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Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 45. Prag, 1835.

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Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] rechnet. Die Schiffsleitung war Herrn de Cha-
mareys
anvertraut, der die Fregatte Medusa von
44 Kanonen kommandirte.

Mangel an erforderlicher Disciplin und Un-
kenntniß des Schiffswesens waren der Anlaß, daß
die Fregatte an der Küste von Arguin auf den
Grund stieß. Nachdem alle Hoffnung sie wieder
flott zu machen aufgegeben war, mußte schleunig
Bedacht genommen werden, die Passagiere und das
Schiffsvolk zu retten. Man suchte nun allen vor-
handenen Proviant zusammen, den man in Boote
und auf ein Floß brachte, das man in Eile zusam-
mengefügt hatte. Bei der Geschwindigkeit jedoch,
mit der man das Wrack verließ, hatte man das
Floß, welches doch den größten Theil des Schiffs-
volkes aufnahm, nur mit äußerst wenig Proviant
versehen, Wein war zwar im Ueberfluße vorhanden,
dagegen der größte Mangel an Zwieback.

Jm Ganzen hatte man fünf Boote bemannt,
auf deren einem sich der Gouverneur vom Senegal
mit seiner Familie, und auf den andern die übrigen
Passagiere vertheilt befanden. Die Militärmann-
schaft ward auf das Floß gebracht, das nicht weni-
ger als 150 Personen aufnehmen mußte; diese mit
den auf den Booten Vertheilten bildeten eine Anzahl
von 397 Menschen.

Die fünf Boote stießen nun ab und nahmen
das Floß ins Schlepptau; doch kaum waren sie zwei
Meilen vom Wrack des Schiffes entfernt, als sie
eines nach dem andern die Taue kappten und das
Weite suchten. Während dem war das Floß schon
gegen drei ein halb Fuß gesunken und die Mann-
schaft darauf war so dicht aneinander gedrängt, daß
sich keiner regen konnte. Jn diesem schrecklichen
Zustande wollte sich noch keiner überzeugen, daß sie
verlassen seyen, bis sie endlich die Boote aus ihren
Augen verschwinden sahen. Nunmehr wurde die
Verwirrung allgemein, nur die Offiziere suchten noch
einigen Trost zu geben, doch sie selbst begannen zu
verzweifeln, als man entdeckte, daß weder eine See-
karte noch ein Kompaß noch ein Anker vorhanden
war. Da Niemand daran gedacht hatte, Proviant
mitzunehmen, begann nun auch der Hunger seine
schrecklichen Wirkungen zu äußern. Fünf und zwan-
zig Pfund Zwieback war Alles, was sich auf dem
Flosse vorfand, das man nur in kleinen Portionen
an die Mannschaft austheilte.

Bald brach die Nacht ein, das Wetter wurde
stürmisch und die Wogen schlugen nach allen Rich-
tungen über das Fahrzeug hin, so daß die Unglück-
lichen von einem Ende des Flosses zum andern ge-
schleudert sich nur an den Balken festhalten konnten
und jeden Augenblick in die See hinabgeschleudert
zu werden, Gefahr liefen.

Die darauf folgende Nacht war noch fürchter-
licher. Als des Tages über alle Hoffnung ver-
schwunden war, die Boote und mit ihnen Rettung
zu finden, bemächtigte sich bei Einbruch der Nacht
der Geist des Aufruhrs der ganzen Mannschaft und
gab sich durch wildes Geschrei kund. Jn der sichern
Ueberzeugung von den Wogen fortgespült zu wer-
den, hatten Soldaten und Matrosen beschlossen, ihre
letzten Augenblicke noch dadurch zu versüßen, daß sie
tranken, bis sie alle Besinnung verloren hatten. Aller
vorräthige Wein wurde aufgezehrt, und die Folge
davon war, daß sie aufgeregt wie sie waren, taub
gegen alle Vernunft den Entfchluß faßten, die Offi-
ziere zu ermorden. Nunmehr begann ein blutiger
[Spaltenumbruch] Kampf; die Mannschaft war zwar größer an An-
zahl, doch mangelte es ihnen an Waffen; so wur-
den sie endlich besiegt und baten auf den Knien um
Verzeihung. Des andern Morgens zeigte es sich,
daß 65 von den Aufrührern ihren Tod gefunden
hatten, und nur zwei von der Partei der Offiziere.
Als auch den folgenden Tag sich keine Rettung zeigte,
war die Noth so weit gestiegen, daß die Unglückli-
chen über die Leichname der Erschlagenen herfielen
und sie gierig aufzehrten; einige zernagten ihre Sä-
belscheiden und Patrontaschen, andere verschlangen
das Leder, das an ihren Hüten sich fand; doch Alles
dieß konnte den Hunger nicht stillen.

Eine dritte schreckliche Nacht war im Anzuge,
doch sie verlief ruhig, nur von dem Geschrei jener
belebt, die der Hunger und der Durst mit ihren
schrecklichen Martern quälte. Am Morgen lagen
neuerdings 10 bis 12 Unglückliche todt auf das
Floß hingestreckt, die man, bis auf einen, in die
See versenkte, der zur Erhaltung der andern dienen
mußte.

Endlich war die Mannschaft nach und nach bis
auf 28 geschmolzen, von denen 15 nur noch einige
Tage ihr Leben fristen zu können schienen, die andern
13 aber schon fast besinnungslos waren. Da für
diese keine Rettung mehr zu hoffen, sie demohnge-
achtet aber von dem Wenigen, das noch vorhanden
war, mitzehrten, so wurde der Beschluß gefaßt, sie
über Bord zu werfen. Drei Matrosen übernahmen
es, diese schreckliche Exekution zu vollführen. "Wir
wandten unsere Augen weg" erzählt einer der Ueber-
lebenden "und weinten blutige Thränen über das
Schicksal dieser Unglücklichen; doch dieses peinliche
Opfer errettete allein die übrigen fünfzehn, die nach
der gräßlichen Katastrophe noch sechs leidenvolle Tage
zubrachten, ehe sie aus ihrer schrecklichen Lage er-
rettet wurden."

Bald darauf wurde ein kleines Fahrzeug signa-
lisirt, das die Brigg Argus war, welche vom
Senegal zu ihrer Hilfe war abgesandt worden.

"Man denke sich" fährt der Erzähler fort, " fünf-
zehn unglückliche Wesen, aller Kleidung beraubt, ihre
Körper ausgetrocknet von den Strahlen der Sonne,
zehn von ihnen kaum fähig, sich zu regen, ihre Züge
ganz entstellt, die Augen hohl und wild um sich
blickend, die Bärte ungeschoren und der ganze Anblick
zum Entsetzen!"

Dies ist die Geschichte dieser unglücklichen Mann-
schaft. Von 150 die sich auf dem Floß eingeschifft,
wurden nur 15 in die Brigg aufgenommen und von
diesen starben sechs kurze Zeit nach ihrer Ankunft im
Hafen zu St. Louis.

Von den Booten, die das Floß verlassen hat-
ten, kamen nur zwei ( jenes auf welchem der Gou-
verneur und der Kapitän sich befand ) am Senegal
an, die andern landeten an verschiedenen Plätzen.
Auch hier hatte die Mannschaft vom Hunger und
Durst und den glühenden Sonnenstrahlen äußerst
viel gelitten, doch waren mit Ausnahme von zwei
oder dreien alle am Senegal angelangt.

Als der Gouverneur, der sich erinnerte, daß die
Medusa viel Geld am Bord gehabt, ein kleines
Schiff nach dem Wrack absandte, traf dasselbe nach
mehrmal vereitelter Abfahrt erst am 52sten Tage,
nachdem das Schiff verlassen worden, daselbst ein,
doch wie groß war das Schrecken der Mannschaft,
als man daselbst noch drei Unglückliche fand, die
nahe daran waren, den Geist aufzugeben.

[Ende Spaltensatz]

Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] rechnet. Die Schiffsleitung war Herrn de Cha-
mareys
anvertraut, der die Fregatte Medusa von
44 Kanonen kommandirte.

Mangel an erforderlicher Disciplin und Un-
kenntniß des Schiffswesens waren der Anlaß, daß
die Fregatte an der Küste von Arguin auf den
Grund stieß. Nachdem alle Hoffnung sie wieder
flott zu machen aufgegeben war, mußte schleunig
Bedacht genommen werden, die Passagiere und das
Schiffsvolk zu retten. Man suchte nun allen vor-
handenen Proviant zusammen, den man in Boote
und auf ein Floß brachte, das man in Eile zusam-
mengefügt hatte. Bei der Geschwindigkeit jedoch,
mit der man das Wrack verließ, hatte man das
Floß, welches doch den größten Theil des Schiffs-
volkes aufnahm, nur mit äußerst wenig Proviant
versehen, Wein war zwar im Ueberfluße vorhanden,
dagegen der größte Mangel an Zwieback.

Jm Ganzen hatte man fünf Boote bemannt,
auf deren einem sich der Gouverneur vom Senegal
mit seiner Familie, und auf den andern die übrigen
Passagiere vertheilt befanden. Die Militärmann-
schaft ward auf das Floß gebracht, das nicht weni-
ger als 150 Personen aufnehmen mußte; diese mit
den auf den Booten Vertheilten bildeten eine Anzahl
von 397 Menschen.

Die fünf Boote stießen nun ab und nahmen
das Floß ins Schlepptau; doch kaum waren sie zwei
Meilen vom Wrack des Schiffes entfernt, als sie
eines nach dem andern die Taue kappten und das
Weite suchten. Während dem war das Floß schon
gegen drei ein halb Fuß gesunken und die Mann-
schaft darauf war so dicht aneinander gedrängt, daß
sich keiner regen konnte. Jn diesem schrecklichen
Zustande wollte sich noch keiner überzeugen, daß sie
verlassen seyen, bis sie endlich die Boote aus ihren
Augen verschwinden sahen. Nunmehr wurde die
Verwirrung allgemein, nur die Offiziere suchten noch
einigen Trost zu geben, doch sie selbst begannen zu
verzweifeln, als man entdeckte, daß weder eine See-
karte noch ein Kompaß noch ein Anker vorhanden
war. Da Niemand daran gedacht hatte, Proviant
mitzunehmen, begann nun auch der Hunger seine
schrecklichen Wirkungen zu äußern. Fünf und zwan-
zig Pfund Zwieback war Alles, was sich auf dem
Flosse vorfand, das man nur in kleinen Portionen
an die Mannschaft austheilte.

Bald brach die Nacht ein, das Wetter wurde
stürmisch und die Wogen schlugen nach allen Rich-
tungen über das Fahrzeug hin, so daß die Unglück-
lichen von einem Ende des Flosses zum andern ge-
schleudert sich nur an den Balken festhalten konnten
und jeden Augenblick in die See hinabgeschleudert
zu werden, Gefahr liefen.

Die darauf folgende Nacht war noch fürchter-
licher. Als des Tages über alle Hoffnung ver-
schwunden war, die Boote und mit ihnen Rettung
zu finden, bemächtigte sich bei Einbruch der Nacht
der Geist des Aufruhrs der ganzen Mannschaft und
gab sich durch wildes Geschrei kund. Jn der sichern
Ueberzeugung von den Wogen fortgespült zu wer-
den, hatten Soldaten und Matrosen beschlossen, ihre
letzten Augenblicke noch dadurch zu versüßen, daß sie
tranken, bis sie alle Besinnung verloren hatten. Aller
vorräthige Wein wurde aufgezehrt, und die Folge
davon war, daß sie aufgeregt wie sie waren, taub
gegen alle Vernunft den Entfchluß faßten, die Offi-
ziere zu ermorden. Nunmehr begann ein blutiger
[Spaltenumbruch] Kampf; die Mannschaft war zwar größer an An-
zahl, doch mangelte es ihnen an Waffen; so wur-
den sie endlich besiegt und baten auf den Knien um
Verzeihung. Des andern Morgens zeigte es sich,
daß 65 von den Aufrührern ihren Tod gefunden
hatten, und nur zwei von der Partei der Offiziere.
Als auch den folgenden Tag sich keine Rettung zeigte,
war die Noth so weit gestiegen, daß die Unglückli-
chen über die Leichname der Erschlagenen herfielen
und sie gierig aufzehrten; einige zernagten ihre Sä-
belscheiden und Patrontaschen, andere verschlangen
das Leder, das an ihren Hüten sich fand; doch Alles
dieß konnte den Hunger nicht stillen.

Eine dritte schreckliche Nacht war im Anzuge,
doch sie verlief ruhig, nur von dem Geschrei jener
belebt, die der Hunger und der Durst mit ihren
schrecklichen Martern quälte. Am Morgen lagen
neuerdings 10 bis 12 Unglückliche todt auf das
Floß hingestreckt, die man, bis auf einen, in die
See versenkte, der zur Erhaltung der andern dienen
mußte.

Endlich war die Mannschaft nach und nach bis
auf 28 geschmolzen, von denen 15 nur noch einige
Tage ihr Leben fristen zu können schienen, die andern
13 aber schon fast besinnungslos waren. Da für
diese keine Rettung mehr zu hoffen, sie demohnge-
achtet aber von dem Wenigen, das noch vorhanden
war, mitzehrten, so wurde der Beschluß gefaßt, sie
über Bord zu werfen. Drei Matrosen übernahmen
es, diese schreckliche Exekution zu vollführen. „Wir
wandten unsere Augen weg“ erzählt einer der Ueber-
lebenden „und weinten blutige Thränen über das
Schicksal dieser Unglücklichen; doch dieses peinliche
Opfer errettete allein die übrigen fünfzehn, die nach
der gräßlichen Katastrophe noch sechs leidenvolle Tage
zubrachten, ehe sie aus ihrer schrecklichen Lage er-
rettet wurden.“

Bald darauf wurde ein kleines Fahrzeug signa-
lisirt, das die Brigg Argus war, welche vom
Senegal zu ihrer Hilfe war abgesandt worden.

„Man denke sich“ fährt der Erzähler fort, „ fünf-
zehn unglückliche Wesen, aller Kleidung beraubt, ihre
Körper ausgetrocknet von den Strahlen der Sonne,
zehn von ihnen kaum fähig, sich zu regen, ihre Züge
ganz entstellt, die Augen hohl und wild um sich
blickend, die Bärte ungeschoren und der ganze Anblick
zum Entsetzen!“

Dies ist die Geschichte dieser unglücklichen Mann-
schaft. Von 150 die sich auf dem Floß eingeschifft,
wurden nur 15 in die Brigg aufgenommen und von
diesen starben sechs kurze Zeit nach ihrer Ankunft im
Hafen zu St. Louis.

Von den Booten, die das Floß verlassen hat-
ten, kamen nur zwei ( jenes auf welchem der Gou-
verneur und der Kapitän sich befand ) am Senegal
an, die andern landeten an verschiedenen Plätzen.
Auch hier hatte die Mannschaft vom Hunger und
Durst und den glühenden Sonnenstrahlen äußerst
viel gelitten, doch waren mit Ausnahme von zwei
oder dreien alle am Senegal angelangt.

Als der Gouverneur, der sich erinnerte, daß die
Medusa viel Geld am Bord gehabt, ein kleines
Schiff nach dem Wrack absandte, traf dasselbe nach
mehrmal vereitelter Abfahrt erst am 52sten Tage,
nachdem das Schiff verlassen worden, daselbst ein,
doch wie groß war das Schrecken der Mannschaft,
als man daselbst noch drei Unglückliche fand, die
nahe daran waren, den Geist aufzugeben.

[Ende Spaltensatz]
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Jm Ganzen hatte man fünf Boote bemannt, auf deren einem sich der Gouverneur vom Senegal mit seiner Familie, und auf den andern die übrigen Passagiere vertheilt befanden. Die Militärmann- schaft ward auf das Floß gebracht, das nicht weni- ger als 150 Personen aufnehmen mußte; diese mit den auf den Booten Vertheilten bildeten eine Anzahl von 397 Menschen. Die fünf Boote stießen nun ab und nahmen das Floß ins Schlepptau; doch kaum waren sie zwei Meilen vom Wrack des Schiffes entfernt, als sie eines nach dem andern die Taue kappten und das Weite suchten. Während dem war das Floß schon gegen drei ein halb Fuß gesunken und die Mann- schaft darauf war so dicht aneinander gedrängt, daß sich keiner regen konnte. Jn diesem schrecklichen Zustande wollte sich noch keiner überzeugen, daß sie verlassen seyen, bis sie endlich die Boote aus ihren Augen verschwinden sahen. 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Da für diese keine Rettung mehr zu hoffen, sie demohnge- achtet aber von dem Wenigen, das noch vorhanden war, mitzehrten, so wurde der Beschluß gefaßt, sie über Bord zu werfen. Drei Matrosen übernahmen es, diese schreckliche Exekution zu vollführen. „Wir wandten unsere Augen weg“ erzählt einer der Ueber- lebenden „und weinten blutige Thränen über das Schicksal dieser Unglücklichen; doch dieses peinliche Opfer errettete allein die übrigen fünfzehn, die nach der gräßlichen Katastrophe noch sechs leidenvolle Tage zubrachten, ehe sie aus ihrer schrecklichen Lage er- rettet wurden.“ Bald darauf wurde ein kleines Fahrzeug signa- lisirt, das die Brigg Argus war, welche vom Senegal zu ihrer Hilfe war abgesandt worden. „Man denke sich“ fährt der Erzähler fort, „ fünf- zehn unglückliche Wesen, aller Kleidung beraubt, ihre Körper ausgetrocknet von den Strahlen der Sonne, zehn von ihnen kaum fähig, sich zu regen, ihre Züge ganz entstellt, die Augen hohl und wild um sich blickend, die Bärte ungeschoren und der ganze Anblick zum Entsetzen!“ Dies ist die Geschichte dieser unglücklichen Mann- schaft. Von 150 die sich auf dem Floß eingeschifft, wurden nur 15 in die Brigg aufgenommen und von diesen starben sechs kurze Zeit nach ihrer Ankunft im Hafen zu St. Louis. Von den Booten, die das Floß verlassen hat- ten, kamen nur zwei ( jenes auf welchem der Gou- verneur und der Kapitän sich befand ) am Senegal an, die andern landeten an verschiedenen Plätzen. Auch hier hatte die Mannschaft vom Hunger und Durst und den glühenden Sonnenstrahlen äußerst viel gelitten, doch waren mit Ausnahme von zwei oder dreien alle am Senegal angelangt. Als der Gouverneur, der sich erinnerte, daß die Medusa viel Geld am Bord gehabt, ein kleines Schiff nach dem Wrack absandte, traf dasselbe nach mehrmal vereitelter Abfahrt erst am 52sten Tage, nachdem das Schiff verlassen worden, daselbst ein, doch wie groß war das Schrecken der Mannschaft, als man daselbst noch drei Unglückliche fand, die nahe daran waren, den Geist aufzugeben.

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Zitationshilfe: Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 45. Prag, 1835, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama45_1835/3>, abgerufen am 24.11.2024.