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Sonntags-Blatt. Nr. 44. Berlin, 1. November 1868.

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Am ersten Sarge.
Von
Wilhelm Jensen.
[Beginn Spaltensatz] Es war in schwüler Julizeit; die Gassen
Jm Städtchen draußen lagen stumm verlassen,
Und schläfrig klang vom Thurm das Glockenspiel
Jn's Schulgemach, wo schmal, wie gold'ner Duft,
Ein Sonnenstreif an's Wandgetäfel fiel.
Die Fliegen summten müde durch die Luft,
Und müde lag es auf den Knabenlidern,
Die auf des alten Römers Weisheit tief
Herniedernickten; nur ein Flüstern lief
Verstohlen rund, ein Blick, ein kurz Erwidern,
Und Alles still, und selbst der Lehrer schlief.
Die Blicke Aller aber streiften scheu
Den Platz zur Rechten mir, der leer heut war.
Dort saß mein Nachbar sonst; wir hielten treu
Zusammen stets in Noth und in Gefahr,
Wie Kinderspiel und Ernst es mit sich bringen.
Wir hatten's nie gesagt und kaum gedacht,
Daß unsre Herzen aneinander hingen,
Daß unsre Augen nacheinander gingen,
Und wer's gesagt -- wir hätten drob gelacht.
Und langsam von der Wand herniedersank
Der Sonnenstreifen auf die leere Bank;
Es war der Zeiger der erharrten Stunde.
Wir ließen Cäsar mitten in der Schlacht,
Der Lehrer schloß, fast eh' wir's noch gedacht,
Das Buch und blickte flüchtig in die Runde
Und sagte: "Heinrich Wolf ist heute Nacht
Gestorben; wer ihn etwa sehn noch will,
Der muß es heut, die Eltern lassen's sagen."
Er ging, sonst drängte wohl in wildem Jagen
Jedweder nach der Thür, heut blieb es still;
Der Klang der letzten Worte nur lief schrill
Noch an der Wand entlang, und wie im Traum
Verklangen leise auf dem Flur die Schritte.
Jch selbst gedankenlos in ihrer Mitte --
Todt war er -- todt -- was war's? Sie wußten's kaum,
Doch lag es seltsam auf den Kinderwangen,
Wie Neugier halb und halb wie heimlich Bangen.
Nur mir war's so, als ob der warme Strahl
Des Sonnenlichts mit kühlem Flor verhangen,
Und drinnen fühlt' ich's, daß zum ersten Mal
[Spaltenumbruch] Ein Schauer durch die warme Welt gegangen. --
Am Rand der stillen Gasse lag das Haus;
Ein Garten dran, und in ein dicht Gewirr
Von Blumen sah sein Fenster stumm hinaus.
Ringsum ein sonnenwogendes Geschwirr;
Sie standen lautlos an des Sarges Rand --
Nur weißer war, als sonst, sein Angesicht,
Nur seine blauen Augen lachten nicht --
Und nacheinander seine kalte Hand
Erfaßten sie und legten hastig wieder
Sie auf des Bettes weiße Linnen nieder.
Es war der Tod, der Keinen wiedergiebt --
Sie sahn's und schauten doch ungläubig d'rauf.
Nur mir schrie plötzlich es im Herzen auf:
Als hätt' ich nichts sonst auf der Welt geliebt,
An diesen stummen Lippen nur gehangen,
Als müßten sie nach mir zurückverlangen,
Als müßte dieses Herz, eh' es gebrochen,
Nur einmal sprechen, was es nie gesprochen,
Nur einmal hören, was es nie vernommen,
Was über meine Lippe nie gekommen.
Und wie die todten Augen auf mich sahn,
Da mit der Jugend wundersamen Wahn
Ergriff es mich: als wär' allein von Allen
Dem Tod ich mächtig in den Arm zu fallen;
Als müßte eines Menschenherzens Sehnen
Allmächtiger sein als Tod und Grabeshallen --
Und mit der Liebe glaubensstarkem Wähnen
Bog ich mich auf das kalte Angesicht
Und schloß die Lippen auf den starren Mund -- --
Umsonst -- die blauen Augen sahn mich nicht,
Und keine Antwort gab die Lippe kund --
Und wie in jener sagenhaften Stunde,
Da Gott verschied am Kreuz zu Golgatha,
Fühlt' schaudernd ich in ihrem festen Grunde
Die Erd' um mich erbeben, und ich fah
Die Sonne stürzen, Nacht umzog die Welt --
Ein Riß zerspaltete des Himmels Zelt
Auflodernd schlugen um mein Haupt die Flammen --
Und an dem Todtenbett brach ich zusammen.
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Spanien in den letzten fünfzig Jahren.
Von
J. R.
III.
Die Parteien und ihre Häupter.

Die gegenwärtige Bewegung in Spanien ist das Werk der drei
großen liberalen Parteien, die man als liberale Union, Progressisten
und Demokraten zu bezeichnen pflegt. Jhnen gegenüber stehen als
Vertreter der konservativ=klerikalen Jnteressen die Moderados und
Neokatolicos, deren Häupter zum großen Theil eben jetzt aus Spa-
nien haben flüchten müssen, während die Parteigenossen im Lande der
siegreichen Revolution total erlegen sind und bis jetzt noch keine Ge-
legenheit gefunden haben, mit einem irgendwie formulirten Programm
wieder hervorzutreten. Welches sind die Ziele dieser verschiedenartigen
Parteien? Wie tief reichen sie in das Volk? Wer und wie sind ihre
Führer? Die Beantwortung dieser Fragen wird uns eine genauere
Würdigung der gegenwärtigen Revolution und vielleicht auch eine
Vermuthung über den voraussichtlichen Verlauf derselben möglich
machen.

Beginnen wir mit den geschlagenen Parteien, unter deren Herr-
schaft Spanien in den letzten Jahren bis zum Hereinbrechen der Re-
volution gestanden hat.

Die Neokatholiken sind die klerikale Partei, als deren Ziel sich
das durch die Kirche beherrschte absolute Königthum bezeichnen läßt.
So lange der carlistische Zweig der Dynastie noch Aussichten hatte,
den spanischen Thron wieder zu erlangen, waren sie eifrige Gegner
der Königin Jsabella. Wie aber die Kirche es immer verstanden hat,
zur geeigneten Zeit sich mit den Machthabern zu vertragen, so hat sie
auch in Spanien, als die Herrschaft Jsabella's sich befestigte und von
den Carlisten nichts mehr zu erwarten stand, ihren Frieden mit der
Königin gemacht und es rasch genug durchgesetzt, sich maßgebenden
Einfluß zu verschaffen. Die Hauptorgane dieser Partei waren Pater
Claret und Schwester Patrocinio, von denen bereits unser letzter Auf-
satz handelte. Selbstverständlich gehörten auch die höheren Prälaten
[Spaltenumbruch] zum größten Theil dieser Partei an; in der Bevölkerung selbst hat sie
wenig Anhang. Dennoch war sie bei der bigotten Gesinnung der
Königin mächtig genug, die Regierung des Landes zeitweilig ganz zu
beeinflussen und den freiheitlichen Bestrebungen energische Hindernisse
zu bereiten. Ein Ministerium, welches ganz und gar aus Angehörigen
dieser Partei bestand, ist in den letzten Jahrzehnten wohl kaum am
Ruder gewesen, doch gelang es ihr wohl, einzelne Mitglieder in kon-
servative Kabinette hineinzubringen und durch diese alsdann Unheil
genug zu stiften. Jhre Parole erhielten sie natürlich von Rom durch
die Vermittlung des päpstlichen Nuntius in Madrid, der am könig-
lichen Hof stets eine große Rolle spielte. Jn der letzten Revolution
haben sie wenig von sich reden gemacht; man hat nicht vernommen,
daß sich irgendwo die Leidenschaft des Volkes an ihnen vergriffen
hätte, nachdem ihre Häupter das Land verlassen. Sie verstehen meister-
lich, abzuwarten, wie es nun einmal der Lauf der Dinge in einem
katholischen und wenig gebildeten Lande mit sich bringt -- sie warten
voraussichtlich nicht vergebens und ihre Zeit kommt wieder.

Die konservative Partei, die Moderados, zu deutsch die Ge-
mäßigten, haben vielfältig die Regierung des Landes ausschließlich in
ihren Händen gehabt, da es ihnen selten an tüchtigen Politikern und
energischen Männern gefehlt hat. Mit unseren Feudal=Konservativen
darf man sie nicht vergleichen, da sie in ihrer großen Masse stets
ehrlich für ein verfassungsmäßiges Königsthum waren. Allerdings
maßen sie dem Volke seine Rechte nur sparsam zu und schwärmten
für das, was man "starke Regierung" nennt. Jn ihrem rechten
Flügel lehnten sie sich ziemlich eng an die klerikale Partei; und na-
mentlich diese Schattirung der Moderados ist es, welche einen nicht
geringen Theil der Verantwortung jener brutalen und aufreizenden
Maßregeln trägt, durch welche die Gährung in Spanien bis zum
Ausbruch gesteigert wurde. Das Ministerium Gonzalez Bravo, unter
welchem das Land von der Revolution ereilt wurde, gehörte den Mo-
derados an. Beschränkungen des Vereinsrechts und der Preßfreiheit,
theilweise Suspendirung der Verfassung, Standrecht, Deportationen
und Hinrichtungen, das waren die Maßregeln, durch welche dieses
Ministerium die letzten zwei Jahre regiert hat.

Jn diesem Augenblick ist die Partei ohne Haupt -- Gonzalez
[Ende Spaltensatz]


Am ersten Sarge.
Von
Wilhelm Jensen.
[Beginn Spaltensatz] Es war in schwüler Julizeit; die Gassen
Jm Städtchen draußen lagen stumm verlassen,
Und schläfrig klang vom Thurm das Glockenspiel
Jn's Schulgemach, wo schmal, wie gold'ner Duft,
Ein Sonnenstreif an's Wandgetäfel fiel.
Die Fliegen summten müde durch die Luft,
Und müde lag es auf den Knabenlidern,
Die auf des alten Römers Weisheit tief
Herniedernickten; nur ein Flüstern lief
Verstohlen rund, ein Blick, ein kurz Erwidern,
Und Alles still, und selbst der Lehrer schlief.
Die Blicke Aller aber streiften scheu
Den Platz zur Rechten mir, der leer heut war.
Dort saß mein Nachbar sonst; wir hielten treu
Zusammen stets in Noth und in Gefahr,
Wie Kinderspiel und Ernst es mit sich bringen.
Wir hatten's nie gesagt und kaum gedacht,
Daß unsre Herzen aneinander hingen,
Daß unsre Augen nacheinander gingen,
Und wer's gesagt — wir hätten drob gelacht.
Und langsam von der Wand herniedersank
Der Sonnenstreifen auf die leere Bank;
Es war der Zeiger der erharrten Stunde.
Wir ließen Cäsar mitten in der Schlacht,
Der Lehrer schloß, fast eh' wir's noch gedacht,
Das Buch und blickte flüchtig in die Runde
Und sagte: „Heinrich Wolf ist heute Nacht
Gestorben; wer ihn etwa sehn noch will,
Der muß es heut, die Eltern lassen's sagen.“
Er ging, sonst drängte wohl in wildem Jagen
Jedweder nach der Thür, heut blieb es still;
Der Klang der letzten Worte nur lief schrill
Noch an der Wand entlang, und wie im Traum
Verklangen leise auf dem Flur die Schritte.
Jch selbst gedankenlos in ihrer Mitte —
Todt war er — todt — was war's? Sie wußten's kaum,
Doch lag es seltsam auf den Kinderwangen,
Wie Neugier halb und halb wie heimlich Bangen.
Nur mir war's so, als ob der warme Strahl
Des Sonnenlichts mit kühlem Flor verhangen,
Und drinnen fühlt' ich's, daß zum ersten Mal
[Spaltenumbruch] Ein Schauer durch die warme Welt gegangen. —
Am Rand der stillen Gasse lag das Haus;
Ein Garten dran, und in ein dicht Gewirr
Von Blumen sah sein Fenster stumm hinaus.
Ringsum ein sonnenwogendes Geschwirr;
Sie standen lautlos an des Sarges Rand —
Nur weißer war, als sonst, sein Angesicht,
Nur seine blauen Augen lachten nicht —
Und nacheinander seine kalte Hand
Erfaßten sie und legten hastig wieder
Sie auf des Bettes weiße Linnen nieder.
Es war der Tod, der Keinen wiedergiebt —
Sie sahn's und schauten doch ungläubig d'rauf.
Nur mir schrie plötzlich es im Herzen auf:
Als hätt' ich nichts sonst auf der Welt geliebt,
An diesen stummen Lippen nur gehangen,
Als müßten sie nach mir zurückverlangen,
Als müßte dieses Herz, eh' es gebrochen,
Nur einmal sprechen, was es nie gesprochen,
Nur einmal hören, was es nie vernommen,
Was über meine Lippe nie gekommen.
Und wie die todten Augen auf mich sahn,
Da mit der Jugend wundersamen Wahn
Ergriff es mich: als wär' allein von Allen
Dem Tod ich mächtig in den Arm zu fallen;
Als müßte eines Menschenherzens Sehnen
Allmächtiger sein als Tod und Grabeshallen —
Und mit der Liebe glaubensstarkem Wähnen
Bog ich mich auf das kalte Angesicht
Und schloß die Lippen auf den starren Mund — —
Umsonst — die blauen Augen sahn mich nicht,
Und keine Antwort gab die Lippe kund —
Und wie in jener sagenhaften Stunde,
Da Gott verschied am Kreuz zu Golgatha,
Fühlt' schaudernd ich in ihrem festen Grunde
Die Erd' um mich erbeben, und ich fah
Die Sonne stürzen, Nacht umzog die Welt —
Ein Riß zerspaltete des Himmels Zelt
Auflodernd schlugen um mein Haupt die Flammen —
Und an dem Todtenbett brach ich zusammen.
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Spanien in den letzten fünfzig Jahren.
Von
J. R.
III.
Die Parteien und ihre Häupter.

Die gegenwärtige Bewegung in Spanien ist das Werk der drei
großen liberalen Parteien, die man als liberale Union, Progressisten
und Demokraten zu bezeichnen pflegt. Jhnen gegenüber stehen als
Vertreter der konservativ=klerikalen Jnteressen die Moderados und
Neokatolicos, deren Häupter zum großen Theil eben jetzt aus Spa-
nien haben flüchten müssen, während die Parteigenossen im Lande der
siegreichen Revolution total erlegen sind und bis jetzt noch keine Ge-
legenheit gefunden haben, mit einem irgendwie formulirten Programm
wieder hervorzutreten. Welches sind die Ziele dieser verschiedenartigen
Parteien? Wie tief reichen sie in das Volk? Wer und wie sind ihre
Führer? Die Beantwortung dieser Fragen wird uns eine genauere
Würdigung der gegenwärtigen Revolution und vielleicht auch eine
Vermuthung über den voraussichtlichen Verlauf derselben möglich
machen.

Beginnen wir mit den geschlagenen Parteien, unter deren Herr-
schaft Spanien in den letzten Jahren bis zum Hereinbrechen der Re-
volution gestanden hat.

Die Neokatholiken sind die klerikale Partei, als deren Ziel sich
das durch die Kirche beherrschte absolute Königthum bezeichnen läßt.
So lange der carlistische Zweig der Dynastie noch Aussichten hatte,
den spanischen Thron wieder zu erlangen, waren sie eifrige Gegner
der Königin Jsabella. Wie aber die Kirche es immer verstanden hat,
zur geeigneten Zeit sich mit den Machthabern zu vertragen, so hat sie
auch in Spanien, als die Herrschaft Jsabella's sich befestigte und von
den Carlisten nichts mehr zu erwarten stand, ihren Frieden mit der
Königin gemacht und es rasch genug durchgesetzt, sich maßgebenden
Einfluß zu verschaffen. Die Hauptorgane dieser Partei waren Pater
Claret und Schwester Patrocinio, von denen bereits unser letzter Auf-
satz handelte. Selbstverständlich gehörten auch die höheren Prälaten
[Spaltenumbruch] zum größten Theil dieser Partei an; in der Bevölkerung selbst hat sie
wenig Anhang. Dennoch war sie bei der bigotten Gesinnung der
Königin mächtig genug, die Regierung des Landes zeitweilig ganz zu
beeinflussen und den freiheitlichen Bestrebungen energische Hindernisse
zu bereiten. Ein Ministerium, welches ganz und gar aus Angehörigen
dieser Partei bestand, ist in den letzten Jahrzehnten wohl kaum am
Ruder gewesen, doch gelang es ihr wohl, einzelne Mitglieder in kon-
servative Kabinette hineinzubringen und durch diese alsdann Unheil
genug zu stiften. Jhre Parole erhielten sie natürlich von Rom durch
die Vermittlung des päpstlichen Nuntius in Madrid, der am könig-
lichen Hof stets eine große Rolle spielte. Jn der letzten Revolution
haben sie wenig von sich reden gemacht; man hat nicht vernommen,
daß sich irgendwo die Leidenschaft des Volkes an ihnen vergriffen
hätte, nachdem ihre Häupter das Land verlassen. Sie verstehen meister-
lich, abzuwarten, wie es nun einmal der Lauf der Dinge in einem
katholischen und wenig gebildeten Lande mit sich bringt — sie warten
voraussichtlich nicht vergebens und ihre Zeit kommt wieder.

Die konservative Partei, die Moderados, zu deutsch die Ge-
mäßigten, haben vielfältig die Regierung des Landes ausschließlich in
ihren Händen gehabt, da es ihnen selten an tüchtigen Politikern und
energischen Männern gefehlt hat. Mit unseren Feudal=Konservativen
darf man sie nicht vergleichen, da sie in ihrer großen Masse stets
ehrlich für ein verfassungsmäßiges Königsthum waren. Allerdings
maßen sie dem Volke seine Rechte nur sparsam zu und schwärmten
für das, was man „starke Regierung“ nennt. Jn ihrem rechten
Flügel lehnten sie sich ziemlich eng an die klerikale Partei; und na-
mentlich diese Schattirung der Moderados ist es, welche einen nicht
geringen Theil der Verantwortung jener brutalen und aufreizenden
Maßregeln trägt, durch welche die Gährung in Spanien bis zum
Ausbruch gesteigert wurde. Das Ministerium Gonzalez Bravo, unter
welchem das Land von der Revolution ereilt wurde, gehörte den Mo-
derados an. Beschränkungen des Vereinsrechts und der Preßfreiheit,
theilweise Suspendirung der Verfassung, Standrecht, Deportationen
und Hinrichtungen, das waren die Maßregeln, durch welche dieses
Ministerium die letzten zwei Jahre regiert hat.

Jn diesem Augenblick ist die Partei ohne Haupt — Gonzalez
[Ende Spaltensatz]

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[348/0004] 348 Am ersten Sarge. Von Wilhelm Jensen. Es war in schwüler Julizeit; die Gassen Jm Städtchen draußen lagen stumm verlassen, Und schläfrig klang vom Thurm das Glockenspiel Jn's Schulgemach, wo schmal, wie gold'ner Duft, Ein Sonnenstreif an's Wandgetäfel fiel. Die Fliegen summten müde durch die Luft, Und müde lag es auf den Knabenlidern, Die auf des alten Römers Weisheit tief Herniedernickten; nur ein Flüstern lief Verstohlen rund, ein Blick, ein kurz Erwidern, Und Alles still, und selbst der Lehrer schlief. Die Blicke Aller aber streiften scheu Den Platz zur Rechten mir, der leer heut war. Dort saß mein Nachbar sonst; wir hielten treu Zusammen stets in Noth und in Gefahr, Wie Kinderspiel und Ernst es mit sich bringen. Wir hatten's nie gesagt und kaum gedacht, Daß unsre Herzen aneinander hingen, Daß unsre Augen nacheinander gingen, Und wer's gesagt — wir hätten drob gelacht. Und langsam von der Wand herniedersank Der Sonnenstreifen auf die leere Bank; Es war der Zeiger der erharrten Stunde. Wir ließen Cäsar mitten in der Schlacht, Der Lehrer schloß, fast eh' wir's noch gedacht, Das Buch und blickte flüchtig in die Runde Und sagte: „Heinrich Wolf ist heute Nacht Gestorben; wer ihn etwa sehn noch will, Der muß es heut, die Eltern lassen's sagen.“ Er ging, sonst drängte wohl in wildem Jagen Jedweder nach der Thür, heut blieb es still; Der Klang der letzten Worte nur lief schrill Noch an der Wand entlang, und wie im Traum Verklangen leise auf dem Flur die Schritte. Jch selbst gedankenlos in ihrer Mitte — Todt war er — todt — was war's? Sie wußten's kaum, Doch lag es seltsam auf den Kinderwangen, Wie Neugier halb und halb wie heimlich Bangen. Nur mir war's so, als ob der warme Strahl Des Sonnenlichts mit kühlem Flor verhangen, Und drinnen fühlt' ich's, daß zum ersten Mal Ein Schauer durch die warme Welt gegangen. — Am Rand der stillen Gasse lag das Haus; Ein Garten dran, und in ein dicht Gewirr Von Blumen sah sein Fenster stumm hinaus. Ringsum ein sonnenwogendes Geschwirr; Sie standen lautlos an des Sarges Rand — Nur weißer war, als sonst, sein Angesicht, Nur seine blauen Augen lachten nicht — Und nacheinander seine kalte Hand Erfaßten sie und legten hastig wieder Sie auf des Bettes weiße Linnen nieder. Es war der Tod, der Keinen wiedergiebt — Sie sahn's und schauten doch ungläubig d'rauf. Nur mir schrie plötzlich es im Herzen auf: Als hätt' ich nichts sonst auf der Welt geliebt, An diesen stummen Lippen nur gehangen, Als müßten sie nach mir zurückverlangen, Als müßte dieses Herz, eh' es gebrochen, Nur einmal sprechen, was es nie gesprochen, Nur einmal hören, was es nie vernommen, Was über meine Lippe nie gekommen. Und wie die todten Augen auf mich sahn, Da mit der Jugend wundersamen Wahn Ergriff es mich: als wär' allein von Allen Dem Tod ich mächtig in den Arm zu fallen; Als müßte eines Menschenherzens Sehnen Allmächtiger sein als Tod und Grabeshallen — Und mit der Liebe glaubensstarkem Wähnen Bog ich mich auf das kalte Angesicht Und schloß die Lippen auf den starren Mund — — Umsonst — die blauen Augen sahn mich nicht, Und keine Antwort gab die Lippe kund — Und wie in jener sagenhaften Stunde, Da Gott verschied am Kreuz zu Golgatha, Fühlt' schaudernd ich in ihrem festen Grunde Die Erd' um mich erbeben, und ich fah Die Sonne stürzen, Nacht umzog die Welt — Ein Riß zerspaltete des Himmels Zelt Auflodernd schlugen um mein Haupt die Flammen — Und an dem Todtenbett brach ich zusammen. Spanien in den letzten fünfzig Jahren. Von J. R. III. Die Parteien und ihre Häupter. Die gegenwärtige Bewegung in Spanien ist das Werk der drei großen liberalen Parteien, die man als liberale Union, Progressisten und Demokraten zu bezeichnen pflegt. Jhnen gegenüber stehen als Vertreter der konservativ=klerikalen Jnteressen die Moderados und Neokatolicos, deren Häupter zum großen Theil eben jetzt aus Spa- nien haben flüchten müssen, während die Parteigenossen im Lande der siegreichen Revolution total erlegen sind und bis jetzt noch keine Ge- legenheit gefunden haben, mit einem irgendwie formulirten Programm wieder hervorzutreten. Welches sind die Ziele dieser verschiedenartigen Parteien? Wie tief reichen sie in das Volk? Wer und wie sind ihre Führer? Die Beantwortung dieser Fragen wird uns eine genauere Würdigung der gegenwärtigen Revolution und vielleicht auch eine Vermuthung über den voraussichtlichen Verlauf derselben möglich machen. Beginnen wir mit den geschlagenen Parteien, unter deren Herr- schaft Spanien in den letzten Jahren bis zum Hereinbrechen der Re- volution gestanden hat. Die Neokatholiken sind die klerikale Partei, als deren Ziel sich das durch die Kirche beherrschte absolute Königthum bezeichnen läßt. So lange der carlistische Zweig der Dynastie noch Aussichten hatte, den spanischen Thron wieder zu erlangen, waren sie eifrige Gegner der Königin Jsabella. Wie aber die Kirche es immer verstanden hat, zur geeigneten Zeit sich mit den Machthabern zu vertragen, so hat sie auch in Spanien, als die Herrschaft Jsabella's sich befestigte und von den Carlisten nichts mehr zu erwarten stand, ihren Frieden mit der Königin gemacht und es rasch genug durchgesetzt, sich maßgebenden Einfluß zu verschaffen. Die Hauptorgane dieser Partei waren Pater Claret und Schwester Patrocinio, von denen bereits unser letzter Auf- satz handelte. Selbstverständlich gehörten auch die höheren Prälaten zum größten Theil dieser Partei an; in der Bevölkerung selbst hat sie wenig Anhang. Dennoch war sie bei der bigotten Gesinnung der Königin mächtig genug, die Regierung des Landes zeitweilig ganz zu beeinflussen und den freiheitlichen Bestrebungen energische Hindernisse zu bereiten. Ein Ministerium, welches ganz und gar aus Angehörigen dieser Partei bestand, ist in den letzten Jahrzehnten wohl kaum am Ruder gewesen, doch gelang es ihr wohl, einzelne Mitglieder in kon- servative Kabinette hineinzubringen und durch diese alsdann Unheil genug zu stiften. Jhre Parole erhielten sie natürlich von Rom durch die Vermittlung des päpstlichen Nuntius in Madrid, der am könig- lichen Hof stets eine große Rolle spielte. Jn der letzten Revolution haben sie wenig von sich reden gemacht; man hat nicht vernommen, daß sich irgendwo die Leidenschaft des Volkes an ihnen vergriffen hätte, nachdem ihre Häupter das Land verlassen. Sie verstehen meister- lich, abzuwarten, wie es nun einmal der Lauf der Dinge in einem katholischen und wenig gebildeten Lande mit sich bringt — sie warten voraussichtlich nicht vergebens und ihre Zeit kommt wieder. Die konservative Partei, die Moderados, zu deutsch die Ge- mäßigten, haben vielfältig die Regierung des Landes ausschließlich in ihren Händen gehabt, da es ihnen selten an tüchtigen Politikern und energischen Männern gefehlt hat. Mit unseren Feudal=Konservativen darf man sie nicht vergleichen, da sie in ihrer großen Masse stets ehrlich für ein verfassungsmäßiges Königsthum waren. Allerdings maßen sie dem Volke seine Rechte nur sparsam zu und schwärmten für das, was man „starke Regierung“ nennt. Jn ihrem rechten Flügel lehnten sie sich ziemlich eng an die klerikale Partei; und na- mentlich diese Schattirung der Moderados ist es, welche einen nicht geringen Theil der Verantwortung jener brutalen und aufreizenden Maßregeln trägt, durch welche die Gährung in Spanien bis zum Ausbruch gesteigert wurde. Das Ministerium Gonzalez Bravo, unter welchem das Land von der Revolution ereilt wurde, gehörte den Mo- derados an. Beschränkungen des Vereinsrechts und der Preßfreiheit, theilweise Suspendirung der Verfassung, Standrecht, Deportationen und Hinrichtungen, das waren die Maßregeln, durch welche dieses Ministerium die letzten zwei Jahre regiert hat. Jn diesem Augenblick ist die Partei ohne Haupt — Gonzalez

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 44. Berlin, 1. November 1868, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt44_1868/4>, abgerufen am 16.07.2024.