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Sonntags-Blatt. Nr. 25. Berlin, 21. Juni 1868.

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[Beginn Spaltensatz] Platz genommen und die von Hunden, Rennthieren, Ochsen, Ziegen-
böcken, ja sogar Schweinen gezogen wurden. Jn der Mitte des
Zuges, in einem großen, seltsam verzierten Käfig, den ein Elephant
trug, saß das originell aufgeputzte Brautpaar. Die Gäste wurden
hierauf in der zu einem Saal umgewandelten Reitbahn des Herzogs
von Kurland bewirthet, jede Völkerschaft mit ihrem Nationalgericht.
[Spaltenumbruch] Nach dem Essen wurden Nationaltänze aufgeführt, und dann das
Brautpaar in sein kühles Brautgemach geführt, vor dessen Thüren
Schildwachen standen, um Niemand vor Tagesanbruch heraus zu
lassen.

Das war eine der letzten Lustbarkeiten der Czarin Anna, die kurze
Zeit darauf ihre Regentenlaufbahn beschloß.

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Die Vermehrung der Mücken. Der große Linn e hat die Natur-
geschichte der Mücken in seiner gewohnten unnachahmlichen Kürze beschrieben.
Die Larven der Mücken leben im Wasser. Ebenfalls ihre zweigehörnten
Puppen, die darin unaufhörlich auf= und niederfahren. Das Jnsekt lebt
in der Luft und auf dem Lande, sticht und macht einen singenden Ton.
Nur die Weibchen stechen. Das Männchen hat bärtige Fühlhörner und
Bartspitzen.

Während die Erd= oder Landmücke, auch Schnake genannt, ihre Eier
mit einem langen Legestachel tief in die Erde legt, damit die jungen Wür-
mer gleich an die Wurzeln der Pflanzen gelangen können, die ihre Nah-
rung bilden, entledigt das Weibchen der Wassermücke sich seiner Eierlast
auf dem nassen Element. Es gehört in der That ein günstiger Augen-
blick dazu, wenn man eine solche Mücke in diesem ihrem mütterlichen Ge-
schäft antreffen will. Dies geschieht zu Anfang Juni, meist auf kleinen
stehenden Gewässern oder auf Sümpfen. Hier sieht man sie schaarenweise
über der Oberfläche herumschwärmen und sich dann auf Blättern, Gras-
stielen, Strohhalmen oder Holzspänchen ein Plätzchen zum Eierlegen aus-
suchen. Nie wird die Mücke sich auf ein fließendes Gewässer wagen, weil
sie da mit dem Gegenstande, auf den sie sich gesetzt, beständig fortschwim-
men und am Eierlegen gehindert werden würde; auch darf sie mit ihren
zarten Füßen überhaupt nicht das Wasser berühren, ohne in die Gefahr
des Ertrinkens zu gerathen.

Hat das Jnsekt sich nun auf einen Gegenstand niedergelassen, so giebt
es seinem Körper eine besondere Stellung. Vorn stemmt es sich mit den
Füßen fest, während es die beiden Hinterfüße auswärts über das Wasser
streckt, sodaß sie unten zusammentreten und einen Winkel bilden. Jn
diesen setzt die Mücke das Ende des Hinterleibes ein und fängt an zu
legen. Auf diese Weise können die einzeln gelegten Eier nicht fortschwim-
men und sich zerstreuen, sondern sie bleiben, nach ihrer Bestimmung, in
einem Häufchen beisammen; denn durch den Winkel der Hinterfüße werden
sie gehalten, und das Thierchen kann immer eins an das andere legen.

Die Eier selbst gleichen an Form den Zuckerhüten; die spitzen Enden
kommen oben, die dickrunden unten zu stehen. Mit diesem Theil kommen
sie zur Welt und werden auf das Wasser gesetzt; sie sind mit einem Klebe-
stoff überzogen, der das Ganze zu einem Häufchen verbindet.

Hat die Mücke ihre Eierlegung, die oft aus 400 einzelnen Eierchen besteht,
vollendet, was nebenbei etwa eine Viertelstunde erfordert, dann stößt sie
dieselben fort in das Wasser und erhebt sich wieder in die Luft, unbeküm-
mert, wie es ihrer Nachkommenschaft ergehe.

Die sich zunächst bildenden Mückenwürmchen durchbrechen nun mit
ihren Zangenbissen den unteren Theil des Eies und bewegen sich sehr munter
im Wasser; hierauf verwandeln sie sich in Puppen mit einem Paar um-
gekehrter Hörner, womit sie Luft schöpfen. Die Puppen bleiben dann so
lange im Wasser, bis die unter ihren Häuten gebildete Mücke zwischen den
beiden Häuten die Hülle sprengt und sich mit ihren langen Füßen heraus
hilft; dann bleibt sie so lange auf der Hülle stehen, bis diese trocken ge-
worden ist, und fliegt davon.

Nimmt man an, daß jede Mücke durchschnittlich nur 300 Eier
legt, wovon die Hälfte aus Weibchen besteht, deren jedes wiederum 300
Eier zu legen im Stande ist, so würde sich die erste Nachkommenschaft
eines Mückenpaars schon auf 45,000, die zweite auf 6,750,000 u. s. f.
belaufen. Dabei vermehren sich die Mücken bei günstiger Witterung drei-
mal im Jahr, während dies bei den anderen Jnsekten nur einmal, höch-
stens zweimal der Fall ist.

Es ist erstaunlich, wie diese Thierchen alle Gelegenheiten zu ihrer
rapiden Vermehrung zu benutzen wissen. Setzt man im Sommer ein
Milchfaß mit Wasser in den Garten und wirft einige Blätter hinein, so
ist binnen vierzehn Tagen Alles von Mückenwürmern lebendig.

Hätte die Vorsehung nicht auch ihnen ihre Grenzen gesetzt, so würden
wir uns in unserem Vaterlande vor Mücken kaum retten können.



M. Musizirende Meerbewohner. Jn der Nähe der Jnsel Siuri und
von Salsette in Ostindien hört man, namentlich bei Sonnenuntergang,
musikalische Töne, die von einer durch den Wind herübergetragenen Musik
herzurühren scheinen. Als Urheber dieser, den Akkorden einer Aeolsharfe
gleichenden Töne, bezeichnen die Eingeborenen einen Fisch, der an Größe
und Gestalt unserm Barsch ähnlich sein soll. Er hält sich in jenem Theile
des Meeres in ungeheurer Anzahl auf und wird von Niemandem beunruhigt.
Von anderer Seite wird dagegen eine auf dem Meeresgrund liegende,
spiralförmige Muschel als der betreffende Musikant bezeichnet, der den
eigenthümlichen musikalischen Ton stark und deutlich angiebt. Es wäre zu
wünschen, daß näher anzustellende Beobachtungen zu bestimmten Auf-
schlüssen darüber führten.



[Spaltenumbruch]

M. Altberlinisches Kneipleben. Die alten Bürger der Jetztzeit
erzählen so gern von dem Kneipleben ihrer braven Väter und Großväter,
von denen sie öfter nach dem Wollank'schen Weinberg oder in das "Spinde"
mitgenommen wurden. Das ominöse Wort "Destillation" kannten unsere
Altvorderen nicht, aber dennoch gab es der Völler viele, und für die
Störer des Nachtfriedens eine Art von antikem Polizeigewahrsam, durch
den sofort eine sociale Strafe an ihnen vollstreckt wurde. Dies waren
namentlich vor den "Bernauer Bierkellern" in der Jörgen= ( jetzigen Königs= )
straße und am Gertrauden=Thor ( an der gleichnamigen Brücke ) die so-
genannten "Narrenkisten", in welche alle Betrunkenen, so man schlafend
oder skandalirend in den betreffenden Stadttheilen vorfand, hineingethan
wurden. Diese Holzbuden hatten vorn ein durchsichtiges, aber festes
Drahtgitter, durch welches das Sonnenlicht fallen und man den Ein-
gesperrten erkennen konnte, was in der Regel den Hohn des Berliner Jan-
hagels hervorrief. Eine solche Verhöhnung war viel schmachvoller als das
Gefängniß in den Thürmen, welche an jedem Stadtthor eingerichtet waren,
um dem Thorschreiber auch noch die Gefangenen=Kontrole aufzubürden.



M. Sonderbare Jagd. Zu einer gewissen Jahreszeit, gewöhnlich im
Februar, März und April, wird Mexiko von großen Schaaren einer den
Wachteln ähnlichen Vogelart durchzogen, die sich von unseren Wachteln
dadurch unterscheidet, daß sie sich auf Bäume setzen. Gewöhnlich halten
sie sich in den Binsen und Gräsern der Savannen versteckt; naht sich aber
ein Jäger, so fliegen sie auf und setzen sich truppweise auf den nächsten
Baum oder Strauch. Der Hund des Jägers verfolgt sie bellend, und die
Wachteln bleiben, von diesem Gebell gleichsam bezaubert, unbeweglich auf
den Zweigen sitzen, so daß sie mit an Ruthen befestigten Schlingen ge-
fangen werden, die man ihnen, während sie den Hund anstarren, um den
Hals wirft. Auf diese Weise werden sie von den Eingeborenen in großer
Menge gefangen; hört aber der Hund auf zu bellen, so fliegt das ganze
Völkchen augenblicklich davon.



M. Russische Todtenpässe. Wir glauben unseren Lesern ein Vergnü-
gen zu machen, wenn wir ihnen den Jnhalt eines Passes mittheilen, den
russische Priester noch zu Anfang dieses Jahrhunderts den Verstorbenen für
Geld und gute Worte mit in das Grab gaben. "Wir N. N. ( Bischof
oder Priester ) allhier bezeugen, daß dieser gegenwärtige N. N. bei uns als
ein rechtschaffener griechischer Christ gelebt, und ob er schon bisweilen ge-
sündigt, doch seine Sünden gebeichtet, die Absolution und das heilige
Abendmahl zur Vergebung derselben empfangen hat. Er hat auch Gott
und seine Heiligen verehrt, nach seiner Pflicht gefastet und gebetet; in-
gleichen hat er sich mit N. N., als seinem Beichtvater, verglichen, daß ihm
seine Sünden vergeben und nichts wider seine Person zu sagen sein
möchte. Deßwegen haben wir ihm diesen Paß ausgestellt, daß er solchen
dem St. Peter und anderen Heiligen vorweise und also ungehindert in die
Thüren der Freude möge eingelassen werden."



M. Die Entstehung von Goethe's "Erlkönig". An einem Apriltage
des Jahres 1781 nahm ein wohlhabender Landwirth bei dem Dorfe Kunitz
sein einziges, von einer bösartigen Krankheit befallenes Kind mit sich auf
sein Pferd und ritt nach Jena, um einen berühmten Professor der Me-
dizin zu konsultiren. Der Professor erklärte, daß er den Knaben nicht zu
retten vermöge, und trostlos jagte der Vater mit dem Kinde vorüber an
dem einsam gelegenen Gasthause "Zur Tanne", nach dem heimischen Dorf
zurück. Ehe er jedoch dasselbe erreichte, war der Liebling in seinen Armen
verschieden.

Goethe kam einige Tage nach dieser Begebenheit in die dortige Ge-
gend, wo man ihm den traurigen Ritt des Landwirths erzählte. Ergriffen
und begeistert von dem Stoff, zog der Dichterkönig sich in das Eckzimmer
"Zur Tanne" zurück und dichtete hier seine herrliche Ballade.



Briefkasten.

Sch. in B.: Einen bestimmten Termin können wir Jhnen unmöglich
angeben. -- Dr. L. M. hier: Besten Dank. Jn einer der ersten Nummern
des neuen Quartals.

[Ende Spaltensatz]

Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. -- Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

[Beginn Spaltensatz] Platz genommen und die von Hunden, Rennthieren, Ochsen, Ziegen-
böcken, ja sogar Schweinen gezogen wurden. Jn der Mitte des
Zuges, in einem großen, seltsam verzierten Käfig, den ein Elephant
trug, saß das originell aufgeputzte Brautpaar. Die Gäste wurden
hierauf in der zu einem Saal umgewandelten Reitbahn des Herzogs
von Kurland bewirthet, jede Völkerschaft mit ihrem Nationalgericht.
[Spaltenumbruch] Nach dem Essen wurden Nationaltänze aufgeführt, und dann das
Brautpaar in sein kühles Brautgemach geführt, vor dessen Thüren
Schildwachen standen, um Niemand vor Tagesanbruch heraus zu
lassen.

Das war eine der letzten Lustbarkeiten der Czarin Anna, die kurze
Zeit darauf ihre Regentenlaufbahn beschloß.

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Die Vermehrung der Mücken. Der große Linn é hat die Natur-
geschichte der Mücken in seiner gewohnten unnachahmlichen Kürze beschrieben.
Die Larven der Mücken leben im Wasser. Ebenfalls ihre zweigehörnten
Puppen, die darin unaufhörlich auf= und niederfahren. Das Jnsekt lebt
in der Luft und auf dem Lande, sticht und macht einen singenden Ton.
Nur die Weibchen stechen. Das Männchen hat bärtige Fühlhörner und
Bartspitzen.

Während die Erd= oder Landmücke, auch Schnake genannt, ihre Eier
mit einem langen Legestachel tief in die Erde legt, damit die jungen Wür-
mer gleich an die Wurzeln der Pflanzen gelangen können, die ihre Nah-
rung bilden, entledigt das Weibchen der Wassermücke sich seiner Eierlast
auf dem nassen Element. Es gehört in der That ein günstiger Augen-
blick dazu, wenn man eine solche Mücke in diesem ihrem mütterlichen Ge-
schäft antreffen will. Dies geschieht zu Anfang Juni, meist auf kleinen
stehenden Gewässern oder auf Sümpfen. Hier sieht man sie schaarenweise
über der Oberfläche herumschwärmen und sich dann auf Blättern, Gras-
stielen, Strohhalmen oder Holzspänchen ein Plätzchen zum Eierlegen aus-
suchen. Nie wird die Mücke sich auf ein fließendes Gewässer wagen, weil
sie da mit dem Gegenstande, auf den sie sich gesetzt, beständig fortschwim-
men und am Eierlegen gehindert werden würde; auch darf sie mit ihren
zarten Füßen überhaupt nicht das Wasser berühren, ohne in die Gefahr
des Ertrinkens zu gerathen.

Hat das Jnsekt sich nun auf einen Gegenstand niedergelassen, so giebt
es seinem Körper eine besondere Stellung. Vorn stemmt es sich mit den
Füßen fest, während es die beiden Hinterfüße auswärts über das Wasser
streckt, sodaß sie unten zusammentreten und einen Winkel bilden. Jn
diesen setzt die Mücke das Ende des Hinterleibes ein und fängt an zu
legen. Auf diese Weise können die einzeln gelegten Eier nicht fortschwim-
men und sich zerstreuen, sondern sie bleiben, nach ihrer Bestimmung, in
einem Häufchen beisammen; denn durch den Winkel der Hinterfüße werden
sie gehalten, und das Thierchen kann immer eins an das andere legen.

Die Eier selbst gleichen an Form den Zuckerhüten; die spitzen Enden
kommen oben, die dickrunden unten zu stehen. Mit diesem Theil kommen
sie zur Welt und werden auf das Wasser gesetzt; sie sind mit einem Klebe-
stoff überzogen, der das Ganze zu einem Häufchen verbindet.

Hat die Mücke ihre Eierlegung, die oft aus 400 einzelnen Eierchen besteht,
vollendet, was nebenbei etwa eine Viertelstunde erfordert, dann stößt sie
dieselben fort in das Wasser und erhebt sich wieder in die Luft, unbeküm-
mert, wie es ihrer Nachkommenschaft ergehe.

Die sich zunächst bildenden Mückenwürmchen durchbrechen nun mit
ihren Zangenbissen den unteren Theil des Eies und bewegen sich sehr munter
im Wasser; hierauf verwandeln sie sich in Puppen mit einem Paar um-
gekehrter Hörner, womit sie Luft schöpfen. Die Puppen bleiben dann so
lange im Wasser, bis die unter ihren Häuten gebildete Mücke zwischen den
beiden Häuten die Hülle sprengt und sich mit ihren langen Füßen heraus
hilft; dann bleibt sie so lange auf der Hülle stehen, bis diese trocken ge-
worden ist, und fliegt davon.

Nimmt man an, daß jede Mücke durchschnittlich nur 300 Eier
legt, wovon die Hälfte aus Weibchen besteht, deren jedes wiederum 300
Eier zu legen im Stande ist, so würde sich die erste Nachkommenschaft
eines Mückenpaars schon auf 45,000, die zweite auf 6,750,000 u. s. f.
belaufen. Dabei vermehren sich die Mücken bei günstiger Witterung drei-
mal im Jahr, während dies bei den anderen Jnsekten nur einmal, höch-
stens zweimal der Fall ist.

Es ist erstaunlich, wie diese Thierchen alle Gelegenheiten zu ihrer
rapiden Vermehrung zu benutzen wissen. Setzt man im Sommer ein
Milchfaß mit Wasser in den Garten und wirft einige Blätter hinein, so
ist binnen vierzehn Tagen Alles von Mückenwürmern lebendig.

Hätte die Vorsehung nicht auch ihnen ihre Grenzen gesetzt, so würden
wir uns in unserem Vaterlande vor Mücken kaum retten können.



M. Musizirende Meerbewohner. Jn der Nähe der Jnsel Siuri und
von Salsette in Ostindien hört man, namentlich bei Sonnenuntergang,
musikalische Töne, die von einer durch den Wind herübergetragenen Musik
herzurühren scheinen. Als Urheber dieser, den Akkorden einer Aeolsharfe
gleichenden Töne, bezeichnen die Eingeborenen einen Fisch, der an Größe
und Gestalt unserm Barsch ähnlich sein soll. Er hält sich in jenem Theile
des Meeres in ungeheurer Anzahl auf und wird von Niemandem beunruhigt.
Von anderer Seite wird dagegen eine auf dem Meeresgrund liegende,
spiralförmige Muschel als der betreffende Musikant bezeichnet, der den
eigenthümlichen musikalischen Ton stark und deutlich angiebt. Es wäre zu
wünschen, daß näher anzustellende Beobachtungen zu bestimmten Auf-
schlüssen darüber führten.



[Spaltenumbruch]

M. Altberlinisches Kneipleben. Die alten Bürger der Jetztzeit
erzählen so gern von dem Kneipleben ihrer braven Väter und Großväter,
von denen sie öfter nach dem Wollank'schen Weinberg oder in das „Spinde“
mitgenommen wurden. Das ominöse Wort „Destillation“ kannten unsere
Altvorderen nicht, aber dennoch gab es der Völler viele, und für die
Störer des Nachtfriedens eine Art von antikem Polizeigewahrsam, durch
den sofort eine sociale Strafe an ihnen vollstreckt wurde. Dies waren
namentlich vor den „Bernauer Bierkellern“ in der Jörgen= ( jetzigen Königs= )
straße und am Gertrauden=Thor ( an der gleichnamigen Brücke ) die so-
genannten „Narrenkisten“, in welche alle Betrunkenen, so man schlafend
oder skandalirend in den betreffenden Stadttheilen vorfand, hineingethan
wurden. Diese Holzbuden hatten vorn ein durchsichtiges, aber festes
Drahtgitter, durch welches das Sonnenlicht fallen und man den Ein-
gesperrten erkennen konnte, was in der Regel den Hohn des Berliner Jan-
hagels hervorrief. Eine solche Verhöhnung war viel schmachvoller als das
Gefängniß in den Thürmen, welche an jedem Stadtthor eingerichtet waren,
um dem Thorschreiber auch noch die Gefangenen=Kontrole aufzubürden.



M. Sonderbare Jagd. Zu einer gewissen Jahreszeit, gewöhnlich im
Februar, März und April, wird Mexiko von großen Schaaren einer den
Wachteln ähnlichen Vogelart durchzogen, die sich von unseren Wachteln
dadurch unterscheidet, daß sie sich auf Bäume setzen. Gewöhnlich halten
sie sich in den Binsen und Gräsern der Savannen versteckt; naht sich aber
ein Jäger, so fliegen sie auf und setzen sich truppweise auf den nächsten
Baum oder Strauch. Der Hund des Jägers verfolgt sie bellend, und die
Wachteln bleiben, von diesem Gebell gleichsam bezaubert, unbeweglich auf
den Zweigen sitzen, so daß sie mit an Ruthen befestigten Schlingen ge-
fangen werden, die man ihnen, während sie den Hund anstarren, um den
Hals wirft. Auf diese Weise werden sie von den Eingeborenen in großer
Menge gefangen; hört aber der Hund auf zu bellen, so fliegt das ganze
Völkchen augenblicklich davon.



M. Russische Todtenpässe. Wir glauben unseren Lesern ein Vergnü-
gen zu machen, wenn wir ihnen den Jnhalt eines Passes mittheilen, den
russische Priester noch zu Anfang dieses Jahrhunderts den Verstorbenen für
Geld und gute Worte mit in das Grab gaben. „Wir N. N. ( Bischof
oder Priester ) allhier bezeugen, daß dieser gegenwärtige N. N. bei uns als
ein rechtschaffener griechischer Christ gelebt, und ob er schon bisweilen ge-
sündigt, doch seine Sünden gebeichtet, die Absolution und das heilige
Abendmahl zur Vergebung derselben empfangen hat. Er hat auch Gott
und seine Heiligen verehrt, nach seiner Pflicht gefastet und gebetet; in-
gleichen hat er sich mit N. N., als seinem Beichtvater, verglichen, daß ihm
seine Sünden vergeben und nichts wider seine Person zu sagen sein
möchte. Deßwegen haben wir ihm diesen Paß ausgestellt, daß er solchen
dem St. Peter und anderen Heiligen vorweise und also ungehindert in die
Thüren der Freude möge eingelassen werden.“



M. Die Entstehung von Goethe's „Erlkönig“. An einem Apriltage
des Jahres 1781 nahm ein wohlhabender Landwirth bei dem Dorfe Kunitz
sein einziges, von einer bösartigen Krankheit befallenes Kind mit sich auf
sein Pferd und ritt nach Jena, um einen berühmten Professor der Me-
dizin zu konsultiren. Der Professor erklärte, daß er den Knaben nicht zu
retten vermöge, und trostlos jagte der Vater mit dem Kinde vorüber an
dem einsam gelegenen Gasthause „Zur Tanne“, nach dem heimischen Dorf
zurück. Ehe er jedoch dasselbe erreichte, war der Liebling in seinen Armen
verschieden.

Goethe kam einige Tage nach dieser Begebenheit in die dortige Ge-
gend, wo man ihm den traurigen Ritt des Landwirths erzählte. Ergriffen
und begeistert von dem Stoff, zog der Dichterkönig sich in das Eckzimmer
„Zur Tanne“ zurück und dichtete hier seine herrliche Ballade.



Briefkasten.

Sch. in B.: Einen bestimmten Termin können wir Jhnen unmöglich
angeben. — Dr. L. M. hier: Besten Dank. Jn einer der ersten Nummern
des neuen Quartals.

[Ende Spaltensatz]

Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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[200/0008] 200 Platz genommen und die von Hunden, Rennthieren, Ochsen, Ziegen- böcken, ja sogar Schweinen gezogen wurden. Jn der Mitte des Zuges, in einem großen, seltsam verzierten Käfig, den ein Elephant trug, saß das originell aufgeputzte Brautpaar. Die Gäste wurden hierauf in der zu einem Saal umgewandelten Reitbahn des Herzogs von Kurland bewirthet, jede Völkerschaft mit ihrem Nationalgericht. Nach dem Essen wurden Nationaltänze aufgeführt, und dann das Brautpaar in sein kühles Brautgemach geführt, vor dessen Thüren Schildwachen standen, um Niemand vor Tagesanbruch heraus zu lassen. Das war eine der letzten Lustbarkeiten der Czarin Anna, die kurze Zeit darauf ihre Regentenlaufbahn beschloß. Lose Blätter. M. Die Vermehrung der Mücken. Der große Linn é hat die Natur- geschichte der Mücken in seiner gewohnten unnachahmlichen Kürze beschrieben. Die Larven der Mücken leben im Wasser. Ebenfalls ihre zweigehörnten Puppen, die darin unaufhörlich auf= und niederfahren. Das Jnsekt lebt in der Luft und auf dem Lande, sticht und macht einen singenden Ton. Nur die Weibchen stechen. Das Männchen hat bärtige Fühlhörner und Bartspitzen. Während die Erd= oder Landmücke, auch Schnake genannt, ihre Eier mit einem langen Legestachel tief in die Erde legt, damit die jungen Wür- mer gleich an die Wurzeln der Pflanzen gelangen können, die ihre Nah- rung bilden, entledigt das Weibchen der Wassermücke sich seiner Eierlast auf dem nassen Element. Es gehört in der That ein günstiger Augen- blick dazu, wenn man eine solche Mücke in diesem ihrem mütterlichen Ge- schäft antreffen will. Dies geschieht zu Anfang Juni, meist auf kleinen stehenden Gewässern oder auf Sümpfen. Hier sieht man sie schaarenweise über der Oberfläche herumschwärmen und sich dann auf Blättern, Gras- stielen, Strohhalmen oder Holzspänchen ein Plätzchen zum Eierlegen aus- suchen. Nie wird die Mücke sich auf ein fließendes Gewässer wagen, weil sie da mit dem Gegenstande, auf den sie sich gesetzt, beständig fortschwim- men und am Eierlegen gehindert werden würde; auch darf sie mit ihren zarten Füßen überhaupt nicht das Wasser berühren, ohne in die Gefahr des Ertrinkens zu gerathen. Hat das Jnsekt sich nun auf einen Gegenstand niedergelassen, so giebt es seinem Körper eine besondere Stellung. Vorn stemmt es sich mit den Füßen fest, während es die beiden Hinterfüße auswärts über das Wasser streckt, sodaß sie unten zusammentreten und einen Winkel bilden. Jn diesen setzt die Mücke das Ende des Hinterleibes ein und fängt an zu legen. Auf diese Weise können die einzeln gelegten Eier nicht fortschwim- men und sich zerstreuen, sondern sie bleiben, nach ihrer Bestimmung, in einem Häufchen beisammen; denn durch den Winkel der Hinterfüße werden sie gehalten, und das Thierchen kann immer eins an das andere legen. Die Eier selbst gleichen an Form den Zuckerhüten; die spitzen Enden kommen oben, die dickrunden unten zu stehen. Mit diesem Theil kommen sie zur Welt und werden auf das Wasser gesetzt; sie sind mit einem Klebe- stoff überzogen, der das Ganze zu einem Häufchen verbindet. Hat die Mücke ihre Eierlegung, die oft aus 400 einzelnen Eierchen besteht, vollendet, was nebenbei etwa eine Viertelstunde erfordert, dann stößt sie dieselben fort in das Wasser und erhebt sich wieder in die Luft, unbeküm- mert, wie es ihrer Nachkommenschaft ergehe. Die sich zunächst bildenden Mückenwürmchen durchbrechen nun mit ihren Zangenbissen den unteren Theil des Eies und bewegen sich sehr munter im Wasser; hierauf verwandeln sie sich in Puppen mit einem Paar um- gekehrter Hörner, womit sie Luft schöpfen. Die Puppen bleiben dann so lange im Wasser, bis die unter ihren Häuten gebildete Mücke zwischen den beiden Häuten die Hülle sprengt und sich mit ihren langen Füßen heraus hilft; dann bleibt sie so lange auf der Hülle stehen, bis diese trocken ge- worden ist, und fliegt davon. Nimmt man an, daß jede Mücke durchschnittlich nur 300 Eier legt, wovon die Hälfte aus Weibchen besteht, deren jedes wiederum 300 Eier zu legen im Stande ist, so würde sich die erste Nachkommenschaft eines Mückenpaars schon auf 45,000, die zweite auf 6,750,000 u. s. f. belaufen. Dabei vermehren sich die Mücken bei günstiger Witterung drei- mal im Jahr, während dies bei den anderen Jnsekten nur einmal, höch- stens zweimal der Fall ist. Es ist erstaunlich, wie diese Thierchen alle Gelegenheiten zu ihrer rapiden Vermehrung zu benutzen wissen. Setzt man im Sommer ein Milchfaß mit Wasser in den Garten und wirft einige Blätter hinein, so ist binnen vierzehn Tagen Alles von Mückenwürmern lebendig. Hätte die Vorsehung nicht auch ihnen ihre Grenzen gesetzt, so würden wir uns in unserem Vaterlande vor Mücken kaum retten können. M. Musizirende Meerbewohner. Jn der Nähe der Jnsel Siuri und von Salsette in Ostindien hört man, namentlich bei Sonnenuntergang, musikalische Töne, die von einer durch den Wind herübergetragenen Musik herzurühren scheinen. Als Urheber dieser, den Akkorden einer Aeolsharfe gleichenden Töne, bezeichnen die Eingeborenen einen Fisch, der an Größe und Gestalt unserm Barsch ähnlich sein soll. Er hält sich in jenem Theile des Meeres in ungeheurer Anzahl auf und wird von Niemandem beunruhigt. Von anderer Seite wird dagegen eine auf dem Meeresgrund liegende, spiralförmige Muschel als der betreffende Musikant bezeichnet, der den eigenthümlichen musikalischen Ton stark und deutlich angiebt. Es wäre zu wünschen, daß näher anzustellende Beobachtungen zu bestimmten Auf- schlüssen darüber führten. M. Altberlinisches Kneipleben. Die alten Bürger der Jetztzeit erzählen so gern von dem Kneipleben ihrer braven Väter und Großväter, von denen sie öfter nach dem Wollank'schen Weinberg oder in das „Spinde“ mitgenommen wurden. Das ominöse Wort „Destillation“ kannten unsere Altvorderen nicht, aber dennoch gab es der Völler viele, und für die Störer des Nachtfriedens eine Art von antikem Polizeigewahrsam, durch den sofort eine sociale Strafe an ihnen vollstreckt wurde. Dies waren namentlich vor den „Bernauer Bierkellern“ in der Jörgen= ( jetzigen Königs= ) straße und am Gertrauden=Thor ( an der gleichnamigen Brücke ) die so- genannten „Narrenkisten“, in welche alle Betrunkenen, so man schlafend oder skandalirend in den betreffenden Stadttheilen vorfand, hineingethan wurden. Diese Holzbuden hatten vorn ein durchsichtiges, aber festes Drahtgitter, durch welches das Sonnenlicht fallen und man den Ein- gesperrten erkennen konnte, was in der Regel den Hohn des Berliner Jan- hagels hervorrief. Eine solche Verhöhnung war viel schmachvoller als das Gefängniß in den Thürmen, welche an jedem Stadtthor eingerichtet waren, um dem Thorschreiber auch noch die Gefangenen=Kontrole aufzubürden. M. Sonderbare Jagd. Zu einer gewissen Jahreszeit, gewöhnlich im Februar, März und April, wird Mexiko von großen Schaaren einer den Wachteln ähnlichen Vogelart durchzogen, die sich von unseren Wachteln dadurch unterscheidet, daß sie sich auf Bäume setzen. Gewöhnlich halten sie sich in den Binsen und Gräsern der Savannen versteckt; naht sich aber ein Jäger, so fliegen sie auf und setzen sich truppweise auf den nächsten Baum oder Strauch. Der Hund des Jägers verfolgt sie bellend, und die Wachteln bleiben, von diesem Gebell gleichsam bezaubert, unbeweglich auf den Zweigen sitzen, so daß sie mit an Ruthen befestigten Schlingen ge- fangen werden, die man ihnen, während sie den Hund anstarren, um den Hals wirft. Auf diese Weise werden sie von den Eingeborenen in großer Menge gefangen; hört aber der Hund auf zu bellen, so fliegt das ganze Völkchen augenblicklich davon. M. Russische Todtenpässe. Wir glauben unseren Lesern ein Vergnü- gen zu machen, wenn wir ihnen den Jnhalt eines Passes mittheilen, den russische Priester noch zu Anfang dieses Jahrhunderts den Verstorbenen für Geld und gute Worte mit in das Grab gaben. „Wir N. N. ( Bischof oder Priester ) allhier bezeugen, daß dieser gegenwärtige N. N. bei uns als ein rechtschaffener griechischer Christ gelebt, und ob er schon bisweilen ge- sündigt, doch seine Sünden gebeichtet, die Absolution und das heilige Abendmahl zur Vergebung derselben empfangen hat. Er hat auch Gott und seine Heiligen verehrt, nach seiner Pflicht gefastet und gebetet; in- gleichen hat er sich mit N. N., als seinem Beichtvater, verglichen, daß ihm seine Sünden vergeben und nichts wider seine Person zu sagen sein möchte. Deßwegen haben wir ihm diesen Paß ausgestellt, daß er solchen dem St. Peter und anderen Heiligen vorweise und also ungehindert in die Thüren der Freude möge eingelassen werden.“ M. Die Entstehung von Goethe's „Erlkönig“. An einem Apriltage des Jahres 1781 nahm ein wohlhabender Landwirth bei dem Dorfe Kunitz sein einziges, von einer bösartigen Krankheit befallenes Kind mit sich auf sein Pferd und ritt nach Jena, um einen berühmten Professor der Me- dizin zu konsultiren. Der Professor erklärte, daß er den Knaben nicht zu retten vermöge, und trostlos jagte der Vater mit dem Kinde vorüber an dem einsam gelegenen Gasthause „Zur Tanne“, nach dem heimischen Dorf zurück. Ehe er jedoch dasselbe erreichte, war der Liebling in seinen Armen verschieden. Goethe kam einige Tage nach dieser Begebenheit in die dortige Ge- gend, wo man ihm den traurigen Ritt des Landwirths erzählte. Ergriffen und begeistert von dem Stoff, zog der Dichterkönig sich in das Eckzimmer „Zur Tanne“ zurück und dichtete hier seine herrliche Ballade. Briefkasten. Sch. in B.: Einen bestimmten Termin können wir Jhnen unmöglich angeben. — Dr. L. M. hier: Besten Dank. Jn einer der ersten Nummern des neuen Quartals. Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 25. Berlin, 21. Juni 1868, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt25_1868/8>, abgerufen am 16.07.2024.