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Sonntags-Blatt. Nr. 33. Berlin, 16. August 1868.

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[Beginn Spaltensatz] Kehrte doch vielleicht Cäcilie selbst, die jetzt in die Fremde ging, nicht
mehr wieder, oder immerhin verändert genug!

Jm Freien sing es kaum an zu dämmern. Wo im Westen die
Haide und der Himmel sich berührten, da tauchte eben die breit zer-
flossene Sonnenscheibe unter; goldene Wolken schwammen hoch in den
Lüften; im Osten aber stieg leise der roth gesäumte Schleier der
Nacht empor. Gegen Osten richtete der Justitiar die Schritte, den
Hohlweg hinab nach dem Flüßchen. Einige Bauern begegneten ihm.
Von Allen ward ihm ehrerbietiger Gruß, und Einer wandte sich
um und begleitete ihn ein Stück, um ihm allerlei Lobeserhebungen
zu machen. Es sei doch gut, fing er an, daß wieder Ruhe in die
Welt zurückgekehrt sei, und wenn auch nur darum, weil der Baron
einen solchen Justitiar nach Twinkhorst gebracht habe. Ja, der Herr
Justitiar habe sich aufs Höchste verdient gemacht um die Gemeinde,
dadurch daß er die Theilung der Gemeindeweiden angerathen. Früher
hätten die Gelände, weil sie Allen gehört, Keinem rechten Nutzen ge-
bracht; nun aber, da Jeder sein eigen Stück Landes bekommen, wolle
es Einer dem Andern zuvorthun mit Nutzbarmachung.

"Und wenn es", schloß der Bauer, "doch wieder einmal losgeht
in der Welt, so brauchen wir dem Gutsherrn nicht die Zinsen und
Zehnten vorzuenthalten, sondern wir können sie ihm abkaufen."

Der Justitiar hätte sich des Lobes freuen dürfen, denn Moser
und er hatten Mühe genug gehabt, die hartköpfigen Bauern zu ihrem
Nutzen zu bekehren. Dennoch sank seine schon trübe Stimmung nur
noch mehr.

"Ja", rief er, als er wieder allein war, im Gespräch mit sich
selbst, "bereitet nur das Glück Anderer und verdurstet selbst darüber,
ihr Menschenfreunde oder Narren! Die Natur sorgt auch hier, wie
überall, für das Gleichgewicht, sorgt dafür, daß es nicht an Klü-
geren fehle, die sich zuerst zu Tisch setzen, mag darüber verderben wer
immer!"

Unter solchen bitteren Gedanken kam Hammer am Fährhaus an.
Sie hinabzuspülen mit irgend einem Trunk, trat er ein; denn der
Fährmann hielt Sommers auch Wirthschaft und Herberge. Allein
der Raum, in welchen man gleich durch die Hausthür gelangte, und
der zur Küche wie auch zur Wirthschaftsstube diente, war von einer
dicken weißen Luft erfüllt. Ueber einem Reisigfeuer hing ein bro-
delnder Kessel, eingehüllt in Rauchwolken, welche langsam in den riesen-
haften Herdmantel hinaufwallten. Um das Feuer versammelt saßen
die Schiffbauer, die Leute, welche im Forst von Twinkhorst Holz ge-
fällt hatten, um es auf dem Fluß zu Flößen zusammenzubinden;
schwere, kräftige Gestalten mit derben, gerötheten Gesichtern, saßen sie
da in ihren rothen Hemden und. trotz der Hitze, die Matrosenhüte
auf dem Kopf und tranken stark duftenden Wachholder. Nur Zwei
von ihnen, welche die Führer oder Meister der Uebrigen waren,
hatten ausländischen Wein vor sich stehen. Die Unterhaltung drehte
sich um die nahe Heimfahrt auf dem Floß, das man in höchstens
einer Woche zu vollenden dachte. Hammer wunderte sich, denn er
hatte noch eine beträchtliche Anzahl Stämme im Walde liegen sehen;
aber auf seine Frage hörte er, daß dieser Rest erst später abgeholt
werden solle. Der Justitiar, obwohl er die tüchtigen, ehrlichen Leute
leiden mochte, suchte doch heut weiter kein Gespräch mit ihnen; auch
fand er es zu warm hier, und der Dunst beschwerte ihn. Er grüßte,
ließ sich gleichfalls ein Glas gebrannten Wassers geben und ging
damit hinaus. Draußen an der dem Fluß zugewandten Seite des
Hauses stand unter einem alten Baum eine Bank. Da setzte er sich
nieder. Zwar jetzt, da es völlig dunkel geworden, erhob sich ein
scharfer Wind; doch er schien seinen Hauch nicht zu spüren. Er
blieb ruhig sitzen und sah, wie der Mond sich aus den Wolken hervor-
kämpfte und eine silberne Furche in dem plätschernden Wasser zog, auf
welchem sich die halb losen Stämme des noch unfertigen Floßes
gleich zuckenden Gliedern eines zerstückten Körpers hin und wieder
bewegten.

Aber so ruhig sein Antlitz war, seine Seele war traurig. Drüben
jenseits des Wassers lag die endlose Haide im Mondenschein, da und
dort angebaut, aber darum ein nicht weniger ödes, reizloses Bild.
Und der Haide verglich Hammer sein Leben. Auch er hatte in dürf-
tigen Verhältnissen, aller äußern Ungunst zum Trotz, manche gute
Frucht hervorgebracht; sein Leben war immer ein nützliches gewesen.
Aber wie die Haide einförmig und trübselig sich ausdehnte, so hatte
auch er nur freudlose Tage erlebt. Kein Frühling hatte ihm Blu-
men in den Schooß geworfen. Wie dort die Fläche Sommer und
Winter dasselbe schwermüthige Kleid trug, dessen Farbe kaum zu be-
stimmen, so auch lag seine Vergangenheit farblos hinter ihm. Doch
das wußte er ja längst, daß seine Jugend geschwunden war ohne
lauten Jubel, ohne helle Lust, nur reich an manchem Schmerz der
Enttäuschung. Und er hatte verzichtet auf den Jubel und auf den
Schimmer, hatte, um der Enttäuschungen ledig zu werden, einem
Glück entsagt, welches er sich selbst nicht verschaffen konnte und welches
ihm die Welt nicht geben wollte. Er hatte sich hundertmal wieder-
[Spaltenumbruch] holt, daß dieses Glück öfter eine Laune des Geschicks, denn der Lohn
für Opfer und Mühen sei, daß das reine Bewußtsein, das Bewußt-
sein der Pflichterfüllung die einzige immer gewisse Befriedigung ge-
währe. Aber nun -- wo war diese Befriedigung? Warum that sie
sich wieder auf, die alte Kluft in seinen Gedanken, die er geschlossen
zu haben wähnte? Warum fühlte er wieder jene ungestillte Sehnsucht
in seiner Brust, die Sehnsucht nach Freuden und Wonnen, welche
nur der Zufall verleiht, nicht ein noch so tüchtiges Streben? Oder
war hier sein Jrrthum? War er selbst der Schuldige? War er der
kühle, schon in der Jugend ältliche Mann, welcher zu viel zweifelte
und zögerte und damit die Kraft verlor, sich einen Platz zu erkämpfen
in den Reihen der Günstlinge des Glücks?

Welch ein Anderer war doch der Jugendgenosse, der Freiherr von
Twinkhorst! Der besaß das Alles, woran es ihm gebrach: den hatte
der volle Sonnenschein von der Geburt an beglänzt; der hatte nie
zu ringen gehabt um das Brot, um den Namen, um die Stellung
in der menschlichen Gesellschaft. Twinkhorst hatte nie recht gearbeitet,
und doch war ihm nichts fremd; durch den Reichthum seiner Hülfs-
quellen war ihm immer die Mühe der Arbeit um die Hälfte ab-
genommen worden. Er erfaßte Alles lebendig und rasch, und dafür
kam ihm auch Alles rasch entgegen. Bei ihm keine Spur schwer-
fälligen Erwägens; weil er sich selbst keine Hindernisse bereitete, fand
er überall die Wege offen. Ja, was ein Hinderniß hätte sein können,
verwandelte sich ihm vielmehr nur in einen Grund, ohne Scheu die
gebahnten Pfade zu verlassen und jeden andern zu wählen, der zum
Ziel führte. Jm Gegensatz zu Hammers ängstlicher Gewissenhaftig-
keit haßte er schon den Gedanken, irgend einem allgemeinen Gesetz
unterworfen zu sein; und wenn einmal seine Pläne, seine Begehren
gekreuzt wurden, so erblickte er darin eine Feindseligkeit des Schick-
sals, welche ihm ein Recht des Widerstandes, ein Recht auf Entschä-
digung gab. Dem Justitiar fielen die Erzählungen ein, welche in
den heimathlichen Gegenden über des Barons Verhältniß zu seiner
Frau umgingen. Twinkhorst war noch ein blutjunger Mensch ge-
wesen, als er sich mit der letzten Erbin eines aussterbenden Grafen-
hauses vermählte oder vielleicht vermählt wurde; denn es handelte sich
darum, der freiherrlichen Familie ein sehr großes Vermögen zuzu-
wenden. Die Erbtochter, ein Mädchen, das nicht mehr in der ersten
Jugend stand, hatte bisher ihre vielen Freier ausgeschlagen, weil sie,
wissend, daß sie nicht schön sei, bei Allen nur gewinnsüchtige Be-
rechnung sah. Aber endlich rief der Anblick Twinkhorsts, des in
voller Blüthe prangenden Jünglings, eine Leidenschaft in ihr wach,
die der Welt und zumal den Verwandten des Barons nicht verborgen
blieb, und die Letzteren waren der Meinung, eine solche Gelegenheit
dürfe nicht versäumt werden. So fand sich plötzlich der Baron, dem
übrigens auch die überströmende Zuneigung der Gräfin geschmeichelt
haben mochte, vermählt in einem Alter, da sich dem erweiterten Blick
erst die Welt öffnet. Nun, da die Eitelkeit verflogen war, entdeckte
er, daß man ihn schändlich hintergangen und mißbraucht, seine Un-
erfahrenheit überlistet, seine junge Freiheit in unlösbare Ketten ge-
schmiedet hatte. Er sah sich als ein Opfer an, für Familienzwecke
verrathen und verkauft, und mit seinen Klagen um die zerstörte Ju-
gend verschonte er selbst die Frau nicht, deren fast vergötternde Zu-
neigung ihm doch Milde und Rücksicht hätte gebieten sollen. Denn
obwohl er sich nirgend durch seine Ehe hindern ließ, sich keinerlei
Zwang auferlegte und fast wie unvermählt lebte, seine Gattin hing
an ihm, als hätte sie die wärmste Gegenliebe gefunden; es gab nichts,
was sie ihm nicht verzieh; es war, als sähe sie sich für den schuldigen
Theil an, und wenn er nur bei ihr war, so fühlte sie sich glücklich.
Vielleicht wäre dieses Uebermaß der Liebe unbegreiflich gewesen, hätte
nicht von den ersten Jahren ihrer Ehe an ein nervöses Leiden ihr
Gemüth in einem Zustand ungewöhnlicher Erregtheit gehalten und sie
das Geräusch der Stadt fliehen und die Einsamkeit in den Bergen
suchen lassen. Nur durch den Gatten war sie noch mit dem Dasein
verknüpft. Jhn in ihrer Nähe zu wissen, war ihre einzige Freude;
ihm zu Liebe belebte sie ihre Einöde, ihm zu Liebe wurden Gäste ge-
laden, Feste gefeiert. Ja, noch durch ganz andere und größere Be-
weise von Selbstverleugnung -- so erzählte man sich im Lande -- erkaufte
das arme Weib die Gegenwart des geliebten Mannes. Und Twink-
horst sollte -- so sagte man weiter -- sich diese Zugeständnisse seiner
Frau als nur eben billige gefallen lassen.

Aber warum fielen dem Justitiar gerade jetzt diese Dinge ein?
Hatte er ihnen doch sonst wenig Gewicht beigemessen. Er war dem
Baron Dank schuldig, der Baron war gegen ihn edelmüthig gewesen.
Was sollte er forschen, ob Twinkhorst auch über alle Maßen eigen-
süchtig sein könne? Und dann -- zeigte es sich hier nicht klar, daß
man bei noch so großer Mitgift des Schicksals doch vor einem un-
freien, unbefriedigten, peinlichen Leben nicht gesichert sei? War der
Baron nicht wirklich zu beklagen, daß er, ehe noch seine reichen Kräfte
sich entfalten konnten, an das arme kranke Weib gefesselt worden,
dessen übertriebene Zuneigung mehr peinigen konnte, als Gleichgültig-
keit und Widerwille? Und durfte er nicht doppelte Nachsicht be-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Kehrte doch vielleicht Cäcilie selbst, die jetzt in die Fremde ging, nicht
mehr wieder, oder immerhin verändert genug!

Jm Freien sing es kaum an zu dämmern. Wo im Westen die
Haide und der Himmel sich berührten, da tauchte eben die breit zer-
flossene Sonnenscheibe unter; goldene Wolken schwammen hoch in den
Lüften; im Osten aber stieg leise der roth gesäumte Schleier der
Nacht empor. Gegen Osten richtete der Justitiar die Schritte, den
Hohlweg hinab nach dem Flüßchen. Einige Bauern begegneten ihm.
Von Allen ward ihm ehrerbietiger Gruß, und Einer wandte sich
um und begleitete ihn ein Stück, um ihm allerlei Lobeserhebungen
zu machen. Es sei doch gut, fing er an, daß wieder Ruhe in die
Welt zurückgekehrt sei, und wenn auch nur darum, weil der Baron
einen solchen Justitiar nach Twinkhorst gebracht habe. Ja, der Herr
Justitiar habe sich aufs Höchste verdient gemacht um die Gemeinde,
dadurch daß er die Theilung der Gemeindeweiden angerathen. Früher
hätten die Gelände, weil sie Allen gehört, Keinem rechten Nutzen ge-
bracht; nun aber, da Jeder sein eigen Stück Landes bekommen, wolle
es Einer dem Andern zuvorthun mit Nutzbarmachung.

„Und wenn es“, schloß der Bauer, „doch wieder einmal losgeht
in der Welt, so brauchen wir dem Gutsherrn nicht die Zinsen und
Zehnten vorzuenthalten, sondern wir können sie ihm abkaufen.“

Der Justitiar hätte sich des Lobes freuen dürfen, denn Moser
und er hatten Mühe genug gehabt, die hartköpfigen Bauern zu ihrem
Nutzen zu bekehren. Dennoch sank seine schon trübe Stimmung nur
noch mehr.

„Ja“, rief er, als er wieder allein war, im Gespräch mit sich
selbst, „bereitet nur das Glück Anderer und verdurstet selbst darüber,
ihr Menschenfreunde oder Narren! Die Natur sorgt auch hier, wie
überall, für das Gleichgewicht, sorgt dafür, daß es nicht an Klü-
geren fehle, die sich zuerst zu Tisch setzen, mag darüber verderben wer
immer!“

Unter solchen bitteren Gedanken kam Hammer am Fährhaus an.
Sie hinabzuspülen mit irgend einem Trunk, trat er ein; denn der
Fährmann hielt Sommers auch Wirthschaft und Herberge. Allein
der Raum, in welchen man gleich durch die Hausthür gelangte, und
der zur Küche wie auch zur Wirthschaftsstube diente, war von einer
dicken weißen Luft erfüllt. Ueber einem Reisigfeuer hing ein bro-
delnder Kessel, eingehüllt in Rauchwolken, welche langsam in den riesen-
haften Herdmantel hinaufwallten. Um das Feuer versammelt saßen
die Schiffbauer, die Leute, welche im Forst von Twinkhorst Holz ge-
fällt hatten, um es auf dem Fluß zu Flößen zusammenzubinden;
schwere, kräftige Gestalten mit derben, gerötheten Gesichtern, saßen sie
da in ihren rothen Hemden und. trotz der Hitze, die Matrosenhüte
auf dem Kopf und tranken stark duftenden Wachholder. Nur Zwei
von ihnen, welche die Führer oder Meister der Uebrigen waren,
hatten ausländischen Wein vor sich stehen. Die Unterhaltung drehte
sich um die nahe Heimfahrt auf dem Floß, das man in höchstens
einer Woche zu vollenden dachte. Hammer wunderte sich, denn er
hatte noch eine beträchtliche Anzahl Stämme im Walde liegen sehen;
aber auf seine Frage hörte er, daß dieser Rest erst später abgeholt
werden solle. Der Justitiar, obwohl er die tüchtigen, ehrlichen Leute
leiden mochte, suchte doch heut weiter kein Gespräch mit ihnen; auch
fand er es zu warm hier, und der Dunst beschwerte ihn. Er grüßte,
ließ sich gleichfalls ein Glas gebrannten Wassers geben und ging
damit hinaus. Draußen an der dem Fluß zugewandten Seite des
Hauses stand unter einem alten Baum eine Bank. Da setzte er sich
nieder. Zwar jetzt, da es völlig dunkel geworden, erhob sich ein
scharfer Wind; doch er schien seinen Hauch nicht zu spüren. Er
blieb ruhig sitzen und sah, wie der Mond sich aus den Wolken hervor-
kämpfte und eine silberne Furche in dem plätschernden Wasser zog, auf
welchem sich die halb losen Stämme des noch unfertigen Floßes
gleich zuckenden Gliedern eines zerstückten Körpers hin und wieder
bewegten.

Aber so ruhig sein Antlitz war, seine Seele war traurig. Drüben
jenseits des Wassers lag die endlose Haide im Mondenschein, da und
dort angebaut, aber darum ein nicht weniger ödes, reizloses Bild.
Und der Haide verglich Hammer sein Leben. Auch er hatte in dürf-
tigen Verhältnissen, aller äußern Ungunst zum Trotz, manche gute
Frucht hervorgebracht; sein Leben war immer ein nützliches gewesen.
Aber wie die Haide einförmig und trübselig sich ausdehnte, so hatte
auch er nur freudlose Tage erlebt. Kein Frühling hatte ihm Blu-
men in den Schooß geworfen. Wie dort die Fläche Sommer und
Winter dasselbe schwermüthige Kleid trug, dessen Farbe kaum zu be-
stimmen, so auch lag seine Vergangenheit farblos hinter ihm. Doch
das wußte er ja längst, daß seine Jugend geschwunden war ohne
lauten Jubel, ohne helle Lust, nur reich an manchem Schmerz der
Enttäuschung. Und er hatte verzichtet auf den Jubel und auf den
Schimmer, hatte, um der Enttäuschungen ledig zu werden, einem
Glück entsagt, welches er sich selbst nicht verschaffen konnte und welches
ihm die Welt nicht geben wollte. Er hatte sich hundertmal wieder-
[Spaltenumbruch] holt, daß dieses Glück öfter eine Laune des Geschicks, denn der Lohn
für Opfer und Mühen sei, daß das reine Bewußtsein, das Bewußt-
sein der Pflichterfüllung die einzige immer gewisse Befriedigung ge-
währe. Aber nun — wo war diese Befriedigung? Warum that sie
sich wieder auf, die alte Kluft in seinen Gedanken, die er geschlossen
zu haben wähnte? Warum fühlte er wieder jene ungestillte Sehnsucht
in seiner Brust, die Sehnsucht nach Freuden und Wonnen, welche
nur der Zufall verleiht, nicht ein noch so tüchtiges Streben? Oder
war hier sein Jrrthum? War er selbst der Schuldige? War er der
kühle, schon in der Jugend ältliche Mann, welcher zu viel zweifelte
und zögerte und damit die Kraft verlor, sich einen Platz zu erkämpfen
in den Reihen der Günstlinge des Glücks?

Welch ein Anderer war doch der Jugendgenosse, der Freiherr von
Twinkhorst! Der besaß das Alles, woran es ihm gebrach: den hatte
der volle Sonnenschein von der Geburt an beglänzt; der hatte nie
zu ringen gehabt um das Brot, um den Namen, um die Stellung
in der menschlichen Gesellschaft. Twinkhorst hatte nie recht gearbeitet,
und doch war ihm nichts fremd; durch den Reichthum seiner Hülfs-
quellen war ihm immer die Mühe der Arbeit um die Hälfte ab-
genommen worden. Er erfaßte Alles lebendig und rasch, und dafür
kam ihm auch Alles rasch entgegen. Bei ihm keine Spur schwer-
fälligen Erwägens; weil er sich selbst keine Hindernisse bereitete, fand
er überall die Wege offen. Ja, was ein Hinderniß hätte sein können,
verwandelte sich ihm vielmehr nur in einen Grund, ohne Scheu die
gebahnten Pfade zu verlassen und jeden andern zu wählen, der zum
Ziel führte. Jm Gegensatz zu Hammers ängstlicher Gewissenhaftig-
keit haßte er schon den Gedanken, irgend einem allgemeinen Gesetz
unterworfen zu sein; und wenn einmal seine Pläne, seine Begehren
gekreuzt wurden, so erblickte er darin eine Feindseligkeit des Schick-
sals, welche ihm ein Recht des Widerstandes, ein Recht auf Entschä-
digung gab. Dem Justitiar fielen die Erzählungen ein, welche in
den heimathlichen Gegenden über des Barons Verhältniß zu seiner
Frau umgingen. Twinkhorst war noch ein blutjunger Mensch ge-
wesen, als er sich mit der letzten Erbin eines aussterbenden Grafen-
hauses vermählte oder vielleicht vermählt wurde; denn es handelte sich
darum, der freiherrlichen Familie ein sehr großes Vermögen zuzu-
wenden. Die Erbtochter, ein Mädchen, das nicht mehr in der ersten
Jugend stand, hatte bisher ihre vielen Freier ausgeschlagen, weil sie,
wissend, daß sie nicht schön sei, bei Allen nur gewinnsüchtige Be-
rechnung sah. Aber endlich rief der Anblick Twinkhorsts, des in
voller Blüthe prangenden Jünglings, eine Leidenschaft in ihr wach,
die der Welt und zumal den Verwandten des Barons nicht verborgen
blieb, und die Letzteren waren der Meinung, eine solche Gelegenheit
dürfe nicht versäumt werden. So fand sich plötzlich der Baron, dem
übrigens auch die überströmende Zuneigung der Gräfin geschmeichelt
haben mochte, vermählt in einem Alter, da sich dem erweiterten Blick
erst die Welt öffnet. Nun, da die Eitelkeit verflogen war, entdeckte
er, daß man ihn schändlich hintergangen und mißbraucht, seine Un-
erfahrenheit überlistet, seine junge Freiheit in unlösbare Ketten ge-
schmiedet hatte. Er sah sich als ein Opfer an, für Familienzwecke
verrathen und verkauft, und mit seinen Klagen um die zerstörte Ju-
gend verschonte er selbst die Frau nicht, deren fast vergötternde Zu-
neigung ihm doch Milde und Rücksicht hätte gebieten sollen. Denn
obwohl er sich nirgend durch seine Ehe hindern ließ, sich keinerlei
Zwang auferlegte und fast wie unvermählt lebte, seine Gattin hing
an ihm, als hätte sie die wärmste Gegenliebe gefunden; es gab nichts,
was sie ihm nicht verzieh; es war, als sähe sie sich für den schuldigen
Theil an, und wenn er nur bei ihr war, so fühlte sie sich glücklich.
Vielleicht wäre dieses Uebermaß der Liebe unbegreiflich gewesen, hätte
nicht von den ersten Jahren ihrer Ehe an ein nervöses Leiden ihr
Gemüth in einem Zustand ungewöhnlicher Erregtheit gehalten und sie
das Geräusch der Stadt fliehen und die Einsamkeit in den Bergen
suchen lassen. Nur durch den Gatten war sie noch mit dem Dasein
verknüpft. Jhn in ihrer Nähe zu wissen, war ihre einzige Freude;
ihm zu Liebe belebte sie ihre Einöde, ihm zu Liebe wurden Gäste ge-
laden, Feste gefeiert. Ja, noch durch ganz andere und größere Be-
weise von Selbstverleugnung — so erzählte man sich im Lande — erkaufte
das arme Weib die Gegenwart des geliebten Mannes. Und Twink-
horst sollte — so sagte man weiter — sich diese Zugeständnisse seiner
Frau als nur eben billige gefallen lassen.

Aber warum fielen dem Justitiar gerade jetzt diese Dinge ein?
Hatte er ihnen doch sonst wenig Gewicht beigemessen. Er war dem
Baron Dank schuldig, der Baron war gegen ihn edelmüthig gewesen.
Was sollte er forschen, ob Twinkhorst auch über alle Maßen eigen-
süchtig sein könne? Und dann — zeigte es sich hier nicht klar, daß
man bei noch so großer Mitgift des Schicksals doch vor einem un-
freien, unbefriedigten, peinlichen Leben nicht gesichert sei? War der
Baron nicht wirklich zu beklagen, daß er, ehe noch seine reichen Kräfte
sich entfalten konnten, an das arme kranke Weib gefesselt worden,
dessen übertriebene Zuneigung mehr peinigen konnte, als Gleichgültig-
keit und Widerwille? Und durfte er nicht doppelte Nachsicht be-
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[258/0002] 258 Kehrte doch vielleicht Cäcilie selbst, die jetzt in die Fremde ging, nicht mehr wieder, oder immerhin verändert genug! Jm Freien sing es kaum an zu dämmern. Wo im Westen die Haide und der Himmel sich berührten, da tauchte eben die breit zer- flossene Sonnenscheibe unter; goldene Wolken schwammen hoch in den Lüften; im Osten aber stieg leise der roth gesäumte Schleier der Nacht empor. Gegen Osten richtete der Justitiar die Schritte, den Hohlweg hinab nach dem Flüßchen. Einige Bauern begegneten ihm. Von Allen ward ihm ehrerbietiger Gruß, und Einer wandte sich um und begleitete ihn ein Stück, um ihm allerlei Lobeserhebungen zu machen. Es sei doch gut, fing er an, daß wieder Ruhe in die Welt zurückgekehrt sei, und wenn auch nur darum, weil der Baron einen solchen Justitiar nach Twinkhorst gebracht habe. Ja, der Herr Justitiar habe sich aufs Höchste verdient gemacht um die Gemeinde, dadurch daß er die Theilung der Gemeindeweiden angerathen. Früher hätten die Gelände, weil sie Allen gehört, Keinem rechten Nutzen ge- bracht; nun aber, da Jeder sein eigen Stück Landes bekommen, wolle es Einer dem Andern zuvorthun mit Nutzbarmachung. „Und wenn es“, schloß der Bauer, „doch wieder einmal losgeht in der Welt, so brauchen wir dem Gutsherrn nicht die Zinsen und Zehnten vorzuenthalten, sondern wir können sie ihm abkaufen.“ Der Justitiar hätte sich des Lobes freuen dürfen, denn Moser und er hatten Mühe genug gehabt, die hartköpfigen Bauern zu ihrem Nutzen zu bekehren. Dennoch sank seine schon trübe Stimmung nur noch mehr. „Ja“, rief er, als er wieder allein war, im Gespräch mit sich selbst, „bereitet nur das Glück Anderer und verdurstet selbst darüber, ihr Menschenfreunde oder Narren! Die Natur sorgt auch hier, wie überall, für das Gleichgewicht, sorgt dafür, daß es nicht an Klü- geren fehle, die sich zuerst zu Tisch setzen, mag darüber verderben wer immer!“ Unter solchen bitteren Gedanken kam Hammer am Fährhaus an. Sie hinabzuspülen mit irgend einem Trunk, trat er ein; denn der Fährmann hielt Sommers auch Wirthschaft und Herberge. Allein der Raum, in welchen man gleich durch die Hausthür gelangte, und der zur Küche wie auch zur Wirthschaftsstube diente, war von einer dicken weißen Luft erfüllt. Ueber einem Reisigfeuer hing ein bro- delnder Kessel, eingehüllt in Rauchwolken, welche langsam in den riesen- haften Herdmantel hinaufwallten. Um das Feuer versammelt saßen die Schiffbauer, die Leute, welche im Forst von Twinkhorst Holz ge- fällt hatten, um es auf dem Fluß zu Flößen zusammenzubinden; schwere, kräftige Gestalten mit derben, gerötheten Gesichtern, saßen sie da in ihren rothen Hemden und. trotz der Hitze, die Matrosenhüte auf dem Kopf und tranken stark duftenden Wachholder. Nur Zwei von ihnen, welche die Führer oder Meister der Uebrigen waren, hatten ausländischen Wein vor sich stehen. Die Unterhaltung drehte sich um die nahe Heimfahrt auf dem Floß, das man in höchstens einer Woche zu vollenden dachte. Hammer wunderte sich, denn er hatte noch eine beträchtliche Anzahl Stämme im Walde liegen sehen; aber auf seine Frage hörte er, daß dieser Rest erst später abgeholt werden solle. Der Justitiar, obwohl er die tüchtigen, ehrlichen Leute leiden mochte, suchte doch heut weiter kein Gespräch mit ihnen; auch fand er es zu warm hier, und der Dunst beschwerte ihn. Er grüßte, ließ sich gleichfalls ein Glas gebrannten Wassers geben und ging damit hinaus. Draußen an der dem Fluß zugewandten Seite des Hauses stand unter einem alten Baum eine Bank. Da setzte er sich nieder. Zwar jetzt, da es völlig dunkel geworden, erhob sich ein scharfer Wind; doch er schien seinen Hauch nicht zu spüren. Er blieb ruhig sitzen und sah, wie der Mond sich aus den Wolken hervor- kämpfte und eine silberne Furche in dem plätschernden Wasser zog, auf welchem sich die halb losen Stämme des noch unfertigen Floßes gleich zuckenden Gliedern eines zerstückten Körpers hin und wieder bewegten. Aber so ruhig sein Antlitz war, seine Seele war traurig. Drüben jenseits des Wassers lag die endlose Haide im Mondenschein, da und dort angebaut, aber darum ein nicht weniger ödes, reizloses Bild. Und der Haide verglich Hammer sein Leben. Auch er hatte in dürf- tigen Verhältnissen, aller äußern Ungunst zum Trotz, manche gute Frucht hervorgebracht; sein Leben war immer ein nützliches gewesen. Aber wie die Haide einförmig und trübselig sich ausdehnte, so hatte auch er nur freudlose Tage erlebt. Kein Frühling hatte ihm Blu- men in den Schooß geworfen. Wie dort die Fläche Sommer und Winter dasselbe schwermüthige Kleid trug, dessen Farbe kaum zu be- stimmen, so auch lag seine Vergangenheit farblos hinter ihm. Doch das wußte er ja längst, daß seine Jugend geschwunden war ohne lauten Jubel, ohne helle Lust, nur reich an manchem Schmerz der Enttäuschung. Und er hatte verzichtet auf den Jubel und auf den Schimmer, hatte, um der Enttäuschungen ledig zu werden, einem Glück entsagt, welches er sich selbst nicht verschaffen konnte und welches ihm die Welt nicht geben wollte. Er hatte sich hundertmal wieder- holt, daß dieses Glück öfter eine Laune des Geschicks, denn der Lohn für Opfer und Mühen sei, daß das reine Bewußtsein, das Bewußt- sein der Pflichterfüllung die einzige immer gewisse Befriedigung ge- währe. Aber nun — wo war diese Befriedigung? Warum that sie sich wieder auf, die alte Kluft in seinen Gedanken, die er geschlossen zu haben wähnte? Warum fühlte er wieder jene ungestillte Sehnsucht in seiner Brust, die Sehnsucht nach Freuden und Wonnen, welche nur der Zufall verleiht, nicht ein noch so tüchtiges Streben? Oder war hier sein Jrrthum? War er selbst der Schuldige? War er der kühle, schon in der Jugend ältliche Mann, welcher zu viel zweifelte und zögerte und damit die Kraft verlor, sich einen Platz zu erkämpfen in den Reihen der Günstlinge des Glücks? Welch ein Anderer war doch der Jugendgenosse, der Freiherr von Twinkhorst! Der besaß das Alles, woran es ihm gebrach: den hatte der volle Sonnenschein von der Geburt an beglänzt; der hatte nie zu ringen gehabt um das Brot, um den Namen, um die Stellung in der menschlichen Gesellschaft. Twinkhorst hatte nie recht gearbeitet, und doch war ihm nichts fremd; durch den Reichthum seiner Hülfs- quellen war ihm immer die Mühe der Arbeit um die Hälfte ab- genommen worden. Er erfaßte Alles lebendig und rasch, und dafür kam ihm auch Alles rasch entgegen. Bei ihm keine Spur schwer- fälligen Erwägens; weil er sich selbst keine Hindernisse bereitete, fand er überall die Wege offen. Ja, was ein Hinderniß hätte sein können, verwandelte sich ihm vielmehr nur in einen Grund, ohne Scheu die gebahnten Pfade zu verlassen und jeden andern zu wählen, der zum Ziel führte. Jm Gegensatz zu Hammers ängstlicher Gewissenhaftig- keit haßte er schon den Gedanken, irgend einem allgemeinen Gesetz unterworfen zu sein; und wenn einmal seine Pläne, seine Begehren gekreuzt wurden, so erblickte er darin eine Feindseligkeit des Schick- sals, welche ihm ein Recht des Widerstandes, ein Recht auf Entschä- digung gab. Dem Justitiar fielen die Erzählungen ein, welche in den heimathlichen Gegenden über des Barons Verhältniß zu seiner Frau umgingen. Twinkhorst war noch ein blutjunger Mensch ge- wesen, als er sich mit der letzten Erbin eines aussterbenden Grafen- hauses vermählte oder vielleicht vermählt wurde; denn es handelte sich darum, der freiherrlichen Familie ein sehr großes Vermögen zuzu- wenden. Die Erbtochter, ein Mädchen, das nicht mehr in der ersten Jugend stand, hatte bisher ihre vielen Freier ausgeschlagen, weil sie, wissend, daß sie nicht schön sei, bei Allen nur gewinnsüchtige Be- rechnung sah. Aber endlich rief der Anblick Twinkhorsts, des in voller Blüthe prangenden Jünglings, eine Leidenschaft in ihr wach, die der Welt und zumal den Verwandten des Barons nicht verborgen blieb, und die Letzteren waren der Meinung, eine solche Gelegenheit dürfe nicht versäumt werden. So fand sich plötzlich der Baron, dem übrigens auch die überströmende Zuneigung der Gräfin geschmeichelt haben mochte, vermählt in einem Alter, da sich dem erweiterten Blick erst die Welt öffnet. Nun, da die Eitelkeit verflogen war, entdeckte er, daß man ihn schändlich hintergangen und mißbraucht, seine Un- erfahrenheit überlistet, seine junge Freiheit in unlösbare Ketten ge- schmiedet hatte. Er sah sich als ein Opfer an, für Familienzwecke verrathen und verkauft, und mit seinen Klagen um die zerstörte Ju- gend verschonte er selbst die Frau nicht, deren fast vergötternde Zu- neigung ihm doch Milde und Rücksicht hätte gebieten sollen. Denn obwohl er sich nirgend durch seine Ehe hindern ließ, sich keinerlei Zwang auferlegte und fast wie unvermählt lebte, seine Gattin hing an ihm, als hätte sie die wärmste Gegenliebe gefunden; es gab nichts, was sie ihm nicht verzieh; es war, als sähe sie sich für den schuldigen Theil an, und wenn er nur bei ihr war, so fühlte sie sich glücklich. Vielleicht wäre dieses Uebermaß der Liebe unbegreiflich gewesen, hätte nicht von den ersten Jahren ihrer Ehe an ein nervöses Leiden ihr Gemüth in einem Zustand ungewöhnlicher Erregtheit gehalten und sie das Geräusch der Stadt fliehen und die Einsamkeit in den Bergen suchen lassen. Nur durch den Gatten war sie noch mit dem Dasein verknüpft. Jhn in ihrer Nähe zu wissen, war ihre einzige Freude; ihm zu Liebe belebte sie ihre Einöde, ihm zu Liebe wurden Gäste ge- laden, Feste gefeiert. Ja, noch durch ganz andere und größere Be- weise von Selbstverleugnung — so erzählte man sich im Lande — erkaufte das arme Weib die Gegenwart des geliebten Mannes. Und Twink- horst sollte — so sagte man weiter — sich diese Zugeständnisse seiner Frau als nur eben billige gefallen lassen. Aber warum fielen dem Justitiar gerade jetzt diese Dinge ein? Hatte er ihnen doch sonst wenig Gewicht beigemessen. Er war dem Baron Dank schuldig, der Baron war gegen ihn edelmüthig gewesen. Was sollte er forschen, ob Twinkhorst auch über alle Maßen eigen- süchtig sein könne? Und dann — zeigte es sich hier nicht klar, daß man bei noch so großer Mitgift des Schicksals doch vor einem un- freien, unbefriedigten, peinlichen Leben nicht gesichert sei? War der Baron nicht wirklich zu beklagen, daß er, ehe noch seine reichen Kräfte sich entfalten konnten, an das arme kranke Weib gefesselt worden, dessen übertriebene Zuneigung mehr peinigen konnte, als Gleichgültig- keit und Widerwille? Und durfte er nicht doppelte Nachsicht be-

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 33. Berlin, 16. August 1868, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt33_1868/2>, abgerufen am 24.08.2024.