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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 3. Berlin, 15. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 204
[Beginn Spaltensatz] hunde hin, der ihn sofort verschlang. Die Magd wurde krank,
der Hund starb, und Voisin, der ihm den Magen öffnete, consta-
tirte in demselben das Vorhandensein eines bekannten Giftes.

An allen Gliedern gelähmt, mußte Gamain noch viele Mo-
nate warten, bevor er die Anzeige des Geheimnisses machen
konnte, welches er nur der Regierung direkt anvertrauen wollte.
Am 19 November begab er sich nach Paris und zeigte es dem
Minister Roland an. Der Eisenschrank wurde sofort mit Be-
schlag belegt, und die Papiere, welche sich darin fanden, waren
die Ursache der Arrestation des Königs und des ihm gemachten
Hochverrathsprozesses.

Offizielle Documente bestätigen diese mysteriöse Episode der
Revolutionsgeschichte. -- Am 19. Mai 1794 faßte der Convent,
nach Anhörung des Berichtes von Gunyssard, einstimmig folgen-
den Beschluß:

" Franz Gamain, am 22. Mai 1792 von Ludwig Capet
vergiftet, soll einen lebenslänglichen Jahresgehalt von 1200 Fran-
ken vom Tage des Vergiftungsversuches an gerechnet, beziehen."

Was die Einzelheiten dieser Erzählung betrifft, die eben-
falls durch authentische Protokolle und durch den noch im Jahre
1838 lebenden Doktor Lamoiran bestätigt worden sind, so ver-
danken wir dieselbe dem unter dem Namen Bibliophile Jakob
bekannten Schriftsteller, der eine sehr bemerkenswerthe Arbeit
über diesen Gegenstand herausgegeben hat. Die meisten auf
Gamain Bezug habenden Dokumente sind unter der Restauration
ans den Staatsarchiven entfernt worden.



Die Prostitution der Männer.

Auf die in einer der letzten Nummern mitgetheilten seiner Zeit
großes Aufsehen erregenden Rede, welche der französische Senator
Dupin gegen das Umsichgreifen des Luxus hielt, hat damals
eine Pariser Socialistin folgende treffende Antwort gegeben, welche
das Ueberläuferwesen unserer heutigen politischen Phrasenhelden,
" die Prostitution der Männer ", trefflich an den Pranger
stellt. Auch Dupin war eine solche Wetterfahne; er lief von den
Orleanisten zu den Republikanern und von diesen zu den Bona-
partisten über. Die betreffende Antwort der Socialisten lautet:

    Herr Senator!

Sie haben Sich mit der Jhnen eigenen Beredtsamkeit gegen
den übertriebenen Aufwand der Frauen erhoben, als den Quell
einer weitverbreiteten Prostitution. Jch weiß nicht, ob sie mit dieser
Herleitung Recht haben; mir kommt es nämlich vor, daß eine
Tugend, die sich verkauft, um damit eine Schneiderrechnung oder
einen Wechsel zur Verfallzeit zu bezahlen, einerseites nicht werth ist, er-
halten zu werden, andrerseits nicht erhalten werden kann. Der maß-
lose Aufwand führt nur das Symptom des moralischen Verfalls her-
bei, erzeugt aber nicht den moralischen Verfall selbst. Dieser hat
andere Faktoren, die aufzufinden Sie Sich wohl hätten sollen
angelegen sein lassen. Bezüglich des Heilmittels, welches Sie
gegen das Uebel angewendet wissen wollen, haben Sie Sich
ebenso geirrt -- wie bezüglich der Ursache der Krankheit. Wie
bescheiden die begüterte Hausfrau sich auch kleidet, es wird
immer eine beträchtliche Anzahl von Frauenzimmern geben, die
auch den gemäßigten Aufwand nicht erschwingen können und der
gefährlichen Verlockung, von welcher Sie sprechen, ausgesetzt bleiben.
Uebernehmen Sie es, zu bestimmen, wo das schlimme Beispiel
anfängt und wo es aufhört?

Der ungemessene Aufwand ist nicht der Grund, sondern das
Produkt einer Demoralisation, auf die Sie, der edle Menschen-
freund, in Jhrer Rede unausbleiblich hätten hinweisen müssen.
Der übertriebene Aufwand hängt mit dem gemeinen Materialis-
mus, mit der Jagd nach Geld und niedrigem Genuß, mit der
Werthlegung auf Aeußerliches, mit der Spiel= und Gewinnsucht
in unserm Lande auf's Engste zusammen, und all' diese Laster
sind eine natürliche Folge des Druckes, der auf dem so sprungfertigen
Geiste unserer Nation erstickend lastet. Mit beschnittenen Flügeln
[Spaltenumbruch] wird der Vogel zur Maus, zum Wiesel. Wo ist mein Frank-
reich, das ich kannte, liebte und verehrte!

Die einreißende Prostitution der Weiber ist gewiß ein arger
Schaden, der die Sorge des Patrioten erregen mag und sein
Sinnen auf Abhilfe herausfordert. Allein dem Uebel ist insofern
seine Grenze gezogen, daß die entwürdigten Geschöpfe, wie
reich und kostbar der Schmuck sein mag, mit dem sie sich behangen,
und überböten sie Fürstinnen an Prunk und Herrlichkeit, dennoch
von der Gesellschaft ausgestoßen, geächtet sind und bleiben, und
daß sie trotz allen Vorschubs, den ihnen eine entartete Literatur,
die allgemeine Gesunkenheit des moralischen Gefühls und die
Gesammtheit der Zustände leisten, daß sie trotz aller ihnen zu
Gebote stehenden Mittel die Kluft nicht überspringen können,
welche sie von der ehrbaren Gemeinschaft unerbittlich trennt.
Der Eingenommenste für die Zügellosigkeit der entwürdigten
Weiber ist bedacht, seines Hauses Altar vor der Entweihung
durch ihre Nähe zu schützen. Der Sittenloseste zeichnet das ehr-
bare Weib vor den Gefallenen aus. Und in dieser strengen
Ausscheidung und Absonderung findet das Uebel sein heilsames
Gegengewicht. Weit verderblicher, weil unheilvoller als die Wei-
ber ist aber die Prostitution der Männer, wie sie in unserem
Lande um sich gegriffen hat. Sie wissen mein Herr Senator,
wie sollte es Jhrem Scharfblick entgehen, daß es Männer giebt,
die, den feilen Dirnen gleich, ihre Ehre, ihren Glauben, ihre
Ueberzeugung verkaufen. Der Unterschied des Preises, das er-
kennen Sie wohl, ändert nichts an der Feilheit, ob man sich für
eine Anstellung oder Rente liefert, bleibt sich gleich. Gar Viele
sind ihrer, die heute verleugnen, was sie gestern bekannt, die
heute verrathen, was sie gestern geküßt, und heute vergöttern,
was sie gestern verachtet; und diese Prostituirten, das ist das
Schlimme, das Gefährliche, halten die Höhen der Gesellschaft be-
setzt, sie geben Gesetze, sie richten, sie entscheiden über die wich-
tigsten, die heiligsten Angelegenheiten. Sehen Sie, mein Herr,
das ist ein ganz anderer Scandal, der ganz anders wirkt und
demoralisirt, als das theaterhafte Auftreten der verworfenen Ge-
schöpfe, dessen trostlose Kehrseite kaum Jemanden entgehen kann.

Gegen diese Prostitution, gegen diesen Scandal sollte man
Petitionen beim Senate einreichen, und Sie sollten das Wort
nehmen, um zu verhindern, daß die ehrwürdige Versammlung
über den Gegenstand zur Tagesordnung übergehe. Um dem
hohen Hause ein getreues Bild eines Abtrünnigen vorzuhalten,
das gewiß nicht ermangeln würde, auf die Väter eine tiefe Wir-
kung hervorzubringen, vergessen Sie dann ja nicht, den Mann
als Beispiel anzuführen, der den Grundsätzen und der Dynastie
von 1830 ergeben war, der von dieser Dynastie emporgehoben,
mit Ehren und Vortheilen überhäuft, mit Verwaltung ihrer Do-
mänen betraut worden, der nach der Februar=Bewegung der
Republik Liebeserklärungen gemacht und Treue geschworen, und
der heute auf den Bänken des Senats sitzt und nicht einmal so
viel Ehrfurcht vor der menschlichen Würde hat, um sich ein un-
ablässiges Schweigen aufzulegen.*) -- --

Genehmigen Sie die Versicherung meiner ausnehmenden
Hochachtung Jhrer Talente.     X.

Paris, 25. Juni 1865.



Ein kitzlicher Bibelspruch.

Während der Revision eines Seminars bemerkte der Revi-
sor, daß eine von den an den Wänden des Speisesaales ange-
schriebenen Bibelstellen ganz frisch überklebt war und augen-
scheinlich eine andere Stelle citirte als vordem. Erstaunt machte
er den Seminardirektor darauf aufmerksam und dieser gerieth in
nicht geringe Bestürzung, denn die Bibelstelle, die wahrscheinlich
ein jovialer Seminarist heimlich angeklebt haben mußte, war
sehr bedeutungsvoll; sie steht Jesus Sirach 31, 13! und lautet
( "Und denke nicht, hier ist viel zu fressen." )

[Ende Spaltensatz]

Jnhalt der 8. Lieferung. Nr. 3. 1. Social=Demokraten und Social=Pfuscher. -- 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) -- 3. Jm
Bagno von Toulon. ( Schluß. ) -- 4. Gekrönte Meuchelmörder. -- 5. Die Prostitution der Männer. -- 6. Ein kitzlicher Bibelspruch.



Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. -- Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

*) Dupin selbst.

Zur Unterhaltung und Belehrung. 204
[Beginn Spaltensatz] hunde hin, der ihn sofort verschlang. Die Magd wurde krank,
der Hund starb, und Voisin, der ihm den Magen öffnete, consta-
tirte in demselben das Vorhandensein eines bekannten Giftes.

An allen Gliedern gelähmt, mußte Gamain noch viele Mo-
nate warten, bevor er die Anzeige des Geheimnisses machen
konnte, welches er nur der Regierung direkt anvertrauen wollte.
Am 19 November begab er sich nach Paris und zeigte es dem
Minister Roland an. Der Eisenschrank wurde sofort mit Be-
schlag belegt, und die Papiere, welche sich darin fanden, waren
die Ursache der Arrestation des Königs und des ihm gemachten
Hochverrathsprozesses.

Offizielle Documente bestätigen diese mysteriöse Episode der
Revolutionsgeschichte. — Am 19. Mai 1794 faßte der Convent,
nach Anhörung des Berichtes von Gunyssard, einstimmig folgen-
den Beschluß:

„ Franz Gamain, am 22. Mai 1792 von Ludwig Capet
vergiftet, soll einen lebenslänglichen Jahresgehalt von 1200 Fran-
ken vom Tage des Vergiftungsversuches an gerechnet, beziehen.“

Was die Einzelheiten dieser Erzählung betrifft, die eben-
falls durch authentische Protokolle und durch den noch im Jahre
1838 lebenden Doktor Lamoiran bestätigt worden sind, so ver-
danken wir dieselbe dem unter dem Namen Bibliophile Jakob
bekannten Schriftsteller, der eine sehr bemerkenswerthe Arbeit
über diesen Gegenstand herausgegeben hat. Die meisten auf
Gamain Bezug habenden Dokumente sind unter der Restauration
ans den Staatsarchiven entfernt worden.



Die Prostitution der Männer.

Auf die in einer der letzten Nummern mitgetheilten seiner Zeit
großes Aufsehen erregenden Rede, welche der französische Senator
Dupin gegen das Umsichgreifen des Luxus hielt, hat damals
eine Pariser Socialistin folgende treffende Antwort gegeben, welche
das Ueberläuferwesen unserer heutigen politischen Phrasenhelden,
die Prostitution der Männer “, trefflich an den Pranger
stellt. Auch Dupin war eine solche Wetterfahne; er lief von den
Orleanisten zu den Republikanern und von diesen zu den Bona-
partisten über. Die betreffende Antwort der Socialisten lautet:

    Herr Senator!

Sie haben Sich mit der Jhnen eigenen Beredtsamkeit gegen
den übertriebenen Aufwand der Frauen erhoben, als den Quell
einer weitverbreiteten Prostitution. Jch weiß nicht, ob sie mit dieser
Herleitung Recht haben; mir kommt es nämlich vor, daß eine
Tugend, die sich verkauft, um damit eine Schneiderrechnung oder
einen Wechsel zur Verfallzeit zu bezahlen, einerseites nicht werth ist, er-
halten zu werden, andrerseits nicht erhalten werden kann. Der maß-
lose Aufwand führt nur das Symptom des moralischen Verfalls her-
bei, erzeugt aber nicht den moralischen Verfall selbst. Dieser hat
andere Faktoren, die aufzufinden Sie Sich wohl hätten sollen
angelegen sein lassen. Bezüglich des Heilmittels, welches Sie
gegen das Uebel angewendet wissen wollen, haben Sie Sich
ebenso geirrt — wie bezüglich der Ursache der Krankheit. Wie
bescheiden die begüterte Hausfrau sich auch kleidet, es wird
immer eine beträchtliche Anzahl von Frauenzimmern geben, die
auch den gemäßigten Aufwand nicht erschwingen können und der
gefährlichen Verlockung, von welcher Sie sprechen, ausgesetzt bleiben.
Uebernehmen Sie es, zu bestimmen, wo das schlimme Beispiel
anfängt und wo es aufhört?

Der ungemessene Aufwand ist nicht der Grund, sondern das
Produkt einer Demoralisation, auf die Sie, der edle Menschen-
freund, in Jhrer Rede unausbleiblich hätten hinweisen müssen.
Der übertriebene Aufwand hängt mit dem gemeinen Materialis-
mus, mit der Jagd nach Geld und niedrigem Genuß, mit der
Werthlegung auf Aeußerliches, mit der Spiel= und Gewinnsucht
in unserm Lande auf's Engste zusammen, und all' diese Laster
sind eine natürliche Folge des Druckes, der auf dem so sprungfertigen
Geiste unserer Nation erstickend lastet. Mit beschnittenen Flügeln
[Spaltenumbruch] wird der Vogel zur Maus, zum Wiesel. Wo ist mein Frank-
reich, das ich kannte, liebte und verehrte!

Die einreißende Prostitution der Weiber ist gewiß ein arger
Schaden, der die Sorge des Patrioten erregen mag und sein
Sinnen auf Abhilfe herausfordert. Allein dem Uebel ist insofern
seine Grenze gezogen, daß die entwürdigten Geschöpfe, wie
reich und kostbar der Schmuck sein mag, mit dem sie sich behangen,
und überböten sie Fürstinnen an Prunk und Herrlichkeit, dennoch
von der Gesellschaft ausgestoßen, geächtet sind und bleiben, und
daß sie trotz allen Vorschubs, den ihnen eine entartete Literatur,
die allgemeine Gesunkenheit des moralischen Gefühls und die
Gesammtheit der Zustände leisten, daß sie trotz aller ihnen zu
Gebote stehenden Mittel die Kluft nicht überspringen können,
welche sie von der ehrbaren Gemeinschaft unerbittlich trennt.
Der Eingenommenste für die Zügellosigkeit der entwürdigten
Weiber ist bedacht, seines Hauses Altar vor der Entweihung
durch ihre Nähe zu schützen. Der Sittenloseste zeichnet das ehr-
bare Weib vor den Gefallenen aus. Und in dieser strengen
Ausscheidung und Absonderung findet das Uebel sein heilsames
Gegengewicht. Weit verderblicher, weil unheilvoller als die Wei-
ber ist aber die Prostitution der Männer, wie sie in unserem
Lande um sich gegriffen hat. Sie wissen mein Herr Senator,
wie sollte es Jhrem Scharfblick entgehen, daß es Männer giebt,
die, den feilen Dirnen gleich, ihre Ehre, ihren Glauben, ihre
Ueberzeugung verkaufen. Der Unterschied des Preises, das er-
kennen Sie wohl, ändert nichts an der Feilheit, ob man sich für
eine Anstellung oder Rente liefert, bleibt sich gleich. Gar Viele
sind ihrer, die heute verleugnen, was sie gestern bekannt, die
heute verrathen, was sie gestern geküßt, und heute vergöttern,
was sie gestern verachtet; und diese Prostituirten, das ist das
Schlimme, das Gefährliche, halten die Höhen der Gesellschaft be-
setzt, sie geben Gesetze, sie richten, sie entscheiden über die wich-
tigsten, die heiligsten Angelegenheiten. Sehen Sie, mein Herr,
das ist ein ganz anderer Scandal, der ganz anders wirkt und
demoralisirt, als das theaterhafte Auftreten der verworfenen Ge-
schöpfe, dessen trostlose Kehrseite kaum Jemanden entgehen kann.

Gegen diese Prostitution, gegen diesen Scandal sollte man
Petitionen beim Senate einreichen, und Sie sollten das Wort
nehmen, um zu verhindern, daß die ehrwürdige Versammlung
über den Gegenstand zur Tagesordnung übergehe. Um dem
hohen Hause ein getreues Bild eines Abtrünnigen vorzuhalten,
das gewiß nicht ermangeln würde, auf die Väter eine tiefe Wir-
kung hervorzubringen, vergessen Sie dann ja nicht, den Mann
als Beispiel anzuführen, der den Grundsätzen und der Dynastie
von 1830 ergeben war, der von dieser Dynastie emporgehoben,
mit Ehren und Vortheilen überhäuft, mit Verwaltung ihrer Do-
mänen betraut worden, der nach der Februar=Bewegung der
Republik Liebeserklärungen gemacht und Treue geschworen, und
der heute auf den Bänken des Senats sitzt und nicht einmal so
viel Ehrfurcht vor der menschlichen Würde hat, um sich ein un-
ablässiges Schweigen aufzulegen.*) — —

Genehmigen Sie die Versicherung meiner ausnehmenden
Hochachtung Jhrer Talente.     X.

Paris, 25. Juni 1865.



Ein kitzlicher Bibelspruch.

Während der Revision eines Seminars bemerkte der Revi-
sor, daß eine von den an den Wänden des Speisesaales ange-
schriebenen Bibelstellen ganz frisch überklebt war und augen-
scheinlich eine andere Stelle citirte als vordem. Erstaunt machte
er den Seminardirektor darauf aufmerksam und dieser gerieth in
nicht geringe Bestürzung, denn die Bibelstelle, die wahrscheinlich
ein jovialer Seminarist heimlich angeklebt haben mußte, war
sehr bedeutungsvoll; sie steht Jesus Sirach 31, 13! und lautet
( „Und denke nicht, hier ist viel zu fressen.“ )

[Ende Spaltensatz]

Jnhalt der 8. Lieferung. Nr. 3. 1. Social=Demokraten und Social=Pfuscher. — 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) — 3. Jm
Bagno von Toulon. ( Schluß. ) — 4. Gekrönte Meuchelmörder. — 5. Die Prostitution der Männer. — 6. Ein kitzlicher Bibelspruch.



Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. — Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin.

*) Dupin selbst.
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[204/0008] Zur Unterhaltung und Belehrung. 204 hunde hin, der ihn sofort verschlang. Die Magd wurde krank, der Hund starb, und Voisin, der ihm den Magen öffnete, consta- tirte in demselben das Vorhandensein eines bekannten Giftes. An allen Gliedern gelähmt, mußte Gamain noch viele Mo- nate warten, bevor er die Anzeige des Geheimnisses machen konnte, welches er nur der Regierung direkt anvertrauen wollte. Am 19 November begab er sich nach Paris und zeigte es dem Minister Roland an. Der Eisenschrank wurde sofort mit Be- schlag belegt, und die Papiere, welche sich darin fanden, waren die Ursache der Arrestation des Königs und des ihm gemachten Hochverrathsprozesses. Offizielle Documente bestätigen diese mysteriöse Episode der Revolutionsgeschichte. — Am 19. Mai 1794 faßte der Convent, nach Anhörung des Berichtes von Gunyssard, einstimmig folgen- den Beschluß: „ Franz Gamain, am 22. Mai 1792 von Ludwig Capet vergiftet, soll einen lebenslänglichen Jahresgehalt von 1200 Fran- ken vom Tage des Vergiftungsversuches an gerechnet, beziehen.“ Was die Einzelheiten dieser Erzählung betrifft, die eben- falls durch authentische Protokolle und durch den noch im Jahre 1838 lebenden Doktor Lamoiran bestätigt worden sind, so ver- danken wir dieselbe dem unter dem Namen Bibliophile Jakob bekannten Schriftsteller, der eine sehr bemerkenswerthe Arbeit über diesen Gegenstand herausgegeben hat. Die meisten auf Gamain Bezug habenden Dokumente sind unter der Restauration ans den Staatsarchiven entfernt worden. Die Prostitution der Männer. Auf die in einer der letzten Nummern mitgetheilten seiner Zeit großes Aufsehen erregenden Rede, welche der französische Senator Dupin gegen das Umsichgreifen des Luxus hielt, hat damals eine Pariser Socialistin folgende treffende Antwort gegeben, welche das Ueberläuferwesen unserer heutigen politischen Phrasenhelden, „ die Prostitution der Männer “, trefflich an den Pranger stellt. Auch Dupin war eine solche Wetterfahne; er lief von den Orleanisten zu den Republikanern und von diesen zu den Bona- partisten über. Die betreffende Antwort der Socialisten lautet: Herr Senator! Sie haben Sich mit der Jhnen eigenen Beredtsamkeit gegen den übertriebenen Aufwand der Frauen erhoben, als den Quell einer weitverbreiteten Prostitution. Jch weiß nicht, ob sie mit dieser Herleitung Recht haben; mir kommt es nämlich vor, daß eine Tugend, die sich verkauft, um damit eine Schneiderrechnung oder einen Wechsel zur Verfallzeit zu bezahlen, einerseites nicht werth ist, er- halten zu werden, andrerseits nicht erhalten werden kann. Der maß- lose Aufwand führt nur das Symptom des moralischen Verfalls her- bei, erzeugt aber nicht den moralischen Verfall selbst. Dieser hat andere Faktoren, die aufzufinden Sie Sich wohl hätten sollen angelegen sein lassen. Bezüglich des Heilmittels, welches Sie gegen das Uebel angewendet wissen wollen, haben Sie Sich ebenso geirrt — wie bezüglich der Ursache der Krankheit. Wie bescheiden die begüterte Hausfrau sich auch kleidet, es wird immer eine beträchtliche Anzahl von Frauenzimmern geben, die auch den gemäßigten Aufwand nicht erschwingen können und der gefährlichen Verlockung, von welcher Sie sprechen, ausgesetzt bleiben. Uebernehmen Sie es, zu bestimmen, wo das schlimme Beispiel anfängt und wo es aufhört? Der ungemessene Aufwand ist nicht der Grund, sondern das Produkt einer Demoralisation, auf die Sie, der edle Menschen- freund, in Jhrer Rede unausbleiblich hätten hinweisen müssen. Der übertriebene Aufwand hängt mit dem gemeinen Materialis- mus, mit der Jagd nach Geld und niedrigem Genuß, mit der Werthlegung auf Aeußerliches, mit der Spiel= und Gewinnsucht in unserm Lande auf's Engste zusammen, und all' diese Laster sind eine natürliche Folge des Druckes, der auf dem so sprungfertigen Geiste unserer Nation erstickend lastet. Mit beschnittenen Flügeln wird der Vogel zur Maus, zum Wiesel. Wo ist mein Frank- reich, das ich kannte, liebte und verehrte! Die einreißende Prostitution der Weiber ist gewiß ein arger Schaden, der die Sorge des Patrioten erregen mag und sein Sinnen auf Abhilfe herausfordert. Allein dem Uebel ist insofern seine Grenze gezogen, daß die entwürdigten Geschöpfe, wie reich und kostbar der Schmuck sein mag, mit dem sie sich behangen, und überböten sie Fürstinnen an Prunk und Herrlichkeit, dennoch von der Gesellschaft ausgestoßen, geächtet sind und bleiben, und daß sie trotz allen Vorschubs, den ihnen eine entartete Literatur, die allgemeine Gesunkenheit des moralischen Gefühls und die Gesammtheit der Zustände leisten, daß sie trotz aller ihnen zu Gebote stehenden Mittel die Kluft nicht überspringen können, welche sie von der ehrbaren Gemeinschaft unerbittlich trennt. Der Eingenommenste für die Zügellosigkeit der entwürdigten Weiber ist bedacht, seines Hauses Altar vor der Entweihung durch ihre Nähe zu schützen. Der Sittenloseste zeichnet das ehr- bare Weib vor den Gefallenen aus. Und in dieser strengen Ausscheidung und Absonderung findet das Uebel sein heilsames Gegengewicht. Weit verderblicher, weil unheilvoller als die Wei- ber ist aber die Prostitution der Männer, wie sie in unserem Lande um sich gegriffen hat. Sie wissen mein Herr Senator, wie sollte es Jhrem Scharfblick entgehen, daß es Männer giebt, die, den feilen Dirnen gleich, ihre Ehre, ihren Glauben, ihre Ueberzeugung verkaufen. Der Unterschied des Preises, das er- kennen Sie wohl, ändert nichts an der Feilheit, ob man sich für eine Anstellung oder Rente liefert, bleibt sich gleich. Gar Viele sind ihrer, die heute verleugnen, was sie gestern bekannt, die heute verrathen, was sie gestern geküßt, und heute vergöttern, was sie gestern verachtet; und diese Prostituirten, das ist das Schlimme, das Gefährliche, halten die Höhen der Gesellschaft be- setzt, sie geben Gesetze, sie richten, sie entscheiden über die wich- tigsten, die heiligsten Angelegenheiten. Sehen Sie, mein Herr, das ist ein ganz anderer Scandal, der ganz anders wirkt und demoralisirt, als das theaterhafte Auftreten der verworfenen Ge- schöpfe, dessen trostlose Kehrseite kaum Jemanden entgehen kann. Gegen diese Prostitution, gegen diesen Scandal sollte man Petitionen beim Senate einreichen, und Sie sollten das Wort nehmen, um zu verhindern, daß die ehrwürdige Versammlung über den Gegenstand zur Tagesordnung übergehe. Um dem hohen Hause ein getreues Bild eines Abtrünnigen vorzuhalten, das gewiß nicht ermangeln würde, auf die Väter eine tiefe Wir- kung hervorzubringen, vergessen Sie dann ja nicht, den Mann als Beispiel anzuführen, der den Grundsätzen und der Dynastie von 1830 ergeben war, der von dieser Dynastie emporgehoben, mit Ehren und Vortheilen überhäuft, mit Verwaltung ihrer Do- mänen betraut worden, der nach der Februar=Bewegung der Republik Liebeserklärungen gemacht und Treue geschworen, und der heute auf den Bänken des Senats sitzt und nicht einmal so viel Ehrfurcht vor der menschlichen Würde hat, um sich ein un- ablässiges Schweigen aufzulegen. *) — — Genehmigen Sie die Versicherung meiner ausnehmenden Hochachtung Jhrer Talente. X. Paris, 25. Juni 1865. Ein kitzlicher Bibelspruch. Während der Revision eines Seminars bemerkte der Revi- sor, daß eine von den an den Wänden des Speisesaales ange- schriebenen Bibelstellen ganz frisch überklebt war und augen- scheinlich eine andere Stelle citirte als vordem. Erstaunt machte er den Seminardirektor darauf aufmerksam und dieser gerieth in nicht geringe Bestürzung, denn die Bibelstelle, die wahrscheinlich ein jovialer Seminarist heimlich angeklebt haben mußte, war sehr bedeutungsvoll; sie steht Jesus Sirach 31, 13! und lautet ( „Und denke nicht, hier ist viel zu fressen.“ ) Jnhalt der 8. Lieferung. Nr. 3. 1. Social=Demokraten und Social=Pfuscher. — 2. Die Reise nach Jkarien. ( Roman von Cabet. ) — 3. Jm Bagno von Toulon. ( Schluß. ) — 4. Gekrönte Meuchelmörder. — 5. Die Prostitution der Männer. — 6. Ein kitzlicher Bibelspruch. Druck und Verlag von C. Jhring's Nfgr. in Berlin, Dresdenerstraße 84. — Verantwortlich für die Redaction: L. Pfeiffer in Berlin. *) Dupin selbst.

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 3. Berlin, 15. August 1874, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0803_1874/8>, abgerufen am 13.11.2024.