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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 29. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 218
[Beginn Spaltensatz]

Die jungen Männer beginnen das Arbeiten mit dem acht-
zehnten, die jungen Mädchen mit dem siebzehnten Jahre. Früher
kann man sie nicht dazu nehmen, da sie ihren Körper ausbilden,
ihre Erziehung abmachen müssen. Jm fünfundsechszigsten hört
der Greis auf, im fünfzigsten die Frau, wenn sie es wünschen;
doch ist das Arbeiten so erleichtert, das nur wenige Personen
jenes Alters sich zurückziehen; fast ohne Ausnahme fahren sie
[Spaltenumbruch] fort, ein Geschäft noch weiter zu betreiben. Krankheit macht
natürlich arbeitsfrei; in schweren Fällen wird aber, um allem
Mißbrauch vorzubeugen, erheischt, daß der Patient sich in den
öffentlichen Krankenpalast, das sogenannte Hospital, führen lasse.
Jeder Arbeitende kann übrigens in besonderen gesetzlich bestimm-
ten Umständen, und unter Bewilligung seiner Mitarbeitenden,
einen Urlaub erhalten.

[Ende Spaltensatz]

( Fortsetzung folgt ) .



[Beginn Spaltensatz]
Ein Dichter des Proletariats.

Anfangs der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts tauchte
urplötzlich eine neue Sonne am Himmel der europäischen Welt-
literatur auf; die Blicke des erstaunten Europa richteten sich voll
Neugierde auf einen genialen Sohn der Pußta, dessen stets frisch
und jugendlich sprudelnder Liederquell an die herrlichsten dichte-
rischen Erzeugnisse eines Goethe, B e ranger und Heine erinnerte;
die größten und bedeutendsten Männer der Zeit konnten für ihr
Entzücken nicht Worte genug finden. "Jch selbst," rief Heine
aus, "fand nur wenige solcher Naturlaute, an welchen dieser Bauern-
junge so reich ist wie eine Nachtigall. Wir Reflexionsmenschen
erscheinen neben solcher Ursprünglichkeit wahrhaft bemitleidens-
werth." -- "Das ist in der That überraschend," sagte Alex. v.
Humboldt, "plötzlich in so nächster Nähe eine derartige Pracht-
blüthe zu entdecken, nachdem man die ganze Welt abgelaufen und
trotzdem nicht viel mehr des Lautern fand."

Es ist übrigens nicht zu verwundern dies allgemeine Auf-
sehen. Eine ganz neue Welt der Schönheit enthüllte sich in
seelenvollen Liedern der glühendsten Liebe, der Freiheit und des
Vaterlandes. Man lernte den Genius der ungarischen Volks-
poesie in ihrer Ursprünglichkeit, Unschuld und Fülle kennen.
Ungarn war nicht mehr das halbcivilisirte Land mit seinen end-
losen Haiden und Steppen, seinen 14 Millionen durch den Besen
des Zufalls aus allen Nationen zusammengefegten Seelen: es
wurde ein Land, das den schöpferischen Hauch eigener und groß-
artiger Poesie in seinem Busen trug.

Und wer war dieser Genius, der mit einem Schlage die
Blicke Europa's auf sein Land richtete und die nüchternsten
Geister zur Verehrung seiner Persönlichkeit und seiner Muse ver-
anlaßte? War er vielleicht reich, ein Schooßkind des Glückes
mit all seinen Gaben überschüttet? -- Nein! er konnte in seinem
ganzen Leben weder Rast noch Ruhe finden; und von den
Wellen des Schicksals gepeitscht, wanderte er elend und verlassen
von einer Stadt zur andern. Hätte er akademische oder wenig-
stens eine allgemeine Bildung genossen? -- Nein, er konnte es
in der Schule nie aushalten, war der erklärte Feind aller Pro-
fessoren und brachte es nie über die Anfangsgründe des Latei-
nischen hinaus. Oder hatte er vielleicht, wie Goethe z. B., ein
langes Leben zu durchlaufen, wo es ihm also leicht werden
konnte, seinen poetischen Genius zu entwickeln und zur herrlichsten
Vollkommenheit heranreifen zu lassen? Auch dies ist nicht der
Fall; denn er war noch keine 27 Jahr alt, als die unerbittliche
Hand des Schicksals ihn mitten in dem eisernen Würfelspiel der
Schlacht fortraffte. Wie die Dichtung, so war auch das Leben
Alexander Petöfi's, den wir meinen, eine Wundererscheinung.
"Man ist stellenweise versucht anzunehmen", bemerkt ein Beur-
theiler, "der Mann habe gar nie existirt, auch nicht selbst jene
Gedichte geschrieben, sondern beides seien Phantasiegeburten eines
andern großen Dichters, der sich nicht zu erkennen gab."

Alexander Petöfi gehörte zu den ersten Männern des Jahres
1823, denn er wurde in der Neujahrsnacht, Punkt 12 Uhr, zu
Kis=Körös, einem Städtchen im Pester Comitate, geboren. Sein
Vater -- Stephan P. -- war ein wohlhabender Fleischer und
Grundbesitzer, der von 1823--1838 in Kleinkumanien, im Tief-
land Ungarns, wohnte. Hier, in den schrankenlosen Weiten der
Pußta, fühlte der Dichter zuerst seinen poetischen Genius erwachen,
wie denn auch das ungarische Tiefland stets sein Lieblings-
aufenthalt blieb.

Der ehrliche Vater wollte, daß der Sohn "was Rechts"
lerne, und schickte er ihn zuerst in die evangelischen Schulen der
Umgegend, dann nach dem Lyceum der kleinen Bergstadt Schem-
nitz. Aber dem jungen Brausekopf gefiel die Schule nicht, er
[Spaltenumbruch] spielte den zopfigen Professoren Possen über Possen, was die
gelahrten Herren so in Harnisch brachte, daß sie ihm feierlichst
nächstens fortzujagen versprachen. Um dem zuvorzukommen,
entfloh der zwölfjährige junge "Bummler" im Jahre 1835 von
Schemnitz nach Pest; hier schloß er sich einer herumziehenden
Schauspielertruppe an, und da er auch nicht die geringste Be-
fähigung zum Theater hatte, mußte er das beneidenswerthe Amt
eines Statisten und Laufburschen versehen. Als der strenge
Vater die Streiche des jungen Taugenichts erfuhr, eilte er sofort
nach Pest, zerbläute den Rücken des armen Jungen ganz fürchter-
lich und schleppte ihn nach der Heimath mit sich fort. Aber auch
zu Hause trieb er's nicht besser; und um den ungerathenen Sohn
loszuwerden, gab ihn der Vater zu einem nahen Verwandten
nach Oedenburg, wo er seine Gymnasialstudien wieder aufnehmen
sollte. Aber anstatt zu seinen Verwandten zu gehen, begab er
sich sofort nach seiner Ankunft in Oedenburg schnurstracks in die
Kaserne und ließ sich hier als "Gemeiner" anwerben. Doch
auch jetzt wurden seine rosigen Hoffnungen, die er sich in seiner
Phantasie vom Soldaten ausmalte, getäuscht; denn die mili-
tärische Disciplin war ihm zuwider und so entschloß er sich
"durchzubrennen". Nach vielen Mühseligkeiten im Jahre 1841
endlich nach der Stadt Papa glücklich entkommen, erbarmte sich
hier ein Regimentsarzt des armen, zerlumpten jungen Mannes,
indem er ihm einige Mittel verschaffte, um weiter studiren zu
können. Aber seine Sucht, Schauspieler zu werden, ließ ihn
nicht schlafen und so verließ er 1842 auch Papa und ging aber-
mals unter "die Comödianten". Jn dieser wüsten und lüder-
lichen Gesellschaft kam er nach einigen Monaten so sehr her-
unter, daß er elend und zerlumpt nur des Nachts sich auf die
Straße wagen durfte. Seine schreckliche Lage schildert am besten
ein Gedicht, das er 1847 verfaßte:

Diente Herrn v. Mars*) , wie Fräulein
v. Thalia**) , nach Verlangen
Ehrenhaft: der jagte fort mich,
Jener bin ich durchgegangen.
Lief zu Fuß schon gleich dem Hunde,
Fuhr mit vier süperben Rossen;
Putzte Andrer Stiefel; Andre
Putzten mir sie unverdrossen.
Knusperte an manchem Orte
Trocknes Brot als magres Futter,
Andren Orts hat fast gebadet
Man in Milch mich und in Butter.
Nuhbett war mir oft der nackte
Boden zwischen Felsenrissen;
Oft auch schlief ich dann im Prachbett
Auf moußlinenzarten Kissen.
Zog die Mütze vor des Richters
Büttel, schnitt ihm scheu Gesichter;
Und vor mir verneigten tief sich
Manchmal auch sogar die Richter.
Anstand nahm manch' Stubenmädchen,
Arm in Arm mit mir zu gehen;
Schmachtend hat dann manch ein Fräulein
Schon nach meinem Blick gesehen.
Stak in kostbar feinen Kleidern,
Ging in Fetzen auch daneben,
Fleck auf Fleck, grün, rothe, blaue, -- -- --
Herr, mein Gott, welch' buntes Leben!

Als im Jahre 1842 in Preßburg die ungarische Landtag
tagte, versah er hier das Amt eines armseligen Copisten; hier
[Ende Spaltensatz]

*) Der Kriegsgott der Römer.
**) Die Muse des Theaters.
Zur Unterhaltung und Belehrung. 218
[Beginn Spaltensatz]

Die jungen Männer beginnen das Arbeiten mit dem acht-
zehnten, die jungen Mädchen mit dem siebzehnten Jahre. Früher
kann man sie nicht dazu nehmen, da sie ihren Körper ausbilden,
ihre Erziehung abmachen müssen. Jm fünfundsechszigsten hört
der Greis auf, im fünfzigsten die Frau, wenn sie es wünschen;
doch ist das Arbeiten so erleichtert, das nur wenige Personen
jenes Alters sich zurückziehen; fast ohne Ausnahme fahren sie
[Spaltenumbruch] fort, ein Geschäft noch weiter zu betreiben. Krankheit macht
natürlich arbeitsfrei; in schweren Fällen wird aber, um allem
Mißbrauch vorzubeugen, erheischt, daß der Patient sich in den
öffentlichen Krankenpalast, das sogenannte Hospital, führen lasse.
Jeder Arbeitende kann übrigens in besonderen gesetzlich bestimm-
ten Umständen, und unter Bewilligung seiner Mitarbeitenden,
einen Urlaub erhalten.

[Ende Spaltensatz]

( Fortsetzung folgt ) .



[Beginn Spaltensatz]
Ein Dichter des Proletariats.

Anfangs der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts tauchte
urplötzlich eine neue Sonne am Himmel der europäischen Welt-
literatur auf; die Blicke des erstaunten Europa richteten sich voll
Neugierde auf einen genialen Sohn der Pußta, dessen stets frisch
und jugendlich sprudelnder Liederquell an die herrlichsten dichte-
rischen Erzeugnisse eines Goethe, B é ranger und Heine erinnerte;
die größten und bedeutendsten Männer der Zeit konnten für ihr
Entzücken nicht Worte genug finden. „Jch selbst,“ rief Heine
aus, „fand nur wenige solcher Naturlaute, an welchen dieser Bauern-
junge so reich ist wie eine Nachtigall. Wir Reflexionsmenschen
erscheinen neben solcher Ursprünglichkeit wahrhaft bemitleidens-
werth.“ — „Das ist in der That überraschend,“ sagte Alex. v.
Humboldt, „plötzlich in so nächster Nähe eine derartige Pracht-
blüthe zu entdecken, nachdem man die ganze Welt abgelaufen und
trotzdem nicht viel mehr des Lautern fand.“

Es ist übrigens nicht zu verwundern dies allgemeine Auf-
sehen. Eine ganz neue Welt der Schönheit enthüllte sich in
seelenvollen Liedern der glühendsten Liebe, der Freiheit und des
Vaterlandes. Man lernte den Genius der ungarischen Volks-
poesie in ihrer Ursprünglichkeit, Unschuld und Fülle kennen.
Ungarn war nicht mehr das halbcivilisirte Land mit seinen end-
losen Haiden und Steppen, seinen 14 Millionen durch den Besen
des Zufalls aus allen Nationen zusammengefegten Seelen: es
wurde ein Land, das den schöpferischen Hauch eigener und groß-
artiger Poesie in seinem Busen trug.

Und wer war dieser Genius, der mit einem Schlage die
Blicke Europa's auf sein Land richtete und die nüchternsten
Geister zur Verehrung seiner Persönlichkeit und seiner Muse ver-
anlaßte? War er vielleicht reich, ein Schooßkind des Glückes
mit all seinen Gaben überschüttet? — Nein! er konnte in seinem
ganzen Leben weder Rast noch Ruhe finden; und von den
Wellen des Schicksals gepeitscht, wanderte er elend und verlassen
von einer Stadt zur andern. Hätte er akademische oder wenig-
stens eine allgemeine Bildung genossen? — Nein, er konnte es
in der Schule nie aushalten, war der erklärte Feind aller Pro-
fessoren und brachte es nie über die Anfangsgründe des Latei-
nischen hinaus. Oder hatte er vielleicht, wie Goethe z. B., ein
langes Leben zu durchlaufen, wo es ihm also leicht werden
konnte, seinen poetischen Genius zu entwickeln und zur herrlichsten
Vollkommenheit heranreifen zu lassen? Auch dies ist nicht der
Fall; denn er war noch keine 27 Jahr alt, als die unerbittliche
Hand des Schicksals ihn mitten in dem eisernen Würfelspiel der
Schlacht fortraffte. Wie die Dichtung, so war auch das Leben
Alexander Petöfi's, den wir meinen, eine Wundererscheinung.
„Man ist stellenweise versucht anzunehmen“, bemerkt ein Beur-
theiler, „der Mann habe gar nie existirt, auch nicht selbst jene
Gedichte geschrieben, sondern beides seien Phantasiegeburten eines
andern großen Dichters, der sich nicht zu erkennen gab.“

Alexander Petöfi gehörte zu den ersten Männern des Jahres
1823, denn er wurde in der Neujahrsnacht, Punkt 12 Uhr, zu
Kis=Körös, einem Städtchen im Pester Comitate, geboren. Sein
Vater — Stephan P. — war ein wohlhabender Fleischer und
Grundbesitzer, der von 1823—1838 in Kleinkumanien, im Tief-
land Ungarns, wohnte. Hier, in den schrankenlosen Weiten der
Pußta, fühlte der Dichter zuerst seinen poetischen Genius erwachen,
wie denn auch das ungarische Tiefland stets sein Lieblings-
aufenthalt blieb.

Der ehrliche Vater wollte, daß der Sohn „was Rechts“
lerne, und schickte er ihn zuerst in die evangelischen Schulen der
Umgegend, dann nach dem Lyceum der kleinen Bergstadt Schem-
nitz. Aber dem jungen Brausekopf gefiel die Schule nicht, er
[Spaltenumbruch] spielte den zopfigen Professoren Possen über Possen, was die
gelahrten Herren so in Harnisch brachte, daß sie ihm feierlichst
nächstens fortzujagen versprachen. Um dem zuvorzukommen,
entfloh der zwölfjährige junge „Bummler“ im Jahre 1835 von
Schemnitz nach Pest; hier schloß er sich einer herumziehenden
Schauspielertruppe an, und da er auch nicht die geringste Be-
fähigung zum Theater hatte, mußte er das beneidenswerthe Amt
eines Statisten und Laufburschen versehen. Als der strenge
Vater die Streiche des jungen Taugenichts erfuhr, eilte er sofort
nach Pest, zerbläute den Rücken des armen Jungen ganz fürchter-
lich und schleppte ihn nach der Heimath mit sich fort. Aber auch
zu Hause trieb er's nicht besser; und um den ungerathenen Sohn
loszuwerden, gab ihn der Vater zu einem nahen Verwandten
nach Oedenburg, wo er seine Gymnasialstudien wieder aufnehmen
sollte. Aber anstatt zu seinen Verwandten zu gehen, begab er
sich sofort nach seiner Ankunft in Oedenburg schnurstracks in die
Kaserne und ließ sich hier als „Gemeiner“ anwerben. Doch
auch jetzt wurden seine rosigen Hoffnungen, die er sich in seiner
Phantasie vom Soldaten ausmalte, getäuscht; denn die mili-
tärische Disciplin war ihm zuwider und so entschloß er sich
„durchzubrennen“. Nach vielen Mühseligkeiten im Jahre 1841
endlich nach der Stadt Papa glücklich entkommen, erbarmte sich
hier ein Regimentsarzt des armen, zerlumpten jungen Mannes,
indem er ihm einige Mittel verschaffte, um weiter studiren zu
können. Aber seine Sucht, Schauspieler zu werden, ließ ihn
nicht schlafen und so verließ er 1842 auch Papa und ging aber-
mals unter „die Comödianten“. Jn dieser wüsten und lüder-
lichen Gesellschaft kam er nach einigen Monaten so sehr her-
unter, daß er elend und zerlumpt nur des Nachts sich auf die
Straße wagen durfte. Seine schreckliche Lage schildert am besten
ein Gedicht, das er 1847 verfaßte:

Diente Herrn v. Mars*) , wie Fräulein
v. Thalia**) , nach Verlangen
Ehrenhaft: der jagte fort mich,
Jener bin ich durchgegangen.
Lief zu Fuß schon gleich dem Hunde,
Fuhr mit vier süperben Rossen;
Putzte Andrer Stiefel; Andre
Putzten mir sie unverdrossen.
Knusperte an manchem Orte
Trocknes Brot als magres Futter,
Andren Orts hat fast gebadet
Man in Milch mich und in Butter.
Nuhbett war mir oft der nackte
Boden zwischen Felsenrissen;
Oft auch schlief ich dann im Prachbett
Auf moußlinenzarten Kissen.
Zog die Mütze vor des Richters
Büttel, schnitt ihm scheu Gesichter;
Und vor mir verneigten tief sich
Manchmal auch sogar die Richter.
Anstand nahm manch' Stubenmädchen,
Arm in Arm mit mir zu gehen;
Schmachtend hat dann manch ein Fräulein
Schon nach meinem Blick gesehen.
Stak in kostbar feinen Kleidern,
Ging in Fetzen auch daneben,
Fleck auf Fleck, grün, rothe, blaue, — — —
Herr, mein Gott, welch' buntes Leben!

Als im Jahre 1842 in Preßburg die ungarische Landtag
tagte, versah er hier das Amt eines armseligen Copisten; hier
[Ende Spaltensatz]

*) Der Kriegsgott der Römer.
**) Die Muse des Theaters.
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[218/0006] Zur Unterhaltung und Belehrung. 218 Die jungen Männer beginnen das Arbeiten mit dem acht- zehnten, die jungen Mädchen mit dem siebzehnten Jahre. Früher kann man sie nicht dazu nehmen, da sie ihren Körper ausbilden, ihre Erziehung abmachen müssen. Jm fünfundsechszigsten hört der Greis auf, im fünfzigsten die Frau, wenn sie es wünschen; doch ist das Arbeiten so erleichtert, das nur wenige Personen jenes Alters sich zurückziehen; fast ohne Ausnahme fahren sie fort, ein Geschäft noch weiter zu betreiben. Krankheit macht natürlich arbeitsfrei; in schweren Fällen wird aber, um allem Mißbrauch vorzubeugen, erheischt, daß der Patient sich in den öffentlichen Krankenpalast, das sogenannte Hospital, führen lasse. Jeder Arbeitende kann übrigens in besonderen gesetzlich bestimm- ten Umständen, und unter Bewilligung seiner Mitarbeitenden, einen Urlaub erhalten. ( Fortsetzung folgt ) . Ein Dichter des Proletariats. Anfangs der vierziger Jahre unseres Jahrhunderts tauchte urplötzlich eine neue Sonne am Himmel der europäischen Welt- literatur auf; die Blicke des erstaunten Europa richteten sich voll Neugierde auf einen genialen Sohn der Pußta, dessen stets frisch und jugendlich sprudelnder Liederquell an die herrlichsten dichte- rischen Erzeugnisse eines Goethe, B é ranger und Heine erinnerte; die größten und bedeutendsten Männer der Zeit konnten für ihr Entzücken nicht Worte genug finden. „Jch selbst,“ rief Heine aus, „fand nur wenige solcher Naturlaute, an welchen dieser Bauern- junge so reich ist wie eine Nachtigall. Wir Reflexionsmenschen erscheinen neben solcher Ursprünglichkeit wahrhaft bemitleidens- werth.“ — „Das ist in der That überraschend,“ sagte Alex. v. Humboldt, „plötzlich in so nächster Nähe eine derartige Pracht- blüthe zu entdecken, nachdem man die ganze Welt abgelaufen und trotzdem nicht viel mehr des Lautern fand.“ Es ist übrigens nicht zu verwundern dies allgemeine Auf- sehen. Eine ganz neue Welt der Schönheit enthüllte sich in seelenvollen Liedern der glühendsten Liebe, der Freiheit und des Vaterlandes. Man lernte den Genius der ungarischen Volks- poesie in ihrer Ursprünglichkeit, Unschuld und Fülle kennen. Ungarn war nicht mehr das halbcivilisirte Land mit seinen end- losen Haiden und Steppen, seinen 14 Millionen durch den Besen des Zufalls aus allen Nationen zusammengefegten Seelen: es wurde ein Land, das den schöpferischen Hauch eigener und groß- artiger Poesie in seinem Busen trug. Und wer war dieser Genius, der mit einem Schlage die Blicke Europa's auf sein Land richtete und die nüchternsten Geister zur Verehrung seiner Persönlichkeit und seiner Muse ver- anlaßte? War er vielleicht reich, ein Schooßkind des Glückes mit all seinen Gaben überschüttet? — Nein! er konnte in seinem ganzen Leben weder Rast noch Ruhe finden; und von den Wellen des Schicksals gepeitscht, wanderte er elend und verlassen von einer Stadt zur andern. Hätte er akademische oder wenig- stens eine allgemeine Bildung genossen? — Nein, er konnte es in der Schule nie aushalten, war der erklärte Feind aller Pro- fessoren und brachte es nie über die Anfangsgründe des Latei- nischen hinaus. Oder hatte er vielleicht, wie Goethe z. B., ein langes Leben zu durchlaufen, wo es ihm also leicht werden konnte, seinen poetischen Genius zu entwickeln und zur herrlichsten Vollkommenheit heranreifen zu lassen? Auch dies ist nicht der Fall; denn er war noch keine 27 Jahr alt, als die unerbittliche Hand des Schicksals ihn mitten in dem eisernen Würfelspiel der Schlacht fortraffte. Wie die Dichtung, so war auch das Leben Alexander Petöfi's, den wir meinen, eine Wundererscheinung. „Man ist stellenweise versucht anzunehmen“, bemerkt ein Beur- theiler, „der Mann habe gar nie existirt, auch nicht selbst jene Gedichte geschrieben, sondern beides seien Phantasiegeburten eines andern großen Dichters, der sich nicht zu erkennen gab.“ Alexander Petöfi gehörte zu den ersten Männern des Jahres 1823, denn er wurde in der Neujahrsnacht, Punkt 12 Uhr, zu Kis=Körös, einem Städtchen im Pester Comitate, geboren. Sein Vater — Stephan P. — war ein wohlhabender Fleischer und Grundbesitzer, der von 1823—1838 in Kleinkumanien, im Tief- land Ungarns, wohnte. Hier, in den schrankenlosen Weiten der Pußta, fühlte der Dichter zuerst seinen poetischen Genius erwachen, wie denn auch das ungarische Tiefland stets sein Lieblings- aufenthalt blieb. Der ehrliche Vater wollte, daß der Sohn „was Rechts“ lerne, und schickte er ihn zuerst in die evangelischen Schulen der Umgegend, dann nach dem Lyceum der kleinen Bergstadt Schem- nitz. Aber dem jungen Brausekopf gefiel die Schule nicht, er spielte den zopfigen Professoren Possen über Possen, was die gelahrten Herren so in Harnisch brachte, daß sie ihm feierlichst nächstens fortzujagen versprachen. Um dem zuvorzukommen, entfloh der zwölfjährige junge „Bummler“ im Jahre 1835 von Schemnitz nach Pest; hier schloß er sich einer herumziehenden Schauspielertruppe an, und da er auch nicht die geringste Be- fähigung zum Theater hatte, mußte er das beneidenswerthe Amt eines Statisten und Laufburschen versehen. Als der strenge Vater die Streiche des jungen Taugenichts erfuhr, eilte er sofort nach Pest, zerbläute den Rücken des armen Jungen ganz fürchter- lich und schleppte ihn nach der Heimath mit sich fort. Aber auch zu Hause trieb er's nicht besser; und um den ungerathenen Sohn loszuwerden, gab ihn der Vater zu einem nahen Verwandten nach Oedenburg, wo er seine Gymnasialstudien wieder aufnehmen sollte. Aber anstatt zu seinen Verwandten zu gehen, begab er sich sofort nach seiner Ankunft in Oedenburg schnurstracks in die Kaserne und ließ sich hier als „Gemeiner“ anwerben. Doch auch jetzt wurden seine rosigen Hoffnungen, die er sich in seiner Phantasie vom Soldaten ausmalte, getäuscht; denn die mili- tärische Disciplin war ihm zuwider und so entschloß er sich „durchzubrennen“. Nach vielen Mühseligkeiten im Jahre 1841 endlich nach der Stadt Papa glücklich entkommen, erbarmte sich hier ein Regimentsarzt des armen, zerlumpten jungen Mannes, indem er ihm einige Mittel verschaffte, um weiter studiren zu können. Aber seine Sucht, Schauspieler zu werden, ließ ihn nicht schlafen und so verließ er 1842 auch Papa und ging aber- mals unter „die Comödianten“. Jn dieser wüsten und lüder- lichen Gesellschaft kam er nach einigen Monaten so sehr her- unter, daß er elend und zerlumpt nur des Nachts sich auf die Straße wagen durfte. Seine schreckliche Lage schildert am besten ein Gedicht, das er 1847 verfaßte: Diente Herrn v. Mars *) , wie Fräulein v. Thalia **) , nach Verlangen Ehrenhaft: der jagte fort mich, Jener bin ich durchgegangen. Lief zu Fuß schon gleich dem Hunde, Fuhr mit vier süperben Rossen; Putzte Andrer Stiefel; Andre Putzten mir sie unverdrossen. Knusperte an manchem Orte Trocknes Brot als magres Futter, Andren Orts hat fast gebadet Man in Milch mich und in Butter. Nuhbett war mir oft der nackte Boden zwischen Felsenrissen; Oft auch schlief ich dann im Prachbett Auf moußlinenzarten Kissen. Zog die Mütze vor des Richters Büttel, schnitt ihm scheu Gesichter; Und vor mir verneigten tief sich Manchmal auch sogar die Richter. Anstand nahm manch' Stubenmädchen, Arm in Arm mit mir zu gehen; Schmachtend hat dann manch ein Fräulein Schon nach meinem Blick gesehen. Stak in kostbar feinen Kleidern, Ging in Fetzen auch daneben, Fleck auf Fleck, grün, rothe, blaue, — — — Herr, mein Gott, welch' buntes Leben! Als im Jahre 1842 in Preßburg die ungarische Landtag tagte, versah er hier das Amt eines armseligen Copisten; hier *) Der Kriegsgott der Römer. **) Die Muse des Theaters.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 5. Berlin, 29. August 1874, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0805_1874/6>, abgerufen am 23.11.2024.