Mann aufgefallen, den er in jenem Buche oft an seiner Seite gesehn zu haben glaubte. Sein edles Ansehn zeichnete ihn vor allen aus. Ein heitrer Ernst war der Geist seines Gesichts; eine offene schön gewölbte Stirn, große, schwarze, durchdringende und feste Au¬ gen, ein schalkhafter Zug um den frölichen Mund und durchaus klare, männliche Ver¬ hältnisse machten es bedeutend und anzie¬ hend. Er war stark gebaut, seine Bewegun¬ gen waren ruhig und ausdrucksvoll, und wo er stand, schien er ewig stehen zu wollen. Heinrich fragte seinen Großvater nach ihm. Es ist mir lieb sagte der Alte, daß du ihn gleich bemerkt hast. Es ist mein trefflicher Freund Klingsohr, der Dichter. Auf seine Bekannt¬ schaft und Freundschaft kannst du stolzer seyn, als auf die des Kaysers. Aber wie stehts mit deinem Herzen? Er hat eine schöne Tochter; vielleicht daß sie den Vater bey dir aussticht. Es sollte mich wundern, wenn du sie nicht
Mann aufgefallen, den er in jenem Buche oft an ſeiner Seite geſehn zu haben glaubte. Sein edles Anſehn zeichnete ihn vor allen aus. Ein heitrer Ernſt war der Geiſt ſeines Geſichts; eine offene ſchön gewölbte Stirn, große, ſchwarze, durchdringende und feſte Au¬ gen, ein ſchalkhafter Zug um den frölichen Mund und durchaus klare, männliche Ver¬ hältniſſe machten es bedeutend und anzie¬ hend. Er war ſtark gebaut, ſeine Bewegun¬ gen waren ruhig und ausdrucksvoll, und wo er ſtand, ſchien er ewig ſtehen zu wollen. Heinrich fragte ſeinen Großvater nach ihm. Es iſt mir lieb ſagte der Alte, daß du ihn gleich bemerkt haſt. Es iſt mein trefflicher Freund Klingsohr, der Dichter. Auf ſeine Bekannt¬ ſchaft und Freundſchaft kannſt du ſtolzer ſeyn, als auf die des Kayſers. Aber wie ſtehts mit deinem Herzen? Er hat eine ſchöne Tochter; vielleicht daß ſie den Vater bey dir ausſticht. Es ſollte mich wundern, wenn du ſie nicht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0220"n="212"/>
Mann aufgefallen, den er in jenem Buche<lb/>
oft an ſeiner Seite geſehn zu haben glaubte.<lb/>
Sein edles Anſehn zeichnete ihn vor allen<lb/>
aus. Ein heitrer Ernſt war der Geiſt ſeines<lb/>
Geſichts; eine offene ſchön gewölbte Stirn,<lb/>
große, ſchwarze, durchdringende und feſte Au¬<lb/>
gen, ein ſchalkhafter Zug um den frölichen<lb/>
Mund und durchaus klare, männliche Ver¬<lb/>
hältniſſe machten es bedeutend und anzie¬<lb/>
hend. Er war ſtark gebaut, ſeine Bewegun¬<lb/>
gen waren ruhig und ausdrucksvoll, und wo<lb/>
er ſtand, ſchien er ewig ſtehen zu wollen.<lb/>
Heinrich fragte ſeinen Großvater nach ihm.<lb/>
Es iſt mir lieb ſagte der Alte, daß du ihn gleich<lb/>
bemerkt haſt. Es iſt mein trefflicher Freund<lb/>
Klingsohr, der Dichter. Auf ſeine Bekannt¬<lb/>ſchaft und Freundſchaft kannſt du ſtolzer ſeyn,<lb/>
als auf die des Kayſers. Aber wie ſtehts mit<lb/>
deinem Herzen? Er hat eine ſchöne Tochter;<lb/>
vielleicht daß ſie den Vater bey dir ausſticht.<lb/>
Es ſollte mich wundern, wenn du ſie nicht<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[212/0220]
Mann aufgefallen, den er in jenem Buche
oft an ſeiner Seite geſehn zu haben glaubte.
Sein edles Anſehn zeichnete ihn vor allen
aus. Ein heitrer Ernſt war der Geiſt ſeines
Geſichts; eine offene ſchön gewölbte Stirn,
große, ſchwarze, durchdringende und feſte Au¬
gen, ein ſchalkhafter Zug um den frölichen
Mund und durchaus klare, männliche Ver¬
hältniſſe machten es bedeutend und anzie¬
hend. Er war ſtark gebaut, ſeine Bewegun¬
gen waren ruhig und ausdrucksvoll, und wo
er ſtand, ſchien er ewig ſtehen zu wollen.
Heinrich fragte ſeinen Großvater nach ihm.
Es iſt mir lieb ſagte der Alte, daß du ihn gleich
bemerkt haſt. Es iſt mein trefflicher Freund
Klingsohr, der Dichter. Auf ſeine Bekannt¬
ſchaft und Freundſchaft kannſt du ſtolzer ſeyn,
als auf die des Kayſers. Aber wie ſtehts mit
deinem Herzen? Er hat eine ſchöne Tochter;
vielleicht daß ſie den Vater bey dir ausſticht.
Es ſollte mich wundern, wenn du ſie nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/220>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.