Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 98. Leipzig (Sachsen), 16. November 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz]
Die Waise.
( Fortsetzung. )

Weißt du was, Bube, begann der Schleifer nach
einigem Besinnen, ich will dich als eigen annehmen,
wenn du brav bist, und dich mein Gewerbe lehren.
Schau, ich habe weder Kind noch Kegel, und du kannst
einmal meine Stütze und auch mein Erbe sein, wenn du
wacker bleibst! Albert nickte freundlich und Beide
gingen vergnügt und zufrieden miteinander nach dem
Dorfe Gießhübel, wo der Schleifer Jgnaz Schickedanz
wohnte.

Eine alte Magd mußte das Geschäft übernehmen,
Albert vom Kopf bis zum Fuß zu reinigen, dann be-
kam er andere Kleider und ward fortan als ein Glied
des Hauses angesehen. Anfangs konnte sich der Knabe
durchaus nicht an die warmen Speisen, an die Stuben-
luft und Betten gewöhnen; ein Stück trocken Brot
und Käse zog er allen Suppen und dergleichen vor,
und zu seiner Schlafstelle wählte er am liebsten den
Stall, wo er vergnügt bei dem Karrenhunde schlief, der
auch bald sein Liebling wurde und die besten Brocken
von ihm erhielt. Jn kurzer Zeit lernte er auch die
Haupthandgriffe der Schleiferkunst und zog nun mit
seinem Pflegevater, der den anstelligen und gutmüthi-
gen Knaben täglich lieber gewann, von Ort zu Ort,
das Gewerbe zu treiben. Darüber verging der Som-
mer, und als nun der Winter kam, wo das Geschäft
ruhte, machte ihm sein Pflegevater als guter Christ
ernste Vorstellungen, auch Gottes Wort zu lernen. So
wenig Verlangen aber Albert auch hiernach bezeigte,
so mußte er sich endlich doch bequemen, den Religions-
unterricht des Pfarrers zu besuchen. Mit dem Lernen
der Sprüche und Gebete wollte es aber anfangs gar
nicht gehen; dazu kam auch noch, daß er in der
dunstigen Schulstube nie lange auszudauern vermochte
und oft halb ohnmächtig sie verlassen mußte. Daher
schüttelte der eifrige Pfarrer oftmals den Kopf über
ihn und prophezeite nichts Gutes; inzwischen prägte
sich Albert doch mit der Zeit das Nöthigste ein und
konnte endlich mit seinem Pflegevater, der sehr gottes-
fürchtig war, zusammen beten, worüber dieser eine in-
nige Freude empfand.

Acht Jahre brachte Albert auf diese Weise bei dem
guten Scherenschleifer zu, ohne daß besondere Ereignisse
aufs neue störend in das Leben des Knaben eingriffen.
Während des Sommers betrieb er die Schleiferkunst,
in der er es bald zu einer nicht gewöhnlichen Fer-
tigkeit brachte, im Winter aber ward er zu häus-
lichen Geschäften angehalten. Bald galt er in der
ganzen Umgegend für den schmucksten und flinksten
Burschen und Alle rühmten ihm nach, wie treu er
seinen Pflegevater liebe, dessen Stütze er denn auch,
bei der zunehmenden Hinfälligkeit des bejahrten Man-
nes, mehr und mehr ward. Eine besondere Neigung
zeigte er stets zur Jagd, und gar manches Wild er-
legte er an arbeitsfreien Tagen heimlich im Walde,
worüber ihn der alte Schickedanz oftmals derb aus-
schalt. Jede Elster, die im Winter auf dem Zaune
saß, ward seine Beute und die Buben im Dorfe lie-
fen ihm darum nach, wenn sie ihn mit der Flinte
nach dem Walde schleichen sahen.

Unter den Ortschaften, welche die beiden Schleifer
alljährlich mit ihrem Karren aufzusuchen pflegten, be-
fand sich auch das Dörfchen Lobenhain, woselbst eine
alte Base des Meisters Schickedanz, eine Witwe, mit
einer sehr hübschen Tochter wohnte. Das rosenwan-
gige Käthchen sah den schmucken, bescheidenen Albert
[Spaltenumbruch] jedes mal für ihr Leben gern kommen und stets
hatte sie vollauf Arbeit für ihn. Bald war ihre Näh-
schere, bald dieses oder jenes Messer stumpf, dann
wieder sollte er ihr Blumen pflanzen oder Leinwand
auf der Bleiche ausspannen helfen, genug, sie suchte
ihn auf alle Weise für sich zu beschäftigen. Albert
war ihr nun zwar auch in Allem gefällig, zeigte aber,
eine natürliche Folge seines frühern Entwickelungsgan-
ges, immer eine gewisse Blödigkeit und Scheu gegen
das Mädchen und ward roth und verlegen, wenn seine
und Käthchen's Hände sich bei den kleinen Arbeiten
zufällig einmal berührten. Die Bleiche war indeß sein
Lieblingsplatz. Manche Nacht schlief er daselbst unter
dem Laubdache einer majestätischen Eiche, in deren
Nähe ehemals eine Kapelle gestanden haben sollte, und
mit rührender Jnnigkeit bat er um Schonung des herr-
lichen Baums, als eines Tages die Rede davon war,
denselben zu fällen, weil er zu viel Schatten gäbe. Jn
Folge dieses Vorgangs hieß der Baum zuletzt allgemein
"die Albertseiche" und die Mädchen des Dorfs, welche
mit Käthchen dort die Leinwand begossen, suchten
fortan um so lieber Schutz gegen die Schwüle des
Tages unter ihr, sangen Lieder und zogen Käthchen
mit Albert auf. Erröthete erstere nun zwar auch dar-
über, so fragte sie selbst sich doch oft zweifelnd und
seufzend, ob Albert sie wol auch gern hätte!

Der Jüngling war aber viel zu scheu; er hatte
keine Romane gelesen und sein bewegtes Jugendleben
hatte ihm weder Zeit noch Gelegenheit geboten, Be-
kanntschaft mit Frauen anzuknüpfen.

Alle Versuche Käthchen's, ihn für sich zu gewin-
nen, misglückten und in der Verzweiflung wandte sie
endlich ihre Liebe Joseph, dem Sohne des Meßners,
zu, der ihr schon lange auf Schritt und Tritt nach-
schlich. Als daher Albert im Sommer 1812 mit sei-
nem Pflegevater wieder nach Lobenhain kam, war
Joseph Hahn im Korbe, und nun erst fühlte der be-
scheidene Jüngling, wie sehr lieb ihm Käthchen war
und manche Thräne über den schmerzlichen Verlust
stahl sich heimlich über seine Wangen. Käthchen be-
lauschte ihn oft, allein es war zu spät! Joseph wollte
und konnte sein Recht behaupten und fing schon im
Geheimen an, recht eifersüchtig auf Albert zu werden.
Dieser bemerkte kaum den verhaltenen Widerwillen sei-
nes alten Bekannten gegen ihn, als er beschloß, das
Mädchen sorgfältig zu meiden, um ja keinen Anlaß
zu Zwistigkeiten unter den Brautleuten zu geben.
Käthchen hingegen schrieb sein nunmehriges Benehmen
der wiedererwachten, ihr unbegreiflichen Kälte seines
Herzens zu, die sie so oft bei ihm verwünscht hatte.
Auf diese Weise entfernten sich die Beiden, die doch
füreinander bestimmt gewesen zu sein schienen, immer
weiter voneinander, und so oft Albert es nicht ver-
meiden konnte, in Käthchen's und ihres Verlobten
Nähe zu sein, fühlte er sich durch ihren gegenseitigen
ungezwungenen Umgang schmerzlich berührt; es gab
ihm immer einen Stich ins Herz. Zuletzt ward er
immer schwermüthiger, wozu er von jeher große Nei-
gung gehabt hatte und sprach oft von seinem baldigen
Tode, der ihm von klugen Frauen wiederholt schon
aus dem erzählten Gesicht mit dem Taufengel ge-
weissagt worden war. Das muthwillige Käthchen lä-
chelte dann wol spöttisch zu seiner Rede und sagte mit
großer Bereitwilligkeit zu, ihm den Todtenkranz zu
winden, den er sich von ihrer Hand erbat, wenn jene
Vorherverkündigung eintreffen würde. Der eifersüch-
tige Joseph aber dachte in seinem Herzen: "Lieber heute
als morgen!" Die andern Dirnen blickten verstohlen
[Ende Spaltensatz]


[Beginn Spaltensatz]
Die Waise.
( Fortsetzung. )

Weißt du was, Bube, begann der Schleifer nach
einigem Besinnen, ich will dich als eigen annehmen,
wenn du brav bist, und dich mein Gewerbe lehren.
Schau, ich habe weder Kind noch Kegel, und du kannst
einmal meine Stütze und auch mein Erbe sein, wenn du
wacker bleibst! Albert nickte freundlich und Beide
gingen vergnügt und zufrieden miteinander nach dem
Dorfe Gießhübel, wo der Schleifer Jgnaz Schickedanz
wohnte.

Eine alte Magd mußte das Geschäft übernehmen,
Albert vom Kopf bis zum Fuß zu reinigen, dann be-
kam er andere Kleider und ward fortan als ein Glied
des Hauses angesehen. Anfangs konnte sich der Knabe
durchaus nicht an die warmen Speisen, an die Stuben-
luft und Betten gewöhnen; ein Stück trocken Brot
und Käse zog er allen Suppen und dergleichen vor,
und zu seiner Schlafstelle wählte er am liebsten den
Stall, wo er vergnügt bei dem Karrenhunde schlief, der
auch bald sein Liebling wurde und die besten Brocken
von ihm erhielt. Jn kurzer Zeit lernte er auch die
Haupthandgriffe der Schleiferkunst und zog nun mit
seinem Pflegevater, der den anstelligen und gutmüthi-
gen Knaben täglich lieber gewann, von Ort zu Ort,
das Gewerbe zu treiben. Darüber verging der Som-
mer, und als nun der Winter kam, wo das Geschäft
ruhte, machte ihm sein Pflegevater als guter Christ
ernste Vorstellungen, auch Gottes Wort zu lernen. So
wenig Verlangen aber Albert auch hiernach bezeigte,
so mußte er sich endlich doch bequemen, den Religions-
unterricht des Pfarrers zu besuchen. Mit dem Lernen
der Sprüche und Gebete wollte es aber anfangs gar
nicht gehen; dazu kam auch noch, daß er in der
dunstigen Schulstube nie lange auszudauern vermochte
und oft halb ohnmächtig sie verlassen mußte. Daher
schüttelte der eifrige Pfarrer oftmals den Kopf über
ihn und prophezeite nichts Gutes; inzwischen prägte
sich Albert doch mit der Zeit das Nöthigste ein und
konnte endlich mit seinem Pflegevater, der sehr gottes-
fürchtig war, zusammen beten, worüber dieser eine in-
nige Freude empfand.

Acht Jahre brachte Albert auf diese Weise bei dem
guten Scherenschleifer zu, ohne daß besondere Ereignisse
aufs neue störend in das Leben des Knaben eingriffen.
Während des Sommers betrieb er die Schleiferkunst,
in der er es bald zu einer nicht gewöhnlichen Fer-
tigkeit brachte, im Winter aber ward er zu häus-
lichen Geschäften angehalten. Bald galt er in der
ganzen Umgegend für den schmucksten und flinksten
Burschen und Alle rühmten ihm nach, wie treu er
seinen Pflegevater liebe, dessen Stütze er denn auch,
bei der zunehmenden Hinfälligkeit des bejahrten Man-
nes, mehr und mehr ward. Eine besondere Neigung
zeigte er stets zur Jagd, und gar manches Wild er-
legte er an arbeitsfreien Tagen heimlich im Walde,
worüber ihn der alte Schickedanz oftmals derb aus-
schalt. Jede Elster, die im Winter auf dem Zaune
saß, ward seine Beute und die Buben im Dorfe lie-
fen ihm darum nach, wenn sie ihn mit der Flinte
nach dem Walde schleichen sahen.

Unter den Ortschaften, welche die beiden Schleifer
alljährlich mit ihrem Karren aufzusuchen pflegten, be-
fand sich auch das Dörfchen Lobenhain, woselbst eine
alte Base des Meisters Schickedanz, eine Witwe, mit
einer sehr hübschen Tochter wohnte. Das rosenwan-
gige Käthchen sah den schmucken, bescheidenen Albert
[Spaltenumbruch] jedes mal für ihr Leben gern kommen und stets
hatte sie vollauf Arbeit für ihn. Bald war ihre Näh-
schere, bald dieses oder jenes Messer stumpf, dann
wieder sollte er ihr Blumen pflanzen oder Leinwand
auf der Bleiche ausspannen helfen, genug, sie suchte
ihn auf alle Weise für sich zu beschäftigen. Albert
war ihr nun zwar auch in Allem gefällig, zeigte aber,
eine natürliche Folge seines frühern Entwickelungsgan-
ges, immer eine gewisse Blödigkeit und Scheu gegen
das Mädchen und ward roth und verlegen, wenn seine
und Käthchen's Hände sich bei den kleinen Arbeiten
zufällig einmal berührten. Die Bleiche war indeß sein
Lieblingsplatz. Manche Nacht schlief er daselbst unter
dem Laubdache einer majestätischen Eiche, in deren
Nähe ehemals eine Kapelle gestanden haben sollte, und
mit rührender Jnnigkeit bat er um Schonung des herr-
lichen Baums, als eines Tages die Rede davon war,
denselben zu fällen, weil er zu viel Schatten gäbe. Jn
Folge dieses Vorgangs hieß der Baum zuletzt allgemein
„die Albertseiche“ und die Mädchen des Dorfs, welche
mit Käthchen dort die Leinwand begossen, suchten
fortan um so lieber Schutz gegen die Schwüle des
Tages unter ihr, sangen Lieder und zogen Käthchen
mit Albert auf. Erröthete erstere nun zwar auch dar-
über, so fragte sie selbst sich doch oft zweifelnd und
seufzend, ob Albert sie wol auch gern hätte!

Der Jüngling war aber viel zu scheu; er hatte
keine Romane gelesen und sein bewegtes Jugendleben
hatte ihm weder Zeit noch Gelegenheit geboten, Be-
kanntschaft mit Frauen anzuknüpfen.

Alle Versuche Käthchen's, ihn für sich zu gewin-
nen, misglückten und in der Verzweiflung wandte sie
endlich ihre Liebe Joseph, dem Sohne des Meßners,
zu, der ihr schon lange auf Schritt und Tritt nach-
schlich. Als daher Albert im Sommer 1812 mit sei-
nem Pflegevater wieder nach Lobenhain kam, war
Joseph Hahn im Korbe, und nun erst fühlte der be-
scheidene Jüngling, wie sehr lieb ihm Käthchen war
und manche Thräne über den schmerzlichen Verlust
stahl sich heimlich über seine Wangen. Käthchen be-
lauschte ihn oft, allein es war zu spät! Joseph wollte
und konnte sein Recht behaupten und fing schon im
Geheimen an, recht eifersüchtig auf Albert zu werden.
Dieser bemerkte kaum den verhaltenen Widerwillen sei-
nes alten Bekannten gegen ihn, als er beschloß, das
Mädchen sorgfältig zu meiden, um ja keinen Anlaß
zu Zwistigkeiten unter den Brautleuten zu geben.
Käthchen hingegen schrieb sein nunmehriges Benehmen
der wiedererwachten, ihr unbegreiflichen Kälte seines
Herzens zu, die sie so oft bei ihm verwünscht hatte.
Auf diese Weise entfernten sich die Beiden, die doch
füreinander bestimmt gewesen zu sein schienen, immer
weiter voneinander, und so oft Albert es nicht ver-
meiden konnte, in Käthchen's und ihres Verlobten
Nähe zu sein, fühlte er sich durch ihren gegenseitigen
ungezwungenen Umgang schmerzlich berührt; es gab
ihm immer einen Stich ins Herz. Zuletzt ward er
immer schwermüthiger, wozu er von jeher große Nei-
gung gehabt hatte und sprach oft von seinem baldigen
Tode, der ihm von klugen Frauen wiederholt schon
aus dem erzählten Gesicht mit dem Taufengel ge-
weissagt worden war. Das muthwillige Käthchen lä-
chelte dann wol spöttisch zu seiner Rede und sagte mit
großer Bereitwilligkeit zu, ihm den Todtenkranz zu
winden, den er sich von ihrer Hand erbat, wenn jene
Vorherverkündigung eintreffen würde. Der eifersüch-
tige Joseph aber dachte in seinem Herzen: „Lieber heute
als morgen!“ Die andern Dirnen blickten verstohlen
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0002" n="362"/>
      <fw type="pageNum" place="top">362</fw><lb/>
      <cb type="start"/>
      <div xml:id="Waise3" type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Die Waise</hi>.</hi><lb/>
          <ref target="nn_pfennig097_1854#Waise2">( Fortsetzung. )</ref>
        </head><lb/>
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#in">W</hi>eißt du was, Bube, begann der Schleifer nach<lb/>
einigem Besinnen, ich will dich als eigen annehmen,<lb/>
wenn du brav bist, und dich mein Gewerbe lehren.<lb/>
Schau, ich habe weder Kind noch Kegel, und du kannst<lb/>
einmal meine Stütze und auch mein Erbe sein, wenn du<lb/>
wacker bleibst! Albert nickte freundlich und Beide<lb/>
gingen vergnügt und zufrieden miteinander nach dem<lb/>
Dorfe Gießhübel, wo der Schleifer Jgnaz Schickedanz<lb/>
wohnte.</p><lb/>
          <p>Eine alte Magd mußte das Geschäft übernehmen,<lb/>
Albert vom Kopf bis zum Fuß zu reinigen, dann be-<lb/>
kam er andere Kleider und ward fortan als ein Glied<lb/>
des Hauses angesehen. Anfangs konnte sich der Knabe<lb/>
durchaus nicht an die warmen Speisen, an die Stuben-<lb/>
luft und Betten gewöhnen; ein Stück trocken Brot<lb/>
und Käse zog er allen Suppen und dergleichen vor,<lb/>
und zu seiner Schlafstelle wählte er am liebsten den<lb/>
Stall, wo er vergnügt bei dem Karrenhunde schlief, der<lb/>
auch bald sein Liebling wurde und die besten Brocken<lb/>
von ihm erhielt. Jn kurzer Zeit lernte er auch die<lb/>
Haupthandgriffe der Schleiferkunst und zog nun mit<lb/>
seinem Pflegevater, der den anstelligen und gutmüthi-<lb/>
gen Knaben täglich lieber gewann, von Ort zu Ort,<lb/>
das Gewerbe zu treiben. Darüber verging der Som-<lb/>
mer, und als nun der Winter kam, wo das Geschäft<lb/>
ruhte, machte ihm sein Pflegevater als guter Christ<lb/>
ernste Vorstellungen, auch Gottes Wort zu lernen. So<lb/>
wenig Verlangen aber Albert auch hiernach bezeigte,<lb/>
so mußte er sich endlich doch bequemen, den Religions-<lb/>
unterricht des Pfarrers zu besuchen. Mit dem Lernen<lb/>
der Sprüche und Gebete wollte es aber anfangs gar<lb/>
nicht gehen; dazu kam auch noch, daß er in der<lb/>
dunstigen Schulstube nie lange auszudauern vermochte<lb/>
und oft halb ohnmächtig sie verlassen mußte. Daher<lb/>
schüttelte der eifrige Pfarrer oftmals den Kopf über<lb/>
ihn und prophezeite nichts Gutes; inzwischen prägte<lb/>
sich Albert doch mit der Zeit das Nöthigste ein und<lb/>
konnte endlich mit seinem Pflegevater, der sehr gottes-<lb/>
fürchtig war, zusammen beten, worüber dieser eine in-<lb/>
nige Freude empfand.</p><lb/>
          <p>Acht Jahre brachte Albert auf diese Weise bei dem<lb/>
guten Scherenschleifer zu, ohne daß besondere Ereignisse<lb/>
aufs neue störend in das Leben des Knaben eingriffen.<lb/>
Während des Sommers betrieb er die Schleiferkunst,<lb/>
in der er es bald zu einer nicht gewöhnlichen Fer-<lb/>
tigkeit brachte, im Winter aber ward er zu häus-<lb/>
lichen Geschäften angehalten. Bald galt er in der<lb/>
ganzen Umgegend für den schmucksten und flinksten<lb/>
Burschen und Alle rühmten ihm nach, wie treu er<lb/>
seinen Pflegevater liebe, dessen Stütze er denn auch,<lb/>
bei der zunehmenden Hinfälligkeit des bejahrten Man-<lb/>
nes, mehr und mehr ward. Eine besondere Neigung<lb/>
zeigte er stets zur Jagd, und gar manches Wild er-<lb/>
legte er an arbeitsfreien Tagen heimlich im Walde,<lb/>
worüber ihn der alte Schickedanz oftmals derb aus-<lb/>
schalt. Jede Elster, die im Winter auf dem Zaune<lb/>
saß, ward seine Beute und die Buben im Dorfe lie-<lb/>
fen ihm darum nach, wenn sie ihn mit der Flinte<lb/>
nach dem Walde schleichen sahen.</p><lb/>
          <p>Unter den Ortschaften, welche die beiden Schleifer<lb/>
alljährlich mit ihrem Karren aufzusuchen pflegten, be-<lb/>
fand sich auch das Dörfchen Lobenhain, woselbst eine<lb/>
alte Base des Meisters Schickedanz, eine Witwe, mit<lb/>
einer sehr hübschen Tochter wohnte. Das rosenwan-<lb/>
gige Käthchen sah den schmucken, bescheidenen Albert<lb/><cb n="2"/>
jedes mal für ihr Leben gern kommen und stets<lb/>
hatte sie vollauf Arbeit für ihn. Bald war ihre Näh-<lb/>
schere, bald dieses oder jenes Messer stumpf, dann<lb/>
wieder sollte er ihr Blumen pflanzen oder Leinwand<lb/>
auf der Bleiche ausspannen helfen, genug, sie suchte<lb/>
ihn auf alle Weise für sich zu beschäftigen. Albert<lb/>
war ihr nun zwar auch in Allem gefällig, zeigte aber,<lb/>
eine natürliche Folge seines frühern Entwickelungsgan-<lb/>
ges, immer eine gewisse Blödigkeit und Scheu gegen<lb/>
das Mädchen und ward roth und verlegen, wenn seine<lb/>
und Käthchen's Hände sich bei den kleinen Arbeiten<lb/>
zufällig einmal berührten. Die Bleiche war indeß sein<lb/>
Lieblingsplatz. Manche Nacht schlief er daselbst unter<lb/>
dem Laubdache einer majestätischen Eiche, in deren<lb/>
Nähe ehemals eine Kapelle gestanden haben sollte, und<lb/>
mit rührender Jnnigkeit bat er um Schonung des herr-<lb/>
lichen Baums, als eines Tages die Rede davon war,<lb/>
denselben zu fällen, weil er zu viel Schatten gäbe. Jn<lb/>
Folge dieses Vorgangs hieß der Baum zuletzt allgemein<lb/>
&#x201E;die Albertseiche&#x201C; und die Mädchen des Dorfs, welche<lb/>
mit Käthchen dort die Leinwand begossen, suchten<lb/>
fortan um so lieber Schutz gegen die Schwüle des<lb/>
Tages unter ihr, sangen Lieder und zogen Käthchen<lb/>
mit Albert auf. Erröthete erstere nun zwar auch dar-<lb/>
über, so fragte sie selbst sich doch oft zweifelnd und<lb/>
seufzend, ob Albert sie wol auch gern hätte!</p><lb/>
          <p>Der Jüngling war aber viel zu scheu; er hatte<lb/>
keine Romane gelesen und sein bewegtes Jugendleben<lb/>
hatte ihm weder Zeit noch Gelegenheit geboten, Be-<lb/>
kanntschaft mit Frauen anzuknüpfen.</p><lb/>
          <p>Alle Versuche Käthchen's, ihn für sich zu gewin-<lb/>
nen, misglückten und in der Verzweiflung wandte sie<lb/>
endlich ihre Liebe Joseph, dem Sohne des Meßners,<lb/>
zu, der ihr schon lange auf Schritt und Tritt nach-<lb/>
schlich. Als daher Albert im Sommer 1812 mit sei-<lb/>
nem Pflegevater wieder nach Lobenhain kam, war<lb/>
Joseph Hahn im Korbe, und nun erst fühlte der be-<lb/>
scheidene Jüngling, wie sehr lieb ihm Käthchen war<lb/>
und manche Thräne über den schmerzlichen Verlust<lb/>
stahl sich heimlich über seine Wangen. Käthchen be-<lb/>
lauschte ihn oft, allein es war zu spät! Joseph wollte<lb/>
und konnte sein Recht behaupten und fing schon im<lb/>
Geheimen an, recht eifersüchtig auf Albert zu werden.<lb/>
Dieser bemerkte kaum den verhaltenen Widerwillen sei-<lb/>
nes alten Bekannten gegen ihn, als er beschloß, das<lb/>
Mädchen sorgfältig zu meiden, um ja keinen Anlaß<lb/>
zu Zwistigkeiten unter den Brautleuten zu geben.<lb/>
Käthchen hingegen schrieb sein nunmehriges Benehmen<lb/>
der wiedererwachten, ihr unbegreiflichen Kälte seines<lb/>
Herzens zu, die sie so oft bei ihm verwünscht hatte.<lb/>
Auf diese Weise entfernten sich die Beiden, die doch<lb/>
füreinander bestimmt gewesen zu sein schienen, immer<lb/>
weiter voneinander, und so oft Albert es nicht ver-<lb/>
meiden konnte, in Käthchen's und ihres Verlobten<lb/>
Nähe zu sein, fühlte er sich durch ihren gegenseitigen<lb/>
ungezwungenen Umgang schmerzlich berührt; es gab<lb/>
ihm immer einen Stich ins Herz. Zuletzt ward er<lb/>
immer schwermüthiger, wozu er von jeher große Nei-<lb/>
gung gehabt hatte und sprach oft von seinem baldigen<lb/>
Tode, der ihm von klugen Frauen wiederholt schon<lb/>
aus dem erzählten Gesicht mit dem Taufengel ge-<lb/>
weissagt worden war. Das muthwillige Käthchen lä-<lb/>
chelte dann wol spöttisch zu seiner Rede und sagte mit<lb/>
großer Bereitwilligkeit zu, ihm den Todtenkranz zu<lb/>
winden, den er sich von ihrer Hand erbat, wenn jene<lb/>
Vorherverkündigung eintreffen würde. Der eifersüch-<lb/>
tige Joseph aber dachte in seinem Herzen: &#x201E;Lieber heute<lb/>
als morgen!&#x201C; Die andern Dirnen blickten verstohlen<lb/><cb type="end"/>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0002] 362 Die Waise. ( Fortsetzung. ) Weißt du was, Bube, begann der Schleifer nach einigem Besinnen, ich will dich als eigen annehmen, wenn du brav bist, und dich mein Gewerbe lehren. Schau, ich habe weder Kind noch Kegel, und du kannst einmal meine Stütze und auch mein Erbe sein, wenn du wacker bleibst! Albert nickte freundlich und Beide gingen vergnügt und zufrieden miteinander nach dem Dorfe Gießhübel, wo der Schleifer Jgnaz Schickedanz wohnte. Eine alte Magd mußte das Geschäft übernehmen, Albert vom Kopf bis zum Fuß zu reinigen, dann be- kam er andere Kleider und ward fortan als ein Glied des Hauses angesehen. Anfangs konnte sich der Knabe durchaus nicht an die warmen Speisen, an die Stuben- luft und Betten gewöhnen; ein Stück trocken Brot und Käse zog er allen Suppen und dergleichen vor, und zu seiner Schlafstelle wählte er am liebsten den Stall, wo er vergnügt bei dem Karrenhunde schlief, der auch bald sein Liebling wurde und die besten Brocken von ihm erhielt. Jn kurzer Zeit lernte er auch die Haupthandgriffe der Schleiferkunst und zog nun mit seinem Pflegevater, der den anstelligen und gutmüthi- gen Knaben täglich lieber gewann, von Ort zu Ort, das Gewerbe zu treiben. Darüber verging der Som- mer, und als nun der Winter kam, wo das Geschäft ruhte, machte ihm sein Pflegevater als guter Christ ernste Vorstellungen, auch Gottes Wort zu lernen. So wenig Verlangen aber Albert auch hiernach bezeigte, so mußte er sich endlich doch bequemen, den Religions- unterricht des Pfarrers zu besuchen. Mit dem Lernen der Sprüche und Gebete wollte es aber anfangs gar nicht gehen; dazu kam auch noch, daß er in der dunstigen Schulstube nie lange auszudauern vermochte und oft halb ohnmächtig sie verlassen mußte. Daher schüttelte der eifrige Pfarrer oftmals den Kopf über ihn und prophezeite nichts Gutes; inzwischen prägte sich Albert doch mit der Zeit das Nöthigste ein und konnte endlich mit seinem Pflegevater, der sehr gottes- fürchtig war, zusammen beten, worüber dieser eine in- nige Freude empfand. Acht Jahre brachte Albert auf diese Weise bei dem guten Scherenschleifer zu, ohne daß besondere Ereignisse aufs neue störend in das Leben des Knaben eingriffen. Während des Sommers betrieb er die Schleiferkunst, in der er es bald zu einer nicht gewöhnlichen Fer- tigkeit brachte, im Winter aber ward er zu häus- lichen Geschäften angehalten. Bald galt er in der ganzen Umgegend für den schmucksten und flinksten Burschen und Alle rühmten ihm nach, wie treu er seinen Pflegevater liebe, dessen Stütze er denn auch, bei der zunehmenden Hinfälligkeit des bejahrten Man- nes, mehr und mehr ward. Eine besondere Neigung zeigte er stets zur Jagd, und gar manches Wild er- legte er an arbeitsfreien Tagen heimlich im Walde, worüber ihn der alte Schickedanz oftmals derb aus- schalt. Jede Elster, die im Winter auf dem Zaune saß, ward seine Beute und die Buben im Dorfe lie- fen ihm darum nach, wenn sie ihn mit der Flinte nach dem Walde schleichen sahen. Unter den Ortschaften, welche die beiden Schleifer alljährlich mit ihrem Karren aufzusuchen pflegten, be- fand sich auch das Dörfchen Lobenhain, woselbst eine alte Base des Meisters Schickedanz, eine Witwe, mit einer sehr hübschen Tochter wohnte. Das rosenwan- gige Käthchen sah den schmucken, bescheidenen Albert jedes mal für ihr Leben gern kommen und stets hatte sie vollauf Arbeit für ihn. Bald war ihre Näh- schere, bald dieses oder jenes Messer stumpf, dann wieder sollte er ihr Blumen pflanzen oder Leinwand auf der Bleiche ausspannen helfen, genug, sie suchte ihn auf alle Weise für sich zu beschäftigen. Albert war ihr nun zwar auch in Allem gefällig, zeigte aber, eine natürliche Folge seines frühern Entwickelungsgan- ges, immer eine gewisse Blödigkeit und Scheu gegen das Mädchen und ward roth und verlegen, wenn seine und Käthchen's Hände sich bei den kleinen Arbeiten zufällig einmal berührten. Die Bleiche war indeß sein Lieblingsplatz. Manche Nacht schlief er daselbst unter dem Laubdache einer majestätischen Eiche, in deren Nähe ehemals eine Kapelle gestanden haben sollte, und mit rührender Jnnigkeit bat er um Schonung des herr- lichen Baums, als eines Tages die Rede davon war, denselben zu fällen, weil er zu viel Schatten gäbe. Jn Folge dieses Vorgangs hieß der Baum zuletzt allgemein „die Albertseiche“ und die Mädchen des Dorfs, welche mit Käthchen dort die Leinwand begossen, suchten fortan um so lieber Schutz gegen die Schwüle des Tages unter ihr, sangen Lieder und zogen Käthchen mit Albert auf. Erröthete erstere nun zwar auch dar- über, so fragte sie selbst sich doch oft zweifelnd und seufzend, ob Albert sie wol auch gern hätte! Der Jüngling war aber viel zu scheu; er hatte keine Romane gelesen und sein bewegtes Jugendleben hatte ihm weder Zeit noch Gelegenheit geboten, Be- kanntschaft mit Frauen anzuknüpfen. Alle Versuche Käthchen's, ihn für sich zu gewin- nen, misglückten und in der Verzweiflung wandte sie endlich ihre Liebe Joseph, dem Sohne des Meßners, zu, der ihr schon lange auf Schritt und Tritt nach- schlich. Als daher Albert im Sommer 1812 mit sei- nem Pflegevater wieder nach Lobenhain kam, war Joseph Hahn im Korbe, und nun erst fühlte der be- scheidene Jüngling, wie sehr lieb ihm Käthchen war und manche Thräne über den schmerzlichen Verlust stahl sich heimlich über seine Wangen. Käthchen be- lauschte ihn oft, allein es war zu spät! Joseph wollte und konnte sein Recht behaupten und fing schon im Geheimen an, recht eifersüchtig auf Albert zu werden. Dieser bemerkte kaum den verhaltenen Widerwillen sei- nes alten Bekannten gegen ihn, als er beschloß, das Mädchen sorgfältig zu meiden, um ja keinen Anlaß zu Zwistigkeiten unter den Brautleuten zu geben. Käthchen hingegen schrieb sein nunmehriges Benehmen der wiedererwachten, ihr unbegreiflichen Kälte seines Herzens zu, die sie so oft bei ihm verwünscht hatte. Auf diese Weise entfernten sich die Beiden, die doch füreinander bestimmt gewesen zu sein schienen, immer weiter voneinander, und so oft Albert es nicht ver- meiden konnte, in Käthchen's und ihres Verlobten Nähe zu sein, fühlte er sich durch ihren gegenseitigen ungezwungenen Umgang schmerzlich berührt; es gab ihm immer einen Stich ins Herz. Zuletzt ward er immer schwermüthiger, wozu er von jeher große Nei- gung gehabt hatte und sprach oft von seinem baldigen Tode, der ihm von klugen Frauen wiederholt schon aus dem erzählten Gesicht mit dem Taufengel ge- weissagt worden war. Das muthwillige Käthchen lä- chelte dann wol spöttisch zu seiner Rede und sagte mit großer Bereitwilligkeit zu, ihm den Todtenkranz zu winden, den er sich von ihrer Hand erbat, wenn jene Vorherverkündigung eintreffen würde. Der eifersüch- tige Joseph aber dachte in seinem Herzen: „Lieber heute als morgen!“ Die andern Dirnen blickten verstohlen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig098_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig098_1854/2
Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 98. Leipzig (Sachsen), 16. November 1854, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig098_1854/2>, abgerufen am 16.07.2024.