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[N. N.]: Neuer Lust- und Lehrreicher Schau-Platz. Nürnberg, 1685.

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Simonides. nicht wider den Nechsten/ nicht wider sich selbst. Nunquam cui tacuisse nocet, nocet esse locutum. Als der kluge Aesopus gefragt wurde/ was das allerböseste und beste am Menschen wäre/ gab er zur Antwort: die Zunge. Denn/ wenn sie recht gebraucht/ so sey an dem Menschen nichts bessers noch edlers/ wenn sie aber mißbrauchet/ nichs schädlichers noch ärgers als sie. Durch sie loben wir GOtt/ und durch sie verfluchen wir den Menschen. Sie kan beydes loben und schelten. Sie verursachet den Menschen viel Nutzen/ und bringet sich öffters selbest um das Leben. Jhr Nutzen ist/ wenn sie GOtt lobet/ sein Wort für Augen hat/ mit GOtt sein Gespräche hält; wenn sie ohne Ansehen der Person männiglichen das Recht spricht; den Armen/ Wittben und Waysen beystehet/ und den Mund für die Stummen/ das ist/ die Verlassenen / austhut: Wenn sie die Warheit redet/ Treu und Glauben liebet/ und/ wie von dem Epaminonda/ dem Thebanischen Fürsten gerühmet wird/ quod ne joco unquam mentitus sit, auch niemals im Schertze keine Lügen redet. Wenn sie mit jederman gerne umgehet/ sich holdseelig/ freundlich und gelinde erweiset/ die Scham / Zucht und Erbarkeit beobachtet/ die Warheit ehret/ und sich in alle dem/ was ein gut Lob nach sich ziehet/ also erweiset/ daß an ihr nichts/ als himmlische Wercke und Worte zu verspüren sind. Sie ist die/ welche vom hohen Himmel/ von dem Umkreis der Erden/ von den Elementen/ und was dieselben alle in sich begreifen/ ausführlich reden kan. Es ist sich über die Gütigkeit GOttes und unergründliche Weisheit zu verwundern/ wie die selbe in dem menschlichen Leibe alles so ordentlich eingetheilet/ wie daselbst die Liebe in dem Willen/ die Erkantnis in den Augen/ die Keuschheit in dem Hertzen/ der Glaube in dem Verstande und Ohren/ und das Leben und der Tod auf der Zunge bestehe. Diese ist das unruhigste Glied unter den Unruhigen/ und das allergefährlichste unter den Gefährlichen. Als GOtt der Schöpfer den Bruder-Mörder Cain fragte/ warum er seinen Bruder Abel erschlagen/ hatte er keine andere Reue/ als daß er sagte: Meine Sünde ist grösser/ als deine Gnade. Cain sündigte mehr mit dem was er redete/ als was er begienge; Mit einer Keule erschlug er seinen Bruder/ mit der Zungen brachte er sich in den ewigen Tod. Der Assyrische König Sennacherib schickte zu dem König Ezechia in Juda/ und ließ Jhm unter andern dieses sagen: Wo ist ein Gott unter allen Land-Göttern / die ihr Land haben von meiner Hand errettet? GOtt stürtzte des stoltzen Tyrannen Zunge/ und erschlug der Engel des HErrn/ ehe er mit seiner grossen Macht für Jerusalem rückete/ in einer Nacht 185000 Mann/ Er aber flohe/ und ward von seinen eigenen Söhnen/ dem Adramelech und Sarezer/ in dem Tempel/ da Er den Abgott Nisroch anbetete/ hingerichtet. Woraus man siehet/ daß dieser König alle in durch seine böse Zunge nicht nur sein gewaltiges Königreich/ Haab und Gut/ sondern auch seine Ehre/ Hoheit und Leben zugleich auf einmahl verlohren. Chams Nachkommen unterwunden sich aus Hochmuth einen Thurn bis an den Himmel zu bauen/ damit sie GOtt/ wenn Er sie wieder mit einer Sündfluth heimsuchen würde/ die Spitze biethen könnten; GOtt aber straffte sie/ aus besonderen Geheimnis/ weder am ihrem Leibe noch Leben/ viel weniger an Gütern / Land und Leuten/ noch zerbrach ihre aufgeführte dicke Mauren/ sondern Er straffte sie mit dem/ nemlich mit der Zunge/ damit sie ihren GOtt zu lästern angefangen: Sie höreten und sahen zwar/ aber sie verstunden einander nicht / und ob sie schon einander verstunden/ so geschahe es doch nur durch gewisse Zeichen; GOttes weise Versehung behält sich alleine vor/ wie Sie die Sünder straffen will; Pharao muste dort in dem rothen Meer ersauffen; Sodoma und Gomorra mit Feuer verbrennen/ die Egyptier aussätzig gemacht; Aarons Söh-

Simonides. nicht wider den Nechsten/ nicht wider sich selbst. Nunquam cui tacuisse nocet, nocet esse locutum. Als der kluge Aesopus gefragt wurde/ was das allerböseste und beste am Menschen wäre/ gab er zur Antwort: die Zunge. Denn/ wenn sie recht gebraucht/ so sey an dem Menschen nichts bessers noch edlers/ wenn sie aber mißbrauchet/ nichs schädlichers noch ärgers als sie. Durch sie loben wir GOtt/ und durch sie verfluchen wir den Menschen. Sie kan beydes loben und schelten. Sie verursachet den Menschen viel Nutzen/ und bringet sich öffters selbest um das Leben. Jhr Nutzen ist/ wenn sie GOtt lobet/ sein Wort für Augen hat/ mit GOtt sein Gespräche hält; wenn sie ohne Ansehen der Person männiglichen das Recht spricht; den Armen/ Wittben und Waysen beystehet/ und den Mund für die Stummen/ das ist/ die Verlassenen / austhut: Wenn sie die Warheit redet/ Treu und Glauben liebet/ und/ wie von dem Epaminonda/ dem Thebanischen Fürsten gerühmet wird/ quod ne joco unquam mentitus sit, auch niemals im Schertze keine Lügen redet. Wenn sie mit jederman gerne umgehet/ sich holdseelig/ freundlich und gelinde erweiset/ die Scham / Zucht und Erbarkeit beobachtet/ die Warheit ehret/ und sich in alle dem/ was ein gut Lob nach sich ziehet/ also erweiset/ daß an ihr nichts/ als himmlische Wercke und Worte zu verspüren sind. Sie ist die/ welche vom hohen Him̃el/ von dem Umkreis der Erden/ von den Elementen/ und was dieselben alle in sich begreifen/ ausführlich reden kan. Es ist sich über die Gütigkeit GOttes und unergründliche Weisheit zu verwundern/ wie die selbe in dem menschlichen Leibe alles so ordentlich eingetheilet/ wie daselbst die Liebe in dem Willen/ die Erkantnis in den Augen/ die Keuschheit in dem Hertzen/ der Glaube in dem Verstande und Ohren/ und das Leben und der Tod auf der Zunge bestehe. Diese ist das unruhigste Glied unter den Unruhigen/ und das allergefährlichste unter den Gefährlichen. Als GOtt der Schöpfer den Bruder-Mörder Cain fragte/ warum er seinen Bruder Abel erschlagen/ hatte er keine andere Reue/ als daß er sagte: Meine Sünde ist grösser/ als deine Gnade. Cain sündigte mehr mit dem was er redete/ als was er begienge; Mit einer Keule erschlug er seinen Bruder/ mit der Zungen brachte er sich in den ewigen Tod. Der Assyrische König Sennacherib schickte zu dem König Ezechia in Juda/ und ließ Jhm unter andern dieses sagen: Wo ist ein Gott unter allen Land-Göttern / die ihr Land haben von meiner Hand errettet? GOtt stürtzte des stoltzen Tyrannen Zunge/ und erschlug der Engel des HErrn/ ehe er mit seiner grossen Macht für Jerusalem rückete/ in einer Nacht 185000 Mann/ Er aber flohe/ und ward von seinen eigenen Söhnen/ dem Adramelech und Sarezer/ in dem Tempel/ da Er den Abgott Nisroch anbetete/ hingerichtet. Woraus man siehet/ daß dieser König alle in durch seine böse Zunge nicht nur sein gewaltiges Königreich/ Haab und Gut/ sondern auch seine Ehre/ Hoheit und Leben zugleich auf einmahl verlohren. Chams Nachkommen unterwunden sich aus Hochmuth einen Thurn bis an den Him̃el zu bauen/ damit sie GOtt/ wenn Er sie wieder mit einer Sündfluth heimsuchen würde/ die Spitze biethen könnten; GOtt aber straffte sie/ aus besonderen Geheimnis/ weder am ihrem Leibe noch Leben/ viel weniger an Gütern / Land und Leuten/ noch zerbrach ihre aufgeführte dicke Mauren/ sondern Er straffte sie mit dem/ nemlich mit der Zunge/ damit sie ihren GOtt zu lästern angefangen: Sie höreten und sahen zwar/ aber sie verstunden einander nicht / und ob sie schon einander verstunden/ so geschahe es doch nur durch gewisse Zeichen; GOttes weise Versehung behält sich alleine vor/ wie Sie die Sünder straffen will; Pharao muste dort in dem rothen Meer ersauffen; Sodoma und Gomorra mit Feuer verbrennen/ die Egyptier aussätzig gemacht; Aarons Söh-

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[419/0453] nicht wider den Nechsten/ nicht wider sich selbst. Nunquam cui tacuisse nocet, nocet esse locutum. Als der kluge Aesopus gefragt wurde/ was das allerböseste und beste am Menschen wäre/ gab er zur Antwort: die Zunge. Denn/ wenn sie recht gebraucht/ so sey an dem Menschen nichts bessers noch edlers/ wenn sie aber mißbrauchet/ nichs schädlichers noch ärgers als sie. Durch sie loben wir GOtt/ und durch sie verfluchen wir den Menschen. Sie kan beydes loben und schelten. Sie verursachet den Menschen viel Nutzen/ und bringet sich öffters selbest um das Leben. Jhr Nutzen ist/ wenn sie GOtt lobet/ sein Wort für Augen hat/ mit GOtt sein Gespräche hält; wenn sie ohne Ansehen der Person männiglichen das Recht spricht; den Armen/ Wittben und Waysen beystehet/ und den Mund für die Stummen/ das ist/ die Verlassenen / austhut: Wenn sie die Warheit redet/ Treu und Glauben liebet/ und/ wie von dem Epaminonda/ dem Thebanischen Fürsten gerühmet wird/ quod ne joco unquam mentitus sit, auch niemals im Schertze keine Lügen redet. Wenn sie mit jederman gerne umgehet/ sich holdseelig/ freundlich und gelinde erweiset/ die Scham / Zucht und Erbarkeit beobachtet/ die Warheit ehret/ und sich in alle dem/ was ein gut Lob nach sich ziehet/ also erweiset/ daß an ihr nichts/ als himmlische Wercke und Worte zu verspüren sind. Sie ist die/ welche vom hohen Him̃el/ von dem Umkreis der Erden/ von den Elementen/ und was dieselben alle in sich begreifen/ ausführlich reden kan. Es ist sich über die Gütigkeit GOttes und unergründliche Weisheit zu verwundern/ wie die selbe in dem menschlichen Leibe alles so ordentlich eingetheilet/ wie daselbst die Liebe in dem Willen/ die Erkantnis in den Augen/ die Keuschheit in dem Hertzen/ der Glaube in dem Verstande und Ohren/ und das Leben und der Tod auf der Zunge bestehe. Diese ist das unruhigste Glied unter den Unruhigen/ und das allergefährlichste unter den Gefährlichen. Als GOtt der Schöpfer den Bruder-Mörder Cain fragte/ warum er seinen Bruder Abel erschlagen/ hatte er keine andere Reue/ als daß er sagte: Meine Sünde ist grösser/ als deine Gnade. Cain sündigte mehr mit dem was er redete/ als was er begienge; Mit einer Keule erschlug er seinen Bruder/ mit der Zungen brachte er sich in den ewigen Tod. Der Assyrische König Sennacherib schickte zu dem König Ezechia in Juda/ und ließ Jhm unter andern dieses sagen: Wo ist ein Gott unter allen Land-Göttern / die ihr Land haben von meiner Hand errettet? GOtt stürtzte des stoltzen Tyrannen Zunge/ und erschlug der Engel des HErrn/ ehe er mit seiner grossen Macht für Jerusalem rückete/ in einer Nacht 185000 Mann/ Er aber flohe/ und ward von seinen eigenen Söhnen/ dem Adramelech und Sarezer/ in dem Tempel/ da Er den Abgott Nisroch anbetete/ hingerichtet. Woraus man siehet/ daß dieser König alle in durch seine böse Zunge nicht nur sein gewaltiges Königreich/ Haab und Gut/ sondern auch seine Ehre/ Hoheit und Leben zugleich auf einmahl verlohren. Chams Nachkommen unterwunden sich aus Hochmuth einen Thurn bis an den Him̃el zu bauen/ damit sie GOtt/ wenn Er sie wieder mit einer Sündfluth heimsuchen würde/ die Spitze biethen könnten; GOtt aber straffte sie/ aus besonderen Geheimnis/ weder am ihrem Leibe noch Leben/ viel weniger an Gütern / Land und Leuten/ noch zerbrach ihre aufgeführte dicke Mauren/ sondern Er straffte sie mit dem/ nemlich mit der Zunge/ damit sie ihren GOtt zu lästern angefangen: Sie höreten und sahen zwar/ aber sie verstunden einander nicht / und ob sie schon einander verstunden/ so geschahe es doch nur durch gewisse Zeichen; GOttes weise Versehung behält sich alleine vor/ wie Sie die Sünder straffen will; Pharao muste dort in dem rothen Meer ersauffen; Sodoma und Gomorra mit Feuer verbrennen/ die Egyptier aussätzig gemacht; Aarons Söh- Simonides.

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Zitationshilfe: [N. N.]: Neuer Lust- und Lehrreicher Schau-Platz. Nürnberg, 1685, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_schauplatz_1685/453>, abgerufen am 22.11.2024.