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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 12. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 26. Dezember 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 353
[Beginn Spaltensatz] frommes Haupt war und mit Papst und Priesterschaft im
schönsten Einklang stand und tausende von Priestern nieder-
kartätschen ließ. Ja wohl, mein Lord, Sie scheinen mir gerade
im besten Zuge und ich lade Sie ein fortzupredigen, nach der
Melodie "die Franzosen sind Hunde", die bei manchen Eng-
ländern sehr beliebt ist; bei solchen wenigstens die nicht be-
greifen, das sie die trübseligen Werkzeuge in den Händen der
Unterdrücker sind. Aber halt, Sie sagen meine Landsleute
seien Gottesleugner; gut, ich behaupte die Herren Britten seien
desgleichen Ungläubige; ich gehe wie Sie sehen auf den Kampf
ein, den Sie mir anbieten.

Was Sie, William, persönlich betrifft, eine ganz kleine
Frage: auf Jhren Gütern und in London geben Sie sich die
Mühe ein frommes Aeußere zu zeigen; Sie eilen in die Kirche,
versagen sich am Sonntag jedes unschuldige Vergnügen, gähnen,
langweilen sich am Tage des Herrn bestens zu seiner Ehre; das
ist Geschmacksache; aber wenn Sie in Paris sich aufhalten, wie da?
besuchen Sie dann auch [Abbildung]

Aus der Umgegend von Potsdam.


den englisch=protestantischen
Tempel? fliehen auch da
die Sonntagsvergnügun-
gen? --

Nein, gewiß nicht!

Da haben wir's, Sie sind
ein Gottloser.

Wieso?

Ah, Sie fragen noch?
Sie Ungläubiger und Gott-
loser; und ich will es Jhnen
beweisen, doch erlaube man
mir vorher ein Geschicht-
chen zu erzählen, welches
mich besonders angeht. Der
arme Lord William weiß
schwerlich, daß ich, den er
irreligiös nennt, in früher
Jugend fast toll vor Fröm-
migkeit war. Sie wundern
sich; ich muß es erklären.

Jch war dreizehn Jahre
alt, als ein Pfarer mir
zugeneigt ward und aus mir
einen Gottesmann zu machen
beschloß. Er nahm mich in
die Lehre und wußte mir
einzureden, Gott habe all-
wärts sein Auge offen,
sehe Alles; man erwerbe sich Gottes Beistimmung und Hülfe
durch aufrichtige Gebete, auch seien ihm alle Entbehrungen, die
man freiwillig sich auferlege, um ihm zu gefallen, höchst an-
genehm. Dies glaubte ich mit völligstem, reinstem Feuer mei-
ner Seele, ich war der unschuldigste Junge von der Welt und zu-
gleich der allerfrömmste; das bekam mir übel. Hören Sie jetzt
wie das.

Es schien mir immer, ich sähe unablässig das Auge Gottes,
ein ganz ungeheures offenes Auge, mich anstarrend -- lachen Sie
nur, ich lachte damals nicht. -- Jch schrak zusammen wenn ich
oben am Himmelsgewölbe dies Auge sah, ich hätte um nichts in
der Welt, selbst nicht in der Finsterniß, irgend etwas gethan
was dem Gottesauge mißfallen gemocht. Ging ich zur Klasse,
dann flehte ich zu ihm er wolle mir eine gute Arbeit zu leisten
verleihen, und ich schlug das Kreuz insgeheim damit man es
nicht bemerke, ich machte z. B. die vier Handbewegungen in
[Spaltenumbruch] langen Pausen eine nach der andern; doch gewiß hätte ich das
heilige Zeichen ganz deutlich gemacht, wenn ich das für nöthig
erachtet. Kam ich hungrig vom Spazieren, und fiel mir ein,
er möge es gern daß ich ein Lieblingsgericht stehen ließe, so that
ich es. Ja, überraschte ich mich auf der Sünde, daß meine
Blicke einem schönen Mädchen zufielen, dann bekreuzte ich mich
inbrünstig und mehrmalen, um den Herrgott gegen den Ver-
sucher anzurufen. ( Allgemeine Heiterkeit. )

Und wie sind Sie da herausgekommen? frug Walmor.

Ein einziges aber ernstes Gespräch mit einem edlen Greise,
dem Oheim eines meiner Schulgenossen, rüttelte mich empor aus
dem Taumel der Andachtüberschwenglichkeit, der mich gradewegs
bald an den schauerlichen Abgrund des religiösen Blödsinnes und
Wahnsinnes geführt hätte. Da stürzte ich denn zuerst nieder
und bat Gott feurig mit gefaltenen Händen und [unleserliches Material - 12 Zeichen fehlen]Händeeringen,
mir durch ein ihm beliebendes Zeichen die Wahrheit zu ver-
melden, etwa durch ein Winken mit seinem unermeßlichen Auge;
ich gelobte ihm, forthin
meine Tage zu weihen, ich
würde auf sein Geheiß in's
Feuer springen... Jch rief,
wie ich mich noch heute ent-
sinnen kann: O Herr, o
Allmächtiger, Allgütigster,
zeige dich nur ein Mal dem
ganzen Erdkreise wie du
dich einst Moses zeigtest;
zeige dich jetzt, sprich vom
hohen Himmel herab, be-
fiehl, und Alle ohne Aus-
nahme werden gewiß nie-
derfallen und dir gehorsa-
men wie ich; und das Ge-
schlecht der Menschen, wel-
ches zur ewigen Qual hin-
wandelt wird alsdann er-
löset sein; allmächtiger
Gott, Allgerechter, Allwei-
ser, du gütiger Vater des
Weltenalls, rette deine un-
glücklichen Kinder, indem
du dich ihnen zeigest! --
Aber das große Auge blieb
starr und machte mir nicht
das mindeste Zeichen, und
seitdem habe ich aufgehört
zu glauben; wohlgemerkt
ohne daß mich der leiseste Gewissensbiß verfolgte...

Und wenn Sie heute gläubig wären? warf der Engländer
dazwischen.

Wenn ich heute gläubig zu sein das Schicksal hätte, sagte
ich, o dann fiele ich unbedenklich aufs Angesicht vor des Aller-
höchsten unendlicher Majestät, ich thäte alles um ihm zu dienen
und zu gehorchen; ich schösse z. B. Sie todt, bester William,
und Korilla dazu und Jhre Dina, ohne Zaudern und Mitleiden,
sobald ich dächte Gott wünsche es; oder auch, ich bäte ihn
flehentlichst Jhre Seelen zu erretten, zu bekehren! Vielleicht
würde ich es machen wie die heiligen Christen einst, welche kurz
und bündig den Heiden das Lebenslicht ausbliesen, um dieselben
zu verhindern in die Hölle zu fahren, doch würde ich vorher
gleichfalls ein paar Tröpfchen Weihwassers ihnen auf den Scheitel
gießen und somit ihre Seligkeit sichern.... Vielleicht auch
sänke ich in den Staub und betete Tag und Nacht auf Holzbün-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 353
[Beginn Spaltensatz] frommes Haupt war und mit Papst und Priesterschaft im
schönsten Einklang stand und tausende von Priestern nieder-
kartätschen ließ. Ja wohl, mein Lord, Sie scheinen mir gerade
im besten Zuge und ich lade Sie ein fortzupredigen, nach der
Melodie „die Franzosen sind Hunde“, die bei manchen Eng-
ländern sehr beliebt ist; bei solchen wenigstens die nicht be-
greifen, das sie die trübseligen Werkzeuge in den Händen der
Unterdrücker sind. Aber halt, Sie sagen meine Landsleute
seien Gottesleugner; gut, ich behaupte die Herren Britten seien
desgleichen Ungläubige; ich gehe wie Sie sehen auf den Kampf
ein, den Sie mir anbieten.

Was Sie, William, persönlich betrifft, eine ganz kleine
Frage: auf Jhren Gütern und in London geben Sie sich die
Mühe ein frommes Aeußere zu zeigen; Sie eilen in die Kirche,
versagen sich am Sonntag jedes unschuldige Vergnügen, gähnen,
langweilen sich am Tage des Herrn bestens zu seiner Ehre; das
ist Geschmacksache; aber wenn Sie in Paris sich aufhalten, wie da?
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den englisch=protestantischen
Tempel? fliehen auch da
die Sonntagsvergnügun-
gen? —

Nein, gewiß nicht!

Da haben wir's, Sie sind
ein Gottloser.

Wieso?

Ah, Sie fragen noch?
Sie Ungläubiger und Gott-
loser; und ich will es Jhnen
beweisen, doch erlaube man
mir vorher ein Geschicht-
chen zu erzählen, welches
mich besonders angeht. Der
arme Lord William weiß
schwerlich, daß ich, den er
irreligiös nennt, in früher
Jugend fast toll vor Fröm-
migkeit war. Sie wundern
sich; ich muß es erklären.

Jch war dreizehn Jahre
alt, als ein Pfarer mir
zugeneigt ward und aus mir
einen Gottesmann zu machen
beschloß. Er nahm mich in
die Lehre und wußte mir
einzureden, Gott habe all-
wärts sein Auge offen,
sehe Alles; man erwerbe sich Gottes Beistimmung und Hülfe
durch aufrichtige Gebete, auch seien ihm alle Entbehrungen, die
man freiwillig sich auferlege, um ihm zu gefallen, höchst an-
genehm. Dies glaubte ich mit völligstem, reinstem Feuer mei-
ner Seele, ich war der unschuldigste Junge von der Welt und zu-
gleich der allerfrömmste; das bekam mir übel. Hören Sie jetzt
wie das.

Es schien mir immer, ich sähe unablässig das Auge Gottes,
ein ganz ungeheures offenes Auge, mich anstarrend — lachen Sie
nur, ich lachte damals nicht. — Jch schrak zusammen wenn ich
oben am Himmelsgewölbe dies Auge sah, ich hätte um nichts in
der Welt, selbst nicht in der Finsterniß, irgend etwas gethan
was dem Gottesauge mißfallen gemocht. Ging ich zur Klasse,
dann flehte ich zu ihm er wolle mir eine gute Arbeit zu leisten
verleihen, und ich schlug das Kreuz insgeheim damit man es
nicht bemerke, ich machte z. B. die vier Handbewegungen in
[Spaltenumbruch] langen Pausen eine nach der andern; doch gewiß hätte ich das
heilige Zeichen ganz deutlich gemacht, wenn ich das für nöthig
erachtet. Kam ich hungrig vom Spazieren, und fiel mir ein,
er möge es gern daß ich ein Lieblingsgericht stehen ließe, so that
ich es. Ja, überraschte ich mich auf der Sünde, daß meine
Blicke einem schönen Mädchen zufielen, dann bekreuzte ich mich
inbrünstig und mehrmalen, um den Herrgott gegen den Ver-
sucher anzurufen. ( Allgemeine Heiterkeit. )

Und wie sind Sie da herausgekommen? frug Walmor.

Ein einziges aber ernstes Gespräch mit einem edlen Greise,
dem Oheim eines meiner Schulgenossen, rüttelte mich empor aus
dem Taumel der Andachtüberschwenglichkeit, der mich gradewegs
bald an den schauerlichen Abgrund des religiösen Blödsinnes und
Wahnsinnes geführt hätte. Da stürzte ich denn zuerst nieder
und bat Gott feurig mit gefaltenen Händen und [unleserliches Material – 12 Zeichen fehlen]Händeeringen,
mir durch ein ihm beliebendes Zeichen die Wahrheit zu ver-
melden, etwa durch ein Winken mit seinem unermeßlichen Auge;
ich gelobte ihm, forthin
meine Tage zu weihen, ich
würde auf sein Geheiß in's
Feuer springen... Jch rief,
wie ich mich noch heute ent-
sinnen kann: O Herr, o
Allmächtiger, Allgütigster,
zeige dich nur ein Mal dem
ganzen Erdkreise wie du
dich einst Moses zeigtest;
zeige dich jetzt, sprich vom
hohen Himmel herab, be-
fiehl, und Alle ohne Aus-
nahme werden gewiß nie-
derfallen und dir gehorsa-
men wie ich; und das Ge-
schlecht der Menschen, wel-
ches zur ewigen Qual hin-
wandelt wird alsdann er-
löset sein; allmächtiger
Gott, Allgerechter, Allwei-
ser, du gütiger Vater des
Weltenalls, rette deine un-
glücklichen Kinder, indem
du dich ihnen zeigest! —
Aber das große Auge blieb
starr und machte mir nicht
das mindeste Zeichen, und
seitdem habe ich aufgehört
zu glauben; wohlgemerkt
ohne daß mich der leiseste Gewissensbiß verfolgte...

Und wenn Sie heute gläubig wären? warf der Engländer
dazwischen.

Wenn ich heute gläubig zu sein das Schicksal hätte, sagte
ich, o dann fiele ich unbedenklich aufs Angesicht vor des Aller-
höchsten unendlicher Majestät, ich thäte alles um ihm zu dienen
und zu gehorchen; ich schösse z. B. Sie todt, bester William,
und Korilla dazu und Jhre Dina, ohne Zaudern und Mitleiden,
sobald ich dächte Gott wünsche es; oder auch, ich bäte ihn
flehentlichst Jhre Seelen zu erretten, zu bekehren! Vielleicht
würde ich es machen wie die heiligen Christen einst, welche kurz
und bündig den Heiden das Lebenslicht ausbliesen, um dieselben
zu verhindern in die Hölle zu fahren, doch würde ich vorher
gleichfalls ein paar Tröpfchen Weihwassers ihnen auf den Scheitel
gießen und somit ihre Seligkeit sichern.... Vielleicht auch
sänke ich in den Staub und betete Tag und Nacht auf Holzbün-
[Ende Spaltensatz]

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[353/0005] Zur Unterhaltung und Belehrung. 353 frommes Haupt war und mit Papst und Priesterschaft im schönsten Einklang stand und tausende von Priestern nieder- kartätschen ließ. Ja wohl, mein Lord, Sie scheinen mir gerade im besten Zuge und ich lade Sie ein fortzupredigen, nach der Melodie „die Franzosen sind Hunde“, die bei manchen Eng- ländern sehr beliebt ist; bei solchen wenigstens die nicht be- greifen, das sie die trübseligen Werkzeuge in den Händen der Unterdrücker sind. Aber halt, Sie sagen meine Landsleute seien Gottesleugner; gut, ich behaupte die Herren Britten seien desgleichen Ungläubige; ich gehe wie Sie sehen auf den Kampf ein, den Sie mir anbieten. 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Da stürzte ich denn zuerst nieder und bat Gott feurig mit gefaltenen Händen und ____________Händeeringen, mir durch ein ihm beliebendes Zeichen die Wahrheit zu ver- melden, etwa durch ein Winken mit seinem unermeßlichen Auge; ich gelobte ihm, forthin meine Tage zu weihen, ich würde auf sein Geheiß in's Feuer springen... Jch rief, wie ich mich noch heute ent- sinnen kann: O Herr, o Allmächtiger, Allgütigster, zeige dich nur ein Mal dem ganzen Erdkreise wie du dich einst Moses zeigtest; zeige dich jetzt, sprich vom hohen Himmel herab, be- fiehl, und Alle ohne Aus- nahme werden gewiß nie- derfallen und dir gehorsa- men wie ich; und das Ge- schlecht der Menschen, wel- ches zur ewigen Qual hin- wandelt wird alsdann er- löset sein; allmächtiger Gott, Allgerechter, Allwei- ser, du gütiger Vater des Weltenalls, rette deine un- glücklichen Kinder, indem du dich ihnen zeigest! — Aber das große Auge blieb starr und machte mir nicht das mindeste Zeichen, und seitdem habe ich aufgehört zu glauben; wohlgemerkt ohne daß mich der leiseste Gewissensbiß verfolgte... Und wenn Sie heute gläubig wären? warf der Engländer dazwischen. Wenn ich heute gläubig zu sein das Schicksal hätte, sagte ich, o dann fiele ich unbedenklich aufs Angesicht vor des Aller- höchsten unendlicher Majestät, ich thäte alles um ihm zu dienen und zu gehorchen; ich schösse z. B. Sie todt, bester William, und Korilla dazu und Jhre Dina, ohne Zaudern und Mitleiden, sobald ich dächte Gott wünsche es; oder auch, ich bäte ihn flehentlichst Jhre Seelen zu erretten, zu bekehren! Vielleicht würde ich es machen wie die heiligen Christen einst, welche kurz und bündig den Heiden das Lebenslicht ausbliesen, um dieselben zu verhindern in die Hölle zu fahren, doch würde ich vorher gleichfalls ein paar Tröpfchen Weihwassers ihnen auf den Scheitel gießen und somit ihre Seligkeit sichern.... Vielleicht auch sänke ich in den Staub und betete Tag und Nacht auf Holzbün-

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 12. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 26. Dezember 1874, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social1204_1874/5>, abgerufen am 21.11.2024.