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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 3. Berlin, 15. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 201
[Beginn Spaltensatz] rien, wie in den übrigen Verhältnissen, so auch im Wohnungs-
verhältniß, zu finden ist. "Wir haben allerdings," rief sie mit
Stolz, "die ächte Gleichheit der Häuser; wir wohnen ein Jeder
in einem Hause, in einem Zimmer, welches den Hauptpunkten
nach dem anderen gleich ist und sein muß, wenn von gleichen
freien Menschen überhaupt die Rede sein soll. Jrgend ein Haus
hat gerade so viel des Nothwendigen, Nützlichen und Schönen,
als ein beliebiges anderes. Aber meine Herren, vergessen Sie
nicht, daß mitten in dieser Gleichheit eine unendliche Mannigfal-
tigkeit waltet; suchen Sie mir einmal in diesem meinem Hause
auch nur zwei kamine, zwei Teppiche, zwei Thüren, die sich voll-
kommen ähnlich sind!"

Jch erwartete ungeduldig die Abfahrt der Luftschiffe. Auch
Eugen brannte vor Ungeduld, Fräulein Dina zu sehen. Sehr
verdrießlich kam uns daher der Bescheid aus Walmor's Munde,
sie bleibe heute und morgen zu Hause, und Korilla sei bei ihr.
Walmor war offenbar nicht weniger ärgerlich, und so philoso-
phisch wir gegenseitig uns eine gewisse Gleichgültigkeit vorheuchel-
ten, dürfte schwer zu entscheiden gewesen sein, wessen Verstimmt-
heit von uns dreien die größte war. Wir beschlossen übrigens
die Luftfahrt mitzumachen.

Auf meine Aeußerung, wie es möglich geworden, die Luft
zu durchreisen, bemerkte der junge Jkarier: man habe ja auch
gezweifelt, ob man je große Seereisen, Amerikafahrten, Fahrten
um die Erdkugel machen könne; bis endlich diese Unmöglichkeiten
möglich geworden. So sei es mit dem elektromagnetischen Telegraphen,
dem Blitzableiter, der Dampfmaschine und tausend anderen Din-
gen ergangen. "Man sagte immer," fuhr er fort, "man müsse
einen Stützpunkt in der Luft ausfindig machen; und -- hier ist
die Aufgabe gelöst; seit zwei Jahren bietet, dank der vereinten
Bestrebungen unserer Gelehrten, die Luftfahrt keinen der Unglücks-
fälle mehr dar, wie im Anfange."

Jn einem großen Hofe standen an fünfzig kolossale Ballons,
jeder mit einem Schiffe von fünfzig Personen, bereit, und auf
das Trompetenzeichen zum Aufbruch, erhoben sie sich majestätisch
in die Lüfte. Sie wandten sich ohne Schwierigkeiten nach belie-
biger Richtung. Bald hinterher kam ein Ballon herab; es war
der Ballon eines Ortes, der heute viele Besucher der Hauptstadt
zuführte. Jch stand wie bezaubert.

Eugen fragte, ob es wahr sei, daß Jkarien auch Schiffe be-
säße, die unter dem Wasserspiegel sich fortbewegen ließen?

Jch mußte lachen; Walmor lachte mit, aber nicht über die
Frage, sondern über meine Ungläubigkeit. "Allerdings hat die
Republik," sagte er, "den Vögeln und Fischen zugleich ihre
Künste abzulernen vermocht, und es giebt interessante Beschrei-
bungen dieser Reisen in der Luft und unter dem Meere. Aber
kann Euch dies Alles wohl wunderlicher dünken, als das, was
unsere Jndustrie, unsere Wissenschaft, unsere Kunst producirt."

Bei dem Nachhausegehen versprach er mir, Dinaros werde
uns eine umständliche Auseinandersetzung des ikarischen Er-
ziehungssystems geben. Da indessen Eugen anderweitig beschäf-
tigt war, ging ich allein zu Dinaros.



Zehntes Kapitel.

Erziehung.

Ohne genaues Verständniß der ikarischen Erziehung, begann
der Professor, bliebe Jhnen, Lord, unser von dem europäischen
so verschiedenes Leben, ein Räthsel mit sieben Siegeln. Jch bin
deshalb bereit, Jhnen die nöthigen Erklärungen heute, wie an
anderen Tagen, zu geben; ich weiß, Sie werden, in Jhre Hei-
math zurückgekehrt, nicht schweigen.

[Spaltenumbruch]

Erziehung ist der feste Grund und Boden, auf dem Privat-
und Staatsleben erbaut werden soll. Ohne ihn ist kein sicheres
Gebäude möglich. Als die Republik sich Dasein errungen hatte,
war folglich ihr erster Schritt, einen Ausschuß mit umsichtigster
Prüfung des erhabenen Gegenstandes zu beauftragen. Alle
früheren und noch vorhandenen Systeme wurden durchmustert
und durchsprochen; der Ausschuß nahm, wie sich von selbst ver-
steht, alle Mittheilungen bereitwillig auf.

Das Gesetz bestimmte und regelte sodann die verschiedenen
Erziehungsformen: die physische, intellectuelle, sittliche, in-
dustrielle, bürgerliche; regelte ferner für eine jede, Gegenstände,
Zeit, Ordnung und Methoden.

Alle Einwohner, ohne Unterschied des Geschlechts und Ge-
schäfts, erfreuen sich einer und derselben Elementarerziehung, die,
als eine wahrhaft allgemeine, Allen gemeinsame, die
Grundzüge der menschlichen Kenntnisse umfaßt. Damit fangen
wir an.

Alle die, welche eine und dieselbe industrielle oder wissen-
schaftliche Beschäftigung treiben werden, genießen zu dem die be-
sonders
auf diese Beschäftigung sich beziehende Erziehung; das
ist folglich eine specielle, professionelle, in welcher die voll-
ständige Theorie wie Praxis dieser besonderen Beschäftigung ge-
lehrt wird.

Ein Theil der Erziehung ist natürlich den Eltern anver-
traut und ist folglich häuslich. Ein anderer Theil ist öffentlich
oder allgemein in den Nationalschulen. Die Lehrer und Lehre-
rinnen daselbst sind auf's Sorgfältigste herangebildet; das Lehr-
amt ist überhaupt bei den Jkariern mit höchster Achtung umge-
ben, denn sie sagen: unsere Lehrer erziehen die Nation.

Durch die unverdrossene rastlose Beharrlichkeit, mit der diese
große und erhabene Republik das Unterrichten und Erziehen, das
Bilden in jeder Hinsicht, nun bereits seit einer langen Reihe
von Jahren betrieben hat und ferner betreiben wird, ist es all-
mälich dahin gekommen, daß kein Vater vorhanden ist, der nicht
im Stande wäre, seine Knaben, und keine Mutter, die nicht im
Stande wäre, ihre Töchter zu erziehen, kein Bruder, keine
Schwester, die nicht fähig wären, die jüngeren Geschwister zu
erziehen.

Grundlage für alle weitere Erziehung und Zucht ist un-
streitbar die

Physische Erziehung,

über welche ich also zuerst zu berichten habe. Der Erziehungs-
rath hat, wie immer, auch diesmal vorgezeichnet und erwogen;
und das Volk hat geprüft, und das Geprüfte, Angenommene zum
Gesetz erhoben.

Die ikarische Republik beschützt und beschirmt die Kinder
von Geburt an, oder vielmehr von der Zeit der Schwanger-
schaft her.

Die ikarische Republik hat besondere Bücher über Anatomie,
Physiologie, Gesundheits= wie Krankheitszustände u. s. w. aus-
arbeiten lassen, und diese ein für alle Male bestimmten Bücher
giebt sie denjenigen, welche sich vermählen. Auch besondxe Vor-
träge rein wissenschaftlicher Art sind eröffnet. Für Schwanger-
schaften sind desgleichen, für Entbindung ( die in der Familie
und im Beisein mehrerer Hebeammen geschieht ) und ferneres
Verhalten sind nicht minder wissenschaftliche, sowohl mündliche,
als gedruckte Vorlesungen vorhanden. Die Frauen sind sämmt-
lich verpflichtet, den auf ihre mannigfachen Lebenszustände bezüg-
lichen Vorträgen beizuwohnen. Sie thun das gern; "denn,"
sagen sie, "was Schmählicheres giebt's als ein Weib, welches
die Naturgesetze mißkennt und, sei es aus Unwissenheit, sei es
aus Thorheit, übertritt!" Uebrigens bemerke ich Jhnen, Mylord,
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 201
[Beginn Spaltensatz] rien, wie in den übrigen Verhältnissen, so auch im Wohnungs-
verhältniß, zu finden ist. „Wir haben allerdings,“ rief sie mit
Stolz, „die ächte Gleichheit der Häuser; wir wohnen ein Jeder
in einem Hause, in einem Zimmer, welches den Hauptpunkten
nach dem anderen gleich ist und sein muß, wenn von gleichen
freien Menschen überhaupt die Rede sein soll. Jrgend ein Haus
hat gerade so viel des Nothwendigen, Nützlichen und Schönen,
als ein beliebiges anderes. Aber meine Herren, vergessen Sie
nicht, daß mitten in dieser Gleichheit eine unendliche Mannigfal-
tigkeit waltet; suchen Sie mir einmal in diesem meinem Hause
auch nur zwei kamine, zwei Teppiche, zwei Thüren, die sich voll-
kommen ähnlich sind!“

Jch erwartete ungeduldig die Abfahrt der Luftschiffe. Auch
Eugen brannte vor Ungeduld, Fräulein Dina zu sehen. Sehr
verdrießlich kam uns daher der Bescheid aus Walmor's Munde,
sie bleibe heute und morgen zu Hause, und Korilla sei bei ihr.
Walmor war offenbar nicht weniger ärgerlich, und so philoso-
phisch wir gegenseitig uns eine gewisse Gleichgültigkeit vorheuchel-
ten, dürfte schwer zu entscheiden gewesen sein, wessen Verstimmt-
heit von uns dreien die größte war. Wir beschlossen übrigens
die Luftfahrt mitzumachen.

Auf meine Aeußerung, wie es möglich geworden, die Luft
zu durchreisen, bemerkte der junge Jkarier: man habe ja auch
gezweifelt, ob man je große Seereisen, Amerikafahrten, Fahrten
um die Erdkugel machen könne; bis endlich diese Unmöglichkeiten
möglich geworden. So sei es mit dem elektromagnetischen Telegraphen,
dem Blitzableiter, der Dampfmaschine und tausend anderen Din-
gen ergangen. „Man sagte immer,“ fuhr er fort, „man müsse
einen Stützpunkt in der Luft ausfindig machen; und — hier ist
die Aufgabe gelöst; seit zwei Jahren bietet, dank der vereinten
Bestrebungen unserer Gelehrten, die Luftfahrt keinen der Unglücks-
fälle mehr dar, wie im Anfange.“

Jn einem großen Hofe standen an fünfzig kolossale Ballons,
jeder mit einem Schiffe von fünfzig Personen, bereit, und auf
das Trompetenzeichen zum Aufbruch, erhoben sie sich majestätisch
in die Lüfte. Sie wandten sich ohne Schwierigkeiten nach belie-
biger Richtung. Bald hinterher kam ein Ballon herab; es war
der Ballon eines Ortes, der heute viele Besucher der Hauptstadt
zuführte. Jch stand wie bezaubert.

Eugen fragte, ob es wahr sei, daß Jkarien auch Schiffe be-
säße, die unter dem Wasserspiegel sich fortbewegen ließen?

Jch mußte lachen; Walmor lachte mit, aber nicht über die
Frage, sondern über meine Ungläubigkeit. „Allerdings hat die
Republik,“ sagte er, „den Vögeln und Fischen zugleich ihre
Künste abzulernen vermocht, und es giebt interessante Beschrei-
bungen dieser Reisen in der Luft und unter dem Meere. Aber
kann Euch dies Alles wohl wunderlicher dünken, als das, was
unsere Jndustrie, unsere Wissenschaft, unsere Kunst producirt.“

Bei dem Nachhausegehen versprach er mir, Dinaros werde
uns eine umständliche Auseinandersetzung des ikarischen Er-
ziehungssystems geben. Da indessen Eugen anderweitig beschäf-
tigt war, ging ich allein zu Dinaros.



Zehntes Kapitel.

Erziehung.

Ohne genaues Verständniß der ikarischen Erziehung, begann
der Professor, bliebe Jhnen, Lord, unser von dem europäischen
so verschiedenes Leben, ein Räthsel mit sieben Siegeln. Jch bin
deshalb bereit, Jhnen die nöthigen Erklärungen heute, wie an
anderen Tagen, zu geben; ich weiß, Sie werden, in Jhre Hei-
math zurückgekehrt, nicht schweigen.

[Spaltenumbruch]

Erziehung ist der feste Grund und Boden, auf dem Privat-
und Staatsleben erbaut werden soll. Ohne ihn ist kein sicheres
Gebäude möglich. Als die Republik sich Dasein errungen hatte,
war folglich ihr erster Schritt, einen Ausschuß mit umsichtigster
Prüfung des erhabenen Gegenstandes zu beauftragen. Alle
früheren und noch vorhandenen Systeme wurden durchmustert
und durchsprochen; der Ausschuß nahm, wie sich von selbst ver-
steht, alle Mittheilungen bereitwillig auf.

Das Gesetz bestimmte und regelte sodann die verschiedenen
Erziehungsformen: die physische, intellectuelle, sittliche, in-
dustrielle, bürgerliche; regelte ferner für eine jede, Gegenstände,
Zeit, Ordnung und Methoden.

Alle Einwohner, ohne Unterschied des Geschlechts und Ge-
schäfts, erfreuen sich einer und derselben Elementarerziehung, die,
als eine wahrhaft allgemeine, Allen gemeinsame, die
Grundzüge der menschlichen Kenntnisse umfaßt. Damit fangen
wir an.

Alle die, welche eine und dieselbe industrielle oder wissen-
schaftliche Beschäftigung treiben werden, genießen zu dem die be-
sonders
auf diese Beschäftigung sich beziehende Erziehung; das
ist folglich eine specielle, professionelle, in welcher die voll-
ständige Theorie wie Praxis dieser besonderen Beschäftigung ge-
lehrt wird.

Ein Theil der Erziehung ist natürlich den Eltern anver-
traut und ist folglich häuslich. Ein anderer Theil ist öffentlich
oder allgemein in den Nationalschulen. Die Lehrer und Lehre-
rinnen daselbst sind auf's Sorgfältigste herangebildet; das Lehr-
amt ist überhaupt bei den Jkariern mit höchster Achtung umge-
ben, denn sie sagen: unsere Lehrer erziehen die Nation.

Durch die unverdrossene rastlose Beharrlichkeit, mit der diese
große und erhabene Republik das Unterrichten und Erziehen, das
Bilden in jeder Hinsicht, nun bereits seit einer langen Reihe
von Jahren betrieben hat und ferner betreiben wird, ist es all-
mälich dahin gekommen, daß kein Vater vorhanden ist, der nicht
im Stande wäre, seine Knaben, und keine Mutter, die nicht im
Stande wäre, ihre Töchter zu erziehen, kein Bruder, keine
Schwester, die nicht fähig wären, die jüngeren Geschwister zu
erziehen.

Grundlage für alle weitere Erziehung und Zucht ist un-
streitbar die

Physische Erziehung,

über welche ich also zuerst zu berichten habe. Der Erziehungs-
rath hat, wie immer, auch diesmal vorgezeichnet und erwogen;
und das Volk hat geprüft, und das Geprüfte, Angenommene zum
Gesetz erhoben.

Die ikarische Republik beschützt und beschirmt die Kinder
von Geburt an, oder vielmehr von der Zeit der Schwanger-
schaft her.

Die ikarische Republik hat besondere Bücher über Anatomie,
Physiologie, Gesundheits= wie Krankheitszustände u. s. w. aus-
arbeiten lassen, und diese ein für alle Male bestimmten Bücher
giebt sie denjenigen, welche sich vermählen. Auch besondxe Vor-
träge rein wissenschaftlicher Art sind eröffnet. Für Schwanger-
schaften sind desgleichen, für Entbindung ( die in der Familie
und im Beisein mehrerer Hebeammen geschieht ) und ferneres
Verhalten sind nicht minder wissenschaftliche, sowohl mündliche,
als gedruckte Vorlesungen vorhanden. Die Frauen sind sämmt-
lich verpflichtet, den auf ihre mannigfachen Lebenszustände bezüg-
lichen Vorträgen beizuwohnen. Sie thun das gern; „denn,“
sagen sie, „was Schmählicheres giebt's als ein Weib, welches
die Naturgesetze mißkennt und, sei es aus Unwissenheit, sei es
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[Ende Spaltensatz]

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Walmor war offenbar nicht weniger ärgerlich, und so philoso- phisch wir gegenseitig uns eine gewisse Gleichgültigkeit vorheuchel- ten, dürfte schwer zu entscheiden gewesen sein, wessen Verstimmt- heit von uns dreien die größte war. Wir beschlossen übrigens die Luftfahrt mitzumachen. Auf meine Aeußerung, wie es möglich geworden, die Luft zu durchreisen, bemerkte der junge Jkarier: man habe ja auch gezweifelt, ob man je große Seereisen, Amerikafahrten, Fahrten um die Erdkugel machen könne; bis endlich diese Unmöglichkeiten möglich geworden. 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Jch bin deshalb bereit, Jhnen die nöthigen Erklärungen heute, wie an anderen Tagen, zu geben; ich weiß, Sie werden, in Jhre Hei- math zurückgekehrt, nicht schweigen. Erziehung ist der feste Grund und Boden, auf dem Privat- und Staatsleben erbaut werden soll. Ohne ihn ist kein sicheres Gebäude möglich. Als die Republik sich Dasein errungen hatte, war folglich ihr erster Schritt, einen Ausschuß mit umsichtigster Prüfung des erhabenen Gegenstandes zu beauftragen. Alle früheren und noch vorhandenen Systeme wurden durchmustert und durchsprochen; der Ausschuß nahm, wie sich von selbst ver- steht, alle Mittheilungen bereitwillig auf. Das Gesetz bestimmte und regelte sodann die verschiedenen Erziehungsformen: die physische, intellectuelle, sittliche, in- dustrielle, bürgerliche; regelte ferner für eine jede, Gegenstände, Zeit, Ordnung und Methoden. Alle Einwohner, ohne Unterschied des Geschlechts und Ge- schäfts, erfreuen sich einer und derselben Elementarerziehung, die, als eine wahrhaft allgemeine, Allen gemeinsame, die Grundzüge der menschlichen Kenntnisse umfaßt. Damit fangen wir an. Alle die, welche eine und dieselbe industrielle oder wissen- schaftliche Beschäftigung treiben werden, genießen zu dem die be- sonders auf diese Beschäftigung sich beziehende Erziehung; das ist folglich eine specielle, professionelle, in welcher die voll- ständige Theorie wie Praxis dieser besonderen Beschäftigung ge- lehrt wird. Ein Theil der Erziehung ist natürlich den Eltern anver- traut und ist folglich häuslich. Ein anderer Theil ist öffentlich oder allgemein in den Nationalschulen. Die Lehrer und Lehre- rinnen daselbst sind auf's Sorgfältigste herangebildet; das Lehr- amt ist überhaupt bei den Jkariern mit höchster Achtung umge- ben, denn sie sagen: unsere Lehrer erziehen die Nation. Durch die unverdrossene rastlose Beharrlichkeit, mit der diese große und erhabene Republik das Unterrichten und Erziehen, das Bilden in jeder Hinsicht, nun bereits seit einer langen Reihe von Jahren betrieben hat und ferner betreiben wird, ist es all- mälich dahin gekommen, daß kein Vater vorhanden ist, der nicht im Stande wäre, seine Knaben, und keine Mutter, die nicht im Stande wäre, ihre Töchter zu erziehen, kein Bruder, keine Schwester, die nicht fähig wären, die jüngeren Geschwister zu erziehen. Grundlage für alle weitere Erziehung und Zucht ist un- streitbar die Physische Erziehung, über welche ich also zuerst zu berichten habe. Der Erziehungs- rath hat, wie immer, auch diesmal vorgezeichnet und erwogen; und das Volk hat geprüft, und das Geprüfte, Angenommene zum Gesetz erhoben. Die ikarische Republik beschützt und beschirmt die Kinder von Geburt an, oder vielmehr von der Zeit der Schwanger- schaft her. Die ikarische Republik hat besondere Bücher über Anatomie, Physiologie, Gesundheits= wie Krankheitszustände u. s. w. aus- arbeiten lassen, und diese ein für alle Male bestimmten Bücher giebt sie denjenigen, welche sich vermählen. Auch besondxe Vor- träge rein wissenschaftlicher Art sind eröffnet. Für Schwanger- schaften sind desgleichen, für Entbindung ( die in der Familie und im Beisein mehrerer Hebeammen geschieht ) und ferneres Verhalten sind nicht minder wissenschaftliche, sowohl mündliche, als gedruckte Vorlesungen vorhanden. Die Frauen sind sämmt- lich verpflichtet, den auf ihre mannigfachen Lebenszustände bezüg- lichen Vorträgen beizuwohnen. Sie thun das gern; „denn,“ sagen sie, „was Schmählicheres giebt's als ein Weib, welches die Naturgesetze mißkennt und, sei es aus Unwissenheit, sei es aus Thorheit, übertritt!“ Uebrigens bemerke ich Jhnen, Mylord,

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 3. Berlin, 15. August 1874, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0803_1874/5>, abgerufen am 13.11.2024.