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Reichspost. Nr. 130, Wien, 11.05.1908.

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Wien, Montag Reichspost 11. Mai 1908 Nr. 130

[Spaltenumbruch]
* Trauung.

Am 19. d., vormittags um 1/211 Uhr,
findet zu Wien bei St. Stephan die Vermählung der
Gräfin Maria Pauline Bellegarde mit dem Reichs-
grafen Franz Kinsky von Wchinitz und Tettau,
k. und k. Kämmerer und Leutnant i. d. R. des Dragoner-
regiments Fürst zu Windischgrätz Nr. 14, statt. Die Braut
ist die Tochter des Oberstküchenmeisters August Grafen
Bellegarde und weiland Henriette Gräfin Bellegarde, gebornen
Gräfin zu Larisch-Moennich. Der Bräutigam ist
ein Sohn weiland des Reichsgrafen Friedrich Karl
Kinsky und der Reichsgräfin Sofie Kinsky, gebornen
Gräfin Mensdorff-Pouilly.

* Goldene Hochzeit des Grafen Hans Wilczek.

Samstag den 16. d. feiert Geheimrat Graf Hans Wilczek
mit seiner Gemahlin Gräfin Anna Wilczek auf seiner
Besitzung in Seebarn das Fest der goldenen Hochzeit.

* Lebensrettung eines flüchtenden Handwerks-
burschen.

Aus Perg wird uns berichtet: Am 8. d M.
sah der Nauführer Josef Sommer in Au eine Zille auf
der hochgehenden Donau abwärts treiben. Darin saß ein
Mann, der gegen die anstürmenden Wellen verzweifelt
kämpfte und im Wasserfahren vollkommen ungeübt war.
Die Gefahr erkennend, in der der Ruderer schwebte, sprang
Sommer in ein am Ufer verankertes Floß und wartete
hier auf das Vorbeikommen des gefährdeten Fahrzeuges.
Zum Glück gelang der Rettungsversuch. Der Nauführer
warf sich platt auf das Floß nieder, zog beim Vorüber-
kommen die Zille mit dem waghalsigen Ruderer in das
Floß und rettete so dem Unbekannten das Leben. Der
Gerettete gab an, Matthias Mayer zu heißen und aus Linz
zu stammen. Zwei gesprengte Schlösser an der Zille zeigten,
daß das Fahrzeug von seinem Verankerungsplatz gewaltsam
entfernt worden war. Der Zweck der Fahrt war ein
rasches Vorwärtskommen aus Furcht vor der Arretierung
bei einer Fußreise. Dem herbeigeholten Gendarm gegenüber
legitimierte sich Mayer als Matthias Marx aus Feteny in
Ungarn gebürtig, Bäckergehilfe. Er wurde dem hiesigen
Bezirksgericht eingeliefert.

* Todesfälle.

Der Inspektor des Jokeyklubs für
Osterreich Adolf Limlay, Gemahl der Hofopernsängerin
Frau Elise Elizza ist heute früh in seiner Wohnung,
III. Hintere Zollamtsstraße 3, plötzlich gestorben. -- In
Abbazia, wo er mit mehreren Freunden zur Erholung
weilte, ist gestern abends der Herausgeber und Chefredakteur
der Brauer- und Hopfenzeitung "Gambrinus", kaiserlicher
Rat Adolf Lichtblau, kurz vor Vollendung seines
64. Lebensjahres einem Schlaganfall erlegen.

* Der Jahrestag vom Frankfurter Frieden.

Man
meldet aus Frankfurt a. M. vom 10. d.: Heute, am
Jahrestage der Unterzeichnung des Frankfurter Friedens,
fand die feierliche Enthüllung des Bismarck-Denk-
mals
an der Promenade gegenüber dem Schauspiel-
hause statt.

* Anarchisten auf Reisen.

Aus Catania wird
gemeldet: Hier ist der Dampfer "Helvetia" aus Genua auf
der Fahrt nach dem Piräus eingetroffen. An Bord befanden
sich zehn deutsche und englische Anarchisten, welche von der
Genueser Polizei ausgewiesen worden waren. Da der
Dampfer in Catania drei Tage Aufenthalt nehmen mußte
und Fluchtgefahr bestand, wurden die Anarchisten trotz ihres
energischen Protestes von der Polizei in Haft ge-
nommen.

* Verfolgung eines Flüchtlings im Donaukanal.

Ein höchst aufregender Vorfall erregte Sonntag früh am
Ufer des Donaukanals riesiges Aufsehen. Um 7 Uhr ver-
ursachte der Hilfsarbeiter Karl Foitl anf der Landstraße,
Schlachthausgasse, einen argen Exzeß. Er sollte deshalb
arretiert werden, versetzte jedoch dem Sicherheitswachmann
einen Stoß und benützte seine Wirkung, um sich loszu-
reißen, zum Ufer des Donaukanals zu eilen und ins Wasser
zu springen. Foitl schwamm dem gegenüberliegenden Ufer
zu. Zwei Wachmänner, die vom Praterufer her die Szene
mitangesehen, machten sofort eine Zille los und rudertem
dem Schwimmer entgegen. Als Foitl die Wachmänner
sah, änderte er sofort seine Fluchtrichtung und schwamm
den Donaukanal hinab. Die Wachen ruderten ihm nach,
erreichten ihn und brachten ins ans Land. Der von Nässe
Triefende begann nun mit den Wachleuten
wieder zu raufen. Er zerrte die Wachleute an den Uniform-
röcken gegen das Ufer hin, so daß sie in Gefahr waren,
ins Wasser zu fallen. Mit Mühe konnte Foitl überwältigt
und gefesselt werden. Er wurde aufs Polizeikommissariat
gebracht. Während dieser Amtshandlung ist der Hilfs-
arbeiter Leopold Pospischil arretiert worden, weil er die
Menschenmenge, die sich angesammelt hatte, aufgefordert
hatte, den Foitl nicht arretieren zu lassen. Foitl wurde dem
Landesgericht eingeliefert.

* Die fliegende Brücke bei Klosterneuburg.

Man
meldet uns aus Klosterneuburg: Gestern nach-
mittags ist das Seil bei der fliegenden Brücke zwischen
Klosterneuburg und Korneuburg gerissen und die Brücke
selbst stromabwärts bis zum Pionierdepot getrieben worden,
wo die Anker Grund faßten. Verletzt wurde bei diesem
Unfall niemand.

* Selbstmordversuch im Eisenbahnwagen.

In
einem Nichtrauchercoupe 3. Klasse wurde am 10. d. M.
früh um 5 Uhr 40 Minuten beim Eintreffen des Triester
Zuges ein Bursche bewußtlos auf der Bank liegend aufge-
funden. Er hatte sich aus einem sechsläufigen Revolver eine
Kugel in die Herzgegend gejagt, wodurch er sich lebens-
gefährlich verletzte. Auf Grund einer Zeitkarte der Ver-
bindungsbahn, die der junge Mann bei sich hatte, wurde
seine Identität mit dem Schlossergehilfen Wenzel J. fest-
gestellt. J., welcher den Selbstmordversuch wegen unglück-
licher Liebe verübt haben soll, wurde auswaggoniert und in
das Wiedener Krankenhaus gebracht.

* Räuberischer Ueberfall.

Aus Klosterneu-
burg
wird unter dem 9. d. gemeldet: Samstag nach-
mittags gegen 3 Uhr fand der in der Martinstraße wohn-
hafte Fleischermeister Theodor Brunner, von St. Andrä-
Wördern kommend, außerhalb der Irrenanstalt Kierling-
Gugging, im Straßengraben liegend, einen Mann, der nur
mit den Unterkleidern bekleidet war und um den sich bereits
zwei Aerzte, die auch zufällig des Weges gekommen waren,
bemühten, da er von schweren Herzkrampf-
anfällen
befallen wurde. Ueber Ersuchen der beiden
Doktoren nahm Brunner den unbekannten Mann, der der
deutschen Sprache nicht mächtig war und anscheinend bosnia-
kischer Abstammung ist, mit nach Klosterneuburg und führte
[Spaltenumbruch] ihn ins allgemeine Krankenhaus. Daselbst gab der Un-
bekannte einem herbeigerufenen Dolmetsch an, Jakob
Ragetto zu heißen und von Hamburg zu kommen.
Ueber weiteres Befragen erzählte er, er habe sich
auf dem Platze, wo er gefunden wurde, stark ermüdet ge-
fühlt und sich seitwärts der Straße niedergelegt, um aus-
zuruhen, wobei er eingeschlafen sei. Plötzlich sei er von
drei Burschen überfallen worden, die ihn mit Steinen so
lange auf den Kopf schlugen, bis er ohnmächtig wurde. Als
er wieder zu sich kam, war er seines Oberrockes, Hutes,
seiner bei sich gehabten Dokumente und eines Betrages von
130 Mark Bargeld, welche er angibt in Hamburg vom
Konsulate erhalten zu haben, beraubt.

* Große Papst- und Kaiserfeier.

Man schreibt uns
aus Littau: Am 17. d. M. wird in Chudwein bei
Littau, Mähren, eine imposante Jubiläumsfeier gehalten,
bei welcher Weihbischof Dr. Wisnar pontifizieren, Abg.
Dr. Stojan predigen, nachmittags in der Festversammlung
die Abgeordneten Schramek, Dr. Hruban,
Kadlcak, Sillinger
sprechen werden.

* Erdbeben auf Sizilien.

Man meldet aus Ca-
tania
vom 10. d.: In den Ortschaften Malati, Guzzi,
Mortaro und Scilichente des Distriktes Acireale wurden
gestern mehrere Häuser durch einen sehr
starken Erdstoß schwer beschädigt.
Einige
Mauern stürzten ein. Menschenleben sind nicht zu be-
klagen.

* Theaterdirektor Karl Rosenheim gestorben.

Am
Samstag den 9. d., abends kurz vor 11 Uhr, ist in einem
Sanatorium in Hietzing der Direktor des Raimundtheaters
Karl Rosenheim im 51. Lebensjahre verschieden.
Direktor Rosenheim war vor zwei Wochen an einem Darm-
leiden erkrankt und befand sich seit etwa Wochenfrist in dem
Sanatorium, wo er sich vor mehreren Tagen einer schwie-
rigen Operation unterziehen mußte. Die Operation schien
bereits glücklich überstanden, doch Samstag abends stellte
sich Herzschwäche ein, der der Kranke erlag. Die Leiche
wurde nach dem Zentralfriedhofe überführt und heute
(Montag) mittags dort bestattet werden.

* Einbruch bei einem Juwelier.

Im Uhrmacher-
geschäfte des Heinrich Stock, Taborstraße Nr. 55, ist in der
Nacht auf Montag ein verwegener Einbruchsdiebstahl ver-
übt worden, bei dem Pretiosen um etwa 20.000 Kronen
gestohlen wurden. Die Gauner sind von einem Keller aus
in das benachbarte Pfaidlergeschäft eingebrochen und ge-
langten dann, nachdem sie die gemeinschaftliche Mauer
durchbrochen, in das Juwelengeschäft. Einen an die Wand
genagelter Kasten, der minderwertige Sachen enthielt,
warfen sie um. Die Schaukasten sperrten sie auf und
nahmen drei Tabletten herab. Von diesen stahlen sie den
gesamten Schmuck. Die leeren Tabletten legten sie auf dem
Verkaufspult übereinander. Dann stahlen sie die Pretiosen,
die zur Reparatur gegeben waren. Nach dem Diebstahl
zogen sich die Gauner durch den Pfaidlerladen wieder in
den Keller zurück, gingen dann über die Stiege in die
Einfahrt, öffneten das Haustor mit Nachschlüssel und er-
griffen die Flucht.

* Schwere Ausschreitung eines Soldaten.

Aus
Triest, 10. d., wird uns gemeldet: Ein aufsehenerregender
Vorfall spielte sich gestern abends, wie dem "Piccolo" ge-
meldet wird, in der Marinekaserne in Pola
ab. Beim Rapport ließ sich der Marineoffizier Dietrich
von Sachsenfels
den Marinesoldaten (Professionisten)
Franz Janke von der 15. Kompagnie vorführen, den der
taghabende Korporal zum Rapport gemeldet hatte, weil
Janke sich geweigert hatte, seinem Befehl gemäß die
Montur zu putzen. Janke, ein gewalttätiges Individuum,
benahm sich dem Offizier gegenüber höchst dißiplinwidrig
und weigerte sich unter anderem, die vorgeschriebene Habt-
Acht-Stellung einzunehmen. Als der Offizier ihm sieben
Tage strengen Arrest diktierte, stieß Janke wüste Schimpf-
worte aus und stürzte schließlich mit geballten Fäusten auf
den Offizier los. Dieser zog seinen Säbel und versetzte dem
Soldaten einen Hieb über den Kopf, sodaß Janke zu Boden
stürzte. Janke wurde ins Marinespital gebracht. Seine Ver-
letzung ist nicht schwer. Nach seiner Genesung wird er ins
Marinegefängnis gebracht.




Eine Joh. Nep. Vogl-Feier.
Enthüllung einer Gedenktafel.

Am Sonntag vormittags wurde an dem Neubau des
Hauses Alserstraße, Ecke Skodagasse, eine Gedenktafel für
den Dichter Joh. Nep. Vogl enthüllt, der in dem früher
dort befindlichen Hause am 16. November 1866 gestorben
ist. Zur Feierlichkeit fanden sich ein: Sektionschef v. Hesch,
Polizeipräsident Brzesowski, Statthaltereivizeprästdent
Tils, Präsident des Abgeordnetenhauses Dr. Weis-
kirchner,
Landessanitätsreferent Statthaltereirat Neto-
litzky,
Reichsratsabgeordneter Dr. Heilinger, die Vize-
bürgermeister Dr. Neumayer und Hierhammer,
Stadtrat Gsottbauer, Landesschulinspektor Doktor
Rieger, Bezirksvorsteher Antensteiner mit seinem
Stellvertreter Schneeweiß, Statthaltereirat Baron
Winkler, der Vorstand des Wiener Männergesangvereines
Dr. Krückl, Gesangsdirektor Weltner, Schulrat
Professor Haßlwander, Rechnungsrat Fetzmann,
die Bezirksräte Oskar Appel, Oberrechnungsrat
Walter, Kaller, Bart und Partch, der Obmann
des Armeninstitutes Josefstadt Hermann Resch, Uni-
versitätsprofessor Johann Wilibald Nagl und Professor
Dr. Castle, Schottenprofessor Meinrad Sadil,
Bezirksamtsleiter Magistratsrat Dr. Stibitz, Gemeinde-
rat Stangelberger u. s. w. Von der Familie
Vogls war seine Stieftochter Frl. Oesterlein erschienen.

Die Feier wurde mit dem Vortrage von Beethovens
"Ehre Gottes" eingeleitet. Dann bestieg der Vorstand des
Wiener Sängerbundes Magistratsrat Hanisch die
Rednerbühne und hielt die Gedenkrede, in der er Vogls
Lebenslauf schilderte und einen Appell an die städtischen
und Schulbehörden richtete, die volkstümliche Gesamtaus-
gabe der Voglschen Werke, die demnächst erscheinen werden,
anzukaufen. Magistratsrat Hanisch bat dann den Vizebürger-
meister Dr. Neumayer, das Zeichen zur Enthüllung zu geben.
Dr. Neumayer entschuldigte die Abwesenheit des Bür-
germeisters Dr. Lueger und hielt dann eine Ansprache, in der er
die längste Zeit seines Lebens zugebracht hat. Er verdiene
den Dank der Stadt Wien im vollsten Maße. Dr. Neu-
mayer gab dann das Zeichen zum Fallen der Hülle. Im
[Spaltenumbruch] zweiten Stockwerke senkte sich ein Vorhang und die Marmor-
tafel mit der Goldschrift: "An dieser Stelle stand das
Wohnhaus des Dichters Dr. Johann Nep. Vogl. Er
starb hier am 15. November 1866." wurde sichtbar. Die
Sänger stimmten Vogls "Letzte Treue", vertont von
A. M. Storch, an und sangen dann noch, begleitet vom
Waldhornquartett Lehner, Vogls "Grün", gleichfalls vertont
von A. M. Storch. Dann sprach noch BV. Anten-
steiner
einige Worte des Dankes, und um 3/412 Uhr
schloß die schlichte Feier.




Mord in der Leopoldstadt.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde in
der Tandelmarktgasse, wenige Schritte vom Polizeikommissa-
riate Leopoldstadt, eine grauenhafte Mordtat verübt, de[r]
eine unter sittenpolizeilicher Kontrolle stehende Frauens-
person zum Opfer fiel. Der Täter ist ein achtzehnjähriger
Bursche, der sich am Morgen nach dem Morde selbst der
Polizei stellte.

Innerhalb weniger Monate sind also in Wien zwei
Attentate unter ganz gleichen Umständen verübt worden
von denen das erstere bekanntlich nicht mit dem Tode des
Opfers endete; diese rasche Aufeinanderfolge und di[e]
Gleichartigkeit der Bluttaten wirft ein grelles Licht auf
die Sittlichkeitsverhältnisse Wiens. In beiden Fällen waren
die Täter junge Bursche, die erst kurze Zeit der Schule
entwachsen sind und von ihrem Verdienste kaum ihren Lebens-
unterhalt decken konnten, dabei aber schon einen erschrecken-
Tiefpunkt moralischer Verkommenheit und Verlotterung er-
reicht hatten; und bei jedem der Attentate erscheinen als
die Opfer verworfene käufliche Frauenspersonen der niedrig-
sten Sorte, Angehörige des Schandgewerbes, in dessen
Sumpfe die Moral und auch die bürgerliche Existenz so
vieler junger Leute aus den unteren Ständen zu-
grunde geht.

Ueber die Tat wird berichtet:

Der Schauplatz des Mordes ist das Haus der Tandel-
marktgasse Nr. 20. Außer dem Hausherrn und der
Hausmeisterin wohnen dort bloß Mädchen, die unter
Kontrolle der Sittenpolizei stehen. Charakteristisch für
das Haus ist der Umstand, daß nicht einmal die Gas-
beleuchtung eingeführt ist und daß die Mädchen zur Be-
leuchtung des hölzernen Ganges noch wie in der Vorzeit
Laternen verwenden. Im zweiten Stocke des Hauses wohnte
die 24jährige Rosa Goldstein. Sie hatte ein armseliges
Quartier mit dürftiger Einrichtung und gehörte zu jener
Sorte von Mädchen, die sich des Nachts in der Tabor-
straße und ihrer Umgebung herumtreiben und sich Besucher
mitbringen. Ihr gegenüber wohnte eine Freundin Josefine
Schwarz. Durch diese wurde das Verbrechen eigentlich
entdeckt.

Die Entdeckung der Tat.

Die Lampe auf dem hölzernen Gang war verlöscht
und die Schwarz, die das bemerkte, wollte sie wieder an-
zünden. Sie hatte keine Zündhölzchen in der Wohnung und
wollte daher die Goldstein um Zündhölzchen bitten. Als sie
zu ihrer Wohnung kam -- es war 1 Uhr morgens -- be-
merkte sie die Türe einen Fingerbreit offen stehen. Sie ver-
suchte zu öffnen, glaubte jedoch, einen Widerstand von innen
zu spüren, als ob jemand die Türe von innen zuhielte. Sie
kehrte sich weiter nicht daran und ging in ihre Wohnung
zurück. Gegen 1/23 Uhr früh machte sie zum zweiten Male
den Versuch, von der Goldstein Zündhölzchen zu bekommen.
Diesmal konnte sie die Türe öffnen. Sie sah ins Zimmer
und bemerkte, daß die Lampe brenne und daß Kleidungs-
stücke der Goldstein auf dem Tische liegen. Das rief
Bedenken wach und sie alarmierte die vor dem Hause
patrouillierenden Mädchen, die im Vereine mit einem
Mann in die Wohnung drangen und auf dem Divan den
leblosen Körper der Goldstein fanden.

Man glaubte zuerst, daß die Goldstein von Ohnmacht
befallen worden sei. Man rief sie an, doch kein Zeichen
von Leben war zu bemerken. Als eines der Mädchen sie
berührte, zeigte es sich, daß der Körper bereits kalt war,
und nun gab es keinen Zweifel mehr, daß sie tot sei.

Die Mädchen des Hauses eilten zum nahegelegenen
Polizeikommissariate Leopoldstadt, und zuerst begaben sich
Sicherheitswachinspektor Erler und Sicherheitswachmann
Joksch in das Haus. Sie entdeckten bei näherer Besich-
tigung der Toten, daß Rosa Goldstein um den Hals ein
ziemlich fest geknotetes Bändchen geschlungen hatte. Obwohl
Wiederbelebungsversuche aussichtslos erschienen, wurde doch
ärztliche Hilfe requiriert, der Inspektionsarzt konnte jedoch
nur mehr feststellen, daß der Tod schon nach 1 Uhr nachts
eingetreten sein dürfte. Am Halse der Leiche fanden sich
zahlreiche Kratzwunden.

Die behördliche Kommission am Tatorte.

Indessen hatten sich vom Polizeikommissariat
Leopoldstadt Bezirksleiter Regierungsrat Kenda
und ein Polizeikommissär mit dem Polizeiarzt und eine
Anzahl Polizeiagenten eingefunden und auch Re-
gierungsrat Stukart fand sich alsbald ein und leitete
die Erhebungen, während die Polizeiagenten die Mäd-
chen einvernahmen. Schon der erste Augenschein hatte
einen Mord als nahezu feststehend erscheinen lassen, und
als Mörder konnte nur ein junger Mann mit blondem
Haar in Betracht kommen, der zuletzt in Gesellschaft der
Goldstein gesehen worden ist. Durch verschiedene Ein-
vernahmen konnte eine annähernde Personsbeschreibung fest-
gestellt werden, die unverzüglich allen Wachorganen zuging.
Auch die Staatsanwaltschaft wurde verständigt und schon
in den frühen Morgenstunden fand sich eine Gerichts-
kommission, bestehend aus dem Gerichtsadjunkten Dr.
Schaupp, Staatsanwaltssubstitut Dr. Langer und Pro-
fessor Habrda, mit einem Schriftführer auf dem Tatorte
ein. Der Lokalaugenschein ergab, daß die Unglückliche
von rückwärts mit den bloßen Händen
erwürgt worden war.
Die Abdrücke der Nägel
waren auf dem Halse wahrzunehmen. Den Tod der Gold-
stein dürfte lediglich das Würgen verursacht haben. Erst
als sie schon tot war, mußte der Mörder das Band um den
Hals geschlungen haben.

Die Selbststellung des Mörders.

Während die Suche nach dem Mörder in vollem Gange
war, hat sich dieser der Polizeidirektion selbst ge-
stellt.
Gegen 5 Uhr früh trat nämlich ein Bursche, der
auffallend blaß aussah und an allen Gliedern zu zittern

Wien, Montag Reichspoſt 11. Mai 1908 Nr. 130

[Spaltenumbruch]
* Trauung.

Am 19. d., vormittags um ½11 Uhr,
findet zu Wien bei St. Stephan die Vermählung der
Gräfin Maria Pauline Bellegarde mit dem Reichs-
grafen Franz Kinsky von Wchinitz und Tettau,
k. und k. Kämmerer und Leutnant i. d. R. des Dragoner-
regiments Fürſt zu Windiſchgrätz Nr. 14, ſtatt. Die Braut
iſt die Tochter des Oberſtküchenmeiſters Auguſt Grafen
Bellegarde und weiland Henriette Gräfin Bellegarde, gebornen
Gräfin zu Lariſch-Moennich. Der Bräutigam iſt
ein Sohn weiland des Reichsgrafen Friedrich Karl
Kinsky und der Reichsgräfin Sofie Kinsky, gebornen
Gräfin Mensdorff-Pouilly.

* Goldene Hochzeit des Grafen Hans Wilczek.

Samstag den 16. d. feiert Geheimrat Graf Hans Wilczek
mit ſeiner Gemahlin Gräfin Anna Wilczek auf ſeiner
Beſitzung in Seebarn das Feſt der goldenen Hochzeit.

* Lebensrettung eines flüchtenden Handwerks-
burſchen.

Aus Perg wird uns berichtet: Am 8. d M.
ſah der Nauführer Joſef Sommer in Au eine Zille auf
der hochgehenden Donau abwärts treiben. Darin ſaß ein
Mann, der gegen die anſtürmenden Wellen verzweifelt
kämpfte und im Waſſerfahren vollkommen ungeübt war.
Die Gefahr erkennend, in der der Ruderer ſchwebte, ſprang
Sommer in ein am Ufer verankertes Floß und wartete
hier auf das Vorbeikommen des gefährdeten Fahrzeuges.
Zum Glück gelang der Rettungsverſuch. Der Nauführer
warf ſich platt auf das Floß nieder, zog beim Vorüber-
kommen die Zille mit dem waghalſigen Ruderer in das
Floß und rettete ſo dem Unbekannten das Leben. Der
Gerettete gab an, Matthias Mayer zu heißen und aus Linz
zu ſtammen. Zwei geſprengte Schlöſſer an der Zille zeigten,
daß das Fahrzeug von ſeinem Verankerungsplatz gewaltſam
entfernt worden war. Der Zweck der Fahrt war ein
raſches Vorwärtskommen aus Furcht vor der Arretierung
bei einer Fußreiſe. Dem herbeigeholten Gendarm gegenüber
legitimierte ſich Mayer als Matthias Marx aus Feteny in
Ungarn gebürtig, Bäckergehilfe. Er wurde dem hieſigen
Bezirksgericht eingeliefert.

* Todesfälle.

Der Inſpektor des Jokeyklubs für
Oſterreich Adolf Limlay, Gemahl der Hofopernſängerin
Frau Eliſe Elizza iſt heute früh in ſeiner Wohnung,
III. Hintere Zollamtsſtraße 3, plötzlich geſtorben. — In
Abbazia, wo er mit mehreren Freunden zur Erholung
weilte, iſt geſtern abends der Herausgeber und Chefredakteur
der Brauer- und Hopfenzeitung „Gambrinus“, kaiſerlicher
Rat Adolf Lichtblau, kurz vor Vollendung ſeines
64. Lebensjahres einem Schlaganfall erlegen.

* Der Jahrestag vom Frankfurter Frieden.

Man
meldet aus Frankfurt a. M. vom 10. d.: Heute, am
Jahrestage der Unterzeichnung des Frankfurter Friedens,
fand die feierliche Enthüllung des Bismarck-Denk-
mals
an der Promenade gegenüber dem Schauſpiel-
hauſe ſtatt.

* Anarchiſten auf Reiſen.

Aus Catania wird
gemeldet: Hier iſt der Dampfer „Helvetia“ aus Genua auf
der Fahrt nach dem Piräus eingetroffen. An Bord befanden
ſich zehn deutſche und engliſche Anarchiſten, welche von der
Genueſer Polizei ausgewieſen worden waren. Da der
Dampfer in Catania drei Tage Aufenthalt nehmen mußte
und Fluchtgefahr beſtand, wurden die Anarchiſten trotz ihres
energiſchen Proteſtes von der Polizei in Haft ge-
nommen.

* Verfolgung eines Flüchtlings im Donaukanal.

Ein höchſt aufregender Vorfall erregte Sonntag früh am
Ufer des Donaukanals rieſiges Aufſehen. Um 7 Uhr ver-
urſachte der Hilfsarbeiter Karl Foitl anf der Landſtraße,
Schlachthausgaſſe, einen argen Exzeß. Er ſollte deshalb
arretiert werden, verſetzte jedoch dem Sicherheitswachmann
einen Stoß und benützte ſeine Wirkung, um ſich loszu-
reißen, zum Ufer des Donaukanals zu eilen und ins Waſſer
zu ſpringen. Foitl ſchwamm dem gegenüberliegenden Ufer
zu. Zwei Wachmänner, die vom Praterufer her die Szene
mitangeſehen, machten ſofort eine Zille los und rudertem
dem Schwimmer entgegen. Als Foitl die Wachmänner
ſah, änderte er ſofort ſeine Fluchtrichtung und ſchwamm
den Donaukanal hinab. Die Wachen ruderten ihm nach,
erreichten ihn und brachten ins ans Land. Der von Näſſe
Triefende begann nun mit den Wachleuten
wieder zu raufen. Er zerrte die Wachleute an den Uniform-
röcken gegen das Ufer hin, ſo daß ſie in Gefahr waren,
ins Waſſer zu fallen. Mit Mühe konnte Foitl überwältigt
und gefeſſelt werden. Er wurde aufs Polizeikommiſſariat
gebracht. Während dieſer Amtshandlung iſt der Hilfs-
arbeiter Leopold Poſpiſchil arretiert worden, weil er die
Menſchenmenge, die ſich angeſammelt hatte, aufgefordert
hatte, den Foitl nicht arretieren zu laſſen. Foitl wurde dem
Landesgericht eingeliefert.

* Die fliegende Brücke bei Kloſterneuburg.

Man
meldet uns aus Kloſterneuburg: Geſtern nach-
mittags iſt das Seil bei der fliegenden Brücke zwiſchen
Kloſterneuburg und Korneuburg geriſſen und die Brücke
ſelbſt ſtromabwärts bis zum Pionierdepot getrieben worden,
wo die Anker Grund faßten. Verletzt wurde bei dieſem
Unfall niemand.

* Selbſtmordverſuch im Eiſenbahnwagen.

In
einem Nichtrauchercoupé 3. Klaſſe wurde am 10. d. M.
früh um 5 Uhr 40 Minuten beim Eintreffen des Trieſter
Zuges ein Burſche bewußtlos auf der Bank liegend aufge-
funden. Er hatte ſich aus einem ſechsläufigen Revolver eine
Kugel in die Herzgegend gejagt, wodurch er ſich lebens-
gefährlich verletzte. Auf Grund einer Zeitkarte der Ver-
bindungsbahn, die der junge Mann bei ſich hatte, wurde
ſeine Identität mit dem Schloſſergehilfen Wenzel J. feſt-
geſtellt. J., welcher den Selbſtmordverſuch wegen unglück-
licher Liebe verübt haben ſoll, wurde auswaggoniert und in
das Wiedener Krankenhaus gebracht.

* Räuberiſcher Ueberfall.

Aus Kloſterneu-
burg
wird unter dem 9. d. gemeldet: Samstag nach-
mittags gegen 3 Uhr fand der in der Martinſtraße wohn-
hafte Fleiſchermeiſter Theodor Brunner, von St. Andrä-
Wördern kommend, außerhalb der Irrenanſtalt Kierling-
Gugging, im Straßengraben liegend, einen Mann, der nur
mit den Unterkleidern bekleidet war und um den ſich bereits
zwei Aerzte, die auch zufällig des Weges gekommen waren,
bemühten, da er von ſchweren Herzkrampf-
anfällen
befallen wurde. Ueber Erſuchen der beiden
Doktoren nahm Brunner den unbekannten Mann, der der
deutſchen Sprache nicht mächtig war und anſcheinend bosnia-
kiſcher Abſtammung iſt, mit nach Kloſterneuburg und führte
[Spaltenumbruch] ihn ins allgemeine Krankenhaus. Daſelbſt gab der Un-
bekannte einem herbeigerufenen Dolmetſch an, Jakob
Ragetto zu heißen und von Hamburg zu kommen.
Ueber weiteres Befragen erzählte er, er habe ſich
auf dem Platze, wo er gefunden wurde, ſtark ermüdet ge-
fühlt und ſich ſeitwärts der Straße niedergelegt, um aus-
zuruhen, wobei er eingeſchlafen ſei. Plötzlich ſei er von
drei Burſchen überfallen worden, die ihn mit Steinen ſo
lange auf den Kopf ſchlugen, bis er ohnmächtig wurde. Als
er wieder zu ſich kam, war er ſeines Oberrockes, Hutes,
ſeiner bei ſich gehabten Dokumente und eines Betrages von
130 Mark Bargeld, welche er angibt in Hamburg vom
Konſulate erhalten zu haben, beraubt.

* Große Papſt- und Kaiſerfeier.

Man ſchreibt uns
aus Littau: Am 17. d. M. wird in Chudwein bei
Littau, Mähren, eine impoſante Jubiläumsfeier gehalten,
bei welcher Weihbiſchof Dr. Wisnar pontifizieren, Abg.
Dr. Stojan predigen, nachmittags in der Feſtverſammlung
die Abgeordneten Schramek, Dr. Hruban,
Kadlcak, Sillinger
ſprechen werden.

* Erdbeben auf Sizilien.

Man meldet aus Ca-
tania
vom 10. d.: In den Ortſchaften Malati, Guzzi,
Mortaro und Scilichente des Diſtriktes Acireale wurden
geſtern mehrere Häuſer durch einen ſehr
ſtarken Erdſtoß ſchwer beſchädigt.
Einige
Mauern ſtürzten ein. Menſchenleben ſind nicht zu be-
klagen.

* Theaterdirektor Karl Roſenheim geſtorben.

Am
Samstag den 9. d., abends kurz vor 11 Uhr, iſt in einem
Sanatorium in Hietzing der Direktor des Raimundtheaters
Karl Roſenheim im 51. Lebensjahre verſchieden.
Direktor Roſenheim war vor zwei Wochen an einem Darm-
leiden erkrankt und befand ſich ſeit etwa Wochenfriſt in dem
Sanatorium, wo er ſich vor mehreren Tagen einer ſchwie-
rigen Operation unterziehen mußte. Die Operation ſchien
bereits glücklich überſtanden, doch Samstag abends ſtellte
ſich Herzſchwäche ein, der der Kranke erlag. Die Leiche
wurde nach dem Zentralfriedhofe überführt und heute
(Montag) mittags dort beſtattet werden.

* Einbruch bei einem Juwelier.

Im Uhrmacher-
geſchäfte des Heinrich Stock, Taborſtraße Nr. 55, iſt in der
Nacht auf Montag ein verwegener Einbruchsdiebſtahl ver-
übt worden, bei dem Pretioſen um etwa 20.000 Kronen
geſtohlen wurden. Die Gauner ſind von einem Keller aus
in das benachbarte Pfaidlergeſchäft eingebrochen und ge-
langten dann, nachdem ſie die gemeinſchaftliche Mauer
durchbrochen, in das Juwelengeſchäft. Einen an die Wand
genagelter Kaſten, der minderwertige Sachen enthielt,
warfen ſie um. Die Schaukaſten ſperrten ſie auf und
nahmen drei Tabletten herab. Von dieſen ſtahlen ſie den
geſamten Schmuck. Die leeren Tabletten legten ſie auf dem
Verkaufspult übereinander. Dann ſtahlen ſie die Pretioſen,
die zur Reparatur gegeben waren. Nach dem Diebſtahl
zogen ſich die Gauner durch den Pfaidlerladen wieder in
den Keller zurück, gingen dann über die Stiege in die
Einfahrt, öffneten das Haustor mit Nachſchlüſſel und er-
griffen die Flucht.

* Schwere Ausſchreitung eines Soldaten.

Aus
Trieſt, 10. d., wird uns gemeldet: Ein aufſehenerregender
Vorfall ſpielte ſich geſtern abends, wie dem „Piccolo“ ge-
meldet wird, in der Marinekaſerne in Pola
ab. Beim Rapport ließ ſich der Marineoffizier Dietrich
von Sachſenfels
den Marineſoldaten (Profeſſioniſten)
Franz Janke von der 15. Kompagnie vorführen, den der
taghabende Korporal zum Rapport gemeldet hatte, weil
Janke ſich geweigert hatte, ſeinem Befehl gemäß die
Montur zu putzen. Janke, ein gewalttätiges Individuum,
benahm ſich dem Offizier gegenüber höchſt diſziplinwidrig
und weigerte ſich unter anderem, die vorgeſchriebene Habt-
Acht-Stellung einzunehmen. Als der Offizier ihm ſieben
Tage ſtrengen Arreſt diktierte, ſtieß Janke wüſte Schimpf-
worte aus und ſtürzte ſchließlich mit geballten Fäuſten auf
den Offizier los. Dieſer zog ſeinen Säbel und verſetzte dem
Soldaten einen Hieb über den Kopf, ſodaß Janke zu Boden
ſtürzte. Janke wurde ins Marineſpital gebracht. Seine Ver-
letzung iſt nicht ſchwer. Nach ſeiner Geneſung wird er ins
Marinegefängnis gebracht.




Eine Joh. Nep. Vogl-Feier.
Enthüllung einer Gedenktafel.

Am Sonntag vormittags wurde an dem Neubau des
Hauſes Alſerſtraße, Ecke Skodagaſſe, eine Gedenktafel für
den Dichter Joh. Nep. Vogl enthüllt, der in dem früher
dort befindlichen Hauſe am 16. November 1866 geſtorben
iſt. Zur Feierlichkeit fanden ſich ein: Sektionschef v. Heſch,
Polizeipräſident Brzeſowski, Statthaltereivizepräſtdent
Tils, Präſident des Abgeordnetenhauſes Dr. Weis-
kirchner,
Landesſanitätsreferent Statthaltereirat Neto-
litzky,
Reichsratsabgeordneter Dr. Heilinger, die Vize-
bürgermeiſter Dr. Neumayer und Hierhammer,
Stadtrat Gſottbauer, Landesſchulinſpektor Doktor
Rieger, Bezirksvorſteher Antenſteiner mit ſeinem
Stellvertreter Schneeweiß, Statthaltereirat Baron
Winkler, der Vorſtand des Wiener Männergeſangvereines
Dr. Krückl, Geſangsdirektor Weltner, Schulrat
Profeſſor Haßlwander, Rechnungsrat Fetzmann,
die Bezirksräte Oskar Appel, Oberrechnungsrat
Walter, Kaller, Bart und Partch, der Obmann
des Armeninſtitutes Joſefſtadt Hermann Reſch, Uni-
verſitätsprofeſſor Johann Wilibald Nagl und Profeſſor
Dr. Caſtle, Schottenprofeſſor Meinrad Sadil,
Bezirksamtsleiter Magiſtratsrat Dr. Stibitz, Gemeinde-
rat Stangelberger u. ſ. w. Von der Familie
Vogls war ſeine Stieftochter Frl. Oeſterlein erſchienen.

Die Feier wurde mit dem Vortrage von Beethovens
„Ehre Gottes“ eingeleitet. Dann beſtieg der Vorſtand des
Wiener Sängerbundes Magiſtratsrat Haniſch die
Rednerbühne und hielt die Gedenkrede, in der er Vogls
Lebenslauf ſchilderte und einen Appell an die ſtädtiſchen
und Schulbehörden richtete, die volkstümliche Geſamtaus-
gabe der Voglſchen Werke, die demnächſt erſcheinen werden,
anzukaufen. Magiſtratsrat Haniſch bat dann den Vizebürger-
meiſter Dr. Neumayer, das Zeichen zur Enthüllung zu geben.
Dr. Neumayer entſchuldigte die Abweſenheit des Bür-
germeiſters Dr. Lueger und hielt dann eine Anſprache, in der er
die längſte Zeit ſeines Lebens zugebracht hat. Er verdiene
den Dank der Stadt Wien im vollſten Maße. Dr. Neu-
mayer gab dann das Zeichen zum Fallen der Hülle. Im
[Spaltenumbruch] zweiten Stockwerke ſenkte ſich ein Vorhang und die Marmor-
tafel mit der Goldſchrift: „An dieſer Stelle ſtand das
Wohnhaus des Dichters Dr. Johann Nep. Vogl. Er
ſtarb hier am 15. November 1866.“ wurde ſichtbar. Die
Sänger ſtimmten Vogls „Letzte Treue“, vertont von
A. M. Storch, an und ſangen dann noch, begleitet vom
Waldhornquartett Lehner, Vogls „Grün“, gleichfalls vertont
von A. M. Storch. Dann ſprach noch BV. Anten-
ſteiner
einige Worte des Dankes, und um ¾12 Uhr
ſchloß die ſchlichte Feier.




Mord in der Leopoldſtadt.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde in
der Tandelmarktgaſſe, wenige Schritte vom Polizeikommiſſa-
riate Leopoldſtadt, eine grauenhafte Mordtat verübt, de[r]
eine unter ſittenpolizeilicher Kontrolle ſtehende Frauens-
perſon zum Opfer fiel. Der Täter iſt ein achtzehnjähriger
Burſche, der ſich am Morgen nach dem Morde ſelbſt der
Polizei ſtellte.

Innerhalb weniger Monate ſind alſo in Wien zwei
Attentate unter ganz gleichen Umſtänden verübt worden
von denen das erſtere bekanntlich nicht mit dem Tode des
Opfers endete; dieſe raſche Aufeinanderfolge und di[e]
Gleichartigkeit der Bluttaten wirft ein grelles Licht auf
die Sittlichkeitsverhältniſſe Wiens. In beiden Fällen waren
die Täter junge Burſche, die erſt kurze Zeit der Schule
entwachſen ſind und von ihrem Verdienſte kaum ihren Lebens-
unterhalt decken konnten, dabei aber ſchon einen erſchrecken-
Tiefpunkt moraliſcher Verkommenheit und Verlotterung er-
reicht hatten; und bei jedem der Attentate erſcheinen als
die Opfer verworfene käufliche Frauensperſonen der niedrig-
ſten Sorte, Angehörige des Schandgewerbes, in deſſen
Sumpfe die Moral und auch die bürgerliche Exiſtenz ſo
vieler junger Leute aus den unteren Ständen zu-
grunde geht.

Ueber die Tat wird berichtet:

Der Schauplatz des Mordes iſt das Haus der Tandel-
marktgaſſe Nr. 20. Außer dem Hausherrn und der
Hausmeiſterin wohnen dort bloß Mädchen, die unter
Kontrolle der Sittenpolizei ſtehen. Charakteriſtiſch für
das Haus iſt der Umſtand, daß nicht einmal die Gas-
beleuchtung eingeführt iſt und daß die Mädchen zur Be-
leuchtung des hölzernen Ganges noch wie in der Vorzeit
Laternen verwenden. Im zweiten Stocke des Hauſes wohnte
die 24jährige Roſa Goldſtein. Sie hatte ein armſeliges
Quartier mit dürftiger Einrichtung und gehörte zu jener
Sorte von Mädchen, die ſich des Nachts in der Tabor-
ſtraße und ihrer Umgebung herumtreiben und ſich Beſucher
mitbringen. Ihr gegenüber wohnte eine Freundin Joſefine
Schwarz. Durch dieſe wurde das Verbrechen eigentlich
entdeckt.

Die Entdeckung der Tat.

Die Lampe auf dem hölzernen Gang war verlöſcht
und die Schwarz, die das bemerkte, wollte ſie wieder an-
zünden. Sie hatte keine Zündhölzchen in der Wohnung und
wollte daher die Goldſtein um Zündhölzchen bitten. Als ſie
zu ihrer Wohnung kam — es war 1 Uhr morgens — be-
merkte ſie die Türe einen Fingerbreit offen ſtehen. Sie ver-
ſuchte zu öffnen, glaubte jedoch, einen Widerſtand von innen
zu ſpüren, als ob jemand die Türe von innen zuhielte. Sie
kehrte ſich weiter nicht daran und ging in ihre Wohnung
zurück. Gegen ½3 Uhr früh machte ſie zum zweiten Male
den Verſuch, von der Goldſtein Zündhölzchen zu bekommen.
Diesmal konnte ſie die Türe öffnen. Sie ſah ins Zimmer
und bemerkte, daß die Lampe brenne und daß Kleidungs-
ſtücke der Goldſtein auf dem Tiſche liegen. Das rief
Bedenken wach und ſie alarmierte die vor dem Hauſe
patrouillierenden Mädchen, die im Vereine mit einem
Mann in die Wohnung drangen und auf dem Divan den
lebloſen Körper der Goldſtein fanden.

Man glaubte zuerſt, daß die Goldſtein von Ohnmacht
befallen worden ſei. Man rief ſie an, doch kein Zeichen
von Leben war zu bemerken. Als eines der Mädchen ſie
berührte, zeigte es ſich, daß der Körper bereits kalt war,
und nun gab es keinen Zweifel mehr, daß ſie tot ſei.

Die Mädchen des Hauſes eilten zum nahegelegenen
Polizeikommiſſariate Leopoldſtadt, und zuerſt begaben ſich
Sicherheitswachinſpektor Erler und Sicherheitswachmann
Jokſch in das Haus. Sie entdeckten bei näherer Beſich-
tigung der Toten, daß Roſa Goldſtein um den Hals ein
ziemlich feſt geknotetes Bändchen geſchlungen hatte. Obwohl
Wiederbelebungsverſuche ausſichtslos erſchienen, wurde doch
ärztliche Hilfe requiriert, der Inſpektionsarzt konnte jedoch
nur mehr feſtſtellen, daß der Tod ſchon nach 1 Uhr nachts
eingetreten ſein dürfte. Am Halſe der Leiche fanden ſich
zahlreiche Kratzwunden.

Die behördliche Kommiſſion am Tatorte.

Indeſſen hatten ſich vom Polizeikommiſſariat
Leopoldſtadt Bezirksleiter Regierungsrat Kenda
und ein Polizeikommiſſär mit dem Polizeiarzt und eine
Anzahl Polizeiagenten eingefunden und auch Re-
gierungsrat Stukart fand ſich alsbald ein und leitete
die Erhebungen, während die Polizeiagenten die Mäd-
chen einvernahmen. Schon der erſte Augenſchein hatte
einen Mord als nahezu feſtſtehend erſcheinen laſſen, und
als Mörder konnte nur ein junger Mann mit blondem
Haar in Betracht kommen, der zuletzt in Geſellſchaft der
Goldſtein geſehen worden iſt. Durch verſchiedene Ein-
vernahmen konnte eine annähernde Perſonsbeſchreibung feſt-
geſtellt werden, die unverzüglich allen Wachorganen zuging.
Auch die Staatsanwaltſchaft wurde verſtändigt und ſchon
in den frühen Morgenſtunden fand ſich eine Gerichts-
kommiſſion, beſtehend aus dem Gerichtsadjunkten Dr.
Schaupp, Staatsanwaltsſubſtitut Dr. Langer und Pro-
feſſor Habrda, mit einem Schriftführer auf dem Tatorte
ein. Der Lokalaugenſchein ergab, daß die Unglückliche
von rückwärts mit den bloßen Händen
erwürgt worden war.
Die Abdrücke der Nägel
waren auf dem Halſe wahrzunehmen. Den Tod der Gold-
ſtein dürfte lediglich das Würgen verurſacht haben. Erſt
als ſie ſchon tot war, mußte der Mörder das Band um den
Hals geſchlungen haben.

Die Selbſtſtellung des Mörders.

Während die Suche nach dem Mörder in vollem Gange
war, hat ſich dieſer der Polizeidirektion ſelbſt ge-
ſtellt.
Gegen 5 Uhr früh trat nämlich ein Burſche, der
auffallend blaß ausſah und an allen Gliedern zu zittern

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&#x017F;ich Herz&#x017F;chwäche ein, der der Kranke erlag. Die Leiche<lb/>
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[4/0004] Wien, Montag Reichspoſt 11. Mai 1908 Nr. 130 * Trauung. Am 19. d., vormittags um ½11 Uhr, findet zu Wien bei St. Stephan die Vermählung der Gräfin Maria Pauline Bellegarde mit dem Reichs- grafen Franz Kinsky von Wchinitz und Tettau, k. und k. Kämmerer und Leutnant i. d. R. des Dragoner- regiments Fürſt zu Windiſchgrätz Nr. 14, ſtatt. Die Braut iſt die Tochter des Oberſtküchenmeiſters Auguſt Grafen Bellegarde und weiland Henriette Gräfin Bellegarde, gebornen Gräfin zu Lariſch-Moennich. Der Bräutigam iſt ein Sohn weiland des Reichsgrafen Friedrich Karl Kinsky und der Reichsgräfin Sofie Kinsky, gebornen Gräfin Mensdorff-Pouilly. * Goldene Hochzeit des Grafen Hans Wilczek. Samstag den 16. d. feiert Geheimrat Graf Hans Wilczek mit ſeiner Gemahlin Gräfin Anna Wilczek auf ſeiner Beſitzung in Seebarn das Feſt der goldenen Hochzeit. * Lebensrettung eines flüchtenden Handwerks- burſchen. Aus Perg wird uns berichtet: Am 8. d M. ſah der Nauführer Joſef Sommer in Au eine Zille auf der hochgehenden Donau abwärts treiben. Darin ſaß ein Mann, der gegen die anſtürmenden Wellen verzweifelt kämpfte und im Waſſerfahren vollkommen ungeübt war. Die Gefahr erkennend, in der der Ruderer ſchwebte, ſprang Sommer in ein am Ufer verankertes Floß und wartete hier auf das Vorbeikommen des gefährdeten Fahrzeuges. Zum Glück gelang der Rettungsverſuch. Der Nauführer warf ſich platt auf das Floß nieder, zog beim Vorüber- kommen die Zille mit dem waghalſigen Ruderer in das Floß und rettete ſo dem Unbekannten das Leben. Der Gerettete gab an, Matthias Mayer zu heißen und aus Linz zu ſtammen. Zwei geſprengte Schlöſſer an der Zille zeigten, daß das Fahrzeug von ſeinem Verankerungsplatz gewaltſam entfernt worden war. Der Zweck der Fahrt war ein raſches Vorwärtskommen aus Furcht vor der Arretierung bei einer Fußreiſe. Dem herbeigeholten Gendarm gegenüber legitimierte ſich Mayer als Matthias Marx aus Feteny in Ungarn gebürtig, Bäckergehilfe. Er wurde dem hieſigen Bezirksgericht eingeliefert. * Todesfälle. Der Inſpektor des Jokeyklubs für Oſterreich Adolf Limlay, Gemahl der Hofopernſängerin Frau Eliſe Elizza iſt heute früh in ſeiner Wohnung, III. Hintere Zollamtsſtraße 3, plötzlich geſtorben. — In Abbazia, wo er mit mehreren Freunden zur Erholung weilte, iſt geſtern abends der Herausgeber und Chefredakteur der Brauer- und Hopfenzeitung „Gambrinus“, kaiſerlicher Rat Adolf Lichtblau, kurz vor Vollendung ſeines 64. Lebensjahres einem Schlaganfall erlegen. * Der Jahrestag vom Frankfurter Frieden. Man meldet aus Frankfurt a. M. vom 10. d.: Heute, am Jahrestage der Unterzeichnung des Frankfurter Friedens, fand die feierliche Enthüllung des Bismarck-Denk- mals an der Promenade gegenüber dem Schauſpiel- hauſe ſtatt. * Anarchiſten auf Reiſen. Aus Catania wird gemeldet: Hier iſt der Dampfer „Helvetia“ aus Genua auf der Fahrt nach dem Piräus eingetroffen. An Bord befanden ſich zehn deutſche und engliſche Anarchiſten, welche von der Genueſer Polizei ausgewieſen worden waren. Da der Dampfer in Catania drei Tage Aufenthalt nehmen mußte und Fluchtgefahr beſtand, wurden die Anarchiſten trotz ihres energiſchen Proteſtes von der Polizei in Haft ge- nommen. * Verfolgung eines Flüchtlings im Donaukanal. Ein höchſt aufregender Vorfall erregte Sonntag früh am Ufer des Donaukanals rieſiges Aufſehen. Um 7 Uhr ver- urſachte der Hilfsarbeiter Karl Foitl anf der Landſtraße, Schlachthausgaſſe, einen argen Exzeß. Er ſollte deshalb arretiert werden, verſetzte jedoch dem Sicherheitswachmann einen Stoß und benützte ſeine Wirkung, um ſich loszu- reißen, zum Ufer des Donaukanals zu eilen und ins Waſſer zu ſpringen. Foitl ſchwamm dem gegenüberliegenden Ufer zu. Zwei Wachmänner, die vom Praterufer her die Szene mitangeſehen, machten ſofort eine Zille los und rudertem dem Schwimmer entgegen. Als Foitl die Wachmänner ſah, änderte er ſofort ſeine Fluchtrichtung und ſchwamm den Donaukanal hinab. Die Wachen ruderten ihm nach, erreichten ihn und brachten ins ans Land. Der von Näſſe Triefende begann nun mit den Wachleuten wieder zu raufen. Er zerrte die Wachleute an den Uniform- röcken gegen das Ufer hin, ſo daß ſie in Gefahr waren, ins Waſſer zu fallen. Mit Mühe konnte Foitl überwältigt und gefeſſelt werden. Er wurde aufs Polizeikommiſſariat gebracht. Während dieſer Amtshandlung iſt der Hilfs- arbeiter Leopold Poſpiſchil arretiert worden, weil er die Menſchenmenge, die ſich angeſammelt hatte, aufgefordert hatte, den Foitl nicht arretieren zu laſſen. Foitl wurde dem Landesgericht eingeliefert. * Die fliegende Brücke bei Kloſterneuburg. Man meldet uns aus Kloſterneuburg: Geſtern nach- mittags iſt das Seil bei der fliegenden Brücke zwiſchen Kloſterneuburg und Korneuburg geriſſen und die Brücke ſelbſt ſtromabwärts bis zum Pionierdepot getrieben worden, wo die Anker Grund faßten. Verletzt wurde bei dieſem Unfall niemand. * Selbſtmordverſuch im Eiſenbahnwagen. In einem Nichtrauchercoupé 3. Klaſſe wurde am 10. d. M. früh um 5 Uhr 40 Minuten beim Eintreffen des Trieſter Zuges ein Burſche bewußtlos auf der Bank liegend aufge- funden. Er hatte ſich aus einem ſechsläufigen Revolver eine Kugel in die Herzgegend gejagt, wodurch er ſich lebens- gefährlich verletzte. Auf Grund einer Zeitkarte der Ver- bindungsbahn, die der junge Mann bei ſich hatte, wurde ſeine Identität mit dem Schloſſergehilfen Wenzel J. feſt- geſtellt. J., welcher den Selbſtmordverſuch wegen unglück- licher Liebe verübt haben ſoll, wurde auswaggoniert und in das Wiedener Krankenhaus gebracht. * Räuberiſcher Ueberfall. Aus Kloſterneu- burg wird unter dem 9. d. gemeldet: Samstag nach- mittags gegen 3 Uhr fand der in der Martinſtraße wohn- hafte Fleiſchermeiſter Theodor Brunner, von St. Andrä- Wördern kommend, außerhalb der Irrenanſtalt Kierling- Gugging, im Straßengraben liegend, einen Mann, der nur mit den Unterkleidern bekleidet war und um den ſich bereits zwei Aerzte, die auch zufällig des Weges gekommen waren, bemühten, da er von ſchweren Herzkrampf- anfällen befallen wurde. Ueber Erſuchen der beiden Doktoren nahm Brunner den unbekannten Mann, der der deutſchen Sprache nicht mächtig war und anſcheinend bosnia- kiſcher Abſtammung iſt, mit nach Kloſterneuburg und führte ihn ins allgemeine Krankenhaus. Daſelbſt gab der Un- bekannte einem herbeigerufenen Dolmetſch an, Jakob Ragetto zu heißen und von Hamburg zu kommen. Ueber weiteres Befragen erzählte er, er habe ſich auf dem Platze, wo er gefunden wurde, ſtark ermüdet ge- fühlt und ſich ſeitwärts der Straße niedergelegt, um aus- zuruhen, wobei er eingeſchlafen ſei. Plötzlich ſei er von drei Burſchen überfallen worden, die ihn mit Steinen ſo lange auf den Kopf ſchlugen, bis er ohnmächtig wurde. Als er wieder zu ſich kam, war er ſeines Oberrockes, Hutes, ſeiner bei ſich gehabten Dokumente und eines Betrages von 130 Mark Bargeld, welche er angibt in Hamburg vom Konſulate erhalten zu haben, beraubt. * Große Papſt- und Kaiſerfeier. Man ſchreibt uns aus Littau: Am 17. d. M. wird in Chudwein bei Littau, Mähren, eine impoſante Jubiläumsfeier gehalten, bei welcher Weihbiſchof Dr. Wisnar pontifizieren, Abg. Dr. Stojan predigen, nachmittags in der Feſtverſammlung die Abgeordneten Schramek, Dr. Hruban, Kadlcak, Sillinger ſprechen werden. * Erdbeben auf Sizilien. Man meldet aus Ca- tania vom 10. d.: In den Ortſchaften Malati, Guzzi, Mortaro und Scilichente des Diſtriktes Acireale wurden geſtern mehrere Häuſer durch einen ſehr ſtarken Erdſtoß ſchwer beſchädigt. Einige Mauern ſtürzten ein. Menſchenleben ſind nicht zu be- klagen. * Theaterdirektor Karl Roſenheim geſtorben. Am Samstag den 9. d., abends kurz vor 11 Uhr, iſt in einem Sanatorium in Hietzing der Direktor des Raimundtheaters Karl Roſenheim im 51. Lebensjahre verſchieden. Direktor Roſenheim war vor zwei Wochen an einem Darm- leiden erkrankt und befand ſich ſeit etwa Wochenfriſt in dem Sanatorium, wo er ſich vor mehreren Tagen einer ſchwie- rigen Operation unterziehen mußte. Die Operation ſchien bereits glücklich überſtanden, doch Samstag abends ſtellte ſich Herzſchwäche ein, der der Kranke erlag. Die Leiche wurde nach dem Zentralfriedhofe überführt und heute (Montag) mittags dort beſtattet werden. * Einbruch bei einem Juwelier. Im Uhrmacher- geſchäfte des Heinrich Stock, Taborſtraße Nr. 55, iſt in der Nacht auf Montag ein verwegener Einbruchsdiebſtahl ver- übt worden, bei dem Pretioſen um etwa 20.000 Kronen geſtohlen wurden. Die Gauner ſind von einem Keller aus in das benachbarte Pfaidlergeſchäft eingebrochen und ge- langten dann, nachdem ſie die gemeinſchaftliche Mauer durchbrochen, in das Juwelengeſchäft. Einen an die Wand genagelter Kaſten, der minderwertige Sachen enthielt, warfen ſie um. Die Schaukaſten ſperrten ſie auf und nahmen drei Tabletten herab. Von dieſen ſtahlen ſie den geſamten Schmuck. Die leeren Tabletten legten ſie auf dem Verkaufspult übereinander. Dann ſtahlen ſie die Pretioſen, die zur Reparatur gegeben waren. Nach dem Diebſtahl zogen ſich die Gauner durch den Pfaidlerladen wieder in den Keller zurück, gingen dann über die Stiege in die Einfahrt, öffneten das Haustor mit Nachſchlüſſel und er- griffen die Flucht. * Schwere Ausſchreitung eines Soldaten. Aus Trieſt, 10. d., wird uns gemeldet: Ein aufſehenerregender Vorfall ſpielte ſich geſtern abends, wie dem „Piccolo“ ge- meldet wird, in der Marinekaſerne in Pola ab. Beim Rapport ließ ſich der Marineoffizier Dietrich von Sachſenfels den Marineſoldaten (Profeſſioniſten) Franz Janke von der 15. Kompagnie vorführen, den der taghabende Korporal zum Rapport gemeldet hatte, weil Janke ſich geweigert hatte, ſeinem Befehl gemäß die Montur zu putzen. Janke, ein gewalttätiges Individuum, benahm ſich dem Offizier gegenüber höchſt diſziplinwidrig und weigerte ſich unter anderem, die vorgeſchriebene Habt- Acht-Stellung einzunehmen. Als der Offizier ihm ſieben Tage ſtrengen Arreſt diktierte, ſtieß Janke wüſte Schimpf- worte aus und ſtürzte ſchließlich mit geballten Fäuſten auf den Offizier los. Dieſer zog ſeinen Säbel und verſetzte dem Soldaten einen Hieb über den Kopf, ſodaß Janke zu Boden ſtürzte. Janke wurde ins Marineſpital gebracht. Seine Ver- letzung iſt nicht ſchwer. Nach ſeiner Geneſung wird er ins Marinegefängnis gebracht. Eine Joh. Nep. Vogl-Feier. Enthüllung einer Gedenktafel. Am Sonntag vormittags wurde an dem Neubau des Hauſes Alſerſtraße, Ecke Skodagaſſe, eine Gedenktafel für den Dichter Joh. Nep. Vogl enthüllt, der in dem früher dort befindlichen Hauſe am 16. November 1866 geſtorben iſt. Zur Feierlichkeit fanden ſich ein: Sektionschef v. Heſch, Polizeipräſident Brzeſowski, Statthaltereivizepräſtdent Tils, Präſident des Abgeordnetenhauſes Dr. Weis- kirchner, Landesſanitätsreferent Statthaltereirat Neto- litzky, Reichsratsabgeordneter Dr. Heilinger, die Vize- bürgermeiſter Dr. Neumayer und Hierhammer, Stadtrat Gſottbauer, Landesſchulinſpektor Doktor Rieger, Bezirksvorſteher Antenſteiner mit ſeinem Stellvertreter Schneeweiß, Statthaltereirat Baron Winkler, der Vorſtand des Wiener Männergeſangvereines Dr. Krückl, Geſangsdirektor Weltner, Schulrat Profeſſor Haßlwander, Rechnungsrat Fetzmann, die Bezirksräte Oskar Appel, Oberrechnungsrat Walter, Kaller, Bart und Partch, der Obmann des Armeninſtitutes Joſefſtadt Hermann Reſch, Uni- verſitätsprofeſſor Johann Wilibald Nagl und Profeſſor Dr. Caſtle, Schottenprofeſſor Meinrad Sadil, Bezirksamtsleiter Magiſtratsrat Dr. Stibitz, Gemeinde- rat Stangelberger u. ſ. w. Von der Familie Vogls war ſeine Stieftochter Frl. Oeſterlein erſchienen. Die Feier wurde mit dem Vortrage von Beethovens „Ehre Gottes“ eingeleitet. Dann beſtieg der Vorſtand des Wiener Sängerbundes Magiſtratsrat Haniſch die Rednerbühne und hielt die Gedenkrede, in der er Vogls Lebenslauf ſchilderte und einen Appell an die ſtädtiſchen und Schulbehörden richtete, die volkstümliche Geſamtaus- gabe der Voglſchen Werke, die demnächſt erſcheinen werden, anzukaufen. Magiſtratsrat Haniſch bat dann den Vizebürger- meiſter Dr. Neumayer, das Zeichen zur Enthüllung zu geben. Dr. Neumayer entſchuldigte die Abweſenheit des Bür- germeiſters Dr. Lueger und hielt dann eine Anſprache, in der er die längſte Zeit ſeines Lebens zugebracht hat. Er verdiene den Dank der Stadt Wien im vollſten Maße. Dr. Neu- mayer gab dann das Zeichen zum Fallen der Hülle. Im zweiten Stockwerke ſenkte ſich ein Vorhang und die Marmor- tafel mit der Goldſchrift: „An dieſer Stelle ſtand das Wohnhaus des Dichters Dr. Johann Nep. Vogl. Er ſtarb hier am 15. November 1866.“ wurde ſichtbar. Die Sänger ſtimmten Vogls „Letzte Treue“, vertont von A. M. Storch, an und ſangen dann noch, begleitet vom Waldhornquartett Lehner, Vogls „Grün“, gleichfalls vertont von A. M. Storch. Dann ſprach noch BV. Anten- ſteiner einige Worte des Dankes, und um ¾12 Uhr ſchloß die ſchlichte Feier. Mord in der Leopoldſtadt. In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurde in der Tandelmarktgaſſe, wenige Schritte vom Polizeikommiſſa- riate Leopoldſtadt, eine grauenhafte Mordtat verübt, der eine unter ſittenpolizeilicher Kontrolle ſtehende Frauens- perſon zum Opfer fiel. Der Täter iſt ein achtzehnjähriger Burſche, der ſich am Morgen nach dem Morde ſelbſt der Polizei ſtellte. Innerhalb weniger Monate ſind alſo in Wien zwei Attentate unter ganz gleichen Umſtänden verübt worden von denen das erſtere bekanntlich nicht mit dem Tode des Opfers endete; dieſe raſche Aufeinanderfolge und die Gleichartigkeit der Bluttaten wirft ein grelles Licht auf die Sittlichkeitsverhältniſſe Wiens. In beiden Fällen waren die Täter junge Burſche, die erſt kurze Zeit der Schule entwachſen ſind und von ihrem Verdienſte kaum ihren Lebens- unterhalt decken konnten, dabei aber ſchon einen erſchrecken- Tiefpunkt moraliſcher Verkommenheit und Verlotterung er- reicht hatten; und bei jedem der Attentate erſcheinen als die Opfer verworfene käufliche Frauensperſonen der niedrig- ſten Sorte, Angehörige des Schandgewerbes, in deſſen Sumpfe die Moral und auch die bürgerliche Exiſtenz ſo vieler junger Leute aus den unteren Ständen zu- grunde geht. Ueber die Tat wird berichtet: Der Schauplatz des Mordes iſt das Haus der Tandel- marktgaſſe Nr. 20. Außer dem Hausherrn und der Hausmeiſterin wohnen dort bloß Mädchen, die unter Kontrolle der Sittenpolizei ſtehen. Charakteriſtiſch für das Haus iſt der Umſtand, daß nicht einmal die Gas- beleuchtung eingeführt iſt und daß die Mädchen zur Be- leuchtung des hölzernen Ganges noch wie in der Vorzeit Laternen verwenden. Im zweiten Stocke des Hauſes wohnte die 24jährige Roſa Goldſtein. Sie hatte ein armſeliges Quartier mit dürftiger Einrichtung und gehörte zu jener Sorte von Mädchen, die ſich des Nachts in der Tabor- ſtraße und ihrer Umgebung herumtreiben und ſich Beſucher mitbringen. Ihr gegenüber wohnte eine Freundin Joſefine Schwarz. Durch dieſe wurde das Verbrechen eigentlich entdeckt. Die Entdeckung der Tat. Die Lampe auf dem hölzernen Gang war verlöſcht und die Schwarz, die das bemerkte, wollte ſie wieder an- zünden. Sie hatte keine Zündhölzchen in der Wohnung und wollte daher die Goldſtein um Zündhölzchen bitten. Als ſie zu ihrer Wohnung kam — es war 1 Uhr morgens — be- merkte ſie die Türe einen Fingerbreit offen ſtehen. Sie ver- ſuchte zu öffnen, glaubte jedoch, einen Widerſtand von innen zu ſpüren, als ob jemand die Türe von innen zuhielte. Sie kehrte ſich weiter nicht daran und ging in ihre Wohnung zurück. Gegen ½3 Uhr früh machte ſie zum zweiten Male den Verſuch, von der Goldſtein Zündhölzchen zu bekommen. Diesmal konnte ſie die Türe öffnen. Sie ſah ins Zimmer und bemerkte, daß die Lampe brenne und daß Kleidungs- ſtücke der Goldſtein auf dem Tiſche liegen. Das rief Bedenken wach und ſie alarmierte die vor dem Hauſe patrouillierenden Mädchen, die im Vereine mit einem Mann in die Wohnung drangen und auf dem Divan den lebloſen Körper der Goldſtein fanden. Man glaubte zuerſt, daß die Goldſtein von Ohnmacht befallen worden ſei. Man rief ſie an, doch kein Zeichen von Leben war zu bemerken. Als eines der Mädchen ſie berührte, zeigte es ſich, daß der Körper bereits kalt war, und nun gab es keinen Zweifel mehr, daß ſie tot ſei. Die Mädchen des Hauſes eilten zum nahegelegenen Polizeikommiſſariate Leopoldſtadt, und zuerſt begaben ſich Sicherheitswachinſpektor Erler und Sicherheitswachmann Jokſch in das Haus. Sie entdeckten bei näherer Beſich- tigung der Toten, daß Roſa Goldſtein um den Hals ein ziemlich feſt geknotetes Bändchen geſchlungen hatte. Obwohl Wiederbelebungsverſuche ausſichtslos erſchienen, wurde doch ärztliche Hilfe requiriert, der Inſpektionsarzt konnte jedoch nur mehr feſtſtellen, daß der Tod ſchon nach 1 Uhr nachts eingetreten ſein dürfte. Am Halſe der Leiche fanden ſich zahlreiche Kratzwunden. Die behördliche Kommiſſion am Tatorte. Indeſſen hatten ſich vom Polizeikommiſſariat Leopoldſtadt Bezirksleiter Regierungsrat Kenda und ein Polizeikommiſſär mit dem Polizeiarzt und eine Anzahl Polizeiagenten eingefunden und auch Re- gierungsrat Stukart fand ſich alsbald ein und leitete die Erhebungen, während die Polizeiagenten die Mäd- chen einvernahmen. Schon der erſte Augenſchein hatte einen Mord als nahezu feſtſtehend erſcheinen laſſen, und als Mörder konnte nur ein junger Mann mit blondem Haar in Betracht kommen, der zuletzt in Geſellſchaft der Goldſtein geſehen worden iſt. Durch verſchiedene Ein- vernahmen konnte eine annähernde Perſonsbeſchreibung feſt- geſtellt werden, die unverzüglich allen Wachorganen zuging. Auch die Staatsanwaltſchaft wurde verſtändigt und ſchon in den frühen Morgenſtunden fand ſich eine Gerichts- kommiſſion, beſtehend aus dem Gerichtsadjunkten Dr. Schaupp, Staatsanwaltsſubſtitut Dr. Langer und Pro- feſſor Habrda, mit einem Schriftführer auf dem Tatorte ein. Der Lokalaugenſchein ergab, daß die Unglückliche von rückwärts mit den bloßen Händen erwürgt worden war. Die Abdrücke der Nägel waren auf dem Halſe wahrzunehmen. Den Tod der Gold- ſtein dürfte lediglich das Würgen verurſacht haben. Erſt als ſie ſchon tot war, mußte der Mörder das Band um den Hals geſchlungen haben. Die Selbſtſtellung des Mörders. Während die Suche nach dem Mörder in vollem Gange war, hat ſich dieſer der Polizeidirektion ſelbſt ge- ſtellt. Gegen 5 Uhr früh trat nämlich ein Burſche, der auffallend blaß ausſah und an allen Gliedern zu zittern

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Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat). (2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 130, Wien, 11.05.1908, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost130_1908/4>, abgerufen am 27.11.2024.