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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 88. Leipzig (Sachsen), 31. August 1854.

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Dem Klaus war die Sache nicht gleichgültig, aber
er konnte auch nicht auf Wirker böse sein, denn dieser
that mehr, als nur irgend Jemand von ihm fodern
konnte. Er bat Klaus nicht nur, aus seiner Grube
soviel Torf abzufahren, als er für sein Haus brauchte,
sondern er versorgte auch alle Armen des Dorfs mit
Brennmaterial für den Winter. Dadurch ward er
allen Waldbesitzern ein Wohlthäter, denn die Orts-
armen kamen nur selten noch in ihre Holzungen, um
sich ihre Bedürfnisse zu holen; die Wälder wurden ge-
schont, ohne großer Aufsicht zu bedürfen, und was die
Hauptsache war, die armen Leute, welche sonst halbe
Tage lang nach dürrem Holze liefen, benutzten ihre
Zeit zu nützlicher Beschäftigung, um ihr Brot zu er-
werben, wobei sie sich an eine geordnete Thätigkeit ge-
wöhnten. Jn spätern Jahren hatte man das Wort
Polengut mit dem Namen Wirkergut vertauscht, wozu
die besondere Achtung beitrug, welche dem Besitzer
desselben von nah und fern gezollt wurde. Das Gut
war die größte und schönste Besitzung des Dorfes ge-
worden, denn Wirker hatte bei jeder Gelegenheit neuen
Grund und Boden angekauft und nach seiner Weise
bewirthschaftet. Sein Geist wurde nicht müde im Wei-
terstreben und sein kräftiger Körper unterstützte ihn.
Vielerlei nützliche Einrichtungen schuf er in seinem
Dorfe und wo er konnte, half er dem Einzelnen auf,
ohne ein großes Geschrei dabei zu machen. Seine
Schulkenntnisse, im armen Knabenalter erworben, ka-
men ihm dabei zu statten uud überall wirkte er im
Geiste seiner Mutter und seines Schwiegervaters fort.
Das wichtige "Spute dich!" vergaß er nie; auch sorgte
er dafür, daß seine Kinder des Zurufes treu eingedenk
blieben.

Wirker's drei Kinder geriethen wohl, wie es bei
einer Erziehung durch solche Ältern kaum anders zu
erwarten war. Vater und Mutter hatten das seltene
Glück, ihre Lieblinge bei ihrem Leben noch versorgt zu
sehen. Der erste Sohn widmete sich den Studien, der
zweite übernahm in spätern Jahren das Gut des Va-
ters und die Tochter verheirathete sich an einen Kam-
mergutspachter, welcher ganz nach dem Muster seines
Schwiegervaters lebte, wie einst Wirker sich den ehrli-
chen Zillmer zum Vorbilde auserwählt hatte. Als eine
besondere gnädige Schickung des Himmels erkannte
Wirker den Umstand, daß sein Sohn, welcher Jurist
geworden war, als Gerichtsdirector in seinem Heimats-
orte angestellt wurde und in der Stube amtirte, wo
einst sein seliger Großvater als Gerichtsschöppe saß und
seinem Vater von dem alten, längst schlafengegangenen
Major das Lehngeld erlassen wurde.

Wirker vergaß seine Heimat nicht. Längst schon
schmückte ein schönes Denkmal die Gräber seiner Ael-
tern, versehen mit der Aufschrift: "Der Gerechten An-
denken bleibt in Segen!" Am Grabmale der Frau
Wirker waren an der gesenkten Fackel, welche ein Ge-
nius hielt, noch die Buchstaben S. D. zu sehen, über
deren Bedeutung man nicht recht einig werden, auch
von Karl Wirker nichts Gewisses erfahren konnte.
Man kam zuletzt zu der Ansicht, daß der dankbare
Sohn jedenfalls das Wort seiner Mutter: "Spute
dich!" habe andeuten wollen, ohne durch das Aus-
schreiben derselben dem Uneingeweihten einen Anstoß
zu geben.

Bei dem Vermögen, welches Wirker sich erworben
hatte, vermochte er für seine Heimat noch Vielerlei zu
thun. Er bestimmte beträchtliche Summen Geldes zu
Erbauung eines Armenhauses sowie zu Unterrichtsgeld
für arme Kinder; er kaufte mehre Acker Feld und
[Spaltenumbruch] verordnete, daß dieselben zu gleichen Theilen von den
Armen seiner Heimat unentgeltlich benutzt werden soll-
ten und stiftete endlich ein Legat, von welchem die
Zinsen dem karg besoldeten Lehrer außer seinem Ge-
halte zugewiesen wurden.

Wirker starb im 68. Jahre, betrauert von Tau-
senden; zwei Jahre später folgte ihm seine Johanna
nach. Mit der innigsten Verehrung und Liebe ge-
dachte man noch lange des würdigen, edlen Ehepaars
und so Mancher lernte von ihnen in ihrem Geiste le-
ben und wirken, getrieben durch das einfache Wort der
seligen Frau Wirker: "Spute dich!"



Eppelin und sein Roß.
Sage.

Jn der fränkischen Schweiz hüpft mit ihren krystalle-
nen Wellen die Wiesent durch ein liebliches grünes Thal,
dessen Üppigkeit die Herzen erquickt und dessen Duft der
Wanderer mit Lust am Licht der Erde athmet, wenn
er aus dem Dunkel der merkwürdigen Zoolithenhöhlen
zu Tage emporgestiegen ist. Jn diesen Höhlen liegen
die Überreste einer alten Zeit, welche die Cultur des Lan-
des noch entbehrte. Bären, Wölfe und anderes Ge-
thier brausten durch die Wälder des Gebirges und zo-
gen sich in die Felsgrotten zurück, um ihren Raub zu
verzehren und endlich der Nachwelt Schädel und Ge-
ripp ihrer eigenen Leiber als Andenken zurückzulassen,
als die aufgeregte Natur den Bestien selbst den Unter-
gang bereitete.

Jn demselben Thale hauste aber vor vielen Jah-
ren auch der Mensch, wie das wilde Raubthier,
weshalb der sorgende Handelsmann selten unangefoch-
ten seine Straße zog. Oft hallte es im Walde von
Waffengeklirr und Rossestampfen, wenn die nürnber-
ger Karavanen mit den bärtigen, beutegierigen Rit-
tern in blutiges Handgemenge gerathen waren, und
der Streit um das Mein und Dein foderte unzählige
Opfer.

Am gefährlichsten für die Kaufleute von Nürnberg
war aber der Ritter von Gailingen, Eppelin, dessen
Burg Gailenreuth wie das Raubnest des Adlers einst
von dem Gebirge herab trotzig ins Wiesentthal schaute,
heute aber als ein verwitterter Trümmerhaufen dem
Auge der cultivirten Menschheit kaum noch erkennbar
ist, wenn nicht der kundige Bewohner des Franken-
landes auf die Ruine aufmerksam macht. Friedlich
zieht jetzt der heitere Wanderer bei der Sachsenmühle
über die Brücke der Wiesent und gastfreundschaftlich
tönt ihm ein heiteres Willkommen entgegen, wenn ein
Gewitter von Streitberg her über Neideck sich zusam-
menzieht und er die Schritte beschleunigt, um unter
schützendes Obdach zu kommen.

Ganz anders ging es zur Zeit Eppelin's her. Er
war als Raubritter von aller Welt gefürchtet, denn
noch keiner kampfgerüsteten Schar war es gelungen,
ihn und seine kühnen Genossen zu besiegen und zu de-
müthigen. Den Nürnbergern hatte er schon unendli-
chen Schaden gethan; so mancher brave Bürger war
durch ihn beraubt und getödtet worden. Eppelin's
Burg strotzte von geraubtem Gute, aber er bekam nie
genug und wilde Gier erfaßte sein Herz, sobald ihm
durch seine Lauerer die Ankunft eines neuen Handels-
zugs aus Nürnberg angekündigt wurde. Da verloren
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[Beginn Spaltensatz]

Dem Klaus war die Sache nicht gleichgültig, aber
er konnte auch nicht auf Wirker böse sein, denn dieser
that mehr, als nur irgend Jemand von ihm fodern
konnte. Er bat Klaus nicht nur, aus seiner Grube
soviel Torf abzufahren, als er für sein Haus brauchte,
sondern er versorgte auch alle Armen des Dorfs mit
Brennmaterial für den Winter. Dadurch ward er
allen Waldbesitzern ein Wohlthäter, denn die Orts-
armen kamen nur selten noch in ihre Holzungen, um
sich ihre Bedürfnisse zu holen; die Wälder wurden ge-
schont, ohne großer Aufsicht zu bedürfen, und was die
Hauptsache war, die armen Leute, welche sonst halbe
Tage lang nach dürrem Holze liefen, benutzten ihre
Zeit zu nützlicher Beschäftigung, um ihr Brot zu er-
werben, wobei sie sich an eine geordnete Thätigkeit ge-
wöhnten. Jn spätern Jahren hatte man das Wort
Polengut mit dem Namen Wirkergut vertauscht, wozu
die besondere Achtung beitrug, welche dem Besitzer
desselben von nah und fern gezollt wurde. Das Gut
war die größte und schönste Besitzung des Dorfes ge-
worden, denn Wirker hatte bei jeder Gelegenheit neuen
Grund und Boden angekauft und nach seiner Weise
bewirthschaftet. Sein Geist wurde nicht müde im Wei-
terstreben und sein kräftiger Körper unterstützte ihn.
Vielerlei nützliche Einrichtungen schuf er in seinem
Dorfe und wo er konnte, half er dem Einzelnen auf,
ohne ein großes Geschrei dabei zu machen. Seine
Schulkenntnisse, im armen Knabenalter erworben, ka-
men ihm dabei zu statten uud überall wirkte er im
Geiste seiner Mutter und seines Schwiegervaters fort.
Das wichtige „Spute dich!“ vergaß er nie; auch sorgte
er dafür, daß seine Kinder des Zurufes treu eingedenk
blieben.

Wirker's drei Kinder geriethen wohl, wie es bei
einer Erziehung durch solche Ältern kaum anders zu
erwarten war. Vater und Mutter hatten das seltene
Glück, ihre Lieblinge bei ihrem Leben noch versorgt zu
sehen. Der erste Sohn widmete sich den Studien, der
zweite übernahm in spätern Jahren das Gut des Va-
ters und die Tochter verheirathete sich an einen Kam-
mergutspachter, welcher ganz nach dem Muster seines
Schwiegervaters lebte, wie einst Wirker sich den ehrli-
chen Zillmer zum Vorbilde auserwählt hatte. Als eine
besondere gnädige Schickung des Himmels erkannte
Wirker den Umstand, daß sein Sohn, welcher Jurist
geworden war, als Gerichtsdirector in seinem Heimats-
orte angestellt wurde und in der Stube amtirte, wo
einst sein seliger Großvater als Gerichtsschöppe saß und
seinem Vater von dem alten, längst schlafengegangenen
Major das Lehngeld erlassen wurde.

Wirker vergaß seine Heimat nicht. Längst schon
schmückte ein schönes Denkmal die Gräber seiner Ael-
tern, versehen mit der Aufschrift: „Der Gerechten An-
denken bleibt in Segen!“ Am Grabmale der Frau
Wirker waren an der gesenkten Fackel, welche ein Ge-
nius hielt, noch die Buchstaben S. D. zu sehen, über
deren Bedeutung man nicht recht einig werden, auch
von Karl Wirker nichts Gewisses erfahren konnte.
Man kam zuletzt zu der Ansicht, daß der dankbare
Sohn jedenfalls das Wort seiner Mutter: „Spute
dich!“ habe andeuten wollen, ohne durch das Aus-
schreiben derselben dem Uneingeweihten einen Anstoß
zu geben.

Bei dem Vermögen, welches Wirker sich erworben
hatte, vermochte er für seine Heimat noch Vielerlei zu
thun. Er bestimmte beträchtliche Summen Geldes zu
Erbauung eines Armenhauses sowie zu Unterrichtsgeld
für arme Kinder; er kaufte mehre Acker Feld und
[Spaltenumbruch] verordnete, daß dieselben zu gleichen Theilen von den
Armen seiner Heimat unentgeltlich benutzt werden soll-
ten und stiftete endlich ein Legat, von welchem die
Zinsen dem karg besoldeten Lehrer außer seinem Ge-
halte zugewiesen wurden.

Wirker starb im 68. Jahre, betrauert von Tau-
senden; zwei Jahre später folgte ihm seine Johanna
nach. Mit der innigsten Verehrung und Liebe ge-
dachte man noch lange des würdigen, edlen Ehepaars
und so Mancher lernte von ihnen in ihrem Geiste le-
ben und wirken, getrieben durch das einfache Wort der
seligen Frau Wirker: „Spute dich!“



Eppelin und sein Roß.
Sage.

Jn der fränkischen Schweiz hüpft mit ihren krystalle-
nen Wellen die Wiesent durch ein liebliches grünes Thal,
dessen Üppigkeit die Herzen erquickt und dessen Duft der
Wanderer mit Lust am Licht der Erde athmet, wenn
er aus dem Dunkel der merkwürdigen Zoolithenhöhlen
zu Tage emporgestiegen ist. Jn diesen Höhlen liegen
die Überreste einer alten Zeit, welche die Cultur des Lan-
des noch entbehrte. Bären, Wölfe und anderes Ge-
thier brausten durch die Wälder des Gebirges und zo-
gen sich in die Felsgrotten zurück, um ihren Raub zu
verzehren und endlich der Nachwelt Schädel und Ge-
ripp ihrer eigenen Leiber als Andenken zurückzulassen,
als die aufgeregte Natur den Bestien selbst den Unter-
gang bereitete.

Jn demselben Thale hauste aber vor vielen Jah-
ren auch der Mensch, wie das wilde Raubthier,
weshalb der sorgende Handelsmann selten unangefoch-
ten seine Straße zog. Oft hallte es im Walde von
Waffengeklirr und Rossestampfen, wenn die nürnber-
ger Karavanen mit den bärtigen, beutegierigen Rit-
tern in blutiges Handgemenge gerathen waren, und
der Streit um das Mein und Dein foderte unzählige
Opfer.

Am gefährlichsten für die Kaufleute von Nürnberg
war aber der Ritter von Gailingen, Eppelin, dessen
Burg Gailenreuth wie das Raubnest des Adlers einst
von dem Gebirge herab trotzig ins Wiesentthal schaute,
heute aber als ein verwitterter Trümmerhaufen dem
Auge der cultivirten Menschheit kaum noch erkennbar
ist, wenn nicht der kundige Bewohner des Franken-
landes auf die Ruine aufmerksam macht. Friedlich
zieht jetzt der heitere Wanderer bei der Sachsenmühle
über die Brücke der Wiesent und gastfreundschaftlich
tönt ihm ein heiteres Willkommen entgegen, wenn ein
Gewitter von Streitberg her über Neideck sich zusam-
menzieht und er die Schritte beschleunigt, um unter
schützendes Obdach zu kommen.

Ganz anders ging es zur Zeit Eppelin's her. Er
war als Raubritter von aller Welt gefürchtet, denn
noch keiner kampfgerüsteten Schar war es gelungen,
ihn und seine kühnen Genossen zu besiegen und zu de-
müthigen. Den Nürnbergern hatte er schon unendli-
chen Schaden gethan; so mancher brave Bürger war
durch ihn beraubt und getödtet worden. Eppelin's
Burg strotzte von geraubtem Gute, aber er bekam nie
genug und wilde Gier erfaßte sein Herz, sobald ihm
durch seine Lauerer die Ankunft eines neuen Handels-
zugs aus Nürnberg angekündigt wurde. Da verloren
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Friedlich zieht jetzt der heitere Wanderer bei der Sachsenmühle über die Brücke der Wiesent und gastfreundschaftlich tönt ihm ein heiteres Willkommen entgegen, wenn ein Gewitter von Streitberg her über Neideck sich zusam- menzieht und er die Schritte beschleunigt, um unter schützendes Obdach zu kommen. Ganz anders ging es zur Zeit Eppelin's her. Er war als Raubritter von aller Welt gefürchtet, denn noch keiner kampfgerüsteten Schar war es gelungen, ihn und seine kühnen Genossen zu besiegen und zu de- müthigen. Den Nürnbergern hatte er schon unendli- chen Schaden gethan; so mancher brave Bürger war durch ihn beraubt und getödtet worden. Eppelin's Burg strotzte von geraubtem Gute, aber er bekam nie genug und wilde Gier erfaßte sein Herz, sobald ihm durch seine Lauerer die Ankunft eines neuen Handels- zugs aus Nürnberg angekündigt wurde. Da verloren

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 88. Leipzig (Sachsen), 31. August 1854, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig088_1854/2>, abgerufen am 21.11.2024.