. Mai folgende Beschlüsse gefaßt.
1) Der Antrag auf einen Garnisonswechsel erledigt sich durch den von der k.
preußischen Garnison ausgedrückten Wunsch einer vollständigen, oder
wenigstens theilweisen Ablösung und die hierüber dem k. preußischen
Kriegsministerium gestellten Anträge. Es wird hierin zugleich das wirksamste
Mittel erkannt, ferneren durch gegenseitige Erbitterung hervorgerufenen
Konflikten vorzubeugen.
2) Die Reorganisation der Bürgerwehr kann nach dem wohlerwogenen Gutachten
des Festungs-Gouvernements zur Zeit noch nicht angeordnet werden, sondern es
muß dieselbe auf nähere Erwägung der Art und Weise, wie das zu erwartende
großh. hess. Bürgerwehrgesetz mit den Bestimmungen des
Bundesfestungs-Reglements in Uebereinstimmung gebracht werden kann, und ob
die Lage der Umstände alsdann eine Bürgerbewaffnung in Mainz gestattet,
ausgesetzt werden.
3) In Erwägung, daß die von dem Festungsgouvernement in Folge der
ausgebrochenen Unruhen getroffenen Ausnahms-Bestimmungen so weit es die
Umstände gestattet haben, bereits modificirt worden sind, in Erwägung
insbesondere, daß ein Verbot der Vereine im Allgemeinen, so wenig als ein
Verbot der Versammlungen in geschlossenen Räumen ergangen ist, und daß die
Freiheit der Presse durch keinerlei Censurvorschriften gehemmt, sondern bloß
die Aufstellung aufreizender Bilder und Schrifien untersagt und den
Redaktionen die Weisung geworden ist, keine Artikel aufzunehmen, welche die
Erbitterung der Garnison und Bürger steigern könnten; findet die
Bundesversammlung keinen Grund, dem pflichtmäßigen Ermessen des
Gouvernements darüber, wie bald die Umstände es gestatten werden, den
ordentlichen Zustand der Bundesfestung tn vollem Maße wieder eintreten zu
lassen, vorzugreifen, und erwartet von der Disciplin der gesammten Garnison
ebenso, wie von der Ordnungsliebe der Bürger, daß sie alle Veranlassung zur
Störung des wünschenswerthen gegenseitigen guten Einvernehmens vermeiden
werden.
Der Bundestag bleibt sich also bis zum letzten Augenblicke gleich. Es ist nur
gut, daß er über Niemand mehr zu befehlen hat als über die Garnisonen der
Bundesfestungen. Dieser neue Beschluß kann der Nationalversammlung zeigen
wie nothwendig es ist, sofort an die Stelle eines so verrotteten und von
Natur volksfeindlichen Regierungsraths eine neue povisorische
Centrale-Exekutive zu setzen.
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Berlin, den 3. Juni.
Die Aufregungen der letzten Tage insbesondere die Gerüchte über heimliche
Fortschaffung von Waffen, Vernagelung der Brücken, Zusammenziehung von
Truppen um Berlin u. s. w. hatten am 1. Juni früh eine Deputation von sechs
hiesigen demokratischen Vereinen zum Ministerpräsidenten geführt, um ihn auf
die gefährliche Mißstimmung in der Stadt, welche zunächst einen
unheilbringenden Conflict zwischen den bewaffneten und unbewaffneten Bürgern
besorgen lasse, aufmerksam zu machen und das Gouvernement zu veranlassen,
daß es zur Beruhigung der Gemüther ernstliche und aufrichtige Schritte für
eine wirkliche Volksbewaffnung thue. Die Deputation stellte vor, daß die
Bewaffnung der gesammten politisch-berechtigten Bevölkerung sich bereits auf
eine gesetzliche Bestimmung gründe, es sich folglich nur um die Ausführung
eines Gesetzes handle. Wenn gleich ein jeder Staatsbürger ein
gleiches Recht auf Waffen habe, so müsse man doch
aus dem Gesichtspunkte der Nützlichkeit die eigenthümlichen Verhältnisse der
großen Städte und besonders Berlins berücksichtigen und hier dem Mangel
zuerst abhelfen. Dazu seien erweislich Waffen genug am Orte vorhanden und
überdies käme es für jetzt mehr darauf an, guten Willen zu zeigen, was schon
durch vorläufige Hingabe einer geringen Quantität Waffen, durch ehrliche
Anerkennung des Princips und durch eine angemessene Vertheilung der im
Gebrauch befindlichen Waffen geschehen könne. Diese Vertheilung sei aber bis
jetzt im höchsten Grade unzweckmäßig und ungerecht, da z. B. die
waffengeübten und kräftigen Maschinenbauer
keine
Waffen hätten, dagegen fast sämmtliche Beamte, insbesondere die
altersschwachen höheren ihre Zeit statt im Staatsdienste, im Wachdienste
zubrächten und gerade sie erweislich die brutalsten Störenfriede in der
Bürgerwehr seien. Das gerechte Mißtrauen sei dadurch vermehrt, daß der
Verfassungsentwurf keine Silbe über Volksbewaffnung und keine Verweisung auf
ein desfallsiges Gesetz enthalte. Das Ministerium habe bisher
Nichts gethan, um sich an die Spitze einer so
gewaltigen Zeit zu stellen oder auch nur durch Offenheit und That das
Zutrauen des Landes zu erhalten, vielmehr habe es durch unzählige
Unterlassungen und durch ungeschickte Ausführung, selbst da wo es die beste
Absicht gehabt haben möge, stets Anstoß erregt. Die Hoffnungen auf die
Nationalversammlung seien ebenfalls geschwächt, da dieselbe bisher ihre
Thätigkeit hauptsächlich durch Trommeln bewiesen habe und von vielen
Mitgliedern der conservativen Partei die heftigsten Aeußerungen über Berlin
und Drohungen einer Verlegung der Ver-
[0023]
sammlung in die
Provinz im Publicum verbreitet seien. Die erfolgreichen Anstrengungen der
Reaction ließen sich einmal nicht mehr fortleugnen, wenn man nur offene
Augen und Ohren haben wolle. Die Vorgänge in Neapel und Wien steigerten das
Mißtrauen. Dies treffe aber weniger das Staatsministerium, welches
vielleicht ebenfalls dupirt werde, sondern ginge darüber hinaus. Es wurden
demgemäß die Anträge gestellt:
daß das Staatsministerium als die oberste Verwaltungsbehörde dem dringenden
Verlangen der noch unbewaffneten, aber zum Waffentragen berechtigten
Berliner Bevölkerung durch sofortige, wenigstens theilweise Bewaffnung nachgebe, event. zur
Beruhigung der Gemüther das Recht der Volksbewaffnung in einem öffentlichen
Erlasse anerkenne und gleichzeitig die Communalbehörde zu einer gerechten,
gleich- und zweckmäßigern Vertheilung der Waffen anweise.
Eine Gefahr durch Bewaffnung des Arbeiterstandes sei nicht vorhanden, da
derselbe trotz der über alle Maßen aufgeregten Zeit und der drückenden Noth
sich bisher durch seine Haltung des größten Vertrauens würdig erwiesen habe
und die sittliche Lage der Hauptstadt in den Zeiten der größte Ruhe weit
schlechter als jetzt geweser sei; dagegen möge das Ministerium die Gefahren
der Erregnng nicht gering schätzen und nicht aus seinem einseitigen
Standpunkte zu hell sehen.
Nachdem der Minister-Präsident das Conseil versammelt hatte, eröffnete er der
auf 1 Uhr wiederbestellten Deputation, welcher sich noch Delegirte der
Maschinenbauer und einer Volksversammlung angeschlossen hatten, das die heutige Beschwerde die erste
sei, welche dem Ministerium über diesen Gegenstand zu Ohren komme; es finde
sich daher außer Stande in der gewünschten Eile etwas Entscheidendes zu
thun. Eine gleichmäßige Volksbewaffnung erfordere eine Million Gewehre,
mithin bedeutende Mehrausgaben, die das Ministerium der Nationalversammlung
gegenüber nicht auf seine Verantwortung nehmen könne. Es dürfe aber die
Versicherung gegeben werden, daß der Nationalversammlung ein über
Volksbewaffnung sprechender Gesetzentwurf binnen Kurzem zur Berathung werde
vorgelegt werden. Das Mißtrauen gegen das Ministerium, daß das auch
keineswegs zu hell sehe, sei unbegründet: jede, auch die entfernteste
Absicht der Reaction sei ihm völlig fremd. Es erwarte sein Urtheil zunächst
von der Versammlung ‒ wenn diese nicht ausreiche ‒ von der Nation; dem werde
es sich willig beugen. Die verbreiteten, das Publicum aufregenden Gerüchte
halte es für durchaus grundlos: die in der unschuldigsten Absicht
geschehenen Waffenversendungen seien öffentlich, nicht heimlich erfolgt; für
die augenblickliche Vermehrung der Waffenlieferung in Berlin könne das
Ministerium vor dem Beschlusse der Nationalversammlung nichts thun. Dagegen
erkenne er ‒ der Präsident ‒ persönlich die Unzweckmäßigkeit der hiesigen
Waffenvertheilung an. Dieselbe sei jedoch eine selbstständige Maßregel der
Communalbehörde gewesen und es bliebe ihm nichts übrig, als die letztere zur
sofortigen Prüfung und Abstellung der Mängel anzuregen.
[(B. Z.-H.)]
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Berlin, 3. Juni.
Hr. Aschoff, der unmöglich gewordene Chef der Bürgerwehr, hat endlich
abgedankt und Major Blesson hat das Kommando provisorisch übernommen. Die
Zeitungshalle bemerkt über diese Ernennung: Wenn Hr. Blesson in dieser neuen
Charge dieselbe Thätigkeit entwickelt, welche er bei der Organisation der
hiesigen Kleinkinder-Bewahr-Anstalten an den Tag gelegt, so läßt sich für
das Bürgerwehr-Institut eine große Zukunft voraussagen. Hr. Blesson hat
gleich damit angefangen, das Zeughaus wieder mit Militair besetzen zu
lassen, und zwar, wie er behauptete, in Folge eines Beschlusses der
Bürgerwehr. Der Bürgerwehrklub hat nun eine Erklärung erlassen, daß von
sämmtlichen, der Sitzung vom 2. Mai beiwohnenden 450-500 Mitgliedern der
verschiedensten Bezirke, kein Einziger von einem solchen Beschlusse etwas
wisse. ‒ Der Klnb hat bei allen Bezirken anf Ernennung einer Kommission
angetragen, welche Kandidaten zur Stelle eines Kommandeurs der Bürgerwehr
vorschlagen soll. ‒ Der Klub protestirte ebenfalls gegen die Bekanntmachung
des Grafen Keller, wonach das Schloß, „zur Erleichterung der Bürgerwehr,“
Nachts mit einem Gitter verschlossen werden soll. Er erklärt dem Herrn
Keller, die Bürgerwehr fühle sich stark genug, das Schloß auch ohne Gitter
zu bewachen, sie habe sich über zu schweren Dienst im Schloß noch nie
beklagt, und sie wisse nichts von dem angeblichen „Uebereinkommen,“ wovon
Hr. Keller spreche. Ueberdies sey es ein altes, verjährtes Recht der
berliner Einwohner, zu allen Zeiten, eine augenblickliche
Sicherheitsmaßregel ausgenommen, das Schloß frei zu passiren. Der Klub
protestire um so mehr, als die Maßregel schon Unzufriedenheit und Mißtrauen
unter den Einwohnern verbreitet habe. ‒ Auf die Aufforderung eines
Deputirten der Studenten, sich dem am Sonntag stattfindenden Zuge nach dem
Grabe der im März Gefallenen anzuschließen, wurde der Klubvorstand in die
Aula deputirt, um die Ordnung des Zuges u. s. w. zu besprechen und zugleich
gegen den sogenannten Sicherheits-Ausschuß zu protestiren, der sich gegen
den Zug ausgesprochen. Uebrigens war die Versammlung einverstanden, für den
Fall, daß am Sonntag Generalmarsch geschlagen würde, zu erscheinen.
[(Nach der Z.-H.)]
‒ Wozu die Polizei in Berlin sich hergibt, beweist folgende Bekanntmachung:
Auf den Antrag des Verf. des Aufrufs an Deutschland,
namentlich an Preußen, welcher die Tilgung der Staatsschulden durch
monatliche freiwillige Beiträge (!) zum Gegenstande hat, bringe ich
hierdurch zur öffentlichen Kenntniß: daß 10,000 Exemp. jenes Aufrufs an die
hiesigen Hauseigenthümer vertheilt sind und der Verf. den Wunsch hegt, daß
von dort aus den Herren Bezirksvorstehern Nachricht über den Erfolg der
Ansprache gegeben werden möchte (!). Berlin, 29. Mai 1848. Kgl.
Polizei-Präsidium. v. Minutoli. ‒ Was geht es das „Kgl. Polizei-Präsidium“
an, welche „Wünsche“ der Verf. des Aufrufs an Deutschland etc. etc.
hegt?
‒ Der demokratische Klub hat durch Maueranschlag das Kriegsministerium bei
der Kammer verklagt, wegen eines Erlasses des Gen. Reyher, der den Soldaten
das freie Vereinigungsrecht entzieht. ‒ Die Z. H. versichert, es sei den
Soldaten, namentlich denen des 24. Regiments verboten worden, Volksversammlungen zu besuchen und Maueranschläge zu
lesen!
‒Die Bewaffnung der Eisen-Arbeiter hat angefangen. 500 Stück alte Gewehre
sind den Borsig'schen Arbeitern ausgeliefert ‒ freilich nicht genug um den
sechsten Theil dieser Arbeiter zu bewaffnen; Hr. Borsig, Bürgerwehr-Major,
erklärt freilich, diese 500 genügten vorläufig hinreichend.
Gestern fand zur allgemeinen Freude eine Versöhnung unter dem bewaffneten
Studenten-Korps statt, wobei von der akademischen Jugend einstimmig
beschlossen wurde, die bisher gegen sie bestandenen Rechte des
Universitätssenats nicht mehr anzuerkennen, da solche eigentlich schon durch
die Errungenschaft vom 18. März zu gelten aufgehört haben. Gegen die durch
den Senat ausgesprochene Relegation einiger Kommilitonen, so wie gegen die
verweigerte Immatrikulation anderer Studirenden, welche bei der
Demonstration mit dem Ausstecken einer schwarzen Fahne und mit dem Wehen
schwarzer Tücher während der Parade der Bürgerwehr vor dem Könige sich
betheiligt haben, wollen sämmtliche Studenten Protest einlegen, weil dem
Senat ein solches Recht nicht mehr zustehe. Man ist auf die Entscheidung des
Kultusministeriums über diese Angelegenheit sehr gespannt.
[(D. Z.)]
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@facs | 0023 |
Berlin, 2. Juni.
Die Eisenbahn-Arbeiter in den Maschinen-Fabriken erhalten nun auch zur
Sicherheit Berlins Gewehre aus dem Zeughause. Außer diesen will man noch
andere Arbeiter, die einen eigenen Hausstand haben und in Betreff ihres
Lebenswandels makellos dastehen, nach und nach in die Reihen der Bürgerwehr
aufnehmen.
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@facs | 0023 |
Berlin, 3. Juni.
Nach dem heutigen Militär-Wochenblatt ist dem General-Adjutanten v. Ratzmer
und dem General-Lieutenant und General-Adjutanten Grafen Rostiz mit Pension
der Abschied bewilligt worden.
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@facs | 0023 |
Edition: [Friedrich Engels: Vereinbarungsdebatten vom 3. Juni 1848. In: MEGA2 I/7. S. 71.]
Berlin.
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@facs | 0023 |
Kassel, 1. Juni.
Die Direktion der Friedrich-Wilhelm-Nordbahn hat allen ihren Beamten durch
einen Erlaß verboten, an öffentlichen Demonstrationen Theil zu nehmen, und
zwar deshalb, weil das Freudenfeuer auf dem Kratzenberge am 17. Mai (zur
Feier der Eröffnung der Frankfurter Nationalversammlung) von dem
Bureaupersonale der Direktion ausgegangen sein soll. Ein Beamter des
technischen Bureau's, welcher sich geweigert hatte, den Erlaß zu
unterzeichnen, ist von dem Oberingenieur Splingard in Kassel auf eine
Nebenstation versetzt worden. Dafür hat den Letzteren eine Volksmenge über
1000 Menschen gestern Abend mit einer furchtbaren Katzenmusik beehrt.
Aehnliche Serenaden wurden dem Verwalter der städtischen Armengelder und dem
Polizeidirektor gebracht. Der Lärm dauerte durch die Nacht bis gegen 2 Uhr;
die Bürgerwehr fand sich nirgend veranlaßt einzuschreiten, was gewiß nur zu
billigen ist, da sonst ein blutiger Zusammenstoß mit den größtentheils
bewaffneten Tumultuanten nicht zu vermeiden gewesen wäre.
[(Fr. J.)]
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@facs | 0023 |
München, 31. Mai.
Militärische Vorsichtsmaßregeln sind heute getroffen, weil man ähnliche
Demonstrationen wie von den Schuhmachern auch von andern Gewerben
befürchtet; doch wie es scheint ohne Grund. Wohl aber könnte sich der
allgemeine Unmuth gegen die Polizei kehren, welche die Schuhmacher gestern
geknebelt abführen ließ, ohne daß im Publikum verlautete, daß sie sich
widersetzt hätten. Ein Polizei-Offiziant, der in dem Abzeichen des
Landwehrkorps bei ihrer Arretirung mitwirkte, wird aus demselben austreten
müssen. Ein Aehnliches widerfuhr gleich bei dessen Entstehen einem
Ministerialbeamten, der als Lolite bezeichnet wurde, und dem bekannten
Alemanenkommerce beigewohnt haben soll.
[(Fr. J.)]
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@facs | 0023 |
München, 31. Mai.
Die A. A. Z. sagt in einer übrigens beschönigenden Korrespondenz über die
Entfernung der fremden Schumachergesellen von hier: „Das Verfahren der
Polizeibehörde war doch etwas zu summarisch, und die Art ihrer Fortschaffung
mußte das menschliche Gefühl beleidigen. Man führte sie zwei und zwei geschlossen(die Redaktion bemerkt, es seien blos 15 oder 16 Gesellen geschlossen worden, welche
mit Stöcken versehen in eine Versammlung ihrer Meister eindrangen. Mit
Stöcken! Dafür mußten sie allerdings geschlossen werden!) und so plötzlich
von hier ab, daß viele sich nicht einmal mit dem Allernöthigsten versehen
konnten, ja verbot ihnen sogar den Wiederbesuch der Stadt für die nächsten
zwei Jahre“. Und worin bestanden die Forderungen dieser Leute, die man so
schnöde behandelt hat? Sie verlangten: bessere, gesunde Schlafstätten und
Betten für die in den Meisterwohnungen schlafenden Gesellen, bessere
Reinlichkeits-Hülfsmittel in den Werkstätten, Bestreitung gewisser kleinen
Ausgaben für nöthige Utensilien durch die Meister und endlich Erhöhung des
Arbeitslohns um einige Kreuzer für jedes Stück Arbeit.
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@facs | 0023 |
[X]Hamburg, 3.
Juni.
Heute fand die erste Versammlung des deutschen Gewerbestandes Statt. Es
hatten sich eine große Anzahl von Deputirten eingefunden, aus Berlin,
Magdeburg, Braunschweig, Bremen, Hannover, Kassel, Mecklenburg, Oldenburg
und Holstein. Zum Präsidenten erwählte man ad interim Hrn. Wischmann aus
Bremen, den Verfasser der Bremer Adresse.
Der Präsident leitete die Versammlung mit einer historischen Uebersicht ein.
Deutschland habe sich in verschiedenen Perioden mit dem Handwerkerstande
befaßt. Der wichtigste Beschluß sei der Reichstagsbeschluß vom Jahre 1731,
er habe die jetzige Zunftverfassung hervorgerufen. Seit der Zeit habe man
aber stillgestanden und sei nicht fortgeschritten, weshalb der Zopf so lang
geworden. Man wolle weder Zunftzwang noch Gewerbefreiheit, keins von beiden
sei genügend, sondern man wolle eine Gewerbeordnung, eine Organisation der
Gewerbe. Gewerbefreiheit wie sie in Preußen seit 1810 bestanden, untergrabe
den Handwerkerstand, der bisherige Zunftzwang mache aber den geschickten
Arbeiter dem reichen Meister unterthan und erlaube ihm nicht, selbstständig
zu werden. Der Verein zum Schutze des deutschen Gewerbestandes hat einen
Abriß einer neuen Gewerbeordnung entworfen, welcher folgende Paragraphen
enthält:
I. Organisation der Gewerbe. A. Innungen, Gilden,
Genossenschaften. 1. Innere Organisation derselben: a. Vorstand, b.
Prüfungsausschuß, c. Schiedsgerichte. 2. Verhältniß zwischen Lehrling und
Meister: Rechte und Pflichten derselben. 3. Ausbildung zum Gewerbe: a.
Gewerbeschulen, b. wiederholte Lehrlings-Prüfungen, c. Gesellenstück. 4.
Meisterwerden: a. Kein Meistergeld, die Tüchtigkeit statt des Geldes, b.
Niemand kann vor dem 25. Jahre Meister werden. B. Allgemeine Gewerbekasse. C. Gründung von Magazinen. D. Jährliche
Gewerbeausstellung. E. Als berathende verwaltende und richterliche Behörde
steht an der Spitze des gesammten Gewerbestandes 1. Eine Gewerbekammer,
gebildet a. durch Abgeordnete aus den Innungen und Gilden, b. durch
Hinzuziehung Sachverständiger. 2. Ein Gewerberath.
Derselbe wird gebildet: a. durch Wahl der Gewerbekammer, b. durch
Abgeordnete oder Kommissarien des Staats. 3. Ein
Gewerbe-Gericht, gebildet a. durch Mitglieder des Gewerberathes, b.
durch richterliche Personen, c. durch Geschworne, dle die Gewerbekammer
erwählt.
II. Handel und Gewerbe.1. Fabrikartiger Betrieb, 2.
Detailhandel, 3. Marktgerechtigkeit, 4. Schutz der Gewerbe.
III. Staat und Gewerbe. 1. Der Staat im Gewerberath
durch Kommissarien vertreten, 2. Jeder Gewerbtreibende hat bei dem
Bürgerwerden seinen Fähigkeitsnachweis durch den Gewerbe-Rath nachzuweisen,
3. jeder Bürger, welcher ein Gewerbe ausüben will, hat den
Fähigkeitsnachweis vor Ausübung desselben zu liefern, 4. die Staatsarbeiten,
durch den Gewerberath taxirt, sollen durch denselben den betreffenden
Innungen und Gilden in ihrer Gesammtheit überwiesen werden, 5. Verpflichtung
des Staats, vor Einführung neuer, die gewerblichen Interessen berührender
Gesetze, die betreffenden Gesetzentwürfe der Gewerbekammer und dem
Gewerbe-Rath zur Begutachtung vorzulegen.
Dieser Entwurf wird nun morgen debattirt werden, heute ward die Zeit der
Debattirung der Vorfragen gewidmet. Die Sprecher, alle schlichte Handwerker,
sprechen mit großer Sicherheit und Sprach-Gewandtheit. Unter den Rednern
zeichneten sich besonders aus die Herren Heckmann aus Kassel, Behrens aus
Magdeburg, Bislich aus Berlin, Selenka, Kielmannsegg, Deputirter des
Tischleramtes zu Berlin, Decker aus Berlin, Rickhahn, Vogelsang, Koll und
Hausemann aus Hamburg. Einzelne der Deputirten vertraten ganze Länder,
Provinzen oder Städte wie Hr. Heckmann, der den hessischen Handwerkerstand
vertritt und Behrens, welcher Deputirter aller sächsischer Städte ist,
welche eine Vorberathung in Magdeburg abgehalten und Hrn. Behrens zu ihrem
gemeinsamen Delegirten gewählt hatten.