schaft. Das Ziel aller Beobachtungen und Unter- suchungen ist die Kenntniß aller Naturkräfte und Naturkörper in ihren mannigfaltigen Verhält- nissen zueinander, ohne Widersprüche darin zu finden. Kein Widerspruch sollte in den Wissenschaften statt finden, denn er beruht immer, entweder auf falsche Beobachtungen oder auf falsche Speculationen. Erfahrung und Beobachtungen sollten nie mit der ächten Natur- philosophie im Streite sein. Unser Zeitalter hat das Merkwürdige, daß zwei entgegengesetzte Tendenzen darin vorherschen. Nämlich entweder eine blosse Anhäu- fung von Thatsachen, eine sinnliche Wahrnehmung derselben oder 2, die der Beobachtungen nach Vernunftschlüssen, wobei alle Versuche und genauere Prüfungen verachtet werden, und nur speculativ Systeme gebildet, die doch nur die Form einer Naturphilosophie ohne Kenntnisse und Erfahrungen haben. Nur in den Fällen wo es zur Versinnlichung nothwendig ist, dürfen wir mathematische Hypothesen anwenden. So wissen wir z. B. daß es keinen Licht- und keinen Schallstoff giebt, und dennoch ist es nothwendig um die Bewegung derselben mathematisch zu bestimmen, auf Quantität und räumliche Verhältnisse zurückzukehren.
Die Geschichte der Wissenschaften ist nicht die Geschichte
ſchaft. Das Ziel aller Beobachtungen und Unter- ſuchungen iſt die Kenntniß aller Naturkräfte und Naturkörper in ihren mannigfaltigen Verhält- niſſen zueinander, ohne Widerſprüche darin zu finden. Kein Widerſpruch ſollte in den Wiſſenſchaften ſtatt finden, denn er beruht immer, entweder auf falſche Beobachtungen oder auf falſche Speculationen. Erfahrung und Beobachtungen ſollten nie mit der ächten Natur- philoſophie im Streite ſein. Unſer Zeitalter hat das Merkwürdige, daß zwei entgegengeſetzte Tendenzen darin vorherſchen. Nämlich entweder eine bloſſe Anhäu- fung von Thatſachen, eine ſinnliche Wahrnehmung derſelben oder 2, die der Beobachtungen nach Vernunftſchlüſſen, wobei alle Verſuche und genauere Prüfungen verachtet werden, und nur ſpeculativ Syſteme gebildet, die doch nur die Form einer Naturphiloſophie ohne Kenntniſſe und Erfahrungen haben. Nur in den Fällen wo es zur Verſinnlichung nothwendig iſt, dürfen wir mathematiſche Hypotheſen anwenden. So wiſſen wir z. B. daß es keinen Licht- und keinen Schallſtoff giebt, und dennoch iſt es nothwendig um die Bewegung derſelben mathematiſch zu beſtimmen, auf Quantität und räumliche Verhältniſſe zurückzukehren.
Die Geſchichte der Wiſſenſchaften iſt nicht die Geſchichte
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[30./0036]
ſchaft. Das Ziel aller Beobachtungen und Unter-
ſuchungen iſt die Kenntniß aller Naturkräfte und
Naturkörper in ihren mannigfaltigen Verhält-
niſſen zueinander, ohne Widerſprüche darin zu finden.
Kein Widerſpruch ſollte in den Wiſſenſchaften ſtatt
finden, denn er beruht immer, entweder auf falſche
Beobachtungen oder auf falſche Speculationen. Erfahrung
und Beobachtungen ſollten nie mit der ächten Natur-
philoſophie im Streite ſein. Unſer Zeitalter hat das
Merkwürdige, daß zwei entgegengeſetzte Tendenzen
darin vorherſchen. Nämlich entweder eine bloſſe Anhäu-
fung von Thatſachen, eine ſinnliche Wahrnehmung derſelben
oder 2, die der Beobachtungen nach Vernunftſchlüſſen,
wobei alle Verſuche und genauere Prüfungen verachtet
werden, und nur ſpeculativ Syſteme gebildet, die doch
nur die Form einer Naturphiloſophie ohne Kenntniſſe
und Erfahrungen haben. Nur in den Fällen wo
es zur Verſinnlichung nothwendig iſt, dürfen wir
mathematiſche Hypotheſen anwenden. So wiſſen
wir z. B. daß es keinen Licht- und keinen Schallſtoff
giebt, und dennoch iſt es nothwendig um die Bewegung
derſelben mathematiſch zu beſtimmen, auf Quantität
und räumliche Verhältniſſe zurückzukehren.
Die Geſchichte der Wiſſenſchaften iſt nicht die Geſchichte
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[N. N.]: Die physikalische Geographie von Herrn Alexander v. Humboldt, vorgetragen im Semestre 1827/28. [Berlin], [1827/28]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Berliner Universität, 3.11.1827–26.4.1828.], S. 30.. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_oktavgfeo79_1828/36>, abgerufen am 22.11.2024.
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