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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844.

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übungen das wirksamste Gegenmittel gegen das Schief-
werden der Kinder ist. Allen jenen einzelnen Uebungen
geht aber mehr oder minder die zweckmäßige Stufenfolge
der Turnübungen ab, welche nicht nur alle Gefahr be-
seitigt, sondern auch die Körpererziehung in Ordnung
bringt.

Viele haben vom Turnen die einseitige und plumpe
Ansicht, es solle nur die Körperkraft wecken und stärken.
Namentlich neigen unter der Jugend viele Breitspurer,
dazu, die auf den Hochschulen sich dann auspauken, um
später ganz gemächlich zu ruhen. Jndeß schon ein flüch-
tiger Blick auf die Rundlauf-, Schwing-, Fecht-, Ring-,
Stabspringübungen u. s. w. lehrt, daß hier Gewandtheit
und Anstand mehr als Körperkraft gefordert wird. Man
hat bis jetzt diesen Körperanstand durch Tanzen oder
durch Schaustellungen u. s. w. erzielen wollen. Allein,
abgesehen davon, daß bei dem ersten nur die Füße, bei
den andern die Ziererei in Anspruch genommen werden,
erreicht man seinen Zweck auch nie, weil das Tanzen
der höchstens 3 Monate währenden Tanzstunden ein
ganz anderes als das der Ballnächte ist. Das Turnen
führt zur Körperschönheit, Kraft und Gewandtheit, denn
es zerfällt nicht in ein Schul- oder Duellturnen.

Aus diesem Grunde halte ich das Turnen auch
nicht nur für die Gelehrtenschulen, sondern selbst für
Landschulen und Handwerker nothwendig. Die Beschäf-
tigungen der letztern sind entweder wie die der Landleute
mit roher Kraftentwickelung verknüpft, oder sie führen
ein Sitzleben mit sich, was alle Gebrechen des Gelehr-
tenstandes in sich trägt, Onanie, Hypochondrie, Unter-
leibskrankheiten u. dergl. Diesem arbeitete Jahn bereits
durch die in Berlin früher üblichen Sonntagsstunden für
Handwerker entgegen. Neuerdings hat Olawsky -- die
Wiedereinführung der Leibesübungen in die Gymnasien,
betrachtet vom Professor E. C. Olawsky -- Programm
Lissa 1838 -- diesen Gedanken wieder in Anregung
gebracht. Man könnte sonach das Turnen für eine bloße

übungen das wirkſamſte Gegenmittel gegen das Schief-
werden der Kinder iſt. Allen jenen einzelnen Uebungen
geht aber mehr oder minder die zweckmäßige Stufenfolge
der Turnübungen ab, welche nicht nur alle Gefahr be-
ſeitigt, ſondern auch die Körpererziehung in Ordnung
bringt.

Viele haben vom Turnen die einſeitige und plumpe
Anſicht, es ſolle nur die Körperkraft wecken und ſtärken.
Namentlich neigen unter der Jugend viele Breitſpurer,
dazu, die auf den Hochſchulen ſich dann auspauken, um
ſpäter ganz gemächlich zu ruhen. Jndeß ſchon ein flüch-
tiger Blick auf die Rundlauf-, Schwing-, Fecht-, Ring-,
Stabſpringübungen u. ſ. w. lehrt, daß hier Gewandtheit
und Anſtand mehr als Körperkraft gefordert wird. Man
hat bis jetzt dieſen Körperanſtand durch Tanzen oder
durch Schauſtellungen u. ſ. w. erzielen wollen. Allein,
abgeſehen davon, daß bei dem erſten nur die Füße, bei
den andern die Ziererei in Anſpruch genommen werden,
erreicht man ſeinen Zweck auch nie, weil das Tanzen
der höchſtens 3 Monate währenden Tanzſtunden ein
ganz anderes als das der Ballnächte iſt. Das Turnen
führt zur Körperſchönheit, Kraft und Gewandtheit, denn
es zerfällt nicht in ein Schul- oder Duellturnen.

Aus dieſem Grunde halte ich das Turnen auch
nicht nur für die Gelehrtenſchulen, ſondern ſelbſt für
Landſchulen und Handwerker nothwendig. Die Beſchäf-
tigungen der letztern ſind entweder wie die der Landleute
mit roher Kraftentwickelung verknüpft, oder ſie führen
ein Sitzleben mit ſich, was alle Gebrechen des Gelehr-
tenſtandes in ſich trägt, Onanie, Hypochondrie, Unter-
leibskrankheiten u. dergl. Dieſem arbeitete Jahn bereits
durch die in Berlin früher üblichen Sonntagsſtunden für
Handwerker entgegen. Neuerdings hat Olawsky — die
Wiedereinführung der Leibesübungen in die Gymnaſien,
betrachtet vom Profeſſor E. C. Olawsky — Programm
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[11/0015] übungen das wirkſamſte Gegenmittel gegen das Schief- werden der Kinder iſt. Allen jenen einzelnen Uebungen geht aber mehr oder minder die zweckmäßige Stufenfolge der Turnübungen ab, welche nicht nur alle Gefahr be- ſeitigt, ſondern auch die Körpererziehung in Ordnung bringt. Viele haben vom Turnen die einſeitige und plumpe Anſicht, es ſolle nur die Körperkraft wecken und ſtärken. Namentlich neigen unter der Jugend viele Breitſpurer, dazu, die auf den Hochſchulen ſich dann auspauken, um ſpäter ganz gemächlich zu ruhen. Jndeß ſchon ein flüch- tiger Blick auf die Rundlauf-, Schwing-, Fecht-, Ring-, Stabſpringübungen u. ſ. w. lehrt, daß hier Gewandtheit und Anſtand mehr als Körperkraft gefordert wird. Man hat bis jetzt dieſen Körperanſtand durch Tanzen oder durch Schauſtellungen u. ſ. w. erzielen wollen. Allein, abgeſehen davon, daß bei dem erſten nur die Füße, bei den andern die Ziererei in Anſpruch genommen werden, erreicht man ſeinen Zweck auch nie, weil das Tanzen der höchſtens 3 Monate währenden Tanzſtunden ein ganz anderes als das der Ballnächte iſt. Das Turnen führt zur Körperſchönheit, Kraft und Gewandtheit, denn es zerfällt nicht in ein Schul- oder Duellturnen. Aus dieſem Grunde halte ich das Turnen auch nicht nur für die Gelehrtenſchulen, ſondern ſelbſt für Landſchulen und Handwerker nothwendig. Die Beſchäf- tigungen der letztern ſind entweder wie die der Landleute mit roher Kraftentwickelung verknüpft, oder ſie führen ein Sitzleben mit ſich, was alle Gebrechen des Gelehr- tenſtandes in ſich trägt, Onanie, Hypochondrie, Unter- leibskrankheiten u. dergl. Dieſem arbeitete Jahn bereits durch die in Berlin früher üblichen Sonntagsſtunden für Handwerker entgegen. Neuerdings hat Olawsky — die Wiedereinführung der Leibesübungen in die Gymnaſien, betrachtet vom Profeſſor E. C. Olawsky — Programm Liſſa 1838 — dieſen Gedanken wieder in Anregung gebracht. Man könnte ſonach das Turnen für eine bloße

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst02_1844/15>, abgerufen am 24.11.2024.