Talvj, Volkslieder der Serben, 1825Dienend, schweigend der Entscheidung harrend, Steht vor ihm das unglücksel'ge Mädchen. Und er schreibt und schickt dieß Blatt dem Dogen: "O mein Schwäher! Doge von Venedig! Rufe alle Deine Macht zusammen, 1160 Alle Krieger des Lateinerlandes, Und verheere unser weißes Shabljack! Nimm zurücke Deine liebe Tochter, Ungeküßt zurück und unumarmet! Ausbaus ewig ist's mit meiner Herrschaft, 1165 Aus mit meinem Reich' und Fürstenthume! Fliehen will ich durch die weite Erde, Flieh'n nach Stambul zu dem Türken-Sultan, Flieh'n zu ihm und auch ein Türke werden!" -- Und durchs ganze Land erscholl die Kunde, 1170 Daß es die Obrenowitschen hörten; Auch Obrenowitsch Johannes hört' es, Des Woiwoden Milosch lieber Bruder. Und er sinnt, bis er das Ein' ersonnen: Ungesäumt sein gutes Roß ergreifend, 1175 Sattelt er's, so schön er immer konnte, Gürtet es, so fest er immer konnte, Dann warf er dem Roß sich auf den Rücken, Segnet sich und scheidet von den Brüdern, Zu den Stammverwandten also sprechend: 1180 "Ich auch will nach Stambul gehen, Brüder! Euch zu schützen, und die Enkel alle, Die in unsrem Land erwachsen werden; Dienend, schweigend der Entscheidung harrend, Steht vor ihm das unglücksel'ge Mädchen. Und er schreibt und schickt dieß Blatt dem Dogen: „O mein Schwäher! Doge von Venedig! Rufe alle Deine Macht zusammen, 1160 Alle Krieger des Lateinerlandes, Und verheere unser weißes Shabljack! Nimm zurücke Deine liebe Tochter, Ungeküßt zurück und unumarmet! Ausbaus ewig ist's mit meiner Herrschaft, 1165 Aus mit meinem Reich' und Fürstenthume! Fliehen will ich durch die weite Erde, Flieh'n nach Stambul zu dem Türken-Sultan, Flieh'n zu ihm und auch ein Türke werden!“ — Und durchs ganze Land erscholl die Kunde, 1170 Daß es die Obrenowitschen hörten; Auch Obrenowitsch Johannes hört' es, Des Woiwoden Milosch lieber Bruder. Und er sinnt, bis er das Ein' ersonnen: Ungesäumt sein gutes Roß ergreifend, 1175 Sattelt er's, so schön er immer konnte, Gürtet es, so fest er immer konnte, Dann warf er dem Roß sich auf den Rücken, Segnet sich und scheidet von den Brüdern, Zu den Stammverwandten also sprechend: 1180 „Ich auch will nach Stambul gehen, Brüder! Euch zu schützen, und die Enkel alle, Die in unsrem Land erwachsen werden; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg> <pb facs="#f0180" n="114"/> <lg> <l>Dienend, schweigend der Entscheidung harrend,</l><lb/> <l>Steht vor ihm das unglücksel'ge Mädchen.</l><lb/> <l>Und er schreibt und schickt dieß Blatt dem Dogen:</l><lb/> <l>„O mein Schwäher! Doge von Venedig!</l><lb/> <l>Rufe alle Deine Macht zusammen, <note place="right">1160</note></l><lb/> <l>Alle Krieger des Lateinerlandes,</l><lb/> <l>Und verheere unser weißes Shabljack!</l><lb/> <l>Nimm zurücke Deine liebe Tochter,</l><lb/> <l>Ungeküßt zurück und unumarmet!</l><lb/> <l>Ausbaus ewig ist's mit meiner Herrschaft, <note place="right">1165</note></l><lb/> <l>Aus mit meinem Reich' und Fürstenthume!</l><lb/> <l>Fliehen will ich durch die weite Erde,</l><lb/> <l>Flieh'n nach Stambul zu dem Türken-Sultan,</l><lb/> <l>Flieh'n zu ihm und auch ein Türke werden!“ —</l> </lg><lb/> <lg> <l>Und durchs ganze Land erscholl die Kunde, <note place="right">1170</note></l><lb/> <l>Daß es die Obrenowitschen hörten;</l><lb/> <l>Auch Obrenowitsch Johannes hört' es,</l><lb/> <l>Des Woiwoden Milosch lieber Bruder.</l><lb/> <l>Und er sinnt, bis er das Ein' ersonnen:</l><lb/> <l>Ungesäumt sein gutes Roß ergreifend, <note place="right">1175</note></l><lb/> <l>Sattelt er's, so schön er immer konnte,</l><lb/> <l>Gürtet es, so fest er immer konnte,</l><lb/> <l>Dann warf er dem Roß sich auf den Rücken,</l><lb/> <l>Segnet sich und scheidet von den Brüdern,</l><lb/> <l>Zu den Stammverwandten also sprechend: <note place="right">1180</note></l><lb/> <l>„Ich auch will nach Stambul gehen, Brüder!</l><lb/> <l>Euch zu schützen, und die Enkel alle,</l><lb/> <l>Die in unsrem Land erwachsen werden;</l> </lg><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [114/0180]
Dienend, schweigend der Entscheidung harrend,
Steht vor ihm das unglücksel'ge Mädchen.
Und er schreibt und schickt dieß Blatt dem Dogen:
„O mein Schwäher! Doge von Venedig!
Rufe alle Deine Macht zusammen,
Alle Krieger des Lateinerlandes,
Und verheere unser weißes Shabljack!
Nimm zurücke Deine liebe Tochter,
Ungeküßt zurück und unumarmet!
Ausbaus ewig ist's mit meiner Herrschaft,
Aus mit meinem Reich' und Fürstenthume!
Fliehen will ich durch die weite Erde,
Flieh'n nach Stambul zu dem Türken-Sultan,
Flieh'n zu ihm und auch ein Türke werden!“ —
Und durchs ganze Land erscholl die Kunde,
Daß es die Obrenowitschen hörten;
Auch Obrenowitsch Johannes hört' es,
Des Woiwoden Milosch lieber Bruder.
Und er sinnt, bis er das Ein' ersonnen:
Ungesäumt sein gutes Roß ergreifend,
Sattelt er's, so schön er immer konnte,
Gürtet es, so fest er immer konnte,
Dann warf er dem Roß sich auf den Rücken,
Segnet sich und scheidet von den Brüdern,
Zu den Stammverwandten also sprechend:
„Ich auch will nach Stambul gehen, Brüder!
Euch zu schützen, und die Enkel alle,
Die in unsrem Land erwachsen werden;
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