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Sonntags-Blatt. Nr. 21. Berlin, 24. Mai 1868.

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[Beginn Spaltensatz] sucht haben, was jetzt die Kunst gethan: ihre Vereinigung. Die
Salzablagerungen, mit welchen der Boden des See's bedeckt ist, be-
weisen das zur Genüge, und die Gesellschaft hat nicht unterlassen,
von dem gewonnenen Salz ein Probestück in Form einer Säule auf
der Jndustrie=Ausstellung aufzustellen. Die Gegner des Kanalbaues
behaupten, diese Bitterseen werden in ihrer großen Ausdehnung ein
inneres Meer bilden, wo die Fahrzeuge dem Sturm und der Flut
immer noch ausgesetzt sein werden.

Auch dem will die Gesellschaft vorbeugen durch Ausführung von
Arbeiten, welche der Schifffahrt den nöthigen Schutz gewähren, ob-
gleich die Nothwendigkeit desselben von sachkundiger Seite bezweifelt
wird. Schwerlich sind Erdarbeiten -- und darauf beschränkt sich, der
großen Hauptsache nach, die Arbeit des Kanalbaues -- jemals bis auf
den heutigen Tag von ähnlichem Umfange ausgeführt worden. Man
[Spaltenumbruch] erinnere sich, wie ganz Paris über die Abtragung des Trocadero
erstaunt war, die, um das Marsfeld für die Jndustrie=Ausstellung zu
ebenen, vorgenommen worden. Vier Millionen Kubikmeter Erde sind
dort zu versetzen gewesen; aber was will das sagen gegen die siebzig
Millionen des Suezkanals? Mehr als dies überrascht die Fachmänner
die Einfachheit der Mittel, mit denen man so Außerordentliches ge-
leistet hat.

Wenn das Projekt der preußischen Regierung sich verwirklichen,
wenn in Abessynien wirklich eine deutsche Kolonie begründet werden
sollte, so dürfte der Kanal noch ein besonderes Jnteresse für uns
erhalten. Nur in Voraussetzung der neuen Seestraße kann ein solcher
Kolonisationsplan gefaßt worden sein; nur eine starke Frequenz der-
selben vermag einer deutschen Niederlassung in jenem Lande zu einiger
Bedeutung zu verhelfen.

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Fanatismus und Länge in den Taufnamen. Während der
schwärmerischen Zeiten unter Cromwell plünderte man zu diesem Zweck
nicht nur die genealogischen Tabellen und andere Namensverzeichnisse des
alten Testaments, sondern auch Sammlungen von Sprüchwörtern und Sen-
tenzen, ja man nahm selbst ganze Bibelsprüche dazu. Am originellsten in
dieser Beziehung war der Name eines Engländers, der vollständig lautete:
"Wäre Christus nicht für mich gestorben, so wäre ich ewig verdammt
Barebone". Der Vater dieses Kindes verfehlte indessen völlig den dabei
beabsichtigten Zweck: aus dem christlichsten Namen ward der allerunchrist-
lichste. Wer konnte die ganze Litanei hersagen? Man behalf sich also mit
dem letzten Wort des langen Taufnamens, und so hieß der gute Mensch
immer der "verdammte Barebone" ( damn'd B. ) .

Während bei anderen Menschenkindern die erstaunliche Länge der Vor-
namen abgekommen ist, findet man sie bei fürstlichen Kindern oft durch die
Menge ersetzt. So führte noch vor fünfzig Jahren der zweite Sprosse des
verstorbenen Königs beider Sicilien die ganze Last von Vornamen:
Januarius Karl Franz Joseph Johann Baptista Anton Ferdinand Kaspar
Melchior Balthasar Franz de Paula Kajetan Agnello Raimund Pasqual
Zeno Julius Johann von Nepomuk.



M. Der ärztliche Tanz bei den Jndiern. Die Trommel in Jndien
dient zu einem ganz entgegengesetzten Zweck: man gebraucht sie, um
Krankheiten zu beschwören oder zu beruhigen, um die Sterbenden vom
Tode zu retten, mit einem Wort, als geistiges und körperliches Heil-
mittel. Sobald alle anderen Mittel der Heilkunst erschöpft sind, greift
man zu dem letzten, der magischen Kraft der Trommel. Die Familie ver-
sammelt sich um das Lager des Sterbenden; der Vater, die Mutter, die
Frau oder das älteste Kind, gewöhnlich aber eine Person weiblichen Ge-
schlechts, beginnt unter dem langsamen, traurigen Takt der Trommel zu
ächzen und zu stöhnen, erhebt dabei ihre Stimme mehr und mehr und
endigt in einem wahren Angstgeheul, das herz= und ohrzerreißend ist.
Plötzlich schlägt dann die Trommel eine lebhafte Tanzmelodie, die An-
wesenden bilden eine feierliche Runde, und während die trauernde Person
schluchzt und jammert, tanzen die Uebrigen, bis sie den Kranken durch
ihren Höllenlärm in das Jenseits befördern helfen. Je schwächer der
Unglückliche wird, um so stärker wird die Trommel gerührt. Der Lärm
und Tumult werden endlich so entsetzlich, daß sie den wildesten Sturm
übertönen. Die Eingeborenen nennen diese Ceremonie den ärztlichen Tanz.



M. Naturhistorische Merkwürdigkeit. Wie der große Naturforscher
Forbes versichert, besitzt eine gewisse Gattung von Seesternen, Luidia ge-
nannt, die merkwürdige Fähigkeit, sich plötzlich selbst zu vernichten, indem
sie in dem Augenblick, wo sie sich gefangen fühlt, sämmtliche Glieder ab-
löst und als ein unförmlicher Haufe Fragmente in sich selbst zusammen-
fällt. "Eines Tages", schreibt Forbes, "bekam ich wieder ein sehr großes
und schönes Exemplar ins Schleppnetz; als aber dieses aufgezogen wurde
und an das Tageslicht kam, zerbröckelte sich das Thier im Nu, alle Ex-
tremitäten glitten durch die Maschen des Netzes, und nur der Rumpf ver-
blieb, weil er nicht entweichen konnte. An ihm hing noch ein einziger
Zacken, auf dem sich ein Auge befand; und dieses Auge", sagt Forbes,
"blickte so höhnisch und tückisch, als ob es sagen wollte: Du hast mich doch
nicht ganz bekommen!" Und in der That soll kein zoologisches Kabinet ein
vollständig ausgewachsenes Exemplar besitzen. Jm Uebrigen vermögen diese
Seesterne ihre verlorenen Gliedmaßen wieder zu ersetzen.



M. Das Musikverbot in Schweden. Bei den alten Schweden war
die Musik durch Gesetze völlig verboten, und Alle, die sich dennoch damit
beschäftigten, galten für anrüchig und staatsgefährlich. Vor der Regierung
Gustav Wasa's existirte ein Gesetz, welches alle Musiker aus dem Lande
[Spaltenumbruch] verbannte und deren Todtschlag erlaubte, wo man sie betreffen würde.
Ein solcher Todtschlag, sagt Archenholz, galt für einen Spaß, und der
Mörder war nur verbunden, den Erben des Erschlagenen ein Paar neue
Schuhe, ein Paar Handschuhe und ein Kalb zu geben. Aber selbst diese
jämmerliche Entschädigung wurde häufig illusorisch, und der Erbe konnte
keinen Anspruch darauf machen, wenn er sich nicht einer Prüfung unter-
zog. Man bestrich nämlich den Schweif des Kalbes mit Fett und trieb
das Thier einen Hügel hinan; derjenige, welcher auf Entschädigung An-
spruch machte, mußte den Schweif mit beiden Händen fassen, während der
Mörder das Thier antrieb. Konnte Jener dasselbe festhalten, so wurde es
ihm zugesprochen, andernfalls verlor er seine Ansprüche. Dies barbarische
Gesetz wurde im Jahre 1523 aufgehoben.



M. Das Alter der Chinesen. Jn einer Geschichts=Urkunde des
"himmlischen Reiches kommen die merkwürdigen Worte vor: "Um diese
Zeit wurde die Welt erschaffen". Zur größeren Deutlichkeit ist eine Ab-
bildung hinzugefügt, die einen Mandarinen in den Wolken zeigt, welcher
durch ein Fernrohr der Erschaffung zusieht.



M. Der Bijouteriewurm. Zu den Naturmerkwürdigkeiten in Char-
leston ( Amerika ) zählt ein kleiner Wurm, der auf den Blättern des wilden
Weinstocks lebt, wie ein Stückchen weißer Zwirn aussieht und fast be-
wegungslos ist. Nimmt man aber das Blatt ab und legt es im Zimmer
unter eine Glasglocke, so wächst der kleine weiße Faden in vierundzwanzig
Stunden zu einer ziemlich großen, schönfarbigen und mit goldenen Punkten
besetzten Raupe heran. Nach ihrer Ausbildung kriecht das Thier an dem
Glase empor, hängt sich dort an und krümmt sich in die verschiedenartigsten
Formen, welche die herrlichsten Modelle zu Ohrringen, Brochen, Nadeln
geben. Hiervon hat das Geschöpf seinen Namen erhalten.



M. Die Blumen=Uhr. Auf der Jnsel Ceylon wächst eine Pflanze,
von den Eingeborenen "Sindricamal" genannt, deren Blume ihnen einiger-
maßen zur Bestimmung der Zeit dient. Die Blume besitzt nämlich die
Eigenschaft, daß sie von vier Uhr Nachmittags bis vier Uhr Morgens be-
ständig geöffnet, die übrigen zwölf Stnnden aber geschlossen bleibt. Die
Einwohner ziehen diese Blume in ihren Gärten, um an ihr, besonders bei
trübem Wetter oder wenn man die Annäherung des Morgens auf andere
Art nicht entdecken kann, die Tageszeit zu erfahren.



M. Seltsame Kerker. Wie alle Kurden, haben auch die Yezdi einen
unwiderstehlichen Hang zum Stehlen. Soll aber ein solcher Uebelthäter
seine Strafe dafür erleiden, so sind weder Gefängnisse noch Wächter
nöthig. Es genügt, auf der Erde um den Gefangenen einen Kreis zu
ziehen, den zu überschreiten der Arrestant lieber vor Hunger sterben würde.
So wartet er denn geduldig den Augenblick ab, wo der Zauberkreis wieder
verwischt und er in Freiheit gesetzt wird.



M. Die Gelehrten des alten George. Alexander von Humboldt
wohnte im Jahre 1807 in einem Seitenhause des damals weit berühmten
George'schen Gartens; in einem andern Seitenhause wohnte Johannes
von Müller, der Geschichtsforscher, und in einem Gartenhause der Phi-
losoph Fichte. Der alte George, ein reicher Branntweinbrenner, ver-
absäumte es niemals, den Fremden, welche seinen Garten in Augenschein
nahmen, auch auf "seine Gelehrten" sich etwas zu Gute zu thun. "Hier
hab' ich den Humboldt", sagte er, "hier den berühmten Müller, und hier
auch den Fichte, der aber nur ein Philosoph sein soll."

[Ende Spaltensatz]

Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. -- Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

[Beginn Spaltensatz] sucht haben, was jetzt die Kunst gethan: ihre Vereinigung. Die
Salzablagerungen, mit welchen der Boden des See's bedeckt ist, be-
weisen das zur Genüge, und die Gesellschaft hat nicht unterlassen,
von dem gewonnenen Salz ein Probestück in Form einer Säule auf
der Jndustrie=Ausstellung aufzustellen. Die Gegner des Kanalbaues
behaupten, diese Bitterseen werden in ihrer großen Ausdehnung ein
inneres Meer bilden, wo die Fahrzeuge dem Sturm und der Flut
immer noch ausgesetzt sein werden.

Auch dem will die Gesellschaft vorbeugen durch Ausführung von
Arbeiten, welche der Schifffahrt den nöthigen Schutz gewähren, ob-
gleich die Nothwendigkeit desselben von sachkundiger Seite bezweifelt
wird. Schwerlich sind Erdarbeiten — und darauf beschränkt sich, der
großen Hauptsache nach, die Arbeit des Kanalbaues — jemals bis auf
den heutigen Tag von ähnlichem Umfange ausgeführt worden. Man
[Spaltenumbruch] erinnere sich, wie ganz Paris über die Abtragung des Trocadero
erstaunt war, die, um das Marsfeld für die Jndustrie=Ausstellung zu
ebenen, vorgenommen worden. Vier Millionen Kubikmeter Erde sind
dort zu versetzen gewesen; aber was will das sagen gegen die siebzig
Millionen des Suezkanals? Mehr als dies überrascht die Fachmänner
die Einfachheit der Mittel, mit denen man so Außerordentliches ge-
leistet hat.

Wenn das Projekt der preußischen Regierung sich verwirklichen,
wenn in Abessynien wirklich eine deutsche Kolonie begründet werden
sollte, so dürfte der Kanal noch ein besonderes Jnteresse für uns
erhalten. Nur in Voraussetzung der neuen Seestraße kann ein solcher
Kolonisationsplan gefaßt worden sein; nur eine starke Frequenz der-
selben vermag einer deutschen Niederlassung in jenem Lande zu einiger
Bedeutung zu verhelfen.

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Fanatismus und Länge in den Taufnamen. Während der
schwärmerischen Zeiten unter Cromwell plünderte man zu diesem Zweck
nicht nur die genealogischen Tabellen und andere Namensverzeichnisse des
alten Testaments, sondern auch Sammlungen von Sprüchwörtern und Sen-
tenzen, ja man nahm selbst ganze Bibelsprüche dazu. Am originellsten in
dieser Beziehung war der Name eines Engländers, der vollständig lautete:
„Wäre Christus nicht für mich gestorben, so wäre ich ewig verdammt
Barebone“. Der Vater dieses Kindes verfehlte indessen völlig den dabei
beabsichtigten Zweck: aus dem christlichsten Namen ward der allerunchrist-
lichste. Wer konnte die ganze Litanei hersagen? Man behalf sich also mit
dem letzten Wort des langen Taufnamens, und so hieß der gute Mensch
immer der „verdammte Barebone“ ( damn'd B. ) .

Während bei anderen Menschenkindern die erstaunliche Länge der Vor-
namen abgekommen ist, findet man sie bei fürstlichen Kindern oft durch die
Menge ersetzt. So führte noch vor fünfzig Jahren der zweite Sprosse des
verstorbenen Königs beider Sicilien die ganze Last von Vornamen:
Januarius Karl Franz Joseph Johann Baptista Anton Ferdinand Kaspar
Melchior Balthasar Franz de Paula Kajetan Agnello Raimund Pasqual
Zeno Julius Johann von Nepomuk.



M. Der ärztliche Tanz bei den Jndiern. Die Trommel in Jndien
dient zu einem ganz entgegengesetzten Zweck: man gebraucht sie, um
Krankheiten zu beschwören oder zu beruhigen, um die Sterbenden vom
Tode zu retten, mit einem Wort, als geistiges und körperliches Heil-
mittel. Sobald alle anderen Mittel der Heilkunst erschöpft sind, greift
man zu dem letzten, der magischen Kraft der Trommel. Die Familie ver-
sammelt sich um das Lager des Sterbenden; der Vater, die Mutter, die
Frau oder das älteste Kind, gewöhnlich aber eine Person weiblichen Ge-
schlechts, beginnt unter dem langsamen, traurigen Takt der Trommel zu
ächzen und zu stöhnen, erhebt dabei ihre Stimme mehr und mehr und
endigt in einem wahren Angstgeheul, das herz= und ohrzerreißend ist.
Plötzlich schlägt dann die Trommel eine lebhafte Tanzmelodie, die An-
wesenden bilden eine feierliche Runde, und während die trauernde Person
schluchzt und jammert, tanzen die Uebrigen, bis sie den Kranken durch
ihren Höllenlärm in das Jenseits befördern helfen. Je schwächer der
Unglückliche wird, um so stärker wird die Trommel gerührt. Der Lärm
und Tumult werden endlich so entsetzlich, daß sie den wildesten Sturm
übertönen. Die Eingeborenen nennen diese Ceremonie den ärztlichen Tanz.



M. Naturhistorische Merkwürdigkeit. Wie der große Naturforscher
Forbes versichert, besitzt eine gewisse Gattung von Seesternen, Luidia ge-
nannt, die merkwürdige Fähigkeit, sich plötzlich selbst zu vernichten, indem
sie in dem Augenblick, wo sie sich gefangen fühlt, sämmtliche Glieder ab-
löst und als ein unförmlicher Haufe Fragmente in sich selbst zusammen-
fällt. „Eines Tages“, schreibt Forbes, „bekam ich wieder ein sehr großes
und schönes Exemplar ins Schleppnetz; als aber dieses aufgezogen wurde
und an das Tageslicht kam, zerbröckelte sich das Thier im Nu, alle Ex-
tremitäten glitten durch die Maschen des Netzes, und nur der Rumpf ver-
blieb, weil er nicht entweichen konnte. An ihm hing noch ein einziger
Zacken, auf dem sich ein Auge befand; und dieses Auge“, sagt Forbes,
„blickte so höhnisch und tückisch, als ob es sagen wollte: Du hast mich doch
nicht ganz bekommen!“ Und in der That soll kein zoologisches Kabinet ein
vollständig ausgewachsenes Exemplar besitzen. Jm Uebrigen vermögen diese
Seesterne ihre verlorenen Gliedmaßen wieder zu ersetzen.



M. Das Musikverbot in Schweden. Bei den alten Schweden war
die Musik durch Gesetze völlig verboten, und Alle, die sich dennoch damit
beschäftigten, galten für anrüchig und staatsgefährlich. Vor der Regierung
Gustav Wasa's existirte ein Gesetz, welches alle Musiker aus dem Lande
[Spaltenumbruch] verbannte und deren Todtschlag erlaubte, wo man sie betreffen würde.
Ein solcher Todtschlag, sagt Archenholz, galt für einen Spaß, und der
Mörder war nur verbunden, den Erben des Erschlagenen ein Paar neue
Schuhe, ein Paar Handschuhe und ein Kalb zu geben. Aber selbst diese
jämmerliche Entschädigung wurde häufig illusorisch, und der Erbe konnte
keinen Anspruch darauf machen, wenn er sich nicht einer Prüfung unter-
zog. Man bestrich nämlich den Schweif des Kalbes mit Fett und trieb
das Thier einen Hügel hinan; derjenige, welcher auf Entschädigung An-
spruch machte, mußte den Schweif mit beiden Händen fassen, während der
Mörder das Thier antrieb. Konnte Jener dasselbe festhalten, so wurde es
ihm zugesprochen, andernfalls verlor er seine Ansprüche. Dies barbarische
Gesetz wurde im Jahre 1523 aufgehoben.



M. Das Alter der Chinesen. Jn einer Geschichts=Urkunde des
„himmlischen Reiches kommen die merkwürdigen Worte vor: „Um diese
Zeit wurde die Welt erschaffen“. Zur größeren Deutlichkeit ist eine Ab-
bildung hinzugefügt, die einen Mandarinen in den Wolken zeigt, welcher
durch ein Fernrohr der Erschaffung zusieht.



M. Der Bijouteriewurm. Zu den Naturmerkwürdigkeiten in Char-
leston ( Amerika ) zählt ein kleiner Wurm, der auf den Blättern des wilden
Weinstocks lebt, wie ein Stückchen weißer Zwirn aussieht und fast be-
wegungslos ist. Nimmt man aber das Blatt ab und legt es im Zimmer
unter eine Glasglocke, so wächst der kleine weiße Faden in vierundzwanzig
Stunden zu einer ziemlich großen, schönfarbigen und mit goldenen Punkten
besetzten Raupe heran. Nach ihrer Ausbildung kriecht das Thier an dem
Glase empor, hängt sich dort an und krümmt sich in die verschiedenartigsten
Formen, welche die herrlichsten Modelle zu Ohrringen, Brochen, Nadeln
geben. Hiervon hat das Geschöpf seinen Namen erhalten.



M. Die Blumen=Uhr. Auf der Jnsel Ceylon wächst eine Pflanze,
von den Eingeborenen „Sindricamal“ genannt, deren Blume ihnen einiger-
maßen zur Bestimmung der Zeit dient. Die Blume besitzt nämlich die
Eigenschaft, daß sie von vier Uhr Nachmittags bis vier Uhr Morgens be-
ständig geöffnet, die übrigen zwölf Stnnden aber geschlossen bleibt. Die
Einwohner ziehen diese Blume in ihren Gärten, um an ihr, besonders bei
trübem Wetter oder wenn man die Annäherung des Morgens auf andere
Art nicht entdecken kann, die Tageszeit zu erfahren.



M. Seltsame Kerker. Wie alle Kurden, haben auch die Yezdi einen
unwiderstehlichen Hang zum Stehlen. Soll aber ein solcher Uebelthäter
seine Strafe dafür erleiden, so sind weder Gefängnisse noch Wächter
nöthig. Es genügt, auf der Erde um den Gefangenen einen Kreis zu
ziehen, den zu überschreiten der Arrestant lieber vor Hunger sterben würde.
So wartet er denn geduldig den Augenblick ab, wo der Zauberkreis wieder
verwischt und er in Freiheit gesetzt wird.



M. Die Gelehrten des alten George. Alexander von Humboldt
wohnte im Jahre 1807 in einem Seitenhause des damals weit berühmten
George'schen Gartens; in einem andern Seitenhause wohnte Johannes
von Müller, der Geschichtsforscher, und in einem Gartenhause der Phi-
losoph Fichte. Der alte George, ein reicher Branntweinbrenner, ver-
absäumte es niemals, den Fremden, welche seinen Garten in Augenschein
nahmen, auch auf „seine Gelehrten“ sich etwas zu Gute zu thun. „Hier
hab' ich den Humboldt“, sagte er, „hier den berühmten Müller, und hier
auch den Fichte, der aber nur ein Philosoph sein soll.“

[Ende Spaltensatz]

☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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[168/0008] 168 sucht haben, was jetzt die Kunst gethan: ihre Vereinigung. Die Salzablagerungen, mit welchen der Boden des See's bedeckt ist, be- weisen das zur Genüge, und die Gesellschaft hat nicht unterlassen, von dem gewonnenen Salz ein Probestück in Form einer Säule auf der Jndustrie=Ausstellung aufzustellen. Die Gegner des Kanalbaues behaupten, diese Bitterseen werden in ihrer großen Ausdehnung ein inneres Meer bilden, wo die Fahrzeuge dem Sturm und der Flut immer noch ausgesetzt sein werden. Auch dem will die Gesellschaft vorbeugen durch Ausführung von Arbeiten, welche der Schifffahrt den nöthigen Schutz gewähren, ob- gleich die Nothwendigkeit desselben von sachkundiger Seite bezweifelt wird. Schwerlich sind Erdarbeiten — und darauf beschränkt sich, der großen Hauptsache nach, die Arbeit des Kanalbaues — jemals bis auf den heutigen Tag von ähnlichem Umfange ausgeführt worden. Man erinnere sich, wie ganz Paris über die Abtragung des Trocadero erstaunt war, die, um das Marsfeld für die Jndustrie=Ausstellung zu ebenen, vorgenommen worden. Vier Millionen Kubikmeter Erde sind dort zu versetzen gewesen; aber was will das sagen gegen die siebzig Millionen des Suezkanals? Mehr als dies überrascht die Fachmänner die Einfachheit der Mittel, mit denen man so Außerordentliches ge- leistet hat. Wenn das Projekt der preußischen Regierung sich verwirklichen, wenn in Abessynien wirklich eine deutsche Kolonie begründet werden sollte, so dürfte der Kanal noch ein besonderes Jnteresse für uns erhalten. Nur in Voraussetzung der neuen Seestraße kann ein solcher Kolonisationsplan gefaßt worden sein; nur eine starke Frequenz der- selben vermag einer deutschen Niederlassung in jenem Lande zu einiger Bedeutung zu verhelfen. Lose Blätter. M. Fanatismus und Länge in den Taufnamen. Während der schwärmerischen Zeiten unter Cromwell plünderte man zu diesem Zweck nicht nur die genealogischen Tabellen und andere Namensverzeichnisse des alten Testaments, sondern auch Sammlungen von Sprüchwörtern und Sen- tenzen, ja man nahm selbst ganze Bibelsprüche dazu. Am originellsten in dieser Beziehung war der Name eines Engländers, der vollständig lautete: „Wäre Christus nicht für mich gestorben, so wäre ich ewig verdammt Barebone“. Der Vater dieses Kindes verfehlte indessen völlig den dabei beabsichtigten Zweck: aus dem christlichsten Namen ward der allerunchrist- lichste. Wer konnte die ganze Litanei hersagen? Man behalf sich also mit dem letzten Wort des langen Taufnamens, und so hieß der gute Mensch immer der „verdammte Barebone“ ( damn'd B. ) . Während bei anderen Menschenkindern die erstaunliche Länge der Vor- namen abgekommen ist, findet man sie bei fürstlichen Kindern oft durch die Menge ersetzt. So führte noch vor fünfzig Jahren der zweite Sprosse des verstorbenen Königs beider Sicilien die ganze Last von Vornamen: Januarius Karl Franz Joseph Johann Baptista Anton Ferdinand Kaspar Melchior Balthasar Franz de Paula Kajetan Agnello Raimund Pasqual Zeno Julius Johann von Nepomuk. M. Der ärztliche Tanz bei den Jndiern. Die Trommel in Jndien dient zu einem ganz entgegengesetzten Zweck: man gebraucht sie, um Krankheiten zu beschwören oder zu beruhigen, um die Sterbenden vom Tode zu retten, mit einem Wort, als geistiges und körperliches Heil- mittel. Sobald alle anderen Mittel der Heilkunst erschöpft sind, greift man zu dem letzten, der magischen Kraft der Trommel. Die Familie ver- sammelt sich um das Lager des Sterbenden; der Vater, die Mutter, die Frau oder das älteste Kind, gewöhnlich aber eine Person weiblichen Ge- schlechts, beginnt unter dem langsamen, traurigen Takt der Trommel zu ächzen und zu stöhnen, erhebt dabei ihre Stimme mehr und mehr und endigt in einem wahren Angstgeheul, das herz= und ohrzerreißend ist. Plötzlich schlägt dann die Trommel eine lebhafte Tanzmelodie, die An- wesenden bilden eine feierliche Runde, und während die trauernde Person schluchzt und jammert, tanzen die Uebrigen, bis sie den Kranken durch ihren Höllenlärm in das Jenseits befördern helfen. Je schwächer der Unglückliche wird, um so stärker wird die Trommel gerührt. Der Lärm und Tumult werden endlich so entsetzlich, daß sie den wildesten Sturm übertönen. Die Eingeborenen nennen diese Ceremonie den ärztlichen Tanz. M. Naturhistorische Merkwürdigkeit. Wie der große Naturforscher Forbes versichert, besitzt eine gewisse Gattung von Seesternen, Luidia ge- nannt, die merkwürdige Fähigkeit, sich plötzlich selbst zu vernichten, indem sie in dem Augenblick, wo sie sich gefangen fühlt, sämmtliche Glieder ab- löst und als ein unförmlicher Haufe Fragmente in sich selbst zusammen- fällt. „Eines Tages“, schreibt Forbes, „bekam ich wieder ein sehr großes und schönes Exemplar ins Schleppnetz; als aber dieses aufgezogen wurde und an das Tageslicht kam, zerbröckelte sich das Thier im Nu, alle Ex- tremitäten glitten durch die Maschen des Netzes, und nur der Rumpf ver- blieb, weil er nicht entweichen konnte. An ihm hing noch ein einziger Zacken, auf dem sich ein Auge befand; und dieses Auge“, sagt Forbes, „blickte so höhnisch und tückisch, als ob es sagen wollte: Du hast mich doch nicht ganz bekommen!“ Und in der That soll kein zoologisches Kabinet ein vollständig ausgewachsenes Exemplar besitzen. Jm Uebrigen vermögen diese Seesterne ihre verlorenen Gliedmaßen wieder zu ersetzen. M. Das Musikverbot in Schweden. Bei den alten Schweden war die Musik durch Gesetze völlig verboten, und Alle, die sich dennoch damit beschäftigten, galten für anrüchig und staatsgefährlich. Vor der Regierung Gustav Wasa's existirte ein Gesetz, welches alle Musiker aus dem Lande verbannte und deren Todtschlag erlaubte, wo man sie betreffen würde. Ein solcher Todtschlag, sagt Archenholz, galt für einen Spaß, und der Mörder war nur verbunden, den Erben des Erschlagenen ein Paar neue Schuhe, ein Paar Handschuhe und ein Kalb zu geben. Aber selbst diese jämmerliche Entschädigung wurde häufig illusorisch, und der Erbe konnte keinen Anspruch darauf machen, wenn er sich nicht einer Prüfung unter- zog. Man bestrich nämlich den Schweif des Kalbes mit Fett und trieb das Thier einen Hügel hinan; derjenige, welcher auf Entschädigung An- spruch machte, mußte den Schweif mit beiden Händen fassen, während der Mörder das Thier antrieb. Konnte Jener dasselbe festhalten, so wurde es ihm zugesprochen, andernfalls verlor er seine Ansprüche. Dies barbarische Gesetz wurde im Jahre 1523 aufgehoben. M. Das Alter der Chinesen. Jn einer Geschichts=Urkunde des „himmlischen Reiches kommen die merkwürdigen Worte vor: „Um diese Zeit wurde die Welt erschaffen“. Zur größeren Deutlichkeit ist eine Ab- bildung hinzugefügt, die einen Mandarinen in den Wolken zeigt, welcher durch ein Fernrohr der Erschaffung zusieht. M. Der Bijouteriewurm. Zu den Naturmerkwürdigkeiten in Char- leston ( Amerika ) zählt ein kleiner Wurm, der auf den Blättern des wilden Weinstocks lebt, wie ein Stückchen weißer Zwirn aussieht und fast be- wegungslos ist. Nimmt man aber das Blatt ab und legt es im Zimmer unter eine Glasglocke, so wächst der kleine weiße Faden in vierundzwanzig Stunden zu einer ziemlich großen, schönfarbigen und mit goldenen Punkten besetzten Raupe heran. Nach ihrer Ausbildung kriecht das Thier an dem Glase empor, hängt sich dort an und krümmt sich in die verschiedenartigsten Formen, welche die herrlichsten Modelle zu Ohrringen, Brochen, Nadeln geben. Hiervon hat das Geschöpf seinen Namen erhalten. M. Die Blumen=Uhr. Auf der Jnsel Ceylon wächst eine Pflanze, von den Eingeborenen „Sindricamal“ genannt, deren Blume ihnen einiger- maßen zur Bestimmung der Zeit dient. Die Blume besitzt nämlich die Eigenschaft, daß sie von vier Uhr Nachmittags bis vier Uhr Morgens be- ständig geöffnet, die übrigen zwölf Stnnden aber geschlossen bleibt. Die Einwohner ziehen diese Blume in ihren Gärten, um an ihr, besonders bei trübem Wetter oder wenn man die Annäherung des Morgens auf andere Art nicht entdecken kann, die Tageszeit zu erfahren. M. Seltsame Kerker. Wie alle Kurden, haben auch die Yezdi einen unwiderstehlichen Hang zum Stehlen. Soll aber ein solcher Uebelthäter seine Strafe dafür erleiden, so sind weder Gefängnisse noch Wächter nöthig. Es genügt, auf der Erde um den Gefangenen einen Kreis zu ziehen, den zu überschreiten der Arrestant lieber vor Hunger sterben würde. So wartet er denn geduldig den Augenblick ab, wo der Zauberkreis wieder verwischt und er in Freiheit gesetzt wird. M. Die Gelehrten des alten George. Alexander von Humboldt wohnte im Jahre 1807 in einem Seitenhause des damals weit berühmten George'schen Gartens; in einem andern Seitenhause wohnte Johannes von Müller, der Geschichtsforscher, und in einem Gartenhause der Phi- losoph Fichte. Der alte George, ein reicher Branntweinbrenner, ver- absäumte es niemals, den Fremden, welche seinen Garten in Augenschein nahmen, auch auf „seine Gelehrten“ sich etwas zu Gute zu thun. „Hier hab' ich den Humboldt“, sagte er, „hier den berühmten Müller, und hier auch den Fichte, der aber nur ein Philosoph sein soll.“ ☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von 12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden. Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 21. Berlin, 24. Mai 1868, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt21_1868/8>, abgerufen am 17.09.2024.