Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.Wollust ist meines Daseyns Zeugungskraft. Ich bin der Mittelpunkt, der heil'ge Quell, Aus welchem jede Sehnsucht stürmisch fließt, Wohin sich jede Sehnsucht, mannichfach Gebrochen, wieder still zusammen zieht. Ihr kennt mich nicht und saht mich werden. -- Wart ihr nicht Zeugen, wie ich noch Nachtwandler mich zum erstenmale traf An jenem frohen Abend? Flog euch nicht Ein süßer Schauer der Entzündung an? -- Versunken lag ich ganz in Honigkelchen; Ich duftete, die Blume schwankte still In goldner Morgenluft. Ein innres Quellen War ich, ein sanftes Ringen, alles floß Durch mich und über mich und hob mich leise. Da sank das erste Stäubchen in die Narbe, Denkt an den Kuß nach aufgehobnem Tisch. Ich quoll in meine eigne Flut zurück -- Es war ein Blitz, -- nun konnt' ich schon mich regen, Wolluſt iſt meines Daſeyns Zeugungskraft. Ich bin der Mittelpunkt, der heil'ge Quell, Aus welchem jede Sehnſucht ſtürmiſch fließt, Wohin ſich jede Sehnſucht, mannichfach Gebrochen, wieder ſtill zuſammen zieht. Ihr kennt mich nicht und ſaht mich werden. — Wart ihr nicht Zeugen, wie ich noch Nachtwandler mich zum erſtenmale traf An jenem frohen Abend? Flog euch nicht Ein ſüßer Schauer der Entzündung an? — Verſunken lag ich ganz in Honigkelchen; Ich duftete, die Blume ſchwankte ſtill In goldner Morgenluft. Ein innres Quellen War ich, ein ſanftes Ringen, alles floß Durch mich und über mich und hob mich leiſe. Da ſank das erſte Stäubchen in die Narbe, Denkt an den Kuß nach aufgehobnem Tiſch. Ich quoll in meine eigne Flut zurück — Es war ein Blitz, — nun konnt' ich ſchon mich regen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0350" n="4"/> <l>Wolluſt iſt meines Daſeyns Zeugungskraft.</l><lb/> <l>Ich bin der Mittelpunkt, der heil'ge Quell,</l><lb/> <l>Aus welchem jede Sehnſucht ſtürmiſch fließt,</l><lb/> <l>Wohin ſich jede Sehnſucht, mannichfach</l><lb/> <l>Gebrochen, wieder ſtill zuſammen zieht.</l><lb/> <l>Ihr kennt mich nicht und ſaht mich werden. —</l><lb/> <l>Wart ihr nicht Zeugen, wie ich noch</l><lb/> <l>Nachtwandler mich zum erſtenmale traf</l><lb/> <l>An jenem frohen Abend? Flog euch nicht</l><lb/> <l>Ein ſüßer Schauer der Entzündung an? —</l><lb/> <l>Verſunken lag ich ganz in Honigkelchen;</l><lb/> <l>Ich duftete, die Blume ſchwankte ſtill</l><lb/> <l>In goldner Morgenluft. Ein innres Quellen</l><lb/> <l>War ich, ein ſanftes Ringen, alles floß</l><lb/> <l>Durch mich und über mich und hob mich leiſe.</l><lb/> <l>Da ſank das erſte Stäubchen in die Narbe,</l><lb/> <l>Denkt an den Kuß nach aufgehobnem Tiſch.</l><lb/> <l>Ich quoll in meine eigne Flut zurück —</l><lb/> <l>Es war ein Blitz, — nun konnt' ich ſchon mich<lb/><hi rendition="#et">regen,</hi><lb/></l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0350]
Wolluſt iſt meines Daſeyns Zeugungskraft.
Ich bin der Mittelpunkt, der heil'ge Quell,
Aus welchem jede Sehnſucht ſtürmiſch fließt,
Wohin ſich jede Sehnſucht, mannichfach
Gebrochen, wieder ſtill zuſammen zieht.
Ihr kennt mich nicht und ſaht mich werden. —
Wart ihr nicht Zeugen, wie ich noch
Nachtwandler mich zum erſtenmale traf
An jenem frohen Abend? Flog euch nicht
Ein ſüßer Schauer der Entzündung an? —
Verſunken lag ich ganz in Honigkelchen;
Ich duftete, die Blume ſchwankte ſtill
In goldner Morgenluft. Ein innres Quellen
War ich, ein ſanftes Ringen, alles floß
Durch mich und über mich und hob mich leiſe.
Da ſank das erſte Stäubchen in die Narbe,
Denkt an den Kuß nach aufgehobnem Tiſch.
Ich quoll in meine eigne Flut zurück —
Es war ein Blitz, — nun konnt' ich ſchon mich
regen,
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