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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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Halsbande vermißt, der ein Andenken ihrer
Mutter und noch dazu ein Talisman war,
dessen Besitz ihr die Freiheit ihrer Person
sicherte, indem sie damit nie in fremde Ge¬
walt ohne ihren Willen gerathen konnte.

Dieser Verlust befremdete sie mehr, als
daß er sie erschreckt hätte. Sie erinnerte
sich, ihn gestern bey dem Spazierritt noch
gehabt zu haben, und glaubte fest, daß er
entweder im Hause des Alten, oder auf dem
Rückwege im Walde verloren gegangen seyn
müsse; der Weg war ihr noch in frischem
Andenken, und so beschloß sie gleich früh
den Stein aufzusuchen, und wurd bey die¬
sem Gedanken so heiter, daß es fast das An¬
sehn gewann, als sey sie gar nicht unzufrie¬
den mit dem Verluste, weil er Anlaß gäbe
jenen Weg sogleich noch einmal zu machen.
Mit dem Tage ging sie durch den Garten
nach dem Walde, und weil sie eilfertiger

Halsbande vermißt, der ein Andenken ihrer
Mutter und noch dazu ein Talisman war,
deſſen Beſitz ihr die Freiheit ihrer Perſon
ſicherte, indem ſie damit nie in fremde Ge¬
walt ohne ihren Willen gerathen konnte.

Dieſer Verluſt befremdete ſie mehr, als
daß er ſie erſchreckt hätte. Sie erinnerte
ſich, ihn geſtern bey dem Spazierritt noch
gehabt zu haben, und glaubte feſt, daß er
entweder im Hauſe des Alten, oder auf dem
Rückwege im Walde verloren gegangen ſeyn
müſſe; der Weg war ihr noch in friſchem
Andenken, und ſo beſchloß ſie gleich früh
den Stein aufzuſuchen, und wurd bey die¬
ſem Gedanken ſo heiter, daß es faſt das An¬
ſehn gewann, als ſey ſie gar nicht unzufrie¬
den mit dem Verluſte, weil er Anlaß gäbe
jenen Weg ſogleich noch einmal zu machen.
Mit dem Tage ging ſie durch den Garten
nach dem Walde, und weil ſie eilfertiger

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[77/0085] Halsbande vermißt, der ein Andenken ihrer Mutter und noch dazu ein Talisman war, deſſen Beſitz ihr die Freiheit ihrer Perſon ſicherte, indem ſie damit nie in fremde Ge¬ walt ohne ihren Willen gerathen konnte. Dieſer Verluſt befremdete ſie mehr, als daß er ſie erſchreckt hätte. Sie erinnerte ſich, ihn geſtern bey dem Spazierritt noch gehabt zu haben, und glaubte feſt, daß er entweder im Hauſe des Alten, oder auf dem Rückwege im Walde verloren gegangen ſeyn müſſe; der Weg war ihr noch in friſchem Andenken, und ſo beſchloß ſie gleich früh den Stein aufzuſuchen, und wurd bey die¬ ſem Gedanken ſo heiter, daß es faſt das An¬ ſehn gewann, als ſey ſie gar nicht unzufrie¬ den mit dem Verluſte, weil er Anlaß gäbe jenen Weg ſogleich noch einmal zu machen. Mit dem Tage ging ſie durch den Garten nach dem Walde, und weil ſie eilfertiger

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/85>, abgerufen am 23.11.2024.