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Sonntags-Blatt. Nr. 33. Berlin, 16. August 1868.

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[Beginn Spaltensatz] anspruchen -- er mit seinen starken Leidenschaften, welche auszutoben ihm
keine Zeit gelassen worden war?

Aber vergebens rief also der Justitiar auf, was nur für den
Jugendfreund und Wohlthäter sprach. Vielmehr ergrimmte er gegen
sich selbst über diese Sucht der Gerechtigkeit, welche alle Anderen zu
begreifen, zu entschuldigen, zu rechtfertigen weiß, welche besorgt ist,
daß Keinem zu viel geschehe, indeß nur zu leicht der eigene Vortheil
versäumt wird, indeß jene hartnäckige, selbstische Einseitigkeit fehlt,
ohne welchen es keinen Erfolg giebt in der Welt. Jmmer wieder
traten dem Justitiar die beiden so verschiedenen Menschen vor die
Seele: dieser da, der es nicht verstand, sein Glück zu bereiten, und
der dort, welcher sich nichts verweigerte, welcher nach Allem griff und
sich Alles verzieh. Ueber diesem Vergleich ängstlich brütend, blieb der
Mann da sitzen wie angeheftet und starrte auf die Haide hin und
auf das Wasser.

Eine Stunde oder mehr mochte ihm so vergangen sein, da wurde
er aufgeschreckt. Jm Fährhaus drinnen wurde es plötzlich laut.

"Juvivallera!" jubelte eine fremdartig klingende Stimme. "Dieser
letzte Wiukel der Erde hat mich die längste Zeit gesehen. Verzeihung,
Jhr Herren, Jhr gehet ja auch fort, und so darf sich Euer Freund
Zacco schon freuen, daß er es nicht ohne Euch hier in dieser Wüstenei
auszuhalten braucht."

Hammer schaute durch das Fenster gerade hinter seinem Sitz und
erkannte, trotz der beschlagenen Scheiben, den mit goldenen Schnüren
eingefaßten Rock Zacco's, des Kammerdieners.

"Was?" versetzte drinnen einer der Schiffbauer. "Jhr bleibet
also nicht den Sommer über hier, Herr Zacco? Und doch hieß es,
der Baron wolle den ganzen Sommer auf dem Edelhof wirth-
schaften?"

"Was Teufel! Hat es so geheißen? Ja, freilich, was hätte auch
der Freiherr von Twinkhorst Besseres zu thun, als seinen Bauern zu
predigen, daß ihre armseligen Aecker nichts taugen, und daß sie selbst
dumme Lümmel sind?"

"Sprecht nicht schlecht von den Bauern, Herr Kammerdiener!
Ohne diese dummen Lümmel und ihre armseligen Aecker trüget Jhr
nicht das Gold auf dem Rock. Das weiß Euer Herr am besten,
und darum ist er gekommen, Frieden mit seinen Gutsleuten zu
schließen."

"Ei der Tausend, immer besser! Darum also fand er in Rom
und Neapel nicht Kurzweil genug, um sich seinen Bauern zu Liebe hier
im Wald zu verscharren, wo man nichts sieht als Himmel und
Bäume --"

Der Diener brach in eine Flut wohl sehr heiterer, aber für die
Schiffbauer unverständlicher Ausrufungen aus und wollte schier bersten
vor Lachen.

"Laßt Euer Gewäsch, Herr Zacco, und mit dem Zwickern Eurer
schwarzen Augen ist's auch nicht gethan! Wir merken's schon, Jhr
wollt uns eine lustige Geschichte erzählen, wie neulich die von der
tollen Dirne, die Eurem Herrn aus Jtalien nachgelaufen kam."

"Eine Geschichte! Nun ja. Es waren einmal ein Baron und
eine Baronin. Und die Baronin verstand nichts als in Krämpfen zu
liegen und Vaterunser zu sagen. Und dabei wollte sie sterben, sobald
der Baron von ihrer Seite wich. Das gefiel dem Baron nicht, und
er sagte: "Es ist nicht gut, daß der Mensch zu Zweien sei". Und
er suchte der Baronin eine Gesellschafterin, und da waren sie zu
Dreien."

"Jhr sprecht ein wenig kraus, Herr Zacco! Werdet deutlicher!"

"Zum Teufel auch, sind Eure Köpfe hart! Angenommen, der
Baron kam hierher, um, wie Jhr sagt, mit seinen Bauern Frieden zu
schließen, und damit unterdessen die Baronin nicht vor Sehnsucht
vergehe, schickt er ihr irgend ein junges, liebenswürdiges Fräulein, das
sie tröste über seine Abwesenheit. Nun nehmt aber weiter an, daß
morgen oder übermorgen das junge Fräulein selbst vor Langeweile
oder auch vor Sehnsucht sterben will; da könnt Jhr mir glauben,
ehe der Baron das geschehen läßt, schickt er lieber alle seine Bauern
in die Hölle oder wohin sie sonst wollen -- -- doch Jhr versteht
mich nicht, und ich habe schon mehr gesagt -- Victoria! Es geht bald
fort! Aber verlieren wir darum die Zeit nicht, ihr Herren! Jch bin
noch in Eurer Schuld!"

"Ja, das ist wahr: Jhr habt uns genug gerupft, und so wäre
es freilich am besten, es drehte sich jetzt zu guter Letzt das Blättchen!"

"Holla, Fährmann, gieb uns Wein! Wein, Fährmann!"

Der Justitiar trat ins Haus, um sein Glas zu bezahlen. Er
wurde kaum bemerkt; denn vor das Feuer hin war ein Tisch gerückt
worden, um welchen Zacco und die beiden Vornehmeren der Schiff-
bauer Platz genommen hatten. Zacco zog eben ein Päckchen ver-
griffener Karten hervor; von den Schiffbauern aber hatte Jeder ein
nicht unbedeutendes Häufchen von Gold= und Silbermünzen vor sich.
Erwartungsvoll standen die Uebrigen im Kreise und neugierig, ob
auch heut wieder die Glücksgöttin ihre volle Gunst dem goldbetreßten
Burschen zuwenden werde.

[Spaltenumbruch]

Als am nächsten Morgen Moser, der zuerst im Hause aufzustehen
pflegte, ein Fenster öffnete, sah er draußen auf der Straße den Ju-
stitiar in gewohnter Frühzeitigkeit hin und her wandeln. Er rief
ihn an.

"Kommen Sie heraus zu mir", war die Erwiderung, ich möchte
ein Wort mit Jhnen reden.

Der Justitiar schien etwas Wichtiges auf dem Herzen zu haben,
und Moser zögerte nicht, der auffallenden Einladung Folge zu leisten.

Hammer war merklich befangen.

"Gehen wir ein wenig", sagte er.

Sie gingen, und erst als sie den Kreis der Häuser verlassen
hatten, hob der Justitiar an:

"Sie schienen gestern dem Vorhaben Jhrer Tochter Jhre Zu-
stimmung gegeben zu haben. Sie sind also wirklich der Ansicht, daß
Cäcilie der kranken Frau von Twinkhorst Gesellschaft leisten möge?"

"Warum", rief Moser überrascht, "sollte ich über Nacht
meine Ansicht geändert haben? Es ist wahr, ich entbehre Cäcilien
ungern --"

"O mein Freund", unterbrach ihn Hammer heftig, "lassen Sie
das Mädchen nicht fort! Jch bitte Sie, behalten Sie Cäcilien hier!"

Moser blieb stehen und blickte voll Befremdung den Justitiar an.

"Sie wollen Gründe", sagte Hammer, "Gründe für meine Bitte?
Aber haben Sie denn Gründe, Cäcilien fortzuschicken in eine fremde
Welt -- sie, die nie das Vaterhaus verlassen hat?"

Moser war eigentlich von dieser Sprache höchlich erbaut, denn
seine Einwilligung war ihm ja nur abgerungen worden. Aber er
wollte die Gedanken des Justitiars wissen, und so zählte er, nur um
es widerlegen zu lassen, Alles treulich auf, was die Tochter im Verein
mit der Mutter und dem Baron für sich vorgebracht hatte.

Allein Hammer wußte keine bessere Widerlegung als Moser selbst
gehabt; um so auffallender war der Eifer, mit dem er den einen
Satz wiederholte, der Vater möge das Mädchen nicht von sich lassen.

"Seien Sie aufrichtig!" rief endlich Moser. "Sie haben Be-
weggründe, welche Sie mir verbergen. Was fürchten Sie für Cäci-
lien, wenn sie dem Wunsch des Barons folgt?"

Der Justitiar schwieg.

"Wie? Sie fürchten nichts? Aber was in aller Welt kann Sie
denn so einnehmen gegen einen Plan, der im Grunde gut und mensch-
lich ist? Jch, ich durfte doch wenigstens das Gefühl des Vaters für
mich anführen; aber Sie -- --"

"Wohl", rief der Justitiar, "ich sehe, Sie können mein Benehmen
nicht begreifen, und Sie werden auf meine Worte keinen Werth legen,
wenn ich sie nicht besser zu unterstützen weiß --"

"Nun, so reden Sie denn", sagte Moser gespannt, als Hammer
nochmals wie in innerem Streit einhielt.

"Jch habe Jhre Tochter liebgewonnen", lauteten endlich die
zögernd hervorgebrachten Worte; "ich habe gehofft, auch Cäciliens
Neigung mir zu erwerben. Von dieser Hoffnung muß ich lassen,
wenn Jhre Tochter geht."

Sie hatte ihn Mühe gekostet, diese Erklärung, und er athmete
auf, als er geendet. Moser aber ergriff freudig gerührt seine Hand
und rief:

"Warum hielten Sie damit noch zurück? Wie froh macht mich,
was Sie da sagen!" Mosers Antlitz strahlte wirklich vor Vergnügen.
"Und weßhalb, mein Freund, haben Sie nicht längst geredet? Fürchten
Sie, daß Cäcilie solch einem Manne ihr Herz versagen könnte?"

Jn Hammers Mienen zuckte es schmerzlich.

"Jch habe Jhnen mein Geheimniß vertraut", sagte er. "Jhr
Wort, daß Sie davon nichts verlauten lassen!"

Der Alte schaute verwundert den Justitiar an, dessen trüber Blick
den seinen vermied. Endlich sagte Moser:

"Jch verstehe -- Sie sind ein gar gemessener Mann und voll
Mißtrauen gegen Jhre eigenen Vorzüge. Sie meinen nicht sicher
sein zu können, daß Cäcilie Jhre Neigung erwidere, und dem Vater
mögen Sie nichts zu verdanken haben. Gut, ich verspreche Jhnen,
daß Cäcilie nichts erfahren soll von dem, was Sie Jhr Geheimniß
nennen. Daß sie aber nicht fortgehen wird, ist von nun an gewiß,
und ich wollte nur, daß Sie in Jhrer Bewerbung nicht gar zu
ängstlich wären. Wahrhaftig, ich kenne Sie längst als einen tüch-
tigen Mann, in welchem ich mit Freude einen Sohn sehen würde."

Moser drückte dem Justitiar abermals die Hand, und still schritten
sie wieder dem Hause zu. Moser sah durchs Fenster hinein.

"Der Baron ist schon drinnen. Das ist früh. Er wird meine
Entscheidung haben wollen."

Hammer verfärbte sich, als er den Baron nennen hörte; er war
überhaupt in gewaltiger Aufregung und ließ sich nicht bereden, mit
einzutreten.

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] anspruchen — er mit seinen starken Leidenschaften, welche auszutoben ihm
keine Zeit gelassen worden war?

Aber vergebens rief also der Justitiar auf, was nur für den
Jugendfreund und Wohlthäter sprach. Vielmehr ergrimmte er gegen
sich selbst über diese Sucht der Gerechtigkeit, welche alle Anderen zu
begreifen, zu entschuldigen, zu rechtfertigen weiß, welche besorgt ist,
daß Keinem zu viel geschehe, indeß nur zu leicht der eigene Vortheil
versäumt wird, indeß jene hartnäckige, selbstische Einseitigkeit fehlt,
ohne welchen es keinen Erfolg giebt in der Welt. Jmmer wieder
traten dem Justitiar die beiden so verschiedenen Menschen vor die
Seele: dieser da, der es nicht verstand, sein Glück zu bereiten, und
der dort, welcher sich nichts verweigerte, welcher nach Allem griff und
sich Alles verzieh. Ueber diesem Vergleich ängstlich brütend, blieb der
Mann da sitzen wie angeheftet und starrte auf die Haide hin und
auf das Wasser.

Eine Stunde oder mehr mochte ihm so vergangen sein, da wurde
er aufgeschreckt. Jm Fährhaus drinnen wurde es plötzlich laut.

„Juvivallera!“ jubelte eine fremdartig klingende Stimme. „Dieser
letzte Wiukel der Erde hat mich die längste Zeit gesehen. Verzeihung,
Jhr Herren, Jhr gehet ja auch fort, und so darf sich Euer Freund
Zacco schon freuen, daß er es nicht ohne Euch hier in dieser Wüstenei
auszuhalten braucht.“

Hammer schaute durch das Fenster gerade hinter seinem Sitz und
erkannte, trotz der beschlagenen Scheiben, den mit goldenen Schnüren
eingefaßten Rock Zacco's, des Kammerdieners.

„Was?“ versetzte drinnen einer der Schiffbauer. „Jhr bleibet
also nicht den Sommer über hier, Herr Zacco? Und doch hieß es,
der Baron wolle den ganzen Sommer auf dem Edelhof wirth-
schaften?“

„Was Teufel! Hat es so geheißen? Ja, freilich, was hätte auch
der Freiherr von Twinkhorst Besseres zu thun, als seinen Bauern zu
predigen, daß ihre armseligen Aecker nichts taugen, und daß sie selbst
dumme Lümmel sind?“

„Sprecht nicht schlecht von den Bauern, Herr Kammerdiener!
Ohne diese dummen Lümmel und ihre armseligen Aecker trüget Jhr
nicht das Gold auf dem Rock. Das weiß Euer Herr am besten,
und darum ist er gekommen, Frieden mit seinen Gutsleuten zu
schließen.“

„Ei der Tausend, immer besser! Darum also fand er in Rom
und Neapel nicht Kurzweil genug, um sich seinen Bauern zu Liebe hier
im Wald zu verscharren, wo man nichts sieht als Himmel und
Bäume —“

Der Diener brach in eine Flut wohl sehr heiterer, aber für die
Schiffbauer unverständlicher Ausrufungen aus und wollte schier bersten
vor Lachen.

„Laßt Euer Gewäsch, Herr Zacco, und mit dem Zwickern Eurer
schwarzen Augen ist's auch nicht gethan! Wir merken's schon, Jhr
wollt uns eine lustige Geschichte erzählen, wie neulich die von der
tollen Dirne, die Eurem Herrn aus Jtalien nachgelaufen kam.“

„Eine Geschichte! Nun ja. Es waren einmal ein Baron und
eine Baronin. Und die Baronin verstand nichts als in Krämpfen zu
liegen und Vaterunser zu sagen. Und dabei wollte sie sterben, sobald
der Baron von ihrer Seite wich. Das gefiel dem Baron nicht, und
er sagte: „Es ist nicht gut, daß der Mensch zu Zweien sei“. Und
er suchte der Baronin eine Gesellschafterin, und da waren sie zu
Dreien.“

„Jhr sprecht ein wenig kraus, Herr Zacco! Werdet deutlicher!“

„Zum Teufel auch, sind Eure Köpfe hart! Angenommen, der
Baron kam hierher, um, wie Jhr sagt, mit seinen Bauern Frieden zu
schließen, und damit unterdessen die Baronin nicht vor Sehnsucht
vergehe, schickt er ihr irgend ein junges, liebenswürdiges Fräulein, das
sie tröste über seine Abwesenheit. Nun nehmt aber weiter an, daß
morgen oder übermorgen das junge Fräulein selbst vor Langeweile
oder auch vor Sehnsucht sterben will; da könnt Jhr mir glauben,
ehe der Baron das geschehen läßt, schickt er lieber alle seine Bauern
in die Hölle oder wohin sie sonst wollen — — doch Jhr versteht
mich nicht, und ich habe schon mehr gesagt — Victoria! Es geht bald
fort! Aber verlieren wir darum die Zeit nicht, ihr Herren! Jch bin
noch in Eurer Schuld!“

„Ja, das ist wahr: Jhr habt uns genug gerupft, und so wäre
es freilich am besten, es drehte sich jetzt zu guter Letzt das Blättchen!“

„Holla, Fährmann, gieb uns Wein! Wein, Fährmann!“

Der Justitiar trat ins Haus, um sein Glas zu bezahlen. Er
wurde kaum bemerkt; denn vor das Feuer hin war ein Tisch gerückt
worden, um welchen Zacco und die beiden Vornehmeren der Schiff-
bauer Platz genommen hatten. Zacco zog eben ein Päckchen ver-
griffener Karten hervor; von den Schiffbauern aber hatte Jeder ein
nicht unbedeutendes Häufchen von Gold= und Silbermünzen vor sich.
Erwartungsvoll standen die Uebrigen im Kreise und neugierig, ob
auch heut wieder die Glücksgöttin ihre volle Gunst dem goldbetreßten
Burschen zuwenden werde.

[Spaltenumbruch]

Als am nächsten Morgen Moser, der zuerst im Hause aufzustehen
pflegte, ein Fenster öffnete, sah er draußen auf der Straße den Ju-
stitiar in gewohnter Frühzeitigkeit hin und her wandeln. Er rief
ihn an.

„Kommen Sie heraus zu mir“, war die Erwiderung, ich möchte
ein Wort mit Jhnen reden.

Der Justitiar schien etwas Wichtiges auf dem Herzen zu haben,
und Moser zögerte nicht, der auffallenden Einladung Folge zu leisten.

Hammer war merklich befangen.

„Gehen wir ein wenig“, sagte er.

Sie gingen, und erst als sie den Kreis der Häuser verlassen
hatten, hob der Justitiar an:

„Sie schienen gestern dem Vorhaben Jhrer Tochter Jhre Zu-
stimmung gegeben zu haben. Sie sind also wirklich der Ansicht, daß
Cäcilie der kranken Frau von Twinkhorst Gesellschaft leisten möge?“

„Warum“, rief Moser überrascht, „sollte ich über Nacht
meine Ansicht geändert haben? Es ist wahr, ich entbehre Cäcilien
ungern —“

„O mein Freund“, unterbrach ihn Hammer heftig, „lassen Sie
das Mädchen nicht fort! Jch bitte Sie, behalten Sie Cäcilien hier!“

Moser blieb stehen und blickte voll Befremdung den Justitiar an.

„Sie wollen Gründe“, sagte Hammer, „Gründe für meine Bitte?
Aber haben Sie denn Gründe, Cäcilien fortzuschicken in eine fremde
Welt — sie, die nie das Vaterhaus verlassen hat?“

Moser war eigentlich von dieser Sprache höchlich erbaut, denn
seine Einwilligung war ihm ja nur abgerungen worden. Aber er
wollte die Gedanken des Justitiars wissen, und so zählte er, nur um
es widerlegen zu lassen, Alles treulich auf, was die Tochter im Verein
mit der Mutter und dem Baron für sich vorgebracht hatte.

Allein Hammer wußte keine bessere Widerlegung als Moser selbst
gehabt; um so auffallender war der Eifer, mit dem er den einen
Satz wiederholte, der Vater möge das Mädchen nicht von sich lassen.

„Seien Sie aufrichtig!“ rief endlich Moser. „Sie haben Be-
weggründe, welche Sie mir verbergen. Was fürchten Sie für Cäci-
lien, wenn sie dem Wunsch des Barons folgt?“

Der Justitiar schwieg.

„Wie? Sie fürchten nichts? Aber was in aller Welt kann Sie
denn so einnehmen gegen einen Plan, der im Grunde gut und mensch-
lich ist? Jch, ich durfte doch wenigstens das Gefühl des Vaters für
mich anführen; aber Sie — —“

„Wohl“, rief der Justitiar, „ich sehe, Sie können mein Benehmen
nicht begreifen, und Sie werden auf meine Worte keinen Werth legen,
wenn ich sie nicht besser zu unterstützen weiß —“

„Nun, so reden Sie denn“, sagte Moser gespannt, als Hammer
nochmals wie in innerem Streit einhielt.

„Jch habe Jhre Tochter liebgewonnen“, lauteten endlich die
zögernd hervorgebrachten Worte; „ich habe gehofft, auch Cäciliens
Neigung mir zu erwerben. Von dieser Hoffnung muß ich lassen,
wenn Jhre Tochter geht.“

Sie hatte ihn Mühe gekostet, diese Erklärung, und er athmete
auf, als er geendet. Moser aber ergriff freudig gerührt seine Hand
und rief:

„Warum hielten Sie damit noch zurück? Wie froh macht mich,
was Sie da sagen!“ Mosers Antlitz strahlte wirklich vor Vergnügen.
„Und weßhalb, mein Freund, haben Sie nicht längst geredet? Fürchten
Sie, daß Cäcilie solch einem Manne ihr Herz versagen könnte?“

Jn Hammers Mienen zuckte es schmerzlich.

„Jch habe Jhnen mein Geheimniß vertraut“, sagte er. „Jhr
Wort, daß Sie davon nichts verlauten lassen!“

Der Alte schaute verwundert den Justitiar an, dessen trüber Blick
den seinen vermied. Endlich sagte Moser:

„Jch verstehe — Sie sind ein gar gemessener Mann und voll
Mißtrauen gegen Jhre eigenen Vorzüge. Sie meinen nicht sicher
sein zu können, daß Cäcilie Jhre Neigung erwidere, und dem Vater
mögen Sie nichts zu verdanken haben. Gut, ich verspreche Jhnen,
daß Cäcilie nichts erfahren soll von dem, was Sie Jhr Geheimniß
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und ich wollte nur, daß Sie in Jhrer Bewerbung nicht gar zu
ängstlich wären. Wahrhaftig, ich kenne Sie längst als einen tüch-
tigen Mann, in welchem ich mit Freude einen Sohn sehen würde.“

Moser drückte dem Justitiar abermals die Hand, und still schritten
sie wieder dem Hause zu. Moser sah durchs Fenster hinein.

„Der Baron ist schon drinnen. Das ist früh. Er wird meine
Entscheidung haben wollen.“

Hammer verfärbte sich, als er den Baron nennen hörte; er war
überhaupt in gewaltiger Aufregung und ließ sich nicht bereden, mit
einzutreten.

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]
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[259/0003] 259 anspruchen — er mit seinen starken Leidenschaften, welche auszutoben ihm keine Zeit gelassen worden war? Aber vergebens rief also der Justitiar auf, was nur für den Jugendfreund und Wohlthäter sprach. Vielmehr ergrimmte er gegen sich selbst über diese Sucht der Gerechtigkeit, welche alle Anderen zu begreifen, zu entschuldigen, zu rechtfertigen weiß, welche besorgt ist, daß Keinem zu viel geschehe, indeß nur zu leicht der eigene Vortheil versäumt wird, indeß jene hartnäckige, selbstische Einseitigkeit fehlt, ohne welchen es keinen Erfolg giebt in der Welt. Jmmer wieder traten dem Justitiar die beiden so verschiedenen Menschen vor die Seele: dieser da, der es nicht verstand, sein Glück zu bereiten, und der dort, welcher sich nichts verweigerte, welcher nach Allem griff und sich Alles verzieh. Ueber diesem Vergleich ängstlich brütend, blieb der Mann da sitzen wie angeheftet und starrte auf die Haide hin und auf das Wasser. Eine Stunde oder mehr mochte ihm so vergangen sein, da wurde er aufgeschreckt. Jm Fährhaus drinnen wurde es plötzlich laut. „Juvivallera!“ jubelte eine fremdartig klingende Stimme. „Dieser letzte Wiukel der Erde hat mich die längste Zeit gesehen. Verzeihung, Jhr Herren, Jhr gehet ja auch fort, und so darf sich Euer Freund Zacco schon freuen, daß er es nicht ohne Euch hier in dieser Wüstenei auszuhalten braucht.“ Hammer schaute durch das Fenster gerade hinter seinem Sitz und erkannte, trotz der beschlagenen Scheiben, den mit goldenen Schnüren eingefaßten Rock Zacco's, des Kammerdieners. „Was?“ versetzte drinnen einer der Schiffbauer. „Jhr bleibet also nicht den Sommer über hier, Herr Zacco? Und doch hieß es, der Baron wolle den ganzen Sommer auf dem Edelhof wirth- schaften?“ „Was Teufel! Hat es so geheißen? Ja, freilich, was hätte auch der Freiherr von Twinkhorst Besseres zu thun, als seinen Bauern zu predigen, daß ihre armseligen Aecker nichts taugen, und daß sie selbst dumme Lümmel sind?“ „Sprecht nicht schlecht von den Bauern, Herr Kammerdiener! Ohne diese dummen Lümmel und ihre armseligen Aecker trüget Jhr nicht das Gold auf dem Rock. Das weiß Euer Herr am besten, und darum ist er gekommen, Frieden mit seinen Gutsleuten zu schließen.“ „Ei der Tausend, immer besser! Darum also fand er in Rom und Neapel nicht Kurzweil genug, um sich seinen Bauern zu Liebe hier im Wald zu verscharren, wo man nichts sieht als Himmel und Bäume —“ Der Diener brach in eine Flut wohl sehr heiterer, aber für die Schiffbauer unverständlicher Ausrufungen aus und wollte schier bersten vor Lachen. „Laßt Euer Gewäsch, Herr Zacco, und mit dem Zwickern Eurer schwarzen Augen ist's auch nicht gethan! Wir merken's schon, Jhr wollt uns eine lustige Geschichte erzählen, wie neulich die von der tollen Dirne, die Eurem Herrn aus Jtalien nachgelaufen kam.“ „Eine Geschichte! Nun ja. Es waren einmal ein Baron und eine Baronin. Und die Baronin verstand nichts als in Krämpfen zu liegen und Vaterunser zu sagen. Und dabei wollte sie sterben, sobald der Baron von ihrer Seite wich. Das gefiel dem Baron nicht, und er sagte: „Es ist nicht gut, daß der Mensch zu Zweien sei“. Und er suchte der Baronin eine Gesellschafterin, und da waren sie zu Dreien.“ „Jhr sprecht ein wenig kraus, Herr Zacco! Werdet deutlicher!“ „Zum Teufel auch, sind Eure Köpfe hart! Angenommen, der Baron kam hierher, um, wie Jhr sagt, mit seinen Bauern Frieden zu schließen, und damit unterdessen die Baronin nicht vor Sehnsucht vergehe, schickt er ihr irgend ein junges, liebenswürdiges Fräulein, das sie tröste über seine Abwesenheit. Nun nehmt aber weiter an, daß morgen oder übermorgen das junge Fräulein selbst vor Langeweile oder auch vor Sehnsucht sterben will; da könnt Jhr mir glauben, ehe der Baron das geschehen läßt, schickt er lieber alle seine Bauern in die Hölle oder wohin sie sonst wollen — — doch Jhr versteht mich nicht, und ich habe schon mehr gesagt — Victoria! Es geht bald fort! Aber verlieren wir darum die Zeit nicht, ihr Herren! Jch bin noch in Eurer Schuld!“ „Ja, das ist wahr: Jhr habt uns genug gerupft, und so wäre es freilich am besten, es drehte sich jetzt zu guter Letzt das Blättchen!“ „Holla, Fährmann, gieb uns Wein! Wein, Fährmann!“ Der Justitiar trat ins Haus, um sein Glas zu bezahlen. Er wurde kaum bemerkt; denn vor das Feuer hin war ein Tisch gerückt worden, um welchen Zacco und die beiden Vornehmeren der Schiff- bauer Platz genommen hatten. Zacco zog eben ein Päckchen ver- griffener Karten hervor; von den Schiffbauern aber hatte Jeder ein nicht unbedeutendes Häufchen von Gold= und Silbermünzen vor sich. Erwartungsvoll standen die Uebrigen im Kreise und neugierig, ob auch heut wieder die Glücksgöttin ihre volle Gunst dem goldbetreßten Burschen zuwenden werde. Als am nächsten Morgen Moser, der zuerst im Hause aufzustehen pflegte, ein Fenster öffnete, sah er draußen auf der Straße den Ju- stitiar in gewohnter Frühzeitigkeit hin und her wandeln. Er rief ihn an. „Kommen Sie heraus zu mir“, war die Erwiderung, ich möchte ein Wort mit Jhnen reden. Der Justitiar schien etwas Wichtiges auf dem Herzen zu haben, und Moser zögerte nicht, der auffallenden Einladung Folge zu leisten. Hammer war merklich befangen. „Gehen wir ein wenig“, sagte er. Sie gingen, und erst als sie den Kreis der Häuser verlassen hatten, hob der Justitiar an: „Sie schienen gestern dem Vorhaben Jhrer Tochter Jhre Zu- stimmung gegeben zu haben. Sie sind also wirklich der Ansicht, daß Cäcilie der kranken Frau von Twinkhorst Gesellschaft leisten möge?“ „Warum“, rief Moser überrascht, „sollte ich über Nacht meine Ansicht geändert haben? Es ist wahr, ich entbehre Cäcilien ungern —“ „O mein Freund“, unterbrach ihn Hammer heftig, „lassen Sie das Mädchen nicht fort! Jch bitte Sie, behalten Sie Cäcilien hier!“ Moser blieb stehen und blickte voll Befremdung den Justitiar an. „Sie wollen Gründe“, sagte Hammer, „Gründe für meine Bitte? Aber haben Sie denn Gründe, Cäcilien fortzuschicken in eine fremde Welt — sie, die nie das Vaterhaus verlassen hat?“ Moser war eigentlich von dieser Sprache höchlich erbaut, denn seine Einwilligung war ihm ja nur abgerungen worden. Aber er wollte die Gedanken des Justitiars wissen, und so zählte er, nur um es widerlegen zu lassen, Alles treulich auf, was die Tochter im Verein mit der Mutter und dem Baron für sich vorgebracht hatte. Allein Hammer wußte keine bessere Widerlegung als Moser selbst gehabt; um so auffallender war der Eifer, mit dem er den einen Satz wiederholte, der Vater möge das Mädchen nicht von sich lassen. „Seien Sie aufrichtig!“ rief endlich Moser. „Sie haben Be- weggründe, welche Sie mir verbergen. Was fürchten Sie für Cäci- lien, wenn sie dem Wunsch des Barons folgt?“ Der Justitiar schwieg. „Wie? Sie fürchten nichts? Aber was in aller Welt kann Sie denn so einnehmen gegen einen Plan, der im Grunde gut und mensch- lich ist? Jch, ich durfte doch wenigstens das Gefühl des Vaters für mich anführen; aber Sie — —“ „Wohl“, rief der Justitiar, „ich sehe, Sie können mein Benehmen nicht begreifen, und Sie werden auf meine Worte keinen Werth legen, wenn ich sie nicht besser zu unterstützen weiß —“ „Nun, so reden Sie denn“, sagte Moser gespannt, als Hammer nochmals wie in innerem Streit einhielt. „Jch habe Jhre Tochter liebgewonnen“, lauteten endlich die zögernd hervorgebrachten Worte; „ich habe gehofft, auch Cäciliens Neigung mir zu erwerben. Von dieser Hoffnung muß ich lassen, wenn Jhre Tochter geht.“ Sie hatte ihn Mühe gekostet, diese Erklärung, und er athmete auf, als er geendet. Moser aber ergriff freudig gerührt seine Hand und rief: „Warum hielten Sie damit noch zurück? Wie froh macht mich, was Sie da sagen!“ Mosers Antlitz strahlte wirklich vor Vergnügen. „Und weßhalb, mein Freund, haben Sie nicht längst geredet? Fürchten Sie, daß Cäcilie solch einem Manne ihr Herz versagen könnte?“ Jn Hammers Mienen zuckte es schmerzlich. „Jch habe Jhnen mein Geheimniß vertraut“, sagte er. „Jhr Wort, daß Sie davon nichts verlauten lassen!“ Der Alte schaute verwundert den Justitiar an, dessen trüber Blick den seinen vermied. Endlich sagte Moser: „Jch verstehe — Sie sind ein gar gemessener Mann und voll Mißtrauen gegen Jhre eigenen Vorzüge. Sie meinen nicht sicher sein zu können, daß Cäcilie Jhre Neigung erwidere, und dem Vater mögen Sie nichts zu verdanken haben. Gut, ich verspreche Jhnen, daß Cäcilie nichts erfahren soll von dem, was Sie Jhr Geheimniß nennen. Daß sie aber nicht fortgehen wird, ist von nun an gewiß, und ich wollte nur, daß Sie in Jhrer Bewerbung nicht gar zu ängstlich wären. Wahrhaftig, ich kenne Sie längst als einen tüch- tigen Mann, in welchem ich mit Freude einen Sohn sehen würde.“ Moser drückte dem Justitiar abermals die Hand, und still schritten sie wieder dem Hause zu. Moser sah durchs Fenster hinein. „Der Baron ist schon drinnen. Das ist früh. Er wird meine Entscheidung haben wollen.“ Hammer verfärbte sich, als er den Baron nennen hörte; er war überhaupt in gewaltiger Aufregung und ließ sich nicht bereden, mit einzutreten. ( Fortsetzung folgt. )

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 33. Berlin, 16. August 1868, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt33_1868/3>, abgerufen am 24.08.2024.