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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 98. Leipzig (Sachsen), 16. November 1854.

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[Beginn Spaltensatz] nach Albert hin und Viele wünschten sich seinen Be-
sitz, besonders da es bekannt war, daß er dermaleinst
seinen wohlhabenden Pflegevater beerben würde. Er
aber beachtete das Treiben um ihn her ganz und gar
nicht und bald betheuerten die Mädchen bei allen Zu-
sammenkünften, sein Herz müsse so hart und so kalt
wie sein Schleifstein sein.

IV.

So standen die Sachen Albert's und Käthchen's,
als der Winter eintrat und den alten Schleifer eine
Krankheit befiel, die er sich durch Erkältung auf sei-
ner letzten Reise zugezogen hatte. Albert wich nicht
von seinem Lager. Der Kranke ward indeß immer
schwächer, fühlte den Tod herannahen und machte sein
Testament, in welchem er Albert zum alleinigen Er-
ben seines Vermögens einsetzte. Mit dem wiederkeh-
renden Frühlinge verschied der Greis in den Armen
seines Pflegesohns, der ihm unter heißen Thränen
dankbarster Liebe die Augen zudrückte.

Nun im Besitze eines nicht unbedeutenden Vermö-
gens war Albert's erster Gedanke, es mit der alten
Base des Entschlafenen redlich zu theilen, da er sich
ein Gewissen daraus machte, ihr als der nächsten Ver-
wandten desselben die Erbschaft entzogen zu haben.
Groß war die Überraschung Käthchen's und ihrer Mut-
ter, als Albert, dem die Botschaft von dem Ableben
seines Pflegevaters schon vorausgeeilt war, eines Abends
in Lobenhain eintraf und den beiden Freundinnen er-
öffnete, weshalb er gekommen sei. Sie wollten an-
fangs das mit so seltener Uneigennützigkeit Dargebotene
schlechterdings nicht annehmen und es bedurfte der
ganzen Überredungskunst des Jünglings, das Wider-
streben Beider zu besiegen. Joseph aber erfuhr vor
der Hand nicht das Geringste von dieser Angelegenheit.
Jhm hing der Himmel voll Geigen und schon zählte
er in Gedanken oftmals die Tage, die noch vergehen
müßten, bis er Käthchen zum Traualtar führte.

Der Mai war eben herangekommen, als eines
Abends die Bursche und Mädchen von Lobenhain un-
ter der großen Linde des Dorfs beisammensaßen, Lied-
chen sangen und vom Kriege plauderten, dessen Schlach-
tendonner selbst bis in die stillen Thäler Böhmens
dröhnte, als der Schulze des Orts in ihre Mitte trat
und die jungen Bursche, welche das zum Eintritt in
das Militär erfoderliche Maß und Alter hätten, auf
morgen zum Aufschreiben in seine Wohnung beschied,
weil binnen kurzem die Loosung zur Completirung der
Armee vor sich gehen solle.

( Beschluß folgt. )



Michael Stifel.

Jm Jahre 1487, am 18. Januar, wurde in Eßlin-
gen ein Mann geboren, dessen sonderbare Schwärme-
reien auf dem Boden der Wissenschaft ihn zu allerhand
Jrrthümern führten. Er hieß Michael Stifel. Seine
Bildung erlangte er im Augustinerkloster seiner Ge-
burtsstadt, wo er sich der Theologie zu widmen be-
schloß. Dieses Ziel verfolgend, suchte er auf dem
wissenschaftlichen Felde nach Möglichkeit heimisch zu
werden und so warf er sich auch auf Mathematik,
welche zuletzt sein liebstes Studium wurde, denn seine
Neigung zu Grübeleien führte ihn nun bald auf Ge-
[Spaltenumbruch] danken über den Ursprung der Welt und die Erschei-
nungen am Sternenhimmel. So ward aus ihm ein
Astrolog, als welcher er sich berufen glaubte, die Zu-
kunft zu erforschen, indem er in den Sternen las und
es wagte, den Weltuntergang zu verkünden, den er
am nächtlichen Himmel und am Kreuze Christi erken-
nen wollte.

Stifel gefiel seinen Ordensbrüdern in Eßlingen
durchaus nicht, da seine Ansichten mit den ihrigen
nicht übereinstimmten; er wurde deshalb im Jahre
1525 genöthigt, seine Vaterstadt zu verlassen und wen-
dete sich nun nach Östreich, wo er als Prediger eine
Anstellung fand. Hier war man mit seinen Ansichten
aber auch nicht einverstanden, daher verjagte man ihn
nach zweijähriger Amtsthätigkeit ebenfalls. Zuletzt wen-
dete sich Stifel nach Sachsen. Besondere Empfehlun-
gen verschafften ihm die Pfarrstelle zu Lochau, jetzt
Annaburg. Auch in seiner neuen Stellung konnte er
von seinem eingesogenen Wahne nicht lassen. Er saß
Tag und Nacht über seinen astrologischen Studien und
rechnete und rechnete, bis er endlich soviel herausge-
rechnet hatte, daß der 3. October, nämlich der 292.
Tag des Jahres 1533 der Tag sein müsse, an wel-
chem der Welt Ende und das Jüngste Gericht erschei-
nen werde. Von dem Resultate seines Nachdenkens
machte er gegen Andere gar kein Geheimniß, denn er
selbst glaubte steif und fest daran. Jn seinen Predig-
ten feuerte er die Glieder der Kirchengemeinde zur
Buße an; er bezeichnete die achte Morgenstunde als
den Beginn der großen Entscheidung und legte Allen
dringend ans Herz, für das Heil ihrer Seelen zu
sorgen.

So mancher dummgläubige Zuhörer nahm Stifel's
Versicherung für Wahtheit an. Der Eine bestellte sein
Haus, um den letzten Dingen bußfertig entgegenzuge-
hen, der Andere jagte und tanzte vor der ernsten
Stunde und der Dritte ging jede Woche zum Beicht-
stuhle, um des Himmels Gnade zu erringen; aber es
gab auch Viele, welche das Leben der Erde noch im
Vollgenusse schmecken wollten, daher sie ihr Hab und
Gut verkauften, dem üppigen Leben sich hingaben und
in Lust und Schwelgerei ihre Erdenpilgerfahrt zu be-
schließen gedachten.

Je näher der 3. October rückte, desto öfter wies
Stiefel in seinen Vorträgen auf die Entscheidungs-
stunde hin. Er erging sich dabei in Schilderungen,
die er dem Volke als Resultat seiner Forschungen und
als Deutung prophetischer Schriften gab. Sein Got-
teshaus war stets von Zuhörern überfüllt, denn Hun-
derte kamen von nah und fern, um sich von dem
Manne erbauen zu lassen und Näheres über die letz-
ten Dinge zu erfahren.

Der gefürchtete Tag brach endlich an. Viele glaub-
ten ihr Haus auf rechte Weise bestellt und durch Buß-
fertigkeit ihre Seelenseligkeit gewahrt zu haben; Manche
hatten aber auch in ihrem Hange zur Erdenlust Alles
vergeudet. Mit frühem Morgen versammelte Stifel seine
Gemeinde in der Kirche zu Gebet und Gesang. Die
Andächtigen lagen auf ihren Knien und harrten mit
Bangigkeit des achten Stundenschlags. Der Augen-
blick rückte heran; Befreundete und Verwandte nah-
men Abschied voneinander -- es schlug 8 Uhr. Alle
waren im tiefen Schweigen des Kommenden gewärtig
-- doch es kam nichts. Man wartete noch längere
Zeit, denn der Prediger meinte sich in der Stunde ver-
rechnet zu haben; man ließ den Mittag heraufkommen,
aber die Ordnung der Welt blieb ungestört. Jetzt ver-
loren Einige die Geduld, Andere bekamen Hunger und
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] nach Albert hin und Viele wünschten sich seinen Be-
sitz, besonders da es bekannt war, daß er dermaleinst
seinen wohlhabenden Pflegevater beerben würde. Er
aber beachtete das Treiben um ihn her ganz und gar
nicht und bald betheuerten die Mädchen bei allen Zu-
sammenkünften, sein Herz müsse so hart und so kalt
wie sein Schleifstein sein.

IV.

So standen die Sachen Albert's und Käthchen's,
als der Winter eintrat und den alten Schleifer eine
Krankheit befiel, die er sich durch Erkältung auf sei-
ner letzten Reise zugezogen hatte. Albert wich nicht
von seinem Lager. Der Kranke ward indeß immer
schwächer, fühlte den Tod herannahen und machte sein
Testament, in welchem er Albert zum alleinigen Er-
ben seines Vermögens einsetzte. Mit dem wiederkeh-
renden Frühlinge verschied der Greis in den Armen
seines Pflegesohns, der ihm unter heißen Thränen
dankbarster Liebe die Augen zudrückte.

Nun im Besitze eines nicht unbedeutenden Vermö-
gens war Albert's erster Gedanke, es mit der alten
Base des Entschlafenen redlich zu theilen, da er sich
ein Gewissen daraus machte, ihr als der nächsten Ver-
wandten desselben die Erbschaft entzogen zu haben.
Groß war die Überraschung Käthchen's und ihrer Mut-
ter, als Albert, dem die Botschaft von dem Ableben
seines Pflegevaters schon vorausgeeilt war, eines Abends
in Lobenhain eintraf und den beiden Freundinnen er-
öffnete, weshalb er gekommen sei. Sie wollten an-
fangs das mit so seltener Uneigennützigkeit Dargebotene
schlechterdings nicht annehmen und es bedurfte der
ganzen Überredungskunst des Jünglings, das Wider-
streben Beider zu besiegen. Joseph aber erfuhr vor
der Hand nicht das Geringste von dieser Angelegenheit.
Jhm hing der Himmel voll Geigen und schon zählte
er in Gedanken oftmals die Tage, die noch vergehen
müßten, bis er Käthchen zum Traualtar führte.

Der Mai war eben herangekommen, als eines
Abends die Bursche und Mädchen von Lobenhain un-
ter der großen Linde des Dorfs beisammensaßen, Lied-
chen sangen und vom Kriege plauderten, dessen Schlach-
tendonner selbst bis in die stillen Thäler Böhmens
dröhnte, als der Schulze des Orts in ihre Mitte trat
und die jungen Bursche, welche das zum Eintritt in
das Militär erfoderliche Maß und Alter hätten, auf
morgen zum Aufschreiben in seine Wohnung beschied,
weil binnen kurzem die Loosung zur Completirung der
Armee vor sich gehen solle.

( Beschluß folgt. )



Michael Stifel.

Jm Jahre 1487, am 18. Januar, wurde in Eßlin-
gen ein Mann geboren, dessen sonderbare Schwärme-
reien auf dem Boden der Wissenschaft ihn zu allerhand
Jrrthümern führten. Er hieß Michael Stifel. Seine
Bildung erlangte er im Augustinerkloster seiner Ge-
burtsstadt, wo er sich der Theologie zu widmen be-
schloß. Dieses Ziel verfolgend, suchte er auf dem
wissenschaftlichen Felde nach Möglichkeit heimisch zu
werden und so warf er sich auch auf Mathematik,
welche zuletzt sein liebstes Studium wurde, denn seine
Neigung zu Grübeleien führte ihn nun bald auf Ge-
[Spaltenumbruch] danken über den Ursprung der Welt und die Erschei-
nungen am Sternenhimmel. So ward aus ihm ein
Astrolog, als welcher er sich berufen glaubte, die Zu-
kunft zu erforschen, indem er in den Sternen las und
es wagte, den Weltuntergang zu verkünden, den er
am nächtlichen Himmel und am Kreuze Christi erken-
nen wollte.

Stifel gefiel seinen Ordensbrüdern in Eßlingen
durchaus nicht, da seine Ansichten mit den ihrigen
nicht übereinstimmten; er wurde deshalb im Jahre
1525 genöthigt, seine Vaterstadt zu verlassen und wen-
dete sich nun nach Östreich, wo er als Prediger eine
Anstellung fand. Hier war man mit seinen Ansichten
aber auch nicht einverstanden, daher verjagte man ihn
nach zweijähriger Amtsthätigkeit ebenfalls. Zuletzt wen-
dete sich Stifel nach Sachsen. Besondere Empfehlun-
gen verschafften ihm die Pfarrstelle zu Lochau, jetzt
Annaburg. Auch in seiner neuen Stellung konnte er
von seinem eingesogenen Wahne nicht lassen. Er saß
Tag und Nacht über seinen astrologischen Studien und
rechnete und rechnete, bis er endlich soviel herausge-
rechnet hatte, daß der 3. October, nämlich der 292.
Tag des Jahres 1533 der Tag sein müsse, an wel-
chem der Welt Ende und das Jüngste Gericht erschei-
nen werde. Von dem Resultate seines Nachdenkens
machte er gegen Andere gar kein Geheimniß, denn er
selbst glaubte steif und fest daran. Jn seinen Predig-
ten feuerte er die Glieder der Kirchengemeinde zur
Buße an; er bezeichnete die achte Morgenstunde als
den Beginn der großen Entscheidung und legte Allen
dringend ans Herz, für das Heil ihrer Seelen zu
sorgen.

So mancher dummgläubige Zuhörer nahm Stifel's
Versicherung für Wahtheit an. Der Eine bestellte sein
Haus, um den letzten Dingen bußfertig entgegenzuge-
hen, der Andere jagte und tanzte vor der ernsten
Stunde und der Dritte ging jede Woche zum Beicht-
stuhle, um des Himmels Gnade zu erringen; aber es
gab auch Viele, welche das Leben der Erde noch im
Vollgenusse schmecken wollten, daher sie ihr Hab und
Gut verkauften, dem üppigen Leben sich hingaben und
in Lust und Schwelgerei ihre Erdenpilgerfahrt zu be-
schließen gedachten.

Je näher der 3. October rückte, desto öfter wies
Stiefel in seinen Vorträgen auf die Entscheidungs-
stunde hin. Er erging sich dabei in Schilderungen,
die er dem Volke als Resultat seiner Forschungen und
als Deutung prophetischer Schriften gab. Sein Got-
teshaus war stets von Zuhörern überfüllt, denn Hun-
derte kamen von nah und fern, um sich von dem
Manne erbauen zu lassen und Näheres über die letz-
ten Dinge zu erfahren.

Der gefürchtete Tag brach endlich an. Viele glaub-
ten ihr Haus auf rechte Weise bestellt und durch Buß-
fertigkeit ihre Seelenseligkeit gewahrt zu haben; Manche
hatten aber auch in ihrem Hange zur Erdenlust Alles
vergeudet. Mit frühem Morgen versammelte Stifel seine
Gemeinde in der Kirche zu Gebet und Gesang. Die
Andächtigen lagen auf ihren Knien und harrten mit
Bangigkeit des achten Stundenschlags. Der Augen-
blick rückte heran; Befreundete und Verwandte nah-
men Abschied voneinander — es schlug 8 Uhr. Alle
waren im tiefen Schweigen des Kommenden gewärtig
— doch es kam nichts. Man wartete noch längere
Zeit, denn der Prediger meinte sich in der Stunde ver-
rechnet zu haben; man ließ den Mittag heraufkommen,
aber die Ordnung der Welt blieb ungestört. Jetzt ver-
loren Einige die Geduld, Andere bekamen Hunger und
[Ende Spaltensatz]

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Nun im Besitze eines nicht unbedeutenden Vermö- gens war Albert's erster Gedanke, es mit der alten Base des Entschlafenen redlich zu theilen, da er sich ein Gewissen daraus machte, ihr als der nächsten Ver- wandten desselben die Erbschaft entzogen zu haben. Groß war die Überraschung Käthchen's und ihrer Mut- ter, als Albert, dem die Botschaft von dem Ableben seines Pflegevaters schon vorausgeeilt war, eines Abends in Lobenhain eintraf und den beiden Freundinnen er- öffnete, weshalb er gekommen sei. Sie wollten an- fangs das mit so seltener Uneigennützigkeit Dargebotene schlechterdings nicht annehmen und es bedurfte der ganzen Überredungskunst des Jünglings, das Wider- streben Beider zu besiegen. Joseph aber erfuhr vor der Hand nicht das Geringste von dieser Angelegenheit. Jhm hing der Himmel voll Geigen und schon zählte er in Gedanken oftmals die Tage, die noch vergehen müßten, bis er Käthchen zum Traualtar führte. 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Viele glaub- ten ihr Haus auf rechte Weise bestellt und durch Buß- fertigkeit ihre Seelenseligkeit gewahrt zu haben; Manche hatten aber auch in ihrem Hange zur Erdenlust Alles vergeudet. Mit frühem Morgen versammelte Stifel seine Gemeinde in der Kirche zu Gebet und Gesang. Die Andächtigen lagen auf ihren Knien und harrten mit Bangigkeit des achten Stundenschlags. Der Augen- blick rückte heran; Befreundete und Verwandte nah- men Abschied voneinander — es schlug 8 Uhr. Alle waren im tiefen Schweigen des Kommenden gewärtig — doch es kam nichts. Man wartete noch längere Zeit, denn der Prediger meinte sich in der Stunde ver- rechnet zu haben; man ließ den Mittag heraufkommen, aber die Ordnung der Welt blieb ungestört. Jetzt ver- loren Einige die Geduld, Andere bekamen Hunger und

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 98. Leipzig (Sachsen), 16. November 1854, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig098_1854/3>, abgerufen am 16.07.2024.