Talvj, Volkslieder der Serben, 1825Ganz bedeckt sind sie mit trocknem Golde; Und sie faßt das Grauroß, daß er reitet, Schlingt die Arme um den Hals des Bruders, Und beginnet so zu ihm zu reden: "Lieber Bruder, Jugowitsche Wojno! 80 Dich geschenket hat der Zar der Schwester, Seinen Segen läßt er Dir entbieten, Wem Du willst, sollst Du die Rosse geben. Sollst bei mir hier bleiben in Kruschewatz, Daß zum Schwure mir ein Bruder bliebe." --85 Ihr entgegnete der Jugowitsche: "Gehe, Schwester, nach dem weißen Thurme, Doch zurücke kehrt kein wack'rer Krieger, Und verläßt des Zaren Rosse nimmer; Wußt' er auch, daß in der Schlacht er fiele! 90 Laß mich, Schwester, auf dem Amselfelde Für das heil'ge Kreuz mein Blut versprützen, Mit den Brüdern für den Glauben sterben!" -- Dieses sprechend sprengt' er aus dem Thore. Als Militza dieses sah, die Zarin, 95 Auf dem kalten Steine sank sie nieder, Sank sie nieder und in tiefe Ohnmacht. Sieh'! da kam der Zar Lasar geritten. Als der Frau Militza so erblickte, Rannen Thränen über seine Wangen, 100 Von der Rechten schaut' er nach der Linken, Und Goluban rief er, seinen Diener: Ganz bedeckt sind sie mit trocknem Golde; Und sie faßt das Grauroß, daß er reitet, Schlingt die Arme um den Hals des Bruders, Und beginnet so zu ihm zu reden: „Lieber Bruder, Jugowitsche Wojno! 80 Dich geschenket hat der Zar der Schwester, Seinen Segen läßt er Dir entbieten, Wem Du willst, sollst Du die Rosse geben. Sollst bei mir hier bleiben in Kruschewatz, Daß zum Schwure mir ein Bruder bliebe.“ —85 Ihr entgegnete der Jugowitsche: „Gehe, Schwester, nach dem weißen Thurme, Doch zurücke kehrt kein wack'rer Krieger, Und verläßt des Zaren Rosse nimmer; Wußt' er auch, daß in der Schlacht er fiele! 90 Laß mich, Schwester, auf dem Amselfelde Für das heil'ge Kreuz mein Blut versprützen, Mit den Brüdern für den Glauben sterben!“ — Dieses sprechend sprengt' er aus dem Thore. Als Militza dieses sah, die Zarin, 95 Auf dem kalten Steine sank sie nieder, Sank sie nieder und in tiefe Ohnmacht. Sieh'! da kam der Zar Lasar geritten. Als der Frau Militza so erblickte, Rannen Thränen über seine Wangen, 100 Von der Rechten schaut' er nach der Linken, Und Goluban rief er, seinen Diener: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0322" n="256"/> <lg> <l>Ganz bedeckt sind sie mit trocknem Golde;</l><lb/> <l>Und sie faßt das Grauroß, daß er reitet,</l><lb/> <l>Schlingt die Arme um den Hals des Bruders,</l><lb/> <l>Und beginnet so zu ihm zu reden:</l><lb/> <l>„Lieber Bruder, Jugowitsche Wojno! <note place="right">80</note></l><lb/> <l>Dich geschenket hat der Zar der Schwester,</l><lb/> <l>Seinen Segen läßt er Dir entbieten,</l><lb/> <l>Wem Du willst, sollst Du die Rosse geben.</l><lb/> <l>Sollst bei mir hier bleiben in Kruschewatz,</l><lb/> <l>Daß zum Schwure mir ein Bruder bliebe.“ —<note place="right">85</note></l> </lg><lb/> <lg> <l>Ihr entgegnete der Jugowitsche:</l><lb/> <l>„Gehe, Schwester, nach dem weißen Thurme,</l><lb/> <l>Doch zurücke kehrt kein wack'rer Krieger,</l><lb/> <l>Und verläßt des Zaren Rosse nimmer;</l><lb/> <l>Wußt' er auch, daß in der Schlacht er fiele! <note place="right">90</note></l><lb/> <l>Laß mich, Schwester, auf dem Amselfelde</l><lb/> <l>Für das heil'ge Kreuz mein Blut versprützen,</l><lb/> <l>Mit den Brüdern für den Glauben sterben!“ —</l> </lg><lb/> <lg> <l>Dieses sprechend sprengt' er aus dem Thore.</l><lb/> <l>Als Militza dieses sah, die Zarin, <note place="right">95</note></l><lb/> <l>Auf dem kalten Steine sank sie nieder,</l><lb/> <l>Sank sie nieder und in tiefe Ohnmacht.</l><lb/> <l>Sieh'! da kam der Zar Lasar geritten.</l><lb/> <l>Als der Frau Militza so erblickte,</l><lb/> <l>Rannen Thränen über seine Wangen, <note place="right">100</note></l><lb/> <l>Von der Rechten schaut' er nach der Linken,</l><lb/> <l>Und Goluban rief er, seinen Diener:</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [256/0322]
Ganz bedeckt sind sie mit trocknem Golde;
Und sie faßt das Grauroß, daß er reitet,
Schlingt die Arme um den Hals des Bruders,
Und beginnet so zu ihm zu reden:
„Lieber Bruder, Jugowitsche Wojno!
Dich geschenket hat der Zar der Schwester,
Seinen Segen läßt er Dir entbieten,
Wem Du willst, sollst Du die Rosse geben.
Sollst bei mir hier bleiben in Kruschewatz,
Daß zum Schwure mir ein Bruder bliebe.“ —
Ihr entgegnete der Jugowitsche:
„Gehe, Schwester, nach dem weißen Thurme,
Doch zurücke kehrt kein wack'rer Krieger,
Und verläßt des Zaren Rosse nimmer;
Wußt' er auch, daß in der Schlacht er fiele!
Laß mich, Schwester, auf dem Amselfelde
Für das heil'ge Kreuz mein Blut versprützen,
Mit den Brüdern für den Glauben sterben!“ —
Dieses sprechend sprengt' er aus dem Thore.
Als Militza dieses sah, die Zarin,
Auf dem kalten Steine sank sie nieder,
Sank sie nieder und in tiefe Ohnmacht.
Sieh'! da kam der Zar Lasar geritten.
Als der Frau Militza so erblickte,
Rannen Thränen über seine Wangen,
Von der Rechten schaut' er nach der Linken,
Und Goluban rief er, seinen Diener:
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Zitationshilfe: | Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/322>, abgerufen am 16.02.2025. |