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Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

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Unglück seiner Geschwister. Wüßt ich nur
noch einige seiner herrlichen Lieder, die er uns
hinterließ! Er war edel und zärtlich, und
kannte kein größeres Glück als seine Laute.
Das Kind war ein Mädchen von zehn bis
zwölf Jahren, das den fremden Jüngling auf¬
merksam betrachtete und sich fest an den Bu¬
sen der unglücklichen Zulima schmiegte. Hein¬
richs Herz war von Mitleid durchdrungen; er
tröstete die Sängerin mit freundlichen Wor¬
ten, und bat sie, ihm umständlicher ihre Ge¬
schichte zu erzählen. Sie schien es nicht un¬
gern zu thun. Heinrich setzte sich ihr gegen¬
über und vernahm ihre von häufigen Thränen
unterbrochne Erzählung. Vorzüglich hielt sie
sich bei dem Lobe ihrer Landsleute und ihres
Vaterlandes auf. Sie schilderte den Edel¬
muth derselben, und ihre reine starke Em¬
pfänglichkeit für die Poesie des Lebens und
die wunderbare, geheimnißvolle Anmuth der

Unglück ſeiner Geſchwiſter. Wüßt ich nur
noch einige ſeiner herrlichen Lieder, die er uns
hinterließ! Er war edel und zärtlich, und
kannte kein größeres Glück als ſeine Laute.
Das Kind war ein Mädchen von zehn bis
zwölf Jahren, das den fremden Jüngling auf¬
merkſam betrachtete und ſich feſt an den Bu¬
ſen der unglücklichen Zulima ſchmiegte. Hein¬
richs Herz war von Mitleid durchdrungen; er
tröſtete die Sängerin mit freundlichen Wor¬
ten, und bat ſie, ihm umſtändlicher ihre Ge¬
ſchichte zu erzählen. Sie ſchien es nicht un¬
gern zu thun. Heinrich ſetzte ſich ihr gegen¬
über und vernahm ihre von häufigen Thränen
unterbrochne Erzählung. Vorzüglich hielt ſie
ſich bei dem Lobe ihrer Landsleute und ihres
Vaterlandes auf. Sie ſchilderte den Edel¬
muth derſelben, und ihre reine ſtarke Em¬
pfänglichkeit für die Poeſie des Lebens und
die wunderbare, geheimnißvolle Anmuth der

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[120/0128] Unglück ſeiner Geſchwiſter. Wüßt ich nur noch einige ſeiner herrlichen Lieder, die er uns hinterließ! Er war edel und zärtlich, und kannte kein größeres Glück als ſeine Laute. Das Kind war ein Mädchen von zehn bis zwölf Jahren, das den fremden Jüngling auf¬ merkſam betrachtete und ſich feſt an den Bu¬ ſen der unglücklichen Zulima ſchmiegte. Hein¬ richs Herz war von Mitleid durchdrungen; er tröſtete die Sängerin mit freundlichen Wor¬ ten, und bat ſie, ihm umſtändlicher ihre Ge¬ ſchichte zu erzählen. Sie ſchien es nicht un¬ gern zu thun. Heinrich ſetzte ſich ihr gegen¬ über und vernahm ihre von häufigen Thränen unterbrochne Erzählung. Vorzüglich hielt ſie ſich bei dem Lobe ihrer Landsleute und ihres Vaterlandes auf. Sie ſchilderte den Edel¬ muth derſelben, und ihre reine ſtarke Em¬ pfänglichkeit für die Poeſie des Lebens und die wunderbare, geheimnißvolle Anmuth der

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Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/128>, abgerufen am 25.11.2024.