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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 83. Leipzig (Sachsen), 27. Juli 1854.

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[Beginn Spaltensatz] Entfernungen bedeckte Ruheplätze für Reisende ange-
bracht, wo Reich und Arm unentgeltlichen Schutz vor
Regen oder vor der brennenden Mitttgssonne finden
konnten. Kleine Dörfer und Bauergüter waren in
verschiedenen Richtungen zu sehen und die in den Fel-
dern beschäftigten Arbeiter schienen glücklich und nicht
gedrückt.

Nachdem wir die Ebene hinter uns gelassen, ka-
men wir an einen Gebirgspaß und begannen allmälig
hinaufzusteigen. Als wir einen höhern Punkt erreicht
hatten, wurde die Landschaft romantischer; wir befan-
den uns mitten unter Hügeln und Bergen von jeder
erdenklichen Form, einige waren spitzig, steil und kahl,
während andere sich in sanften Windungen hinaufzogen
und dicht mit Fichten und Reißholz bewachsen waren.
Zu unsern Füßen wand sich der kleine Strom entlang,
dessen Quelle wir nun erreicht hatten, und schien rasch
seinen Lauf die Berge hinab zu verfolgen, um den
breiten Fluß anzuschwellen, der an der Stadt Ningpo
vorbeifließt.

Als wir uns bis zum Gipfel des Passes hinauf-
gearbeitet hatten, fanden wir uns am Eingange des
Schneethals, das etwas weiter entfernt und beinahe
auf derselben Erhöhung liegt, die ungefähr 2000 Fuß
über dem Meeresspiegel betragen soll. Dieses Thal ist
an allen Seiten von Bergen umgeben. Dem erwähn-
ten Paß gegenüber ist eine Öffnung, die einen kleinen
Bergstrom durchläßt, welcher, indem er das Thal ver-
läßt, über einen jähen Felsenabhang in eine Schlucht
von beiläufig 3 -- 400 Fuß hinabstürzt. Der Tempel
des Schneethals, ein altes, verfallenes Buddhisten=Ge-
bäude, nimmt die Mitte oder das obere Ende des
Thals ein, und wir begaben uns dahin, um für uns
und unsere Kuhlis ein Nachtquartier zu fodern. Hier
fanden wir unsern alten chinesischen Freund bereit, uns
zu empfangen. Es war schon eine Stunde vor Son-
nenuntergang; da aber unser Gepäck noch nicht einge-
troffen war, so beschlossen wir, uns gleich wieder auf-
zumachen und den obern Theil der Wasserfälle zu be-
sichtigen, die untern aber und die Schlucht auf den
folgenden Morgen zu versparen. Zu unserm Erstau-
nen gab uns Herr A=Tschang zu verstehen, daß er
uns begleiten wolle. Wir brachen daher mit ihm als
Führer auf und erreichten nach einigen Minuten den
Rand des Thals, wo wir das Geräusch des Wasser-
falls vernahmen. Als wir unserm Führer den engen
Pfad entlang folgten, der sich zwischen Bäumen und
Reißig hinzog, wurden wir von dem Anblick über-
rascht, der sich uns darbot. Wir standen plötzlich an
dem Rande eines Abgrundes, der, als wir in die
Tiefe hinabblickten, ein Gefühl des Schwindels erregte.
Das Wasser rollte aus dem Thal über den Abhang
und verwandelte sich, lange ehe es den steinigen Grund
erreicht hatte, in einen feinen Staubregen. Weit un-
ter uns lag eine tiefe Schlucht, durch welche der kleine
Fluß, nachdem er die Katarakten verlassen, sich ruhig
fortschlängelte. Jndem wir die Berge an der West-
seite des Schneethals umgingen, fanden wir unsere
Schritte von Zeit zu Zeit durch senkrechte Felsen ge-
hemmt, und während der Regenzeit entstehen hier, wie
unser Führer berichtete, noch mehre Wasserfälle, deren
Schönheit den soeben besuchten nur wenig nachgibt.

Unterdessen war es fast dunkel geworden, und da
es ziemlich gefährlich ist, bei finsterer Nacht in dieser
Felsenregion umherzuwandern, so kehrten wir nach dem
alten Kloster zurück. Hier fanden wir unsere Kuhlis,
die mit den Betten und andern Habseligkeiten ange-
kommen waren, und der Koch war mit der Zuberei-
[Spaltenumbruch] tung des Essens beschäftigt. Als das Mahl fertig
war, baten wir Herrn A=Tschang, uns mit seiner
Gesellschaft zu beehren, und wir setzten uns Alle mit
dem festen Entschluß zu Tisch, den vor uns aufgetra-
genen Speisen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wozu
wir durch die lange Reise und die frische Bergluft voll-
kommen aufgelegt waren. A=Tschang ließ sich das
Essen trefflich schmecken. Er aß mit Messer und Ga-
bel, stürzte sein Glas Bier hinunter und trank Wein
der Reihe nach mit uns Allen, wie es die Sitte erfo-
dert. Nach Tische bat er um eine Cigarre und ein
Glas Grog und war offenbar entschlossen, sich einen
vergnügten Abend zu machen. Um ihn zu belustigen
und bei guter Laune zu erhalten, brachten wir seine
Gesundheit aus und sangen ihm, als Probe [unleserliches Material - 7 Zeichen fehlen]unserer
Nationallieder, " Rule Britannia " und " God save the
Queen
" vor, wobei der alte Tempel von unsern Stim-
men widerhallte. Aber der alte Mann wollte sich nicht
übertreffen lassen; er dankte uns höflichst, als wir auf
seine Gesundheit tranken; er trug einige von ihm selbst
gedichtete Verse vor, sang chinesische Lieder und brach
dann und wann in ein herzliches Lachen aus, in wel-
ches wir einstimmen mußten, obgleich uns die Ursache
nicht recht klar war. Der äußere Hof war voll von
Chinesen, die augenscheinlich die Lieder und Gedichte
A=Tschang's mit dem größten Vergnügen und Beifall
anhörten.

Da wir Alle von den Anstrengungen des Tages
ermüdet waren, empfanden wir das Bedürfniß, uns
früh zur Ruhe zu begeben. Es kostete uns einige
Mühe, unsern Freund, den Mandarin, zum Aufbruch
zu bewegen, indem er augenscheinlich darauf rechnete,
eine "lustige Nacht" mit uns zu verbringen; einige
ziemlich deutliche Winke, die wir ihm gaben, hatten
jedoch den erwünschten Erfolg und er überließ uns un-
sern Betrachtungen. Am folgenden Tage setzten wir
unsere Reise fort.




[Abbildung] Rest des Pirols.


[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Entfernungen bedeckte Ruheplätze für Reisende ange-
bracht, wo Reich und Arm unentgeltlichen Schutz vor
Regen oder vor der brennenden Mitttgssonne finden
konnten. Kleine Dörfer und Bauergüter waren in
verschiedenen Richtungen zu sehen und die in den Fel-
dern beschäftigten Arbeiter schienen glücklich und nicht
gedrückt.

Nachdem wir die Ebene hinter uns gelassen, ka-
men wir an einen Gebirgspaß und begannen allmälig
hinaufzusteigen. Als wir einen höhern Punkt erreicht
hatten, wurde die Landschaft romantischer; wir befan-
den uns mitten unter Hügeln und Bergen von jeder
erdenklichen Form, einige waren spitzig, steil und kahl,
während andere sich in sanften Windungen hinaufzogen
und dicht mit Fichten und Reißholz bewachsen waren.
Zu unsern Füßen wand sich der kleine Strom entlang,
dessen Quelle wir nun erreicht hatten, und schien rasch
seinen Lauf die Berge hinab zu verfolgen, um den
breiten Fluß anzuschwellen, der an der Stadt Ningpo
vorbeifließt.

Als wir uns bis zum Gipfel des Passes hinauf-
gearbeitet hatten, fanden wir uns am Eingange des
Schneethals, das etwas weiter entfernt und beinahe
auf derselben Erhöhung liegt, die ungefähr 2000 Fuß
über dem Meeresspiegel betragen soll. Dieses Thal ist
an allen Seiten von Bergen umgeben. Dem erwähn-
ten Paß gegenüber ist eine Öffnung, die einen kleinen
Bergstrom durchläßt, welcher, indem er das Thal ver-
läßt, über einen jähen Felsenabhang in eine Schlucht
von beiläufig 3 — 400 Fuß hinabstürzt. Der Tempel
des Schneethals, ein altes, verfallenes Buddhisten=Ge-
bäude, nimmt die Mitte oder das obere Ende des
Thals ein, und wir begaben uns dahin, um für uns
und unsere Kuhlis ein Nachtquartier zu fodern. Hier
fanden wir unsern alten chinesischen Freund bereit, uns
zu empfangen. Es war schon eine Stunde vor Son-
nenuntergang; da aber unser Gepäck noch nicht einge-
troffen war, so beschlossen wir, uns gleich wieder auf-
zumachen und den obern Theil der Wasserfälle zu be-
sichtigen, die untern aber und die Schlucht auf den
folgenden Morgen zu versparen. Zu unserm Erstau-
nen gab uns Herr A=Tschang zu verstehen, daß er
uns begleiten wolle. Wir brachen daher mit ihm als
Führer auf und erreichten nach einigen Minuten den
Rand des Thals, wo wir das Geräusch des Wasser-
falls vernahmen. Als wir unserm Führer den engen
Pfad entlang folgten, der sich zwischen Bäumen und
Reißig hinzog, wurden wir von dem Anblick über-
rascht, der sich uns darbot. Wir standen plötzlich an
dem Rande eines Abgrundes, der, als wir in die
Tiefe hinabblickten, ein Gefühl des Schwindels erregte.
Das Wasser rollte aus dem Thal über den Abhang
und verwandelte sich, lange ehe es den steinigen Grund
erreicht hatte, in einen feinen Staubregen. Weit un-
ter uns lag eine tiefe Schlucht, durch welche der kleine
Fluß, nachdem er die Katarakten verlassen, sich ruhig
fortschlängelte. Jndem wir die Berge an der West-
seite des Schneethals umgingen, fanden wir unsere
Schritte von Zeit zu Zeit durch senkrechte Felsen ge-
hemmt, und während der Regenzeit entstehen hier, wie
unser Führer berichtete, noch mehre Wasserfälle, deren
Schönheit den soeben besuchten nur wenig nachgibt.

Unterdessen war es fast dunkel geworden, und da
es ziemlich gefährlich ist, bei finsterer Nacht in dieser
Felsenregion umherzuwandern, so kehrten wir nach dem
alten Kloster zurück. Hier fanden wir unsere Kuhlis,
die mit den Betten und andern Habseligkeiten ange-
kommen waren, und der Koch war mit der Zuberei-
[Spaltenumbruch] tung des Essens beschäftigt. Als das Mahl fertig
war, baten wir Herrn A=Tschang, uns mit seiner
Gesellschaft zu beehren, und wir setzten uns Alle mit
dem festen Entschluß zu Tisch, den vor uns aufgetra-
genen Speisen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wozu
wir durch die lange Reise und die frische Bergluft voll-
kommen aufgelegt waren. A=Tschang ließ sich das
Essen trefflich schmecken. Er aß mit Messer und Ga-
bel, stürzte sein Glas Bier hinunter und trank Wein
der Reihe nach mit uns Allen, wie es die Sitte erfo-
dert. Nach Tische bat er um eine Cigarre und ein
Glas Grog und war offenbar entschlossen, sich einen
vergnügten Abend zu machen. Um ihn zu belustigen
und bei guter Laune zu erhalten, brachten wir seine
Gesundheit aus und sangen ihm, als Probe [unleserliches Material – 7 Zeichen fehlen]unserer
Nationallieder, „ Rule Britannia “ und „ God save the
Queen
“ vor, wobei der alte Tempel von unsern Stim-
men widerhallte. Aber der alte Mann wollte sich nicht
übertreffen lassen; er dankte uns höflichst, als wir auf
seine Gesundheit tranken; er trug einige von ihm selbst
gedichtete Verse vor, sang chinesische Lieder und brach
dann und wann in ein herzliches Lachen aus, in wel-
ches wir einstimmen mußten, obgleich uns die Ursache
nicht recht klar war. Der äußere Hof war voll von
Chinesen, die augenscheinlich die Lieder und Gedichte
A=Tschang's mit dem größten Vergnügen und Beifall
anhörten.

Da wir Alle von den Anstrengungen des Tages
ermüdet waren, empfanden wir das Bedürfniß, uns
früh zur Ruhe zu begeben. Es kostete uns einige
Mühe, unsern Freund, den Mandarin, zum Aufbruch
zu bewegen, indem er augenscheinlich darauf rechnete,
eine „lustige Nacht“ mit uns zu verbringen; einige
ziemlich deutliche Winke, die wir ihm gaben, hatten
jedoch den erwünschten Erfolg und er überließ uns un-
sern Betrachtungen. Am folgenden Tage setzten wir
unsere Reise fort.




[Abbildung] Rest des Pirols.


[Ende Spaltensatz]
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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 83. Leipzig (Sachsen), 27. Juli 1854, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig083_1854/7>, abgerufen am 23.07.2024.