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Reichspost. Nr. 143, Wien, 26.06.1900.

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143 Wien, Dienstag Reichspost 26. Juni 1900

[Spaltenumbruch]
-- Die Philharmonischen Concerte in
Paris

ergaben ein Deficit von 20.000 Francs,
welches von Baron Albert Rothschild gedeckt wurde.
Und doch wurde stets über massenhafte Besuche dieser
Concerte berichtet!

-- Das wissenschaftliche Programm der Urania.

Donnerstag, den 21. d. M., fand im Urania-Theater in
der Wollzeile unter dem Vorsitze des Directors der Stern-
warte Dr. E. Weiß eine gut besuchte Versammlung des
wissenschaftlichen Ausschusses der Urania statt. Der wissen-
schaftliche Leiter Professor Dr. Friedrich Umlauft er-
örterte in längerer Rede das wissenschaftliche Programm
der Urania und betonte insbesondere, daß von nun ab an-
gesichts der consolidirten Verhältnisse des Institutes eine
entsprechende Honorirung der Vortragenden eintreten werde.
Nach einer längeren Debatte wurden die Herren Dr. Adolf
E. Forster, Dr. Carl Kostersitz, Dr. Anton Lampa, Doctor
Josef Szombathy und Dr. Alexander Zahlbruckner in ein
engeres Comite gewählt, welches speciell die Vorträge in
der Urania zu organisiren haben wird. Schließlich hatte
in Folge einer gestellten Anfrage der Präsident der Urania
Dr. Ludwig Koeßler Gelegenheit, die erfreulich ge-
besserten Verhältnisse der Urania zu constatiren, welche es
derselben gestatten, nunmehr an die Verwirklichung ihres
populär-wissenschaftlichen Programmes zu gehen.




Aus dem Gerichtssaale.
Proceß Hülsner -- verschoben.

Wie aus
Pisek gemeldet wird, wurde der Proceß gegen den
wegen des Polnaer Mädchenmor des an-
geklagten Juden Leopold Hülsner bis zum
Herbste verschoben, und zwar wegen der
Unmöglichkeit, das riesige Material zu bewältigen.

Nicht einmal in einem öffentlichen Amt
ist ein Mädchen vor Wüstlingen sicher.

Während
eines starken Parteienandranges im Postamte, 7. Bez.,
Lindengasse, bemerkte der amtirende Beamte, wie sich
ein Mann an der rückwärts angebrachten Rocktasche
eines jungen Mädchens zu schaffen machte. Der Beamte
hielt den Menschen für einen Taschendieb und wollte
ihn eben festnehmen lassen, als das Mädchen in Weinen
ausbrach und sich beschwerte, daß man nicht einmal in
einem öffentlichen Amte vor -- Zudringlichkeiten sicher
sei. Wegen dieses Unsittlichkeitsdelictes wurde der
Angehaltene -- es war dies der Geschästsdiener Alois
Hartmann -- vom Bezirksgerichte Neubau (Ger.-
Secr. Dr. Kleibl) zu fünf Tagen strengen Arrests
verurtheilt.

Einen Urlaub erschwindeln

wollte sich der in
Stanislau garnisonirende Officiersdiener Picha auf
folgende, allerdings nicht mehr originelle Weise, indem
er sich von seiner Mutter, der Franciska Pich in
Wien telegraphiren ließ: "Komme sofort nach Hause,
Mutter sterbenskrank." Das Regimentscommando er-
kundigte sich jedoch bei der Wiener Polizei, oa dieses
Telegramm auf Wahrheit beruhe und ein in die
Wohnung der Picha gesendeter Detective fand die
"sterberbenskranke" Frau gar nicht zu Hause. Mit
welcher Strafe der erfinderische Officiesdiener seine
Pfiffigkeit büßen mußte, darüber schweigt die Geschichte.
Seine Mutter wurde jedoch wegen Irreführung der
Behörde in Strafuntersuchung gezogen und bezirksge-
richtlich zu 48 Stunden Arrest verurtheilt. Sie ergriff
[Spaltenumbruch] dagegen die Berufung und über diese sand die Verhandlung
vor dem Appellsenate statt, dem Landesgerichtsrath
Dr. Ritter v Neubauer präsidirte. Der Ver-
theidiger machte geltend, daß ein Regimentscommando
keine Behörde im Sinne der betreffenden Gesetzesstelle
sei, und bestritt die Absicht einer Irreführung, indem
er ein ärztliches Zeugniß producirte, nach welchem die
Berufungswerberin herzleidend sei, sich also beständig
in der Möglichkeit des Ablebens befinde. Zudem sei
eine Irreführung gar nicht erfolgt und bei jenem Vor-
gehen des Regimentscommandos auch nicht möglich ge-
wesen. Die Berufungswerberin wurde freige-
sprochen.




Volkswirthschaftlicher Theil.
Für die Tauernbahn,

welche den Norden und
Nordwesten Oesterreichs bequemer mit dem Triester
Hafen verbinden soll, ist die Begehung der Trace für
die Linie Schwarzach, St. Veit, Gastein, Möllbrücken etc.
soeben vollzogen worden. Ueber den Verlauf der Action
wird näher mitgetheilt: Für den salzburgischen Theil
der Bahn trat die Commission in der Staatsbahn-
station Schwarzach--St. Veit zusammen und fand die
volle Zustimmung der Gemeinden Schwarzach und
St. Veit. Dann begaben sie sich nach Lend, wo diese
Gemeinde das Ansuchen um Einschaltung einer Per-
sonen-Haltestelle "Klammstein" stellte. Ein Wunsch der
Gemeinde Dorf-Gastein wegen Verlegung der Projects-
station Mairhofen nach Dorf-Gastein und nach Be-
zeichnung mit diesem Namen dürfte befürwortet werden.
In Hof-Gastein wurde die Commission um Ausge-
staltung dieser Haltestelle zu einer Station unter Wegfall der
in Aussicht genommenen Projectstation Hof-Gastein
nächst Laderding gebeten. Diese Bitte konnte keine Ge-
währ finden, da betriebstechnische Gründe dagegen
sprechen. Um aber den Wünschen der Gemeinde thun-
lichst entgegenzukommen, dürfte die Personen-Haltestelle
für die gleichzeitige Abfertigung von Reisegepäck be-
stimmt werden. Für die weitere Strecke Bad-Gastein-
Böckstein dürfte dem Wunsche der Gemeinde Bad-Gastein
nach Verschiebung der Projectstation thalabwärts zum
Steinbruch oberhalb der protestantischen Kirche ent-
sprochen werden, falls Detailstudien entsprechen-
de Resultate liefern. Dagegen konnte die Ein-
schaltung einer Personen-Haltestelle Böckstein
nicht befürwortet werden. Darauf folgte in Bad-Gastein
die Schließung des Salzburger Verhandlungs-Proto-
kolls. Im Anschluß daran trat die Commission für
den Kärntner Theil der Bahn in der Südbahnstation
Sachsenburg zusammen, welche nach Durchführung
ihrer Arbeit das Protokoll in Klagenfurt schloß. Das
Ergebniß der Tracenrevision für die Tauern-Bahn
wird als anstandloses und befriedigendes bezeichnet.
Ueberall wurde der lebhafte Wunsch ausgesprochen,
daß die Regierung dieses wichtige Project im Zusammen-
hang mit den übrigen Linien zur That werden lasse.
-- Zu dieser Tracen-Revision bemerkt ein Wiener Blatt,
es wäre da Alles in schönster Ordnung bis auf die --
verfassungsmäßige Zustimmung des
Reichsrathes zum Bahnbauen. Die
[Spaltenumbruch] Lahmlegung aller wirthschaftlichen Investitionen durch
die Arbeitsfähigkeit des Parlaments habe in der Be-
völkerung Apathie erzeugt, die bedenklicher sei als
Leidenschaftsausbrüche. Wer hat aber diese jämmer-
lichen Zustände -- ursprünglichst entschuldigt
und erhält sie durch Schwäche oder Zweizüngigkeit
oder Achselträgerei weiter? Oesterreich macht unter
solchen Umständen nicht nur "Riesenrückschritte", sondern
treibt durch ewiges conniventes "Fortwursteln" der
Anarchie und dem Zerfall zu.

Ungarische Massen-Auswanderung.

Wo
die arbeitenden Schichten massig zum Wanderstab
greifen, da treibt sie Erwerbsnoth und Hunger dazu.
Die Iren, die Polen, die Czechen, die Magyaren geben,
wenn den Ursachen ihres relativ starken Wanderns in
die Fremde nachgeforscht wird, Zeugniß dafür.
Bezüglich Ungarns und seiner polyglotten Bewohner-
schaft meldet Deutschlands Auswanderer-Statistik, daß
im Laufe des Jahres 1899 32.800 Ungarn ihr Vater-
land verließen und sich in Bremen und Hamburg nach
überseeischen Gebieten eingeschifft haben. Vom 1889 bis
Ende 1899, also im Verlaufe von 11 Jahren, haben
nach ungarischen und reichsdeutschen Angaben 274.663
ungarische Staatsangehörige der Heimat den Rücken
gekehrt, was einen jährlichen Durchschnitt von 24.969
Auswanderern, also rund 1·35 per Mille der Gesammt-
bevölkerung der Länder der ungarischen Krone ergibt,
ein unerhört hoher Bruchtheil, besonders wenn man
berücksichtigt, daß Ungarn sich noch im Stadium der
landwirthschaftlichen Kraftentwicklung befindet und erst
seit wenigen Jahren bestrebt ist, sich in einen Industrie-
staat umzuwandeln.

Unsere Handelsbilanz.

Das statistische De-
partement des k. k. Handelsministeriums schließt die
Handelsbilanz im Mai mit einem Activum von
14·3 Millionen Kronen (gegen 12·7 Millionen Kronen
im Vorjahr). Während der ersten Monate ist ein
Activum von 36·4 Millionen Kronen ausgewiesen. Da
sich für die gleiche Zeitperiode des Vorjahres ein
Activum von 36·4 Millionen Kronen ergab, ist mithin
der Stand gegenwärtig um 23·6 Millionen Kronen
ungünstiger. Der Import an Kohle und Cokes zeigt
in Folge der Rückwirkung des Streikes noch eine
Steigerung um 12·5 Millionen Kronen, der Export
eine Verminderung um 9·2 Millionen Kronen.

Die allgemeine Versicherungs-Gesellschaft
"Providentia"

in Wien berichtet, daß in der letzten
Generalversammlung die Vertheilung einer 6percentigen
Dividende beschlossen und mehrere Statutenänderungen
formaler Natur vorgenommen wurden.

Vom k. k. Oesterreichischen Handels-
museum

wird mitgetheilt: "Firmen, welche mit
Lissabon in Verbindung stehen, erhalten im k. k.
Oesterreichischen Handelsmuseum, 9. Bez., Berggasse 16,
gegen Legitimation eine vertrauliche Mittheilung."

Insolvenznachrichten.

Der Creditorenverein meldet
folgende Insolvenzen: Anton Fleischer, Kaufmann in Wien,
8. Bez., Josefstädterstraße 7; Davidovits testverek, Handels-
firma in Nagybanya; Heinrich Kerndl, Fahrradhändler in
Mährisch-Ostrau. -- Das Oesterreichische Handelsmuseum
gibt folgende Fallimente bekannt: Sofia: Spiro Athanassow;
Konstantinopel: Hadji Mir Abdul Wahab; Nisch: Mirko
Mirkovic; Galatz: J. H. Goldstein.




[Spaltenumbruch]
Der Mutter Wille.

11 (Nachdruck verboten.)

"Du bist ein vollständig verpfuschter Mensch!"
grollte dann ungefähr die Mutter; "ich und der
Vater werdens noch erleben, daß Du gänzlich ver-
kommst. Schämen solltest Du Dich, Dein schönes
Geschick zur Arbeit und zur Kunst, was der Herrgott
Dir verliehen, so zu verlottern. Und die Strafe wird
Dir noch kommen dafür, daß Du Leib und Seele an
ein so unwürdiges Geschöpf hängst und dasselbe mehr
im Herzen trägst als die Mutter, die nur Dein
Bestes will. Und eine ausgemachte Sache ist es, daß
die Registratorsdirne nichts taugt und keines braven
Mannes werth ist. Hat sie sich nicht in Hamburg
dem Medicinpfuscher, der sich hier keine Existenz
gründen konnte, an den Hals geworfen? Sprechen
Leute, die aus Hamburg kommen und sie kennen, wohl
das geringste Gute von ihr? Und so ein Geschöpf
liebst Du noch, vernachlässigst darum Dein schönes
Handwerk und Dein Talent, mit dem Du wuchern
solltest nach des Herrn Willen zum Nutzen Deiner
Mitmenschen? Pfui, schämen muß ich mich vor allen
Leuten, die uns kennen, und vor der ganzen ehrbaren
Familie ob der Schande, die Du uns machst! Und
kurz und gut, wenn Du auf Deinem dummen und
eigensinnigen Kopf stehen bleibst, so erhältst Du keinen
Pfennig Muttertheil, und ich werde auch den Vater
zu bestimmen wissen, daß Du gänzlich von der Erb-
schaft ausgeschlossen wirst!"

Natürlich waren derartige mütterliche Herzens-
ergießungen nichts weniger als geeignet, das verwundete
Gemüth des jungen Mannes wieder aufzurichten. Im
Gegentheil wurde er dadurch nur mehr in seine düstere.
menschenfeindliche Stimmung hineingedrängt, die ihn
mehr und mehr dem Umgange mit Altersgenossen und
seinen Geschwistern entfremdete. Er wurde mit jedem
Tage zurückhaltender und verdrossener, und das ge-
spannte Verhältniß zwischen ihm und der Mutter stellte
sich immer schroffer heraus. -- Die letztere hatte bald
kein freundliches Wort, keinen Blick mehr für ihn.
Sie sprach in seiner Gegenwart von nichts anderem,
[Spaltenumbruch] als dem ungerathenen Sohne, welcher der Strafe für
seinen Ungehorsam und seine Charakterschlechtigkeit nicht
entgehen werde.

"Das halt ich nicht mehr aus, Vater!" sagte
Franz eines Abends, nachdem die Mutter wieder in
ähnlicher Weise ihren Unmuth Luft gemacht hatte;
"ich sehe wohl ein, daß ich der Mutter ein Dorn im
Auge bin. Es gibt nichts Schrecklicheres, als sich von
denjenigen gehaßt zu sehen, die mau nach dem Gebote
Gottes lieben und ehren soll; ich muß aus dem Hause
Vater!"

Der Müller nickte still vor sich hin. "So wills
die Mutter haben, Franz! Ich habs Dir lange sagen
wollen, mein Junge, daß das am besten ist. Die
Helene Kemnitz heirathest Du nicht, also wird an eine
Einigung auf dieser Welt nicht mehr zu denken sein.
-- Geh' also mit Gott, Franz, und find Dich in das,
was nicht mehr zu ändern ist. Zweihundert Thaler
kann ich Dir geben, ohne daß es auffällt. Damit
kannst Du etwas anfangen und wenn's schon nicht
viel ist, doch Dein eigener Herr werden.

Mit zweihundert Thalern werde ich Meister und
richte mir auch eine kleine Werkstatt ein. So viel,
wie ich brauche, verdiene ich immer!"

Damit war die Sache abgemacht. Der junge
Handwerker verließ bereits am folgenden Tage die
elterliche Wohnung und miethete sich in der Vorstadt
der Residenz eine kleine Werkstätte mit daranstoßendem
Stübchen. Das Meisterstück, ein elegantes Näh-
tischchen aus Rosenholz mit überaus kunstvollen Ver-
zierungen, hatte er bereits in glücklicheren Tagen be-
gonnen. Es sollte dereinst das Stübchen der ge-
liebten Gattin zieren. Jetzt hatte die Vollendung
zu den Zweck, ihm eine ruhige Selbstständigkeit, eine
friedliche, sichere Existenz zu sichern. Er arbeitete mit
Ausdauer und Sorgfalt Tag und Nacht, und wenn
ihn auch kein Gedanke an eine frohe glückliche Zukunft
begeisterte und seine Phantasie zu neuen originellen
Schöpfungen befähigte, so wurde das Werk doch von
der Prüfungs-Commission als ein Kunstwerk von
hohem Werke taxirt und der Meisterbrief dem ge-
schickten Gesellen unbedenklich ausgefertigt.

Die geschäftigen Klatschzungen, mit denen Frau
Kraft eine sorgfältige Verbindung unterhielt, er-
mittelten bald den neuen Aufenthalt und die sonstigen
[Spaltenumbruch] Veränderungen in den äußeren Verhältnissen des
Müllersohnes und verfehlten nicht, sich bei Frau
Kraft einzustellen und gegen die übliche Tasse Mokka
ausführlichen Bericht zu erstatten. Frau Kraft
schöpfte neue Hoffnung. "Ein geschickter Junge ist
er, das muß man ihm schon lassen!" sagte sie,
"ohne einen Pfennig Geld Meister und selbständig
geworden -- das ist immerhin etwas. Ich glaube
doch, Vater, der Franz wird noch vernünftig. Meinst
Du nicht auch?"

Vater Kraft zuckte still die Schultern und hielt es,
um weiteren Erörterungen auszuweichen, für das Beste,
sich auf sein Müllerstübchen zurückzuziehen und daselbst
für des Sohnes Wohlfahrt ein stilles Vaterunser
zu beten.

Im Uebrigen ging die Hoffnung der guten Frau
nicht in Erfüllung. Franz hatte zwar mit Ehren die
Meisterprüfung bestanden und hantirte in seiner kleinen
Werkstatt wacker und unverdrossen, aber dabei blieb es
auch. Niemand durfte ihm ein Wort vom Heirathen
sprechen oder auch nur eine Anspielung auf eine "Frau
Meisterin" machen. Den Vater in der Mühle besuchte
er zuweilen; in die elterliche Wohnung kam er nicht
mehr und Frau Kraft mußte wohl oder übel die
Ueberzeugung gewinnen, daß sie wiederum eines ihrer
Kinder verloren habe.

Der Sommer war dahin. Ueber die Stoppel-
felder brauste ein kalter Nordwind. Die gelben
und rothen Blätter lösten sich von den Bäumen
und sanken auf den welken Rasen. Wenn der
Herbststurm seine wilden Weisen aufspielte, mußten
sie pfeilschnell, wild, ohne Ruhe und Rast über
Gräben, Wiesen, Gärten, Zäune und Hecken hin-
wegtanzen und die alten Bäume schütteln trübe
und melancholisch die kahlen Kronen darüber, daß man
ihre Kinder nicht zur Ruhe kommen ließ. Spärlicher
begegnete man den eleganten Spaziergängern
auf den Promenaden der Stadt. Jaconnet und Barege,
Blouse, Mantille und Sommerhütchen waren verbannt
und wollene Stoffe, Tuch- oder Sammtmäntelchen, bei
den Herren warme Ueberzieher an die Stelle der
leichten Kleider getreten.

(Fortsetzung folgt.)


143 Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. Juni 1900

[Spaltenumbruch]
— Die Philharmoniſchen Concerte in
Paris

ergaben ein Deficit von 20.000 Francs,
welches von Baron Albert Rothſchild gedeckt wurde.
Und doch wurde ſtets über maſſenhafte Beſuche dieſer
Concerte berichtet!

— Das wiſſenſchaftliche Programm der Urania.

Donnerſtag, den 21. d. M., fand im Urania-Theater in
der Wollzeile unter dem Vorſitze des Directors der Stern-
warte Dr. E. Weiß eine gut beſuchte Verſammlung des
wiſſenſchaftlichen Ausſchuſſes der Urania ſtatt. Der wiſſen-
ſchaftliche Leiter Profeſſor Dr. Friedrich Umlauft er-
örterte in längerer Rede das wiſſenſchaftliche Programm
der Urania und betonte insbeſondere, daß von nun ab an-
geſichts der conſolidirten Verhältniſſe des Inſtitutes eine
entſprechende Honorirung der Vortragenden eintreten werde.
Nach einer längeren Debatte wurden die Herren Dr. Adolf
E. Forſter, Dr. Carl Koſterſitz, Dr. Anton Lampa, Doctor
Joſef Szombathy und Dr. Alexander Zahlbruckner in ein
engeres Comité gewählt, welches ſpeciell die Vorträge in
der Urania zu organiſiren haben wird. Schließlich hatte
in Folge einer geſtellten Anfrage der Präſident der Urania
Dr. Ludwig Koeßler Gelegenheit, die erfreulich ge-
beſſerten Verhältniſſe der Urania zu conſtatiren, welche es
derſelben geſtatten, nunmehr an die Verwirklichung ihres
populär-wiſſenſchaftlichen Programmes zu gehen.




Aus dem Gerichtsſaale.
Proceß Hülsner — verſchoben.

Wie aus
Piſek gemeldet wird, wurde der Proceß gegen den
wegen des Polnaer Mädchenmor des an-
geklagten Juden Leopold Hülsner bis zum
Herbſte verſchoben, und zwar wegen der
Unmöglichkeit, das rieſige Material zu bewältigen.

Nicht einmal in einem öffentlichen Amt
iſt ein Mädchen vor Wüſtlingen ſicher.

Während
eines ſtarken Parteienandranges im Poſtamte, 7. Bez.,
Lindengaſſe, bemerkte der amtirende Beamte, wie ſich
ein Mann an der rückwärts angebrachten Rocktaſche
eines jungen Mädchens zu ſchaffen machte. Der Beamte
hielt den Menſchen für einen Taſchendieb und wollte
ihn eben feſtnehmen laſſen, als das Mädchen in Weinen
ausbrach und ſich beſchwerte, daß man nicht einmal in
einem öffentlichen Amte vor — Zudringlichkeiten ſicher
ſei. Wegen dieſes Unſittlichkeitsdelictes wurde der
Angehaltene — es war dies der Geſchäſtsdiener Alois
Hartmann — vom Bezirksgerichte Neubau (Ger.-
Secr. Dr. Kleibl) zu fünf Tagen ſtrengen Arreſts
verurtheilt.

Einen Urlaub erſchwindeln

wollte ſich der in
Stanislau garniſonirende Officiersdiener Picha auf
folgende, allerdings nicht mehr originelle Weiſe, indem
er ſich von ſeiner Mutter, der Franciska Pich in
Wien telegraphiren ließ: „Komme ſofort nach Hauſe,
Mutter ſterbenskrank.“ Das Regimentscommando er-
kundigte ſich jedoch bei der Wiener Polizei, oa dieſes
Telegramm auf Wahrheit beruhe und ein in die
Wohnung der Picha geſendeter Detective fand die
„ſterberbenskranke“ Frau gar nicht zu Hauſe. Mit
welcher Strafe der erfinderiſche Officiesdiener ſeine
Pfiffigkeit büßen mußte, darüber ſchweigt die Geſchichte.
Seine Mutter wurde jedoch wegen Irreführung der
Behörde in Strafunterſuchung gezogen und bezirksge-
richtlich zu 48 Stunden Arreſt verurtheilt. Sie ergriff
[Spaltenumbruch] dagegen die Berufung und über dieſe ſand die Verhandlung
vor dem Appellſenate ſtatt, dem Landesgerichtsrath
Dr. Ritter v Neubauer präſidirte. Der Ver-
theidiger machte geltend, daß ein Regimentscommando
keine Behörde im Sinne der betreffenden Geſetzesſtelle
ſei, und beſtritt die Abſicht einer Irreführung, indem
er ein ärztliches Zeugniß producirte, nach welchem die
Berufungswerberin herzleidend ſei, ſich alſo beſtändig
in der Möglichkeit des Ablebens befinde. Zudem ſei
eine Irreführung gar nicht erfolgt und bei jenem Vor-
gehen des Regimentscommandos auch nicht möglich ge-
weſen. Die Berufungswerberin wurde freige-
ſprochen.




Volkswirthſchaftlicher Theil.
Für die Tauernbahn,

welche den Norden und
Nordweſten Oeſterreichs bequemer mit dem Trieſter
Hafen verbinden ſoll, iſt die Begehung der Trace für
die Linie Schwarzach, St. Veit, Gaſtein, Möllbrücken ꝛc.
ſoeben vollzogen worden. Ueber den Verlauf der Action
wird näher mitgetheilt: Für den ſalzburgiſchen Theil
der Bahn trat die Commiſſion in der Staatsbahn-
ſtation Schwarzach—St. Veit zuſammen und fand die
volle Zuſtimmung der Gemeinden Schwarzach und
St. Veit. Dann begaben ſie ſich nach Lend, wo dieſe
Gemeinde das Anſuchen um Einſchaltung einer Per-
ſonen-Halteſtelle „Klammſtein“ ſtellte. Ein Wunſch der
Gemeinde Dorf-Gaſtein wegen Verlegung der Projects-
ſtation Mairhofen nach Dorf-Gaſtein und nach Be-
zeichnung mit dieſem Namen dürfte befürwortet werden.
In Hof-Gaſtein wurde die Commiſſion um Ausge-
ſtaltung dieſer Halteſtelle zu einer Station unter Wegfall der
in Ausſicht genommenen Projectſtation Hof-Gaſtein
nächſt Laderding gebeten. Dieſe Bitte konnte keine Ge-
währ finden, da betriebstechniſche Gründe dagegen
ſprechen. Um aber den Wünſchen der Gemeinde thun-
lichſt entgegenzukommen, dürfte die Perſonen-Halteſtelle
für die gleichzeitige Abfertigung von Reiſegepäck be-
ſtimmt werden. Für die weitere Strecke Bad-Gaſtein-
Böckſtein dürfte dem Wunſche der Gemeinde Bad-Gaſtein
nach Verſchiebung der Projectſtation thalabwärts zum
Steinbruch oberhalb der proteſtantiſchen Kirche ent-
ſprochen werden, falls Detailſtudien entſprechen-
de Reſultate liefern. Dagegen konnte die Ein-
ſchaltung einer Perſonen-Halteſtelle Böckſtein
nicht befürwortet werden. Darauf folgte in Bad-Gaſtein
die Schließung des Salzburger Verhandlungs-Proto-
kolls. Im Anſchluß daran trat die Commiſſion für
den Kärntner Theil der Bahn in der Südbahnſtation
Sachſenburg zuſammen, welche nach Durchführung
ihrer Arbeit das Protokoll in Klagenfurt ſchloß. Das
Ergebniß der Tracenreviſion für die Tauern-Bahn
wird als anſtandloſes und befriedigendes bezeichnet.
Ueberall wurde der lebhafte Wunſch ausgeſprochen,
daß die Regierung dieſes wichtige Project im Zuſammen-
hang mit den übrigen Linien zur That werden laſſe.
— Zu dieſer Tracen-Reviſion bemerkt ein Wiener Blatt,
es wäre da Alles in ſchönſter Ordnung bis auf die —
verfaſſungsmäßige Zuſtimmung des
Reichsrathes zum Bahnbauen. Die
[Spaltenumbruch] Lahmlegung aller wirthſchaftlichen Inveſtitionen durch
die Arbeitsfähigkeit des Parlaments habe in der Be-
völkerung Apathie erzeugt, die bedenklicher ſei als
Leidenſchaftsausbrüche. Wer hat aber dieſe jämmer-
lichen Zuſtände — urſprünglichſt entſchuldigt
und erhält ſie durch Schwäche oder Zweizüngigkeit
oder Achſelträgerei weiter? Oeſterreich macht unter
ſolchen Umſtänden nicht nur „Rieſenrückſchritte“, ſondern
treibt durch ewiges conniventes „Fortwurſteln“ der
Anarchie und dem Zerfall zu.

Ungariſche Maſſen-Auswanderung.

Wo
die arbeitenden Schichten maſſig zum Wanderſtab
greifen, da treibt ſie Erwerbsnoth und Hunger dazu.
Die Iren, die Polen, die Czechen, die Magyaren geben,
wenn den Urſachen ihres relativ ſtarken Wanderns in
die Fremde nachgeforſcht wird, Zeugniß dafür.
Bezüglich Ungarns und ſeiner polyglotten Bewohner-
ſchaft meldet Deutſchlands Auswanderer-Statiſtik, daß
im Laufe des Jahres 1899 32.800 Ungarn ihr Vater-
land verließen und ſich in Bremen und Hamburg nach
überſeeiſchen Gebieten eingeſchifft haben. Vom 1889 bis
Ende 1899, alſo im Verlaufe von 11 Jahren, haben
nach ungariſchen und reichsdeutſchen Angaben 274.663
ungariſche Staatsangehörige der Heimat den Rücken
gekehrt, was einen jährlichen Durchſchnitt von 24.969
Auswanderern, alſo rund 1·35 per Mille der Geſammt-
bevölkerung der Länder der ungariſchen Krone ergibt,
ein unerhört hoher Bruchtheil, beſonders wenn man
berückſichtigt, daß Ungarn ſich noch im Stadium der
landwirthſchaftlichen Kraftentwicklung befindet und erſt
ſeit wenigen Jahren beſtrebt iſt, ſich in einen Induſtrie-
ſtaat umzuwandeln.

Unſere Handelsbilanz.

Das ſtatiſtiſche De-
partement des k. k. Handelsminiſteriums ſchließt die
Handelsbilanz im Mai mit einem Activum von
14·3 Millionen Kronen (gegen 12·7 Millionen Kronen
im Vorjahr). Während der erſten Monate iſt ein
Activum von 36·4 Millionen Kronen ausgewieſen. Da
ſich für die gleiche Zeitperiode des Vorjahres ein
Activum von 36·4 Millionen Kronen ergab, iſt mithin
der Stand gegenwärtig um 23·6 Millionen Kronen
ungünſtiger. Der Import an Kohle und Cokes zeigt
in Folge der Rückwirkung des Streikes noch eine
Steigerung um 12·5 Millionen Kronen, der Export
eine Verminderung um 9·2 Millionen Kronen.

Die allgemeine Verſicherungs-Geſellſchaft
„Providentia“

in Wien berichtet, daß in der letzten
Generalverſammlung die Vertheilung einer 6percentigen
Dividende beſchloſſen und mehrere Statutenänderungen
formaler Natur vorgenommen wurden.

Vom k. k. Oeſterreichiſchen Handels-
muſeum

wird mitgetheilt: „Firmen, welche mit
Liſſabon in Verbindung ſtehen, erhalten im k. k.
Oeſterreichiſchen Handelsmuſeum, 9. Bez., Berggaſſe 16,
gegen Legitimation eine vertrauliche Mittheilung.“

Inſolvenznachrichten.

Der Creditorenverein meldet
folgende Inſolvenzen: Anton Fleiſcher, Kaufmann in Wien,
8. Bez., Joſefſtädterſtraße 7; Davidovits teſtverek, Handels-
firma in Nagybanya; Heinrich Kerndl, Fahrradhändler in
Mähriſch-Oſtrau. — Das Oeſterreichiſche Handelsmuſeum
gibt folgende Fallimente bekannt: Sofia: Spiro Athanaſſow;
Konſtantinopel: Hadji Mir Abdul Wahab; Niſch: Mirko
Mirkovic; Galatz: J. H. Goldſtein.




[Spaltenumbruch]
Der Mutter Wille.

11 (Nachdruck verboten.)

„Du biſt ein vollſtändig verpfuſchter Menſch!“
grollte dann ungefähr die Mutter; „ich und der
Vater werdens noch erleben, daß Du gänzlich ver-
kommſt. Schämen ſollteſt Du Dich, Dein ſchönes
Geſchick zur Arbeit und zur Kunſt, was der Herrgott
Dir verliehen, ſo zu verlottern. Und die Strafe wird
Dir noch kommen dafür, daß Du Leib und Seele an
ein ſo unwürdiges Geſchöpf hängſt und dasſelbe mehr
im Herzen trägſt als die Mutter, die nur Dein
Beſtes will. Und eine ausgemachte Sache iſt es, daß
die Regiſtratorsdirne nichts taugt und keines braven
Mannes werth iſt. Hat ſie ſich nicht in Hamburg
dem Medicinpfuſcher, der ſich hier keine Exiſtenz
gründen konnte, an den Hals geworfen? Sprechen
Leute, die aus Hamburg kommen und ſie kennen, wohl
das geringſte Gute von ihr? Und ſo ein Geſchöpf
liebſt Du noch, vernachläſſigſt darum Dein ſchönes
Handwerk und Dein Talent, mit dem Du wuchern
ſollteſt nach des Herrn Willen zum Nutzen Deiner
Mitmenſchen? Pfui, ſchämen muß ich mich vor allen
Leuten, die uns kennen, und vor der ganzen ehrbaren
Familie ob der Schande, die Du uns machſt! Und
kurz und gut, wenn Du auf Deinem dummen und
eigenſinnigen Kopf ſtehen bleibſt, ſo erhältſt Du keinen
Pfennig Muttertheil, und ich werde auch den Vater
zu beſtimmen wiſſen, daß Du gänzlich von der Erb-
ſchaft ausgeſchloſſen wirſt!“

Natürlich waren derartige mütterliche Herzens-
ergießungen nichts weniger als geeignet, das verwundete
Gemüth des jungen Mannes wieder aufzurichten. Im
Gegentheil wurde er dadurch nur mehr in ſeine düſtere.
menſchenfeindliche Stimmung hineingedrängt, die ihn
mehr und mehr dem Umgange mit Altersgenoſſen und
ſeinen Geſchwiſtern entfremdete. Er wurde mit jedem
Tage zurückhaltender und verdroſſener, und das ge-
ſpannte Verhältniß zwiſchen ihm und der Mutter ſtellte
ſich immer ſchroffer heraus. — Die letztere hatte bald
kein freundliches Wort, keinen Blick mehr für ihn.
Sie ſprach in ſeiner Gegenwart von nichts anderem,
[Spaltenumbruch] als dem ungerathenen Sohne, welcher der Strafe für
ſeinen Ungehorſam und ſeine Charakterſchlechtigkeit nicht
entgehen werde.

„Das halt ich nicht mehr aus, Vater!“ ſagte
Franz eines Abends, nachdem die Mutter wieder in
ähnlicher Weiſe ihren Unmuth Luft gemacht hatte;
„ich ſehe wohl ein, daß ich der Mutter ein Dorn im
Auge bin. Es gibt nichts Schrecklicheres, als ſich von
denjenigen gehaßt zu ſehen, die mau nach dem Gebote
Gottes lieben und ehren ſoll; ich muß aus dem Hauſe
Vater!“

Der Müller nickte ſtill vor ſich hin. „So wills
die Mutter haben, Franz! Ich habs Dir lange ſagen
wollen, mein Junge, daß das am beſten iſt. Die
Helene Kemnitz heiratheſt Du nicht, alſo wird an eine
Einigung auf dieſer Welt nicht mehr zu denken ſein.
— Geh’ alſo mit Gott, Franz, und find Dich in das,
was nicht mehr zu ändern iſt. Zweihundert Thaler
kann ich Dir geben, ohne daß es auffällt. Damit
kannſt Du etwas anfangen und wenn’s ſchon nicht
viel iſt, doch Dein eigener Herr werden.

Mit zweihundert Thalern werde ich Meiſter und
richte mir auch eine kleine Werkſtatt ein. So viel,
wie ich brauche, verdiene ich immer!“

Damit war die Sache abgemacht. Der junge
Handwerker verließ bereits am folgenden Tage die
elterliche Wohnung und miethete ſich in der Vorſtadt
der Reſidenz eine kleine Werkſtätte mit daranſtoßendem
Stübchen. Das Meiſterſtück, ein elegantes Näh-
tiſchchen aus Roſenholz mit überaus kunſtvollen Ver-
zierungen, hatte er bereits in glücklicheren Tagen be-
gonnen. Es ſollte dereinſt das Stübchen der ge-
liebten Gattin zieren. Jetzt hatte die Vollendung
zu den Zweck, ihm eine ruhige Selbſtſtändigkeit, eine
friedliche, ſichere Exiſtenz zu ſichern. Er arbeitete mit
Ausdauer und Sorgfalt Tag und Nacht, und wenn
ihn auch kein Gedanke an eine frohe glückliche Zukunft
begeiſterte und ſeine Phantaſie zu neuen originellen
Schöpfungen befähigte, ſo wurde das Werk doch von
der Prüfungs-Commiſſion als ein Kunſtwerk von
hohem Werke taxirt und der Meiſterbrief dem ge-
ſchickten Geſellen unbedenklich ausgefertigt.

Die geſchäftigen Klatſchzungen, mit denen Frau
Kraft eine ſorgfältige Verbindung unterhielt, er-
mittelten bald den neuen Aufenthalt und die ſonſtigen
[Spaltenumbruch] Veränderungen in den äußeren Verhältniſſen des
Müllerſohnes und verfehlten nicht, ſich bei Frau
Kraft einzuſtellen und gegen die übliche Taſſe Mokka
ausführlichen Bericht zu erſtatten. Frau Kraft
ſchöpfte neue Hoffnung. „Ein geſchickter Junge iſt
er, das muß man ihm ſchon laſſen!“ ſagte ſie,
„ohne einen Pfennig Geld Meiſter und ſelbſtändig
geworden — das iſt immerhin etwas. Ich glaube
doch, Vater, der Franz wird noch vernünftig. Meinſt
Du nicht auch?“

Vater Kraft zuckte ſtill die Schultern und hielt es,
um weiteren Erörterungen auszuweichen, für das Beſte,
ſich auf ſein Müllerſtübchen zurückzuziehen und daſelbſt
für des Sohnes Wohlfahrt ein ſtilles Vaterunſer
zu beten.

Im Uebrigen ging die Hoffnung der guten Frau
nicht in Erfüllung. Franz hatte zwar mit Ehren die
Meiſterprüfung beſtanden und hantirte in ſeiner kleinen
Werkſtatt wacker und unverdroſſen, aber dabei blieb es
auch. Niemand durfte ihm ein Wort vom Heirathen
ſprechen oder auch nur eine Anſpielung auf eine „Frau
Meiſterin“ machen. Den Vater in der Mühle beſuchte
er zuweilen; in die elterliche Wohnung kam er nicht
mehr und Frau Kraft mußte wohl oder übel die
Ueberzeugung gewinnen, daß ſie wiederum eines ihrer
Kinder verloren habe.

Der Sommer war dahin. Ueber die Stoppel-
felder brauſte ein kalter Nordwind. Die gelben
und rothen Blätter löſten ſich von den Bäumen
und ſanken auf den welken Raſen. Wenn der
Herbſtſturm ſeine wilden Weiſen aufſpielte, mußten
ſie pfeilſchnell, wild, ohne Ruhe und Raſt über
Gräben, Wieſen, Gärten, Zäune und Hecken hin-
wegtanzen und die alten Bäume ſchütteln trübe
und melancholiſch die kahlen Kronen darüber, daß man
ihre Kinder nicht zur Ruhe kommen ließ. Spärlicher
begegnete man den eleganten Spaziergängern
auf den Promenaden der Stadt. Jaconnet und Barége,
Blouſe, Mantille und Sommerhütchen waren verbannt
und wollene Stoffe, Tuch- oder Sammtmäntelchen, bei
den Herren warme Ueberzieher an die Stelle der
leichten Kleider getreten.

(Fortſetzung folgt.)


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[11/0011] 143 Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. Juni 1900 — Die Philharmoniſchen Concerte in Paris ergaben ein Deficit von 20.000 Francs, welches von Baron Albert Rothſchild gedeckt wurde. Und doch wurde ſtets über maſſenhafte Beſuche dieſer Concerte berichtet! — Das wiſſenſchaftliche Programm der Urania. Donnerſtag, den 21. d. M., fand im Urania-Theater in der Wollzeile unter dem Vorſitze des Directors der Stern- warte Dr. E. Weiß eine gut beſuchte Verſammlung des wiſſenſchaftlichen Ausſchuſſes der Urania ſtatt. Der wiſſen- ſchaftliche Leiter Profeſſor Dr. Friedrich Umlauft er- örterte in längerer Rede das wiſſenſchaftliche Programm der Urania und betonte insbeſondere, daß von nun ab an- geſichts der conſolidirten Verhältniſſe des Inſtitutes eine entſprechende Honorirung der Vortragenden eintreten werde. Nach einer längeren Debatte wurden die Herren Dr. Adolf E. Forſter, Dr. Carl Koſterſitz, Dr. Anton Lampa, Doctor Joſef Szombathy und Dr. Alexander Zahlbruckner in ein engeres Comité gewählt, welches ſpeciell die Vorträge in der Urania zu organiſiren haben wird. Schließlich hatte in Folge einer geſtellten Anfrage der Präſident der Urania Dr. Ludwig Koeßler Gelegenheit, die erfreulich ge- beſſerten Verhältniſſe der Urania zu conſtatiren, welche es derſelben geſtatten, nunmehr an die Verwirklichung ihres populär-wiſſenſchaftlichen Programmes zu gehen. Aus dem Gerichtsſaale. Proceß Hülsner — verſchoben. Wie aus Piſek gemeldet wird, wurde der Proceß gegen den wegen des Polnaer Mädchenmor des an- geklagten Juden Leopold Hülsner bis zum Herbſte verſchoben, und zwar wegen der Unmöglichkeit, das rieſige Material zu bewältigen. Nicht einmal in einem öffentlichen Amt iſt ein Mädchen vor Wüſtlingen ſicher. Während eines ſtarken Parteienandranges im Poſtamte, 7. Bez., Lindengaſſe, bemerkte der amtirende Beamte, wie ſich ein Mann an der rückwärts angebrachten Rocktaſche eines jungen Mädchens zu ſchaffen machte. Der Beamte hielt den Menſchen für einen Taſchendieb und wollte ihn eben feſtnehmen laſſen, als das Mädchen in Weinen ausbrach und ſich beſchwerte, daß man nicht einmal in einem öffentlichen Amte vor — Zudringlichkeiten ſicher ſei. Wegen dieſes Unſittlichkeitsdelictes wurde der Angehaltene — es war dies der Geſchäſtsdiener Alois Hartmann — vom Bezirksgerichte Neubau (Ger.- Secr. Dr. Kleibl) zu fünf Tagen ſtrengen Arreſts verurtheilt. Einen Urlaub erſchwindeln wollte ſich der in Stanislau garniſonirende Officiersdiener Picha auf folgende, allerdings nicht mehr originelle Weiſe, indem er ſich von ſeiner Mutter, der Franciska Pich in Wien telegraphiren ließ: „Komme ſofort nach Hauſe, Mutter ſterbenskrank.“ Das Regimentscommando er- kundigte ſich jedoch bei der Wiener Polizei, oa dieſes Telegramm auf Wahrheit beruhe und ein in die Wohnung der Picha geſendeter Detective fand die „ſterberbenskranke“ Frau gar nicht zu Hauſe. Mit welcher Strafe der erfinderiſche Officiesdiener ſeine Pfiffigkeit büßen mußte, darüber ſchweigt die Geſchichte. Seine Mutter wurde jedoch wegen Irreführung der Behörde in Strafunterſuchung gezogen und bezirksge- richtlich zu 48 Stunden Arreſt verurtheilt. Sie ergriff dagegen die Berufung und über dieſe ſand die Verhandlung vor dem Appellſenate ſtatt, dem Landesgerichtsrath Dr. Ritter v Neubauer präſidirte. Der Ver- theidiger machte geltend, daß ein Regimentscommando keine Behörde im Sinne der betreffenden Geſetzesſtelle ſei, und beſtritt die Abſicht einer Irreführung, indem er ein ärztliches Zeugniß producirte, nach welchem die Berufungswerberin herzleidend ſei, ſich alſo beſtändig in der Möglichkeit des Ablebens befinde. Zudem ſei eine Irreführung gar nicht erfolgt und bei jenem Vor- gehen des Regimentscommandos auch nicht möglich ge- weſen. Die Berufungswerberin wurde freige- ſprochen. Volkswirthſchaftlicher Theil. Für die Tauernbahn, welche den Norden und Nordweſten Oeſterreichs bequemer mit dem Trieſter Hafen verbinden ſoll, iſt die Begehung der Trace für die Linie Schwarzach, St. Veit, Gaſtein, Möllbrücken ꝛc. ſoeben vollzogen worden. Ueber den Verlauf der Action wird näher mitgetheilt: Für den ſalzburgiſchen Theil der Bahn trat die Commiſſion in der Staatsbahn- ſtation Schwarzach—St. Veit zuſammen und fand die volle Zuſtimmung der Gemeinden Schwarzach und St. Veit. Dann begaben ſie ſich nach Lend, wo dieſe Gemeinde das Anſuchen um Einſchaltung einer Per- ſonen-Halteſtelle „Klammſtein“ ſtellte. Ein Wunſch der Gemeinde Dorf-Gaſtein wegen Verlegung der Projects- ſtation Mairhofen nach Dorf-Gaſtein und nach Be- zeichnung mit dieſem Namen dürfte befürwortet werden. In Hof-Gaſtein wurde die Commiſſion um Ausge- ſtaltung dieſer Halteſtelle zu einer Station unter Wegfall der in Ausſicht genommenen Projectſtation Hof-Gaſtein nächſt Laderding gebeten. Dieſe Bitte konnte keine Ge- währ finden, da betriebstechniſche Gründe dagegen ſprechen. Um aber den Wünſchen der Gemeinde thun- lichſt entgegenzukommen, dürfte die Perſonen-Halteſtelle für die gleichzeitige Abfertigung von Reiſegepäck be- ſtimmt werden. Für die weitere Strecke Bad-Gaſtein- Böckſtein dürfte dem Wunſche der Gemeinde Bad-Gaſtein nach Verſchiebung der Projectſtation thalabwärts zum Steinbruch oberhalb der proteſtantiſchen Kirche ent- ſprochen werden, falls Detailſtudien entſprechen- de Reſultate liefern. Dagegen konnte die Ein- ſchaltung einer Perſonen-Halteſtelle Böckſtein nicht befürwortet werden. Darauf folgte in Bad-Gaſtein die Schließung des Salzburger Verhandlungs-Proto- kolls. Im Anſchluß daran trat die Commiſſion für den Kärntner Theil der Bahn in der Südbahnſtation Sachſenburg zuſammen, welche nach Durchführung ihrer Arbeit das Protokoll in Klagenfurt ſchloß. Das Ergebniß der Tracenreviſion für die Tauern-Bahn wird als anſtandloſes und befriedigendes bezeichnet. Ueberall wurde der lebhafte Wunſch ausgeſprochen, daß die Regierung dieſes wichtige Project im Zuſammen- hang mit den übrigen Linien zur That werden laſſe. — Zu dieſer Tracen-Reviſion bemerkt ein Wiener Blatt, es wäre da Alles in ſchönſter Ordnung bis auf die — verfaſſungsmäßige Zuſtimmung des Reichsrathes zum Bahnbauen. Die Lahmlegung aller wirthſchaftlichen Inveſtitionen durch die Arbeitsfähigkeit des Parlaments habe in der Be- völkerung Apathie erzeugt, die bedenklicher ſei als Leidenſchaftsausbrüche. Wer hat aber dieſe jämmer- lichen Zuſtände — urſprünglichſt entſchuldigt und erhält ſie durch Schwäche oder Zweizüngigkeit oder Achſelträgerei weiter? Oeſterreich macht unter ſolchen Umſtänden nicht nur „Rieſenrückſchritte“, ſondern treibt durch ewiges conniventes „Fortwurſteln“ der Anarchie und dem Zerfall zu. Ungariſche Maſſen-Auswanderung. Wo die arbeitenden Schichten maſſig zum Wanderſtab greifen, da treibt ſie Erwerbsnoth und Hunger dazu. Die Iren, die Polen, die Czechen, die Magyaren geben, wenn den Urſachen ihres relativ ſtarken Wanderns in die Fremde nachgeforſcht wird, Zeugniß dafür. Bezüglich Ungarns und ſeiner polyglotten Bewohner- ſchaft meldet Deutſchlands Auswanderer-Statiſtik, daß im Laufe des Jahres 1899 32.800 Ungarn ihr Vater- land verließen und ſich in Bremen und Hamburg nach überſeeiſchen Gebieten eingeſchifft haben. Vom 1889 bis Ende 1899, alſo im Verlaufe von 11 Jahren, haben nach ungariſchen und reichsdeutſchen Angaben 274.663 ungariſche Staatsangehörige der Heimat den Rücken gekehrt, was einen jährlichen Durchſchnitt von 24.969 Auswanderern, alſo rund 1·35 per Mille der Geſammt- bevölkerung der Länder der ungariſchen Krone ergibt, ein unerhört hoher Bruchtheil, beſonders wenn man berückſichtigt, daß Ungarn ſich noch im Stadium der landwirthſchaftlichen Kraftentwicklung befindet und erſt ſeit wenigen Jahren beſtrebt iſt, ſich in einen Induſtrie- ſtaat umzuwandeln. Unſere Handelsbilanz. Das ſtatiſtiſche De- partement des k. k. Handelsminiſteriums ſchließt die Handelsbilanz im Mai mit einem Activum von 14·3 Millionen Kronen (gegen 12·7 Millionen Kronen im Vorjahr). Während der erſten Monate iſt ein Activum von 36·4 Millionen Kronen ausgewieſen. Da ſich für die gleiche Zeitperiode des Vorjahres ein Activum von 36·4 Millionen Kronen ergab, iſt mithin der Stand gegenwärtig um 23·6 Millionen Kronen ungünſtiger. Der Import an Kohle und Cokes zeigt in Folge der Rückwirkung des Streikes noch eine Steigerung um 12·5 Millionen Kronen, der Export eine Verminderung um 9·2 Millionen Kronen. Die allgemeine Verſicherungs-Geſellſchaft „Providentia“ in Wien berichtet, daß in der letzten Generalverſammlung die Vertheilung einer 6percentigen Dividende beſchloſſen und mehrere Statutenänderungen formaler Natur vorgenommen wurden. Vom k. k. Oeſterreichiſchen Handels- muſeum wird mitgetheilt: „Firmen, welche mit Liſſabon in Verbindung ſtehen, erhalten im k. k. Oeſterreichiſchen Handelsmuſeum, 9. Bez., Berggaſſe 16, gegen Legitimation eine vertrauliche Mittheilung.“ Inſolvenznachrichten. Der Creditorenverein meldet folgende Inſolvenzen: Anton Fleiſcher, Kaufmann in Wien, 8. Bez., Joſefſtädterſtraße 7; Davidovits teſtverek, Handels- firma in Nagybanya; Heinrich Kerndl, Fahrradhändler in Mähriſch-Oſtrau. — Das Oeſterreichiſche Handelsmuſeum gibt folgende Fallimente bekannt: Sofia: Spiro Athanaſſow; Konſtantinopel: Hadji Mir Abdul Wahab; Niſch: Mirko Mirkovic; Galatz: J. H. Goldſtein. Der Mutter Wille. Eine Familiengeſchichte von Carl Zaſtrow. 11 (Nachdruck verboten.) „Du biſt ein vollſtändig verpfuſchter Menſch!“ grollte dann ungefähr die Mutter; „ich und der Vater werdens noch erleben, daß Du gänzlich ver- kommſt. Schämen ſollteſt Du Dich, Dein ſchönes Geſchick zur Arbeit und zur Kunſt, was der Herrgott Dir verliehen, ſo zu verlottern. Und die Strafe wird Dir noch kommen dafür, daß Du Leib und Seele an ein ſo unwürdiges Geſchöpf hängſt und dasſelbe mehr im Herzen trägſt als die Mutter, die nur Dein Beſtes will. Und eine ausgemachte Sache iſt es, daß die Regiſtratorsdirne nichts taugt und keines braven Mannes werth iſt. Hat ſie ſich nicht in Hamburg dem Medicinpfuſcher, der ſich hier keine Exiſtenz gründen konnte, an den Hals geworfen? Sprechen Leute, die aus Hamburg kommen und ſie kennen, wohl das geringſte Gute von ihr? Und ſo ein Geſchöpf liebſt Du noch, vernachläſſigſt darum Dein ſchönes Handwerk und Dein Talent, mit dem Du wuchern ſollteſt nach des Herrn Willen zum Nutzen Deiner Mitmenſchen? Pfui, ſchämen muß ich mich vor allen Leuten, die uns kennen, und vor der ganzen ehrbaren Familie ob der Schande, die Du uns machſt! Und kurz und gut, wenn Du auf Deinem dummen und eigenſinnigen Kopf ſtehen bleibſt, ſo erhältſt Du keinen Pfennig Muttertheil, und ich werde auch den Vater zu beſtimmen wiſſen, daß Du gänzlich von der Erb- ſchaft ausgeſchloſſen wirſt!“ Natürlich waren derartige mütterliche Herzens- ergießungen nichts weniger als geeignet, das verwundete Gemüth des jungen Mannes wieder aufzurichten. Im Gegentheil wurde er dadurch nur mehr in ſeine düſtere. menſchenfeindliche Stimmung hineingedrängt, die ihn mehr und mehr dem Umgange mit Altersgenoſſen und ſeinen Geſchwiſtern entfremdete. Er wurde mit jedem Tage zurückhaltender und verdroſſener, und das ge- ſpannte Verhältniß zwiſchen ihm und der Mutter ſtellte ſich immer ſchroffer heraus. — Die letztere hatte bald kein freundliches Wort, keinen Blick mehr für ihn. Sie ſprach in ſeiner Gegenwart von nichts anderem, als dem ungerathenen Sohne, welcher der Strafe für ſeinen Ungehorſam und ſeine Charakterſchlechtigkeit nicht entgehen werde. „Das halt ich nicht mehr aus, Vater!“ ſagte Franz eines Abends, nachdem die Mutter wieder in ähnlicher Weiſe ihren Unmuth Luft gemacht hatte; „ich ſehe wohl ein, daß ich der Mutter ein Dorn im Auge bin. Es gibt nichts Schrecklicheres, als ſich von denjenigen gehaßt zu ſehen, die mau nach dem Gebote Gottes lieben und ehren ſoll; ich muß aus dem Hauſe Vater!“ Der Müller nickte ſtill vor ſich hin. „So wills die Mutter haben, Franz! Ich habs Dir lange ſagen wollen, mein Junge, daß das am beſten iſt. Die Helene Kemnitz heiratheſt Du nicht, alſo wird an eine Einigung auf dieſer Welt nicht mehr zu denken ſein. — Geh’ alſo mit Gott, Franz, und find Dich in das, was nicht mehr zu ändern iſt. Zweihundert Thaler kann ich Dir geben, ohne daß es auffällt. Damit kannſt Du etwas anfangen und wenn’s ſchon nicht viel iſt, doch Dein eigener Herr werden. Mit zweihundert Thalern werde ich Meiſter und richte mir auch eine kleine Werkſtatt ein. So viel, wie ich brauche, verdiene ich immer!“ Damit war die Sache abgemacht. Der junge Handwerker verließ bereits am folgenden Tage die elterliche Wohnung und miethete ſich in der Vorſtadt der Reſidenz eine kleine Werkſtätte mit daranſtoßendem Stübchen. Das Meiſterſtück, ein elegantes Näh- tiſchchen aus Roſenholz mit überaus kunſtvollen Ver- zierungen, hatte er bereits in glücklicheren Tagen be- gonnen. Es ſollte dereinſt das Stübchen der ge- liebten Gattin zieren. Jetzt hatte die Vollendung zu den Zweck, ihm eine ruhige Selbſtſtändigkeit, eine friedliche, ſichere Exiſtenz zu ſichern. Er arbeitete mit Ausdauer und Sorgfalt Tag und Nacht, und wenn ihn auch kein Gedanke an eine frohe glückliche Zukunft begeiſterte und ſeine Phantaſie zu neuen originellen Schöpfungen befähigte, ſo wurde das Werk doch von der Prüfungs-Commiſſion als ein Kunſtwerk von hohem Werke taxirt und der Meiſterbrief dem ge- ſchickten Geſellen unbedenklich ausgefertigt. Die geſchäftigen Klatſchzungen, mit denen Frau Kraft eine ſorgfältige Verbindung unterhielt, er- mittelten bald den neuen Aufenthalt und die ſonſtigen Veränderungen in den äußeren Verhältniſſen des Müllerſohnes und verfehlten nicht, ſich bei Frau Kraft einzuſtellen und gegen die übliche Taſſe Mokka ausführlichen Bericht zu erſtatten. Frau Kraft ſchöpfte neue Hoffnung. „Ein geſchickter Junge iſt er, das muß man ihm ſchon laſſen!“ ſagte ſie, „ohne einen Pfennig Geld Meiſter und ſelbſtändig geworden — das iſt immerhin etwas. Ich glaube doch, Vater, der Franz wird noch vernünftig. Meinſt Du nicht auch?“ Vater Kraft zuckte ſtill die Schultern und hielt es, um weiteren Erörterungen auszuweichen, für das Beſte, ſich auf ſein Müllerſtübchen zurückzuziehen und daſelbſt für des Sohnes Wohlfahrt ein ſtilles Vaterunſer zu beten. Im Uebrigen ging die Hoffnung der guten Frau nicht in Erfüllung. Franz hatte zwar mit Ehren die Meiſterprüfung beſtanden und hantirte in ſeiner kleinen Werkſtatt wacker und unverdroſſen, aber dabei blieb es auch. Niemand durfte ihm ein Wort vom Heirathen ſprechen oder auch nur eine Anſpielung auf eine „Frau Meiſterin“ machen. Den Vater in der Mühle beſuchte er zuweilen; in die elterliche Wohnung kam er nicht mehr und Frau Kraft mußte wohl oder übel die Ueberzeugung gewinnen, daß ſie wiederum eines ihrer Kinder verloren habe. Der Sommer war dahin. Ueber die Stoppel- felder brauſte ein kalter Nordwind. Die gelben und rothen Blätter löſten ſich von den Bäumen und ſanken auf den welken Raſen. Wenn der Herbſtſturm ſeine wilden Weiſen aufſpielte, mußten ſie pfeilſchnell, wild, ohne Ruhe und Raſt über Gräben, Wieſen, Gärten, Zäune und Hecken hin- wegtanzen und die alten Bäume ſchütteln trübe und melancholiſch die kahlen Kronen darüber, daß man ihre Kinder nicht zur Ruhe kommen ließ. Spärlicher begegnete man den eleganten Spaziergängern auf den Promenaden der Stadt. Jaconnet und Barége, Blouſe, Mantille und Sommerhütchen waren verbannt und wollene Stoffe, Tuch- oder Sammtmäntelchen, bei den Herren warme Ueberzieher an die Stelle der leichten Kleider getreten. (Fortſetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 143, Wien, 26.06.1900, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost143_1900/11>, abgerufen am 11.12.2024.