Talvj, Volkslieder der Serben, 1825Und der linke Fuß bis an die Knie, Ganz zerbrochen hieng die eine Rippe, Und man sah die weiße Lunge liegen. 25 Und sie zog ihn aus den Strömen Blutes, Wusch ihn ab mit ihrem frischen Wasser, Träufelt' in den Mund den rothen Wein ihm, Speiset' ihn mit ihrem weißen Brodte. Als von Neuem sich sein Herz nun regte, 30 Also sprach Paul Orlowitsch, der Jüngling: "Liebe Schwester, Amselfelder Mädchen! Welches große Leid hatt Dich befallen, Daß Du hier im Heldenblute wühlest? Wen doch sucht die Jungfrau auf der Wahlstatt? 35 Einen Bruder, einen Sohn des Bruders? Oder suchst den Greis Du, den Erzeuger?" 26) Sprach das Mädchen drauf vom Amselfelde: "Lieber Bruder! unbekannter Krieger! Keinen such' ich von den Anverwandten, 40 Nicht den Bruder, noch den Sohn des Bruders, Noch such' ich den Greis hier, den Erzeuger. Weißt Du wohl, Du unbekannter Krieger! Wie der Fürst Lasar dem Kriegesheere Jüngst drei Wochen durch, von dreißig Mönchen, 45 In der prächt'gen Kirche Samodresha, Noch die Sacramente reichen lassen? All' das Heer der Serben gieng zum Nachtmahl, Ganz zuletzt drei krieg'rische Woiwoden. Milosch, der Woiwode, war der Eine, 50 Und der linke Fuß bis an die Knie, Ganz zerbrochen hieng die eine Rippe, Und man sah die weiße Lunge liegen. 25 Und sie zog ihn aus den Strömen Blutes, Wusch ihn ab mit ihrem frischen Wasser, Träufelt' in den Mund den rothen Wein ihm, Speiset' ihn mit ihrem weißen Brodte. Als von Neuem sich sein Herz nun regte, 30 Also sprach Paul Orlowitsch, der Jüngling: „Liebe Schwester, Amselfelder Mädchen! Welches große Leid hatt Dich befallen, Daß Du hier im Heldenblute wühlest? Wen doch sucht die Jungfrau auf der Wahlstatt? 35 Einen Bruder, einen Sohn des Bruders? Oder suchst den Greis Du, den Erzeuger?“ 26) Sprach das Mädchen drauf vom Amselfelde: „Lieber Bruder! unbekannter Krieger! Keinen such' ich von den Anverwandten, 40 Nicht den Bruder, noch den Sohn des Bruders, Noch such' ich den Greis hier, den Erzeuger. Weißt Du wohl, Du unbekannter Krieger! Wie der Fürst Lasar dem Kriegesheere Jüngst drei Wochen durch, von dreißig Mönchen, 45 In der prächt'gen Kirche Samodresha, Noch die Sacramente reichen lassen? All' das Heer der Serben gieng zum Nachtmahl, Ganz zuletzt drei krieg'rische Woiwoden. Milosch, der Woiwode, war der Eine, 50 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0328" n="262"/> <lg> <l>Und der linke Fuß bis an die Knie,</l><lb/> <l>Ganz zerbrochen hieng die eine Rippe,</l><lb/> <l>Und man sah die weiße Lunge liegen. <note place="right">25</note></l><lb/> <l>Und sie zog ihn aus den Strömen Blutes,</l><lb/> <l>Wusch ihn ab mit ihrem frischen Wasser,</l><lb/> <l>Träufelt' in den Mund den rothen Wein ihm,</l><lb/> <l>Speiset' ihn mit ihrem weißen Brodte.</l><lb/> <l>Als von Neuem sich sein Herz nun regte, <note place="right">30</note></l><lb/> <l>Also sprach Paul Orlowitsch, der Jüngling:</l> </lg><lb/> <lg> <l>„Liebe Schwester, Amselfelder Mädchen!</l><lb/> <l>Welches große Leid hatt Dich befallen,</l><lb/> <l>Daß Du hier im Heldenblute wühlest?</l><lb/> <l>Wen doch sucht die Jungfrau auf der Wahlstatt? <note place="right">35</note></l><lb/> <l>Einen Bruder, einen Sohn des Bruders?</l><lb/> <l>Oder suchst den Greis Du, den Erzeuger?“ <note xml:id="ed26" n="26)" place="end" next="#edt26"/></l> </lg><lb/> <lg> <l>Sprach das Mädchen drauf vom Amselfelde:</l><lb/> <l>„Lieber Bruder! unbekannter Krieger!</l><lb/> <l>Keinen such' ich von den Anverwandten, <note place="right">40</note></l><lb/> <l>Nicht den Bruder, noch den Sohn des Bruders,</l><lb/> <l>Noch such' ich den Greis hier, den Erzeuger.</l><lb/> <l>Weißt Du wohl, Du unbekannter Krieger!</l><lb/> <l>Wie der Fürst Lasar dem Kriegesheere</l><lb/> <l>Jüngst drei Wochen durch, von dreißig Mönchen, <note place="right">45</note></l><lb/> <l>In der prächt'gen Kirche Samodresha,</l><lb/> <l>Noch die Sacramente reichen lassen?</l><lb/> <l>All' das Heer der Serben gieng zum Nachtmahl,</l><lb/> <l>Ganz zuletzt drei krieg'rische Woiwoden.</l><lb/> <l>Milosch, der Woiwode, war der Eine, <note place="right">50</note></l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [262/0328]
Und der linke Fuß bis an die Knie,
Ganz zerbrochen hieng die eine Rippe,
Und man sah die weiße Lunge liegen.
Und sie zog ihn aus den Strömen Blutes,
Wusch ihn ab mit ihrem frischen Wasser,
Träufelt' in den Mund den rothen Wein ihm,
Speiset' ihn mit ihrem weißen Brodte.
Als von Neuem sich sein Herz nun regte,
Also sprach Paul Orlowitsch, der Jüngling:
„Liebe Schwester, Amselfelder Mädchen!
Welches große Leid hatt Dich befallen,
Daß Du hier im Heldenblute wühlest?
Wen doch sucht die Jungfrau auf der Wahlstatt?
Einen Bruder, einen Sohn des Bruders?
Oder suchst den Greis Du, den Erzeuger?“
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Sprach das Mädchen drauf vom Amselfelde:
„Lieber Bruder! unbekannter Krieger!
Keinen such' ich von den Anverwandten,
Nicht den Bruder, noch den Sohn des Bruders,
Noch such' ich den Greis hier, den Erzeuger.
Weißt Du wohl, Du unbekannter Krieger!
Wie der Fürst Lasar dem Kriegesheere
Jüngst drei Wochen durch, von dreißig Mönchen,
In der prächt'gen Kirche Samodresha,
Noch die Sacramente reichen lassen?
All' das Heer der Serben gieng zum Nachtmahl,
Ganz zuletzt drei krieg'rische Woiwoden.
Milosch, der Woiwode, war der Eine,
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Zitationshilfe: | Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/328>, abgerufen am 16.02.2025. |