Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

den hoffte. -- Hoffte? -- Er hoffte gar
nichts mehr. Die entsetzliche Angst und
dann die trockne Kälte der gleichgültigsten
Verzweiflung trieben ihn, die wilden
Schrecknisse des Gebirgs aufzusuchen; der
mühseligste Gang beruhigte das zerstörende
der innern Gewalten. Er war matt, aber
still. Noch sah er nichts, was um ihn her
sich allmählig gehäuft hatte, als er sich
auf einen Stein setzte und den Blick rück¬
wärts wandte. Es dünkte ihm, als träume
er jezt, oder habe er geträumt. Eine un¬
übersehliche Herrlichkeit schien sich vor ihm
aufzuthun. Bald flossen seine Thränen, in¬
dem sein Innres plötzlich brach; er wollte
sich in der Ferne verweinen, daß auch keine
Spur seines Daseyns übrig bliebe. Unter
dem heftigen Schluchzen schien er zu sich
selbst zu kommen, die weiche heitre Luft
durchdrang ihn, seinen Sinnen ward die

den hoffte. — Hoffte? — Er hoffte gar
nichts mehr. Die entſetzliche Angſt und
dann die trockne Kälte der gleichgültigſten
Verzweiflung trieben ihn, die wilden
Schreckniſſe des Gebirgs aufzuſuchen; der
mühſeligſte Gang beruhigte das zerſtörende
der innern Gewalten. Er war matt, aber
ſtill. Noch ſah er nichts, was um ihn her
ſich allmählig gehäuft hatte, als er ſich
auf einen Stein ſetzte und den Blick rück¬
wärts wandte. Es dünkte ihm, als träume
er jezt, oder habe er geträumt. Eine un¬
überſehliche Herrlichkeit ſchien ſich vor ihm
aufzuthun. Bald floſſen ſeine Thränen, in¬
dem ſein Innres plötzlich brach; er wollte
ſich in der Ferne verweinen, daß auch keine
Spur ſeines Daſeyns übrig bliebe. Unter
dem heftigen Schluchzen ſchien er zu ſich
ſelbſt zu kommen, die weiche heitre Luft
durchdrang ihn, ſeinen Sinnen ward die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0356" n="10"/>
den hoffte. &#x2014; Hoffte? &#x2014; Er hoffte gar<lb/>
nichts mehr. Die ent&#x017F;etzliche Ang&#x017F;t und<lb/>
dann die trockne Kälte der gleichgültig&#x017F;ten<lb/>
Verzweiflung trieben ihn, die wilden<lb/>
Schreckni&#x017F;&#x017F;e des Gebirgs aufzu&#x017F;uchen; der<lb/>
müh&#x017F;elig&#x017F;te Gang beruhigte das zer&#x017F;törende<lb/>
der innern Gewalten. Er war matt, aber<lb/>
&#x017F;till. Noch &#x017F;ah er nichts, was um ihn her<lb/>
&#x017F;ich allmählig gehäuft hatte, als er &#x017F;ich<lb/>
auf einen Stein &#x017F;etzte und den Blick rück¬<lb/>
wärts wandte. Es dünkte ihm, als träume<lb/>
er jezt, oder habe er geträumt. Eine un¬<lb/>
über&#x017F;ehliche Herrlichkeit &#x017F;chien &#x017F;ich vor ihm<lb/>
aufzuthun. Bald flo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eine Thränen, in¬<lb/>
dem &#x017F;ein Innres plötzlich brach; er wollte<lb/>
&#x017F;ich in der Ferne verweinen, daß auch keine<lb/>
Spur &#x017F;eines Da&#x017F;eyns übrig bliebe. Unter<lb/>
dem heftigen Schluchzen &#x017F;chien er zu &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu kommen, die weiche heitre Luft<lb/>
durchdrang ihn, &#x017F;einen Sinnen ward die<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0356] den hoffte. — Hoffte? — Er hoffte gar nichts mehr. Die entſetzliche Angſt und dann die trockne Kälte der gleichgültigſten Verzweiflung trieben ihn, die wilden Schreckniſſe des Gebirgs aufzuſuchen; der mühſeligſte Gang beruhigte das zerſtörende der innern Gewalten. Er war matt, aber ſtill. Noch ſah er nichts, was um ihn her ſich allmählig gehäuft hatte, als er ſich auf einen Stein ſetzte und den Blick rück¬ wärts wandte. Es dünkte ihm, als träume er jezt, oder habe er geträumt. Eine un¬ überſehliche Herrlichkeit ſchien ſich vor ihm aufzuthun. Bald floſſen ſeine Thränen, in¬ dem ſein Innres plötzlich brach; er wollte ſich in der Ferne verweinen, daß auch keine Spur ſeines Daſeyns übrig bliebe. Unter dem heftigen Schluchzen ſchien er zu ſich ſelbſt zu kommen, die weiche heitre Luft durchdrang ihn, ſeinen Sinnen ward die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/356
Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/356>, abgerufen am 25.11.2024.