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Sonntags-Blatt. Nr. 17. Berlin, 26. April 1868.

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[Beginn Spaltensatz] Jüngling, der sich so ungeschickt anstellte. Aber bald erkannte des großen
Meisters klarer Blick, daß in dem blassen, bescheidenen Menschen ein ganzer
Künstler verborgen sei; er verkehrte näher mit ihm, übertrug ihm wichtigere
Arbeiten, und später verband die wärmste Freundschaft den Meister und
seinen Schüler. Auch die kleinmüthige Abneigung gegen Berlin schwand,
je mehr Rietschel mit Rauchs übrigen Schülern, mit Drake, Kiß, Stein-
häußer, Achtermann , mit den Dichtern Chamisso, R. Reinick und
F. Kugler verkehrte. Und schließlich übte dieser Aufenthalt in Rauchs
strenger Schule auf seinen weiteren Lebensgang entscheidenden Einfluß.
Obgleich Rietschel als Sachse kein Anrecht hatte, auf den Preis selbst
Anspruch zu machen, bewarb er sich doch im Herbst 1828 um das Stipen-
dium zu einer Studienreise nach Jtalien. Er gewann den ersten Preis;
die Berliner Akademie theilte dieses amtlich der sächsischen Regierung mit,
welche ihm zu dieser Studienreise 1200 Thlr. aussetzte. Graf Einsiedel,
welcher einsah, daß es unbillig wäre, einen so vielversprechenden Künstler
an ein Eisenwerk festzuketten, entband ihn seiner Verpflichtungen; reich
an Ehren, reicher an glänzenden Hoffnungen, kehrte Ernst Rietschel in
das Vaterhaus zurück. "Herr, was bin ich und mein Haus, daß du meiner
gedenkest!" sprach der fromme Alte mit zum Himmel gerichtetem Blick,
als sein Ernst, ein Mann und gereifter Künstler, eintrat. Wenige
Wochen danach, Weihnachten 1828, starb der Greis; das Wiedersehen des
Sohnes war seine letzte Freude gewesen.

Das Jahr 1829 verbrachte Rietschel mit seinem Meister Rauch in
München, beschäftigt mit der Vollendung des dort aufzustellenden Stand-
bildes des Königs Maximilian I. Jm Sommer 1830 trat er seine italie-
nische Reise an, die ihn bis nach Rom und Neapel führte; die im Februar
1831 ausbrechenden politischen Unruhen trieben ihn vor der Zeit wieder
nach Deutschland zurück. Zunächst ließ er sich in Berlin nieder, um dort
unter Rauchs Beirath die für Dresden bestellte Statue des Königs
Friedrich August von Sachsen zu entwerfen; doch schon im Jahre 1832
erhielt er einen Ruf als Professor an der Kunstschule derselben Stadt,
wo er seine erste Ausbildung empfangen hatte. Dresden ward seine
Wohnstätte und blieb es fortan. Die Stadt, in welcher er zehn Jahre
zuvor die nothdürftigste Anleitung zur Bildhauerei erhalten, ist durch ihn
eine der Hauptstätten bildnerischer Thätigkeit geworden; und als sein
Lehrer und Freund Rauch starb, bezeichnete die allgemeine Stimme von
Deutschland Rietschel als den, welcher den Ruf deutscher Bildnerei am
würdigsten aufrecht halte. Die Kraft, welche ihm aus Dunkelheit und
Dürftigkeit den Pfad zur Höhe eines weitverbreiteten Ruhmes gebahnt
hatte, die Kraft seiner glänzenden Begabung, seines gewissenhaften Stu-
diums, seines heiligen Ernstes, womit er die Kunst übte, sie ist ihm
lebenslang treu geblieben. Es war jene Zeit diejenige, wo die heut-
zutage etwas übertriebene Denkmalliebhaberei der Deutschen in ihrer
frischen Jugendblüthe stand. Wohl manches schöne Werk hat Rietschel
auch auf anderem Gebiet geschaffen -- mancher unserer Leser hat ohne
Zweifel die herrliche Gruppe der Maria mit dem Leichnam des Herrn
gesehen, welche jetzt eine Zierde der Potsdamer Friedenskirche ist -- all-
bekannt wurde sein Name vornehmlich durch die vortrefflichen Stand-
bilder, die er geschaffen, unter welchen sein Lessing in Braunschweig, und
Goethe und Schiller in Weimar hervorzuheben sind. Er hat zuerst in
diesen Standbildern auch für Geisteshelden gewagt, was fünfzig Jahre
früher Gottfried Schadow für die Helden des Schlachtfeldes gewagt hatte,
nämlich, sie in voller Lebenswahrheit, ohne die störende Zuthat des Man-
tels, darzustellen. Die meisten deutschen Bildhauer der Gegenwart sind
Rietschels Fußstapfen gefolgt, was nur dazu beitragen kann, die Kunst-
werke freier, künstlerischer, allverständlicher zu machen.

Still und fleißig arbeitete Rietschel drei Jahrzehnte lang zu Dresden.
Auf eine an Noth und Entbehrungen reiche Jugend war ein Mannes-
alter gefolgt, dem es vergönnt war, die Früchte eiserner Beharrlichkeit zu
ernten. Die Dresdener Kunstschule trat neben die von Berlin und München,
und unter den gefeierten Meistern derselben glänzte Rietschels Name als
einer der ersten. Nur im Kreise des Hauses hatte der treffliche Mann
schweres Leid; drei Gattinnen wurden nach und nach durch den Tod von
seiner Seite gerissen. Die Hungerjahre der Jugend hatten doch seine Ge-
sundheit ernstlich angegriffen, und im Frühling 1851 zeigten sich so be-
denkliche Erscheinungen einer Brustkrankheit, daß Rietschel auf den Rath
der Aerzte ein Jahr lang unter dem warmen Himmel Siciliens Genesung
suchen mußte. Er kam gekräftigt zurück und wagte einen vierten Ehe-
bund. Aber die Fülle der Arbeit zehrte doch an seiner Gesundheit, um
so mehr, da Rietschel viel zu gewissenhaft war, um seine Kunst handwerks-
mäßig leicht zu nehmen; die geistige Anstrengung des Schaffens erfreute
ihn, griff ihn aber zugleich an. Ein gewaltiges Standbild Luthers, oder
richtiger eine umfassende Gruppe des Reformators, seiner bedeutendsten
Vorgänger und Zeitgenossen, welche er für Worms entwarf, war seine
letzte Arbeit; er konnte sie nicht vollenden. Jm Sommer 1860 suchte er
noch zum letzten Mal Heilung seines Brustleidens im Bade zu Reichen-
hall; im Spätjahr war er schon bedenklich krank. Er trug mit gleicher
Geduld die Pein der Krankheit, wie die größere, mitten aus einer vollen,
herrlichen Thätigkeit herausgerissen zu werden. Am 21. Februar 1861 in
der Frühe starb er. Mit dem Lorbeer gekrönt, stand die Leiche des
Künstlers in seiner Werkstatt ausgestellt, ihr zu Häupten sein letztes Werk,
das eben vollendete Modell des Lutherstandbildes. Mit Trauer vernahm
ganz Deutschland die Kunde vom Scheiden des allverehrten Meisters.

Ernst Rietschel war ein großer Künstler und dabei ein äußerst liebens-
würdiger Mensch. Jn seiner Erscheinung und seinem Wesen hatte er
nicht das Löwenmäßige, Königliche seines Lehrers Rauch; er war unschön,
lang, starkknochig, hager; das Angesicht gefurcht durch die Nachwirkung
der Mühen der Jugend oder durch die Spuren der langsam zehrenden
Krankheit. Aber mild und treuherzig war sein Blick, sein Wort; eine
warme Frömmigkeit, eine Alles umfassende Herzensgüte sprach aus dem
Wesen dieses edlen Künstlers, der zugleich, wie Wenige, bescheiden war.
[Spaltenumbruch] Er selbst hat seine Jugendgeschichte aufgezeichnet und sich nicht gescheut,
getreulich zu berichten, wie schwer es ihm geworden ist, sich durch die
Dornen des Lebens hindurchzuarbeiten. Aber er hat es gethan, und sein
Name wird genannt werden, so lange es eine deutsche Kunst giebt. Wer
Kraft und Muth hat, der thue es ihm nach!



Die Nähmaschinen=Jndustrie.
Von
A. Klein.

Unter den vielen, ich möchte sagen unter den unzähligen Jndustrie-
zweigen der heutigen Zeit steht der der Nähmaschinen, wenn auch nicht
obenan, so doch sicher im Vordergrund; dafür genügt wohl die eine
Thatsache, daß nach Ausweis der letzten Jahre jetzt täglich circa 685 Näh-
maschinen, d. h. pro Jahr 250,000 Stück, gebaut werden, wovon freilich
auf Deutschland nur ein sehr bescheidener Theil kommt. Werfen wir
einen Blick zurück in die Geschichte dieser kleinen und doch so imposanten
Erfindung, so treffen wir natürlich zuerst wieder auf eins jener traurigen
Kapitel, die fast Seite auf Seite in dem großen Buch der Erfindungen
füllen. Mit Schmerzen wird das Kind geboren, langsam und mühevoll
wird es aufgezogen, und selbst wenn es stark und lebenskräftig geworden,
sind seine Früchte nicht selten Dornen für denjenigen, der es zur Welt
gebracht. Auch Howe, der Erfinder unserer Nähmaschine, konnte mit
Recht in dieses alte Klagelied einstimmen, wenngleich die letzten Jahre
seines früh abgeschlossenen Lebens ihn für manche Drangsal früherer Zeit
entschädigten. Die Lebensschicksale des berühmten Erfinders sind wohl
bekannt genug, als daß es hier mehr als einer flüchtigen Erinnerung be-
dürfte. Elias Howe war 1819 zu Spencer in Massachusetts geboren, kam
1839 als Mechaniker nach Boston und empfing hier die erste Jdee zu
seiner Nähmaschine. Er war ein zwar geschickter, aber mit wenig Aus-
dauer begabter Arbeiter, und konnte kaum so viel verdienen, um seine in
sehr frühen Jahren geheirathete Gattin und den bald recht zahlreichen
Kinderkreis zu ernähren. "Da mußte", schrieb Howe selbst in späteren
Jahren einem Freunde, "mein armes Weib tapfer mithelfen, das tägliche
Brot erwerben. Bis spät in die Nacht hinein sah ich sie oft über ihrer
Näharbeit sitzen, und fortan konnte ich mich von dem Gedanken nicht mehr
trennen, daß ich sie und viele Leidensgefährtinnen von diesem traurigen
Loos durch eine Nähmaschine befreien müßte. Allerdings machte sie mir
über meine Grübeleien manchmal bittere Vorwürfe, zumal auch die Ver-
suche einiges Geld kosteten. Doch ich gab den Muth nicht auf, denn ich
war überzeugt, es mußte gehen -- und es ging". Aber welche schweren
Kämpfe kostete es, wie mannichfache Enttäuschungen und Hindernisse [unleserliches Material - 5 Zeichen fehlen]waren
zu überwinden, ehe seine Maschine wirklich "ging"! Jm April 1845 hatte
Howe die erste Maschine fertig; dieselbe ehrwürdige Maschine, welche ver-
schiedene Male den Ozean gekreuzt hat, wiederholt als stummer Zeuge in
den Gerichtssälen für des Meisters beeinträchtigte Erfindung eingetreten
ist und schließlich auf dem Broadway zu New=York das Gnadenbrot ge-
funden hat. Am 10. September 1846 erhielt Howe auch von dem Patent-
Amt zu Washington ein Patent auf seine Maschine, und zwar für vierzehn
Jahre, aber kaufen wollte sie Niemand. Endlich fand er in England
einen spekulativen Käufer, und schiffte später sich selbst dorthin ein. Ent-
täuscht, betrogen und außer Stande, seiner Erfindung die nöthige Ver-
breitung zu geben, kehrte er im höchsten Elend nach Amerika zurück, um
an das Sterbebett seiner Gattin zu eilen, die unter Kummer und Ent-
behrungen schnell dahingesiecht war. Sie hatte zuerst den Segen der
Nähmaschine genießen sollen, und was empfing sie davon? -- Einen lang-
samen Hungertod! Kann es eine bittrere Jronie des Schicksals, einen
schrofferen Gegensatz zwischen Hoffnung und Wirklichkeit geben? -- Doch
desto reichlicher sollte der Segen bald über Tausende und vielleicht
Millionen von Leidensgefährtinnen ausgegossen werden.

Das Jahr 1848, welches ja so manchen alten Schlendrian über den
Haufen warf und überall neue Geister schöpferisch in die Arena rief, war
auch für den kleinen eisernen Neuling Howe's epochemachend. Zahlreiche
Nachahmer seiner Maschine hatten sich während seiner Abwesenheit ge-
funden, und diese wurden eigentlich seine Wohlthäter, denn sie hatten zum
Theil bereits das vollbracht, was er nicht vermochte: die Nähmaschine in
den Verkehr einzuführen. Ein fernerer Hebel zur Verbreitung derselben
war der monströse Prozeß, den Howe 1849 mit dem Gelde eines Freundes
gegen die Nachahmer -- an ihrer Spitze den heutigen Krösus von New-
York, Jsaac Merrit Singer -- anstrengte. Derselbe endete zwar erst
1854 zu seinen Gunsten, hatte aber die öffentliche Aufmerksamkeit in
hohem Grade auf die Maschine gelenkt. Schnell und in riesiger Pro-
gression hat sie sich seitdem die Gunst der Fabrikanten wie der Arbeiter,
insbesondere der Frauenwelt erworben, und heut ist sie überall heimisch,
von der kleinen Werkstatt des gewöhnlichen Schneiders bis zu den mäch-
tigen Fabriksälen des Groß=Jndustriellen, von dem einfachen Dachstübchen
der emsigen Näherin bis zum Salon der Weltdame. Die Grover und
Baker'sche Nähmaschinenfabrik zu Boston und New=York hat ja in neuerer
Zeit elegante Salon=Nähmaschinen zu einem besonderen Jndustriezweig
gemacht und bringt jährlich viele Tausende derselben in den Handel.

Jn der That bezeichnet die Nähmaschine einen großen Abschnitt in der
Kulturgeschichte der ganzen Menschheit; und wie innig hat sich die flinke,
eiserne Wohlthäterin an den Familienkreis angeschlossen, wie knüpft sie
ihre Beziehungen an alle Phasen des menschlichen Lebens! Kaum erblickt
das Kind den ersten Lebenstag, so setzt sie, die bescheiden und schweigsam
in der Zimmerecke Freud' und Leid mit ihrer Umgebung theilt, sich in Be-
wegung, und wie aus Zauberhänden geht das erste Kleid, welches Mutter-
liebe um das junge Ebenbild des Schöpfers hüllt, aus ihr hervor. Bald
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Jüngling, der sich so ungeschickt anstellte. Aber bald erkannte des großen
Meisters klarer Blick, daß in dem blassen, bescheidenen Menschen ein ganzer
Künstler verborgen sei; er verkehrte näher mit ihm, übertrug ihm wichtigere
Arbeiten, und später verband die wärmste Freundschaft den Meister und
seinen Schüler. Auch die kleinmüthige Abneigung gegen Berlin schwand,
je mehr Rietschel mit Rauchs übrigen Schülern, mit Drake, Kiß, Stein-
häußer, Achtermann , mit den Dichtern Chamisso, R. Reinick und
F. Kugler verkehrte. Und schließlich übte dieser Aufenthalt in Rauchs
strenger Schule auf seinen weiteren Lebensgang entscheidenden Einfluß.
Obgleich Rietschel als Sachse kein Anrecht hatte, auf den Preis selbst
Anspruch zu machen, bewarb er sich doch im Herbst 1828 um das Stipen-
dium zu einer Studienreise nach Jtalien. Er gewann den ersten Preis;
die Berliner Akademie theilte dieses amtlich der sächsischen Regierung mit,
welche ihm zu dieser Studienreise 1200 Thlr. aussetzte. Graf Einsiedel,
welcher einsah, daß es unbillig wäre, einen so vielversprechenden Künstler
an ein Eisenwerk festzuketten, entband ihn seiner Verpflichtungen; reich
an Ehren, reicher an glänzenden Hoffnungen, kehrte Ernst Rietschel in
das Vaterhaus zurück. „Herr, was bin ich und mein Haus, daß du meiner
gedenkest!“ sprach der fromme Alte mit zum Himmel gerichtetem Blick,
als sein Ernst, ein Mann und gereifter Künstler, eintrat. Wenige
Wochen danach, Weihnachten 1828, starb der Greis; das Wiedersehen des
Sohnes war seine letzte Freude gewesen.

Das Jahr 1829 verbrachte Rietschel mit seinem Meister Rauch in
München, beschäftigt mit der Vollendung des dort aufzustellenden Stand-
bildes des Königs Maximilian I. Jm Sommer 1830 trat er seine italie-
nische Reise an, die ihn bis nach Rom und Neapel führte; die im Februar
1831 ausbrechenden politischen Unruhen trieben ihn vor der Zeit wieder
nach Deutschland zurück. Zunächst ließ er sich in Berlin nieder, um dort
unter Rauchs Beirath die für Dresden bestellte Statue des Königs
Friedrich August von Sachsen zu entwerfen; doch schon im Jahre 1832
erhielt er einen Ruf als Professor an der Kunstschule derselben Stadt,
wo er seine erste Ausbildung empfangen hatte. Dresden ward seine
Wohnstätte und blieb es fortan. Die Stadt, in welcher er zehn Jahre
zuvor die nothdürftigste Anleitung zur Bildhauerei erhalten, ist durch ihn
eine der Hauptstätten bildnerischer Thätigkeit geworden; und als sein
Lehrer und Freund Rauch starb, bezeichnete die allgemeine Stimme von
Deutschland Rietschel als den, welcher den Ruf deutscher Bildnerei am
würdigsten aufrecht halte. Die Kraft, welche ihm aus Dunkelheit und
Dürftigkeit den Pfad zur Höhe eines weitverbreiteten Ruhmes gebahnt
hatte, die Kraft seiner glänzenden Begabung, seines gewissenhaften Stu-
diums, seines heiligen Ernstes, womit er die Kunst übte, sie ist ihm
lebenslang treu geblieben. Es war jene Zeit diejenige, wo die heut-
zutage etwas übertriebene Denkmalliebhaberei der Deutschen in ihrer
frischen Jugendblüthe stand. Wohl manches schöne Werk hat Rietschel
auch auf anderem Gebiet geschaffen — mancher unserer Leser hat ohne
Zweifel die herrliche Gruppe der Maria mit dem Leichnam des Herrn
gesehen, welche jetzt eine Zierde der Potsdamer Friedenskirche ist — all-
bekannt wurde sein Name vornehmlich durch die vortrefflichen Stand-
bilder, die er geschaffen, unter welchen sein Lessing in Braunschweig, und
Goethe und Schiller in Weimar hervorzuheben sind. Er hat zuerst in
diesen Standbildern auch für Geisteshelden gewagt, was fünfzig Jahre
früher Gottfried Schadow für die Helden des Schlachtfeldes gewagt hatte,
nämlich, sie in voller Lebenswahrheit, ohne die störende Zuthat des Man-
tels, darzustellen. Die meisten deutschen Bildhauer der Gegenwart sind
Rietschels Fußstapfen gefolgt, was nur dazu beitragen kann, die Kunst-
werke freier, künstlerischer, allverständlicher zu machen.

Still und fleißig arbeitete Rietschel drei Jahrzehnte lang zu Dresden.
Auf eine an Noth und Entbehrungen reiche Jugend war ein Mannes-
alter gefolgt, dem es vergönnt war, die Früchte eiserner Beharrlichkeit zu
ernten. Die Dresdener Kunstschule trat neben die von Berlin und München,
und unter den gefeierten Meistern derselben glänzte Rietschels Name als
einer der ersten. Nur im Kreise des Hauses hatte der treffliche Mann
schweres Leid; drei Gattinnen wurden nach und nach durch den Tod von
seiner Seite gerissen. Die Hungerjahre der Jugend hatten doch seine Ge-
sundheit ernstlich angegriffen, und im Frühling 1851 zeigten sich so be-
denkliche Erscheinungen einer Brustkrankheit, daß Rietschel auf den Rath
der Aerzte ein Jahr lang unter dem warmen Himmel Siciliens Genesung
suchen mußte. Er kam gekräftigt zurück und wagte einen vierten Ehe-
bund. Aber die Fülle der Arbeit zehrte doch an seiner Gesundheit, um
so mehr, da Rietschel viel zu gewissenhaft war, um seine Kunst handwerks-
mäßig leicht zu nehmen; die geistige Anstrengung des Schaffens erfreute
ihn, griff ihn aber zugleich an. Ein gewaltiges Standbild Luthers, oder
richtiger eine umfassende Gruppe des Reformators, seiner bedeutendsten
Vorgänger und Zeitgenossen, welche er für Worms entwarf, war seine
letzte Arbeit; er konnte sie nicht vollenden. Jm Sommer 1860 suchte er
noch zum letzten Mal Heilung seines Brustleidens im Bade zu Reichen-
hall; im Spätjahr war er schon bedenklich krank. Er trug mit gleicher
Geduld die Pein der Krankheit, wie die größere, mitten aus einer vollen,
herrlichen Thätigkeit herausgerissen zu werden. Am 21. Februar 1861 in
der Frühe starb er. Mit dem Lorbeer gekrönt, stand die Leiche des
Künstlers in seiner Werkstatt ausgestellt, ihr zu Häupten sein letztes Werk,
das eben vollendete Modell des Lutherstandbildes. Mit Trauer vernahm
ganz Deutschland die Kunde vom Scheiden des allverehrten Meisters.

Ernst Rietschel war ein großer Künstler und dabei ein äußerst liebens-
würdiger Mensch. Jn seiner Erscheinung und seinem Wesen hatte er
nicht das Löwenmäßige, Königliche seines Lehrers Rauch; er war unschön,
lang, starkknochig, hager; das Angesicht gefurcht durch die Nachwirkung
der Mühen der Jugend oder durch die Spuren der langsam zehrenden
Krankheit. Aber mild und treuherzig war sein Blick, sein Wort; eine
warme Frömmigkeit, eine Alles umfassende Herzensgüte sprach aus dem
Wesen dieses edlen Künstlers, der zugleich, wie Wenige, bescheiden war.
[Spaltenumbruch] Er selbst hat seine Jugendgeschichte aufgezeichnet und sich nicht gescheut,
getreulich zu berichten, wie schwer es ihm geworden ist, sich durch die
Dornen des Lebens hindurchzuarbeiten. Aber er hat es gethan, und sein
Name wird genannt werden, so lange es eine deutsche Kunst giebt. Wer
Kraft und Muth hat, der thue es ihm nach!



Die Nähmaschinen=Jndustrie.
Von
A. Klein.

Unter den vielen, ich möchte sagen unter den unzähligen Jndustrie-
zweigen der heutigen Zeit steht der der Nähmaschinen, wenn auch nicht
obenan, so doch sicher im Vordergrund; dafür genügt wohl die eine
Thatsache, daß nach Ausweis der letzten Jahre jetzt täglich circa 685 Näh-
maschinen, d. h. pro Jahr 250,000 Stück, gebaut werden, wovon freilich
auf Deutschland nur ein sehr bescheidener Theil kommt. Werfen wir
einen Blick zurück in die Geschichte dieser kleinen und doch so imposanten
Erfindung, so treffen wir natürlich zuerst wieder auf eins jener traurigen
Kapitel, die fast Seite auf Seite in dem großen Buch der Erfindungen
füllen. Mit Schmerzen wird das Kind geboren, langsam und mühevoll
wird es aufgezogen, und selbst wenn es stark und lebenskräftig geworden,
sind seine Früchte nicht selten Dornen für denjenigen, der es zur Welt
gebracht. Auch Howe, der Erfinder unserer Nähmaschine, konnte mit
Recht in dieses alte Klagelied einstimmen, wenngleich die letzten Jahre
seines früh abgeschlossenen Lebens ihn für manche Drangsal früherer Zeit
entschädigten. Die Lebensschicksale des berühmten Erfinders sind wohl
bekannt genug, als daß es hier mehr als einer flüchtigen Erinnerung be-
dürfte. Elias Howe war 1819 zu Spencer in Massachusetts geboren, kam
1839 als Mechaniker nach Boston und empfing hier die erste Jdee zu
seiner Nähmaschine. Er war ein zwar geschickter, aber mit wenig Aus-
dauer begabter Arbeiter, und konnte kaum so viel verdienen, um seine in
sehr frühen Jahren geheirathete Gattin und den bald recht zahlreichen
Kinderkreis zu ernähren. „Da mußte“, schrieb Howe selbst in späteren
Jahren einem Freunde, „mein armes Weib tapfer mithelfen, das tägliche
Brot erwerben. Bis spät in die Nacht hinein sah ich sie oft über ihrer
Näharbeit sitzen, und fortan konnte ich mich von dem Gedanken nicht mehr
trennen, daß ich sie und viele Leidensgefährtinnen von diesem traurigen
Loos durch eine Nähmaschine befreien müßte. Allerdings machte sie mir
über meine Grübeleien manchmal bittere Vorwürfe, zumal auch die Ver-
suche einiges Geld kosteten. Doch ich gab den Muth nicht auf, denn ich
war überzeugt, es mußte gehen — und es ging“. Aber welche schweren
Kämpfe kostete es, wie mannichfache Enttäuschungen und Hindernisse [unleserliches Material – 5 Zeichen fehlen]waren
zu überwinden, ehe seine Maschine wirklich „ging“! Jm April 1845 hatte
Howe die erste Maschine fertig; dieselbe ehrwürdige Maschine, welche ver-
schiedene Male den Ozean gekreuzt hat, wiederholt als stummer Zeuge in
den Gerichtssälen für des Meisters beeinträchtigte Erfindung eingetreten
ist und schließlich auf dem Broadway zu New=York das Gnadenbrot ge-
funden hat. Am 10. September 1846 erhielt Howe auch von dem Patent-
Amt zu Washington ein Patent auf seine Maschine, und zwar für vierzehn
Jahre, aber kaufen wollte sie Niemand. Endlich fand er in England
einen spekulativen Käufer, und schiffte später sich selbst dorthin ein. Ent-
täuscht, betrogen und außer Stande, seiner Erfindung die nöthige Ver-
breitung zu geben, kehrte er im höchsten Elend nach Amerika zurück, um
an das Sterbebett seiner Gattin zu eilen, die unter Kummer und Ent-
behrungen schnell dahingesiecht war. Sie hatte zuerst den Segen der
Nähmaschine genießen sollen, und was empfing sie davon? — Einen lang-
samen Hungertod! Kann es eine bittrere Jronie des Schicksals, einen
schrofferen Gegensatz zwischen Hoffnung und Wirklichkeit geben? — Doch
desto reichlicher sollte der Segen bald über Tausende und vielleicht
Millionen von Leidensgefährtinnen ausgegossen werden.

Das Jahr 1848, welches ja so manchen alten Schlendrian über den
Haufen warf und überall neue Geister schöpferisch in die Arena rief, war
auch für den kleinen eisernen Neuling Howe's epochemachend. Zahlreiche
Nachahmer seiner Maschine hatten sich während seiner Abwesenheit ge-
funden, und diese wurden eigentlich seine Wohlthäter, denn sie hatten zum
Theil bereits das vollbracht, was er nicht vermochte: die Nähmaschine in
den Verkehr einzuführen. Ein fernerer Hebel zur Verbreitung derselben
war der monströse Prozeß, den Howe 1849 mit dem Gelde eines Freundes
gegen die Nachahmer — an ihrer Spitze den heutigen Krösus von New-
York, Jsaac Merrit Singer — anstrengte. Derselbe endete zwar erst
1854 zu seinen Gunsten, hatte aber die öffentliche Aufmerksamkeit in
hohem Grade auf die Maschine gelenkt. Schnell und in riesiger Pro-
gression hat sie sich seitdem die Gunst der Fabrikanten wie der Arbeiter,
insbesondere der Frauenwelt erworben, und heut ist sie überall heimisch,
von der kleinen Werkstatt des gewöhnlichen Schneiders bis zu den mäch-
tigen Fabriksälen des Groß=Jndustriellen, von dem einfachen Dachstübchen
der emsigen Näherin bis zum Salon der Weltdame. Die Grover und
Baker'sche Nähmaschinenfabrik zu Boston und New=York hat ja in neuerer
Zeit elegante Salon=Nähmaschinen zu einem besonderen Jndustriezweig
gemacht und bringt jährlich viele Tausende derselben in den Handel.

Jn der That bezeichnet die Nähmaschine einen großen Abschnitt in der
Kulturgeschichte der ganzen Menschheit; und wie innig hat sich die flinke,
eiserne Wohlthäterin an den Familienkreis angeschlossen, wie knüpft sie
ihre Beziehungen an alle Phasen des menschlichen Lebens! Kaum erblickt
das Kind den ersten Lebenstag, so setzt sie, die bescheiden und schweigsam
in der Zimmerecke Freud' und Leid mit ihrer Umgebung theilt, sich in Be-
wegung, und wie aus Zauberhänden geht das erste Kleid, welches Mutter-
liebe um das junge Ebenbild des Schöpfers hüllt, aus ihr hervor. Bald
[Ende Spaltensatz]

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[134/0006] 134 Jüngling, der sich so ungeschickt anstellte. Aber bald erkannte des großen Meisters klarer Blick, daß in dem blassen, bescheidenen Menschen ein ganzer Künstler verborgen sei; er verkehrte näher mit ihm, übertrug ihm wichtigere Arbeiten, und später verband die wärmste Freundschaft den Meister und seinen Schüler. Auch die kleinmüthige Abneigung gegen Berlin schwand, je mehr Rietschel mit Rauchs übrigen Schülern, mit Drake, Kiß, Stein- häußer, Achtermann , mit den Dichtern Chamisso, R. Reinick und F. Kugler verkehrte. Und schließlich übte dieser Aufenthalt in Rauchs strenger Schule auf seinen weiteren Lebensgang entscheidenden Einfluß. Obgleich Rietschel als Sachse kein Anrecht hatte, auf den Preis selbst Anspruch zu machen, bewarb er sich doch im Herbst 1828 um das Stipen- dium zu einer Studienreise nach Jtalien. Er gewann den ersten Preis; die Berliner Akademie theilte dieses amtlich der sächsischen Regierung mit, welche ihm zu dieser Studienreise 1200 Thlr. aussetzte. Graf Einsiedel, welcher einsah, daß es unbillig wäre, einen so vielversprechenden Künstler an ein Eisenwerk festzuketten, entband ihn seiner Verpflichtungen; reich an Ehren, reicher an glänzenden Hoffnungen, kehrte Ernst Rietschel in das Vaterhaus zurück. „Herr, was bin ich und mein Haus, daß du meiner gedenkest!“ sprach der fromme Alte mit zum Himmel gerichtetem Blick, als sein Ernst, ein Mann und gereifter Künstler, eintrat. Wenige Wochen danach, Weihnachten 1828, starb der Greis; das Wiedersehen des Sohnes war seine letzte Freude gewesen. Das Jahr 1829 verbrachte Rietschel mit seinem Meister Rauch in München, beschäftigt mit der Vollendung des dort aufzustellenden Stand- bildes des Königs Maximilian I. Jm Sommer 1830 trat er seine italie- nische Reise an, die ihn bis nach Rom und Neapel führte; die im Februar 1831 ausbrechenden politischen Unruhen trieben ihn vor der Zeit wieder nach Deutschland zurück. Zunächst ließ er sich in Berlin nieder, um dort unter Rauchs Beirath die für Dresden bestellte Statue des Königs Friedrich August von Sachsen zu entwerfen; doch schon im Jahre 1832 erhielt er einen Ruf als Professor an der Kunstschule derselben Stadt, wo er seine erste Ausbildung empfangen hatte. Dresden ward seine Wohnstätte und blieb es fortan. Die Stadt, in welcher er zehn Jahre zuvor die nothdürftigste Anleitung zur Bildhauerei erhalten, ist durch ihn eine der Hauptstätten bildnerischer Thätigkeit geworden; und als sein Lehrer und Freund Rauch starb, bezeichnete die allgemeine Stimme von Deutschland Rietschel als den, welcher den Ruf deutscher Bildnerei am würdigsten aufrecht halte. Die Kraft, welche ihm aus Dunkelheit und Dürftigkeit den Pfad zur Höhe eines weitverbreiteten Ruhmes gebahnt hatte, die Kraft seiner glänzenden Begabung, seines gewissenhaften Stu- diums, seines heiligen Ernstes, womit er die Kunst übte, sie ist ihm lebenslang treu geblieben. Es war jene Zeit diejenige, wo die heut- zutage etwas übertriebene Denkmalliebhaberei der Deutschen in ihrer frischen Jugendblüthe stand. Wohl manches schöne Werk hat Rietschel auch auf anderem Gebiet geschaffen — mancher unserer Leser hat ohne Zweifel die herrliche Gruppe der Maria mit dem Leichnam des Herrn gesehen, welche jetzt eine Zierde der Potsdamer Friedenskirche ist — all- bekannt wurde sein Name vornehmlich durch die vortrefflichen Stand- bilder, die er geschaffen, unter welchen sein Lessing in Braunschweig, und Goethe und Schiller in Weimar hervorzuheben sind. Er hat zuerst in diesen Standbildern auch für Geisteshelden gewagt, was fünfzig Jahre früher Gottfried Schadow für die Helden des Schlachtfeldes gewagt hatte, nämlich, sie in voller Lebenswahrheit, ohne die störende Zuthat des Man- tels, darzustellen. Die meisten deutschen Bildhauer der Gegenwart sind Rietschels Fußstapfen gefolgt, was nur dazu beitragen kann, die Kunst- werke freier, künstlerischer, allverständlicher zu machen. Still und fleißig arbeitete Rietschel drei Jahrzehnte lang zu Dresden. Auf eine an Noth und Entbehrungen reiche Jugend war ein Mannes- alter gefolgt, dem es vergönnt war, die Früchte eiserner Beharrlichkeit zu ernten. Die Dresdener Kunstschule trat neben die von Berlin und München, und unter den gefeierten Meistern derselben glänzte Rietschels Name als einer der ersten. Nur im Kreise des Hauses hatte der treffliche Mann schweres Leid; drei Gattinnen wurden nach und nach durch den Tod von seiner Seite gerissen. Die Hungerjahre der Jugend hatten doch seine Ge- sundheit ernstlich angegriffen, und im Frühling 1851 zeigten sich so be- denkliche Erscheinungen einer Brustkrankheit, daß Rietschel auf den Rath der Aerzte ein Jahr lang unter dem warmen Himmel Siciliens Genesung suchen mußte. Er kam gekräftigt zurück und wagte einen vierten Ehe- bund. Aber die Fülle der Arbeit zehrte doch an seiner Gesundheit, um so mehr, da Rietschel viel zu gewissenhaft war, um seine Kunst handwerks- mäßig leicht zu nehmen; die geistige Anstrengung des Schaffens erfreute ihn, griff ihn aber zugleich an. Ein gewaltiges Standbild Luthers, oder richtiger eine umfassende Gruppe des Reformators, seiner bedeutendsten Vorgänger und Zeitgenossen, welche er für Worms entwarf, war seine letzte Arbeit; er konnte sie nicht vollenden. Jm Sommer 1860 suchte er noch zum letzten Mal Heilung seines Brustleidens im Bade zu Reichen- hall; im Spätjahr war er schon bedenklich krank. Er trug mit gleicher Geduld die Pein der Krankheit, wie die größere, mitten aus einer vollen, herrlichen Thätigkeit herausgerissen zu werden. Am 21. Februar 1861 in der Frühe starb er. Mit dem Lorbeer gekrönt, stand die Leiche des Künstlers in seiner Werkstatt ausgestellt, ihr zu Häupten sein letztes Werk, das eben vollendete Modell des Lutherstandbildes. Mit Trauer vernahm ganz Deutschland die Kunde vom Scheiden des allverehrten Meisters. Ernst Rietschel war ein großer Künstler und dabei ein äußerst liebens- würdiger Mensch. Jn seiner Erscheinung und seinem Wesen hatte er nicht das Löwenmäßige, Königliche seines Lehrers Rauch; er war unschön, lang, starkknochig, hager; das Angesicht gefurcht durch die Nachwirkung der Mühen der Jugend oder durch die Spuren der langsam zehrenden Krankheit. Aber mild und treuherzig war sein Blick, sein Wort; eine warme Frömmigkeit, eine Alles umfassende Herzensgüte sprach aus dem Wesen dieses edlen Künstlers, der zugleich, wie Wenige, bescheiden war. Er selbst hat seine Jugendgeschichte aufgezeichnet und sich nicht gescheut, getreulich zu berichten, wie schwer es ihm geworden ist, sich durch die Dornen des Lebens hindurchzuarbeiten. Aber er hat es gethan, und sein Name wird genannt werden, so lange es eine deutsche Kunst giebt. Wer Kraft und Muth hat, der thue es ihm nach! Die Nähmaschinen=Jndustrie. Von A. Klein. Unter den vielen, ich möchte sagen unter den unzähligen Jndustrie- zweigen der heutigen Zeit steht der der Nähmaschinen, wenn auch nicht obenan, so doch sicher im Vordergrund; dafür genügt wohl die eine Thatsache, daß nach Ausweis der letzten Jahre jetzt täglich circa 685 Näh- maschinen, d. h. pro Jahr 250,000 Stück, gebaut werden, wovon freilich auf Deutschland nur ein sehr bescheidener Theil kommt. Werfen wir einen Blick zurück in die Geschichte dieser kleinen und doch so imposanten Erfindung, so treffen wir natürlich zuerst wieder auf eins jener traurigen Kapitel, die fast Seite auf Seite in dem großen Buch der Erfindungen füllen. Mit Schmerzen wird das Kind geboren, langsam und mühevoll wird es aufgezogen, und selbst wenn es stark und lebenskräftig geworden, sind seine Früchte nicht selten Dornen für denjenigen, der es zur Welt gebracht. Auch Howe, der Erfinder unserer Nähmaschine, konnte mit Recht in dieses alte Klagelied einstimmen, wenngleich die letzten Jahre seines früh abgeschlossenen Lebens ihn für manche Drangsal früherer Zeit entschädigten. Die Lebensschicksale des berühmten Erfinders sind wohl bekannt genug, als daß es hier mehr als einer flüchtigen Erinnerung be- dürfte. Elias Howe war 1819 zu Spencer in Massachusetts geboren, kam 1839 als Mechaniker nach Boston und empfing hier die erste Jdee zu seiner Nähmaschine. Er war ein zwar geschickter, aber mit wenig Aus- dauer begabter Arbeiter, und konnte kaum so viel verdienen, um seine in sehr frühen Jahren geheirathete Gattin und den bald recht zahlreichen Kinderkreis zu ernähren. „Da mußte“, schrieb Howe selbst in späteren Jahren einem Freunde, „mein armes Weib tapfer mithelfen, das tägliche Brot erwerben. Bis spät in die Nacht hinein sah ich sie oft über ihrer Näharbeit sitzen, und fortan konnte ich mich von dem Gedanken nicht mehr trennen, daß ich sie und viele Leidensgefährtinnen von diesem traurigen Loos durch eine Nähmaschine befreien müßte. Allerdings machte sie mir über meine Grübeleien manchmal bittere Vorwürfe, zumal auch die Ver- suche einiges Geld kosteten. Doch ich gab den Muth nicht auf, denn ich war überzeugt, es mußte gehen — und es ging“. Aber welche schweren Kämpfe kostete es, wie mannichfache Enttäuschungen und Hindernisse _____waren zu überwinden, ehe seine Maschine wirklich „ging“! Jm April 1845 hatte Howe die erste Maschine fertig; dieselbe ehrwürdige Maschine, welche ver- schiedene Male den Ozean gekreuzt hat, wiederholt als stummer Zeuge in den Gerichtssälen für des Meisters beeinträchtigte Erfindung eingetreten ist und schließlich auf dem Broadway zu New=York das Gnadenbrot ge- funden hat. Am 10. September 1846 erhielt Howe auch von dem Patent- Amt zu Washington ein Patent auf seine Maschine, und zwar für vierzehn Jahre, aber kaufen wollte sie Niemand. Endlich fand er in England einen spekulativen Käufer, und schiffte später sich selbst dorthin ein. Ent- täuscht, betrogen und außer Stande, seiner Erfindung die nöthige Ver- breitung zu geben, kehrte er im höchsten Elend nach Amerika zurück, um an das Sterbebett seiner Gattin zu eilen, die unter Kummer und Ent- behrungen schnell dahingesiecht war. Sie hatte zuerst den Segen der Nähmaschine genießen sollen, und was empfing sie davon? — Einen lang- samen Hungertod! Kann es eine bittrere Jronie des Schicksals, einen schrofferen Gegensatz zwischen Hoffnung und Wirklichkeit geben? — Doch desto reichlicher sollte der Segen bald über Tausende und vielleicht Millionen von Leidensgefährtinnen ausgegossen werden. Das Jahr 1848, welches ja so manchen alten Schlendrian über den Haufen warf und überall neue Geister schöpferisch in die Arena rief, war auch für den kleinen eisernen Neuling Howe's epochemachend. Zahlreiche Nachahmer seiner Maschine hatten sich während seiner Abwesenheit ge- funden, und diese wurden eigentlich seine Wohlthäter, denn sie hatten zum Theil bereits das vollbracht, was er nicht vermochte: die Nähmaschine in den Verkehr einzuführen. Ein fernerer Hebel zur Verbreitung derselben war der monströse Prozeß, den Howe 1849 mit dem Gelde eines Freundes gegen die Nachahmer — an ihrer Spitze den heutigen Krösus von New- York, Jsaac Merrit Singer — anstrengte. Derselbe endete zwar erst 1854 zu seinen Gunsten, hatte aber die öffentliche Aufmerksamkeit in hohem Grade auf die Maschine gelenkt. Schnell und in riesiger Pro- gression hat sie sich seitdem die Gunst der Fabrikanten wie der Arbeiter, insbesondere der Frauenwelt erworben, und heut ist sie überall heimisch, von der kleinen Werkstatt des gewöhnlichen Schneiders bis zu den mäch- tigen Fabriksälen des Groß=Jndustriellen, von dem einfachen Dachstübchen der emsigen Näherin bis zum Salon der Weltdame. Die Grover und Baker'sche Nähmaschinenfabrik zu Boston und New=York hat ja in neuerer Zeit elegante Salon=Nähmaschinen zu einem besonderen Jndustriezweig gemacht und bringt jährlich viele Tausende derselben in den Handel. Jn der That bezeichnet die Nähmaschine einen großen Abschnitt in der Kulturgeschichte der ganzen Menschheit; und wie innig hat sich die flinke, eiserne Wohlthäterin an den Familienkreis angeschlossen, wie knüpft sie ihre Beziehungen an alle Phasen des menschlichen Lebens! Kaum erblickt das Kind den ersten Lebenstag, so setzt sie, die bescheiden und schweigsam in der Zimmerecke Freud' und Leid mit ihrer Umgebung theilt, sich in Be- wegung, und wie aus Zauberhänden geht das erste Kleid, welches Mutter- liebe um das junge Ebenbild des Schöpfers hüllt, aus ihr hervor. Bald

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 17. Berlin, 26. April 1868, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt17_1868/6>, abgerufen am 16.07.2024.