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Sonntags-Blatt. Nr. 27. Berlin, 5. Juli 1868.

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[Beginn Spaltensatz] bringen, je unschuldiger ich mich an dem Ursprung jenes Scherzes
fühlte, der ja übrigens auch ohne weitere Folgen geblieben war.

Melitta's Kälte that mir ernstlich wehe, und gern, gar zu gern
hätte ich sie mit mir versöhnt; allein sie wich mir stets aus.

Jn Gegenwart des Onkels mit ihr darüber zu reden, war mir
höchst peinlich; sich aber von mir unter vier Augen sprechen zu lassen,
vermied sie auf das sorgfältigste. Der Onkel, dem ich mein Leid
klagte, zuckte die Achseln, lachte und antwortete:

"Mach's allein mit ihr aus! Warum hast Du ihr nicht ge-
schrieben? Jch kümmere mich nicht um Eure Geschichten!"

Also allein sollte ich es mit ihr ausmachen! Gut! Jch beschloß,
den Versuch bei der ersten Gelegenheit zu wagen, und diese Gelegen-
heit ließ nicht allzu lange auf sich warten.

Eines schönen Morgens fand ich Melitta nach dem Frühstück noch
im Wohnzimmer am Fenster sitzend und mit einer Stickerei für den
Onkel b[e]schäftigt. Jch setzte mich zu ihr, nachdem ich sie um die
Erlaubniß gebeten, die mir auch erröthend mit den Worten:

"Wenn es Dir Vergnügen machen kann, hier zu sitzen", ge-
währt wurde.

Nachdem wir erst über einige gleichgültige Dinge gesprochen, wo-
bei sie niemals aufsah, fing ich an zu beichten. Da schien es mir,
als ob sie ihr Köpfchen tiefer zu ihrer Arbeit niederbeugte, als hätte
sie irgend einen Fehler entdeckt.

Jch war gerade im besten Zuge, da klopfte es, und meine Beichte
war gestört. Eine von den Mägden rief Fräulein Melitta aus dem
Zimmer ab, und diese eilte denn auch mit einem:

"Du entschuldigst mich wohl für heut", hinaus.

Da saß ich nun, ich armer Thor,
Und war so klug wohl wie zuvor --

d. h. etwas klüger war ich doch, wenn auch meiner Sache noch nicht
ganz sicher. Jch legte mir die Frage vor: Warum hat sie Dich nicht
anzusehen gewagt, und warum beugte sie ihr Köpfchen bei der Beichte
gar so tief auf ihre Arbeit? Jch beantwortete mir diese Frage da-
hin: Weil sie Dir wohl nicht mehr ernstlich zürnt und nur nicht
zeigen will, daß sie besänftigt ist. Ob ich Recht gehabt, werdet
Jhr sehen.

Wie Jhr längst errathen habt, hatte sich meine vetterliche Freund-
schaft schon auf meiner Reise, ohne daß ich mir es selbst eingestehen
wollte, in eine wirkliche Herzensneigung zu Melitta verwandelt. Als
ich sie nun nach den drei Jahren so lieblich erblüht wiedersah, da
faßte mich ein nie geahntes Sehnen, und ich fühlte, daß ich nicht
mehr würde von ihr lassen können.

Aber wie stand es mit ihr? Jhr Benehmen mir gegenüber ließ
mich gerade nicht schließen, daß sie mir sehr zugethan wäre, und doch
war es mir manchmal, als ob sie sich nur zwänge, kalt gegen mich
zu sein. Manchmal, wenn sie glaubte, ich bemerke es nicht, traf mich
ein warmer Strahl aus ihren dunklen Augen; blickte ich jedoch auf
oder wendete ich mich zu ihr, plötzlich war sie wieder mein kaltes,
zurückhaltendes Fräulein Cousine.

Dieses "Langen und Bangen in schwebender Pein" wurde mir
auf die Dauer unerträglich, und ich beschloß ernstlich, ihm ein Ende
zu machen.

Es war meines geliebten alten Onkels Geburtstag herangekommen,
und ich war an diesem Tage schon sehr früh nach der nahegelegenen
[Spaltenumbruch] Stadt geritten, um das Geschenk, das ich für ihn dort bestellt hatte,
abzuholen. Als ich zurückkehrte, ritt ich, um vom Vorderhause aus
nicht bemerkt zu werden, durch die Felder, die sich hinter dem Hause
ziemlich weit ausdehnten.

So vorsichtig ausschauend und mich langsam den Gebäuden
nähernd, bemerkte ich plötzlich eine helle Gestalt sich durch die Felder
bewegen, und genau hinblickend erkannte ich -- Melitta, und zwar
allein, einen Strauß Feldblumen für den Onkel pflückend.

Augenblicklich trat mir der Vers:

"Trifft ein Jemand einen Jemand
Jn dem Korn allein,
Küßt der Jemand dann den Jemand,
Muß der Jemand schrei'n?"

und der immer noch nicht aufgehobene Bann vor die Seele. Von
der Gunst des Augenblicks zur kühnen That ermuthigt, sprang ich
schnell vom Pferde, band dasselbe an einen nahestehenden Baum,
schlich meiner schönen Cousine näher, und ehe sie sich dessen versah,
hatte ich sie umschlungen und ihr einen Kuß geraubt.

Ein Schrei entwand sich ihren Lippen; sie wollte sich losreißen,
doch ich hielt sie fest, flüsterte ihr den Zaubervers und Alles, was ich
schon lange auf dem Herzen gehabt, zu, und -- sie war mein. Wei-
nend lehnte sie ihr Köpfchen an meine Brust.

"Ach, Alfred", sagte sie, "Du warst doch recht schlecht! Während
der ganzen langen drei Jahre nicht ein einziges Mal an mich zu den-
ken, kein Wörtchen mir zukommen zu lassen! Und ich habe doch so
oft an Dich gedacht!"

Als ich ihr jedoch versicherte, wie auch ich stets an sie gedacht,
aber nicht gewagt hätte, an "Fräulein Satanella" zu schreiben, weil
ich den nicht aufgehobenen Bann gefürchtet, es mir auch nach der
Antwort ihres Vaters geschienen, als ob es ihr am liebsten gewesen,
nichts mehr von mir zu hören -- da lächelte sie unter Thränen, gab
mir meinen Kuß zärtlich zurück und sprach:

"Du Bösewicht, ich muß Dir wohl verzeihen!"

Als der Alte uns Arm in Arm zu ihm kommen sah, blickte er
uns erst ungläubig an; als wir jedoch vor ihm niederknieten und ihn
um seinen Segen baten, flossen Thränen aus seinen Augen, und
freudig bewegt umarmte er uns und sagte:

"Kinder, Jhr taugt eigentlich Beide nichts; aber daß Jhr mir
so meinen liebsten Wunsch erfüllt, ist mein schönstes Geburtstags-
geschenk!" --

Alfred hatte seine einfache Erzählung geendet. Theilnehmend
waren wir derselben gefolgt, und seines Glückes froh, als wäre es
unser eigenes, gaben wir ihm gern das von ihm uns abgeforderte
Versprechen, ihn und sein reizendes Weibchen möglichst bald und oft
zu besuchen.

Darauf sich nach herzlichem Abschied seiner Heimath zuwendend,
schlug er sich seitwärts in die Büsche. Wir aber stiegen in den bereit-
stehenden Wagen und ventilirten während der Heimfahrt in heiterem
Gespräch die glückliche Lösung der brennenden Frage:

"Trifft ein Jemand einen Jemand
Jn dem Korn allein,
Küßt der Jemand dann den Jemand,
Muß der Jemand schrei'n?"
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Das Riesen=Regiment Friedrich WilhelmsI. von Preußen.
Von
Dr. A. C. Müller.

Wohl keinem Fürsten aller Zeiten sind seine Soldaten verhältniß-
mäßig so theuer zu stehen gekommen, als dem zweiten König von Preußen,
Friedrich Wilhelm I., dem die Geschichte wegen seiner leidenschaftlichen
Vorliebe für das Militär den Namen des "Soldatenkönigs" gegeben hat.
Es ist wahrhaft erstaunlich zu hören, welch kolossale Summen dieser
Monarch, der sonst bis zum Geiz sparsam war, für diese seine Liebhaberei
bereitwillig geopfert hat, besonders wenn es galt, für seine Regimenter hoch-
gewachsene Leute zu erlangen, und es dürfte deßhalb nicht ohne Jnteresse
für die Leser sein, einige Details darüber zu vernehmen.

Schon als Kronprinz hatte Friedrich Wilhelm bekanntlich in Wuster-
hausen eine Kompagnie Soldaten, die er, so viel als möglich, mit den
größten Leuten, die er auffinden konnte, auszustatten bestrebt war, trotz-
dem sein Vater diese Leidenschaft keineswegs billigte, und der Kronprinz
sich deßhalb genöthigt sah, bei den Besuchen des Königs die Leute in
Heuschobern und an anderen Orten zu verstecken. Als nun Friedrich I.
gestorben war und dem neuen Herrscher kein Hinderniß mehr entgegen-
stand, wurde seine Leidenschaft fast zur Manie, und die schleunigst ver-
mehrte Kompagnie wurde zunächst nach Brandenburg, dann, da die Ber-
liner sie nicht gern aufnehmen wollten, nach Potsdam gebracht, wo die
Kompagnie bald zu einem Regiment anwuchs. Alle langgewachsenen
Unterthanen wurden, so weit dies nur irgend anging, in die Regi-
[Spaltenumbruch] menter, besonders in des Königs Leib=Regiment, die Potsdamer " Riesen-
Garde ", gesteckt, und da das Land deren nicht genug hatte, so wurden im
Ausland, nicht selten mit List und Gewalt, Werbungen angestellt, bei
denen weder Geld noch Mühe gespart wurde und die mitunter zu ernsten
Zerwürfnissen mit fremden Fürsten führten.

Fast bei jedem Regiment enthielt das erste Glied Mannschaften von
5 Fuß 9, 10 bis 11 Zoll Länge, die Flügelmänner waren fast durch-
gehends 6 Fuß hoch, und Offiziere, die nicht eine ansehnliche Größe auf-
zuweisen hatten, durften nur auf ein langsames Avancement rechnen, ja, der
König schickte sie wohl ohne Umstände fort, sobald er sie sah. So wurde
z. B. ein Herr von Perband, der kaum 5 Fuß maß, erst im dreißigsten
Jahr Unteroffizier und dann, auf besondere Empfehlung seines Obersten,
Fähnrich bei einer Kompagnie in Küstrin. Jn dieser Stellung war er
zehn Jahre gewesen, als der König plötzlich einen andern Fähnrich, der
eine längere Dienstzeit aufzuweisen hatte, an seine Stelle schickte, so daß
Herr von Perband diesem das bisher bezogene Traktament überlassen und
abermals zehn Jahre als überzähliger Fähnrich dienen mußte. Jm Jahr
1745 war der Arme, 65 Jahre alt, Premier=Lieutenant bei einem Re-
giment in Schlesien!

Um also möglichst große Leute zu erlangen, scheute man keine Kosten.
Ein Rekrut Namens Große erhielt 5000 Gulden Handgeld, das Kloster,
dessen Unterthan er war, als Abstandsgeld 1500 Thlr., Transport und
Reisezulage betrugen 200 Thlr.; die Gesammtsumme, die dieser große
Große kostete, belief sich auf 5033 Thlr. 8 Groschen. Dem General
von Schmettau bezahlte der König für einen Flügelmann 5000 Thlr. und
gab der Schwester des Generals eine Stelle in einem Stift!

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] bringen, je unschuldiger ich mich an dem Ursprung jenes Scherzes
fühlte, der ja übrigens auch ohne weitere Folgen geblieben war.

Melitta's Kälte that mir ernstlich wehe, und gern, gar zu gern
hätte ich sie mit mir versöhnt; allein sie wich mir stets aus.

Jn Gegenwart des Onkels mit ihr darüber zu reden, war mir
höchst peinlich; sich aber von mir unter vier Augen sprechen zu lassen,
vermied sie auf das sorgfältigste. Der Onkel, dem ich mein Leid
klagte, zuckte die Achseln, lachte und antwortete:

„Mach's allein mit ihr aus! Warum hast Du ihr nicht ge-
schrieben? Jch kümmere mich nicht um Eure Geschichten!“

Also allein sollte ich es mit ihr ausmachen! Gut! Jch beschloß,
den Versuch bei der ersten Gelegenheit zu wagen, und diese Gelegen-
heit ließ nicht allzu lange auf sich warten.

Eines schönen Morgens fand ich Melitta nach dem Frühstück noch
im Wohnzimmer am Fenster sitzend und mit einer Stickerei für den
Onkel b[e]schäftigt. Jch setzte mich zu ihr, nachdem ich sie um die
Erlaubniß gebeten, die mir auch erröthend mit den Worten:

„Wenn es Dir Vergnügen machen kann, hier zu sitzen“, ge-
währt wurde.

Nachdem wir erst über einige gleichgültige Dinge gesprochen, wo-
bei sie niemals aufsah, fing ich an zu beichten. Da schien es mir,
als ob sie ihr Köpfchen tiefer zu ihrer Arbeit niederbeugte, als hätte
sie irgend einen Fehler entdeckt.

Jch war gerade im besten Zuge, da klopfte es, und meine Beichte
war gestört. Eine von den Mägden rief Fräulein Melitta aus dem
Zimmer ab, und diese eilte denn auch mit einem:

„Du entschuldigst mich wohl für heut“, hinaus.

Da saß ich nun, ich armer Thor,
Und war so klug wohl wie zuvor —

d. h. etwas klüger war ich doch, wenn auch meiner Sache noch nicht
ganz sicher. Jch legte mir die Frage vor: Warum hat sie Dich nicht
anzusehen gewagt, und warum beugte sie ihr Köpfchen bei der Beichte
gar so tief auf ihre Arbeit? Jch beantwortete mir diese Frage da-
hin: Weil sie Dir wohl nicht mehr ernstlich zürnt und nur nicht
zeigen will, daß sie besänftigt ist. Ob ich Recht gehabt, werdet
Jhr sehen.

Wie Jhr längst errathen habt, hatte sich meine vetterliche Freund-
schaft schon auf meiner Reise, ohne daß ich mir es selbst eingestehen
wollte, in eine wirkliche Herzensneigung zu Melitta verwandelt. Als
ich sie nun nach den drei Jahren so lieblich erblüht wiedersah, da
faßte mich ein nie geahntes Sehnen, und ich fühlte, daß ich nicht
mehr würde von ihr lassen können.

Aber wie stand es mit ihr? Jhr Benehmen mir gegenüber ließ
mich gerade nicht schließen, daß sie mir sehr zugethan wäre, und doch
war es mir manchmal, als ob sie sich nur zwänge, kalt gegen mich
zu sein. Manchmal, wenn sie glaubte, ich bemerke es nicht, traf mich
ein warmer Strahl aus ihren dunklen Augen; blickte ich jedoch auf
oder wendete ich mich zu ihr, plötzlich war sie wieder mein kaltes,
zurückhaltendes Fräulein Cousine.

Dieses „Langen und Bangen in schwebender Pein“ wurde mir
auf die Dauer unerträglich, und ich beschloß ernstlich, ihm ein Ende
zu machen.

Es war meines geliebten alten Onkels Geburtstag herangekommen,
und ich war an diesem Tage schon sehr früh nach der nahegelegenen
[Spaltenumbruch] Stadt geritten, um das Geschenk, das ich für ihn dort bestellt hatte,
abzuholen. Als ich zurückkehrte, ritt ich, um vom Vorderhause aus
nicht bemerkt zu werden, durch die Felder, die sich hinter dem Hause
ziemlich weit ausdehnten.

So vorsichtig ausschauend und mich langsam den Gebäuden
nähernd, bemerkte ich plötzlich eine helle Gestalt sich durch die Felder
bewegen, und genau hinblickend erkannte ich — Melitta, und zwar
allein, einen Strauß Feldblumen für den Onkel pflückend.

Augenblicklich trat mir der Vers:

„Trifft ein Jemand einen Jemand
Jn dem Korn allein,
Küßt der Jemand dann den Jemand,
Muß der Jemand schrei'n?“

und der immer noch nicht aufgehobene Bann vor die Seele. Von
der Gunst des Augenblicks zur kühnen That ermuthigt, sprang ich
schnell vom Pferde, band dasselbe an einen nahestehenden Baum,
schlich meiner schönen Cousine näher, und ehe sie sich dessen versah,
hatte ich sie umschlungen und ihr einen Kuß geraubt.

Ein Schrei entwand sich ihren Lippen; sie wollte sich losreißen,
doch ich hielt sie fest, flüsterte ihr den Zaubervers und Alles, was ich
schon lange auf dem Herzen gehabt, zu, und — sie war mein. Wei-
nend lehnte sie ihr Köpfchen an meine Brust.

„Ach, Alfred“, sagte sie, „Du warst doch recht schlecht! Während
der ganzen langen drei Jahre nicht ein einziges Mal an mich zu den-
ken, kein Wörtchen mir zukommen zu lassen! Und ich habe doch so
oft an Dich gedacht!“

Als ich ihr jedoch versicherte, wie auch ich stets an sie gedacht,
aber nicht gewagt hätte, an „Fräulein Satanella“ zu schreiben, weil
ich den nicht aufgehobenen Bann gefürchtet, es mir auch nach der
Antwort ihres Vaters geschienen, als ob es ihr am liebsten gewesen,
nichts mehr von mir zu hören — da lächelte sie unter Thränen, gab
mir meinen Kuß zärtlich zurück und sprach:

„Du Bösewicht, ich muß Dir wohl verzeihen!“

Als der Alte uns Arm in Arm zu ihm kommen sah, blickte er
uns erst ungläubig an; als wir jedoch vor ihm niederknieten und ihn
um seinen Segen baten, flossen Thränen aus seinen Augen, und
freudig bewegt umarmte er uns und sagte:

„Kinder, Jhr taugt eigentlich Beide nichts; aber daß Jhr mir
so meinen liebsten Wunsch erfüllt, ist mein schönstes Geburtstags-
geschenk!“ —

Alfred hatte seine einfache Erzählung geendet. Theilnehmend
waren wir derselben gefolgt, und seines Glückes froh, als wäre es
unser eigenes, gaben wir ihm gern das von ihm uns abgeforderte
Versprechen, ihn und sein reizendes Weibchen möglichst bald und oft
zu besuchen.

Darauf sich nach herzlichem Abschied seiner Heimath zuwendend,
schlug er sich seitwärts in die Büsche. Wir aber stiegen in den bereit-
stehenden Wagen und ventilirten während der Heimfahrt in heiterem
Gespräch die glückliche Lösung der brennenden Frage:

„Trifft ein Jemand einen Jemand
Jn dem Korn allein,
Küßt der Jemand dann den Jemand,
Muß der Jemand schrei'n?“
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Das Riesen=Regiment Friedrich WilhelmsI. von Preußen.
Von
Dr. A. C. Müller.

Wohl keinem Fürsten aller Zeiten sind seine Soldaten verhältniß-
mäßig so theuer zu stehen gekommen, als dem zweiten König von Preußen,
Friedrich Wilhelm I., dem die Geschichte wegen seiner leidenschaftlichen
Vorliebe für das Militär den Namen des „Soldatenkönigs“ gegeben hat.
Es ist wahrhaft erstaunlich zu hören, welch kolossale Summen dieser
Monarch, der sonst bis zum Geiz sparsam war, für diese seine Liebhaberei
bereitwillig geopfert hat, besonders wenn es galt, für seine Regimenter hoch-
gewachsene Leute zu erlangen, und es dürfte deßhalb nicht ohne Jnteresse
für die Leser sein, einige Details darüber zu vernehmen.

Schon als Kronprinz hatte Friedrich Wilhelm bekanntlich in Wuster-
hausen eine Kompagnie Soldaten, die er, so viel als möglich, mit den
größten Leuten, die er auffinden konnte, auszustatten bestrebt war, trotz-
dem sein Vater diese Leidenschaft keineswegs billigte, und der Kronprinz
sich deßhalb genöthigt sah, bei den Besuchen des Königs die Leute in
Heuschobern und an anderen Orten zu verstecken. Als nun Friedrich I.
gestorben war und dem neuen Herrscher kein Hinderniß mehr entgegen-
stand, wurde seine Leidenschaft fast zur Manie, und die schleunigst ver-
mehrte Kompagnie wurde zunächst nach Brandenburg, dann, da die Ber-
liner sie nicht gern aufnehmen wollten, nach Potsdam gebracht, wo die
Kompagnie bald zu einem Regiment anwuchs. Alle langgewachsenen
Unterthanen wurden, so weit dies nur irgend anging, in die Regi-
[Spaltenumbruch] menter, besonders in des Königs Leib=Regiment, die Potsdamer „ Riesen-
Garde “, gesteckt, und da das Land deren nicht genug hatte, so wurden im
Ausland, nicht selten mit List und Gewalt, Werbungen angestellt, bei
denen weder Geld noch Mühe gespart wurde und die mitunter zu ernsten
Zerwürfnissen mit fremden Fürsten führten.

Fast bei jedem Regiment enthielt das erste Glied Mannschaften von
5 Fuß 9, 10 bis 11 Zoll Länge, die Flügelmänner waren fast durch-
gehends 6 Fuß hoch, und Offiziere, die nicht eine ansehnliche Größe auf-
zuweisen hatten, durften nur auf ein langsames Avancement rechnen, ja, der
König schickte sie wohl ohne Umstände fort, sobald er sie sah. So wurde
z. B. ein Herr von Perband, der kaum 5 Fuß maß, erst im dreißigsten
Jahr Unteroffizier und dann, auf besondere Empfehlung seines Obersten,
Fähnrich bei einer Kompagnie in Küstrin. Jn dieser Stellung war er
zehn Jahre gewesen, als der König plötzlich einen andern Fähnrich, der
eine längere Dienstzeit aufzuweisen hatte, an seine Stelle schickte, so daß
Herr von Perband diesem das bisher bezogene Traktament überlassen und
abermals zehn Jahre als überzähliger Fähnrich dienen mußte. Jm Jahr
1745 war der Arme, 65 Jahre alt, Premier=Lieutenant bei einem Re-
giment in Schlesien!

Um also möglichst große Leute zu erlangen, scheute man keine Kosten.
Ein Rekrut Namens Große erhielt 5000 Gulden Handgeld, das Kloster,
dessen Unterthan er war, als Abstandsgeld 1500 Thlr., Transport und
Reisezulage betrugen 200 Thlr.; die Gesammtsumme, die dieser große
Große kostete, belief sich auf 5033 Thlr. 8 Groschen. Dem General
von Schmettau bezahlte der König für einen Flügelmann 5000 Thlr. und
gab der Schwester des Generals eine Stelle in einem Stift!

[Ende Spaltensatz]
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[213/0005] 213 bringen, je unschuldiger ich mich an dem Ursprung jenes Scherzes fühlte, der ja übrigens auch ohne weitere Folgen geblieben war. Melitta's Kälte that mir ernstlich wehe, und gern, gar zu gern hätte ich sie mit mir versöhnt; allein sie wich mir stets aus. Jn Gegenwart des Onkels mit ihr darüber zu reden, war mir höchst peinlich; sich aber von mir unter vier Augen sprechen zu lassen, vermied sie auf das sorgfältigste. Der Onkel, dem ich mein Leid klagte, zuckte die Achseln, lachte und antwortete: „Mach's allein mit ihr aus! Warum hast Du ihr nicht ge- schrieben? Jch kümmere mich nicht um Eure Geschichten!“ Also allein sollte ich es mit ihr ausmachen! Gut! Jch beschloß, den Versuch bei der ersten Gelegenheit zu wagen, und diese Gelegen- heit ließ nicht allzu lange auf sich warten. Eines schönen Morgens fand ich Melitta nach dem Frühstück noch im Wohnzimmer am Fenster sitzend und mit einer Stickerei für den Onkel beschäftigt. Jch setzte mich zu ihr, nachdem ich sie um die Erlaubniß gebeten, die mir auch erröthend mit den Worten: „Wenn es Dir Vergnügen machen kann, hier zu sitzen“, ge- währt wurde. Nachdem wir erst über einige gleichgültige Dinge gesprochen, wo- bei sie niemals aufsah, fing ich an zu beichten. Da schien es mir, als ob sie ihr Köpfchen tiefer zu ihrer Arbeit niederbeugte, als hätte sie irgend einen Fehler entdeckt. Jch war gerade im besten Zuge, da klopfte es, und meine Beichte war gestört. Eine von den Mägden rief Fräulein Melitta aus dem Zimmer ab, und diese eilte denn auch mit einem: „Du entschuldigst mich wohl für heut“, hinaus. Da saß ich nun, ich armer Thor, Und war so klug wohl wie zuvor — d. h. etwas klüger war ich doch, wenn auch meiner Sache noch nicht ganz sicher. Jch legte mir die Frage vor: Warum hat sie Dich nicht anzusehen gewagt, und warum beugte sie ihr Köpfchen bei der Beichte gar so tief auf ihre Arbeit? Jch beantwortete mir diese Frage da- hin: Weil sie Dir wohl nicht mehr ernstlich zürnt und nur nicht zeigen will, daß sie besänftigt ist. Ob ich Recht gehabt, werdet Jhr sehen. Wie Jhr längst errathen habt, hatte sich meine vetterliche Freund- schaft schon auf meiner Reise, ohne daß ich mir es selbst eingestehen wollte, in eine wirkliche Herzensneigung zu Melitta verwandelt. Als ich sie nun nach den drei Jahren so lieblich erblüht wiedersah, da faßte mich ein nie geahntes Sehnen, und ich fühlte, daß ich nicht mehr würde von ihr lassen können. Aber wie stand es mit ihr? Jhr Benehmen mir gegenüber ließ mich gerade nicht schließen, daß sie mir sehr zugethan wäre, und doch war es mir manchmal, als ob sie sich nur zwänge, kalt gegen mich zu sein. Manchmal, wenn sie glaubte, ich bemerke es nicht, traf mich ein warmer Strahl aus ihren dunklen Augen; blickte ich jedoch auf oder wendete ich mich zu ihr, plötzlich war sie wieder mein kaltes, zurückhaltendes Fräulein Cousine. Dieses „Langen und Bangen in schwebender Pein“ wurde mir auf die Dauer unerträglich, und ich beschloß ernstlich, ihm ein Ende zu machen. Es war meines geliebten alten Onkels Geburtstag herangekommen, und ich war an diesem Tage schon sehr früh nach der nahegelegenen Stadt geritten, um das Geschenk, das ich für ihn dort bestellt hatte, abzuholen. Als ich zurückkehrte, ritt ich, um vom Vorderhause aus nicht bemerkt zu werden, durch die Felder, die sich hinter dem Hause ziemlich weit ausdehnten. So vorsichtig ausschauend und mich langsam den Gebäuden nähernd, bemerkte ich plötzlich eine helle Gestalt sich durch die Felder bewegen, und genau hinblickend erkannte ich — Melitta, und zwar allein, einen Strauß Feldblumen für den Onkel pflückend. Augenblicklich trat mir der Vers: „Trifft ein Jemand einen Jemand Jn dem Korn allein, Küßt der Jemand dann den Jemand, Muß der Jemand schrei'n?“ und der immer noch nicht aufgehobene Bann vor die Seele. Von der Gunst des Augenblicks zur kühnen That ermuthigt, sprang ich schnell vom Pferde, band dasselbe an einen nahestehenden Baum, schlich meiner schönen Cousine näher, und ehe sie sich dessen versah, hatte ich sie umschlungen und ihr einen Kuß geraubt. Ein Schrei entwand sich ihren Lippen; sie wollte sich losreißen, doch ich hielt sie fest, flüsterte ihr den Zaubervers und Alles, was ich schon lange auf dem Herzen gehabt, zu, und — sie war mein. Wei- nend lehnte sie ihr Köpfchen an meine Brust. „Ach, Alfred“, sagte sie, „Du warst doch recht schlecht! Während der ganzen langen drei Jahre nicht ein einziges Mal an mich zu den- ken, kein Wörtchen mir zukommen zu lassen! Und ich habe doch so oft an Dich gedacht!“ Als ich ihr jedoch versicherte, wie auch ich stets an sie gedacht, aber nicht gewagt hätte, an „Fräulein Satanella“ zu schreiben, weil ich den nicht aufgehobenen Bann gefürchtet, es mir auch nach der Antwort ihres Vaters geschienen, als ob es ihr am liebsten gewesen, nichts mehr von mir zu hören — da lächelte sie unter Thränen, gab mir meinen Kuß zärtlich zurück und sprach: „Du Bösewicht, ich muß Dir wohl verzeihen!“ Als der Alte uns Arm in Arm zu ihm kommen sah, blickte er uns erst ungläubig an; als wir jedoch vor ihm niederknieten und ihn um seinen Segen baten, flossen Thränen aus seinen Augen, und freudig bewegt umarmte er uns und sagte: „Kinder, Jhr taugt eigentlich Beide nichts; aber daß Jhr mir so meinen liebsten Wunsch erfüllt, ist mein schönstes Geburtstags- geschenk!“ — Alfred hatte seine einfache Erzählung geendet. Theilnehmend waren wir derselben gefolgt, und seines Glückes froh, als wäre es unser eigenes, gaben wir ihm gern das von ihm uns abgeforderte Versprechen, ihn und sein reizendes Weibchen möglichst bald und oft zu besuchen. Darauf sich nach herzlichem Abschied seiner Heimath zuwendend, schlug er sich seitwärts in die Büsche. Wir aber stiegen in den bereit- stehenden Wagen und ventilirten während der Heimfahrt in heiterem Gespräch die glückliche Lösung der brennenden Frage: „Trifft ein Jemand einen Jemand Jn dem Korn allein, Küßt der Jemand dann den Jemand, Muß der Jemand schrei'n?“ Das Riesen=Regiment Friedrich WilhelmsI. von Preußen. Von Dr. A. C. Müller. Wohl keinem Fürsten aller Zeiten sind seine Soldaten verhältniß- mäßig so theuer zu stehen gekommen, als dem zweiten König von Preußen, Friedrich Wilhelm I., dem die Geschichte wegen seiner leidenschaftlichen Vorliebe für das Militär den Namen des „Soldatenkönigs“ gegeben hat. Es ist wahrhaft erstaunlich zu hören, welch kolossale Summen dieser Monarch, der sonst bis zum Geiz sparsam war, für diese seine Liebhaberei bereitwillig geopfert hat, besonders wenn es galt, für seine Regimenter hoch- gewachsene Leute zu erlangen, und es dürfte deßhalb nicht ohne Jnteresse für die Leser sein, einige Details darüber zu vernehmen. Schon als Kronprinz hatte Friedrich Wilhelm bekanntlich in Wuster- hausen eine Kompagnie Soldaten, die er, so viel als möglich, mit den größten Leuten, die er auffinden konnte, auszustatten bestrebt war, trotz- dem sein Vater diese Leidenschaft keineswegs billigte, und der Kronprinz sich deßhalb genöthigt sah, bei den Besuchen des Königs die Leute in Heuschobern und an anderen Orten zu verstecken. Als nun Friedrich I. gestorben war und dem neuen Herrscher kein Hinderniß mehr entgegen- stand, wurde seine Leidenschaft fast zur Manie, und die schleunigst ver- mehrte Kompagnie wurde zunächst nach Brandenburg, dann, da die Ber- liner sie nicht gern aufnehmen wollten, nach Potsdam gebracht, wo die Kompagnie bald zu einem Regiment anwuchs. Alle langgewachsenen Unterthanen wurden, so weit dies nur irgend anging, in die Regi- menter, besonders in des Königs Leib=Regiment, die Potsdamer „ Riesen- Garde “, gesteckt, und da das Land deren nicht genug hatte, so wurden im Ausland, nicht selten mit List und Gewalt, Werbungen angestellt, bei denen weder Geld noch Mühe gespart wurde und die mitunter zu ernsten Zerwürfnissen mit fremden Fürsten führten. Fast bei jedem Regiment enthielt das erste Glied Mannschaften von 5 Fuß 9, 10 bis 11 Zoll Länge, die Flügelmänner waren fast durch- gehends 6 Fuß hoch, und Offiziere, die nicht eine ansehnliche Größe auf- zuweisen hatten, durften nur auf ein langsames Avancement rechnen, ja, der König schickte sie wohl ohne Umstände fort, sobald er sie sah. So wurde z. B. ein Herr von Perband, der kaum 5 Fuß maß, erst im dreißigsten Jahr Unteroffizier und dann, auf besondere Empfehlung seines Obersten, Fähnrich bei einer Kompagnie in Küstrin. Jn dieser Stellung war er zehn Jahre gewesen, als der König plötzlich einen andern Fähnrich, der eine längere Dienstzeit aufzuweisen hatte, an seine Stelle schickte, so daß Herr von Perband diesem das bisher bezogene Traktament überlassen und abermals zehn Jahre als überzähliger Fähnrich dienen mußte. Jm Jahr 1745 war der Arme, 65 Jahre alt, Premier=Lieutenant bei einem Re- giment in Schlesien! Um also möglichst große Leute zu erlangen, scheute man keine Kosten. Ein Rekrut Namens Große erhielt 5000 Gulden Handgeld, das Kloster, dessen Unterthan er war, als Abstandsgeld 1500 Thlr., Transport und Reisezulage betrugen 200 Thlr.; die Gesammtsumme, die dieser große Große kostete, belief sich auf 5033 Thlr. 8 Groschen. Dem General von Schmettau bezahlte der König für einen Flügelmann 5000 Thlr. und gab der Schwester des Generals eine Stelle in einem Stift!

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 27. Berlin, 5. Juli 1868, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt27_1868/5>, abgerufen am 27.07.2024.