sich durch die auf eine kunstreiche und verborgene Art angebrachte vervielfältigende Gläser, so unendlich mahl, daß er dadurch gantz ver- blendet wurde; der gantze Fußboden war mit dem schönsten Purpur belegt; und mit einem Wort: lauter ungewöhnliches unterhielte die Aufmercksamkeit des neugierigen Endymions. An denen mit golde- nen Stücken ausgelegten Wänden, die von einer besondern Höhe wa- ren, sahe er eine grosse Menge der vortrefflichsten Gemählde, welche Bildnisse vorstellten, die ihm aus der alten und jetzigen Historie kenntlich zu seyn, bedünckten. An der gantzen Rundung aber bemerck- te er sehr viele Lehr-Stühle, wenigstens kamen sie ihnen in der Aehn- lichkeit bey; deren Rück-Seiten mit dem Wappen, und denen mit Lorber und Palmen bekräntzten Nahmen dererjenigen ausgeziert wa- ren, vor welchen jeder Standt bestimmet zu seyn schien, hinter diesem aber befanden sich ungemein viele und ordentlich nach einander ran- girte Kriegs- und Siegs-Trophäen, von welchen zwar keines dem an- dern gleich kam, alle aber, an Kostbarkeit unschätzbar waren, daß es schiene, man habe hier mit allen Fleiß allen nur erdencklichen Pracht auf mehr als hundertfache Art verschwenden wollen. Man kan sich gar wohl einbilden, daß Endymion über dieses alles gleichsam wie in die Elisäischen Felder entzückt worden. Jedoch ein unvermuthetes gantz entsetzliches Knallen der Carthaunen, das mit unaufhörlichen Trompeten- und Paucken-Schall vermischet war, nebst dem Geschrey vieler tausend Menschen, davon er doch keinen eintzigen sahe, führten die nur in der Nähe bisher vertiefften Gedancken auf noch etwas nachdencklichers. Er entdeckte in dem obersten Theil des Tempels noch weit seltenere Sachen, die er gewiß nicht geglaubt haben würde, wenn er nicht durch das beständig anhaltende Donnern der Canonen und der kriegerischen Paucken- und Trompeten-Music überzeigt wor- den, daß er alles gar zu wohl höre, mithin sich selbst ohnstrittig bewußt seyn müste. Gantz zu oberst erblickte er auf einen schneeweisen glän- tzenden Ochsen, ein ungemein köstlich gekleidetes Frauenzimmer, fast wie der Poet Ovidius die Europam beschreibt, da sie Jupiter in Ge- stalt eines solchen Ochsens entführet hatte, hinter ihr stunde ein ehr- würdiger Greiß, der sich über dieses Frauenzimmer sehr betrübt er- wieß, und auf unterschiedliche Art sich bemühete ihr zu helffen und beyzuspringen. Endymion hatte sonst eben so die Zeit abgemahlt ge-
sich durch die auf eine kunstreiche und verborgene Art angebrachte vervielfältigende Gläser, so unendlich mahl, daß er dadurch gantz ver- blendet wurde; der gantze Fußboden war mit dem schönsten Purpur belegt; und mit einem Wort: lauter ungewöhnliches unterhielte die Aufmercksamkeit des neugierigen Endymions. An denen mit golde- nen Stücken ausgelegten Wänden, die von einer besondern Höhe wa- ren, sahe er eine grosse Menge der vortrefflichsten Gemählde, welche Bildnisse vorstellten, die ihm aus der alten und jetzigen Historie kenntlich zu seyn, bedünckten. An der gantzen Rundung aber bemerck- te er sehr viele Lehr-Stühle, wenigstens kamen sie ihnen in der Aehn- lichkeit bey; deren Rück-Seiten mit dem Wappen, und denen mit Lorber und Palmen bekräntzten Nahmen dererjenigen ausgeziert wa- ren, vor welchen jeder Standt bestimmet zu seyn schien, hinter diesem aber befanden sich ungemein viele und ordentlich nach einander ran- girte Kriegs- und Siegs-Trophäen, von welchen zwar keines dem an- dern gleich kam, alle aber, an Kostbarkeit unschätzbar waren, daß es schiene, man habe hier mit allen Fleiß allen nur erdencklichen Pracht auf mehr als hundertfache Art verschwenden wollen. Man kan sich gar wohl einbilden, daß Endymion über dieses alles gleichsam wie in die Elisäischen Felder entzückt worden. Jedoch ein unvermuthetes gantz entsetzliches Knallen der Carthaunen, das mit unaufhörlichen Trompeten- und Paucken-Schall vermischet war, nebst dem Geschrey vieler tausend Menschen, davon er doch keinen eintzigen sahe, führten die nur in der Nähe bisher vertiefften Gedancken auf noch etwas nachdencklichers. Er entdeckte in dem obersten Theil des Tempels noch weit seltenere Sachen, die er gewiß nicht geglaubt haben würde, wenn er nicht durch das beständig anhaltende Donnern der Canonen und der kriegerischen Paucken- und Trompeten-Music überzeigt wor- den, daß er alles gar zu wohl höre, mithin sich selbst ohnstrittig bewußt seyn müste. Gantz zu oberst erblickte er auf einen schneeweisen glän- tzenden Ochsen, ein ungemein köstlich gekleidetes Frauenzimmer, fast wie der Poet Ovidius die Europam beschreibt, da sie Jupiter in Ge- stalt eines solchen Ochsens entführet hatte, hinter ihr stunde ein ehr- würdiger Greiß, der sich über dieses Frauenzimmer sehr betrübt er- wieß, und auf unterschiedliche Art sich bemühete ihr zu helffen und beyzuspringen. Endymion hatte sonst eben so die Zeit abgemahlt ge-
<TEI><text><body><divtype="jArticle"><p><pbfacs="#f0002"n="154"/>
sich durch die auf eine kunstreiche und verborgene Art angebrachte<lb/>
vervielfältigende Gläser, so unendlich mahl, daß er dadurch gantz ver-<lb/>
blendet wurde; der gantze Fußboden war mit dem schönsten Purpur<lb/>
belegt; und mit einem Wort: lauter ungewöhnliches unterhielte die<lb/>
Aufmercksamkeit des neugierigen Endymions. An denen mit golde-<lb/>
nen Stücken ausgelegten Wänden, die von einer besondern Höhe wa-<lb/>
ren, sahe er eine grosse Menge der vortrefflichsten Gemählde, welche<lb/>
Bildnisse vorstellten, die ihm aus der alten und jetzigen Historie<lb/>
kenntlich zu seyn, bedünckten. An der gantzen Rundung aber bemerck-<lb/>
te er sehr viele Lehr-Stühle, wenigstens kamen sie ihnen in der Aehn-<lb/>
lichkeit bey; deren Rück-Seiten mit dem Wappen, und denen mit<lb/>
Lorber und Palmen bekräntzten Nahmen dererjenigen ausgeziert wa-<lb/>
ren, vor welchen jeder Standt bestimmet zu seyn schien, hinter diesem<lb/>
aber befanden sich ungemein viele und ordentlich nach einander ran-<lb/>
girte Kriegs- und Siegs-Trophäen, von welchen zwar keines dem an-<lb/>
dern gleich kam, alle aber, an Kostbarkeit unschätzbar waren, daß es<lb/>
schiene, man habe hier mit allen Fleiß allen nur erdencklichen Pracht<lb/>
auf mehr als hundertfache Art verschwenden wollen. Man kan sich<lb/>
gar wohl einbilden, daß Endymion über dieses alles gleichsam wie in<lb/>
die Elisäischen Felder entzückt worden. Jedoch ein unvermuthetes<lb/>
gantz entsetzliches Knallen der Carthaunen, das mit unaufhörlichen<lb/>
Trompeten- und Paucken-Schall vermischet war, nebst dem Geschrey<lb/>
vieler tausend Menschen, davon er doch keinen eintzigen sahe, führten<lb/>
die nur in der Nähe bisher vertiefften Gedancken auf noch etwas<lb/>
nachdencklichers. Er entdeckte in dem obersten Theil des Tempels<lb/>
noch weit seltenere Sachen, die er gewiß nicht geglaubt haben würde,<lb/>
wenn er nicht durch das beständig anhaltende Donnern der Canonen<lb/>
und der kriegerischen Paucken- und Trompeten-Music überzeigt wor-<lb/>
den, daß er alles gar zu wohl höre, mithin sich selbst ohnstrittig bewußt<lb/>
seyn müste. Gantz zu oberst erblickte er auf einen schneeweisen glän-<lb/>
tzenden Ochsen, ein ungemein köstlich gekleidetes Frauenzimmer, fast<lb/>
wie der Poet Ovidius die Europam beschreibt, da sie Jupiter in Ge-<lb/>
stalt eines solchen Ochsens entführet hatte, hinter ihr stunde ein ehr-<lb/>
würdiger Greiß, der sich über dieses Frauenzimmer sehr betrübt er-<lb/>
wieß, und auf unterschiedliche Art sich bemühete ihr zu helffen und<lb/>
beyzuspringen. Endymion hatte sonst eben so die Zeit abgemahlt ge-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[154/0002]
sich durch die auf eine kunstreiche und verborgene Art angebrachte
vervielfältigende Gläser, so unendlich mahl, daß er dadurch gantz ver-
blendet wurde; der gantze Fußboden war mit dem schönsten Purpur
belegt; und mit einem Wort: lauter ungewöhnliches unterhielte die
Aufmercksamkeit des neugierigen Endymions. An denen mit golde-
nen Stücken ausgelegten Wänden, die von einer besondern Höhe wa-
ren, sahe er eine grosse Menge der vortrefflichsten Gemählde, welche
Bildnisse vorstellten, die ihm aus der alten und jetzigen Historie
kenntlich zu seyn, bedünckten. An der gantzen Rundung aber bemerck-
te er sehr viele Lehr-Stühle, wenigstens kamen sie ihnen in der Aehn-
lichkeit bey; deren Rück-Seiten mit dem Wappen, und denen mit
Lorber und Palmen bekräntzten Nahmen dererjenigen ausgeziert wa-
ren, vor welchen jeder Standt bestimmet zu seyn schien, hinter diesem
aber befanden sich ungemein viele und ordentlich nach einander ran-
girte Kriegs- und Siegs-Trophäen, von welchen zwar keines dem an-
dern gleich kam, alle aber, an Kostbarkeit unschätzbar waren, daß es
schiene, man habe hier mit allen Fleiß allen nur erdencklichen Pracht
auf mehr als hundertfache Art verschwenden wollen. Man kan sich
gar wohl einbilden, daß Endymion über dieses alles gleichsam wie in
die Elisäischen Felder entzückt worden. Jedoch ein unvermuthetes
gantz entsetzliches Knallen der Carthaunen, das mit unaufhörlichen
Trompeten- und Paucken-Schall vermischet war, nebst dem Geschrey
vieler tausend Menschen, davon er doch keinen eintzigen sahe, führten
die nur in der Nähe bisher vertiefften Gedancken auf noch etwas
nachdencklichers. Er entdeckte in dem obersten Theil des Tempels
noch weit seltenere Sachen, die er gewiß nicht geglaubt haben würde,
wenn er nicht durch das beständig anhaltende Donnern der Canonen
und der kriegerischen Paucken- und Trompeten-Music überzeigt wor-
den, daß er alles gar zu wohl höre, mithin sich selbst ohnstrittig bewußt
seyn müste. Gantz zu oberst erblickte er auf einen schneeweisen glän-
tzenden Ochsen, ein ungemein köstlich gekleidetes Frauenzimmer, fast
wie der Poet Ovidius die Europam beschreibt, da sie Jupiter in Ge-
stalt eines solchen Ochsens entführet hatte, hinter ihr stunde ein ehr-
würdiger Greiß, der sich über dieses Frauenzimmer sehr betrübt er-
wieß, und auf unterschiedliche Art sich bemühete ihr zu helffen und
beyzuspringen. Endymion hatte sonst eben so die Zeit abgemahlt ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Der allerneuesten Europäischen Welt- und Staats-Geschichte II. Theil. Nr. XX, 10. Woche, Erfurt (Thüringen), 6. März 1744, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_weltgeschichte0220_1744/2>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.