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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 11. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 7. November 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 299
[Beginn Spaltensatz] Zimmern in Bürgerhäusern. Zwei bis drei von ihnen hatten
gewöhnlich eins zusammen gemiethet.

Bei Fahrten schliefen aber auch die Bacchanten auf Kirch-
höfen. Jn der Nähe einer größeren Stadt angelangt, traten sie
paarweise zusammen, voran die Schützen, beladen mit todten
Gänsen, Enten, Hühnern, Bröten, Speck und Schinken, welche
Dinge theils auf Stöcken, theils in Quersäcken getragen wurden;
hinter ihnen folgten die mit Schwertern bewaffneten Bacchanten,
einige Bücher unter dem Arme und einen Tornister auf dem
Rücken tragend. Unter dem gemeinschaftlichen Gesange eines
geistlichen Liedes durchschritten sie das Thor der Stadt, arbeite-
ten sich schlangenartig durch die krummen Gassen und das Ge-
wimmel des Wochenmarktes und zogen geraden Weges auf den
Kirchhof, wo sie Rast machten.

Nachdem man sich ausgeruht, wurden die Schützen mit ihren
inzwischen ausgeleerten Querbeuteln in die benachbarten Häuser
geschickt, um durch Singen und Betteln frischen Proviant einzu-
sammeln. Ein zu langes Ausbleiben oder eine Erfolglosigkeit
dieser Sendung wurde mit Stockschlägen und Ohrfeigen geahn-
det. Ueberhaupt seufzten die armen Schützen unter einer ent-
setzlichen Tyrannei, aber sie waren durch die Verhältnisse gezwun-
gen, auszuharren. Nur der Gedanke konnte sie trösten, daß auch
sie in einigen Jahren Bacchanten werden und ihre dienenden
Untergebenen mit gleichem Maße messen würden.

Jhr Studiengang war folgender: Jn täglichen Uebungen
von etwa einer halben Stunde lernten sie von ihren Bacchanten
in drei bis vier Jahren lesen und schreiben, dann die lateinischen
zehn Gebote, das Paternoster und endlich das Credo. Diese Ge-
bote wurden ihnen so lange vorgesagt, bis sie dieselben auswen-
dig wußten; an ein Verständniß derselben war daher nicht zu
denken. Dasselbe lernte sich erst mit den Jahren.

Die ältesten Schützen mußten, um Bacchanten zu werden,
den ganzen "Cisso=Janus" an den Fingern, in und außer der
Reihe, hersagen können. Der Cisso=Janus hatte seinen Namen
von den Anfangsworten seines Jnhalts, und enthielt Verse für
jeden Monat und die Anfangsbuchstaben für alle Festtage. Die
Verse für den Januar z. B. hießen:

Cisio Janus Epi sibi vendicat oc Feli Mar An
Prisca Fab Agu Vincenti Pau Po nobile lumen
Quem circumcidit Janus Magnus advena adorat,
Moxque etiam agnoscit converso pectore Paulus.

Die beiden letzten Hexameter sind nur eine Zugabe, aber
die beiden ersten haben gerade 31 Sylben und eben so viele
Tage hat der Januar. Nun heißt die sechste und folgeude Sylbe
Epi. Also wußte man, daß am sechsten Tage des Januar das
Fest Epiphanias fällt. Die vierzehnte Sylbe heißt mit der
folgenden Feli, die sechszehnte Mar, die siebenzehnte An; weil am
14. Januar der Tag des heil. Felix, am 16. der des heil. Mar-
cellus, am 17. der des heil. Antonius ist u. s. f.

Dieselben Verse hatte man auch Deutsch. Für den Januar
hießen sie folgendermaßen:

Jesus das Kind ward beschnitten,
Drei Könige vom Orient kamen geritten
Und opferten dem Herrn lobesam.
Antonius sprach zu Sebastian,
Agnes ist da mit Paulo gewesen,
Wir wollen auch mit wesen.

Jm Deutschen muß man aber nicht Sylben, sondern Wör-
ter zählen, dann kommen auch 31. Tage heraus; die drei Könige
fallen auf den sechsten, Antonius auf den siebenzehnten, Seba-
stian auf den zwanzigsten. So ging's in dieser von Mönchen
recht sinnreich ausgedachten Weise weiter für jeden der folgenden
Monate.

Für den Februar lauteten die Verse so:

Bri Pur Basil Agath sub febre Scholastica Valent
Juli conjuge tunc Petrum Matthiam inde.
Februa pura facit Virgo materque Maria
Matthiam donat sedi Concordia Petri.

Das sind 28 Sylben und ebenfalls 28 Tage.

Deutsch lauten die Verse folgendermaßen:

Da Maria wollt' zu Agathen gehen,
Jesum ihr Kind opfern sehen,
Da ruft Valentinus mit Macht:
Freuet euch der Fastnacht.
Denn Petrus und Matthias
Kommen schier, wisset das.
[Spaltenumbruch]

Daß bei dieser Art und Weise des mechanischen Auswendig-
lernens, welches ja überdies fast nur dazu diente, die Tage der
Kirchenfeste sich einzuprägen, die Wissenschaft nicht gefördert wer-
den konnte und Geist und Herz leer bleiben mußten, liegt auf
der Hand. Die einzige rühmliche Ansnahme bildete das Schul-
wesen der bereits vorhin erwähnten "Brüderschaft vom gemein-
samen Leben," welche von einem Utrechter Canonicus, Geirt
Groote, im Jahre 1379 zu Deventer gestiftet worden war, aber
erst im folgenden Jahrhunderte ihre Thätigkeit in Deutschland
entwickelte. Die Mitglieder dieser Brüderschaft, welche aus Geist
lichen und Weltlichen bestand, beschäftigten sich aber nicht aus-
schließlich mit dem Jugendunterrichte, sondern auch mit dem Ab-
schreiben und Einbinden von Büchern, sowie auch mit Aufschrif-
ten von deren Titeln. Sie gelangten mit ihrer stillen Arbeit
freilich nicht zu Reichthümern, Glanz und Ehren, wie die stolzen
Capitularen und Prälaten, aber zu einer innigen Verbindung
mit dem Volke, und durch Lehre und Beispiel zu einer wohlhä-
tigen Einwirkung auf dasselbe. Sie waren es, welche nebst den
um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wieder erwachenden
Wissenschaften und Künsten das Volk für die deutsche Reforma-
tion empfänglich machten und somit gewissermaßen die Vorberei-
ter derselben wurden.

Erst sie, die Reformation, bildet den Wendepunkt zum Besse-
ren in dem Schulwesen. Nach dem Rathe und Plane Luther's
und seiner Mitarbeiter, welcher durch die Schulvisitation in
Kursachsen 1529 das vorleuchtende Beispiel einer ernstlichen
Sorge des Staates für die Schulen gaben, gründeten nun die
Stadträthe Gymnasien und Lyceen, an denen Lehrer mit festem
Gehalte angestellt wurden. Die Bildungsanstalten hoben sich um
so rascher, als die säcularisirten Kirchengüter von den protestan-
tischen Obrigkeiten häufig zum Besten der Schulen verwandt
wurden. Tüchtige Schulmänner, weiche von jener großen Zeit,
in welcher "die Geister erwachten," hervorgebracht wurden, wie
Sturm in Straßburg, Friedland in Goldberg, Heyder in
Nürnberg und Neander in Jlefeld brachten Methode in den
Unterricht und erwarben sich ein Verdienst um die Disciplin;
die durch die Buchdruckerkunst vervielfältigten classischen Schrif-
ten des griechischen und römischen Alterthums kamen in die
Hände der Schüler, deren romantisches Wanderleben nun auf-
hörte und die sich immer mehr eines wissenschaftlichen Lebens
befleißigten. Nur die Kloster=, Stifts= und Elementarschulen der
Katholiken hielten noch lange Zeit hindurch an dem ärmlichen
Schematismus der sogenannten sieben freien Künste fest.

An das Wanderleben und die Betteleien der vorreformato-
rischen Zeit erinnerten nur noch die festlichen Schulaufzüge, die
Singchöre und Currenden, welche letztere noch bis in die erste
Hälfte unseres neunzehnten Jahrhunderts an manchen Schulen
sich erhielten.



Allerlei.

Als Lord Chesterfield in Paris war, sragte ihn Voltaire
in einer Gesellschaft von mehreren sehr geputzten Damen: "Wie
gefallen Jhnen die Französinnen? Chesterfield erwiderte ihm so-
gleich leise: "Jch verstehe mich nicht auf Malerei." Voltaire
schwieg, da ihm keine passende Replik einfiel; er vergaß aber
die Satyre nicht. Bei seiner Anwesenheit in London war er
bei dem Lord eingeladen und fand dort die schönsten Damen
versammelt. Voltaire schien die Eine davon auszuzeichnen, die,
ganz gegen die englische Sitte, sich roth geschminkt hatte. Chester-
field trat hinter ihn, klopft ihm auf die Schulter und lispelte
ihm in's Ohr: "Nehmen Sie sich in Acht! Man wird Sie
kapern!" "Sollte ich dies Schicksal haben, Mylord," erwiderte
Voltaire leise, "so geschieht es nur durch ein englisches Schiff
mit französischer Flagge!"



Verheirathungsalter berühmter Männer. -- Adam,
als er sich verheirathete, hatte 0 Jahre; Shakespeare 18; Ben
Jonson 21; Franklin 24; Mozart 25; Dante, Kepler, Fuller,
Johnson, Burke, Walter Scott 26; Tycho Brahe, Byron,
Washington, Bonaparte 27; W. Penn, Sterne 28; Liun e, Nel-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 299
[Beginn Spaltensatz] Zimmern in Bürgerhäusern. Zwei bis drei von ihnen hatten
gewöhnlich eins zusammen gemiethet.

Bei Fahrten schliefen aber auch die Bacchanten auf Kirch-
höfen. Jn der Nähe einer größeren Stadt angelangt, traten sie
paarweise zusammen, voran die Schützen, beladen mit todten
Gänsen, Enten, Hühnern, Bröten, Speck und Schinken, welche
Dinge theils auf Stöcken, theils in Quersäcken getragen wurden;
hinter ihnen folgten die mit Schwertern bewaffneten Bacchanten,
einige Bücher unter dem Arme und einen Tornister auf dem
Rücken tragend. Unter dem gemeinschaftlichen Gesange eines
geistlichen Liedes durchschritten sie das Thor der Stadt, arbeite-
ten sich schlangenartig durch die krummen Gassen und das Ge-
wimmel des Wochenmarktes und zogen geraden Weges auf den
Kirchhof, wo sie Rast machten.

Nachdem man sich ausgeruht, wurden die Schützen mit ihren
inzwischen ausgeleerten Querbeuteln in die benachbarten Häuser
geschickt, um durch Singen und Betteln frischen Proviant einzu-
sammeln. Ein zu langes Ausbleiben oder eine Erfolglosigkeit
dieser Sendung wurde mit Stockschlägen und Ohrfeigen geahn-
det. Ueberhaupt seufzten die armen Schützen unter einer ent-
setzlichen Tyrannei, aber sie waren durch die Verhältnisse gezwun-
gen, auszuharren. Nur der Gedanke konnte sie trösten, daß auch
sie in einigen Jahren Bacchanten werden und ihre dienenden
Untergebenen mit gleichem Maße messen würden.

Jhr Studiengang war folgender: Jn täglichen Uebungen
von etwa einer halben Stunde lernten sie von ihren Bacchanten
in drei bis vier Jahren lesen und schreiben, dann die lateinischen
zehn Gebote, das Paternoster und endlich das Credo. Diese Ge-
bote wurden ihnen so lange vorgesagt, bis sie dieselben auswen-
dig wußten; an ein Verständniß derselben war daher nicht zu
denken. Dasselbe lernte sich erst mit den Jahren.

Die ältesten Schützen mußten, um Bacchanten zu werden,
den ganzen „Cisso=Janus“ an den Fingern, in und außer der
Reihe, hersagen können. Der Cisso=Janus hatte seinen Namen
von den Anfangsworten seines Jnhalts, und enthielt Verse für
jeden Monat und die Anfangsbuchstaben für alle Festtage. Die
Verse für den Januar z. B. hießen:

Cisio Janus Epi sibi vendicat oc Feli Mar An
Prisca Fab Agu Vincenti Pau Po nobile lumen
Quem circumcidit Janus Magnus advena adorat,
Moxque etiam agnoscit converso pectore Paulus.

Die beiden letzten Hexameter sind nur eine Zugabe, aber
die beiden ersten haben gerade 31 Sylben und eben so viele
Tage hat der Januar. Nun heißt die sechste und folgeude Sylbe
Epi. Also wußte man, daß am sechsten Tage des Januar das
Fest Epiphanias fällt. Die vierzehnte Sylbe heißt mit der
folgenden Feli, die sechszehnte Mar, die siebenzehnte An; weil am
14. Januar der Tag des heil. Felix, am 16. der des heil. Mar-
cellus, am 17. der des heil. Antonius ist u. s. f.

Dieselben Verse hatte man auch Deutsch. Für den Januar
hießen sie folgendermaßen:

Jesus das Kind ward beschnitten,
Drei Könige vom Orient kamen geritten
Und opferten dem Herrn lobesam.
Antonius sprach zu Sebastian,
Agnes ist da mit Paulo gewesen,
Wir wollen auch mit wesen.

Jm Deutschen muß man aber nicht Sylben, sondern Wör-
ter zählen, dann kommen auch 31. Tage heraus; die drei Könige
fallen auf den sechsten, Antonius auf den siebenzehnten, Seba-
stian auf den zwanzigsten. So ging's in dieser von Mönchen
recht sinnreich ausgedachten Weise weiter für jeden der folgenden
Monate.

Für den Februar lauteten die Verse so:

Bri Pur Basil Agath sub febre Scholastica Valent
Juli conjuge tunc Petrum Matthiam inde.
Februa pura facit Virgo materque Maria
Matthiam donat sedi Concordia Petri.

Das sind 28 Sylben und ebenfalls 28 Tage.

Deutsch lauten die Verse folgendermaßen:

Da Maria wollt' zu Agathen gehen,
Jesum ihr Kind opfern sehen,
Da ruft Valentinus mit Macht:
Freuet euch der Fastnacht.
Denn Petrus und Matthias
Kommen schier, wisset das.
[Spaltenumbruch]

Daß bei dieser Art und Weise des mechanischen Auswendig-
lernens, welches ja überdies fast nur dazu diente, die Tage der
Kirchenfeste sich einzuprägen, die Wissenschaft nicht gefördert wer-
den konnte und Geist und Herz leer bleiben mußten, liegt auf
der Hand. Die einzige rühmliche Ansnahme bildete das Schul-
wesen der bereits vorhin erwähnten „Brüderschaft vom gemein-
samen Leben,“ welche von einem Utrechter Canonicus, Geirt
Groote, im Jahre 1379 zu Deventer gestiftet worden war, aber
erst im folgenden Jahrhunderte ihre Thätigkeit in Deutschland
entwickelte. Die Mitglieder dieser Brüderschaft, welche aus Geist
lichen und Weltlichen bestand, beschäftigten sich aber nicht aus-
schließlich mit dem Jugendunterrichte, sondern auch mit dem Ab-
schreiben und Einbinden von Büchern, sowie auch mit Aufschrif-
ten von deren Titeln. Sie gelangten mit ihrer stillen Arbeit
freilich nicht zu Reichthümern, Glanz und Ehren, wie die stolzen
Capitularen und Prälaten, aber zu einer innigen Verbindung
mit dem Volke, und durch Lehre und Beispiel zu einer wohlhä-
tigen Einwirkung auf dasselbe. Sie waren es, welche nebst den
um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wieder erwachenden
Wissenschaften und Künsten das Volk für die deutsche Reforma-
tion empfänglich machten und somit gewissermaßen die Vorberei-
ter derselben wurden.

Erst sie, die Reformation, bildet den Wendepunkt zum Besse-
ren in dem Schulwesen. Nach dem Rathe und Plane Luther's
und seiner Mitarbeiter, welcher durch die Schulvisitation in
Kursachsen 1529 das vorleuchtende Beispiel einer ernstlichen
Sorge des Staates für die Schulen gaben, gründeten nun die
Stadträthe Gymnasien und Lyceen, an denen Lehrer mit festem
Gehalte angestellt wurden. Die Bildungsanstalten hoben sich um
so rascher, als die säcularisirten Kirchengüter von den protestan-
tischen Obrigkeiten häufig zum Besten der Schulen verwandt
wurden. Tüchtige Schulmänner, weiche von jener großen Zeit,
in welcher „die Geister erwachten,“ hervorgebracht wurden, wie
Sturm in Straßburg, Friedland in Goldberg, Heyder in
Nürnberg und Neander in Jlefeld brachten Methode in den
Unterricht und erwarben sich ein Verdienst um die Disciplin;
die durch die Buchdruckerkunst vervielfältigten classischen Schrif-
ten des griechischen und römischen Alterthums kamen in die
Hände der Schüler, deren romantisches Wanderleben nun auf-
hörte und die sich immer mehr eines wissenschaftlichen Lebens
befleißigten. Nur die Kloster=, Stifts= und Elementarschulen der
Katholiken hielten noch lange Zeit hindurch an dem ärmlichen
Schematismus der sogenannten sieben freien Künste fest.

An das Wanderleben und die Betteleien der vorreformato-
rischen Zeit erinnerten nur noch die festlichen Schulaufzüge, die
Singchöre und Currenden, welche letztere noch bis in die erste
Hälfte unseres neunzehnten Jahrhunderts an manchen Schulen
sich erhielten.



Allerlei.

Als Lord Chesterfield in Paris war, sragte ihn Voltaire
in einer Gesellschaft von mehreren sehr geputzten Damen: „Wie
gefallen Jhnen die Französinnen? Chesterfield erwiderte ihm so-
gleich leise: „Jch verstehe mich nicht auf Malerei.“ Voltaire
schwieg, da ihm keine passende Replik einfiel; er vergaß aber
die Satyre nicht. Bei seiner Anwesenheit in London war er
bei dem Lord eingeladen und fand dort die schönsten Damen
versammelt. Voltaire schien die Eine davon auszuzeichnen, die,
ganz gegen die englische Sitte, sich roth geschminkt hatte. Chester-
field trat hinter ihn, klopft ihm auf die Schulter und lispelte
ihm in's Ohr: „Nehmen Sie sich in Acht! Man wird Sie
kapern!“ „Sollte ich dies Schicksal haben, Mylord,“ erwiderte
Voltaire leise, „so geschieht es nur durch ein englisches Schiff
mit französischer Flagge!“



Verheirathungsalter berühmter Männer. — Adam,
als er sich verheirathete, hatte 0 Jahre; Shakespeare 18; Ben
Jonson 21; Franklin 24; Mozart 25; Dante, Kepler, Fuller,
Johnson, Burke, Walter Scott 26; Tycho Brahe, Byron,
Washington, Bonaparte 27; W. Penn, Sterne 28; Liun é, Nel-
[Ende Spaltensatz]

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[299/0007] Zur Unterhaltung und Belehrung. 299 Zimmern in Bürgerhäusern. Zwei bis drei von ihnen hatten gewöhnlich eins zusammen gemiethet. Bei Fahrten schliefen aber auch die Bacchanten auf Kirch- höfen. Jn der Nähe einer größeren Stadt angelangt, traten sie paarweise zusammen, voran die Schützen, beladen mit todten Gänsen, Enten, Hühnern, Bröten, Speck und Schinken, welche Dinge theils auf Stöcken, theils in Quersäcken getragen wurden; hinter ihnen folgten die mit Schwertern bewaffneten Bacchanten, einige Bücher unter dem Arme und einen Tornister auf dem Rücken tragend. Unter dem gemeinschaftlichen Gesange eines geistlichen Liedes durchschritten sie das Thor der Stadt, arbeite- ten sich schlangenartig durch die krummen Gassen und das Ge- wimmel des Wochenmarktes und zogen geraden Weges auf den Kirchhof, wo sie Rast machten. Nachdem man sich ausgeruht, wurden die Schützen mit ihren inzwischen ausgeleerten Querbeuteln in die benachbarten Häuser geschickt, um durch Singen und Betteln frischen Proviant einzu- sammeln. Ein zu langes Ausbleiben oder eine Erfolglosigkeit dieser Sendung wurde mit Stockschlägen und Ohrfeigen geahn- det. Ueberhaupt seufzten die armen Schützen unter einer ent- setzlichen Tyrannei, aber sie waren durch die Verhältnisse gezwun- gen, auszuharren. Nur der Gedanke konnte sie trösten, daß auch sie in einigen Jahren Bacchanten werden und ihre dienenden Untergebenen mit gleichem Maße messen würden. Jhr Studiengang war folgender: Jn täglichen Uebungen von etwa einer halben Stunde lernten sie von ihren Bacchanten in drei bis vier Jahren lesen und schreiben, dann die lateinischen zehn Gebote, das Paternoster und endlich das Credo. Diese Ge- bote wurden ihnen so lange vorgesagt, bis sie dieselben auswen- dig wußten; an ein Verständniß derselben war daher nicht zu denken. Dasselbe lernte sich erst mit den Jahren. Die ältesten Schützen mußten, um Bacchanten zu werden, den ganzen „Cisso=Janus“ an den Fingern, in und außer der Reihe, hersagen können. Der Cisso=Janus hatte seinen Namen von den Anfangsworten seines Jnhalts, und enthielt Verse für jeden Monat und die Anfangsbuchstaben für alle Festtage. Die Verse für den Januar z. B. hießen: Cisio Janus Epi sibi vendicat oc Feli Mar An Prisca Fab Agu Vincenti Pau Po nobile lumen Quem circumcidit Janus Magnus advena adorat, Moxque etiam agnoscit converso pectore Paulus. Die beiden letzten Hexameter sind nur eine Zugabe, aber die beiden ersten haben gerade 31 Sylben und eben so viele Tage hat der Januar. Nun heißt die sechste und folgeude Sylbe Epi. Also wußte man, daß am sechsten Tage des Januar das Fest Epiphanias fällt. Die vierzehnte Sylbe heißt mit der folgenden Feli, die sechszehnte Mar, die siebenzehnte An; weil am 14. Januar der Tag des heil. Felix, am 16. der des heil. Mar- cellus, am 17. der des heil. Antonius ist u. s. f. Dieselben Verse hatte man auch Deutsch. Für den Januar hießen sie folgendermaßen: Jesus das Kind ward beschnitten, Drei Könige vom Orient kamen geritten Und opferten dem Herrn lobesam. Antonius sprach zu Sebastian, Agnes ist da mit Paulo gewesen, Wir wollen auch mit wesen. Jm Deutschen muß man aber nicht Sylben, sondern Wör- ter zählen, dann kommen auch 31. Tage heraus; die drei Könige fallen auf den sechsten, Antonius auf den siebenzehnten, Seba- stian auf den zwanzigsten. So ging's in dieser von Mönchen recht sinnreich ausgedachten Weise weiter für jeden der folgenden Monate. Für den Februar lauteten die Verse so: Bri Pur Basil Agath sub febre Scholastica Valent Juli conjuge tunc Petrum Matthiam inde. Februa pura facit Virgo materque Maria Matthiam donat sedi Concordia Petri. Das sind 28 Sylben und ebenfalls 28 Tage. Deutsch lauten die Verse folgendermaßen: Da Maria wollt' zu Agathen gehen, Jesum ihr Kind opfern sehen, Da ruft Valentinus mit Macht: Freuet euch der Fastnacht. Denn Petrus und Matthias Kommen schier, wisset das. Daß bei dieser Art und Weise des mechanischen Auswendig- lernens, welches ja überdies fast nur dazu diente, die Tage der Kirchenfeste sich einzuprägen, die Wissenschaft nicht gefördert wer- den konnte und Geist und Herz leer bleiben mußten, liegt auf der Hand. Die einzige rühmliche Ansnahme bildete das Schul- wesen der bereits vorhin erwähnten „Brüderschaft vom gemein- samen Leben,“ welche von einem Utrechter Canonicus, Geirt Groote, im Jahre 1379 zu Deventer gestiftet worden war, aber erst im folgenden Jahrhunderte ihre Thätigkeit in Deutschland entwickelte. Die Mitglieder dieser Brüderschaft, welche aus Geist lichen und Weltlichen bestand, beschäftigten sich aber nicht aus- schließlich mit dem Jugendunterrichte, sondern auch mit dem Ab- schreiben und Einbinden von Büchern, sowie auch mit Aufschrif- ten von deren Titeln. Sie gelangten mit ihrer stillen Arbeit freilich nicht zu Reichthümern, Glanz und Ehren, wie die stolzen Capitularen und Prälaten, aber zu einer innigen Verbindung mit dem Volke, und durch Lehre und Beispiel zu einer wohlhä- tigen Einwirkung auf dasselbe. Sie waren es, welche nebst den um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wieder erwachenden Wissenschaften und Künsten das Volk für die deutsche Reforma- tion empfänglich machten und somit gewissermaßen die Vorberei- ter derselben wurden. Erst sie, die Reformation, bildet den Wendepunkt zum Besse- ren in dem Schulwesen. Nach dem Rathe und Plane Luther's und seiner Mitarbeiter, welcher durch die Schulvisitation in Kursachsen 1529 das vorleuchtende Beispiel einer ernstlichen Sorge des Staates für die Schulen gaben, gründeten nun die Stadträthe Gymnasien und Lyceen, an denen Lehrer mit festem Gehalte angestellt wurden. Die Bildungsanstalten hoben sich um so rascher, als die säcularisirten Kirchengüter von den protestan- tischen Obrigkeiten häufig zum Besten der Schulen verwandt wurden. Tüchtige Schulmänner, weiche von jener großen Zeit, in welcher „die Geister erwachten,“ hervorgebracht wurden, wie Sturm in Straßburg, Friedland in Goldberg, Heyder in Nürnberg und Neander in Jlefeld brachten Methode in den Unterricht und erwarben sich ein Verdienst um die Disciplin; die durch die Buchdruckerkunst vervielfältigten classischen Schrif- ten des griechischen und römischen Alterthums kamen in die Hände der Schüler, deren romantisches Wanderleben nun auf- hörte und die sich immer mehr eines wissenschaftlichen Lebens befleißigten. Nur die Kloster=, Stifts= und Elementarschulen der Katholiken hielten noch lange Zeit hindurch an dem ärmlichen Schematismus der sogenannten sieben freien Künste fest. An das Wanderleben und die Betteleien der vorreformato- rischen Zeit erinnerten nur noch die festlichen Schulaufzüge, die Singchöre und Currenden, welche letztere noch bis in die erste Hälfte unseres neunzehnten Jahrhunderts an manchen Schulen sich erhielten. Allerlei. Als Lord Chesterfield in Paris war, sragte ihn Voltaire in einer Gesellschaft von mehreren sehr geputzten Damen: „Wie gefallen Jhnen die Französinnen? Chesterfield erwiderte ihm so- gleich leise: „Jch verstehe mich nicht auf Malerei.“ Voltaire schwieg, da ihm keine passende Replik einfiel; er vergaß aber die Satyre nicht. Bei seiner Anwesenheit in London war er bei dem Lord eingeladen und fand dort die schönsten Damen versammelt. Voltaire schien die Eine davon auszuzeichnen, die, ganz gegen die englische Sitte, sich roth geschminkt hatte. Chester- field trat hinter ihn, klopft ihm auf die Schulter und lispelte ihm in's Ohr: „Nehmen Sie sich in Acht! Man wird Sie kapern!“ „Sollte ich dies Schicksal haben, Mylord,“ erwiderte Voltaire leise, „so geschieht es nur durch ein englisches Schiff mit französischer Flagge!“ Verheirathungsalter berühmter Männer. — Adam, als er sich verheirathete, hatte 0 Jahre; Shakespeare 18; Ben Jonson 21; Franklin 24; Mozart 25; Dante, Kepler, Fuller, Johnson, Burke, Walter Scott 26; Tycho Brahe, Byron, Washington, Bonaparte 27; W. Penn, Sterne 28; Liun é, Nel-

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 11. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 7. November 1874, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social1101_1874/7>, abgerufen am 27.11.2024.