Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

Bild:
<< vorherige Seite
Ihm entgegnete jetzt die Bulgarin:
"O mein Pathe, Doge von Venedig! 215
Kommt dem Königsohne dieß zu Ohren,
Beide müssen wir des Todes sterben!" --
Und der Doge spricht zur schönen Jungfrau:
"Setz' Dich doch, und sprich nicht thöricht, Liebchen!
In der Gäste Mitte ist der Marko, 220
Wo das weiße Zelt dort aufgeschlagen,
Das geziert ist mit dem goldnen Apfel,
Und der Apfel mit zwei Edelsteinen.
Dorten sieh'st Du's auf des Feldes Mitte!
Aber setze Dich, daß ich Dich küsse!" --225
Ihm erwiederte das schöne Mädchen:
"Wart' ein wenig nur, mein liebster Pathe!
Laß mich aus dem weißen Zelte gehen,
Daß ich nach den Wolken seh' am Himmel,
Ob er heiter oder ob er trübe." 230
Als die Jungfrau aus dem Zelt' getreten,
Sah' sie das des Königsohnes Marko;
Wie ein junger Hirsch von einem Jahre,
Sprang sie, mitten durch die Hochzeitgäste,
Nach dem Zelt' des Königsohnes Marko. 235
Auf dem Lager lag hier Marko schlafend,
Ueber ihn gebeuget stand das Mädchen,
Thränen über ihre Wangen rinnend;
Da fuhr Marko plötzlich aus dem Schlafe,
Und die Worte sprach er zur Bulgarin: 240
"Schelmin!" rief er, "Du Bulgarenmädchen!
Ihm entgegnete jetzt die Bulgarin:
„O mein Pathe, Doge von Venedig! 215
Kommt dem Königsohne dieß zu Ohren,
Beide müssen wir des Todes sterben!“ —
Und der Doge spricht zur schönen Jungfrau:
„Setz' Dich doch, und sprich nicht thöricht, Liebchen!
In der Gäste Mitte ist der Marko, 220
Wo das weiße Zelt dort aufgeschlagen,
Das geziert ist mit dem goldnen Apfel,
Und der Apfel mit zwei Edelsteinen.
Dorten sieh'st Du's auf des Feldes Mitte!
Aber setze Dich, daß ich Dich küsse!“ —225
Ihm erwiederte das schöne Mädchen:
„Wart' ein wenig nur, mein liebster Pathe!
Laß mich aus dem weißen Zelte gehen,
Daß ich nach den Wolken seh' am Himmel,
Ob er heiter oder ob er trübe.“ 230
Als die Jungfrau aus dem Zelt' getreten,
Sah' sie das des Königsohnes Marko;
Wie ein junger Hirsch von einem Jahre,
Sprang sie, mitten durch die Hochzeitgäste,
Nach dem Zelt' des Königsohnes Marko. 235
Auf dem Lager lag hier Marko schlafend,
Ueber ihn gebeuget stand das Mädchen,
Thränen über ihre Wangen rinnend;
Da fuhr Marko plötzlich aus dem Schlafe,
Und die Worte sprach er zur Bulgarin: 240
„Schelmin!“ rief er, „Du Bulgarenmädchen!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0260" n="194"/>
            <lg>
              <l>Ihm entgegnete jetzt die Bulgarin:</l><lb/>
              <l>&#x201E;O mein Pathe, Doge von Venedig! <note place="right">215</note></l><lb/>
              <l>Kommt dem Königsohne dieß zu Ohren,</l><lb/>
              <l>Beide müssen wir des Todes sterben!&#x201C; &#x2014;</l><lb/>
              <l>Und der Doge spricht zur schönen Jungfrau:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Setz' Dich doch, und sprich nicht thöricht, Liebchen!</l><lb/>
              <l>In der Gäste Mitte ist der Marko, <note place="right">220</note></l><lb/>
              <l>Wo das weiße Zelt dort aufgeschlagen,</l><lb/>
              <l>Das geziert ist mit dem goldnen Apfel,</l><lb/>
              <l>Und der Apfel mit zwei Edelsteinen.</l><lb/>
              <l>Dorten sieh'st Du's auf des Feldes Mitte!</l><lb/>
              <l>Aber setze Dich, daß ich Dich küsse!&#x201C; &#x2014;<note place="right">225</note></l>
            </lg><lb/>
            <lg>
              <l>Ihm erwiederte das schöne Mädchen:</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wart' ein wenig nur, mein liebster Pathe!</l><lb/>
              <l>Laß mich aus dem weißen Zelte gehen,</l><lb/>
              <l>Daß ich nach den Wolken seh' am Himmel,</l><lb/>
              <l>Ob er heiter oder ob er trübe.&#x201C; <note place="right">230</note></l><lb/>
              <l>Als die Jungfrau aus dem Zelt' getreten,</l><lb/>
              <l>Sah' sie das des Königsohnes Marko;</l><lb/>
              <l>Wie ein junger Hirsch von einem Jahre,</l><lb/>
              <l>Sprang sie, mitten durch die Hochzeitgäste,</l><lb/>
              <l>Nach dem Zelt' des Königsohnes Marko. <note place="right">235</note></l><lb/>
              <l>Auf dem Lager lag hier Marko schlafend,</l><lb/>
              <l>Ueber ihn gebeuget stand das Mädchen,</l><lb/>
              <l>Thränen über ihre Wangen rinnend;</l><lb/>
              <l>Da fuhr Marko plötzlich aus dem Schlafe,</l><lb/>
              <l>Und die Worte sprach er zur Bulgarin: <note place="right">240</note></l><lb/>
              <l>&#x201E;Schelmin!&#x201C; rief er, &#x201E;Du Bulgarenmädchen!</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0260] Ihm entgegnete jetzt die Bulgarin: „O mein Pathe, Doge von Venedig! Kommt dem Königsohne dieß zu Ohren, Beide müssen wir des Todes sterben!“ — Und der Doge spricht zur schönen Jungfrau: „Setz' Dich doch, und sprich nicht thöricht, Liebchen! In der Gäste Mitte ist der Marko, Wo das weiße Zelt dort aufgeschlagen, Das geziert ist mit dem goldnen Apfel, Und der Apfel mit zwei Edelsteinen. Dorten sieh'st Du's auf des Feldes Mitte! Aber setze Dich, daß ich Dich küsse!“ — Ihm erwiederte das schöne Mädchen: „Wart' ein wenig nur, mein liebster Pathe! Laß mich aus dem weißen Zelte gehen, Daß ich nach den Wolken seh' am Himmel, Ob er heiter oder ob er trübe.“ Als die Jungfrau aus dem Zelt' getreten, Sah' sie das des Königsohnes Marko; Wie ein junger Hirsch von einem Jahre, Sprang sie, mitten durch die Hochzeitgäste, Nach dem Zelt' des Königsohnes Marko. Auf dem Lager lag hier Marko schlafend, Ueber ihn gebeuget stand das Mädchen, Thränen über ihre Wangen rinnend; Da fuhr Marko plötzlich aus dem Schlafe, Und die Worte sprach er zur Bulgarin: „Schelmin!“ rief er, „Du Bulgarenmädchen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Robert Charlier, AV GWB Berlin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-30T17:55:01Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/260
Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/260>, abgerufen am 24.11.2024.