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Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 154. Leipzig (Sachsen), 12. März 1836.

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Das Pfennig=Magazin.
[Beginn Spaltensatz] Eisberge wird sich der Leser nach einer der Natur entnom-
menen und auf S. 85 beigefügten Abbildung machen
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Mexico.
I.

Die älteste Geschichte der Bewohner der großen Länder-
gebiete auf der Nordhälfte des amerikanischen Festlandes,
die jetzt unter dem Namen Mexico verbunden sind, ist noch
in Dunkel gehüllt. Die Überreste des Alterthums, die man
in neuern Zeiten in Guatemala entdeckt hat, scheinen auf
phönizische Ansiedelungen hinzuweisen; Sagen, Denkmale
und andere Spuren deuten auf eine Einwanderung von
Osten, und nicht unbegründet ist die Vermuthung, daß na-
mentlich Mexico durch einen aus der Tatarei oder China
ausgewanderten Stamm sei bevölkert worden, der sich
100 Jahre nach Christus gegen Nordosten wendete.
Jm 7. Jahrhundert kamen aus einem Lande nördlich
von Mexico die Tolteken, welchen andere Stämme
folgten, bis im 12. Jahrhundert die Azteken Mexico
oder Anahuac, wie es in ihrer Sprache hieß, besetzten
und im 14. Jahrhundert die alte Stadt Mexico grün-
deten. Als die Spanier im 16. Jahrhundert in das
Land eindrangen, fanden sie die Bewohner auf ei-
ner solchen Stufe der Gesittung, daß das Recht des
Privateigenthums anerkannt, eine auf bestimmte Gesetze
gegründete Staatsordnung eingeführt war, gesonderte
Gewerke und Unterschied der Stände bestanden, und die
Künste mit Erfolg gepflegt wurden. Es wurden Steuern
vom Grundbesitz, von Gewerben und von Waaren be-
zahlt, aber, da die Mexicaner kein Geld kannten und
nur Cacaobohnen ein beschränktes Tauschmittel waren,
in Naturerzeugnissen, die in Vorrathshäusern aufbe-
wahrt wurden, aus welchen der Beherrscher seine Die-
ner im Frieden und seine Heere im Kriege versorgte.
Menschen aus den niedern Volksclassen, die kein Eigen-
thum besaßen und kein Gewerbe trieben, mußten, statt
Steuern zu bezahlen, persönliche Dienste leisten und des
Königs Ländereien bearbeiten oder bei öffentlichen Bau-
ten helfen. Es waren Eilboten in bestimmten Entfer-
nungen angestellt, um Nachrichten von einem Theile des
Landes zu dem andern zu bringen. Die Straßen der
Städte wurden in der Nacht von Wächtern durchzogen
und durch Feuer erleuchtet. Die Mexicaner verstanden
die Kunst, Metalle zu gießen, sie bearbeiteten Steine,
selbst den härtesten Basalt, mit großer Feinheit der
Ausführung zu Bildsäulen, bauten Mais und Baumwolle
an und errichteten kunstvolle Pyramiden, von welchen die
größte, die Pyramide von Cholula, bereits in Nr. 113
des Pfennig=Magazins beschrieben worden ist. Die
Sternkunde der Azteken scheint auf Überlieferung gegrün-
det gewesen zu sein. Jhr Sonnenjahr bestand, wie bei
den alten Ägyptern, aus 365 Tagen und ward in 18
Monate, jeder von 20 Tagen, eingetheilt. Die fünf
Überschußtage wurden für Unglückstage gehalten, wo
man weder arbeitete noch heilige Gebräuche verrichtete,
sondern sich blos dem Vergnügen hingab. Nach 52
Jahren wurden 13 Tage eingeschaltet, wodurch die Zeit-
berechnung mit der julianischen Jahresbestimmung von
365 Tagen und 6 Stunden in Einklang kam. Die
Religion der alten Mexicaner war Götzendienst, und sie
verehrten zahlreiche Götter unter verschiedenen, zum Theil
[Spaltenumbruch] furchtbaren Gestalten. Den Altären sich nähernd, be-
spritzten sie dieselben mit dem Blute, das sie aus ihren
Adern ließen. Menschenopfer waren gewöhnlich, und
die Köpfe und Herzen der Kriegsgefangenen wurden den
Göttern dargebracht. Die Götterbilder besiegter Völker
wurden in einem eignen Gebäude wie in einem Ge-
fängnisse aufbewahrt. Jn einem andern befanden sich
die Köpfe der geopferten Krieger, und sobald ein Schä-
del bei einem ihrer Götzenbilder vor Alter morsch zu
werden anfing, ward er durch einen andern Kopf aus
jenem Vorrathe ersetzt. Den Köpfen gemeiner Krieger
wurde die Haut abgezogen, die Köpfe der Vornehmen
aber suchte man mit Haut, Bart und Haupthaar auf-
zubewahren, und sie machten die Siegesdenkmale nur
noch furchtbarer. Die alten Mexicaner hatten so wenig
als ein anderes Urvolk Amerikas ein Alphabet. Jhre
Schrift war theils Bilderschrift, welche sinnlich wahr-
nehmbare Gegenstände durch Abbildungen darstellte, theils
eine sinnbildliche Schrift, welche die nicht sinnlich dar-
stellbaren Begriffe durch willkürliche Zeichen oder ein-
fache Hieroglyphen ausdrückte. Solche Zeichen, die der
Abbildung eines Ereignisses hinzugefügt wurden, deute-
ten sinnreich an, ob die Handlung bei Tage oder bei
Nacht stattgefunden hatte, wie alt die dargestellten Per-
sonen gewesen waren, ob sie miteinander gesprochen und
wer am meisten geredet hatte. Die Mexicaner waren
aber noch einen Schritt weiter gegangen, und gebrauch-
ten auch Zeichen, bei welchen das Bild der Bedeutung
des Wortes, womit der dargestellte Gegenstand bezeich-
net war oder der Ähnlichkeit des Lautes entsprach, wo-
durch dem Beschauer dieses Wort vor die Seele ge-
bracht wurde. So war z. B. die wörtliche Bedeutung
des Namens eines alten mexicanischen Königs " Wasser-
gesicht ", und eines andern "ein die Luft durchfliegender
Pfeil", und um diese Könige darzustellen, verband der
Maler die Hieroglyphen von Wasser und Luft oder die
zur Bezeichnung dieser Gegenstände üblichen willkürlichen
Zeichen mit der Figur eines Kopfes und eines Pfeils.
Die Namen zweier Städte bedeuteten "Adlerhaus" und
"Spiegelplatz", und um sie auszudrücken, ward ein
Haus, aus welchem ein Adlerkopf hervorblickte, und ein
Spiegel von Obsidian gemalt.

Diese Bilderschrift war beiweitem nicht so ausge-
bildet als die Hieroglyphen der Ägypter, und die Ge-
mälde waren von sehr roher Art und höchst unbestimmt
in der Bezeichnung von Ereignissen. Die einfachsten
Hieroglyphen bezeichnen z. B. eine Stadt durch ein
Haus mit gewissen Sinnbildern, die bald natürliche
Gegenstände, bald künstliche Figuren sind, um sie von
andern Städten zu unterscheiden. Ein König, der sein
Gebiet durch Waffengewalt vergrößert hat, wird durch
einen mit Pfeilen bemalten Schild bezeichnet, der zwi-
schen seiner Gestalt und den Sinnbildern der von ihm
bezwungenen Städte steht. Um Zahlen zu bezeichnen,
waren die Mexicaner einen Schritt über die herkömmli-
chen Zeichen hinausgegangen. Kleine Zahlen wurden
durch so viele Punkte oder Kugeln bezeichnet, als die
Zahl Einheiten hatte. Für große Zahlen gab es be-
sondere Zeichen, z. B. für 400 eine Kornähre, eine
Ananas oder einen Federkiel, worin Goldstaub aufbe-
wahrt wurde, für 8000 einen Beutel, weil man ge-
wöhnlich so viele Cacaobohnen in einen Beutel that.
Die Angaben der Jahre sind neben der bildlichen Dar-
stellung des Ereignisses angebracht, und die darauf sich
beziehenden Zeichen in eine Art von Rahmen einge-
schlossen. Die mexicanischen Schriftmalereien wurden
auf Häute, auf Baumrinden, auf Baumwollenzeuch oder
auf einen, aus den Fasern der Aloe bereiteten Stoff
[Ende Spaltensatz]

*) Wir werden künftig in einem besondern Aufsatze ein
allgemeines Naturgemälde des Nordpolarlandes nach den neue-
sten Entdeckungen geben.

Das Pfennig=Magazin.
[Beginn Spaltensatz] Eisberge wird sich der Leser nach einer der Natur entnom-
menen und auf S. 85 beigefügten Abbildung machen
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Mexico.
I.

Die älteste Geschichte der Bewohner der großen Länder-
gebiete auf der Nordhälfte des amerikanischen Festlandes,
die jetzt unter dem Namen Mexico verbunden sind, ist noch
in Dunkel gehüllt. Die Überreste des Alterthums, die man
in neuern Zeiten in Guatemala entdeckt hat, scheinen auf
phönizische Ansiedelungen hinzuweisen; Sagen, Denkmale
und andere Spuren deuten auf eine Einwanderung von
Osten, und nicht unbegründet ist die Vermuthung, daß na-
mentlich Mexico durch einen aus der Tatarei oder China
ausgewanderten Stamm sei bevölkert worden, der sich
100 Jahre nach Christus gegen Nordosten wendete.
Jm 7. Jahrhundert kamen aus einem Lande nördlich
von Mexico die Tolteken, welchen andere Stämme
folgten, bis im 12. Jahrhundert die Azteken Mexico
oder Anahuac, wie es in ihrer Sprache hieß, besetzten
und im 14. Jahrhundert die alte Stadt Mexico grün-
deten. Als die Spanier im 16. Jahrhundert in das
Land eindrangen, fanden sie die Bewohner auf ei-
ner solchen Stufe der Gesittung, daß das Recht des
Privateigenthums anerkannt, eine auf bestimmte Gesetze
gegründete Staatsordnung eingeführt war, gesonderte
Gewerke und Unterschied der Stände bestanden, und die
Künste mit Erfolg gepflegt wurden. Es wurden Steuern
vom Grundbesitz, von Gewerben und von Waaren be-
zahlt, aber, da die Mexicaner kein Geld kannten und
nur Cacaobohnen ein beschränktes Tauschmittel waren,
in Naturerzeugnissen, die in Vorrathshäusern aufbe-
wahrt wurden, aus welchen der Beherrscher seine Die-
ner im Frieden und seine Heere im Kriege versorgte.
Menschen aus den niedern Volksclassen, die kein Eigen-
thum besaßen und kein Gewerbe trieben, mußten, statt
Steuern zu bezahlen, persönliche Dienste leisten und des
Königs Ländereien bearbeiten oder bei öffentlichen Bau-
ten helfen. Es waren Eilboten in bestimmten Entfer-
nungen angestellt, um Nachrichten von einem Theile des
Landes zu dem andern zu bringen. Die Straßen der
Städte wurden in der Nacht von Wächtern durchzogen
und durch Feuer erleuchtet. Die Mexicaner verstanden
die Kunst, Metalle zu gießen, sie bearbeiteten Steine,
selbst den härtesten Basalt, mit großer Feinheit der
Ausführung zu Bildsäulen, bauten Mais und Baumwolle
an und errichteten kunstvolle Pyramiden, von welchen die
größte, die Pyramide von Cholula, bereits in Nr. 113
des Pfennig=Magazins beschrieben worden ist. Die
Sternkunde der Azteken scheint auf Überlieferung gegrün-
det gewesen zu sein. Jhr Sonnenjahr bestand, wie bei
den alten Ägyptern, aus 365 Tagen und ward in 18
Monate, jeder von 20 Tagen, eingetheilt. Die fünf
Überschußtage wurden für Unglückstage gehalten, wo
man weder arbeitete noch heilige Gebräuche verrichtete,
sondern sich blos dem Vergnügen hingab. Nach 52
Jahren wurden 13 Tage eingeschaltet, wodurch die Zeit-
berechnung mit der julianischen Jahresbestimmung von
365 Tagen und 6 Stunden in Einklang kam. Die
Religion der alten Mexicaner war Götzendienst, und sie
verehrten zahlreiche Götter unter verschiedenen, zum Theil
[Spaltenumbruch] furchtbaren Gestalten. Den Altären sich nähernd, be-
spritzten sie dieselben mit dem Blute, das sie aus ihren
Adern ließen. Menschenopfer waren gewöhnlich, und
die Köpfe und Herzen der Kriegsgefangenen wurden den
Göttern dargebracht. Die Götterbilder besiegter Völker
wurden in einem eignen Gebäude wie in einem Ge-
fängnisse aufbewahrt. Jn einem andern befanden sich
die Köpfe der geopferten Krieger, und sobald ein Schä-
del bei einem ihrer Götzenbilder vor Alter morsch zu
werden anfing, ward er durch einen andern Kopf aus
jenem Vorrathe ersetzt. Den Köpfen gemeiner Krieger
wurde die Haut abgezogen, die Köpfe der Vornehmen
aber suchte man mit Haut, Bart und Haupthaar auf-
zubewahren, und sie machten die Siegesdenkmale nur
noch furchtbarer. Die alten Mexicaner hatten so wenig
als ein anderes Urvolk Amerikas ein Alphabet. Jhre
Schrift war theils Bilderschrift, welche sinnlich wahr-
nehmbare Gegenstände durch Abbildungen darstellte, theils
eine sinnbildliche Schrift, welche die nicht sinnlich dar-
stellbaren Begriffe durch willkürliche Zeichen oder ein-
fache Hieroglyphen ausdrückte. Solche Zeichen, die der
Abbildung eines Ereignisses hinzugefügt wurden, deute-
ten sinnreich an, ob die Handlung bei Tage oder bei
Nacht stattgefunden hatte, wie alt die dargestellten Per-
sonen gewesen waren, ob sie miteinander gesprochen und
wer am meisten geredet hatte. Die Mexicaner waren
aber noch einen Schritt weiter gegangen, und gebrauch-
ten auch Zeichen, bei welchen das Bild der Bedeutung
des Wortes, womit der dargestellte Gegenstand bezeich-
net war oder der Ähnlichkeit des Lautes entsprach, wo-
durch dem Beschauer dieses Wort vor die Seele ge-
bracht wurde. So war z. B. die wörtliche Bedeutung
des Namens eines alten mexicanischen Königs „ Wasser-
gesicht “, und eines andern „ein die Luft durchfliegender
Pfeil“, und um diese Könige darzustellen, verband der
Maler die Hieroglyphen von Wasser und Luft oder die
zur Bezeichnung dieser Gegenstände üblichen willkürlichen
Zeichen mit der Figur eines Kopfes und eines Pfeils.
Die Namen zweier Städte bedeuteten „Adlerhaus“ und
„Spiegelplatz“, und um sie auszudrücken, ward ein
Haus, aus welchem ein Adlerkopf hervorblickte, und ein
Spiegel von Obsidian gemalt.

Diese Bilderschrift war beiweitem nicht so ausge-
bildet als die Hieroglyphen der Ägypter, und die Ge-
mälde waren von sehr roher Art und höchst unbestimmt
in der Bezeichnung von Ereignissen. Die einfachsten
Hieroglyphen bezeichnen z. B. eine Stadt durch ein
Haus mit gewissen Sinnbildern, die bald natürliche
Gegenstände, bald künstliche Figuren sind, um sie von
andern Städten zu unterscheiden. Ein König, der sein
Gebiet durch Waffengewalt vergrößert hat, wird durch
einen mit Pfeilen bemalten Schild bezeichnet, der zwi-
schen seiner Gestalt und den Sinnbildern der von ihm
bezwungenen Städte steht. Um Zahlen zu bezeichnen,
waren die Mexicaner einen Schritt über die herkömmli-
chen Zeichen hinausgegangen. Kleine Zahlen wurden
durch so viele Punkte oder Kugeln bezeichnet, als die
Zahl Einheiten hatte. Für große Zahlen gab es be-
sondere Zeichen, z. B. für 400 eine Kornähre, eine
Ananas oder einen Federkiel, worin Goldstaub aufbe-
wahrt wurde, für 8000 einen Beutel, weil man ge-
wöhnlich so viele Cacaobohnen in einen Beutel that.
Die Angaben der Jahre sind neben der bildlichen Dar-
stellung des Ereignisses angebracht, und die darauf sich
beziehenden Zeichen in eine Art von Rahmen einge-
schlossen. Die mexicanischen Schriftmalereien wurden
auf Häute, auf Baumrinden, auf Baumwollenzeuch oder
auf einen, aus den Fasern der Aloe bereiteten Stoff
[Ende Spaltensatz]

*) Wir werden künftig in einem besondern Aufsatze ein
allgemeines Naturgemälde des Nordpolarlandes nach den neue-
sten Entdeckungen geben.
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[86/0006] Das Pfennig=Magazin. Eisberge wird sich der Leser nach einer der Natur entnom- menen und auf S. 85 beigefügten Abbildung machen können. *) Mexico. I. Die älteste Geschichte der Bewohner der großen Länder- gebiete auf der Nordhälfte des amerikanischen Festlandes, die jetzt unter dem Namen Mexico verbunden sind, ist noch in Dunkel gehüllt. Die Überreste des Alterthums, die man in neuern Zeiten in Guatemala entdeckt hat, scheinen auf phönizische Ansiedelungen hinzuweisen; Sagen, Denkmale und andere Spuren deuten auf eine Einwanderung von Osten, und nicht unbegründet ist die Vermuthung, daß na- mentlich Mexico durch einen aus der Tatarei oder China ausgewanderten Stamm sei bevölkert worden, der sich 100 Jahre nach Christus gegen Nordosten wendete. Jm 7. Jahrhundert kamen aus einem Lande nördlich von Mexico die Tolteken, welchen andere Stämme folgten, bis im 12. Jahrhundert die Azteken Mexico oder Anahuac, wie es in ihrer Sprache hieß, besetzten und im 14. 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Es waren Eilboten in bestimmten Entfer- nungen angestellt, um Nachrichten von einem Theile des Landes zu dem andern zu bringen. Die Straßen der Städte wurden in der Nacht von Wächtern durchzogen und durch Feuer erleuchtet. Die Mexicaner verstanden die Kunst, Metalle zu gießen, sie bearbeiteten Steine, selbst den härtesten Basalt, mit großer Feinheit der Ausführung zu Bildsäulen, bauten Mais und Baumwolle an und errichteten kunstvolle Pyramiden, von welchen die größte, die Pyramide von Cholula, bereits in Nr. 113 des Pfennig=Magazins beschrieben worden ist. Die Sternkunde der Azteken scheint auf Überlieferung gegrün- det gewesen zu sein. Jhr Sonnenjahr bestand, wie bei den alten Ägyptern, aus 365 Tagen und ward in 18 Monate, jeder von 20 Tagen, eingetheilt. Die fünf Überschußtage wurden für Unglückstage gehalten, wo man weder arbeitete noch heilige Gebräuche verrichtete, sondern sich blos dem Vergnügen hingab. 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Die Mexicaner waren aber noch einen Schritt weiter gegangen, und gebrauch- ten auch Zeichen, bei welchen das Bild der Bedeutung des Wortes, womit der dargestellte Gegenstand bezeich- net war oder der Ähnlichkeit des Lautes entsprach, wo- durch dem Beschauer dieses Wort vor die Seele ge- bracht wurde. So war z. B. die wörtliche Bedeutung des Namens eines alten mexicanischen Königs „ Wasser- gesicht “, und eines andern „ein die Luft durchfliegender Pfeil“, und um diese Könige darzustellen, verband der Maler die Hieroglyphen von Wasser und Luft oder die zur Bezeichnung dieser Gegenstände üblichen willkürlichen Zeichen mit der Figur eines Kopfes und eines Pfeils. Die Namen zweier Städte bedeuteten „Adlerhaus“ und „Spiegelplatz“, und um sie auszudrücken, ward ein Haus, aus welchem ein Adlerkopf hervorblickte, und ein Spiegel von Obsidian gemalt. Diese Bilderschrift war beiweitem nicht so ausge- bildet als die Hieroglyphen der Ägypter, und die Ge- mälde waren von sehr roher Art und höchst unbestimmt in der Bezeichnung von Ereignissen. Die einfachsten Hieroglyphen bezeichnen z. B. eine Stadt durch ein Haus mit gewissen Sinnbildern, die bald natürliche Gegenstände, bald künstliche Figuren sind, um sie von andern Städten zu unterscheiden. Ein König, der sein Gebiet durch Waffengewalt vergrößert hat, wird durch einen mit Pfeilen bemalten Schild bezeichnet, der zwi- schen seiner Gestalt und den Sinnbildern der von ihm bezwungenen Städte steht. Um Zahlen zu bezeichnen, waren die Mexicaner einen Schritt über die herkömmli- chen Zeichen hinausgegangen. Kleine Zahlen wurden durch so viele Punkte oder Kugeln bezeichnet, als die Zahl Einheiten hatte. Für große Zahlen gab es be- sondere Zeichen, z. B. für 400 eine Kornähre, eine Ananas oder einen Federkiel, worin Goldstaub aufbe- wahrt wurde, für 8000 einen Beutel, weil man ge- wöhnlich so viele Cacaobohnen in einen Beutel that. Die Angaben der Jahre sind neben der bildlichen Dar- stellung des Ereignisses angebracht, und die darauf sich beziehenden Zeichen in eine Art von Rahmen einge- schlossen. Die mexicanischen Schriftmalereien wurden auf Häute, auf Baumrinden, auf Baumwollenzeuch oder auf einen, aus den Fasern der Aloe bereiteten Stoff *) Wir werden künftig in einem besondern Aufsatze ein allgemeines Naturgemälde des Nordpolarlandes nach den neue- sten Entdeckungen geben.

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 154. Leipzig (Sachsen), 12. März 1836, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig154_1836/6>, abgerufen am 11.12.2024.