Novalis: Die Christenheit oder Europa. In: Tieck/Schlegel (Hg.): Novalis. Schriften. Bd. 1. Berlin, 1826, S. 187-208.Untergrabung des religiösen cosmopolitische Interesse gelegt. Indeß liegt dem Protestantismus bei weitem nicht bloß je¬ Dem religiösen Sinn war diese Wahl höchst verderblich, Daher zeigt uns auch die Geschichte des Protestantismus N2
Untergrabung des religioͤſen cosmopolitiſche Intereſſe gelegt. Indeß liegt dem Proteſtantismus bei weitem nicht bloß je¬ Dem religioͤſen Sinn war dieſe Wahl hoͤchſt verderblich, Daher zeigt uns auch die Geſchichte des Proteſtantismus N2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017" n="195"/> Untergrabung des religioͤſen cosmopolitiſche Intereſſe gelegt.<lb/> So verlor die Religion ihren großen politiſchen friedeſtiften¬<lb/> den Einfluß, ihre eigenthuͤmliche Rolle des vereinigenden, in¬<lb/> dividualiſirenden Prinzips, der Chriſtenheit. Der Religions¬<lb/> friede ward nach ganz fehlerhaften und religionswidrigen<lb/> Grundſaͤtzen abgeſchloſſen, und durch die Fortſetzung des ſoge¬<lb/> nannten Proteſtantismus etwas durchaus Widerſprechendes —<lb/> eine Revolutions-Regierung permanent erklaͤrt.</p><lb/> <p>Indeß liegt dem Proteſtantismus bei weitem nicht bloß je¬<lb/> ner reine Begriff zum Grunde, ſondern Luther behandelte das<lb/> Chriſtenthum uͤberhaupt willkuͤhrlich, verkannte ſeinen Geiſt,<lb/> und fuͤhrte einen andern Buchſtaben und eine andere Religion<lb/> ein, nemlich die heilige Allgemeinguͤltigkeit der Bibel, und da¬<lb/> mit wurde leider eine andere hoͤchſt fremde irdiſche Wiſſenſchaft<lb/> in die Religionsangelegenheit gemiſcht — die Philologie — de¬<lb/> ren auszehrender Einfluß von da an unverkennbar wird. Er<lb/> wurde ſelbſt aus dunkelm Gefuͤhl dieſes Fehlgriffs bei einem<lb/> großen Theil der Proteſtanten zum Rang eines Evangeliſten<lb/> erhoben und ſeine Ueberſetzung canoniſirt.</p><lb/> <p>Dem religioͤſen Sinn war dieſe Wahl hoͤchſt verderblich,<lb/> da nichts ſeine Irritabilitaͤt ſo vernichtet, wie der Buchſtabe.<lb/> Im ehemahligen Zuſtande hatte dieſer bei dem großen Umfange<lb/> der Geſchmeidigkeit und dem reichhaltigen Stoff des katholi¬<lb/> ſchen Glaubens, ſo wie der Eſoteriſirung der Bibel und der<lb/> heiligen Gewalt der Concilien und des geiſtlichen Oberhaupts,<lb/> nie ſo ſchaͤdlich werden koͤnnen; jetzt aber wurden dieſe Ge¬<lb/> genmittel vernichtet, die abſolute Popularitaͤt der Bibel be¬<lb/> hauptet, und nun druͤckte der duͤrftige Inhalt, der rohe ab¬<lb/> ſtracte Entwurf der Religion in dieſen Buͤchern deſto merkli¬<lb/> cher, und erſchwerte dem heiligen Geiſte die freie Belebung,<lb/> Eindringung und Offenbarung unendlich.</p><lb/> <p>Daher zeigt uns auch die Geſchichte des Proteſtantismus<lb/> keine herrlichen großen Erſcheinungen des Ueberirdiſchen mehr,<lb/> nur ſein Anfang glaͤnzt durch ein voruͤbergehendes Feuer des<lb/> <fw place="bottom" type="sig">N2<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [195/0017]
Untergrabung des religioͤſen cosmopolitiſche Intereſſe gelegt.
So verlor die Religion ihren großen politiſchen friedeſtiften¬
den Einfluß, ihre eigenthuͤmliche Rolle des vereinigenden, in¬
dividualiſirenden Prinzips, der Chriſtenheit. Der Religions¬
friede ward nach ganz fehlerhaften und religionswidrigen
Grundſaͤtzen abgeſchloſſen, und durch die Fortſetzung des ſoge¬
nannten Proteſtantismus etwas durchaus Widerſprechendes —
eine Revolutions-Regierung permanent erklaͤrt.
Indeß liegt dem Proteſtantismus bei weitem nicht bloß je¬
ner reine Begriff zum Grunde, ſondern Luther behandelte das
Chriſtenthum uͤberhaupt willkuͤhrlich, verkannte ſeinen Geiſt,
und fuͤhrte einen andern Buchſtaben und eine andere Religion
ein, nemlich die heilige Allgemeinguͤltigkeit der Bibel, und da¬
mit wurde leider eine andere hoͤchſt fremde irdiſche Wiſſenſchaft
in die Religionsangelegenheit gemiſcht — die Philologie — de¬
ren auszehrender Einfluß von da an unverkennbar wird. Er
wurde ſelbſt aus dunkelm Gefuͤhl dieſes Fehlgriffs bei einem
großen Theil der Proteſtanten zum Rang eines Evangeliſten
erhoben und ſeine Ueberſetzung canoniſirt.
Dem religioͤſen Sinn war dieſe Wahl hoͤchſt verderblich,
da nichts ſeine Irritabilitaͤt ſo vernichtet, wie der Buchſtabe.
Im ehemahligen Zuſtande hatte dieſer bei dem großen Umfange
der Geſchmeidigkeit und dem reichhaltigen Stoff des katholi¬
ſchen Glaubens, ſo wie der Eſoteriſirung der Bibel und der
heiligen Gewalt der Concilien und des geiſtlichen Oberhaupts,
nie ſo ſchaͤdlich werden koͤnnen; jetzt aber wurden dieſe Ge¬
genmittel vernichtet, die abſolute Popularitaͤt der Bibel be¬
hauptet, und nun druͤckte der duͤrftige Inhalt, der rohe ab¬
ſtracte Entwurf der Religion in dieſen Buͤchern deſto merkli¬
cher, und erſchwerte dem heiligen Geiſte die freie Belebung,
Eindringung und Offenbarung unendlich.
Daher zeigt uns auch die Geſchichte des Proteſtantismus
keine herrlichen großen Erſcheinungen des Ueberirdiſchen mehr,
nur ſein Anfang glaͤnzt durch ein voruͤbergehendes Feuer des
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Zitationshilfe: | Novalis: Die Christenheit oder Europa. In: Tieck/Schlegel (Hg.): Novalis. Schriften. Bd. 1. Berlin, 1826, S. 187-208, hier S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_christenheit_1826/17>, abgerufen am 16.02.2025. |