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Reichspost. Nr. 179, Wien, 08.08.1905.

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Wien, Dienstag Reichspost 8. August 1905 179

[Spaltenumbruch]

zu demolieren oder in Nevy-sur-Seille eine Lieb-
frauenstatue von der Brücke in den Fluß zu werfen.

In Paris haben die Freidenker noch ein anderes
Vergnügen entdeckt. Für September ist von ihnen
die Enthüllung des Denkmals für den Chevalier
de la Barre, einen gänzlich unbekannten Herrn, der
vor 150 Jahren die Todesstrafe wegen Gottesleugnung
nach damaligen Gesetzen erlitt, in Aussicht genommen.
Doch was würde man bis dorthin anfangen? Große
Plakate luden deshalb in den letzten Tagen alle Mit-
bürger ein zur "großen antireligiösen Manifestation",
welche Sonntag den 6. d. M., 2 Uhr nachmittags,
auf dem Platz Maubert zu Ehren "Etienne Dolets"
stattfindet. Besagter Herr Dolet wurde im Jahre
1509 zu Orleans geboren und im Jahre 1546 von
der Sorbonne und dem Pariser Parlament wegen
häretischer Schriften, in welchen er den Atheismus
und Materialismus verteidigte, zum Tode verurteilt.
In Vollstreckung des Urteiles wurde er am 5. August
aufgehängt und sein Leichnam verbrannt. Für
dieses Verdienst errichtete ihm die Gemeinde Paris
auf dem Platz Maubert 1889 ein Monument, und
die Freidenker, verbunden mit den Sozialisten,
führen nun um dasselbe ihre Tänze auf.

Köstlich ist es, daß der Aufruf zur Feier mit den Worten
schließt: Vive la separation des eglises de l'etat! "Es
lebe die Trennung der Kirchen vom Staate!" Sollte
das vielleicht eine Aenderung des Programmes be-
deuten? Denn bis jetzt richtete sich der Kampf einzig
und allein gegen eine Kirche, gegen die katholische,
während man die protestantische ruhig Proselyten
machen ließ und die Juden offen begünstigte. Wie
wäre es sonst möglich, daß in einer kommunalen
Schule täglich die Rabbiner aus- und eingehen? Im
vierten Arrondissement, rue des Hospitalieres,
St. Gervais,
befindet sich eine Schule, deren Lehr-
kräfte und Schüler fast durchwegs Juden sind. Das
ist erlaubt. Unerlaubt ist, daß regelmäßig die Rabbiner
diese Schule aufsuchen und die Schüler ermahnen,
dem Gottesdienst in der Synagoge beizuwohnen.
Welches Geschrei würden sämtliche Blätter des Block
erheben, wenn ein katholischer Priester dergleichen
wagte!

Die Regierung hat sich inzwischen bei be-
stimmten Anlässen eine schöne Symmetrie zurecht-
gelegt: Am 14. Juli, am Tage des Nationalfestes,
pflegt jährlich ein ausgiebiger Ordensregen die
Männer der Republik zu beglücken. Wie man
erst jetzt der offiziellen Liste entnehmen kann, wurden
zu Rittern der Ehrenlegion ernannt: ein Pfarrer,
ein Pastor -- und ein Rabbiner. Abgesehen davon,
daß die Proportionalität etwas wackelt, da Frankreich
mehr als 35 Millionen Katholiken und eine ver-
[Spaltenumbruch] schwindend kleine Zahl von Protestanten und Juden
zählt, wäre noch die Frage zu erwägen, ob ein
katholischer Pfarrer vom gegenwärtigen Regime
überhaupt eine Dekoration annehmen darf. Jeden-
falls wäre es ehrenhafter diese Gnade zurückzu-
weisen.

Jedoch der Klerus ist leider nicht immer tadel-
los. So veröffentlicht die "Libre parole" kürzlich
eine Reihe von Zuschriften verschiedener Landpfarrer,
in welchen, statt daß sie in Hinblick auf die gegen-
wärtige Lage die Katholiken zu mutiger Verteidigung
und Einigung aufforderten, nichts als trostlose ver-
zweifelte Klagen zu hören waren: "Wenn kein
Wunder geschieht," schreibt einer, "so ist
die Religion in Frankreich fertig." Ein
anderer geht noch weiter: "Eine Reaktion
ist unmöglich! Bevor ein Vierteljahrhundert ver-
gangen ist, wird die Kirche in Frankreich vorbei sein,
vernichtet von einem sklavischen Klerus, der sich nur
um seinen Vorteil kümmert!" Derartige Verzagtheit
im Klerus entmutigt die Katholiken, die gerade jetzt
eifrig arbeiten und -- leider -- vielfach bei den
Berufenen nicht die nötige Unterstützung finden.

Doch um bei den Ordensverleihungen zu bleiben:
Es wurde auch der frühere Generalgouverneur von
Algier, Revoil, zum Kommandeur der Ehrenlegion
ernannt auf Grund eines nun schon zweieinhalb Jahre
alten Dekretes vom 2. März 1903. Monsieur Combes
hatte sich nämlich geweigert, diese Ernennung zu be-
stätigen, weil Herr Revoil der Neffe des Redakteurs
Baragnon ist, der zuerst die famose Kartäuser-
Millionenaffäre des Herrn Combes vor der Oeffent-
lichkeit zur Sprache brachte. Einem Offizier, Vater
von acht Kindern, der das Kreuz der Ehrenlegion
vor drei Jahren hätte erhalten sollen, wurde es erst
heuer verliehen, weil er -- in die Kirche ging und
deshalb von den Freimaurern denunziert worden war.

Trotzdem können die heftigsten Kirchenfeinde
mitunter die Kirche nicht ganz entbehren. Einer von
dieser Sorte, der Quästor des Senats Bonnefoy
Sibour, hat für seine Tochter ausdrücklich
die kirchliche Trauung gewünscht und sogar
horribile dictu! -- derselben beigewohnt. Wenn ihn
nur nicht der hohe Rat des Freimaurerordens in
Acht und Bann erklärt? Ein Gleiches könnte übrigens
dem König von Spanien passieren. Denn daß er im
Automobil fährt, ist ja ganz recht, daß er über die
Grenze nach Frankreich kommt, ist noch netter, daß
er nach Lourdes kam, das ist schon ein bischen
heikler, daß er dort einer Messe beiwohnte, ist ent-
schieden "klerikal" (an einem Wochentage auch noch!),
daß er von der Menge stürmisch akklamiert und vom
Bischof begrüßt wurde, läßt auf ein royalistisch-
[Spaltenumbruch] klerikales Komplott schließen, daß er aber gar eine
Flasche Wasser von der Lourdes-Quelle mitnahm,
das ist einfach unerhört! Es war ein Glück für ihn,
daß er noch am selben Tage nach Spanien zurück-
kehrte.




Politische Kundschau.
Oesterreich-Ungarn.


Zwei bemerkeuswerte Besuche in
Ischl.

Ministerpräsident Dr. Baron Gautsch
und der Chef des Generalstabs Baron Beck sind
im Verlaufe des gestrigen Nachmittags in Ischl
eingetroffen. -- Aus Ischl, 7. August, wird tele-
graphiert: Ministerpräsident Dr. Freiherr v. Gautsch,
welcher in Begleitung des Ministerialkonzipisten
Grafen Attems hier eingetroffen ist, wurde um
11 Uhr vormittags von Sr. Majestät in Audienz
empfangen und wird nachmittags am Allerhöchsten
Familiendiner teilnehmen.

Minenleger Dr. Stransky.

Der jüdische
Jungtschechenführer in Mähren, Abgeordneter
Dr. Stransky, benützt die Erledigung der
schlesischen Parallelklassenfrage, mit der sich die
übrigen tschechischen Politiker zufriedengeben --
sie haben alle Ursache dazu -- zu einem heftigen
Ausfall auf die dermalige Taktik des Jung-
tschechenklubs. Dr. Stransky erklärt in seiner
"Lidove Noviny", daß Abg. Hruby nicht bevoll-
mächtigt war, namens der Tschechen dem Baron
Gautsch irgend eine Erklärung abzugeben. Dem
Baron Gautsch werde ein solches Vergnügen nicht
mehr zuteil werden, weil ihm nicht mehr werde
Gelegenheit geboten werden, die tschechischen Ab-
geordneten "anzuschmieren". Schon heute könne
erklärt werden, daß der Tschechenklub noch heuer
gesprengt werde, da ein Teil der Abgeord-
neten der mährischen Wahlbezirke, von den
Reizen des Barons Gautsch nicht geblendet, seine
eigenen Wege gehen werde. -- Man sieht, Abg.
Dr. Stransky arbeitet mit Händen und Füßen,
um aus der Kaltstellung, in die er geraten ist,
wieder herauszukommen. Ob ihm die mährischen
Jungtschechen auf dem Wege der Scharfmacherei
folgen werden? Was soll man sich übrigens über
den plötzlichen radikalen Anfall Dr. Stranskys
denken, wenn in Prag, wie eine Prager Depesche
besagt, das Gerücht verbreitet ist, daß Doktor
Stransky sein Organ, das Brünner Blatt
"Lidove Noviny", verkaufen wolle und zum
Leiter des neuen jungtschechischen großen Tag-
blattes berufen werden soll! Die Finanzierung
des neuen Blattes soll von der "Zivnostenska
banka"
durchgeführt werden. Will man Doktor
Stransky saturieren, damit er endlich seinen
Mund hält, oder schreit Dr. Stransky so laut,




[Spaltenumbruch]

Napoleon am 21. Mai unterhalb Wiens den
breiten Strom überschritt, ohne die Nähe des ihm
weit überlegenen feindlichen Heeres
zu ahnen,
und die nördlich der Insel Lobau
liegenden Dörfer Aspern und Eßling besetzte. Erst
am Nachmittag begann Karl mit dem Angriff
auf die Dörser, welche die Franzosen unter
Massena und Lanne mit ungeheurer Zähigkeit
verteidigten, während die tapferen Oesterreicher
Sturm auf Sturm unternahmen ... Der Ober-
befehlshaber setzte das in Reserve stehende
Grenadierkorps nicht ein. So erreichte er nicht,
was er mit seiner Uebermacht, 87.000 Mann und
258 Geschütze gegen etwa 32.000 Mann und
48 Geschütze bei größerer Planmäßigkeit und
Kraft der Leitung unbedingt hätte er-
reichen müssen,
daß der Gegner, nachdem er
ungehindert über den Strom gekommen war,
in diesen zurückgeworfen und vernichtet wurde.
In der Nacht stellten die Franzosen die von den
Wogen zerstörte Brücke wieder her, nahmen in
der Frühe des 22. Mai das verlorene Aspern
wieder und schritten nun in der Stärke von
63.000 Mann ihrerseits so kräftig zum Angriff,
daß Erzherzog Karl an Rückzug dachte und nur auf
das Drängen anderer Generale die tags zuvor nicht
verwandten Grenadierbataillone zur Wieder-
herstellung des Gleichgewichtes eingreifen ließ.
Tapfer warf er sich im Augenblicke der Gefahr
selbst in den wogenden Kampf, brach ihn aber,
ohne ihn zum wirklichen Sieg fortzuführen, vor-
zeitig ab, obgleich er noch Truppen zur letzten
Entscheidung verfügbar hatte, während dem
Gegner die abermalige Zerstörung der Brücke
jede Aussicht auf Nachschub abschnitt. Es war,
als ob der zum Siegen Ausersehene nicht hätte
siegen wollen. Tatsächlich betrachtete
Karl die ganze Schlacht nur als
[Spaltenumbruch] Verteidigungskampf
und ließ sich so die
beste Gelegenheit entgehen, welche die Umstände
je einem Gegner Napoleons in die Hände gaben,
einen entscheidenden Sieg, ja den Vernichtungs-
sieg zu erringen. Für die bloße Abwehr
waren die Opfer zu kostbar, 24.000 Mann,
während Napoleon wohl gegen 18.000 Mann
verlor".

Da also Napoleon bei Aspern nicht vernichtet
worden, hat der Herr königliche Gymnasialdirektor
wenigstens den Erzherzog Karl vernichtet. Wie ver-
halten sich zu seiner Darstellung die Tatsachen?
Berichtigen wir zuerst die Stärkeverhältnisse, da
Widmann behauptet, dem Heere Napoleons
sei auf dem linken Ufer der Donau ein weit
überlegenes Heer gegenüber gestanden. Die Mitte
Mai bei Wien versammelte Armee Napoleons
zählte, bestehend aus kaiserlichen Garden, dem 6.
Kavalleriekorps und dem 2., 3. und 4. Armee-
korps 105.900 Mann, 14.000 Reiter und 181
Geschütze, die österreichische Armee 105.500
Mann, 16,200 Reiter und 447 Geschütze;
Napoleon hatte am 22. Mai morgens nach
dem ersten Schlachttage 73.430 Mann und
10.230 Reiter mit 126 Geschützen über die
Donau gebracht, nachdem die Oesterreicher
80.000 Mann und 15.020 Reiter und 300 Ge-
schütze in Aktion gebracht hatten. Die Schlacht
war von Anfang an nicht eine Defensiv- sondern
eine Angriffsschlacht der Oesterreicher nach dem
Plane Erzherzog Karls, der in seiner Angriffs-
disposition ausdrücklich es als die Hauptabsicht
erklärt, "den Feind ganz über die ersten Arme
der Donau zurückzuschlagen, seine Brücken über
solche zu zerstören und das Ufer der Lobau mit
einer zahlreichen Artillerie, besonders Haubitzen,
zu besetzen".

Erzherzog Karl wollte also den Gegner auf
[Spaltenumbruch] der Lobau einsperren, nachdem er ihn zuerst über
den Strom gelassen, und ihn dann auf der Insel
durch ein starkes Artilleriefeuer vernichten.

Mit Erstaunen hörten die Korpskommandanten
am Morgen des 21. Mai, als sie sich um 10 Uhr
in Gerasdorf vor dem Erzherzog versammelten,
daß aus der von ihnen erwarteten Verteidigungs-
schlacht nach der Absicht des Armeeführers ein
Angriff werden sollte. Zwei Stunden später setzte
sich das ganze österreichische Heer gegen den
Feind, dessen Uebergang man bis kurz zuvor von
Nußdorf aus erwartet hatte, in Bewegung. Die
gesamte Reserve Erzherzog Karls, die Grenadier-
regimenter, deren Eingreifen Widmann als ent-
scheidend erachtet hätte, betrug 17 Bataillone, also
nur 8800 Mann, das Minimum einer Reserve,
die sehr begreiflicherweise für den zweiten Schlachttag
aufgespart wurde. Auch am zweiten Tage, gegenüber
dem dritten Durchbruchsversuche Napoleons, bleibt
es Befehl des Erzherzog Karl, Aspern zu nehmen,
"es koste, was es wolle". Von einem Zögern
keine Spur, obwohl Napoleon schon frohlockt und
den Sieg schon in seiner Hand wähnt. Um 9 Uhr am
Pfingstmontag entschließt Napoleon sich zum Rückzug,
um 10 Uhr läßt Erzherzog Karl gegen ihn die
Armeereserve eingreifen, die jedoch unter schweres
Feuer, von Eßlingen hervor, gerät und durch den
Sturz ihres Führers FML. d'Aspre in Verwirrung
kommt, von Erzherzog Karl aber wieder gesammelt
wird, um vorerst Eßlingen zu nehmen. Mittags
ordnete Napoleon den Rückzug über die Lobau an,
eine Bewegung, die von dem österreichischen
Heere nur deshalb nicht ausgenützt werden
konnte, weil schon seit vormittags empfindlicher
Munitionsmangel eingetreten war -- es waren
pro Geschütz 170 Schuß abgegeben worden! --
und ein plötzliches Steigen der Donau und die
Ueberschwemmung der waldigen Uferauen die Ver-


Wien, Dienstag Reichspoſt 8. Auguſt 1905 179

[Spaltenumbruch]

zu demolieren oder in Nevy-sur-Seille eine Lieb-
frauenſtatue von der Brücke in den Fluß zu werfen.

In Paris haben die Freidenker noch ein anderes
Vergnügen entdeckt. Für September iſt von ihnen
die Enthüllung des Denkmals für den Chevalier
de la Barre, einen gänzlich unbekannten Herrn, der
vor 150 Jahren die Todesſtrafe wegen Gottesleugnung
nach damaligen Geſetzen erlitt, in Ausſicht genommen.
Doch was würde man bis dorthin anfangen? Große
Plakate luden deshalb in den letzten Tagen alle Mit-
bürger ein zur „großen antireligiöſen Manifeſtation“,
welche Sonntag den 6. d. M., 2 Uhr nachmittags,
auf dem Platz Maubert zu Ehren „Etienne Dolets“
ſtattfindet. Beſagter Herr Dolet wurde im Jahre
1509 zu Orleans geboren und im Jahre 1546 von
der Sorbonne und dem Pariſer Parlament wegen
häretiſcher Schriften, in welchen er den Atheismus
und Materialismus verteidigte, zum Tode verurteilt.
In Vollſtreckung des Urteiles wurde er am 5. Auguſt
aufgehängt und ſein Leichnam verbrannt. Für
dieſes Verdienſt errichtete ihm die Gemeinde Paris
auf dem Platz Maubert 1889 ein Monument, und
die Freidenker, verbunden mit den Sozialiſten,
führen nun um dasſelbe ihre Tänze auf.

Köſtlich iſt es, daß der Aufruf zur Feier mit den Worten
ſchließt: Vive la séparation des églises de l’état! „Es
lebe die Trennung der Kirchen vom Staate!“ Sollte
das vielleicht eine Aenderung des Programmes be-
deuten? Denn bis jetzt richtete ſich der Kampf einzig
und allein gegen eine Kirche, gegen die katholiſche,
während man die proteſtantiſche ruhig Proſelyten
machen ließ und die Juden offen begünſtigte. Wie
wäre es ſonſt möglich, daß in einer kommunalen
Schule täglich die Rabbiner aus- und eingehen? Im
vierten Arrondiſſement, rue des Hospitalières,
St. Gervais,
befindet ſich eine Schule, deren Lehr-
kräfte und Schüler faſt durchwegs Juden ſind. Das
iſt erlaubt. Unerlaubt iſt, daß regelmäßig die Rabbiner
dieſe Schule aufſuchen und die Schüler ermahnen,
dem Gottesdienſt in der Synagoge beizuwohnen.
Welches Geſchrei würden ſämtliche Blätter des Block
erheben, wenn ein katholiſcher Prieſter dergleichen
wagte!

Die Regierung hat ſich inzwiſchen bei be-
ſtimmten Anläſſen eine ſchöne Symmetrie zurecht-
gelegt: Am 14. Juli, am Tage des Nationalfeſtes,
pflegt jährlich ein ausgiebiger Ordensregen die
Männer der Republik zu beglücken. Wie man
erſt jetzt der offiziellen Liſte entnehmen kann, wurden
zu Rittern der Ehrenlegion ernannt: ein Pfarrer,
ein Paſtor — und ein Rabbiner. Abgeſehen davon,
daß die Proportionalität etwas wackelt, da Frankreich
mehr als 35 Millionen Katholiken und eine ver-
[Spaltenumbruch] ſchwindend kleine Zahl von Proteſtanten und Juden
zählt, wäre noch die Frage zu erwägen, ob ein
katholiſcher Pfarrer vom gegenwärtigen Regime
überhaupt eine Dekoration annehmen darf. Jeden-
falls wäre es ehrenhafter dieſe Gnade zurückzu-
weiſen.

Jedoch der Klerus iſt leider nicht immer tadel-
los. So veröffentlicht die „Libre parole“ kürzlich
eine Reihe von Zuſchriften verſchiedener Landpfarrer,
in welchen, ſtatt daß ſie in Hinblick auf die gegen-
wärtige Lage die Katholiken zu mutiger Verteidigung
und Einigung aufforderten, nichts als troſtloſe ver-
zweifelte Klagen zu hören waren: „Wenn kein
Wunder geſchieht,“ ſchreibt einer, „ſo iſt
die Religion in Frankreich fertig.“ Ein
anderer geht noch weiter: „Eine Reaktion
iſt unmöglich! Bevor ein Vierteljahrhundert ver-
gangen iſt, wird die Kirche in Frankreich vorbei ſein,
vernichtet von einem ſklaviſchen Klerus, der ſich nur
um ſeinen Vorteil kümmert!“ Derartige Verzagtheit
im Klerus entmutigt die Katholiken, die gerade jetzt
eifrig arbeiten und — leider — vielfach bei den
Berufenen nicht die nötige Unterſtützung finden.

Doch um bei den Ordensverleihungen zu bleiben:
Es wurde auch der frühere Generalgouverneur von
Algier, Revoil, zum Kommandeur der Ehrenlegion
ernannt auf Grund eines nun ſchon zweieinhalb Jahre
alten Dekretes vom 2. März 1903. Monſieur Combes
hatte ſich nämlich geweigert, dieſe Ernennung zu be-
ſtätigen, weil Herr Revoil der Neffe des Redakteurs
Baragnon iſt, der zuerſt die famoſe Kartäuſer-
Millionenaffäre des Herrn Combes vor der Oeffent-
lichkeit zur Sprache brachte. Einem Offizier, Vater
von acht Kindern, der das Kreuz der Ehrenlegion
vor drei Jahren hätte erhalten ſollen, wurde es erſt
heuer verliehen, weil er — in die Kirche ging und
deshalb von den Freimaurern denunziert worden war.

Trotzdem können die heftigſten Kirchenfeinde
mitunter die Kirche nicht ganz entbehren. Einer von
dieſer Sorte, der Quäſtor des Senats Bonnefoy
Sibour, hat für ſeine Tochter ausdrücklich
die kirchliche Trauung gewünſcht und ſogar
horribile dictu! — derſelben beigewohnt. Wenn ihn
nur nicht der hohe Rat des Freimaurerordens in
Acht und Bann erklärt? Ein Gleiches könnte übrigens
dem König von Spanien paſſieren. Denn daß er im
Automobil fährt, iſt ja ganz recht, daß er über die
Grenze nach Frankreich kommt, iſt noch netter, daß
er nach Lourdes kam, das iſt ſchon ein bischen
heikler, daß er dort einer Meſſe beiwohnte, iſt ent-
ſchieden „klerikal“ (an einem Wochentage auch noch!),
daß er von der Menge ſtürmiſch akklamiert und vom
Biſchof begrüßt wurde, läßt auf ein royaliſtiſch-
[Spaltenumbruch] klerikales Komplott ſchließen, daß er aber gar eine
Flaſche Waſſer von der Lourdes-Quelle mitnahm,
das iſt einfach unerhört! Es war ein Glück für ihn,
daß er noch am ſelben Tage nach Spanien zurück-
kehrte.




Politiſche Kundſchau.
Oeſterreich-Ungarn.


Zwei bemerkeuswerte Beſuche in
Iſchl.

Miniſterpräſident Dr. Baron Gautſch
und der Chef des Generalſtabs Baron Beck ſind
im Verlaufe des geſtrigen Nachmittags in Iſchl
eingetroffen. — Aus Iſchl, 7. Auguſt, wird tele-
graphiert: Miniſterpräſident Dr. Freiherr v. Gautſch,
welcher in Begleitung des Miniſterialkonzipiſten
Grafen Attems hier eingetroffen iſt, wurde um
11 Uhr vormittags von Sr. Majeſtät in Audienz
empfangen und wird nachmittags am Allerhöchſten
Familiendiner teilnehmen.

Minenleger Dr. Stransky.

Der jüdiſche
Jungtſchechenführer in Mähren, Abgeordneter
Dr. Stransky, benützt die Erledigung der
ſchleſiſchen Parallelklaſſenfrage, mit der ſich die
übrigen tſchechiſchen Politiker zufriedengeben —
ſie haben alle Urſache dazu — zu einem heftigen
Ausfall auf die dermalige Taktik des Jung-
tſchechenklubs. Dr. Stransky erklärt in ſeiner
„Lidove Noviny“, daß Abg. Hruby nicht bevoll-
mächtigt war, namens der Tſchechen dem Baron
Gautſch irgend eine Erklärung abzugeben. Dem
Baron Gautſch werde ein ſolches Vergnügen nicht
mehr zuteil werden, weil ihm nicht mehr werde
Gelegenheit geboten werden, die tſchechiſchen Ab-
geordneten „anzuſchmieren“. Schon heute könne
erklärt werden, daß der Tſchechenklub noch heuer
geſprengt werde, da ein Teil der Abgeord-
neten der mähriſchen Wahlbezirke, von den
Reizen des Barons Gautſch nicht geblendet, ſeine
eigenen Wege gehen werde. — Man ſieht, Abg.
Dr. Stransky arbeitet mit Händen und Füßen,
um aus der Kaltſtellung, in die er geraten iſt,
wieder herauszukommen. Ob ihm die mähriſchen
Jungtſchechen auf dem Wege der Scharfmacherei
folgen werden? Was ſoll man ſich übrigens über
den plötzlichen radikalen Anfall Dr. Stranskys
denken, wenn in Prag, wie eine Prager Depeſche
beſagt, das Gerücht verbreitet iſt, daß Doktor
Stransky ſein Organ, das Brünner Blatt
„Lidove Noviny“, verkaufen wolle und zum
Leiter des neuen jungtſchechiſchen großen Tag-
blattes berufen werden ſoll! Die Finanzierung
des neuen Blattes ſoll von der »Zivnostenska
banka«
durchgeführt werden. Will man Doktor
Stransky ſaturieren, damit er endlich ſeinen
Mund hält, oder ſchreit Dr. Stransky ſo laut,




[Spaltenumbruch]

Napoleon am 21. Mai unterhalb Wiens den
breiten Strom überſchritt, ohne die Nähe des ihm
weit überlegenen feindlichen Heeres
zu ahnen,
und die nördlich der Inſel Lobau
liegenden Dörfer Aſpern und Eßling beſetzte. Erſt
am Nachmittag begann Karl mit dem Angriff
auf die Dörſer, welche die Franzoſen unter
Maſſena und Lanne mit ungeheurer Zähigkeit
verteidigten, während die tapferen Oeſterreicher
Sturm auf Sturm unternahmen ... Der Ober-
befehlshaber ſetzte das in Reſerve ſtehende
Grenadierkorps nicht ein. So erreichte er nicht,
was er mit ſeiner Uebermacht, 87.000 Mann und
258 Geſchütze gegen etwa 32.000 Mann und
48 Geſchütze bei größerer Planmäßigkeit und
Kraft der Leitung unbedingt hätte er-
reichen müſſen,
daß der Gegner, nachdem er
ungehindert über den Strom gekommen war,
in dieſen zurückgeworfen und vernichtet wurde.
In der Nacht ſtellten die Franzoſen die von den
Wogen zerſtörte Brücke wieder her, nahmen in
der Frühe des 22. Mai das verlorene Aſpern
wieder und ſchritten nun in der Stärke von
63.000 Mann ihrerſeits ſo kräftig zum Angriff,
daß Erzherzog Karl an Rückzug dachte und nur auf
das Drängen anderer Generale die tags zuvor nicht
verwandten Grenadierbataillone zur Wieder-
herſtellung des Gleichgewichtes eingreifen ließ.
Tapfer warf er ſich im Augenblicke der Gefahr
ſelbſt in den wogenden Kampf, brach ihn aber,
ohne ihn zum wirklichen Sieg fortzuführen, vor-
zeitig ab, obgleich er noch Truppen zur letzten
Entſcheidung verfügbar hatte, während dem
Gegner die abermalige Zerſtörung der Brücke
jede Ausſicht auf Nachſchub abſchnitt. Es war,
als ob der zum Siegen Auserſehene nicht hätte
ſiegen wollen. Tatſächlich betrachtete
Karl die ganze Schlacht nur als
[Spaltenumbruch] Verteidigungskampf
und ließ ſich ſo die
beſte Gelegenheit entgehen, welche die Umſtände
je einem Gegner Napoleons in die Hände gaben,
einen entſcheidenden Sieg, ja den Vernichtungs-
ſieg zu erringen. Für die bloße Abwehr
waren die Opfer zu koſtbar, 24.000 Mann,
während Napoleon wohl gegen 18.000 Mann
verlor“.

Da alſo Napoleon bei Aſpern nicht vernichtet
worden, hat der Herr königliche Gymnaſialdirektor
wenigſtens den Erzherzog Karl vernichtet. Wie ver-
halten ſich zu ſeiner Darſtellung die Tatſachen?
Berichtigen wir zuerſt die Stärkeverhältniſſe, da
Widmann behauptet, dem Heere Napoleons
ſei auf dem linken Ufer der Donau ein weit
überlegenes Heer gegenüber geſtanden. Die Mitte
Mai bei Wien verſammelte Armee Napoleons
zählte, beſtehend aus kaiſerlichen Garden, dem 6.
Kavalleriekorps und dem 2., 3. und 4. Armee-
korps 105.900 Mann, 14.000 Reiter und 181
Geſchütze, die öſterreichiſche Armee 105.500
Mann, 16,200 Reiter und 447 Geſchütze;
Napoleon hatte am 22. Mai morgens nach
dem erſten Schlachttage 73.430 Mann und
10.230 Reiter mit 126 Geſchützen über die
Donau gebracht, nachdem die Oeſterreicher
80.000 Mann und 15.020 Reiter und 300 Ge-
ſchütze in Aktion gebracht hatten. Die Schlacht
war von Anfang an nicht eine Defenſiv- ſondern
eine Angriffsſchlacht der Oeſterreicher nach dem
Plane Erzherzog Karls, der in ſeiner Angriffs-
diſpoſition ausdrücklich es als die Hauptabſicht
erklärt, „den Feind ganz über die erſten Arme
der Donau zurückzuſchlagen, ſeine Brücken über
ſolche zu zerſtören und das Ufer der Lobau mit
einer zahlreichen Artillerie, beſonders Haubitzen,
zu beſetzen“.

Erzherzog Karl wollte alſo den Gegner auf
[Spaltenumbruch] der Lobau einſperren, nachdem er ihn zuerſt über
den Strom gelaſſen, und ihn dann auf der Inſel
durch ein ſtarkes Artilleriefeuer vernichten.

Mit Erſtaunen hörten die Korpskommandanten
am Morgen des 21. Mai, als ſie ſich um 10 Uhr
in Gerasdorf vor dem Erzherzog verſammelten,
daß aus der von ihnen erwarteten Verteidigungs-
ſchlacht nach der Abſicht des Armeeführers ein
Angriff werden ſollte. Zwei Stunden ſpäter ſetzte
ſich das ganze öſterreichiſche Heer gegen den
Feind, deſſen Uebergang man bis kurz zuvor von
Nußdorf aus erwartet hatte, in Bewegung. Die
geſamte Reſerve Erzherzog Karls, die Grenadier-
regimenter, deren Eingreifen Widmann als ent-
ſcheidend erachtet hätte, betrug 17 Bataillone, alſo
nur 8800 Mann, das Minimum einer Reſerve,
die ſehr begreiflicherweiſe für den zweiten Schlachttag
aufgeſpart wurde. Auch am zweiten Tage, gegenüber
dem dritten Durchbruchsverſuche Napoleons, bleibt
es Befehl des Erzherzog Karl, Aſpern zu nehmen,
„es koſte, was es wolle“. Von einem Zögern
keine Spur, obwohl Napoleon ſchon frohlockt und
den Sieg ſchon in ſeiner Hand wähnt. Um 9 Uhr am
Pfingſtmontag entſchließt Napoleon ſich zum Rückzug,
um 10 Uhr läßt Erzherzog Karl gegen ihn die
Armeereſerve eingreifen, die jedoch unter ſchweres
Feuer, von Eßlingen hervor, gerät und durch den
Sturz ihres Führers FML. d’Aſpre in Verwirrung
kommt, von Erzherzog Karl aber wieder geſammelt
wird, um vorerſt Eßlingen zu nehmen. Mittags
ordnete Napoleon den Rückzug über die Lobau an,
eine Bewegung, die von dem öſterreichiſchen
Heere nur deshalb nicht ausgenützt werden
konnte, weil ſchon ſeit vormittags empfindlicher
Munitionsmangel eingetreten war — es waren
pro Geſchütz 170 Schuß abgegeben worden! —
und ein plötzliches Steigen der Donau und die
Ueberſchwemmung der waldigen Uferauen die Ver-


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[2/0002] Wien, Dienstag Reichspoſt 8. Auguſt 1905 179 zu demolieren oder in Nevy-sur-Seille eine Lieb- frauenſtatue von der Brücke in den Fluß zu werfen. In Paris haben die Freidenker noch ein anderes Vergnügen entdeckt. Für September iſt von ihnen die Enthüllung des Denkmals für den Chevalier de la Barre, einen gänzlich unbekannten Herrn, der vor 150 Jahren die Todesſtrafe wegen Gottesleugnung nach damaligen Geſetzen erlitt, in Ausſicht genommen. Doch was würde man bis dorthin anfangen? Große Plakate luden deshalb in den letzten Tagen alle Mit- bürger ein zur „großen antireligiöſen Manifeſtation“, welche Sonntag den 6. d. M., 2 Uhr nachmittags, auf dem Platz Maubert zu Ehren „Etienne Dolets“ ſtattfindet. Beſagter Herr Dolet wurde im Jahre 1509 zu Orleans geboren und im Jahre 1546 von der Sorbonne und dem Pariſer Parlament wegen häretiſcher Schriften, in welchen er den Atheismus und Materialismus verteidigte, zum Tode verurteilt. In Vollſtreckung des Urteiles wurde er am 5. Auguſt aufgehängt und ſein Leichnam verbrannt. Für dieſes Verdienſt errichtete ihm die Gemeinde Paris auf dem Platz Maubert 1889 ein Monument, und die Freidenker, verbunden mit den Sozialiſten, führen nun um dasſelbe ihre Tänze auf. Köſtlich iſt es, daß der Aufruf zur Feier mit den Worten ſchließt: Vive la séparation des églises de l’état! „Es lebe die Trennung der Kirchen vom Staate!“ Sollte das vielleicht eine Aenderung des Programmes be- deuten? Denn bis jetzt richtete ſich der Kampf einzig und allein gegen eine Kirche, gegen die katholiſche, während man die proteſtantiſche ruhig Proſelyten machen ließ und die Juden offen begünſtigte. Wie wäre es ſonſt möglich, daß in einer kommunalen Schule täglich die Rabbiner aus- und eingehen? Im vierten Arrondiſſement, rue des Hospitalières, St. Gervais, befindet ſich eine Schule, deren Lehr- kräfte und Schüler faſt durchwegs Juden ſind. Das iſt erlaubt. Unerlaubt iſt, daß regelmäßig die Rabbiner dieſe Schule aufſuchen und die Schüler ermahnen, dem Gottesdienſt in der Synagoge beizuwohnen. Welches Geſchrei würden ſämtliche Blätter des Block erheben, wenn ein katholiſcher Prieſter dergleichen wagte! Die Regierung hat ſich inzwiſchen bei be- ſtimmten Anläſſen eine ſchöne Symmetrie zurecht- gelegt: Am 14. Juli, am Tage des Nationalfeſtes, pflegt jährlich ein ausgiebiger Ordensregen die Männer der Republik zu beglücken. Wie man erſt jetzt der offiziellen Liſte entnehmen kann, wurden zu Rittern der Ehrenlegion ernannt: ein Pfarrer, ein Paſtor — und ein Rabbiner. Abgeſehen davon, daß die Proportionalität etwas wackelt, da Frankreich mehr als 35 Millionen Katholiken und eine ver- ſchwindend kleine Zahl von Proteſtanten und Juden zählt, wäre noch die Frage zu erwägen, ob ein katholiſcher Pfarrer vom gegenwärtigen Regime überhaupt eine Dekoration annehmen darf. Jeden- falls wäre es ehrenhafter dieſe Gnade zurückzu- weiſen. Jedoch der Klerus iſt leider nicht immer tadel- los. So veröffentlicht die „Libre parole“ kürzlich eine Reihe von Zuſchriften verſchiedener Landpfarrer, in welchen, ſtatt daß ſie in Hinblick auf die gegen- wärtige Lage die Katholiken zu mutiger Verteidigung und Einigung aufforderten, nichts als troſtloſe ver- zweifelte Klagen zu hören waren: „Wenn kein Wunder geſchieht,“ ſchreibt einer, „ſo iſt die Religion in Frankreich fertig.“ Ein anderer geht noch weiter: „Eine Reaktion iſt unmöglich! Bevor ein Vierteljahrhundert ver- gangen iſt, wird die Kirche in Frankreich vorbei ſein, vernichtet von einem ſklaviſchen Klerus, der ſich nur um ſeinen Vorteil kümmert!“ Derartige Verzagtheit im Klerus entmutigt die Katholiken, die gerade jetzt eifrig arbeiten und — leider — vielfach bei den Berufenen nicht die nötige Unterſtützung finden. Doch um bei den Ordensverleihungen zu bleiben: Es wurde auch der frühere Generalgouverneur von Algier, Revoil, zum Kommandeur der Ehrenlegion ernannt auf Grund eines nun ſchon zweieinhalb Jahre alten Dekretes vom 2. März 1903. Monſieur Combes hatte ſich nämlich geweigert, dieſe Ernennung zu be- ſtätigen, weil Herr Revoil der Neffe des Redakteurs Baragnon iſt, der zuerſt die famoſe Kartäuſer- Millionenaffäre des Herrn Combes vor der Oeffent- lichkeit zur Sprache brachte. Einem Offizier, Vater von acht Kindern, der das Kreuz der Ehrenlegion vor drei Jahren hätte erhalten ſollen, wurde es erſt heuer verliehen, weil er — in die Kirche ging und deshalb von den Freimaurern denunziert worden war. Trotzdem können die heftigſten Kirchenfeinde mitunter die Kirche nicht ganz entbehren. Einer von dieſer Sorte, der Quäſtor des Senats Bonnefoy Sibour, hat für ſeine Tochter ausdrücklich die kirchliche Trauung gewünſcht und ſogar horribile dictu! — derſelben beigewohnt. Wenn ihn nur nicht der hohe Rat des Freimaurerordens in Acht und Bann erklärt? Ein Gleiches könnte übrigens dem König von Spanien paſſieren. Denn daß er im Automobil fährt, iſt ja ganz recht, daß er über die Grenze nach Frankreich kommt, iſt noch netter, daß er nach Lourdes kam, das iſt ſchon ein bischen heikler, daß er dort einer Meſſe beiwohnte, iſt ent- ſchieden „klerikal“ (an einem Wochentage auch noch!), daß er von der Menge ſtürmiſch akklamiert und vom Biſchof begrüßt wurde, läßt auf ein royaliſtiſch- klerikales Komplott ſchließen, daß er aber gar eine Flaſche Waſſer von der Lourdes-Quelle mitnahm, das iſt einfach unerhört! Es war ein Glück für ihn, daß er noch am ſelben Tage nach Spanien zurück- kehrte. Politiſche Kundſchau. Oeſterreich-Ungarn. Wien, 7. Auguſt. Zwei bemerkeuswerte Beſuche in Iſchl. Miniſterpräſident Dr. Baron Gautſch und der Chef des Generalſtabs Baron Beck ſind im Verlaufe des geſtrigen Nachmittags in Iſchl eingetroffen. — Aus Iſchl, 7. Auguſt, wird tele- graphiert: Miniſterpräſident Dr. Freiherr v. Gautſch, welcher in Begleitung des Miniſterialkonzipiſten Grafen Attems hier eingetroffen iſt, wurde um 11 Uhr vormittags von Sr. Majeſtät in Audienz empfangen und wird nachmittags am Allerhöchſten Familiendiner teilnehmen. Minenleger Dr. Stransky. Der jüdiſche Jungtſchechenführer in Mähren, Abgeordneter Dr. Stransky, benützt die Erledigung der ſchleſiſchen Parallelklaſſenfrage, mit der ſich die übrigen tſchechiſchen Politiker zufriedengeben — ſie haben alle Urſache dazu — zu einem heftigen Ausfall auf die dermalige Taktik des Jung- tſchechenklubs. Dr. Stransky erklärt in ſeiner „Lidove Noviny“, daß Abg. Hruby nicht bevoll- mächtigt war, namens der Tſchechen dem Baron Gautſch irgend eine Erklärung abzugeben. Dem Baron Gautſch werde ein ſolches Vergnügen nicht mehr zuteil werden, weil ihm nicht mehr werde Gelegenheit geboten werden, die tſchechiſchen Ab- geordneten „anzuſchmieren“. Schon heute könne erklärt werden, daß der Tſchechenklub noch heuer geſprengt werde, da ein Teil der Abgeord- neten der mähriſchen Wahlbezirke, von den Reizen des Barons Gautſch nicht geblendet, ſeine eigenen Wege gehen werde. — Man ſieht, Abg. Dr. Stransky arbeitet mit Händen und Füßen, um aus der Kaltſtellung, in die er geraten iſt, wieder herauszukommen. Ob ihm die mähriſchen Jungtſchechen auf dem Wege der Scharfmacherei folgen werden? Was ſoll man ſich übrigens über den plötzlichen radikalen Anfall Dr. Stranskys denken, wenn in Prag, wie eine Prager Depeſche beſagt, das Gerücht verbreitet iſt, daß Doktor Stransky ſein Organ, das Brünner Blatt „Lidove Noviny“, verkaufen wolle und zum Leiter des neuen jungtſchechiſchen großen Tag- blattes berufen werden ſoll! Die Finanzierung des neuen Blattes ſoll von der »Zivnostenska banka« durchgeführt werden. Will man Doktor Stransky ſaturieren, damit er endlich ſeinen Mund hält, oder ſchreit Dr. Stransky ſo laut, Napoleon am 21. Mai unterhalb Wiens den breiten Strom überſchritt, ohne die Nähe des ihm weit überlegenen feindlichen Heeres zu ahnen, und die nördlich der Inſel Lobau liegenden Dörfer Aſpern und Eßling beſetzte. Erſt am Nachmittag begann Karl mit dem Angriff auf die Dörſer, welche die Franzoſen unter Maſſena und Lanne mit ungeheurer Zähigkeit verteidigten, während die tapferen Oeſterreicher Sturm auf Sturm unternahmen ... Der Ober- befehlshaber ſetzte das in Reſerve ſtehende Grenadierkorps nicht ein. So erreichte er nicht, was er mit ſeiner Uebermacht, 87.000 Mann und 258 Geſchütze gegen etwa 32.000 Mann und 48 Geſchütze bei größerer Planmäßigkeit und Kraft der Leitung unbedingt hätte er- reichen müſſen, daß der Gegner, nachdem er ungehindert über den Strom gekommen war, in dieſen zurückgeworfen und vernichtet wurde. In der Nacht ſtellten die Franzoſen die von den Wogen zerſtörte Brücke wieder her, nahmen in der Frühe des 22. Mai das verlorene Aſpern wieder und ſchritten nun in der Stärke von 63.000 Mann ihrerſeits ſo kräftig zum Angriff, daß Erzherzog Karl an Rückzug dachte und nur auf das Drängen anderer Generale die tags zuvor nicht verwandten Grenadierbataillone zur Wieder- herſtellung des Gleichgewichtes eingreifen ließ. Tapfer warf er ſich im Augenblicke der Gefahr ſelbſt in den wogenden Kampf, brach ihn aber, ohne ihn zum wirklichen Sieg fortzuführen, vor- zeitig ab, obgleich er noch Truppen zur letzten Entſcheidung verfügbar hatte, während dem Gegner die abermalige Zerſtörung der Brücke jede Ausſicht auf Nachſchub abſchnitt. Es war, als ob der zum Siegen Auserſehene nicht hätte ſiegen wollen. Tatſächlich betrachtete Karl die ganze Schlacht nur als Verteidigungskampf und ließ ſich ſo die beſte Gelegenheit entgehen, welche die Umſtände je einem Gegner Napoleons in die Hände gaben, einen entſcheidenden Sieg, ja den Vernichtungs- ſieg zu erringen. Für die bloße Abwehr waren die Opfer zu koſtbar, 24.000 Mann, während Napoleon wohl gegen 18.000 Mann verlor“. Da alſo Napoleon bei Aſpern nicht vernichtet worden, hat der Herr königliche Gymnaſialdirektor wenigſtens den Erzherzog Karl vernichtet. Wie ver- halten ſich zu ſeiner Darſtellung die Tatſachen? Berichtigen wir zuerſt die Stärkeverhältniſſe, da Widmann behauptet, dem Heere Napoleons ſei auf dem linken Ufer der Donau ein weit überlegenes Heer gegenüber geſtanden. Die Mitte Mai bei Wien verſammelte Armee Napoleons zählte, beſtehend aus kaiſerlichen Garden, dem 6. Kavalleriekorps und dem 2., 3. und 4. Armee- korps 105.900 Mann, 14.000 Reiter und 181 Geſchütze, die öſterreichiſche Armee 105.500 Mann, 16,200 Reiter und 447 Geſchütze; Napoleon hatte am 22. Mai morgens nach dem erſten Schlachttage 73.430 Mann und 10.230 Reiter mit 126 Geſchützen über die Donau gebracht, nachdem die Oeſterreicher 80.000 Mann und 15.020 Reiter und 300 Ge- ſchütze in Aktion gebracht hatten. Die Schlacht war von Anfang an nicht eine Defenſiv- ſondern eine Angriffsſchlacht der Oeſterreicher nach dem Plane Erzherzog Karls, der in ſeiner Angriffs- diſpoſition ausdrücklich es als die Hauptabſicht erklärt, „den Feind ganz über die erſten Arme der Donau zurückzuſchlagen, ſeine Brücken über ſolche zu zerſtören und das Ufer der Lobau mit einer zahlreichen Artillerie, beſonders Haubitzen, zu beſetzen“. Erzherzog Karl wollte alſo den Gegner auf der Lobau einſperren, nachdem er ihn zuerſt über den Strom gelaſſen, und ihn dann auf der Inſel durch ein ſtarkes Artilleriefeuer vernichten. Mit Erſtaunen hörten die Korpskommandanten am Morgen des 21. Mai, als ſie ſich um 10 Uhr in Gerasdorf vor dem Erzherzog verſammelten, daß aus der von ihnen erwarteten Verteidigungs- ſchlacht nach der Abſicht des Armeeführers ein Angriff werden ſollte. Zwei Stunden ſpäter ſetzte ſich das ganze öſterreichiſche Heer gegen den Feind, deſſen Uebergang man bis kurz zuvor von Nußdorf aus erwartet hatte, in Bewegung. Die geſamte Reſerve Erzherzog Karls, die Grenadier- regimenter, deren Eingreifen Widmann als ent- ſcheidend erachtet hätte, betrug 17 Bataillone, alſo nur 8800 Mann, das Minimum einer Reſerve, die ſehr begreiflicherweiſe für den zweiten Schlachttag aufgeſpart wurde. Auch am zweiten Tage, gegenüber dem dritten Durchbruchsverſuche Napoleons, bleibt es Befehl des Erzherzog Karl, Aſpern zu nehmen, „es koſte, was es wolle“. Von einem Zögern keine Spur, obwohl Napoleon ſchon frohlockt und den Sieg ſchon in ſeiner Hand wähnt. Um 9 Uhr am Pfingſtmontag entſchließt Napoleon ſich zum Rückzug, um 10 Uhr läßt Erzherzog Karl gegen ihn die Armeereſerve eingreifen, die jedoch unter ſchweres Feuer, von Eßlingen hervor, gerät und durch den Sturz ihres Führers FML. d’Aſpre in Verwirrung kommt, von Erzherzog Karl aber wieder geſammelt wird, um vorerſt Eßlingen zu nehmen. Mittags ordnete Napoleon den Rückzug über die Lobau an, eine Bewegung, die von dem öſterreichiſchen Heere nur deshalb nicht ausgenützt werden konnte, weil ſchon ſeit vormittags empfindlicher Munitionsmangel eingetreten war — es waren pro Geſchütz 170 Schuß abgegeben worden! — und ein plötzliches Steigen der Donau und die Ueberſchwemmung der waldigen Uferauen die Ver-

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Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 179, Wien, 08.08.1905, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost179_1905/2>, abgerufen am 21.11.2024.