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Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 86
[Beginn Spaltensatz] lichen Wünsche aus. Das bringt Unglück.. Niemals habe ich
das Meer so toben hören, -- es ist, als ob es donnerte.

-- Liebe Mutter, ich würde weder die Nacht, noch den
Sturm, noch den Donner scheuen, könnte ich eine Elfe sehen.

-- Schweig, Du böses Kind, Du erschreckst mich. Sprich
nicht so.., das heißt Gott versuchen.

-- Du bist ein muthiger Junge, lieber Enkel.

-- Großvater, ermuthige ihn nicht in so gefährlichen
Wünschen..

-- Wie, Mutter, es sollte mir Unglück bringen, wenn ich
wünsche, eine Elfe zu sehen? Welches Unglück?

-- Welcher Sturm! Welches Wetter! Das Haus zit-
tert davon.

-- Und in solcher Nacht wagt das böse Kind zu sagen, es
gäbe sein Leben darum, wenn es eine Elfe sehen könnte.

-- Was bedeutet das, Vater? Sieh, Dein alter Greif
knurrt und spitzt die Ohren.

-- Hörst Du die Wachthunde bellen, Großvater?

-- Es muß draußen etwas vorgehen.

-- Ach, wenn die Elfen meinen Sohn für seinen tollen
Wunsch strafen wollen, bleibt ihr Zorn nicht lange aus. Gerd,
komm zu mir, böses Kind!

-- Wie, Weib, nun weinst Du und schließest Deinen Sohn
in die Arme, als drohe ihm ein Unglück? Sei vernünftig.

-- Hörst Du nicht das heftige Bellen der Hunde draußen?
Da läuft auch Greif knurrend nach der Thür. Jch sage Euch,
es geht etwas ganz Unheimliches draußen vor.

-- Fürchte nichts, Mutter, es wird ein Wolf sein, der um-
herschweift. Her meinen Bogen!

-- Du rührst Dich nicht von der Stelle, Gerd. Jch, Deine
Mutter, verbiete es Dit.

-- Liebe Tochter, zittere und ängstige Dich nicht also um
Deinen Sohn. Ein Wolf ist es nicht, der draußen umherschweift;
der alte Greif würde in diesem Falle viel ungeberdiger sein.

-- Der Vater hat Recht, -- es ist vielleicht ein verirrter
Reisender.

-- Komm, Kord, wir wollen an der Thür draußen nach-
sehen, was es giebt.

-- Gerd, Du bleibst bei mir.

-- Aber, Mutter, ich lasse Kord nicht allein gehen.

-- Es ist mir, als hörte ich eine Stimme rufen..

-- Ach, Mutter, Du hast Recht, es bedroht uns gewiß ein
Unglück.

-- Schwester, mehre Du nicht die Angst Deiner Mutter.
Was ist es denn so Wunderbares, wenn ein verirrter Reisender
draußen ruft, damit man ihm aufmache?

-- Es ist vielleicht ein armer irrender Handelsmann.

-- Er wird schöne Bänder und feine Nadeln bringen,
meinte das Mädchen.

-- Eisen zu Pfeilspitzen und Sehnen zu den Bogen!

-- Schafscheeren.

-- Angelhaken..

-- Und er wird uns erzählen, was er von den fernen Län-
dern weiß, wenn er von fern her kommt.

-- Wo ist der gute Mann?

-- Er schüttelt draußen den Regen ab.

-- Da kommt er!

Der Gast war es; er schüttelte auf der Thürschwelle die
nassen Kleider, ein kräftiger, breitschulteriger Mann von reifen
Jahren, mit offenem, entschlossenem Gesicht und grauem Bart
und Haar. Die Hausfrau, die noch immer besorgt war, ließ
ihn nicht aus den Augen, und winkte zweimal ihrem Sohne
Gerd, daß er zu ihr komme. Der Mann legte sein Bündel ab,
[Spaltenumbruch] das, obwohl schwer, für seine starken Schultern leicht zu sein
schien, nahm darauf seine, aus Fellen bestehende Mütze ab, trat
zu Jens, dem Aeltesten im Hause, und sagte:

-- Langes Leben und glückliche Tage für gastfreund-
liche Leute ist der Wunsch, den Beerwulf für Dich und Deine
Familie ausspricht. Auch ich bin ein Dithmarse, ich habe nach
langen Seefahrten meine Heimath aufgesucht und kehre zurück zu
meinen Genossen. Jch wollte die Stelle der Küste erreichen, wo
sie lagern, als die Nacht und der Sturm mich überraschten.
Aus der Ferne sah ich den Lichtschein dieses Hauses. Dank den
Gastfreundlichen!

Jens wendete sich an den Fremden und sagte:

-- Komm heran an das Feuer, die Nacht ist rauh. Gerd,
einen Krug Meth für unsern Gast, bis das Abendessen kommt!

-- Das nehme ich an, guter Vater. Das Feuer wird mich
von außen erwärmen, der Meth von innen.

-- Du scheinst ein lustiger Wanderer zu sein.

-- So ist es. Guter Muth ist mein Begleiter; wie lang,
wie beschwerlich auch mein Weg sein mag, er folgt mir immer.

-- Legt mehr Holz zu!

-- Gegrüßt seist Du, gute Mutter und liebliche Tochter,
gegrüßt seid Alle!

Und der Gast schnalzte mit der Zunge.

-- Nie habe ich bessern Meth getrunken. Die herzliche
Gastfreundschaft macht doch den besten Trunk -- noch besser.

-- Kommst Du von weit her, lustiger Wanderer?

-- Jch bin ein alter Wanderer und durchziehe die Welt
seit vierzig Jahren nach allen Richtungen hin zu Land und
zur See.

Man setzte sich an den Tisch, man aß und trank; der Wan-
derer aß und trank wie ein Mann, dem die Reise guten Appetit
gemacht hat. Man sehnte sich aber auch zu sprechen, denn man
hatte nicht alle Tage Jemanden da, der von weiten Reisen kam.

-- Wie geht es und steht es denn jetzt im Angelsachsenland?

Der Wanderer runzelte die Stirn und sprach:

-- Das schöne Angelsachsenland ist voll von Mordbrand.
Die Dänenritter, welche die Bischöfe als Söhne der katholischen
Kirche getauft haben, besitzen die Schlauheit des Fuchses, vereint
mit der heimtückischen Wildheit des Wolfes. Es würde zu weit
führen, wollte ich Dir alle die Mordthaten aufzählen, die sie be-
gangen haben. Sie plündern eine Provinz an der Spitze ihrer
Schaaren, ermorden oder verkaufen, wie Vieh, Männer, Frauen
und Kinder und machen die anderen Einwohner zu Leibeigenen;
dann sagen sie: wir sind Herren hier. Die Bischöfe aber wieder-
holen: ja, unsere Freunde, die Dänen, sind Herren hier; wir
taufen sie, und Jhr müßt ihnen gehorchen, oder wir verdam-
men Euch.

-- Und fand sich kein Mann, der einem solchen Bischof einen
Dolch in die Brust stieß?

-- Schweige, Gerd, und sprich nicht von Rache, fiel die
Mutter ein. Aber wohin bringt man die Frauen und Kinder,
die armen Leibeigenen?

-- Nach Schleswig, wo die Dänen ihre Hauptmacht haben.
Sie versehen sich da mit Leibeigenen, Männern, Frauen, Kin-
dern, soweit es Handwerker sind.

-- Und die, welche in ihrer Heimath bleiben?

-- Alle vom Lande, die ebenfalls Leibeigene sind, bebauen
unter der Geißel der Ritter die väterlichen Felder, welche der
König von Dänemark früher unter seine Leute, seine ehemaligen
Raub= und Kriegsgenossen, vertheilte, die er seitdem zu Herren
in unserem Vaterlande gemacht hat. Zum Glück sind aber noch
einige Tropfen edlen Blutes in den Adern des Volkes geblieben,
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 86
[Beginn Spaltensatz] lichen Wünsche aus. Das bringt Unglück.. Niemals habe ich
das Meer so toben hören, — es ist, als ob es donnerte.

— Liebe Mutter, ich würde weder die Nacht, noch den
Sturm, noch den Donner scheuen, könnte ich eine Elfe sehen.

— Schweig, Du böses Kind, Du erschreckst mich. Sprich
nicht so.., das heißt Gott versuchen.

— Du bist ein muthiger Junge, lieber Enkel.

— Großvater, ermuthige ihn nicht in so gefährlichen
Wünschen..

— Wie, Mutter, es sollte mir Unglück bringen, wenn ich
wünsche, eine Elfe zu sehen? Welches Unglück?

— Welcher Sturm! Welches Wetter! Das Haus zit-
tert davon.

— Und in solcher Nacht wagt das böse Kind zu sagen, es
gäbe sein Leben darum, wenn es eine Elfe sehen könnte.

— Was bedeutet das, Vater? Sieh, Dein alter Greif
knurrt und spitzt die Ohren.

— Hörst Du die Wachthunde bellen, Großvater?

— Es muß draußen etwas vorgehen.

— Ach, wenn die Elfen meinen Sohn für seinen tollen
Wunsch strafen wollen, bleibt ihr Zorn nicht lange aus. Gerd,
komm zu mir, böses Kind!

— Wie, Weib, nun weinst Du und schließest Deinen Sohn
in die Arme, als drohe ihm ein Unglück? Sei vernünftig.

— Hörst Du nicht das heftige Bellen der Hunde draußen?
Da läuft auch Greif knurrend nach der Thür. Jch sage Euch,
es geht etwas ganz Unheimliches draußen vor.

— Fürchte nichts, Mutter, es wird ein Wolf sein, der um-
herschweift. Her meinen Bogen!

— Du rührst Dich nicht von der Stelle, Gerd. Jch, Deine
Mutter, verbiete es Dit.

— Liebe Tochter, zittere und ängstige Dich nicht also um
Deinen Sohn. Ein Wolf ist es nicht, der draußen umherschweift;
der alte Greif würde in diesem Falle viel ungeberdiger sein.

— Der Vater hat Recht, — es ist vielleicht ein verirrter
Reisender.

— Komm, Kord, wir wollen an der Thür draußen nach-
sehen, was es giebt.

— Gerd, Du bleibst bei mir.

— Aber, Mutter, ich lasse Kord nicht allein gehen.

— Es ist mir, als hörte ich eine Stimme rufen..

— Ach, Mutter, Du hast Recht, es bedroht uns gewiß ein
Unglück.

— Schwester, mehre Du nicht die Angst Deiner Mutter.
Was ist es denn so Wunderbares, wenn ein verirrter Reisender
draußen ruft, damit man ihm aufmache?

— Es ist vielleicht ein armer irrender Handelsmann.

— Er wird schöne Bänder und feine Nadeln bringen,
meinte das Mädchen.

— Eisen zu Pfeilspitzen und Sehnen zu den Bogen!

— Schafscheeren.

— Angelhaken..

— Und er wird uns erzählen, was er von den fernen Län-
dern weiß, wenn er von fern her kommt.

— Wo ist der gute Mann?

— Er schüttelt draußen den Regen ab.

— Da kommt er!

Der Gast war es; er schüttelte auf der Thürschwelle die
nassen Kleider, ein kräftiger, breitschulteriger Mann von reifen
Jahren, mit offenem, entschlossenem Gesicht und grauem Bart
und Haar. Die Hausfrau, die noch immer besorgt war, ließ
ihn nicht aus den Augen, und winkte zweimal ihrem Sohne
Gerd, daß er zu ihr komme. Der Mann legte sein Bündel ab,
[Spaltenumbruch] das, obwohl schwer, für seine starken Schultern leicht zu sein
schien, nahm darauf seine, aus Fellen bestehende Mütze ab, trat
zu Jens, dem Aeltesten im Hause, und sagte:

— Langes Leben und glückliche Tage für gastfreund-
liche Leute ist der Wunsch, den Beerwulf für Dich und Deine
Familie ausspricht. Auch ich bin ein Dithmarse, ich habe nach
langen Seefahrten meine Heimath aufgesucht und kehre zurück zu
meinen Genossen. Jch wollte die Stelle der Küste erreichen, wo
sie lagern, als die Nacht und der Sturm mich überraschten.
Aus der Ferne sah ich den Lichtschein dieses Hauses. Dank den
Gastfreundlichen!

Jens wendete sich an den Fremden und sagte:

— Komm heran an das Feuer, die Nacht ist rauh. Gerd,
einen Krug Meth für unsern Gast, bis das Abendessen kommt!

— Das nehme ich an, guter Vater. Das Feuer wird mich
von außen erwärmen, der Meth von innen.

— Du scheinst ein lustiger Wanderer zu sein.

— So ist es. Guter Muth ist mein Begleiter; wie lang,
wie beschwerlich auch mein Weg sein mag, er folgt mir immer.

— Legt mehr Holz zu!

— Gegrüßt seist Du, gute Mutter und liebliche Tochter,
gegrüßt seid Alle!

Und der Gast schnalzte mit der Zunge.

— Nie habe ich bessern Meth getrunken. Die herzliche
Gastfreundschaft macht doch den besten Trunk — noch besser.

— Kommst Du von weit her, lustiger Wanderer?

— Jch bin ein alter Wanderer und durchziehe die Welt
seit vierzig Jahren nach allen Richtungen hin zu Land und
zur See.

Man setzte sich an den Tisch, man aß und trank; der Wan-
derer aß und trank wie ein Mann, dem die Reise guten Appetit
gemacht hat. Man sehnte sich aber auch zu sprechen, denn man
hatte nicht alle Tage Jemanden da, der von weiten Reisen kam.

— Wie geht es und steht es denn jetzt im Angelsachsenland?

Der Wanderer runzelte die Stirn und sprach:

— Das schöne Angelsachsenland ist voll von Mordbrand.
Die Dänenritter, welche die Bischöfe als Söhne der katholischen
Kirche getauft haben, besitzen die Schlauheit des Fuchses, vereint
mit der heimtückischen Wildheit des Wolfes. Es würde zu weit
führen, wollte ich Dir alle die Mordthaten aufzählen, die sie be-
gangen haben. Sie plündern eine Provinz an der Spitze ihrer
Schaaren, ermorden oder verkaufen, wie Vieh, Männer, Frauen
und Kinder und machen die anderen Einwohner zu Leibeigenen;
dann sagen sie: wir sind Herren hier. Die Bischöfe aber wieder-
holen: ja, unsere Freunde, die Dänen, sind Herren hier; wir
taufen sie, und Jhr müßt ihnen gehorchen, oder wir verdam-
men Euch.

— Und fand sich kein Mann, der einem solchen Bischof einen
Dolch in die Brust stieß?

— Schweige, Gerd, und sprich nicht von Rache, fiel die
Mutter ein. Aber wohin bringt man die Frauen und Kinder,
die armen Leibeigenen?

— Nach Schleswig, wo die Dänen ihre Hauptmacht haben.
Sie versehen sich da mit Leibeigenen, Männern, Frauen, Kin-
dern, soweit es Handwerker sind.

— Und die, welche in ihrer Heimath bleiben?

— Alle vom Lande, die ebenfalls Leibeigene sind, bebauen
unter der Geißel der Ritter die väterlichen Felder, welche der
König von Dänemark früher unter seine Leute, seine ehemaligen
Raub= und Kriegsgenossen, vertheilte, die er seitdem zu Herren
in unserem Vaterlande gemacht hat. Zum Glück sind aber noch
einige Tropfen edlen Blutes in den Adern des Volkes geblieben,
[Ende Spaltensatz]

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Ein Wolf ist es nicht, der draußen umherschweift; der alte Greif würde in diesem Falle viel ungeberdiger sein. — Der Vater hat Recht, — es ist vielleicht ein verirrter Reisender. — Komm, Kord, wir wollen an der Thür draußen nach- sehen, was es giebt. — Gerd, Du bleibst bei mir. — Aber, Mutter, ich lasse Kord nicht allein gehen. — Es ist mir, als hörte ich eine Stimme rufen.. — Ach, Mutter, Du hast Recht, es bedroht uns gewiß ein Unglück. — Schwester, mehre Du nicht die Angst Deiner Mutter. Was ist es denn so Wunderbares, wenn ein verirrter Reisender draußen ruft, damit man ihm aufmache? — Es ist vielleicht ein armer irrender Handelsmann. — Er wird schöne Bänder und feine Nadeln bringen, meinte das Mädchen. — Eisen zu Pfeilspitzen und Sehnen zu den Bogen! — Schafscheeren. — Angelhaken.. — Und er wird uns erzählen, was er von den fernen Län- dern weiß, wenn er von fern her kommt. — Wo ist der gute Mann? — Er schüttelt draußen den Regen ab. — Da kommt er! Der Gast war es; er schüttelte auf der Thürschwelle die nassen Kleider, ein kräftiger, breitschulteriger Mann von reifen Jahren, mit offenem, entschlossenem Gesicht und grauem Bart und Haar. Die Hausfrau, die noch immer besorgt war, ließ ihn nicht aus den Augen, und winkte zweimal ihrem Sohne Gerd, daß er zu ihr komme. Der Mann legte sein Bündel ab, das, obwohl schwer, für seine starken Schultern leicht zu sein schien, nahm darauf seine, aus Fellen bestehende Mütze ab, trat zu Jens, dem Aeltesten im Hause, und sagte: — Langes Leben und glückliche Tage für gastfreund- liche Leute ist der Wunsch, den Beerwulf für Dich und Deine Familie ausspricht. Auch ich bin ein Dithmarse, ich habe nach langen Seefahrten meine Heimath aufgesucht und kehre zurück zu meinen Genossen. Jch wollte die Stelle der Küste erreichen, wo sie lagern, als die Nacht und der Sturm mich überraschten. Aus der Ferne sah ich den Lichtschein dieses Hauses. Dank den Gastfreundlichen! Jens wendete sich an den Fremden und sagte: — Komm heran an das Feuer, die Nacht ist rauh. Gerd, einen Krug Meth für unsern Gast, bis das Abendessen kommt! — Das nehme ich an, guter Vater. Das Feuer wird mich von außen erwärmen, der Meth von innen. — Du scheinst ein lustiger Wanderer zu sein. — So ist es. Guter Muth ist mein Begleiter; wie lang, wie beschwerlich auch mein Weg sein mag, er folgt mir immer. — Legt mehr Holz zu! — Gegrüßt seist Du, gute Mutter und liebliche Tochter, gegrüßt seid Alle! Und der Gast schnalzte mit der Zunge. — Nie habe ich bessern Meth getrunken. Die herzliche Gastfreundschaft macht doch den besten Trunk — noch besser. — Kommst Du von weit her, lustiger Wanderer? — Jch bin ein alter Wanderer und durchziehe die Welt seit vierzig Jahren nach allen Richtungen hin zu Land und zur See. Man setzte sich an den Tisch, man aß und trank; der Wan- derer aß und trank wie ein Mann, dem die Reise guten Appetit gemacht hat. Man sehnte sich aber auch zu sprechen, denn man hatte nicht alle Tage Jemanden da, der von weiten Reisen kam. — Wie geht es und steht es denn jetzt im Angelsachsenland? Der Wanderer runzelte die Stirn und sprach: — Das schöne Angelsachsenland ist voll von Mordbrand. Die Dänenritter, welche die Bischöfe als Söhne der katholischen Kirche getauft haben, besitzen die Schlauheit des Fuchses, vereint mit der heimtückischen Wildheit des Wolfes. Es würde zu weit führen, wollte ich Dir alle die Mordthaten aufzählen, die sie be- gangen haben. Sie plündern eine Provinz an der Spitze ihrer Schaaren, ermorden oder verkaufen, wie Vieh, Männer, Frauen und Kinder und machen die anderen Einwohner zu Leibeigenen; dann sagen sie: wir sind Herren hier. Die Bischöfe aber wieder- holen: ja, unsere Freunde, die Dänen, sind Herren hier; wir taufen sie, und Jhr müßt ihnen gehorchen, oder wir verdam- men Euch. — Und fand sich kein Mann, der einem solchen Bischof einen Dolch in die Brust stieß? — Schweige, Gerd, und sprich nicht von Rache, fiel die Mutter ein. Aber wohin bringt man die Frauen und Kinder, die armen Leibeigenen? — Nach Schleswig, wo die Dänen ihre Hauptmacht haben. Sie versehen sich da mit Leibeigenen, Männern, Frauen, Kin- dern, soweit es Handwerker sind. — Und die, welche in ihrer Heimath bleiben? — Alle vom Lande, die ebenfalls Leibeigene sind, bebauen unter der Geißel der Ritter die väterlichen Felder, welche der König von Dänemark früher unter seine Leute, seine ehemaligen Raub= und Kriegsgenossen, vertheilte, die er seitdem zu Herren in unserem Vaterlande gemacht hat. Zum Glück sind aber noch einige Tropfen edlen Blutes in den Adern des Volkes geblieben,

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 4. Lieferung. Berlin, 9. April 1873, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social04_1873/14>, abgerufen am 25.11.2024.