Bis zum Gürtel also sie ummaurend. So umthürmt von Steinen und von Bäumen, Sieht die Arme, welch Geschick ihr werde; Schmerzlich zürnend schreit sie in Verzweiflung, 180 Und sie flehet zu den lieben Schwägern:
"Duldet Ihr's nicht, wenn Ihr Gott erkennet, Daß sie ein mich mauern, jung und blühend!" -- Aber unerhöret blieb ihr Flehen, Wendeten sich von ihr fort die Schwäger. 185 Drauf bezwingend Schaam und Furcht vor Tadel, Sprach sie flehend so zu ihrem Herren:
"Gieb's nicht zu, mein guter Herr und Gatte, Daß, so jung, sie grausam mich einmauern! Laß uns gehn zu meiner alten Mutter! 190 Hat genug des Geldes ja die Mutter, Kauft Dir einen Sclaven oder Sclavin, Sie im Fundamente einzumauern!"
Aber unerhöret blieb ihr Flehen. Als dieß sah die schlanke Neuvermählte, 195 Daß ihr Keiner half auf ihre Bitten, Flehte Rad sie an, des Baues Meister:
"Du, in Gott mein Bruder, lieber Meister! 14) Laß ein Fensterlein an meiner Brust mir,
Bis zum Gürtel also sie ummaurend. So umthürmt von Steinen und von Bäumen, Sieht die Arme, welch Geschick ihr werde; Schmerzlich zürnend schreit sie in Verzweiflung, 180 Und sie flehet zu den lieben Schwägern:
„Duldet Ihr's nicht, wenn Ihr Gott erkennet, Daß sie ein mich mauern, jung und blühend!“ — Aber unerhöret blieb ihr Flehen, Wendeten sich von ihr fort die Schwäger. 185 Drauf bezwingend Schaam und Furcht vor Tadel, Sprach sie flehend so zu ihrem Herren:
„Gieb's nicht zu, mein guter Herr und Gatte, Daß, so jung, sie grausam mich einmauern! Laß uns gehn zu meiner alten Mutter! 190 Hat genug des Geldes ja die Mutter, Kauft Dir einen Sclaven oder Sclavin, Sie im Fundamente einzumauern!“
Aber unerhöret blieb ihr Flehen. Als dieß sah die schlanke Neuvermählte, 195 Daß ihr Keiner half auf ihre Bitten, Flehte Rad sie an, des Baues Meister:
„Du, in Gott mein Bruder, lieber Meister! 14) Laß ein Fensterlein an meiner Brust mir,
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Bis zum Gürtel also sie ummaurend.
So umthürmt von Steinen und von Bäumen,
Sieht die Arme, welch Geschick ihr werde;
Schmerzlich zürnend schreit sie in Verzweiflung,
Und sie flehet zu den lieben Schwägern:
„Duldet Ihr's nicht, wenn Ihr Gott erkennet,
Daß sie ein mich mauern, jung und blühend!“ —
Aber unerhöret blieb ihr Flehen,
Wendeten sich von ihr fort die Schwäger.
Drauf bezwingend Schaam und Furcht vor Tadel,
Sprach sie flehend so zu ihrem Herren:
„Gieb's nicht zu, mein guter Herr und Gatte,
Daß, so jung, sie grausam mich einmauern!
Laß uns gehn zu meiner alten Mutter!
Hat genug des Geldes ja die Mutter,
Kauft Dir einen Sclaven oder Sclavin,
Sie im Fundamente einzumauern!“
Aber unerhöret blieb ihr Flehen.
Als dieß sah die schlanke Neuvermählte,
Daß ihr Keiner half auf ihre Bitten,
Flehte Rad sie an, des Baues Meister:
„Du, in Gott mein Bruder, lieber Meister!
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Laß ein Fensterlein an meiner Brust mir,
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Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/190>, abgerufen am 16.02.2025.
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