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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843.

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"Nur ein Heil giebt es für beide: strengt den
Geist nicht an ohne den Körper, den Körper nicht ohne
den Geist, damit beide, gleich kräftig und im Gleichge-
wicht stehend, gesund bleiben." (Platon) Was wir
demnach zur Übung und Bildung des Körpers und
Geistes thun mögen, muß in dem Bewußtsein geschehen,
daß es ein Mensch ist, nicht eine Seele, nicht ein
Körper; gleichwie Christus sagt: "die Mutter denkt nicht
mehr an die Angst, um der Freude willen, daß der
Mensch zur Welt geboren ist."

Gehen wir näher ein. Der Mensch, d. h. Geist
und Körper, follen zwar, wie Platon will, gleicherweise
ausgebildet werden, so daß beide im Gleichgewicht blei-
ben, -- und dennoch soll der Geist herrschen über den
Körper als das belebende göttliche Princip in demselben,
der Körper soll des Geistes Diener sein. Der vollkom-
mene Diener aber ist der, welcher mit dem Herrn, nicht
mit dem Gefühl des unterdrückten, sondern des freien
Willens, eins ist und sich fühlt, und in dessen Geist
die Befehle vollführt. Dieses wird er aber nicht durch
bloße Übungen, die den Körper oder bloße Theile des
Körpers für sich allein angehen, noch durch Abrichten, wo
alle Aufmerksamkeit auf die möglichste Ausbildung des Kör-
pers in gewisser Hinsicht gerichtet und der Geist ver-
nachlässigt wird, noch auch durch Vernachläßigung des
Körpers, durch Entleibung des Menschen. Jn jedem
dieser Fälle löst sich mehr oder minder die Einheit im
Menschen in eine feindselige Zweiheit auf, und es of-
fenbart sich uns der gefallene Mensch. Nur da, wo
die Bildung des Körpers mit der des Geistes gleichen
Schritt gehalten, wo "beide im Gleichgewicht stehen,"
wo also der Mensch als Mensch d. h. in seiner Einheit
erscheint, nur da ist der wahre Mensch zu finden. Die
Einheit des Geistes und Körpers ist ja von Gott nicht
als eine augenblickliche oder nur zufällige gesetzt, sie ist
uns ein für alle Mal wesentlich; freilich in unserm jet-
zigen, von Leidenschaft und Jrrthum getrübten mensch-
heitlichen Zustande eine ideale, immer aber doch durch

*

„Nur ein Heil giebt es für beide: ſtrengt den
Geiſt nicht an ohne den Körper, den Körper nicht ohne
den Geiſt, damit beide, gleich kräftig und im Gleichge-
wicht ſtehend, geſund bleiben.“ (Platon) Was wir
demnach zur Übung und Bildung des Körpers und
Geiſtes thun mögen, muß in dem Bewußtſein geſchehen,
daß es ein Menſch iſt, nicht eine Seele, nicht ein
Körper; gleichwie Chriſtus ſagt: „die Mutter denkt nicht
mehr an die Angſt, um der Freude willen, daß der
Menſch zur Welt geboren iſt.“

Gehen wir näher ein. Der Menſch, d. h. Geiſt
und Körper, follen zwar, wie Platon will, gleicherweiſe
ausgebildet werden, ſo daß beide im Gleichgewicht blei-
ben, — und dennoch ſoll der Geiſt herrſchen über den
Körper als das belebende göttliche Princip in demſelben,
der Körper ſoll des Geiſtes Diener ſein. Der vollkom-
mene Diener aber iſt der, welcher mit dem Herrn, nicht
mit dem Gefühl des unterdrückten, ſondern des freien
Willens, eins iſt und ſich fühlt, und in deſſen Geiſt
die Befehle vollführt. Dieſes wird er aber nicht durch
bloße Übungen, die den Körper oder bloße Theile des
Körpers für ſich allein angehen, noch durch Abrichten, wo
alle Aufmerkſamkeit auf die möglichſte Ausbildung des Kör-
pers in gewiſſer Hinſicht gerichtet und der Geiſt ver-
nachläſſigt wird, noch auch durch Vernachläßigung des
Körpers, durch Entleibung des Menſchen. Jn jedem
dieſer Fälle löſt ſich mehr oder minder die Einheit im
Menſchen in eine feindſelige Zweiheit auf, und es of-
fenbart ſich uns der gefallene Menſch. Nur da, wo
die Bildung des Körpers mit der des Geiſtes gleichen
Schritt gehalten, wo „beide im Gleichgewicht ſtehen,“
wo alſo der Menſch als Menſch d. h. in ſeiner Einheit
erſcheint, nur da iſt der wahre Menſch zu finden. Die
Einheit des Geiſtes und Körpers iſt ja von Gott nicht
als eine augenblickliche oder nur zufällige geſetzt, ſie iſt
uns ein für alle Mal weſentlich; freilich in unſerm jet-
zigen, von Leidenſchaft und Jrrthum getrübten menſch-
heitlichen Zuſtande eine ideale, immer aber doch durch

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[5/0009] „Nur ein Heil giebt es für beide: ſtrengt den Geiſt nicht an ohne den Körper, den Körper nicht ohne den Geiſt, damit beide, gleich kräftig und im Gleichge- wicht ſtehend, geſund bleiben.“ (Platon) Was wir demnach zur Übung und Bildung des Körpers und Geiſtes thun mögen, muß in dem Bewußtſein geſchehen, daß es ein Menſch iſt, nicht eine Seele, nicht ein Körper; gleichwie Chriſtus ſagt: „die Mutter denkt nicht mehr an die Angſt, um der Freude willen, daß der Menſch zur Welt geboren iſt.“ Gehen wir näher ein. Der Menſch, d. h. Geiſt und Körper, follen zwar, wie Platon will, gleicherweiſe ausgebildet werden, ſo daß beide im Gleichgewicht blei- ben, — und dennoch ſoll der Geiſt herrſchen über den Körper als das belebende göttliche Princip in demſelben, der Körper ſoll des Geiſtes Diener ſein. Der vollkom- mene Diener aber iſt der, welcher mit dem Herrn, nicht mit dem Gefühl des unterdrückten, ſondern des freien Willens, eins iſt und ſich fühlt, und in deſſen Geiſt die Befehle vollführt. Dieſes wird er aber nicht durch bloße Übungen, die den Körper oder bloße Theile des Körpers für ſich allein angehen, noch durch Abrichten, wo alle Aufmerkſamkeit auf die möglichſte Ausbildung des Kör- pers in gewiſſer Hinſicht gerichtet und der Geiſt ver- nachläſſigt wird, noch auch durch Vernachläßigung des Körpers, durch Entleibung des Menſchen. Jn jedem dieſer Fälle löſt ſich mehr oder minder die Einheit im Menſchen in eine feindſelige Zweiheit auf, und es of- fenbart ſich uns der gefallene Menſch. Nur da, wo die Bildung des Körpers mit der des Geiſtes gleichen Schritt gehalten, wo „beide im Gleichgewicht ſtehen,“ wo alſo der Menſch als Menſch d. h. in ſeiner Einheit erſcheint, nur da iſt der wahre Menſch zu finden. Die Einheit des Geiſtes und Körpers iſt ja von Gott nicht als eine augenblickliche oder nur zufällige geſetzt, ſie iſt uns ein für alle Mal weſentlich; freilich in unſerm jet- zigen, von Leidenſchaft und Jrrthum getrübten menſch- heitlichen Zuſtande eine ideale, immer aber doch durch *

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 1. Danzig, 1843, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst01_1843/9>, abgerufen am 21.11.2024.