Endlich muß ich hier noch des Mädchenturnens er- wähnen, welches zu Burgdorf in der Schweiz am groß- artigsten, zu Pretzsch bei Wittenberg, zu Berlin und an andern Orten getrieben, und dem von Seiten der Gesundheitspflege mit Recht das Wort geredet wird. Delpech hat es zuerst als Gegenmittel gegen das Schief- werden in Anwendung gebracht und dabei gleichzeitig den heilsamen Einfluß auf Beseitigung von Bleichsucht und Scrofeln beobachtet. Da das Weib aber nicht zum Kampfe mit dem äußern Leben, sondern für das Haus bestimmt ist, so bedarf es der Körperkraft und Gewandt- heit auch nicht in dem Maße als der Mann. Es würde durch große Ausbildung derselben nur entweiblicht wer- den. Daher bin ich kein unbedingter Lobredner des Mädchenturnens, sondern halte es nur so lange für nothwendig, als das Mädchen noch Kind, die körperliche Form noch der des Knaben gleich ist. Sobald das Dir- nenalter beginnt, bei uns also im 12., 14., 15. Jahre, tritt das Weibliche im Mädchen hervor, dem sich dann alle Pflege zuwenden muß. Geschieht dies nicht, so gehen aus der Mißerziehung Zwitterwesen hervor, die für das Weib zu viel Männliches und für den Mann zu viel Weibliches haben. Daher bin ich ganz der An- sicht des Dr. Toggenburg -- Toggenburg über die Sorge der öffentlichen Erziehung für körperliche Ent- wickelung und Ausbildung der Jugend. Winterthur 1834. -- und des Beurtheilers in den neuen Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik von Seebode, Jahn und Klotz -- Neunter Jahrgang. 25. Bd. 1. Heft. -- daß man mit der Auswahl der Uebungen sehr behutsam sein müsse, wenn man nicht auf der einen Seite zu sehr die Kraft, auf der andern die Eitelkeit und Ziererei befördern und alles weibliche Scham- und Zartgefühl untergraben wolle. Unter den gegenwärtigen Turnübungen dürften deshalb nur die Gelenk-, Stab-, einige Spring-, Seil-, Rundlauf-, Barren-, Reck-, Leiter-, Kletter-, die Schwebe-, Geh-, Lauf-, Hantelübungen, die Tauwippe, Schaukelwippe für
Endlich muß ich hier noch des Mädchenturnens er- wähnen, welches zu Burgdorf in der Schweiz am groß- artigſten, zu Pretzſch bei Wittenberg, zu Berlin und an andern Orten getrieben, und dem von Seiten der Geſundheitspflege mit Recht das Wort geredet wird. Delpech hat es zuerſt als Gegenmittel gegen das Schief- werden in Anwendung gebracht und dabei gleichzeitig den heilſamen Einfluß auf Beſeitigung von Bleichſucht und Scrofeln beobachtet. Da das Weib aber nicht zum Kampfe mit dem äußern Leben, ſondern für das Haus beſtimmt iſt, ſo bedarf es der Körperkraft und Gewandt- heit auch nicht in dem Maße als der Mann. Es würde durch große Ausbildung derſelben nur entweiblicht wer- den. Daher bin ich kein unbedingter Lobredner des Mädchenturnens, ſondern halte es nur ſo lange für nothwendig, als das Mädchen noch Kind, die körperliche Form noch der des Knaben gleich iſt. Sobald das Dir- nenalter beginnt, bei uns alſo im 12., 14., 15. Jahre, tritt das Weibliche im Mädchen hervor, dem ſich dann alle Pflege zuwenden muß. Geſchieht dies nicht, ſo gehen aus der Mißerziehung Zwitterweſen hervor, die für das Weib zu viel Männliches und für den Mann zu viel Weibliches haben. Daher bin ich ganz der An- ſicht des Dr. Toggenburg — Toggenburg über die Sorge der öffentlichen Erziehung für körperliche Ent- wickelung und Ausbildung der Jugend. Winterthur 1834. — und des Beurtheilers in den neuen Jahrbüchern für Philologie und Pädagogik von Seebode, Jahn und Klotz — Neunter Jahrgang. 25. Bd. 1. Heft. — daß man mit der Auswahl der Uebungen ſehr behutſam ſein müſſe, wenn man nicht auf der einen Seite zu ſehr die Kraft, auf der andern die Eitelkeit und Ziererei befördern und alles weibliche Scham- und Zartgefühl untergraben wolle. Unter den gegenwärtigen Turnübungen dürften deshalb nur die Gelenk-, Stab-, einige Spring-, Seil-, Rundlauf-, Barren-, Reck-, Leiter-, Kletter-, die Schwebe-, Geh-, Lauf-, Hantelübungen, die Tauwippe, Schaukelwippe für
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Endlich muß ich hier noch des Mädchenturnens er-
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an andern Orten getrieben, und dem von Seiten der
Geſundheitspflege mit Recht das Wort geredet wird.
Delpech hat es zuerſt als Gegenmittel gegen das Schief-
werden in Anwendung gebracht und dabei gleichzeitig den
heilſamen Einfluß auf Beſeitigung von Bleichſucht und
Scrofeln beobachtet. Da das Weib aber nicht zum
Kampfe mit dem äußern Leben, ſondern für das Haus
beſtimmt iſt, ſo bedarf es der Körperkraft und Gewandt-
heit auch nicht in dem Maße als der Mann. Es würde
durch große Ausbildung derſelben nur entweiblicht wer-
den. Daher bin ich kein unbedingter Lobredner des
Mädchenturnens, ſondern halte es nur ſo lange für
nothwendig, als das Mädchen noch Kind, die körperliche
Form noch der des Knaben gleich iſt. Sobald das Dir-
nenalter beginnt, bei uns alſo im 12., 14., 15. Jahre,
tritt das Weibliche im Mädchen hervor, dem ſich dann
alle Pflege zuwenden muß. Geſchieht dies nicht, ſo
gehen aus der Mißerziehung Zwitterweſen hervor, die
für das Weib zu viel Männliches und für den Mann
zu viel Weibliches haben. Daher bin ich ganz der An-
ſicht des Dr. Toggenburg — Toggenburg über die
Sorge der öffentlichen Erziehung für körperliche Ent-
wickelung und Ausbildung der Jugend. Winterthur 1834.
— und des Beurtheilers in den neuen Jahrbüchern für
Philologie und Pädagogik von Seebode, Jahn und Klotz
— Neunter Jahrgang. 25. Bd. 1. Heft. — daß man
mit der Auswahl der Uebungen ſehr behutſam ſein müſſe,
wenn man nicht auf der einen Seite zu ſehr die Kraft,
auf der andern die Eitelkeit und Ziererei befördern und
alles weibliche Scham- und Zartgefühl untergraben wolle.
Unter den gegenwärtigen Turnübungen dürften deshalb
nur die Gelenk-, Stab-, einige Spring-, Seil-, Rundlauf-,
Barren-, Reck-, Leiter-, Kletter-, die Schwebe-, Geh-,
Lauf-, Hantelübungen, die Tauwippe, Schaukelwippe für
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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst02_1844/18>, abgerufen am 16.02.2025.
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