hölzernen Instrumente, vor ihren Augen frey¬ willig ins Meer springen. Sie wußten recht wohl, daß wenn sie seinen Zaubergesang hör¬ ten, ihre Herzen erweicht, und sie von Reue er¬ griffen werden würden; daher nahmen sie sich vor, ihm zwar diese letzte Bitte zu gewähren, während des Gesanges aber sich die Ohren fest zu verstopfen, daß sie nichts davon ver¬ nähmen, und so bey ihrem Vorhaben bleiben könnten. Dies geschah. Der Sänger stimm¬ te einen herrlichen, unendlich rührenden Ge¬ sang an. Das ganze Schiff tönte mit, die Wellen klangen, die Sonne und die Gestirne erschienen zugleich am Himmel, und aus den grünen Fluten tauchten tanzende Schaaren von Fischen und Meerungeheuern hervor. Die Schiffer standen feindselig allein mit fest¬ verstopften Ohren, und warteten voll Unge¬ duld auf das Ende des Liedes. Bald war es vorüber. Da sprang der Sänger mit hei¬
hölzernen Inſtrumente, vor ihren Augen frey¬ willig ins Meer ſpringen. Sie wußten recht wohl, daß wenn ſie ſeinen Zaubergeſang hör¬ ten, ihre Herzen erweicht, und ſie von Reue er¬ griffen werden würden; daher nahmen ſie ſich vor, ihm zwar dieſe letzte Bitte zu gewähren, während des Geſanges aber ſich die Ohren feſt zu verſtopfen, daß ſie nichts davon ver¬ nähmen, und ſo bey ihrem Vorhaben bleiben könnten. Dies geſchah. Der Sänger ſtimm¬ te einen herrlichen, unendlich rührenden Ge¬ ſang an. Das ganze Schiff tönte mit, die Wellen klangen, die Sonne und die Geſtirne erſchienen zugleich am Himmel, und aus den grünen Fluten tauchten tanzende Schaaren von Fiſchen und Meerungeheuern hervor. Die Schiffer ſtanden feindſelig allein mit feſt¬ verſtopften Ohren, und warteten voll Unge¬ duld auf das Ende des Liedes. Bald war es vorüber. Da ſprang der Sänger mit hei¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0065"n="57"/>
hölzernen Inſtrumente, vor ihren Augen frey¬<lb/>
willig ins Meer ſpringen. Sie wußten recht<lb/>
wohl, daß wenn ſie ſeinen Zaubergeſang hör¬<lb/>
ten, ihre Herzen erweicht, und ſie von Reue er¬<lb/>
griffen werden würden; daher nahmen ſie ſich<lb/>
vor, ihm zwar dieſe letzte Bitte zu gewähren,<lb/>
während des Geſanges aber ſich die Ohren<lb/>
feſt zu verſtopfen, daß ſie nichts davon ver¬<lb/>
nähmen, und ſo bey ihrem Vorhaben bleiben<lb/>
könnten. Dies geſchah. Der Sänger ſtimm¬<lb/>
te einen herrlichen, unendlich rührenden Ge¬<lb/>ſang an. Das ganze Schiff tönte mit, die<lb/>
Wellen klangen, die Sonne und die Geſtirne<lb/>
erſchienen zugleich am Himmel, und aus den<lb/>
grünen Fluten tauchten tanzende Schaaren<lb/>
von Fiſchen und Meerungeheuern hervor.<lb/>
Die Schiffer ſtanden feindſelig allein mit feſt¬<lb/>
verſtopften Ohren, und warteten voll Unge¬<lb/>
duld auf das Ende des Liedes. Bald war<lb/>
es vorüber. Da ſprang der Sänger mit hei¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[57/0065]
hölzernen Inſtrumente, vor ihren Augen frey¬
willig ins Meer ſpringen. Sie wußten recht
wohl, daß wenn ſie ſeinen Zaubergeſang hör¬
ten, ihre Herzen erweicht, und ſie von Reue er¬
griffen werden würden; daher nahmen ſie ſich
vor, ihm zwar dieſe letzte Bitte zu gewähren,
während des Geſanges aber ſich die Ohren
feſt zu verſtopfen, daß ſie nichts davon ver¬
nähmen, und ſo bey ihrem Vorhaben bleiben
könnten. Dies geſchah. Der Sänger ſtimm¬
te einen herrlichen, unendlich rührenden Ge¬
ſang an. Das ganze Schiff tönte mit, die
Wellen klangen, die Sonne und die Geſtirne
erſchienen zugleich am Himmel, und aus den
grünen Fluten tauchten tanzende Schaaren
von Fiſchen und Meerungeheuern hervor.
Die Schiffer ſtanden feindſelig allein mit feſt¬
verſtopften Ohren, und warteten voll Unge¬
duld auf das Ende des Liedes. Bald war
es vorüber. Da ſprang der Sänger mit hei¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/65>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.