Neue Rheinische Zeitung. Nr. 186. Köln, 4. Januar 1849.Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 186. Köln, Donnerstag den 4. Januar. 1849. Bestellungen auf die "Neue Rheinische Zeitung" für das jetzige Quartal, Januar bis März 1849, wolle man baldigst machen und zwar in Köln bei der Expedition der Zeitung (unter Hutmacher Nr. 17), auswärts bei allen Postanstalten Deutschlands. Für Frankreich übernimmmt Abonnements Herr Dr. Ewerbeck, rue de l'Ulm 33 in Paris und das königl. Oberpostamt in Aachen, für Holland und Belgien: die belgischen Briefpostämter, für Großbrittanien: Mr. Thomas, Catherine Street-strand in London und das belgische Briefpostamt in Ostende. Durch den Wegfall des Stempels wird der Abonnementspreis ermäßigt und beträgt von jetzt ab für Köln nur 1 Thlr. 7 Sgr. 6 Pf., bei allen preußischen Postanstalten, (das Porto einbegriffen) nur 1 Thlr. 17 Sgr. vierteljährlich; für Abonnenten im übrigen Deutschland tritt ein verhältnißmäßiger Postaufschlag hinzu. Die Redaktion bleibt unverändert. Die bisherigen Monatsgänge der "Neuen Rheinischen Zeitung" sind ihr Programm. Durch ihre persönlichen Verbindungen mit den Chefs der demokratischen Partei in England, Frankreich, Italien, Belgien und Nordamerika ist die Redaktion in Stand gesetzt, ihren Lesern die politisch-soziale Bewegung des Auslandes richtiger und klarer abzuspiegeln, als irgend ein anderes Blatt. Die "N. Rh. Ztg." ist in dieser Beziehung nicht blos das Organ der deutschen, sondern der europäischen Demokratie. Inserate: Die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf. Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen unseres Blattes eine sehr weite Verbreitung. Die Gerantur der "Neuen Rheinischen Zeitung." Durch die bedeutend vergrößerte Auflage unserer Zeitung ist es unmöglich geworden, Anzeigen, welche noch für den folgenden Tag in die Zeitung inserirt werden sollen, bis 1 Uhr Mittags anzunehmen; wir ersuchen daher das geehrte Publikum, die Anzeigen bis 12 Uhr Mittags in die unterzeichnete Expedition abzugeben. Köln, den 3. Januar 1849. Die Expedition der "Neuen Rheinischen Zeitung." Uebersicht. Deutschland. Köln. (Deputation und Adresse an Herrn Nikolovius.) Münster. (Die Stellen in der politischen Prozeßkomödie.) Dortmund. (Tagesordnung des rhein.-westphäl. Kongresses der konstit. Centralvereine.) Berlin. (Verhaftsbefehle) Striegau [in Schlesien]. (Verhaftungen. -- Die Eintheilung der Wahlkreise. -- "Selbstständigkeit" der Urwähler.) Stettin. (Festmahl zu Ehren Gierke's.) Wien. (Die Standrechtblätter über L. Napoleon und die Verhältnisse in Frankfurt. -- Ein Curiosum aus dem Reichstag. -- Ministerielle Finanzberathungen. -- Die "Presse" gegen die pol. Deputirten. -- Die Loyalitätsadressen. -- Aussicht auf Septembergesetze. -- Neue Journale in Grätz. -- L. Raveaux. -- Welden. -- Das Proletariat. -- Der Sultan Standrechtsverbündeter. -- Der "Lloyd" über Metternich und Palmerston. -- Frankreichs Verrath an den Völkern. -- Warnung. -- Schmerling. -- Russen unter den Serben. -- Finanzmanöver des Ministeriums. -- Die "Presse" über Deutschland. -- Die Einnahme Raab's. -- Verfahren gegen die Gefangenen Ungarn's. -- Der Kampf in Ungarn.) Dresden. (Wahlsiege der Vaterlandsvereine.) Italien. Palermo. (Die Zwangsanleihe. -- Die Armee. -- Desertionen aus der neapolitanischen Armee. -- Die Deputirtenkammer für den Anschluß an die Constituante. -- Antonius.) Neapel. (Rüstungen.) Rom. (Die "Abba" über die Lage der Dinge. -- Das neue Ministerium. -- Abreise Rapier's. -- Gavazzi nicht ausgewiesen. -- Anstalten zum Empfange des Pabstes in Civita-Vecchia.) Modena. (Auflösung der Nationalgarde.) Mantua. (Vorbereitungen zum Kriege.) Genua. (Konstitutionelle Demonstration) Französische Republik. Paris. (Attributionen des Präsidenten. Jury von Blousenmännern. -- Das christlich-germanische, jüdisch-germanische und französische Weib. -- Vermischtes) Deutschland. * Köln, 2. Januar. Heute Mittag begab sich eine Deputation Düsseldorfer Bürger, welcher sich Deputationen des hiesigen Arbeitervereins und der demokratischen Gesellschaft angeschlossen hatten, im Ganzen 16 Personen, zu dem Generalprokurator, Herrn Nicolovius, um demselben die nachfolgende Adresse zu überreichen. Auf die mündlichen Vorstellungen, unter welchen die Uebergabe der Adresse erfolgte, äußerte Herr Nicolovius im Wesentlichen, daß die Untersuchungen gegen die Bürger Lassalle, Cantador und Weyers möglichst beschleunigt und ihnen selber während der Verhaft alle zulässigen Erleichterungen zu Theil werden sollten. Was die Beschwerde darüber anlange, daß gegen die Ungesetzlichkeiten, welche Beamte seit der Erklärung des Belagerungszustandes in Düsseldorf verübt haben sollten, von Seiten der rheinischen Justiz nicht eingeschritten worden sei, so müsse er anheimgeben, sich deshalb an seinen Vorgesetzten, den Herrn Minister der Justiz, zu verwenden. Uebrigens würden diese Vorfälle ja wohl in der nächsten Sitzung der Landesrepräsentanten zur Sprache gebracht werden. Erwähnte Adresse lautet: An den Königlichen General-Prokurator zu Köln Herrn Nicolovius Hochwohlgeboren. Bereits ist vielfach öffentlich die Klage laut geworden, daß in Folge der jüngsten politischen Zerwürfnisse fort und fort nur Bürger und Private zur gerichtlichen Verantwortung gezogen werden, daß dagegen nirgendwo gegen Behörden und Beamte, selbst bei den offenbarsten Ungesetzlichkeiten und Gewaltthaten, eingeschritten worden ist. Man hat sich vergebens bemüht, Gründe des Rechtes für diese befremdende Erscheinung aufzufinden und es bleibt am Ende nur die traurige Annahme, daß die richterliche Gewalt, die doch berufen ist, ohne Ansehen der Person und erhaben über allen Partheiung das Gesetz zu handhaben, zu schützen und nur dem Gesetze zu leben, sich zu einer Parthei geschlagen habe, die das Gesetz über den Haufen wirft, nachdem sie durch die Gewalt den Sieg davon getragen. Denn was ist geschehen und was geschieht? Eine Versammlung von Männern, die gesetzlich zur Herstellung eines neuen Staatsgebäudes zusammen berufen war, ist durch den Machtspruch einer Gewalt, der sie gleichberechtigt, wenn auch nicht mit gleichen Kampfmitteln, gegenüberstand, nicht blos verlegt und vertagt, nein sie ist unter dem offenbarsten Bruche feierlicher Gelübde und rechtskräftig bestehender Gesetze aufgelößt und auseinander getrieben worden. Die Herrschaft des Gesetzes ist gebrochen und eine Usurpation an ihre Stelle getreten, die sich vergebens bemüht, das beleidigte Recht durch begütigende Geschenke zu versöhnen. Und dieser Usurpation haben die Vertreter des Gesetzes sich freundlichst zugewendet und sind beeifert, ihr als einer gesetzlichen Macht das Recht zu vindiciren. Sie betrachten sie als die legitime Regierung und bemühen sich nach Kräften, die Männer des Volkes, welche der Gewalt zum Trotz an dem Rechte festhielten und für das Gesetz zu kämpfen bereit waren, als Verschwörer, Aufrührer und Hochverräther in die Kerker zu werfen und den schwersten Strafen zu überliefern. Wie ganz anders dagegen das Verhalten der Gerichte gegen Behörden des Civil- und Militärstandes, die, noch abgesehen von dem "Rechtsboden", auf dem sie sich bewegten, in ihren einzelnen Maaßnahmen und Anordnungen sich die gröbsten Ungesetzlichkeiten haben zu Schulden kommen lassen! Hier willkürliche Suspension der unverbruchlichsten Rechte, gewaltsame Einführung von Ausnahmezustände, die Leben und Eigenthum der Bürger den Exzessen wüthender Soldatenhaufen preisgaben, Unterdrückung des Vereinsrechts, der Preßfreiheit, gewaltsame Entwaffnung der Bürger, Verletzungen jeder Art eines kaum erst erlassenen Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit -- und Angesichts aller dieser Thatsachen auch nicht eine einzige gerichtliche Behörde, die Entschlossenheit zeigte, dieser obrigkeitlichen Anarchie entgegenzutreten! Auch nicht ein Versuch, dem Gesetze Schutz zu gewähren gegen die Uebergriffe der Gewalthaber! Wahrlich wo mit so verschiedenem Maaße gemessen wird, da kann von einer Gleichheit vor dem Gesetze, von einer vertheilenden Gerechtigkeit nicht mehr die Rede sein! Auch wir, die unterzeichneten Bürger der Gemeinde Düsseldorf, haben über diese vertheilende Gerechtigkeit die schlimmsten Erfahrungen zu machen gehabt. Männer wie F. Lassale, der in der kurzen Zeit seines öffentlichen Auftretens sich die zahlreichsten und begeistertsten Freunde erworben hat, während seine ärgsten Feinde ihm die Gerechtigkeit lassen müssen, daß er die Kräfte seines reichbegabten Geistes, die Gewalt seiner Rede und seine unermüdliche Thätigkeit nur der Aufrechthaltung der verfassungsmäßigen Freiheit gewidmet und den Boden des gesetzlichen Widerstands keinen Augenblick verlassen hat -- sie schmachten seit Wochen im Kerker und sind Untersuchungen ausgesetzt, die, auf die widersinnigsten Denunziationen gebaut, leicht ins Endlose fortgesponnen werden können. Aber auf die Anklagen, welche hiesige Bürger gegen den Herrn Regierungs-Präsidenten v. Spiegel und den Herrn Generallieutenant v. Drigalski wegen der handgreiflichsten Gesetzwidrigkeiten an die Staatsbehörde gerichtet haben, ist auch nicht das Mindeste erfolgt. Ja es scheint, daß selbst die Regierung, in deren Interesse sie doch gehandelt haben, sich noch eher veranlaßt sieht, sie zur Rechenschaft zu ziehen, als die hiesige Prokuratur. Wir wenden uns daher an Sie, Herr General-Prokurator, um laute Klage zu erh[e]ben gegen diese schreiende Ungerechtigkeit. Wir ersuchen Sie, von den Verbrechen Kenntniß zu nehmen, welche hiesige Beamte seit der Erklärung des Belagerungszustands verübt haben und zu verordnen, daß auf Grund derselben Verfolgungen eingeleitet werden. Wir ersuchen Sie ferner sich Bericht geben zu lassen über die schwebenden Untersuchungen, besonders über die gegen die Bürger Lassalle, Cantador und Weyers, welche auf die Art. 87, 91 und 102 C. P. gerichtet sind. Wir ersuchen Sie, sich über den Gang dieser Untersuchungen zu unterrichten und zu veranlassen, daß sie mit Beseitigung aller nicht auf positive Anzeigen sich stützender Nachforschungen schleunigst ihrem Ende zugeführt werden. Denn so sehr wir überzeugt sind, daß sich schwerlich ein Anklagesenat finden wird, der auf das Ergebniß dieser Untersuchungen eine Verweisung vor die Gerichte aussprechen möchte, so sehr müssen wir befürchten, daß die Untersuchungen selber, falls ihre Beschleunigung nicht besonders eingeschärft wird, über Gebühr, sei es absichtlich oder unabsichtlich, in die Länge gezogen werden. Ist es doch notorisch, daß der Richter, welcher sie führt, zu den entschiedensten politischen Gegnern der Angeschuldigten gehört und nimmt man das Beispiel hinzu, welches die jüngsten Assisenverhandlungen zu Köln geliefert haben, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn der Argwohn mehr und mehr um sich greift, daß es auch darauf abgesehen sei, die Männer, welche das Vertrauen des Volkes besitzen, ihm fernzuhalten, und zwar gerade jetzt, wo alles aufgeboten wird, eine den jüngsten Staatsstreichen günstige Landesrepräsentation zu erzielen. So grundlos solche Vermuthungen auch sein mögen -- die ganze Haltung, welche die Gerichte angenommen haben, berechtigt leider nicht, sie von vornherein als völlig unglaubhaft von der Hand zu weisen. Nicht wenig Nahrung giebt diesem Mißtrauen, welches am Ende alle Zuversicht auf unsre gerichtlichen Institutionen vernichten muß, auch die willkürliche Art, wie die Beschuldigten während der Haft behandelt werden. Und das ist ein weiterer Punkt, über den wir bei Ihnen, Herr General-Prokurator, Beschwerde zu führen haben. Während sonst für alle Gefangene bestimmte Tage angesetzt sind, an denen sie Besuch empfangen dürfen, ist bei unsern wegen politischer Vergehen Verfolgten in dieser Beziehung eine sehr große Ungleichmäßigkeit der Behandlung hervorgetreten. Lassalle z. B. durfte während dreier Wochen nur zweimal und zwar jedesmal höchstens 10 Minuten Besuch empfangen, und dem Arbeiter Weyers wurde sogar [Fortsetzung] Ein Brief Heinrich Heine's an Varnhagen von Ense über Ferdinand Lassalle. Paris, 3. Januar 1845. Theuerster Varnhagen! Es ist dies der erste Brief, den ich in diesem neuen Jahre schreibe und ich beginne ihn mit dem herzlichsten Glückwunsch. Möge in diesem Jahre leibliches und geistiges Wohlsein Sie beglücken. Daß Sie von körperlichen Leiden so oft niedergedrückt, höre ich mit größter Betrübniß. Ich hätte Ihnen gern zuweilen ein tröstendes Wort zugerufen, aber Hekuba ist eine schlechte Trösterin. Mir ging es nämlich in der letzten Zeit spottschlecht und das Schreiben erinnert mich beständig an mein körperliches Mißgeschick: ich kann kaum meine eigenen Schriftzüge sehen, indem ich ein ganz geschlossenes und ein bereits sich schließendes Auge habe und jeder Brief mir nur neue Pein verursacht. Ich ergreife daher mit innigster Freude die Gelegenheit, Ihnen durch einen Freund mündlich Nachrichten von mir zukommen zu lassen und da dieser Freund in alle meine Nöthe eingeweiht ist, so kann er Ihnen umständlich mittheilen, wie entsetzlich mir von meinen nächsten Sippen mitgespielt worden und was etwa in dieser Beziehung noch für mich zu thun wäre. Herr Lassalle, der Ihnen diesen Brief bringt, ist ein junger Mann von den ausgezeichnetsten Geistesgaben, mit der gründlichsten Gelehrsamkeit, mit dem weitesten Wissen, mit dem größesten Scharfsinn, der mir je vorgekommen. Mit der reichsten Begabniß der Darstellung verbindet er eine Energie des Willens, eine Habilite im Handeln, die mich wahrhaft in Erstaunen setzen, und wenn seine Sympathie für mich nicht erlöscht, so erwarte ich von ihm den thätigsten Vorschub. Jedenfalls war diese Vereinigung von Wissen und Können, von Talent und Charakter für mich eine freudige Erscheinung und Sie bei Ihrer Vielseitigkeit im Anerkennen werden gewiß ihm volle Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Herr Lassalle ist nun einmal so ein ausgezeichneter Sohn der neuen Zeit, der nichts von jener Entsagung und Bescheidenheit wissen will, womit wir uns mehr oder minder in unserer Zeit hindurchgelungert und hindurchgefaselt. Dieses neue Geschlecht will genießen und sich geltend machen im Sichtbaren; wir, die Alten, beugten uns demüthig vor dem Unsichtbaren, fischten nach Schattenküssen und blauen Blumengerüchen, entsagten und flennten und waren doch vielleicht glücklicher, als jene harten Gladiatoren, die so stolz dem Kampftode entgegengehen. Das tausendjährige Reich der Romantik hat ein Ende und ich selbst war sein letzter und abgedankter Fabelkönig. Hätte ich nicht die Krone vom Haupte fortgeschmissen, sie hätten mich richtig geköpft -- -- Vor vier Jahren hatte ich, ehe ich abtrünnig wurde von mir selber, noch ein Gelüste mit den alten Traumgestalten herumzutummeln im Mondschein, und ich schrieb Atta Troll, den Schwanengesang der untergehenden Periode und Ihnen habe ich ihn gewidmet. Das gebührte Ihnen, denn Sie sind immer mein wahlverwandtester Waffenbruder gewesen, in Spiel und Ernst. Sie haben gleich mir die alte Zeit begraben helfen und bei der neuen Hebammendienst geleistet -- ja, wir haben sie zu Tage gefördert unter Schrecken -- es geht uns wie dem armen Huhn, das Enten-Eier ausgebrütet hat und mit Entsetzen sieht, wie die junge Brut sich in's Wasser stürzt und wohlgefällig schwimmt. Ich bin durch Buchhändlerkontrakt verpflichtet, den Atta Troll herauszugeben; das soll in einigen Monaten geschehen -- mit Vorsicht, damit man mir nicht den Prozeß macht und mich köpft. Sie merken, theurer Freund, wie vag', wie ungewiß mir zu Muthe ist. Solche schwachmatische Stimmung ist jedoch zumeist in meiner Kränklichkeit begründet. Schwindet der Lähmungsdruck, der gleich einem eisernen Reifen mir die Brust einklemmt, so wird auch die alte Energie wieder flügge werden. Ich fürchte jedoch, das wird noch lange dauern. Der Verrath, der im Schooße der Familie, wo ich waffenlos und vertrauend war, an mir verübt wurde, hat mich wie ein Blitz aus heiterer Luft getroffen, und fast tödlich getroffen. Wer die Umstände erwägt, wird hierin einen Meuchelmords-Versuch sehen. Die schleichende Mittelmäßigkeit, die 20 Jahre lang harrte, ingrimmig neidisch gegen den Genius, hatte endlich ihre Siegesstunde erreicht. Im Grunde ist auch das eine alte Geschichte, die sich immer erneut. Ja, ich bin sehr körperkrank, aber die Seele hat wenig gelitten. Eine müde Blume, ist sie ein bischen gebeugt, aber keineswegs welk und wurzelt noch fest in Wahrheit und Liebe. Und nun leben Sie wohl, theuerster Varnhagen. Mein Freund Lassalle wird Ihnen sagen, wie viel und wie unaufhörlich ich an Sie denke, was um so begreiflicher, da ich jetzt gar nicht lesen kann und bei den langen Winterabenden nur von Erinnerungen mich erheitere. Heinrich Heine. Wie unsere Leser aus dem Datum sehen, wurde der vorstehende Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 186. Köln, Donnerstag den 4. Januar. 1849. Bestellungen auf die „Neue Rheinische Zeitung“ für das jetzige Quartal, Januar bis März 1849, wolle man baldigst machen und zwar in Köln bei der Expedition der Zeitung (unter Hutmacher Nr. 17), auswärts bei allen Postanstalten Deutschlands. Für Frankreich übernimmmt Abonnements Herr Dr. Ewerbeck, rue de l'Ulm 33 in Paris und das königl. Oberpostamt in Aachen, für Holland und Belgien: die belgischen Briefpostämter, für Großbrittanien: Mr. Thomas, Catherine Street-strand in London und das belgische Briefpostamt in Ostende. Durch den Wegfall des Stempels wird der Abonnementspreis ermäßigt und beträgt von jetzt ab für Köln nur 1 Thlr. 7 Sgr. 6 Pf., bei allen preußischen Postanstalten, (das Porto einbegriffen) nur 1 Thlr. 17 Sgr. vierteljährlich; für Abonnenten im übrigen Deutschland tritt ein verhältnißmäßiger Postaufschlag hinzu. Die Redaktion bleibt unverändert. Die bisherigen Monatsgänge der „Neuen Rheinischen Zeitung“ sind ihr Programm. Durch ihre persönlichen Verbindungen mit den Chefs der demokratischen Partei in England, Frankreich, Italien, Belgien und Nordamerika ist die Redaktion in Stand gesetzt, ihren Lesern die politisch-soziale Bewegung des Auslandes richtiger und klarer abzuspiegeln, als irgend ein anderes Blatt. Die „N. Rh. Ztg.“ ist in dieser Beziehung nicht blos das Organ der deutschen, sondern der europäischen Demokratie. Inserate: Die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf. Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen unseres Blattes eine sehr weite Verbreitung. Die Gerantur der „Neuen Rheinischen Zeitung.“ Durch die bedeutend vergrößerte Auflage unserer Zeitung ist es unmöglich geworden, Anzeigen, welche noch für den folgenden Tag in die Zeitung inserirt werden sollen, bis 1 Uhr Mittags anzunehmen; wir ersuchen daher das geehrte Publikum, die Anzeigen bis 12 Uhr Mittags in die unterzeichnete Expedition abzugeben. Köln, den 3. Januar 1849. Die Expedition der „Neuen Rheinischen Zeitung.“ Uebersicht. Deutschland. Köln. (Deputation und Adresse an Herrn Nikolovius.) Münster. (Die Stellen in der politischen Prozeßkomödie.) Dortmund. (Tagesordnung des rhein.-westphäl. Kongresses der konstit. Centralvereine.) Berlin. (Verhaftsbefehle) Striegau [in Schlesien]. (Verhaftungen. — Die Eintheilung der Wahlkreise. — „Selbstständigkeit“ der Urwähler.) Stettin. (Festmahl zu Ehren Gierke's.) Wien. (Die Standrechtblätter über L. Napoleon und die Verhältnisse in Frankfurt. — Ein Curiosum aus dem Reichstag. — Ministerielle Finanzberathungen. — Die „Presse“ gegen die pol. Deputirten. — Die Loyalitätsadressen. — Aussicht auf Septembergesetze. — Neue Journale in Grätz. — L. Raveaux. — Welden. — Das Proletariat. — Der Sultan Standrechtsverbündeter. — Der „Lloyd“ über Metternich und Palmerston. — Frankreichs Verrath an den Völkern. — Warnung. — Schmerling. — Russen unter den Serben. — Finanzmanöver des Ministeriums. — Die „Presse“ über Deutschland. — Die Einnahme Raab's. — Verfahren gegen die Gefangenen Ungarn's. — Der Kampf in Ungarn.) Dresden. (Wahlsiege der Vaterlandsvereine.) Italien. Palermo. (Die Zwangsanleihe. — Die Armee. — Desertionen aus der neapolitanischen Armee. — Die Deputirtenkammer für den Anschluß an die Constituante. — Antonius.) Neapel. (Rüstungen.) Rom. (Die „Abba“ über die Lage der Dinge. — Das neue Ministerium. — Abreise Rapier's. — Gavazzi nicht ausgewiesen. — Anstalten zum Empfange des Pabstes in Civita-Vecchia.) Modena. (Auflösung der Nationalgarde.) Mantua. (Vorbereitungen zum Kriege.) Genua. (Konstitutionelle Demonstration) Französische Republik. Paris. (Attributionen des Präsidenten. Jury von Blousenmännern. — Das christlich-germanische, jüdisch-germanische und französische Weib. — Vermischtes) Deutschland. * Köln, 2. Januar. Heute Mittag begab sich eine Deputation Düsseldorfer Bürger, welcher sich Deputationen des hiesigen Arbeitervereins und der demokratischen Gesellschaft angeschlossen hatten, im Ganzen 16 Personen, zu dem Generalprokurator, Herrn Nicolovius, um demselben die nachfolgende Adresse zu überreichen. Auf die mündlichen Vorstellungen, unter welchen die Uebergabe der Adresse erfolgte, äußerte Herr Nicolovius im Wesentlichen, daß die Untersuchungen gegen die Bürger Lassalle, Cantador und Weyers möglichst beschleunigt und ihnen selber während der Verhaft alle zulässigen Erleichterungen zu Theil werden sollten. Was die Beschwerde darüber anlange, daß gegen die Ungesetzlichkeiten, welche Beamte seit der Erklärung des Belagerungszustandes in Düsseldorf verübt haben sollten, von Seiten der rheinischen Justiz nicht eingeschritten worden sei, so müsse er anheimgeben, sich deshalb an seinen Vorgesetzten, den Herrn Minister der Justiz, zu verwenden. Uebrigens würden diese Vorfälle ja wohl in der nächsten Sitzung der Landesrepräsentanten zur Sprache gebracht werden. Erwähnte Adresse lautet: An den Königlichen General-Prokurator zu Köln Herrn Nicolovius Hochwohlgeboren. Bereits ist vielfach öffentlich die Klage laut geworden, daß in Folge der jüngsten politischen Zerwürfnisse fort und fort nur Bürger und Private zur gerichtlichen Verantwortung gezogen werden, daß dagegen nirgendwo gegen Behörden und Beamte, selbst bei den offenbarsten Ungesetzlichkeiten und Gewaltthaten, eingeschritten worden ist. Man hat sich vergebens bemüht, Gründe des Rechtes für diese befremdende Erscheinung aufzufinden und es bleibt am Ende nur die traurige Annahme, daß die richterliche Gewalt, die doch berufen ist, ohne Ansehen der Person und erhaben über allen Partheiung das Gesetz zu handhaben, zu schützen und nur dem Gesetze zu leben, sich zu einer Parthei geschlagen habe, die das Gesetz über den Haufen wirft, nachdem sie durch die Gewalt den Sieg davon getragen. Denn was ist geschehen und was geschieht? Eine Versammlung von Männern, die gesetzlich zur Herstellung eines neuen Staatsgebäudes zusammen berufen war, ist durch den Machtspruch einer Gewalt, der sie gleichberechtigt, wenn auch nicht mit gleichen Kampfmitteln, gegenüberstand, nicht blos verlegt und vertagt, nein sie ist unter dem offenbarsten Bruche feierlicher Gelübde und rechtskräftig bestehender Gesetze aufgelößt und auseinander getrieben worden. Die Herrschaft des Gesetzes ist gebrochen und eine Usurpation an ihre Stelle getreten, die sich vergebens bemüht, das beleidigte Recht durch begütigende Geschenke zu versöhnen. Und dieser Usurpation haben die Vertreter des Gesetzes sich freundlichst zugewendet und sind beeifert, ihr als einer gesetzlichen Macht das Recht zu vindiciren. Sie betrachten sie als die legitime Regierung und bemühen sich nach Kräften, die Männer des Volkes, welche der Gewalt zum Trotz an dem Rechte festhielten und für das Gesetz zu kämpfen bereit waren, als Verschwörer, Aufrührer und Hochverräther in die Kerker zu werfen und den schwersten Strafen zu überliefern. Wie ganz anders dagegen das Verhalten der Gerichte gegen Behörden des Civil- und Militärstandes, die, noch abgesehen von dem „Rechtsboden“, auf dem sie sich bewegten, in ihren einzelnen Maaßnahmen und Anordnungen sich die gröbsten Ungesetzlichkeiten haben zu Schulden kommen lassen! Hier willkürliche Suspension der unverbruchlichsten Rechte, gewaltsame Einführung von Ausnahmezustände, die Leben und Eigenthum der Bürger den Exzessen wüthender Soldatenhaufen preisgaben, Unterdrückung des Vereinsrechts, der Preßfreiheit, gewaltsame Entwaffnung der Bürger, Verletzungen jeder Art eines kaum erst erlassenen Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit — und Angesichts aller dieser Thatsachen auch nicht eine einzige gerichtliche Behörde, die Entschlossenheit zeigte, dieser obrigkeitlichen Anarchie entgegenzutreten! Auch nicht ein Versuch, dem Gesetze Schutz zu gewähren gegen die Uebergriffe der Gewalthaber! Wahrlich wo mit so verschiedenem Maaße gemessen wird, da kann von einer Gleichheit vor dem Gesetze, von einer vertheilenden Gerechtigkeit nicht mehr die Rede sein! Auch wir, die unterzeichneten Bürger der Gemeinde Düsseldorf, haben über diese vertheilende Gerechtigkeit die schlimmsten Erfahrungen zu machen gehabt. Männer wie F. Lassale, der in der kurzen Zeit seines öffentlichen Auftretens sich die zahlreichsten und begeistertsten Freunde erworben hat, während seine ärgsten Feinde ihm die Gerechtigkeit lassen müssen, daß er die Kräfte seines reichbegabten Geistes, die Gewalt seiner Rede und seine unermüdliche Thätigkeit nur der Aufrechthaltung der verfassungsmäßigen Freiheit gewidmet und den Boden des gesetzlichen Widerstands keinen Augenblick verlassen hat — sie schmachten seit Wochen im Kerker und sind Untersuchungen ausgesetzt, die, auf die widersinnigsten Denunziationen gebaut, leicht ins Endlose fortgesponnen werden können. Aber auf die Anklagen, welche hiesige Bürger gegen den Herrn Regierungs-Präsidenten v. Spiegel und den Herrn Generallieutenant v. Drigalski wegen der handgreiflichsten Gesetzwidrigkeiten an die Staatsbehörde gerichtet haben, ist auch nicht das Mindeste erfolgt. Ja es scheint, daß selbst die Regierung, in deren Interesse sie doch gehandelt haben, sich noch eher veranlaßt sieht, sie zur Rechenschaft zu ziehen, als die hiesige Prokuratur. Wir wenden uns daher an Sie, Herr General-Prokurator, um laute Klage zu erh[e]ben gegen diese schreiende Ungerechtigkeit. Wir ersuchen Sie, von den Verbrechen Kenntniß zu nehmen, welche hiesige Beamte seit der Erklärung des Belagerungszustands verübt haben und zu verordnen, daß auf Grund derselben Verfolgungen eingeleitet werden. Wir ersuchen Sie ferner sich Bericht geben zu lassen über die schwebenden Untersuchungen, besonders über die gegen die Bürger Lassalle, Cantador und Weyers, welche auf die Art. 87, 91 und 102 C. P. gerichtet sind. Wir ersuchen Sie, sich über den Gang dieser Untersuchungen zu unterrichten und zu veranlassen, daß sie mit Beseitigung aller nicht auf positive Anzeigen sich stützender Nachforschungen schleunigst ihrem Ende zugeführt werden. Denn so sehr wir überzeugt sind, daß sich schwerlich ein Anklagesenat finden wird, der auf das Ergebniß dieser Untersuchungen eine Verweisung vor die Gerichte aussprechen möchte, so sehr müssen wir befürchten, daß die Untersuchungen selber, falls ihre Beschleunigung nicht besonders eingeschärft wird, über Gebühr, sei es absichtlich oder unabsichtlich, in die Länge gezogen werden. Ist es doch notorisch, daß der Richter, welcher sie führt, zu den entschiedensten politischen Gegnern der Angeschuldigten gehört und nimmt man das Beispiel hinzu, welches die jüngsten Assisenverhandlungen zu Köln geliefert haben, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn der Argwohn mehr und mehr um sich greift, daß es auch darauf abgesehen sei, die Männer, welche das Vertrauen des Volkes besitzen, ihm fernzuhalten, und zwar gerade jetzt, wo alles aufgeboten wird, eine den jüngsten Staatsstreichen günstige Landesrepräsentation zu erzielen. So grundlos solche Vermuthungen auch sein mögen — die ganze Haltung, welche die Gerichte angenommen haben, berechtigt leider nicht, sie von vornherein als völlig unglaubhaft von der Hand zu weisen. Nicht wenig Nahrung giebt diesem Mißtrauen, welches am Ende alle Zuversicht auf unsre gerichtlichen Institutionen vernichten muß, auch die willkürliche Art, wie die Beschuldigten während der Haft behandelt werden. Und das ist ein weiterer Punkt, über den wir bei Ihnen, Herr General-Prokurator, Beschwerde zu führen haben. Während sonst für alle Gefangene bestimmte Tage angesetzt sind, an denen sie Besuch empfangen dürfen, ist bei unsern wegen politischer Vergehen Verfolgten in dieser Beziehung eine sehr große Ungleichmäßigkeit der Behandlung hervorgetreten. Lassalle z. B. durfte während dreier Wochen nur zweimal und zwar jedesmal höchstens 10 Minuten Besuch empfangen, und dem Arbeiter Weyers wurde sogar [Fortsetzung] Ein Brief Heinrich Heine's an Varnhagen von Ense über Ferdinand Lassalle. Paris, 3. Januar 1845. Theuerster Varnhagen! Es ist dies der erste Brief, den ich in diesem neuen Jahre schreibe und ich beginne ihn mit dem herzlichsten Glückwunsch. Möge in diesem Jahre leibliches und geistiges Wohlsein Sie beglücken. Daß Sie von körperlichen Leiden so oft niedergedrückt, höre ich mit größter Betrübniß. Ich hätte Ihnen gern zuweilen ein tröstendes Wort zugerufen, aber Hekuba ist eine schlechte Trösterin. Mir ging es nämlich in der letzten Zeit spottschlecht und das Schreiben erinnert mich beständig an mein körperliches Mißgeschick: ich kann kaum meine eigenen Schriftzüge sehen, indem ich ein ganz geschlossenes und ein bereits sich schließendes Auge habe und jeder Brief mir nur neue Pein verursacht. Ich ergreife daher mit innigster Freude die Gelegenheit, Ihnen durch einen Freund mündlich Nachrichten von mir zukommen zu lassen und da dieser Freund in alle meine Nöthe eingeweiht ist, so kann er Ihnen umständlich mittheilen, wie entsetzlich mir von meinen nächsten Sippen mitgespielt worden und was etwa in dieser Beziehung noch für mich zu thun wäre. Herr Lassalle, der Ihnen diesen Brief bringt, ist ein junger Mann von den ausgezeichnetsten Geistesgaben, mit der gründlichsten Gelehrsamkeit, mit dem weitesten Wissen, mit dem größesten Scharfsinn, der mir je vorgekommen. Mit der reichsten Begabniß der Darstellung verbindet er eine Energie des Willens, eine Habilité im Handeln, die mich wahrhaft in Erstaunen setzen, und wenn seine Sympathie für mich nicht erlöscht, so erwarte ich von ihm den thätigsten Vorschub. Jedenfalls war diese Vereinigung von Wissen und Können, von Talent und Charakter für mich eine freudige Erscheinung und Sie bei Ihrer Vielseitigkeit im Anerkennen werden gewiß ihm volle Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Herr Lassalle ist nun einmal so ein ausgezeichneter Sohn der neuen Zeit, der nichts von jener Entsagung und Bescheidenheit wissen will, womit wir uns mehr oder minder in unserer Zeit hindurchgelungert und hindurchgefaselt. Dieses neue Geschlecht will genießen und sich geltend machen im Sichtbaren; wir, die Alten, beugten uns demüthig vor dem Unsichtbaren, fischten nach Schattenküssen und blauen Blumengerüchen, entsagten und flennten und waren doch vielleicht glücklicher, als jene harten Gladiatoren, die so stolz dem Kampftode entgegengehen. Das tausendjährige Reich der Romantik hat ein Ende und ich selbst war sein letzter und abgedankter Fabelkönig. Hätte ich nicht die Krone vom Haupte fortgeschmissen, sie hätten mich richtig geköpft — — Vor vier Jahren hatte ich, ehe ich abtrünnig wurde von mir selber, noch ein Gelüste mit den alten Traumgestalten herumzutummeln im Mondschein, und ich schrieb Atta Troll, den Schwanengesang der untergehenden Periode und Ihnen habe ich ihn gewidmet. Das gebührte Ihnen, denn Sie sind immer mein wahlverwandtester Waffenbruder gewesen, in Spiel und Ernst. Sie haben gleich mir die alte Zeit begraben helfen und bei der neuen Hebammendienst geleistet — ja, wir haben sie zu Tage gefördert unter Schrecken — es geht uns wie dem armen Huhn, das Enten-Eier ausgebrütet hat und mit Entsetzen sieht, wie die junge Brut sich in's Wasser stürzt und wohlgefällig schwimmt. Ich bin durch Buchhändlerkontrakt verpflichtet, den Atta Troll herauszugeben; das soll in einigen Monaten geschehen — mit Vorsicht, damit man mir nicht den Prozeß macht und mich köpft. Sie merken, theurer Freund, wie vag', wie ungewiß mir zu Muthe ist. Solche schwachmatische Stimmung ist jedoch zumeist in meiner Kränklichkeit begründet. Schwindet der Lähmungsdruck, der gleich einem eisernen Reifen mir die Brust einklemmt, so wird auch die alte Energie wieder flügge werden. Ich fürchte jedoch, das wird noch lange dauern. Der Verrath, der im Schooße der Familie, wo ich waffenlos und vertrauend war, an mir verübt wurde, hat mich wie ein Blitz aus heiterer Luft getroffen, und fast tödlich getroffen. Wer die Umstände erwägt, wird hierin einen Meuchelmords-Versuch sehen. Die schleichende Mittelmäßigkeit, die 20 Jahre lang harrte, ingrimmig neidisch gegen den Genius, hatte endlich ihre Siegesstunde erreicht. Im Grunde ist auch das eine alte Geschichte, die sich immer erneut. Ja, ich bin sehr körperkrank, aber die Seele hat wenig gelitten. Eine müde Blume, ist sie ein bischen gebeugt, aber keineswegs welk und wurzelt noch fest in Wahrheit und Liebe. Und nun leben Sie wohl, theuerster Varnhagen. Mein Freund Lassalle wird Ihnen sagen, wie viel und wie unaufhörlich ich an Sie denke, was um so begreiflicher, da ich jetzt gar nicht lesen kann und bei den langen Winterabenden nur von Erinnerungen mich erheitere. Heinrich Heine. Wie unsere Leser aus dem Datum sehen, wurde der vorstehende <TEI> <text> <pb facs="#f0001" n="1003"/> <front> <titlePage type="heading"> <titlePart type="main">Neue Rheinische Zeitung</titlePart> <titlePart type="sub">Organ der Demokratie.</titlePart> <docImprint> <docDate>No 186. Köln, Donnerstag den 4. 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Oberpostamt in Aachen, für Holland und Belgien: die belgischen Briefpostämter, für Großbrittanien: <hi rendition="#b">Mr. Thomas, Catherine Street-strand in London</hi> und das belgische Briefpostamt in Ostende.</p> <p>Durch den Wegfall des Stempels wird der Abonnementspreis ermäßigt und beträgt von jetzt ab für <hi rendition="#g">Köln</hi> <hi rendition="#b">nur 1</hi> <hi rendition="#g">Thlr</hi>. <hi rendition="#b">7</hi> <hi rendition="#g">Sgr</hi>. <hi rendition="#b">6</hi> <hi rendition="#g">Pf</hi>., bei allen preußischen Postanstalten, (das Porto einbegriffen) <hi rendition="#b">nur 1</hi> <hi rendition="#g">Thlr</hi>. <hi rendition="#b">17</hi> Sgr. vierteljährlich; für Abonnenten im übrigen Deutschland tritt ein verhältnißmäßiger Postaufschlag hinzu.</p> <p>Die Redaktion bleibt unverändert.</p> <p> <hi rendition="#b">Die bisherigen Monatsgänge der „Neuen Rheinischen Zeitung“ sind ihr Programm. Durch ihre persönlichen Verbindungen mit den Chefs der demokratischen Partei in England, Frankreich, Italien, Belgien und Nordamerika ist die Redaktion in Stand gesetzt, ihren Lesern die politisch-soziale Bewegung des Auslandes richtiger und klarer abzuspiegeln, als irgend ein anderes Blatt. Die „N. Rh. Ztg.“ ist in dieser Beziehung nicht blos das Organ der deutschen, sondern der europäischen Demokratie.</hi> </p> <p><hi rendition="#g">Inserate:</hi> Die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.</p> <p>Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen unseres Blattes eine sehr weite Verbreitung. <hi rendition="#b">Die Gerantur der „Neuen Rheinischen Zeitung.“</hi> </p> </div> <div n="1"> <p>Durch die bedeutend vergrößerte Auflage unserer Zeitung ist es unmöglich geworden, Anzeigen, welche noch für den folgenden Tag in die Zeitung inserirt werden sollen, bis 1 Uhr Mittags anzunehmen; wir ersuchen daher das geehrte Publikum, die Anzeigen bis 12 Uhr Mittags in die unterzeichnete Expedition abzugeben.</p> <p>Köln, den 3. Januar 1849.</p> <p> <hi rendition="#b">Die Expedition der „Neuen Rheinischen Zeitung.“</hi> </p> </div> <div type="contents" n="1"> <head>Uebersicht.</head> <p><hi rendition="#g">Deutschland</hi>. Köln. (Deputation und Adresse an Herrn Nikolovius.) 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(Wahlsiege der Vaterlandsvereine.)</p> <p><hi rendition="#g">Italien</hi>. Palermo. (Die Zwangsanleihe. — Die Armee. — Desertionen aus der neapolitanischen Armee. — Die Deputirtenkammer für den Anschluß an die Constituante. — Antonius.)</p> <p><hi rendition="#g">Neapel</hi>. (Rüstungen.) Rom. (Die „Abba“ über die Lage der Dinge. — Das neue Ministerium. — Abreise Rapier's. — Gavazzi nicht ausgewiesen. — Anstalten zum Empfange des Pabstes in Civita-Vecchia.) Modena. (Auflösung der Nationalgarde.) Mantua. (Vorbereitungen zum Kriege.) Genua. (Konstitutionelle Demonstration)</p> <p><hi rendition="#g">Französische Republik</hi>. Paris. (Attributionen des Präsidenten. Jury von Blousenmännern. — Das christlich-germanische, jüdisch-germanische und französische Weib. — Vermischtes)</p> </div> <div n="1"> <head>Deutschland.</head> <div xml:id="ar186_001" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Köln, 2. Januar.</head> <p>Heute Mittag begab sich eine Deputation Düsseldorfer Bürger, welcher sich Deputationen des hiesigen Arbeitervereins und der demokratischen Gesellschaft angeschlossen hatten, im Ganzen 16 Personen, zu dem Generalprokurator, Herrn Nicolovius, um demselben die nachfolgende Adresse zu überreichen. Auf die mündlichen Vorstellungen, unter welchen die Uebergabe der Adresse erfolgte, äußerte Herr Nicolovius im Wesentlichen, daß die Untersuchungen gegen die Bürger Lassalle, Cantador und Weyers möglichst beschleunigt und ihnen selber während der Verhaft alle zulässigen Erleichterungen zu Theil werden sollten. Was die Beschwerde darüber anlange, daß gegen die Ungesetzlichkeiten, welche Beamte seit der Erklärung des Belagerungszustandes in Düsseldorf verübt haben sollten, von Seiten der rheinischen Justiz nicht eingeschritten worden sei, so müsse er anheimgeben, sich deshalb an seinen Vorgesetzten, den Herrn Minister der Justiz, zu verwenden. Uebrigens würden diese Vorfälle ja wohl in der nächsten Sitzung der Landesrepräsentanten zur Sprache gebracht werden.</p> <p>Erwähnte Adresse lautet:</p> <p>An den Königlichen General-Prokurator zu Köln Herrn <hi rendition="#g">Nicolovius</hi> Hochwohlgeboren.</p> <p>Bereits ist vielfach öffentlich die Klage laut geworden, daß in Folge der jüngsten politischen Zerwürfnisse fort und fort nur Bürger und Private zur gerichtlichen Verantwortung gezogen werden, daß dagegen nirgendwo gegen Behörden und Beamte, selbst bei den offenbarsten Ungesetzlichkeiten und Gewaltthaten, eingeschritten worden ist. Man hat sich vergebens bemüht, Gründe des Rechtes für diese befremdende Erscheinung aufzufinden und es bleibt am Ende nur die traurige Annahme, daß die richterliche Gewalt, die doch berufen ist, ohne Ansehen der Person und erhaben über allen Partheiung das Gesetz zu handhaben, zu schützen und nur dem Gesetze zu leben, sich zu einer Parthei geschlagen habe, die das Gesetz über den Haufen wirft, nachdem sie durch die Gewalt den Sieg davon getragen.</p> <p>Denn was ist geschehen und was geschieht? Eine Versammlung von Männern, die gesetzlich zur Herstellung eines neuen Staatsgebäudes zusammen berufen war, ist durch den Machtspruch einer Gewalt, der sie gleichberechtigt, wenn auch nicht mit gleichen Kampfmitteln, gegenüberstand, nicht blos verlegt und vertagt, nein sie ist unter dem offenbarsten Bruche feierlicher Gelübde und rechtskräftig bestehender Gesetze aufgelößt und auseinander getrieben worden. Die Herrschaft des Gesetzes ist gebrochen und eine Usurpation an ihre Stelle getreten, die sich vergebens bemüht, das beleidigte Recht durch begütigende Geschenke zu versöhnen. Und dieser Usurpation haben die Vertreter des Gesetzes sich freundlichst zugewendet und sind beeifert, ihr als einer gesetzlichen Macht das Recht zu vindiciren. Sie betrachten sie als die legitime Regierung und bemühen sich nach Kräften, die Männer des Volkes, welche der Gewalt zum Trotz an dem Rechte festhielten und für das Gesetz zu kämpfen bereit waren, als Verschwörer, Aufrührer und Hochverräther in die Kerker zu werfen und den schwersten Strafen zu überliefern.</p> <p>Wie ganz anders dagegen das Verhalten der Gerichte gegen Behörden des Civil- und Militärstandes, die, noch abgesehen von dem „Rechtsboden“, auf dem sie sich bewegten, in ihren einzelnen Maaßnahmen und Anordnungen sich die gröbsten Ungesetzlichkeiten haben zu Schulden kommen lassen! Hier willkürliche Suspension der unverbruchlichsten Rechte, gewaltsame Einführung von Ausnahmezustände, die Leben und Eigenthum der Bürger den Exzessen wüthender Soldatenhaufen preisgaben, Unterdrückung des Vereinsrechts, der Preßfreiheit, gewaltsame Entwaffnung der Bürger, Verletzungen jeder Art eines kaum erst erlassenen Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit — und Angesichts aller dieser Thatsachen auch nicht eine einzige gerichtliche Behörde, die Entschlossenheit zeigte, dieser obrigkeitlichen Anarchie entgegenzutreten! Auch nicht ein Versuch, dem Gesetze Schutz zu gewähren gegen die Uebergriffe der Gewalthaber! Wahrlich wo mit so verschiedenem Maaße gemessen wird, da kann von einer Gleichheit vor dem Gesetze, von einer vertheilenden Gerechtigkeit nicht mehr die Rede sein!</p> <p>Auch wir, die unterzeichneten Bürger der Gemeinde Düsseldorf, haben über diese vertheilende Gerechtigkeit die schlimmsten Erfahrungen zu machen gehabt. Männer wie F. Lassale, der in der kurzen Zeit seines öffentlichen Auftretens sich die zahlreichsten und begeistertsten Freunde erworben hat, während seine ärgsten Feinde ihm die Gerechtigkeit lassen müssen, daß er die Kräfte seines reichbegabten Geistes, die Gewalt seiner Rede und seine unermüdliche Thätigkeit nur der Aufrechthaltung der verfassungsmäßigen Freiheit gewidmet und den Boden des gesetzlichen Widerstands keinen Augenblick verlassen hat — sie schmachten seit Wochen im Kerker und sind Untersuchungen ausgesetzt, die, auf die widersinnigsten Denunziationen gebaut, leicht ins Endlose fortgesponnen werden können. Aber auf die Anklagen, welche hiesige Bürger gegen den Herrn Regierungs-Präsidenten v. Spiegel und den Herrn Generallieutenant v. Drigalski wegen der handgreiflichsten Gesetzwidrigkeiten an die Staatsbehörde gerichtet haben, ist auch nicht das Mindeste erfolgt. Ja es scheint, daß selbst die Regierung, in deren Interesse sie doch gehandelt haben, sich noch eher veranlaßt sieht, sie zur Rechenschaft zu ziehen, als die hiesige Prokuratur.</p> <p>Wir wenden uns daher an Sie, Herr General-Prokurator, um laute Klage zu erh[e]ben gegen diese schreiende Ungerechtigkeit. Wir ersuchen Sie, von den Verbrechen Kenntniß zu nehmen, welche hiesige Beamte seit der Erklärung des Belagerungszustands verübt haben und zu verordnen, daß auf Grund derselben Verfolgungen eingeleitet werden.</p> <p>Wir ersuchen Sie ferner sich Bericht geben zu lassen über die schwebenden Untersuchungen, besonders über die gegen die Bürger Lassalle, Cantador und Weyers, welche auf die Art. 87, 91 und 102 C. P. gerichtet sind. Wir ersuchen Sie, sich über den Gang dieser Untersuchungen zu unterrichten und zu veranlassen, daß sie mit Beseitigung aller nicht auf positive Anzeigen sich stützender Nachforschungen schleunigst ihrem Ende zugeführt werden. Denn so sehr wir überzeugt sind, daß sich schwerlich ein Anklagesenat finden wird, der auf das Ergebniß dieser Untersuchungen eine Verweisung vor die Gerichte aussprechen möchte, so sehr müssen wir befürchten, daß die Untersuchungen selber, falls ihre Beschleunigung nicht besonders eingeschärft wird, über Gebühr, sei es absichtlich oder unabsichtlich, in die Länge gezogen werden. Ist es doch notorisch, daß der Richter, welcher sie führt, zu den entschiedensten politischen Gegnern der Angeschuldigten gehört und nimmt man das Beispiel hinzu, welches die jüngsten Assisenverhandlungen zu Köln geliefert haben, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn der Argwohn mehr und mehr um sich greift, daß es auch darauf abgesehen sei, die Männer, welche das Vertrauen des Volkes besitzen, ihm fernzuhalten, und zwar gerade jetzt, wo alles aufgeboten wird, eine den jüngsten Staatsstreichen günstige Landesrepräsentation zu erzielen. So grundlos solche Vermuthungen auch sein mögen — die ganze Haltung, welche die Gerichte angenommen haben, berechtigt leider nicht, sie von vornherein als völlig unglaubhaft von der Hand zu weisen.</p> <p>Nicht wenig Nahrung giebt diesem Mißtrauen, welches am Ende alle Zuversicht auf unsre gerichtlichen Institutionen vernichten muß, auch die willkürliche Art, wie die Beschuldigten während der Haft behandelt werden. Und das ist ein weiterer Punkt, über den wir bei Ihnen, Herr General-Prokurator, Beschwerde zu führen haben. Während sonst für alle Gefangene bestimmte Tage angesetzt sind, an denen sie Besuch empfangen dürfen, ist bei unsern wegen politischer Vergehen Verfolgten in dieser Beziehung eine sehr große Ungleichmäßigkeit der Behandlung hervorgetreten. Lassalle z. B. durfte während dreier Wochen nur zweimal und zwar jedesmal höchstens 10 Minuten Besuch empfangen, und dem Arbeiter Weyers wurde sogar <ref type="link_fsg">[Fortsetzung]</ref> </p> </div> </div> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="ar186_002" type="jArticle"> <head>Ein Brief Heinrich Heine's<lb/> an<lb/> Varnhagen von Ense<lb/> über<lb/> Ferdinand Lassalle.</head> <p>Paris, 3. Januar 1845.</p> <p>Theuerster <hi rendition="#g">Varnhagen!</hi> </p> <p>Es ist dies der erste Brief, den ich in diesem neuen Jahre schreibe und ich beginne ihn mit dem herzlichsten Glückwunsch. Möge in diesem Jahre leibliches und geistiges Wohlsein Sie beglücken. Daß Sie von körperlichen Leiden so oft niedergedrückt, höre ich mit größter Betrübniß. Ich hätte Ihnen gern zuweilen ein tröstendes Wort zugerufen, aber Hekuba ist eine schlechte Trösterin. Mir ging es nämlich in der letzten Zeit spottschlecht und das Schreiben erinnert mich beständig an mein körperliches Mißgeschick: ich kann kaum meine eigenen Schriftzüge sehen, indem ich ein ganz geschlossenes und ein bereits sich schließendes Auge habe und jeder Brief mir nur neue Pein verursacht.</p> <p>Ich ergreife daher mit innigster Freude die Gelegenheit, Ihnen durch einen Freund mündlich Nachrichten von mir zukommen zu lassen und da dieser Freund in alle meine Nöthe eingeweiht ist, so kann er Ihnen umständlich mittheilen, wie entsetzlich mir von meinen nächsten Sippen mitgespielt worden und was etwa in dieser Beziehung noch für mich zu thun wäre.</p> <p>Herr <hi rendition="#g">Lassalle,</hi> der Ihnen diesen Brief bringt, ist ein junger Mann von den ausgezeichnetsten Geistesgaben, mit der gründlichsten Gelehrsamkeit, mit dem weitesten Wissen, mit dem größesten Scharfsinn, der mir je vorgekommen. Mit der reichsten Begabniß der Darstellung verbindet er eine Energie des Willens, eine Habilité im Handeln, die mich wahrhaft in Erstaunen setzen, und wenn seine Sympathie für mich nicht erlöscht, so erwarte ich von ihm den thätigsten Vorschub. Jedenfalls war diese Vereinigung von Wissen und Können, von Talent und Charakter für mich eine freudige Erscheinung und Sie bei Ihrer Vielseitigkeit im Anerkennen werden gewiß ihm volle Gerechtigkeit wiederfahren lassen.</p> <p>Herr Lassalle ist nun einmal so ein ausgezeichneter Sohn der neuen Zeit, der nichts von jener Entsagung und Bescheidenheit wissen will, womit wir uns mehr oder minder in <hi rendition="#g">unserer Zeit</hi> hindurchgelungert und hindurchgefaselt. Dieses neue Geschlecht will genießen und sich geltend machen im Sichtbaren; wir, die Alten, beugten uns demüthig vor dem Unsichtbaren, fischten nach Schattenküssen und blauen Blumengerüchen, entsagten und flennten und waren doch vielleicht glücklicher, als jene harten Gladiatoren, die so stolz dem Kampftode entgegengehen.</p> <p>Das tausendjährige Reich der Romantik hat ein Ende und ich selbst war sein letzter und abgedankter Fabelkönig. Hätte ich nicht die Krone vom Haupte fortgeschmissen, sie hätten mich richtig geköpft — —</p> <p>Vor vier Jahren hatte ich, ehe ich abtrünnig wurde von mir selber, noch ein Gelüste mit den alten Traumgestalten herumzutummeln im Mondschein, und ich schrieb Atta Troll, den Schwanengesang der untergehenden Periode und Ihnen habe ich ihn gewidmet. Das gebührte Ihnen, denn Sie sind immer mein wahlverwandtester Waffenbruder gewesen, in Spiel und Ernst. Sie haben gleich mir die alte Zeit begraben helfen und bei der neuen Hebammendienst geleistet — ja, wir haben sie zu Tage gefördert unter Schrecken — es geht uns wie dem armen Huhn, das Enten-Eier ausgebrütet hat und mit Entsetzen sieht, wie die junge Brut sich in's Wasser stürzt und wohlgefällig schwimmt.</p> <p>Ich bin durch Buchhändlerkontrakt verpflichtet, den Atta Troll herauszugeben; das soll in einigen Monaten geschehen — mit Vorsicht, damit man mir nicht den Prozeß macht und mich köpft.</p> <p>Sie merken, theurer Freund, wie vag', wie ungewiß mir zu Muthe ist. Solche schwachmatische Stimmung ist jedoch zumeist in meiner Kränklichkeit begründet. Schwindet der Lähmungsdruck, der gleich einem eisernen Reifen mir die Brust einklemmt, so wird auch die alte Energie wieder flügge werden. Ich fürchte jedoch, das wird noch lange dauern. Der Verrath, der im Schooße der Familie, wo ich waffenlos und vertrauend war, an mir verübt wurde, hat mich wie ein Blitz aus heiterer Luft getroffen, und fast tödlich getroffen.</p> <p>Wer die Umstände erwägt, wird hierin einen Meuchelmords-Versuch sehen. Die schleichende Mittelmäßigkeit, die 20 Jahre lang harrte, ingrimmig neidisch gegen den Genius, hatte endlich ihre Siegesstunde erreicht. Im Grunde ist auch das eine alte Geschichte, die sich immer erneut.</p> <p>Ja, ich bin sehr körperkrank, aber die Seele hat wenig gelitten. Eine müde Blume, ist sie ein bischen gebeugt, aber keineswegs welk und wurzelt noch fest in Wahrheit und Liebe.</p> <p>Und nun leben Sie wohl, theuerster Varnhagen. Mein Freund Lassalle wird Ihnen sagen, wie viel und wie unaufhörlich ich an Sie denke, was um so begreiflicher, da ich jetzt gar nicht lesen kann und bei den langen Winterabenden nur von Erinnerungen mich erheitere.</p> <p><hi rendition="#g">Heinrich Heine</hi>.</p> <p>Wie unsere Leser aus dem Datum sehen, wurde der vorstehende </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1003/0001]
Neue Rheinische Zeitung Organ der Demokratie. No 186. Köln, Donnerstag den 4. Januar. 1849. Bestellungen auf die „Neue Rheinische Zeitung“ für das jetzige Quartal, Januar bis März 1849, wolle man baldigst machen und zwar in Köln bei der Expedition der Zeitung (unter Hutmacher Nr. 17), auswärts bei allen Postanstalten Deutschlands.
Für Frankreich übernimmmt Abonnements Herr Dr. Ewerbeck, rue de l'Ulm 33 in Paris und das königl. Oberpostamt in Aachen, für Holland und Belgien: die belgischen Briefpostämter, für Großbrittanien: Mr. Thomas, Catherine Street-strand in London und das belgische Briefpostamt in Ostende.
Durch den Wegfall des Stempels wird der Abonnementspreis ermäßigt und beträgt von jetzt ab für Köln nur 1 Thlr. 7 Sgr. 6 Pf., bei allen preußischen Postanstalten, (das Porto einbegriffen) nur 1 Thlr. 17 Sgr. vierteljährlich; für Abonnenten im übrigen Deutschland tritt ein verhältnißmäßiger Postaufschlag hinzu.
Die Redaktion bleibt unverändert.
Die bisherigen Monatsgänge der „Neuen Rheinischen Zeitung“ sind ihr Programm. Durch ihre persönlichen Verbindungen mit den Chefs der demokratischen Partei in England, Frankreich, Italien, Belgien und Nordamerika ist die Redaktion in Stand gesetzt, ihren Lesern die politisch-soziale Bewegung des Auslandes richtiger und klarer abzuspiegeln, als irgend ein anderes Blatt. Die „N. Rh. Ztg.“ ist in dieser Beziehung nicht blos das Organ der deutschen, sondern der europäischen Demokratie.
Inserate: Die vierspaltige Petitzeile oder deren Raum 1 Sgr. 6 Pf.
Anzeigen aller Art erlangen durch die großen Verbindungen unseres Blattes eine sehr weite Verbreitung. Die Gerantur der „Neuen Rheinischen Zeitung.“
Durch die bedeutend vergrößerte Auflage unserer Zeitung ist es unmöglich geworden, Anzeigen, welche noch für den folgenden Tag in die Zeitung inserirt werden sollen, bis 1 Uhr Mittags anzunehmen; wir ersuchen daher das geehrte Publikum, die Anzeigen bis 12 Uhr Mittags in die unterzeichnete Expedition abzugeben.
Köln, den 3. Januar 1849.
Die Expedition der „Neuen Rheinischen Zeitung.“
Uebersicht. Deutschland. Köln. (Deputation und Adresse an Herrn Nikolovius.) Münster. (Die Stellen in der politischen Prozeßkomödie.) Dortmund. (Tagesordnung des rhein.-westphäl. Kongresses der konstit. Centralvereine.) Berlin. (Verhaftsbefehle) Striegau [in Schlesien]. (Verhaftungen. — Die Eintheilung der Wahlkreise. — „Selbstständigkeit“ der Urwähler.) Stettin. (Festmahl zu Ehren Gierke's.) Wien. (Die Standrechtblätter über L. Napoleon und die Verhältnisse in Frankfurt. — Ein Curiosum aus dem Reichstag. — Ministerielle Finanzberathungen. — Die „Presse“ gegen die pol. Deputirten. — Die Loyalitätsadressen. — Aussicht auf Septembergesetze. — Neue Journale in Grätz. — L. Raveaux. — Welden. — Das Proletariat. — Der Sultan Standrechtsverbündeter. — Der „Lloyd“ über Metternich und Palmerston. — Frankreichs Verrath an den Völkern. — Warnung. — Schmerling. — Russen unter den Serben. — Finanzmanöver des Ministeriums. — Die „Presse“ über Deutschland. — Die Einnahme Raab's. — Verfahren gegen die Gefangenen Ungarn's. — Der Kampf in Ungarn.) Dresden. (Wahlsiege der Vaterlandsvereine.)
Italien. Palermo. (Die Zwangsanleihe. — Die Armee. — Desertionen aus der neapolitanischen Armee. — Die Deputirtenkammer für den Anschluß an die Constituante. — Antonius.)
Neapel. (Rüstungen.) Rom. (Die „Abba“ über die Lage der Dinge. — Das neue Ministerium. — Abreise Rapier's. — Gavazzi nicht ausgewiesen. — Anstalten zum Empfange des Pabstes in Civita-Vecchia.) Modena. (Auflösung der Nationalgarde.) Mantua. (Vorbereitungen zum Kriege.) Genua. (Konstitutionelle Demonstration)
Französische Republik. Paris. (Attributionen des Präsidenten. Jury von Blousenmännern. — Das christlich-germanische, jüdisch-germanische und französische Weib. — Vermischtes)
Deutschland. * Köln, 2. Januar. Heute Mittag begab sich eine Deputation Düsseldorfer Bürger, welcher sich Deputationen des hiesigen Arbeitervereins und der demokratischen Gesellschaft angeschlossen hatten, im Ganzen 16 Personen, zu dem Generalprokurator, Herrn Nicolovius, um demselben die nachfolgende Adresse zu überreichen. Auf die mündlichen Vorstellungen, unter welchen die Uebergabe der Adresse erfolgte, äußerte Herr Nicolovius im Wesentlichen, daß die Untersuchungen gegen die Bürger Lassalle, Cantador und Weyers möglichst beschleunigt und ihnen selber während der Verhaft alle zulässigen Erleichterungen zu Theil werden sollten. Was die Beschwerde darüber anlange, daß gegen die Ungesetzlichkeiten, welche Beamte seit der Erklärung des Belagerungszustandes in Düsseldorf verübt haben sollten, von Seiten der rheinischen Justiz nicht eingeschritten worden sei, so müsse er anheimgeben, sich deshalb an seinen Vorgesetzten, den Herrn Minister der Justiz, zu verwenden. Uebrigens würden diese Vorfälle ja wohl in der nächsten Sitzung der Landesrepräsentanten zur Sprache gebracht werden.
Erwähnte Adresse lautet:
An den Königlichen General-Prokurator zu Köln Herrn Nicolovius Hochwohlgeboren.
Bereits ist vielfach öffentlich die Klage laut geworden, daß in Folge der jüngsten politischen Zerwürfnisse fort und fort nur Bürger und Private zur gerichtlichen Verantwortung gezogen werden, daß dagegen nirgendwo gegen Behörden und Beamte, selbst bei den offenbarsten Ungesetzlichkeiten und Gewaltthaten, eingeschritten worden ist. Man hat sich vergebens bemüht, Gründe des Rechtes für diese befremdende Erscheinung aufzufinden und es bleibt am Ende nur die traurige Annahme, daß die richterliche Gewalt, die doch berufen ist, ohne Ansehen der Person und erhaben über allen Partheiung das Gesetz zu handhaben, zu schützen und nur dem Gesetze zu leben, sich zu einer Parthei geschlagen habe, die das Gesetz über den Haufen wirft, nachdem sie durch die Gewalt den Sieg davon getragen.
Denn was ist geschehen und was geschieht? Eine Versammlung von Männern, die gesetzlich zur Herstellung eines neuen Staatsgebäudes zusammen berufen war, ist durch den Machtspruch einer Gewalt, der sie gleichberechtigt, wenn auch nicht mit gleichen Kampfmitteln, gegenüberstand, nicht blos verlegt und vertagt, nein sie ist unter dem offenbarsten Bruche feierlicher Gelübde und rechtskräftig bestehender Gesetze aufgelößt und auseinander getrieben worden. Die Herrschaft des Gesetzes ist gebrochen und eine Usurpation an ihre Stelle getreten, die sich vergebens bemüht, das beleidigte Recht durch begütigende Geschenke zu versöhnen. Und dieser Usurpation haben die Vertreter des Gesetzes sich freundlichst zugewendet und sind beeifert, ihr als einer gesetzlichen Macht das Recht zu vindiciren. Sie betrachten sie als die legitime Regierung und bemühen sich nach Kräften, die Männer des Volkes, welche der Gewalt zum Trotz an dem Rechte festhielten und für das Gesetz zu kämpfen bereit waren, als Verschwörer, Aufrührer und Hochverräther in die Kerker zu werfen und den schwersten Strafen zu überliefern.
Wie ganz anders dagegen das Verhalten der Gerichte gegen Behörden des Civil- und Militärstandes, die, noch abgesehen von dem „Rechtsboden“, auf dem sie sich bewegten, in ihren einzelnen Maaßnahmen und Anordnungen sich die gröbsten Ungesetzlichkeiten haben zu Schulden kommen lassen! Hier willkürliche Suspension der unverbruchlichsten Rechte, gewaltsame Einführung von Ausnahmezustände, die Leben und Eigenthum der Bürger den Exzessen wüthender Soldatenhaufen preisgaben, Unterdrückung des Vereinsrechts, der Preßfreiheit, gewaltsame Entwaffnung der Bürger, Verletzungen jeder Art eines kaum erst erlassenen Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit — und Angesichts aller dieser Thatsachen auch nicht eine einzige gerichtliche Behörde, die Entschlossenheit zeigte, dieser obrigkeitlichen Anarchie entgegenzutreten! Auch nicht ein Versuch, dem Gesetze Schutz zu gewähren gegen die Uebergriffe der Gewalthaber! Wahrlich wo mit so verschiedenem Maaße gemessen wird, da kann von einer Gleichheit vor dem Gesetze, von einer vertheilenden Gerechtigkeit nicht mehr die Rede sein!
Auch wir, die unterzeichneten Bürger der Gemeinde Düsseldorf, haben über diese vertheilende Gerechtigkeit die schlimmsten Erfahrungen zu machen gehabt. Männer wie F. Lassale, der in der kurzen Zeit seines öffentlichen Auftretens sich die zahlreichsten und begeistertsten Freunde erworben hat, während seine ärgsten Feinde ihm die Gerechtigkeit lassen müssen, daß er die Kräfte seines reichbegabten Geistes, die Gewalt seiner Rede und seine unermüdliche Thätigkeit nur der Aufrechthaltung der verfassungsmäßigen Freiheit gewidmet und den Boden des gesetzlichen Widerstands keinen Augenblick verlassen hat — sie schmachten seit Wochen im Kerker und sind Untersuchungen ausgesetzt, die, auf die widersinnigsten Denunziationen gebaut, leicht ins Endlose fortgesponnen werden können. Aber auf die Anklagen, welche hiesige Bürger gegen den Herrn Regierungs-Präsidenten v. Spiegel und den Herrn Generallieutenant v. Drigalski wegen der handgreiflichsten Gesetzwidrigkeiten an die Staatsbehörde gerichtet haben, ist auch nicht das Mindeste erfolgt. Ja es scheint, daß selbst die Regierung, in deren Interesse sie doch gehandelt haben, sich noch eher veranlaßt sieht, sie zur Rechenschaft zu ziehen, als die hiesige Prokuratur.
Wir wenden uns daher an Sie, Herr General-Prokurator, um laute Klage zu erh[e]ben gegen diese schreiende Ungerechtigkeit. Wir ersuchen Sie, von den Verbrechen Kenntniß zu nehmen, welche hiesige Beamte seit der Erklärung des Belagerungszustands verübt haben und zu verordnen, daß auf Grund derselben Verfolgungen eingeleitet werden.
Wir ersuchen Sie ferner sich Bericht geben zu lassen über die schwebenden Untersuchungen, besonders über die gegen die Bürger Lassalle, Cantador und Weyers, welche auf die Art. 87, 91 und 102 C. P. gerichtet sind. Wir ersuchen Sie, sich über den Gang dieser Untersuchungen zu unterrichten und zu veranlassen, daß sie mit Beseitigung aller nicht auf positive Anzeigen sich stützender Nachforschungen schleunigst ihrem Ende zugeführt werden. Denn so sehr wir überzeugt sind, daß sich schwerlich ein Anklagesenat finden wird, der auf das Ergebniß dieser Untersuchungen eine Verweisung vor die Gerichte aussprechen möchte, so sehr müssen wir befürchten, daß die Untersuchungen selber, falls ihre Beschleunigung nicht besonders eingeschärft wird, über Gebühr, sei es absichtlich oder unabsichtlich, in die Länge gezogen werden. Ist es doch notorisch, daß der Richter, welcher sie führt, zu den entschiedensten politischen Gegnern der Angeschuldigten gehört und nimmt man das Beispiel hinzu, welches die jüngsten Assisenverhandlungen zu Köln geliefert haben, so darf es nicht Wunder nehmen, wenn der Argwohn mehr und mehr um sich greift, daß es auch darauf abgesehen sei, die Männer, welche das Vertrauen des Volkes besitzen, ihm fernzuhalten, und zwar gerade jetzt, wo alles aufgeboten wird, eine den jüngsten Staatsstreichen günstige Landesrepräsentation zu erzielen. So grundlos solche Vermuthungen auch sein mögen — die ganze Haltung, welche die Gerichte angenommen haben, berechtigt leider nicht, sie von vornherein als völlig unglaubhaft von der Hand zu weisen.
Nicht wenig Nahrung giebt diesem Mißtrauen, welches am Ende alle Zuversicht auf unsre gerichtlichen Institutionen vernichten muß, auch die willkürliche Art, wie die Beschuldigten während der Haft behandelt werden. Und das ist ein weiterer Punkt, über den wir bei Ihnen, Herr General-Prokurator, Beschwerde zu führen haben. Während sonst für alle Gefangene bestimmte Tage angesetzt sind, an denen sie Besuch empfangen dürfen, ist bei unsern wegen politischer Vergehen Verfolgten in dieser Beziehung eine sehr große Ungleichmäßigkeit der Behandlung hervorgetreten. Lassalle z. B. durfte während dreier Wochen nur zweimal und zwar jedesmal höchstens 10 Minuten Besuch empfangen, und dem Arbeiter Weyers wurde sogar [Fortsetzung]
Ein Brief Heinrich Heine's
an
Varnhagen von Ense
über
Ferdinand Lassalle. Paris, 3. Januar 1845.
Theuerster Varnhagen!
Es ist dies der erste Brief, den ich in diesem neuen Jahre schreibe und ich beginne ihn mit dem herzlichsten Glückwunsch. Möge in diesem Jahre leibliches und geistiges Wohlsein Sie beglücken. Daß Sie von körperlichen Leiden so oft niedergedrückt, höre ich mit größter Betrübniß. Ich hätte Ihnen gern zuweilen ein tröstendes Wort zugerufen, aber Hekuba ist eine schlechte Trösterin. Mir ging es nämlich in der letzten Zeit spottschlecht und das Schreiben erinnert mich beständig an mein körperliches Mißgeschick: ich kann kaum meine eigenen Schriftzüge sehen, indem ich ein ganz geschlossenes und ein bereits sich schließendes Auge habe und jeder Brief mir nur neue Pein verursacht.
Ich ergreife daher mit innigster Freude die Gelegenheit, Ihnen durch einen Freund mündlich Nachrichten von mir zukommen zu lassen und da dieser Freund in alle meine Nöthe eingeweiht ist, so kann er Ihnen umständlich mittheilen, wie entsetzlich mir von meinen nächsten Sippen mitgespielt worden und was etwa in dieser Beziehung noch für mich zu thun wäre.
Herr Lassalle, der Ihnen diesen Brief bringt, ist ein junger Mann von den ausgezeichnetsten Geistesgaben, mit der gründlichsten Gelehrsamkeit, mit dem weitesten Wissen, mit dem größesten Scharfsinn, der mir je vorgekommen. Mit der reichsten Begabniß der Darstellung verbindet er eine Energie des Willens, eine Habilité im Handeln, die mich wahrhaft in Erstaunen setzen, und wenn seine Sympathie für mich nicht erlöscht, so erwarte ich von ihm den thätigsten Vorschub. Jedenfalls war diese Vereinigung von Wissen und Können, von Talent und Charakter für mich eine freudige Erscheinung und Sie bei Ihrer Vielseitigkeit im Anerkennen werden gewiß ihm volle Gerechtigkeit wiederfahren lassen.
Herr Lassalle ist nun einmal so ein ausgezeichneter Sohn der neuen Zeit, der nichts von jener Entsagung und Bescheidenheit wissen will, womit wir uns mehr oder minder in unserer Zeit hindurchgelungert und hindurchgefaselt. Dieses neue Geschlecht will genießen und sich geltend machen im Sichtbaren; wir, die Alten, beugten uns demüthig vor dem Unsichtbaren, fischten nach Schattenküssen und blauen Blumengerüchen, entsagten und flennten und waren doch vielleicht glücklicher, als jene harten Gladiatoren, die so stolz dem Kampftode entgegengehen.
Das tausendjährige Reich der Romantik hat ein Ende und ich selbst war sein letzter und abgedankter Fabelkönig. Hätte ich nicht die Krone vom Haupte fortgeschmissen, sie hätten mich richtig geköpft — —
Vor vier Jahren hatte ich, ehe ich abtrünnig wurde von mir selber, noch ein Gelüste mit den alten Traumgestalten herumzutummeln im Mondschein, und ich schrieb Atta Troll, den Schwanengesang der untergehenden Periode und Ihnen habe ich ihn gewidmet. Das gebührte Ihnen, denn Sie sind immer mein wahlverwandtester Waffenbruder gewesen, in Spiel und Ernst. Sie haben gleich mir die alte Zeit begraben helfen und bei der neuen Hebammendienst geleistet — ja, wir haben sie zu Tage gefördert unter Schrecken — es geht uns wie dem armen Huhn, das Enten-Eier ausgebrütet hat und mit Entsetzen sieht, wie die junge Brut sich in's Wasser stürzt und wohlgefällig schwimmt.
Ich bin durch Buchhändlerkontrakt verpflichtet, den Atta Troll herauszugeben; das soll in einigen Monaten geschehen — mit Vorsicht, damit man mir nicht den Prozeß macht und mich köpft.
Sie merken, theurer Freund, wie vag', wie ungewiß mir zu Muthe ist. Solche schwachmatische Stimmung ist jedoch zumeist in meiner Kränklichkeit begründet. Schwindet der Lähmungsdruck, der gleich einem eisernen Reifen mir die Brust einklemmt, so wird auch die alte Energie wieder flügge werden. Ich fürchte jedoch, das wird noch lange dauern. Der Verrath, der im Schooße der Familie, wo ich waffenlos und vertrauend war, an mir verübt wurde, hat mich wie ein Blitz aus heiterer Luft getroffen, und fast tödlich getroffen.
Wer die Umstände erwägt, wird hierin einen Meuchelmords-Versuch sehen. Die schleichende Mittelmäßigkeit, die 20 Jahre lang harrte, ingrimmig neidisch gegen den Genius, hatte endlich ihre Siegesstunde erreicht. Im Grunde ist auch das eine alte Geschichte, die sich immer erneut.
Ja, ich bin sehr körperkrank, aber die Seele hat wenig gelitten. Eine müde Blume, ist sie ein bischen gebeugt, aber keineswegs welk und wurzelt noch fest in Wahrheit und Liebe.
Und nun leben Sie wohl, theuerster Varnhagen. Mein Freund Lassalle wird Ihnen sagen, wie viel und wie unaufhörlich ich an Sie denke, was um so begreiflicher, da ich jetzt gar nicht lesen kann und bei den langen Winterabenden nur von Erinnerungen mich erheitere.
Heinrich Heine.
Wie unsere Leser aus dem Datum sehen, wurde der vorstehende
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(2017-03-20T13:08:10Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jürgen Herres: Konvertierung TUSTEP nach XML
(2017-03-20T13:08:10Z)
Maria Ermakova, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Frank Wiegand: Konvertierung XML nach DTA-Basisformat
(2017-03-20T13:08:10Z)
Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 2 (Nummer 184 bis Nummer 301) Köln, 1. Januar 1849 bis 19. Mai 1849. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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