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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 96. Leipzig (Sachsen), 2. November 1854.

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[Beginn Spaltensatz] angefangen, so ließ sich über ihren Häuptern an der
Firste ein schreckliches Krachen vernehmen.

Der Steiger bemerkte sofort, daß die Zimmerung
an ihrem Arbeitsorte nachgab und brach, darum schrie
er seinen Untergebenen zu: "Es macht einen Bruch!
Rettet euch, Brüder!"

Zu gleicher Zeit wiederholte sich das Krachen und
die Knappen stürzten mit dem Steiger davon, um ihr
Leben in Sicherheit zu bringen. Als sie einen fe-
sten Punkt erreicht hatten, vermißten sie Oswald
Barthel.

Wo ist unser Oswald! rief der Steiger im höch-
sten Schrecken und ließ sofort den Namen des Lieb-
lings der Knappschaft durch die Grube tönen; aber
keine Antwort wollte zurückkommen. Sogleich sendete
der Steiger einen Boten an den Bergmeister ab, um
ihm von der wahrscheinlichen Verunglückung des treuen
Oswald Kunde zugehen zu lassen, dann legte er mit
seinen Gefährten Hand an den zusammengestürzten
Bau, in der Hoffnung, den lieben Gefährten durch
schnelle Hülfe vielleicht noch retten zu können. Wäh-
rend die Männer schweißtriefend das Geröll und die
Erde wegwarfen, erschien in höchster Eile der Berg-
meister mit den Geschworenen und vielen Knappen,
welche sogleich mit zugriffen und die ermatteten Kame-
raden kräftigst unterstützten. So sehr sie sich aber auch
abmühten, so war doch an diesem furchtbaren Bruche
alle Arbeit bei fast übermenschlicher Anstrengung ver-
geblich; denn je mehr man von dem Bruche weg-
nahm, desto mehr stürzte nach. Mit inniger Weh-
muth verließen endlich die trauernden Knappen den
schrecklichen Ort und der gute Barthel mußte unter
der fürchterlichen Last des Bergs, welcher ihn begrub,
verloren gegeben werden.

Die Kunde von der Verschüttung Barthel's ergriff
Aller Herzen, am meisten aber seine Braut, die arme
Anna Baumwald. Sie brach, als sie das Unglück
hörte, zusammen und der Schreck schien ihr die Fä-
den des Lebens zerrissen zu haben. Man brachte sie
zu Bett und es gelang, sie nach und nach in das Le-
ben zurückzurufen. Doch ihr Erwachen war, nach den
Berichten dea[unleserliches Material] Sage, ein recht trauriges. Da sie ih-
ren Oswald nicht mehr hatte, so verzichtete sie auf
alle Freuden des Lebens und wünschte sich selbst den
Tod. Fast schien auch ihr Wunsch in Erfüllung ge-
hen zu wollen. Sie wurde todtkrank und sehnte sich
selbst nach Erlösung; aber ihr Körper besiegte die
Krankheit und sie genas wieder.

Nach der Sitte ihrer Zeit wanderte die Genesene
mit ihrer Mutter zur Kirche. Kein Lächeln kam über
ihr blasses Gesicht; sie dachte nur an ihren Oswald
und ließ ihre Augen auf dem Brautkranze ruhen, den
sie in der Hand trug. Als sie im Gotteshause ange-
kommen war, gelobte sie feierlich ihrem Oswald ewige
Treue und versicherte dabei, daß keine Macht der Erde
sie bewegen könne, ihre Hand einem Andern zu rei-
chen. Darauf nahm sie ihren Brautkranz und hing
ihn unter den Todtenkränzen auf, welche die trauernde
Liebe den Seligentschlafenen zum treuen Angedenken
in der Kirche aufgehangen hatte.

Anna's Gesundheit kehrte wieder vollständiger zu-
rück als irgend Jemand gehofft hatte, doch ihre Seele
blieb bedrückt; die arme Braut lebte in stiller Zurück-
gezogenheit und dachte ledenslang ihres Bräutigams.
Was sie that, war Liebe und Sanftmuth, was sie
sprach, war Wehmuth und Gottergebenheit.

Aber auch die Schmerzensjahre vergehen wie die
Zeiten der Freude. So mancher Freund Barthel's
[Spaltenumbruch] war schon das letzte mal an= und aufgefahren und
endlich lebten von seinen alten Bekannten nur noch
die treue Anna und die Knappen Kendler und Reiter
in Ehrenfriedersdorf sowie Simon Löser aus Dreh-
bach. Die Haare dieser Männer waren gebleicht; sie
führten längst das Fäustel nicht mehr.

Nun traf es sich, daß man einen Stolln am Sau-
berge treiben wollte, mit welchem man schon weit vor-
geschritten war; da entdeckten die Bergleute am 20.
September 1568 in der "gebrechen", d. i. erdigen
Bergart den Körper eines Menschen. Derselbe wurde
sofort von der ihn umgebenden Erdmasse befreit. Seine
Kleider waren nicht vermodert und der Leib war hart
geworden. Als man ihn zu Tage ausführen wollte,
brach er entzwei, sodaß nur noch Kopf, Rumpf und
Arme aneinander blieben.

Der Fund ward dem damaligen Bergmeister an-
gezeigt, welcher sogleich mit einem Geschworenen zur
Stelle kam und nähere Untersuchungen anstellte. Bald
ergab sich, daß der Leichnam jedenfalls der Körper des
verschütteten Oswald Barthel sein müsse. Man holte
seine noch lebenden drei Kameraden herbei und diese
erkannten den verunglückten Gefährten, dessen Auße-
res nach alten Bergnachrichten also beschrieben worden
ist: "Er hatte eine Bergkappe, wie die Alten gepflo-
gen auf seinem Haupt gehabt und schwarz Haar einer
halben Ellen lang, einen weißen Zippelpelz ( Schaf-
pelz ) am Leibe, ein Paar Grubenhosen, Schuhe an
Füßen, eine Unschlitttasche, einen Grubenscherper mit
Blei begossen, umgürtet; es sind auch Schuh, Hosen
und Pelz ganz gewesen."

Ueber 66 Jahre lag Barthel in seinem tiefen
Grabe. Sechs Tage nach seinem Wiederauffinden
wurde er aufs neue feierlich zur Erde bestattet, beglei-
tet von einem langen Zuge der Bergleute, welche aus
allen Gegenden zu dem merkwürdigen Begräbnisse her-
beigekommen waren. Selbst die höhern Bergbeamten
schlossen sich den Tausenden an, die den Zug bildeten.
Der Pfarrer Reute hielt dem Todten eine würdige
Grabrede und sprach dabei: "Es ist eine wunder-
seltsame Mähr, daß ich, der ich im 31. Jahre
stehe, heute einer Leiche die Gedächtnißpredigt halte,
welche schon 30 Jahre vor meiner Geburt gestorben
ist." Merkwürdig war es auch, daß Barthel von
einem protestantischen Geistlichen das letzte Segenswort
erhielt, während er selbst als Katholik bei seinem
Leben doch nie an eine Möglichkeit der Art denken
konnte.

Das Rührendste bei dem ganzen Vorfalle bleibt
aber der Umstand, daß nach der Sage beim Grabe
der 66jährigen Leiche Jungfrau Anna Baumwald,
vom Alter gebeugt, an dem seltenen Grabe erschien,
um ihrem theuern Bräutigam das letzte Lebewohl auf
Erden zu sagen und ihm nachzurufen: "Bald werde
ich mit dir vereinigt sein!"

Anna's Wunsch ward ihr gewährt; sie starb kurz
nach Oswald's Begräbnisse.



Der unglückliche Fastnachtstanz zu Kalbe im
Jahre
1382.

Wie gar leicht oftmals Jubel und Freude in Trauer
und Wehklagen sich verwandeln können, dafür liefert
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] angefangen, so ließ sich über ihren Häuptern an der
Firste ein schreckliches Krachen vernehmen.

Der Steiger bemerkte sofort, daß die Zimmerung
an ihrem Arbeitsorte nachgab und brach, darum schrie
er seinen Untergebenen zu: „Es macht einen Bruch!
Rettet euch, Brüder!“

Zu gleicher Zeit wiederholte sich das Krachen und
die Knappen stürzten mit dem Steiger davon, um ihr
Leben in Sicherheit zu bringen. Als sie einen fe-
sten Punkt erreicht hatten, vermißten sie Oswald
Barthel.

Wo ist unser Oswald! rief der Steiger im höch-
sten Schrecken und ließ sofort den Namen des Lieb-
lings der Knappschaft durch die Grube tönen; aber
keine Antwort wollte zurückkommen. Sogleich sendete
der Steiger einen Boten an den Bergmeister ab, um
ihm von der wahrscheinlichen Verunglückung des treuen
Oswald Kunde zugehen zu lassen, dann legte er mit
seinen Gefährten Hand an den zusammengestürzten
Bau, in der Hoffnung, den lieben Gefährten durch
schnelle Hülfe vielleicht noch retten zu können. Wäh-
rend die Männer schweißtriefend das Geröll und die
Erde wegwarfen, erschien in höchster Eile der Berg-
meister mit den Geschworenen und vielen Knappen,
welche sogleich mit zugriffen und die ermatteten Kame-
raden kräftigst unterstützten. So sehr sie sich aber auch
abmühten, so war doch an diesem furchtbaren Bruche
alle Arbeit bei fast übermenschlicher Anstrengung ver-
geblich; denn je mehr man von dem Bruche weg-
nahm, desto mehr stürzte nach. Mit inniger Weh-
muth verließen endlich die trauernden Knappen den
schrecklichen Ort und der gute Barthel mußte unter
der fürchterlichen Last des Bergs, welcher ihn begrub,
verloren gegeben werden.

Die Kunde von der Verschüttung Barthel's ergriff
Aller Herzen, am meisten aber seine Braut, die arme
Anna Baumwald. Sie brach, als sie das Unglück
hörte, zusammen und der Schreck schien ihr die Fä-
den des Lebens zerrissen zu haben. Man brachte sie
zu Bett und es gelang, sie nach und nach in das Le-
ben zurückzurufen. Doch ihr Erwachen war, nach den
Berichten dea[unleserliches Material] Sage, ein recht trauriges. Da sie ih-
ren Oswald nicht mehr hatte, so verzichtete sie auf
alle Freuden des Lebens und wünschte sich selbst den
Tod. Fast schien auch ihr Wunsch in Erfüllung ge-
hen zu wollen. Sie wurde todtkrank und sehnte sich
selbst nach Erlösung; aber ihr Körper besiegte die
Krankheit und sie genas wieder.

Nach der Sitte ihrer Zeit wanderte die Genesene
mit ihrer Mutter zur Kirche. Kein Lächeln kam über
ihr blasses Gesicht; sie dachte nur an ihren Oswald
und ließ ihre Augen auf dem Brautkranze ruhen, den
sie in der Hand trug. Als sie im Gotteshause ange-
kommen war, gelobte sie feierlich ihrem Oswald ewige
Treue und versicherte dabei, daß keine Macht der Erde
sie bewegen könne, ihre Hand einem Andern zu rei-
chen. Darauf nahm sie ihren Brautkranz und hing
ihn unter den Todtenkränzen auf, welche die trauernde
Liebe den Seligentschlafenen zum treuen Angedenken
in der Kirche aufgehangen hatte.

Anna's Gesundheit kehrte wieder vollständiger zu-
rück als irgend Jemand gehofft hatte, doch ihre Seele
blieb bedrückt; die arme Braut lebte in stiller Zurück-
gezogenheit und dachte ledenslang ihres Bräutigams.
Was sie that, war Liebe und Sanftmuth, was sie
sprach, war Wehmuth und Gottergebenheit.

Aber auch die Schmerzensjahre vergehen wie die
Zeiten der Freude. So mancher Freund Barthel's
[Spaltenumbruch] war schon das letzte mal an= und aufgefahren und
endlich lebten von seinen alten Bekannten nur noch
die treue Anna und die Knappen Kendler und Reiter
in Ehrenfriedersdorf sowie Simon Löser aus Dreh-
bach. Die Haare dieser Männer waren gebleicht; sie
führten längst das Fäustel nicht mehr.

Nun traf es sich, daß man einen Stolln am Sau-
berge treiben wollte, mit welchem man schon weit vor-
geschritten war; da entdeckten die Bergleute am 20.
September 1568 in der „gebrechen“, d. i. erdigen
Bergart den Körper eines Menschen. Derselbe wurde
sofort von der ihn umgebenden Erdmasse befreit. Seine
Kleider waren nicht vermodert und der Leib war hart
geworden. Als man ihn zu Tage ausführen wollte,
brach er entzwei, sodaß nur noch Kopf, Rumpf und
Arme aneinander blieben.

Der Fund ward dem damaligen Bergmeister an-
gezeigt, welcher sogleich mit einem Geschworenen zur
Stelle kam und nähere Untersuchungen anstellte. Bald
ergab sich, daß der Leichnam jedenfalls der Körper des
verschütteten Oswald Barthel sein müsse. Man holte
seine noch lebenden drei Kameraden herbei und diese
erkannten den verunglückten Gefährten, dessen Auße-
res nach alten Bergnachrichten also beschrieben worden
ist: „Er hatte eine Bergkappe, wie die Alten gepflo-
gen auf seinem Haupt gehabt und schwarz Haar einer
halben Ellen lang, einen weißen Zippelpelz ( Schaf-
pelz ) am Leibe, ein Paar Grubenhosen, Schuhe an
Füßen, eine Unschlitttasche, einen Grubenscherper mit
Blei begossen, umgürtet; es sind auch Schuh, Hosen
und Pelz ganz gewesen.“

Ueber 66 Jahre lag Barthel in seinem tiefen
Grabe. Sechs Tage nach seinem Wiederauffinden
wurde er aufs neue feierlich zur Erde bestattet, beglei-
tet von einem langen Zuge der Bergleute, welche aus
allen Gegenden zu dem merkwürdigen Begräbnisse her-
beigekommen waren. Selbst die höhern Bergbeamten
schlossen sich den Tausenden an, die den Zug bildeten.
Der Pfarrer Reute hielt dem Todten eine würdige
Grabrede und sprach dabei: „Es ist eine wunder-
seltsame Mähr, daß ich, der ich im 31. Jahre
stehe, heute einer Leiche die Gedächtnißpredigt halte,
welche schon 30 Jahre vor meiner Geburt gestorben
ist.“ Merkwürdig war es auch, daß Barthel von
einem protestantischen Geistlichen das letzte Segenswort
erhielt, während er selbst als Katholik bei seinem
Leben doch nie an eine Möglichkeit der Art denken
konnte.

Das Rührendste bei dem ganzen Vorfalle bleibt
aber der Umstand, daß nach der Sage beim Grabe
der 66jährigen Leiche Jungfrau Anna Baumwald,
vom Alter gebeugt, an dem seltenen Grabe erschien,
um ihrem theuern Bräutigam das letzte Lebewohl auf
Erden zu sagen und ihm nachzurufen: „Bald werde
ich mit dir vereinigt sein!“

Anna's Wunsch ward ihr gewährt; sie starb kurz
nach Oswald's Begräbnisse.



Der unglückliche Fastnachtstanz zu Kalbe im
Jahre
1382.

Wie gar leicht oftmals Jubel und Freude in Trauer
und Wehklagen sich verwandeln können, dafür liefert
[Ende Spaltensatz]

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Sechs Tage nach seinem Wiederauffinden wurde er aufs neue feierlich zur Erde bestattet, beglei- tet von einem langen Zuge der Bergleute, welche aus allen Gegenden zu dem merkwürdigen Begräbnisse her- beigekommen waren. Selbst die höhern Bergbeamten schlossen sich den Tausenden an, die den Zug bildeten. Der Pfarrer Reute hielt dem Todten eine würdige Grabrede und sprach dabei: „Es ist eine wunder- seltsame Mähr, daß ich, der ich im 31. Jahre stehe, heute einer Leiche die Gedächtnißpredigt halte, welche schon 30 Jahre vor meiner Geburt gestorben ist.“ Merkwürdig war es auch, daß Barthel von einem protestantischen Geistlichen das letzte Segenswort erhielt, während er selbst als Katholik bei seinem Leben doch nie an eine Möglichkeit der Art denken konnte. Das Rührendste bei dem ganzen Vorfalle bleibt aber der Umstand, daß nach der Sage beim Grabe der 66jährigen Leiche Jungfrau Anna Baumwald, vom Alter gebeugt, an dem seltenen Grabe erschien, um ihrem theuern Bräutigam das letzte Lebewohl auf Erden zu sagen und ihm nachzurufen: „Bald werde ich mit dir vereinigt sein!“ Anna's Wunsch ward ihr gewährt; sie starb kurz nach Oswald's Begräbnisse. Der unglückliche Fastnachtstanz zu Kalbe im Jahre 1382. Wie gar leicht oftmals Jubel und Freude in Trauer und Wehklagen sich verwandeln können, dafür liefert

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 96. Leipzig (Sachsen), 2. November 1854, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig096_1854/6>, abgerufen am 21.11.2024.