Reichspost. Nr. 133, Wien, 14.06.1898.Wien, Dienstag Reichspost 14. Juni 1898 133 [Spaltenumbruch] (42. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Verhängnißvolle Augenblicke. Original-Erzählung Letztere umarmte er an jenem Abend, als beide "Nicht ich allein, Vater," sagte er ehrlich. "Walter "Ihr seid Beide dem Kinde treue, sorgsame Brüder Ganz seiner sonstigen gelassenen Art entgegen war Max blickte hinaus in die nun im Mondenschein Gerty und er durchwanderten ihn fröhlich wie so Hilf Himmel, war er denn blind gewesen? Liebe [Spaltenumbruch] Heiß strömte ihm das Blut in Herz und Kopf. Indeß, als vertreibe er nun bereits allen Sonnen- Eigenthümlich weich, gedankenvoll blickte der Doctor "Das bekümmert Dich wohl Deines Freundes "Wie bestimmt Du das sagst, Vater, weißt Du "Ja, mein Sohn," fiel der Doctor ein, "ich weiß, "O, stehen die Dinge so! Es handelt sich nicht Dr. Brnnner schüttelte den Kopf. "Walter wird "Von der er abhängig bleibt. Armer Walter!" XI. Unerwartet. Wenn man sich trifft nach langen Jahren, Das ist ein eigen Wiederseh'n; Solange durch die Welt gefahren, Mag man sich tief ins Auge sehen. Franz Alfred Muth. Zur selben Zeit, da in der lieben Heimat Schnee [irrelevantes Material] Druck, Herausgabe und Verlag Ambr. Opitz, Wien. -- Verantwortlicher Redacteur Hermann Hikisch, Wien Wien, Dienſtag Reichspoſt 14. Juni 1898 133 [Spaltenumbruch] (42. Fortſetzung.) (Nachdruck verboten.) Verhängnißvolle Augenblicke. Original-Erzählung Letztere umarmte er an jenem Abend, als beide „Nicht ich allein, Vater,“ ſagte er ehrlich. „Walter „Ihr ſeid Beide dem Kinde treue, ſorgſame Brüder Ganz ſeiner ſonſtigen gelaſſenen Art entgegen war Max blickte hinaus in die nun im Mondenſchein Gerty und er durchwanderten ihn fröhlich wie ſo Hilf Himmel, war er denn blind geweſen? Liebe [Spaltenumbruch] Heiß ſtrömte ihm das Blut in Herz und Kopf. Indeß, als vertreibe er nun bereits allen Sonnen- Eigenthümlich weich, gedankenvoll blickte der Doctor „Das bekümmert Dich wohl Deines Freundes „Wie beſtimmt Du das ſagſt, Vater, weißt Du „Ja, mein Sohn,“ fiel der Doctor ein, „ich weiß, „O, ſtehen die Dinge ſo! Es handelt ſich nicht Dr. Brnnner ſchüttelte den Kopf. „Walter wird „Von der er abhängig bleibt. Armer Walter!“ XI. Unerwartet. Wenn man ſich trifft nach langen Jahren, Das iſt ein eigen Wiederſeh’n; Solange durch die Welt gefahren, Mag man ſich tief ins Auge ſehen. Franz Alfred Muth. Zur ſelben Zeit, da in der lieben Heimat Schnee [irrelevantes Material] Druck, Herausgabe und Verlag Ambr. Opitz, Wien. — Verantwortlicher Redacteur Hermann Hikiſch, Wien <TEI> <text> <body> <div type="jAnnouncements" n="1"> <div type="jAn" n="2"> <pb facs="#f0010" n="10"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Wien, Dienſtag Reichspoſt 14. 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Du, Du, haſt ſie mir gerettet!“</p><lb/> <p>„Nicht ich allein, Vater,“ ſagte er ehrlich. „Walter<lb/> that dabei das Seinige, wenn nicht die Hauptſache;<lb/> ohne ſeine Hilfe hätte ich Eſchen nicht ſo ſchnell gefunden<lb/> und in Sicherheit gebracht.“</p><lb/> <p>„Ihr ſeid Beide dem Kinde treue, ſorgſame Brüder<lb/> geweſen, das weiß ich. Vergelt’s Euch Gott! Ich<lb/> werde nie Deine Sorglichkeit vergeſſen, die mir mein<lb/> Liebſtes gerettet. O Gott, wie war mein zartes, armes<lb/> Mädchen bedroht, wärſt Du ihr nicht ſo nahe geweſen!“</p><lb/> <p>Ganz ſeiner ſonſtigen gelaſſenen Art entgegen war<lb/> Dr. Brunner tief erregt und ſprach mehr und raſcher<lb/> in wenigen Minuten, als ſonſt in Stunden. Max be-<lb/> ſchlich ein ſeltſames, fremdartiges Gefühl. Trotz den<lb/> warmen Dankesworten ſeines Vaters drängte ſich ihm<lb/> die Bemerkung auf, wie ausgeſprochen Joſefa deſſen<lb/> Liebling ſei, wie viel leichter der Vater ihn als ſein<lb/> liebes, zartes Schweſterlein entbehren könnte. 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Wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm<lb/> greift, ſo klammerte ſich Max an dieſe Hoffnung, indem<lb/> er zu ſich ſelber ſprach: „Gerty wird’s entſcheiden;<lb/> nur ehrlich Spiel ſoll gelten.“</p><lb/> <p>Indeß, als vertreibe er nun bereits allen Sonnen-<lb/> ſchein aus Walter’s Leben, regte ſich bei ihm neue<lb/> warme Theilnahme für des Freundes Geſchick. Da eben<lb/> ſein Vater leiſe aus Joſepha’s Stube zurückkahm und<lb/> befriedigend erklärte: ſie ſchläft ſanft und erquickend,<lb/> fragte er ziemlich unvermittelt: „Vater, glaubſt Du,<lb/> daß der verſchollene Herr v. Norden jemals wieder<lb/> auftauchen wird?“</p><lb/> <p>Eigenthümlich weich, gedankenvoll blickte der Doctor<lb/> den Frager an.</p><lb/> <p>„Das bekümmert Dich wohl Deines Freundes<lb/> wegen. Indeß er muß ſich mit ſeinem Antheil ſchon<lb/> begnügen; denn Felix v. Norden wird kommen, um<lb/> ſeine Erbanſprüche geltend zu machen, lange ehe die<lb/> beſtimmte Friſt abgelaufen iſt!“</p><lb/> <p>„Wie beſtimmt Du das ſagſt, Vater, weißt Du<lb/> denn, daß“ —</p><lb/> <p>„Ja, mein Sohn,“ fiel der Doctor ein, „ich weiß,<lb/> daß Felix von Norden lebt, und daß Baron Oscar<lb/> kurz vor ſeinem Hinſcheiden noch Nachricht darüber er-<lb/> hielt; das beſtärkte ihn, ſeine letzwilligen Verfügungen<lb/> zu treffen, wie er es gethan, und wie’s recht und<lb/> billig iſt.“</p><lb/> <p>„O, ſtehen die Dinge ſo! Es handelt ſich nicht<lb/> um Vermuthung, ſondern Gewißheit? Dann freilich<lb/> wird die Ausſicht, doch noch Haus Norden zu erhalten,<lb/> ſehr ſchwach für Walter!“</p><lb/> <p>Dr. Brnnner ſchüttelte den Kopf. „Walter wird<lb/> dasſelbe nie beſitzen. Aber das iſt kein Unglück für ihn;<lb/> er iſt gut geſtellt und hat eine reiche Mutter.“</p><lb/> <p>„Von der er abhängig bleibt. Armer Walter!“<lb/> liſpelte Max, aber dieſer mitleidige Gedanke gewann<lb/><cb/> bei ihm merkwürdige Aehnlichkeit mit einem Seufzer<lb/> der Erleicherung.</p><lb/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq">XI.</hi> </hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <head> <hi rendition="#g">Unerwartet.</hi> </head><lb/> <l>Wenn man ſich trifft nach langen Jahren,</l><lb/> <l>Das iſt ein eigen Wiederſeh’n;</l><lb/> <l>Solange durch die Welt gefahren,</l><lb/> <l>Mag man ſich tief ins Auge ſehen.</l> </lg><lb/> <p> <hi rendition="#et">Franz Alfred <hi rendition="#g">Muth.</hi> </hi> </p><lb/> <p>Zur ſelben Zeit, da in der lieben Heimat Schnee<lb/> und Eis regierte, führte der ſüdliche Winter in Meran<lb/> ein gar mildes Regiment; indeß wie ſanft und freund-<lb/> lich auch der Herbſt in dieſem Klima heuer bis ins<lb/> neue Jahr geſchlummert war, mit dem Jänner machte<lb/> ſich doch etwas winterliche Temperatur geltend und<lb/> brachte nebſt kühlen, nebligen Tagen ungeſtümen Wind<lb/> mit, der ſich diesmal vom ſorgſam Schutz bieten-<lb/> den Küchelberg nicht ganz abwehren ließ, vielmehr ſelbſt<lb/> in die geſchützteſte Ecke der Winteranlagen keck<lb/> hereinſtöberte, trotz der hohen Gartenmauer des<lb/> alten Kloſters, die hier gleichfalls den Luftzug von<lb/> Staufen her abzuhalten ſuchte — vergeblich! Damit<lb/> nicht genug; mehrere ſonnenloſe, fröſtelnde Tage folgten.<lb/> Die armen Bruſtkranken flüchteten in die Stuben, öde<lb/> ward’s auf der Waſſermauer, der beliebten Promenade.<lb/> Die wunderſchönen Roſen, die bis in den November,<lb/> ja December hinein dort geblüht, ſind ſanft unter dem<lb/> Koſen des Südwindes verblüht und entblättert, und<lb/> was ſie wohl für unmöglich gehalten, iſt geſchehen, der<lb/> Schnee von der Muttſpitze iſt heruntergewandert und<lb/> hat ſich ein Plätzchen auf der Meraner Waſſermauer<lb/> geſucht, wo er ſein Weſen treibt, ſehr zum Erſtaunen<lb/> Gerty’s. Nun erblickte ſie heuer doch den erſehnten<lb/> Schnee, wohl ihr zu lieb iſt er gekommen, damit ſie<lb/> ſeines glitzernden Anblickes nicht ganz entbehre.<lb/> Gerty ſchaute auf ihn hinab aus dem Fenſter von<lb/> Clariſſen’s behaglicher Stube, in welche eine ſtarke<lb/> Grippe ihre mütterliche Freundin gebannt und das<lb/> fröhliche Kind gleichſam zu einer Mitgefangenen ge-<lb/> macht hat. Das Gefängniß der Beiden iſt ungemein<lb/> traulich. Ein ſchmuckes, geräumiges Gemach, wohnlich,<lb/> ja elegant eingerichtet. Bequeme Seſſel ſtehen an den<lb/> Fenſtern, von denen eines eine Thür bildet, welche<lb/> direct ins Freie führt auf einen ſauberen mit Marquiſen<lb/> verhangenen Balcon. Wenige Schritte führen von dort<lb/> hinab in ein Gärtchen, wo ſachte ein Springbrunnen<lb/> plätſcherte. Gewöhnlich war’s windſtill dort und ſonnig,<lb/> immer aber die Ausſicht herrlich. Clariſſe freute ſich<lb/> ihrer tagtäglich in ihrer ſtillen Weiſe. Willig fand ſie<lb/> ſich in den Stubenarreſt, den ihr der Arzt bei der<lb/> kühlen Witterung auferlegt. Durfte ſie nicht auf den<lb/> Balcon, ſo ſaß ſie ſtundenlang am Fenſter und blickte<lb/> weit hinaus in das ſchöne Etſchland, weg über die<lb/> Stadtmauer, die Pappelallee auf dem Steindamme<lb/> längs der Paſſer, hinein in die Niederung, mit den<lb/> prächtigen von hundert kleinen Bächen durchzogenen<lb/> Wieſengründe bis zu den hohen Bergen. <ref>(Fortſ. folgt.)</ref> </p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jAnnouncements" n="1"> <gap reason="insignificant"/> </div> </body> <back> <div type="imprint"> <p>Druck, Herausgabe und Verlag Ambr. Opitz, Wien. — Verantwortlicher Redacteur Hermann Hikiſch, Wien</p><lb/> </div> </back> </text> </TEI> [10/0010]
Wien, Dienſtag Reichspoſt 14. Juni 1898 133
(42. Fortſetzung.) (Nachdruck verboten.)
Verhängnißvolle Augenblicke.
Original-Erzählung
von M. Ludolff.
Letztere umarmte er an jenem Abend, als beide
mit Joſepha wieder wohlbehalten in der eigenen Häus-
lichkeit waren, mit einer Innigkeit, wie er ſie vorher
kaum jemals gezeigt, wobei er Worte von Vergeltung
und nie verſiegender Dankbarkeit murmelte, die Max
kaum verſtand, ihn aber doch ſeltſam bewegten, da er
aus denſelben den Ausruf heraushörte: „Was wäre
mein ganzes künftiges Leben ohne meine Joſepha
geworden! Du, Du, haſt ſie mir gerettet!“
„Nicht ich allein, Vater,“ ſagte er ehrlich. „Walter
that dabei das Seinige, wenn nicht die Hauptſache;
ohne ſeine Hilfe hätte ich Eſchen nicht ſo ſchnell gefunden
und in Sicherheit gebracht.“
„Ihr ſeid Beide dem Kinde treue, ſorgſame Brüder
geweſen, das weiß ich. Vergelt’s Euch Gott! Ich
werde nie Deine Sorglichkeit vergeſſen, die mir mein
Liebſtes gerettet. O Gott, wie war mein zartes, armes
Mädchen bedroht, wärſt Du ihr nicht ſo nahe geweſen!“
Ganz ſeiner ſonſtigen gelaſſenen Art entgegen war
Dr. Brunner tief erregt und ſprach mehr und raſcher
in wenigen Minuten, als ſonſt in Stunden. Max be-
ſchlich ein ſeltſames, fremdartiges Gefühl. Trotz den
warmen Dankesworten ſeines Vaters drängte ſich ihm
die Bemerkung auf, wie ausgeſprochen Joſefa deſſen
Liebling ſei, wie viel leichter der Vater ihn als ſein
liebes, zartes Schweſterlein entbehren könnte. Und dann
dachte er plötzlich wieder an Walter und die Unter-
redung, welche ſie zuſammen gepflogen. Während der
Angſt und des Schreckens war die Erinnerung daran
in den Hintergrund getreten, jetzt erwachte ſie wieder
friſch und lebendig. Zwei Brüdern gleich hatten ſie
heute gehandelt — hatte ſein Vater nicht eben noch ſo
geſagt? Ja, und wie zwei treue Brüder und Freunde
hatten ſie ſich einander eben noch innig und feſt nach
überſtandener Gefahr die Hand geſchüttelt. Was ſollte
daher nun plötzlich das eigene ſchleichende Gefühl, das
einer giftigen Schlange gleich das warme Empfinden
des Nachdenklichen umzingeln und erdrücken wollte?
Max blickte hinaus in die nun im Mondenſchein
glitzernde, magiſch beleuchtete weiße Landſchaft und den
ganz in der Ferne geſpenſtiſch drohenden Wald. Das
Bild wandelte ſich in ſeiner Phantaſie. Im lieblichſten
Grün prangte der Wald.
Gerty und er durchwanderten ihn fröhlich wie ſo
manchesmal in den ſchönen Kindheitstagen. Ihr klang-
volles Silberſtimmchen glaubte er zu hören; doch der
Ton däuchte ihm plötzlich ſeltſam, denn Gerty bat wie
jüngſt beim Abſchiede: Grüße mir Walter!
Hilf Himmel, war er denn blind geweſen? Liebe
Gerty Walter v. Eſchen? War dies der Fall — was
hatte dann er zu hoffen?
Heiß ſtrömte ihm das Blut in Herz und Kopf.
Zorn und Kummer bemächtigten ſich ſeiner und rangen
miteinander. Wenn Walter Gerty und ſein Vater
Joſepha hatte, wer fragte dann nach ihm? Wie über-
flüſſig erſchien er ſich — Eiferſucht und Bitterkeit
wollten ſeine Vernunft trüben, ſeine Phantaſie er-
hitzen, da war es ihm plötzlich, als ſtreiche eine
weiche Hand über ſein ſchwarzes Haar, und Tante
Clariſſe mit ihren ſeelenvollen Augen ſchaue ihn ver-
wundert an, ihr klarer Blick aber ſpreche deutlicher als
Worte: Glücklich der Menſch, der ſich ſelbſt beherrſcht!
Tante Clariſſe — der Gedanke an ſie that dem jungen
Manne wohl. Eine rechte Sehnſucht erfaßte ihn nach
derjenigen, die ihm ſo oft in ſeinen Knabentagen die
Mutter erſetzt. Dann dachte er weiter an all die frohen
Stunden, welche er in Hohenwart verlebt, und wie
gut er und Gerty allzeit einander geweſen waren. Im
Grunde ſtand ſie mir doch ſtets viel näher als Walter,
flüſterte ihm dabei leiſe die Hoffnung zu. Freilich auch
Walter hoffte zuverſichtlich, aber — er konnte ſich
täuſchen! Wie ein Ertrinkender nach einem Strohhalm
greift, ſo klammerte ſich Max an dieſe Hoffnung, indem
er zu ſich ſelber ſprach: „Gerty wird’s entſcheiden;
nur ehrlich Spiel ſoll gelten.“
Indeß, als vertreibe er nun bereits allen Sonnen-
ſchein aus Walter’s Leben, regte ſich bei ihm neue
warme Theilnahme für des Freundes Geſchick. Da eben
ſein Vater leiſe aus Joſepha’s Stube zurückkahm und
befriedigend erklärte: ſie ſchläft ſanft und erquickend,
fragte er ziemlich unvermittelt: „Vater, glaubſt Du,
daß der verſchollene Herr v. Norden jemals wieder
auftauchen wird?“
Eigenthümlich weich, gedankenvoll blickte der Doctor
den Frager an.
„Das bekümmert Dich wohl Deines Freundes
wegen. Indeß er muß ſich mit ſeinem Antheil ſchon
begnügen; denn Felix v. Norden wird kommen, um
ſeine Erbanſprüche geltend zu machen, lange ehe die
beſtimmte Friſt abgelaufen iſt!“
„Wie beſtimmt Du das ſagſt, Vater, weißt Du
denn, daß“ —
„Ja, mein Sohn,“ fiel der Doctor ein, „ich weiß,
daß Felix von Norden lebt, und daß Baron Oscar
kurz vor ſeinem Hinſcheiden noch Nachricht darüber er-
hielt; das beſtärkte ihn, ſeine letzwilligen Verfügungen
zu treffen, wie er es gethan, und wie’s recht und
billig iſt.“
„O, ſtehen die Dinge ſo! Es handelt ſich nicht
um Vermuthung, ſondern Gewißheit? Dann freilich
wird die Ausſicht, doch noch Haus Norden zu erhalten,
ſehr ſchwach für Walter!“
Dr. Brnnner ſchüttelte den Kopf. „Walter wird
dasſelbe nie beſitzen. Aber das iſt kein Unglück für ihn;
er iſt gut geſtellt und hat eine reiche Mutter.“
„Von der er abhängig bleibt. Armer Walter!“
liſpelte Max, aber dieſer mitleidige Gedanke gewann
bei ihm merkwürdige Aehnlichkeit mit einem Seufzer
der Erleicherung.
XI.
Unerwartet.
Wenn man ſich trifft nach langen Jahren,
Das iſt ein eigen Wiederſeh’n;
Solange durch die Welt gefahren,
Mag man ſich tief ins Auge ſehen.
Franz Alfred Muth.
Zur ſelben Zeit, da in der lieben Heimat Schnee
und Eis regierte, führte der ſüdliche Winter in Meran
ein gar mildes Regiment; indeß wie ſanft und freund-
lich auch der Herbſt in dieſem Klima heuer bis ins
neue Jahr geſchlummert war, mit dem Jänner machte
ſich doch etwas winterliche Temperatur geltend und
brachte nebſt kühlen, nebligen Tagen ungeſtümen Wind
mit, der ſich diesmal vom ſorgſam Schutz bieten-
den Küchelberg nicht ganz abwehren ließ, vielmehr ſelbſt
in die geſchützteſte Ecke der Winteranlagen keck
hereinſtöberte, trotz der hohen Gartenmauer des
alten Kloſters, die hier gleichfalls den Luftzug von
Staufen her abzuhalten ſuchte — vergeblich! Damit
nicht genug; mehrere ſonnenloſe, fröſtelnde Tage folgten.
Die armen Bruſtkranken flüchteten in die Stuben, öde
ward’s auf der Waſſermauer, der beliebten Promenade.
Die wunderſchönen Roſen, die bis in den November,
ja December hinein dort geblüht, ſind ſanft unter dem
Koſen des Südwindes verblüht und entblättert, und
was ſie wohl für unmöglich gehalten, iſt geſchehen, der
Schnee von der Muttſpitze iſt heruntergewandert und
hat ſich ein Plätzchen auf der Meraner Waſſermauer
geſucht, wo er ſein Weſen treibt, ſehr zum Erſtaunen
Gerty’s. Nun erblickte ſie heuer doch den erſehnten
Schnee, wohl ihr zu lieb iſt er gekommen, damit ſie
ſeines glitzernden Anblickes nicht ganz entbehre.
Gerty ſchaute auf ihn hinab aus dem Fenſter von
Clariſſen’s behaglicher Stube, in welche eine ſtarke
Grippe ihre mütterliche Freundin gebannt und das
fröhliche Kind gleichſam zu einer Mitgefangenen ge-
macht hat. Das Gefängniß der Beiden iſt ungemein
traulich. Ein ſchmuckes, geräumiges Gemach, wohnlich,
ja elegant eingerichtet. Bequeme Seſſel ſtehen an den
Fenſtern, von denen eines eine Thür bildet, welche
direct ins Freie führt auf einen ſauberen mit Marquiſen
verhangenen Balcon. Wenige Schritte führen von dort
hinab in ein Gärtchen, wo ſachte ein Springbrunnen
plätſcherte. Gewöhnlich war’s windſtill dort und ſonnig,
immer aber die Ausſicht herrlich. Clariſſe freute ſich
ihrer tagtäglich in ihrer ſtillen Weiſe. Willig fand ſie
ſich in den Stubenarreſt, den ihr der Arzt bei der
kühlen Witterung auferlegt. Durfte ſie nicht auf den
Balcon, ſo ſaß ſie ſtundenlang am Fenſter und blickte
weit hinaus in das ſchöne Etſchland, weg über die
Stadtmauer, die Pappelallee auf dem Steindamme
längs der Paſſer, hinein in die Niederung, mit den
prächtigen von hundert kleinen Bächen durchzogenen
Wieſengründe bis zu den hohen Bergen. (Fortſ. folgt.)
_ Druck, Herausgabe und Verlag Ambr. Opitz, Wien. — Verantwortlicher Redacteur Hermann Hikiſch, Wien
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(2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.
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