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Reichspost. Nr. 308, Wien, 04.07.1914.

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Wien, Samstag Reichspost 4. Juli 1914 Nr. 308

[Spaltenumbruch]
33. Folge.

Nachdruck verboten.

Die Lämmerschur.
Ein New-Yorker Börsenroman.



"Der Professor schreibt, daß er Nancys Leiden, wie
Dures ihm geschildert hast, wohl abstellen könnte, da es
sich um einen typischen Fall von Hüftenverkrümmung zu
handeln scheine; eine durch sein System völlig zu beiseiti-
gende Entstellungsform .... ja, hast Du denn an ihn ge-
schrieben?" Ganz verblüfft schaute er Reggie an.

Dieser lachte herzlich. "Ich war so frei, Onkel Ben.
Wie Du siehst, lautet die Antwort aufmunternd -- oder
nicht?"

"Ja, gewiß -- indessen" -- er vertiefte sich wieder
in den Brief -- "er will unmittelbar nach dem Monats-
wechsel hierher nach New-York kommen, wo er ohnehin
eine Anzahl Fälle zu erledigen hat und bei dieser Ge-
legenheit auch Nancy in Behandlung nehmen. Seine
Honoraransprüche beziffern sich -- ohne Garantie für
das Gelingen der Kur -- auf fünftausend Dollars, die
im voraus zu entrichten sind ... Donnerwetter, der
Mann hat sich erstaunlich rasch akklimatisiert!" entfuhr
es Ben. "Ganz wie unsere Aerzte auch -- erst das Geld
für die Behandlung und dann diese selbst -- für einen
Erfolg wird keine Garantie übernommen."

Er kicherte belustigt vor sich hin, wurde aber schnell
wieder ernst. "Lieber Junge, wenn Du vielleicht glaubst,
daß ich fünftausend Dollars aufs Ungewisse zahlen
könnte -- noch keine fünftausend Pennies!" pro-
testierte er.

"Aber, da sind sie doch!"

"Wo -- wie meinst Du --"

"Hier sind sie, die Fünftausend nämlich!" meinte
Reggie, und lachend drückte er Ben den zweiten Papier-
streifen, mit dem er bis dahin gespielt, in die Hand.

Ben entfaltete das Papier. Daß es sich um einen
Scheck handelte, darüber hatten ihm schon Form und Be-
schaffenheit des Papiers Aufschluß gegeben. Als er ihn
nun aber entfaltete und die darauf ausgestellte Summe
las, gab es ihm einen Ruck, und er schaute fassungslos
Reggie an.

"Fünftausend Dollar -- fünftausend!" wiederholte
er nochmals ordentlich ehrfürchtig. "Ausgestellt auf die
Erste Nationalbank -- und auf mich?" Wieder schaute er
[Spaltenumbruch] den sich herzlich an seiner Verblüffung Weidenden be-
stürzt an. "Ja, was soll denn das heißen?"

"Nichts mehr und nichts weniger, Onkel, als daß
Du den Scheck gelegentlich zu Gelde machst und dann die
Fünftausend im eigenen Namen an den Professor nach
Chicago einsendest."

"Aber ich -- ich begreife nicht --"

"Ist doch kinderleicht, Onkel. Sieh, ihr habt mich
mit so viel Liebe bei euch aufgenommen -- kann Dir
sagen, ich weiß plötzlich, wie es schmeckt, eine Heimat zu
haben -- und ich müßte doch blind und taub sein, hätte
ich nicht längst Tante Ethels Herzenswunsch, der doch
sicherlich auch der Deinige ist, erraten -- und da ich schon
in Bälde einmal mit Schönbäschen Nancy tanzen und
um die Wette laufen möchte, so mußt Du mir schon ge-
statten, daß ich von meinem Ueberfluß etwas zu-
steuere -- --"

"Aber, ich bitte Dich, Reggie -- das --"

"Nur keinen Einspruch, Onkel Ben, denn erstens
wird ein solcher nicht angenommen, und zum andern hast
Du Dein Mädel doch auch lieb -- oder nicht?" Seine
Stimme klang ernst; herzlich ergriff er die Hand des ihn
nach wie vor fassungslos anstarrenden Onkels. "Nun
siehst Du, da mußte ich Dich ins Vertrauen ziehen. Wir
Männer verstehen uns am ehesten. Wollte ich Tante
Ethel ins Vertrauen ziehen, so würde dies ihr Zartgefühl
verletzen -- und gar erst Nancy! Nicht daran zu denken!
Sie müssen beide durch den Besuch des Professors über-
rumpelt werden, verstanden? Uebrigens habe ich mich in
meiner Anfrage auch nur als von Dir beauftragt hinge-
stellt. Ist es dann glücklich erst so weit, kann Tantchen
keine Einwendungen mehr machen -- und ich bleibe ganz
aus dem Spiele. Darin sind wir einig, das bleibt eben
unser Geheimnis, nicht wahr? ... Und wenn Tantchen
sich nach dem Honorar und seiner Höhe erkundigt, nun
dann kannst Du getrost einmal schwindeln, Onkel Ben.
Wir reduzieren es auf tausend Dollar und die hast Du
eben mal so gelegentlich in der Straße mitgenommen."

Ben wollte protestieren; aber die Ueberraschung
war allzu groß. Ungläubig starrte er bald das sonnig
heitere Gesicht Reggies, bald den schmalen Papierstreifen
in seiner Hand an. Fünftausend Dollar! Er hätte seine
Seligkeit für ihren Besitz hingegeben -- und nun hielt er
sie in der Hand! Freilich, sie gehörten nicht ihm, sondern
waren anvertrautes Gut -- selbstverständlich würde er
das Geld unverzüglich dem Professor einsenden. Aber
ein merkwürdiger Zufall blieb es doch, daß sich im Hand-
umdrehen so viel Geld zu ihm finden konnte.


[Spaltenumbruch]

Der Spieleraberglauben in ihm begann wieder rege
zu werden. Eigentlich war das ein gutes Zeichen! Wo
Tauben sind, da finden sich Tauben zu -- und mit dem
Gelde ist es genau so.

"Um Himmelswillen, nur keine Rührung, Onkel --
so was ist doch unter Verwandten selbstverständlich!"
raunte Reggie und nickte dann in der Richtung nach dem
durch Strauchwerk halbverdeckten Häuschen. Dort hinter
Goldregenbusch taucht gerade etwas Weißes auf -- sollte
mich wundern, wenn es nicht Tantes Küchenschürze ist
und sie selbst kommt, um uns zum Essen zu rufen. Also
fort mit den Wischen -- und kein Wort verraten! Ich
freue mich ja wie'n Kind auf Weihnachten, wenn die
Ueberraschung glücklich gelingt -- ja doch, ja, Onkel!"
wehrte er ab, als Ben nur mit dankbarem Drucke seine
Hand fassen, aber kein Wort hervorbringen konnte. Laut
aber rief er: "Hallo, Tantchen, wir stecken hier in der
Laube."

"Nun, dann seid so gut und kommt zum Essen, die
Suppe steht bereits auf dem Tisch!" tönte wohlgemut
Ethels Stimme zurück. Da kam sie auch schon selbst zum
Vorschein. Ihrem scharfen Blicke entging die Gemüts-
bewegung in des Gatten Mienen nicht. "Nun, was habt
ihr vor? Ihr werdet euch doch hoffentlich nicht gezankt
haben?" erkundigte sie sich in leichtem Befremden.

Reggies sieghaftes Lachen erstickte ihre weiteren
Worte. Er war aufgesprungen und hatte sich unbefangen
bei ihr eingehängt. "Aber sicherlich nicht -- ich war nur
indiskret und habe Onkel Ben unter der Blume zu ver-
stehen gegeben, daß auch eine von den bewußten Silber-
zipfelchen kalt gestellt worden ist. Das hat ihn tief ge-
rührt, wie Figura zeigt."

Gut gläubig nahm Ethel seinen Aufschluß hin. "Nein,
so'n unverbesserlicher Schlemmer!" schmähte sie und
drohte ihrem Manne mit dem Finger. "Und Dich muß
ich auch ausschelten, Reggie -- das sollte doch unser Ge-
heimnis bleiben! Erst zum Dessert sollte Dein Onkel
darum erfahren. Wirst sehen, nun fängt er gleich zur
Suppe zu nippen an. Noch dazu am Sonntag. Ach, über
euch Männer, ihr müßt halt immer aus der Schule
schwatzen!" schloß sie lachend.

Ihr Gelächter wirkte ansteckend. Reggie beteiligte
sich daran aus vollem Halse, und auch Ben taute rasch
auf und wurde ausgelassen fröhlich.

(Fortsetzung folgt.)

[irrelevantes Material]
Wien, Samstag Reichspoſt 4. Juli 1914 Nr. 308

[Spaltenumbruch]
33. Folge.

Nachdruck verboten.

Die Lämmerſchur.
Ein New-Yorker Börſenroman.



„Der Profeſſor ſchreibt, daß er Nancys Leiden, wie
Dures ihm geſchildert haſt, wohl abſtellen könnte, da es
ſich um einen typiſchen Fall von Hüftenverkrümmung zu
handeln ſcheine; eine durch ſein Syſtem völlig zu beiſeiti-
gende Entſtellungsform .... ja, haſt Du denn an ihn ge-
ſchrieben?“ Ganz verblüfft ſchaute er Reggie an.

Dieſer lachte herzlich. „Ich war ſo frei, Onkel Ben.
Wie Du ſiehſt, lautet die Antwort aufmunternd — oder
nicht?“

„Ja, gewiß — indeſſen“ — er vertiefte ſich wieder
in den Brief — „er will unmittelbar nach dem Monats-
wechſel hierher nach New-York kommen, wo er ohnehin
eine Anzahl Fälle zu erledigen hat und bei dieſer Ge-
legenheit auch Nancy in Behandlung nehmen. Seine
Honoraranſprüche beziffern ſich — ohne Garantie für
das Gelingen der Kur — auf fünftauſend Dollars, die
im voraus zu entrichten ſind ... Donnerwetter, der
Mann hat ſich erſtaunlich raſch akklimatiſiert!“ entfuhr
es Ben. „Ganz wie unſere Aerzte auch — erſt das Geld
für die Behandlung und dann dieſe ſelbſt — für einen
Erfolg wird keine Garantie übernommen.“

Er kicherte beluſtigt vor ſich hin, wurde aber ſchnell
wieder ernſt. „Lieber Junge, wenn Du vielleicht glaubſt,
daß ich fünftauſend Dollars aufs Ungewiſſe zahlen
könnte — noch keine fünftauſend Pennies!“ pro-
teſtierte er.

„Aber, da ſind ſie doch!“

„Wo — wie meinſt Du —“

„Hier ſind ſie, die Fünftauſend nämlich!“ meinte
Reggie, und lachend drückte er Ben den zweiten Papier-
ſtreifen, mit dem er bis dahin geſpielt, in die Hand.

Ben entfaltete das Papier. Daß es ſich um einen
Scheck handelte, darüber hatten ihm ſchon Form und Be-
ſchaffenheit des Papiers Aufſchluß gegeben. Als er ihn
nun aber entfaltete und die darauf ausgeſtellte Summe
las, gab es ihm einen Ruck, und er ſchaute faſſungslos
Reggie an.

„Fünftauſend Dollar — fünftauſend!“ wiederholte
er nochmals ordentlich ehrfürchtig. „Ausgeſtellt auf die
Erſte Nationalbank — und auf mich?“ Wieder ſchaute er
[Spaltenumbruch] den ſich herzlich an ſeiner Verblüffung Weidenden be-
ſtürzt an. „Ja, was ſoll denn das heißen?“

„Nichts mehr und nichts weniger, Onkel, als daß
Du den Scheck gelegentlich zu Gelde machſt und dann die
Fünftauſend im eigenen Namen an den Profeſſor nach
Chicago einſendeſt.“

„Aber ich — ich begreife nicht —“

„Iſt doch kinderleicht, Onkel. Sieh, ihr habt mich
mit ſo viel Liebe bei euch aufgenommen — kann Dir
ſagen, ich weiß plötzlich, wie es ſchmeckt, eine Heimat zu
haben — und ich müßte doch blind und taub ſein, hätte
ich nicht längſt Tante Ethels Herzenswunſch, der doch
ſicherlich auch der Deinige iſt, erraten — und da ich ſchon
in Bälde einmal mit Schönbäschen Nancy tanzen und
um die Wette laufen möchte, ſo mußt Du mir ſchon ge-
ſtatten, daß ich von meinem Ueberfluß etwas zu-
ſteuere — —“

„Aber, ich bitte Dich, Reggie — das —“

„Nur keinen Einſpruch, Onkel Ben, denn erſtens
wird ein ſolcher nicht angenommen, und zum andern haſt
Du Dein Mädel doch auch lieb — oder nicht?“ Seine
Stimme klang ernſt; herzlich ergriff er die Hand des ihn
nach wie vor faſſungslos anſtarrenden Onkels. „Nun
ſiehſt Du, da mußte ich Dich ins Vertrauen ziehen. Wir
Männer verſtehen uns am eheſten. Wollte ich Tante
Ethel ins Vertrauen ziehen, ſo würde dies ihr Zartgefühl
verletzen — und gar erſt Nancy! Nicht daran zu denken!
Sie müſſen beide durch den Beſuch des Profeſſors über-
rumpelt werden, verſtanden? Uebrigens habe ich mich in
meiner Anfrage auch nur als von Dir beauftragt hinge-
ſtellt. Iſt es dann glücklich erſt ſo weit, kann Tantchen
keine Einwendungen mehr machen — und ich bleibe ganz
aus dem Spiele. Darin ſind wir einig, das bleibt eben
unſer Geheimnis, nicht wahr? ... Und wenn Tantchen
ſich nach dem Honorar und ſeiner Höhe erkundigt, nun
dann kannſt Du getroſt einmal ſchwindeln, Onkel Ben.
Wir reduzieren es auf tauſend Dollar und die haſt Du
eben mal ſo gelegentlich in der Straße mitgenommen.“

Ben wollte proteſtieren; aber die Ueberraſchung
war allzu groß. Ungläubig ſtarrte er bald das ſonnig
heitere Geſicht Reggies, bald den ſchmalen Papierſtreifen
in ſeiner Hand an. Fünftauſend Dollar! Er hätte ſeine
Seligkeit für ihren Beſitz hingegeben — und nun hielt er
ſie in der Hand! Freilich, ſie gehörten nicht ihm, ſondern
waren anvertrautes Gut — ſelbſtverſtändlich würde er
das Geld unverzüglich dem Profeſſor einſenden. Aber
ein merkwürdiger Zufall blieb es doch, daß ſich im Hand-
umdrehen ſo viel Geld zu ihm finden konnte.


[Spaltenumbruch]

Der Spieleraberglauben in ihm begann wieder rege
zu werden. Eigentlich war das ein gutes Zeichen! Wo
Tauben ſind, da finden ſich Tauben zu — und mit dem
Gelde iſt es genau ſo.

„Um Himmelswillen, nur keine Rührung, Onkel —
ſo was iſt doch unter Verwandten ſelbſtverſtändlich!“
raunte Reggie und nickte dann in der Richtung nach dem
durch Strauchwerk halbverdeckten Häuschen. Dort hinter
Goldregenbuſch taucht gerade etwas Weißes auf — ſollte
mich wundern, wenn es nicht Tantes Küchenſchürze iſt
und ſie ſelbſt kommt, um uns zum Eſſen zu rufen. Alſo
fort mit den Wiſchen — und kein Wort verraten! Ich
freue mich ja wie’n Kind auf Weihnachten, wenn die
Ueberraſchung glücklich gelingt — ja doch, ja, Onkel!“
wehrte er ab, als Ben nur mit dankbarem Drucke ſeine
Hand faſſen, aber kein Wort hervorbringen konnte. Laut
aber rief er: „Hallo, Tantchen, wir ſtecken hier in der
Laube.“

„Nun, dann ſeid ſo gut und kommt zum Eſſen, die
Suppe ſteht bereits auf dem Tiſch!“ tönte wohlgemut
Ethels Stimme zurück. Da kam ſie auch ſchon ſelbſt zum
Vorſchein. Ihrem ſcharfen Blicke entging die Gemüts-
bewegung in des Gatten Mienen nicht. „Nun, was habt
ihr vor? Ihr werdet euch doch hoffentlich nicht gezankt
haben?“ erkundigte ſie ſich in leichtem Befremden.

Reggies ſieghaftes Lachen erſtickte ihre weiteren
Worte. Er war aufgeſprungen und hatte ſich unbefangen
bei ihr eingehängt. „Aber ſicherlich nicht — ich war nur
indiskret und habe Onkel Ben unter der Blume zu ver-
ſtehen gegeben, daß auch eine von den bewußten Silber-
zipfelchen kalt geſtellt worden iſt. Das hat ihn tief ge-
rührt, wie Figura zeigt.“

Gut gläubig nahm Ethel ſeinen Aufſchluß hin. „Nein,
ſo’n unverbeſſerlicher Schlemmer!“ ſchmähte ſie und
drohte ihrem Manne mit dem Finger. „Und Dich muß
ich auch ausſchelten, Reggie — das ſollte doch unſer Ge-
heimnis bleiben! Erſt zum Deſſert ſollte Dein Onkel
darum erfahren. Wirſt ſehen, nun fängt er gleich zur
Suppe zu nippen an. Noch dazu am Sonntag. Ach, über
euch Männer, ihr müßt halt immer aus der Schule
ſchwatzen!“ ſchloß ſie lachend.

Ihr Gelächter wirkte anſteckend. Reggie beteiligte
ſich daran aus vollem Halſe, und auch Ben taute raſch
auf und wurde ausgelaſſen fröhlich.

(Fortſetzung folgt.)

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[14/0014] Wien, Samstag Reichspoſt 4. Juli 1914 Nr. 308 33. Folge. Nachdruck verboten. Die Lämmerſchur. Ein New-Yorker Börſenroman. Von Otto Hoecker. „Der Profeſſor ſchreibt, daß er Nancys Leiden, wie Dures ihm geſchildert haſt, wohl abſtellen könnte, da es ſich um einen typiſchen Fall von Hüftenverkrümmung zu handeln ſcheine; eine durch ſein Syſtem völlig zu beiſeiti- gende Entſtellungsform .... ja, haſt Du denn an ihn ge- ſchrieben?“ Ganz verblüfft ſchaute er Reggie an. Dieſer lachte herzlich. „Ich war ſo frei, Onkel Ben. Wie Du ſiehſt, lautet die Antwort aufmunternd — oder nicht?“ „Ja, gewiß — indeſſen“ — er vertiefte ſich wieder in den Brief — „er will unmittelbar nach dem Monats- wechſel hierher nach New-York kommen, wo er ohnehin eine Anzahl Fälle zu erledigen hat und bei dieſer Ge- legenheit auch Nancy in Behandlung nehmen. Seine Honoraranſprüche beziffern ſich — ohne Garantie für das Gelingen der Kur — auf fünftauſend Dollars, die im voraus zu entrichten ſind ... Donnerwetter, der Mann hat ſich erſtaunlich raſch akklimatiſiert!“ entfuhr es Ben. „Ganz wie unſere Aerzte auch — erſt das Geld für die Behandlung und dann dieſe ſelbſt — für einen Erfolg wird keine Garantie übernommen.“ Er kicherte beluſtigt vor ſich hin, wurde aber ſchnell wieder ernſt. „Lieber Junge, wenn Du vielleicht glaubſt, daß ich fünftauſend Dollars aufs Ungewiſſe zahlen könnte — noch keine fünftauſend Pennies!“ pro- teſtierte er. „Aber, da ſind ſie doch!“ „Wo — wie meinſt Du —“ „Hier ſind ſie, die Fünftauſend nämlich!“ meinte Reggie, und lachend drückte er Ben den zweiten Papier- ſtreifen, mit dem er bis dahin geſpielt, in die Hand. Ben entfaltete das Papier. Daß es ſich um einen Scheck handelte, darüber hatten ihm ſchon Form und Be- ſchaffenheit des Papiers Aufſchluß gegeben. Als er ihn nun aber entfaltete und die darauf ausgeſtellte Summe las, gab es ihm einen Ruck, und er ſchaute faſſungslos Reggie an. „Fünftauſend Dollar — fünftauſend!“ wiederholte er nochmals ordentlich ehrfürchtig. „Ausgeſtellt auf die Erſte Nationalbank — und auf mich?“ Wieder ſchaute er den ſich herzlich an ſeiner Verblüffung Weidenden be- ſtürzt an. „Ja, was ſoll denn das heißen?“ „Nichts mehr und nichts weniger, Onkel, als daß Du den Scheck gelegentlich zu Gelde machſt und dann die Fünftauſend im eigenen Namen an den Profeſſor nach Chicago einſendeſt.“ „Aber ich — ich begreife nicht —“ „Iſt doch kinderleicht, Onkel. Sieh, ihr habt mich mit ſo viel Liebe bei euch aufgenommen — kann Dir ſagen, ich weiß plötzlich, wie es ſchmeckt, eine Heimat zu haben — und ich müßte doch blind und taub ſein, hätte ich nicht längſt Tante Ethels Herzenswunſch, der doch ſicherlich auch der Deinige iſt, erraten — und da ich ſchon in Bälde einmal mit Schönbäschen Nancy tanzen und um die Wette laufen möchte, ſo mußt Du mir ſchon ge- ſtatten, daß ich von meinem Ueberfluß etwas zu- ſteuere — —“ „Aber, ich bitte Dich, Reggie — das —“ „Nur keinen Einſpruch, Onkel Ben, denn erſtens wird ein ſolcher nicht angenommen, und zum andern haſt Du Dein Mädel doch auch lieb — oder nicht?“ Seine Stimme klang ernſt; herzlich ergriff er die Hand des ihn nach wie vor faſſungslos anſtarrenden Onkels. „Nun ſiehſt Du, da mußte ich Dich ins Vertrauen ziehen. Wir Männer verſtehen uns am eheſten. Wollte ich Tante Ethel ins Vertrauen ziehen, ſo würde dies ihr Zartgefühl verletzen — und gar erſt Nancy! Nicht daran zu denken! Sie müſſen beide durch den Beſuch des Profeſſors über- rumpelt werden, verſtanden? Uebrigens habe ich mich in meiner Anfrage auch nur als von Dir beauftragt hinge- ſtellt. Iſt es dann glücklich erſt ſo weit, kann Tantchen keine Einwendungen mehr machen — und ich bleibe ganz aus dem Spiele. Darin ſind wir einig, das bleibt eben unſer Geheimnis, nicht wahr? ... Und wenn Tantchen ſich nach dem Honorar und ſeiner Höhe erkundigt, nun dann kannſt Du getroſt einmal ſchwindeln, Onkel Ben. Wir reduzieren es auf tauſend Dollar und die haſt Du eben mal ſo gelegentlich in der Straße mitgenommen.“ Ben wollte proteſtieren; aber die Ueberraſchung war allzu groß. Ungläubig ſtarrte er bald das ſonnig heitere Geſicht Reggies, bald den ſchmalen Papierſtreifen in ſeiner Hand an. Fünftauſend Dollar! Er hätte ſeine Seligkeit für ihren Beſitz hingegeben — und nun hielt er ſie in der Hand! Freilich, ſie gehörten nicht ihm, ſondern waren anvertrautes Gut — ſelbſtverſtändlich würde er das Geld unverzüglich dem Profeſſor einſenden. Aber ein merkwürdiger Zufall blieb es doch, daß ſich im Hand- umdrehen ſo viel Geld zu ihm finden konnte. Der Spieleraberglauben in ihm begann wieder rege zu werden. Eigentlich war das ein gutes Zeichen! Wo Tauben ſind, da finden ſich Tauben zu — und mit dem Gelde iſt es genau ſo. „Um Himmelswillen, nur keine Rührung, Onkel — ſo was iſt doch unter Verwandten ſelbſtverſtändlich!“ raunte Reggie und nickte dann in der Richtung nach dem durch Strauchwerk halbverdeckten Häuschen. Dort hinter Goldregenbuſch taucht gerade etwas Weißes auf — ſollte mich wundern, wenn es nicht Tantes Küchenſchürze iſt und ſie ſelbſt kommt, um uns zum Eſſen zu rufen. Alſo fort mit den Wiſchen — und kein Wort verraten! Ich freue mich ja wie’n Kind auf Weihnachten, wenn die Ueberraſchung glücklich gelingt — ja doch, ja, Onkel!“ wehrte er ab, als Ben nur mit dankbarem Drucke ſeine Hand faſſen, aber kein Wort hervorbringen konnte. Laut aber rief er: „Hallo, Tantchen, wir ſtecken hier in der Laube.“ „Nun, dann ſeid ſo gut und kommt zum Eſſen, die Suppe ſteht bereits auf dem Tiſch!“ tönte wohlgemut Ethels Stimme zurück. Da kam ſie auch ſchon ſelbſt zum Vorſchein. Ihrem ſcharfen Blicke entging die Gemüts- bewegung in des Gatten Mienen nicht. „Nun, was habt ihr vor? Ihr werdet euch doch hoffentlich nicht gezankt haben?“ erkundigte ſie ſich in leichtem Befremden. Reggies ſieghaftes Lachen erſtickte ihre weiteren Worte. Er war aufgeſprungen und hatte ſich unbefangen bei ihr eingehängt. „Aber ſicherlich nicht — ich war nur indiskret und habe Onkel Ben unter der Blume zu ver- ſtehen gegeben, daß auch eine von den bewußten Silber- zipfelchen kalt geſtellt worden iſt. Das hat ihn tief ge- rührt, wie Figura zeigt.“ Gut gläubig nahm Ethel ſeinen Aufſchluß hin. „Nein, ſo’n unverbeſſerlicher Schlemmer!“ ſchmähte ſie und drohte ihrem Manne mit dem Finger. „Und Dich muß ich auch ausſchelten, Reggie — das ſollte doch unſer Ge- heimnis bleiben! Erſt zum Deſſert ſollte Dein Onkel darum erfahren. Wirſt ſehen, nun fängt er gleich zur Suppe zu nippen an. Noch dazu am Sonntag. Ach, über euch Männer, ihr müßt halt immer aus der Schule ſchwatzen!“ ſchloß ſie lachend. Ihr Gelächter wirkte anſteckend. Reggie beteiligte ſich daran aus vollem Halſe, und auch Ben taute raſch auf und wurde ausgelaſſen fröhlich. (Fortſetzung folgt.) _

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Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 308, Wien, 04.07.1914, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost308_1914/14>, abgerufen am 24.11.2024.