Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Neue Rheinische Zeitung. Nr. 135. Köln, 5. November 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

testirt Rehfeld gegen die in der letzten Sitzung gefaßten Beschlüsse, weil sich die Versammlung in einem unfreiwilligen Zustande befunden habe. Draußen hätte Anarchie geherrscht und die einzelnen Mitglieder wären bedroht gewesen.

Auch Pieper muß sein Wort dazu geben; unter allgemeinem Gelächter besteigt er die Tribune und spricht: Ein geehrter Redner hat vorhin von der Würde dieser Versammlung gesprochen. Ich bin nur ein schlichter Handwerker (Fleischer). Aber ist das der Würde eines Abgeordneten angemessen, wenn man ihn durch Appartements führt, wenn er den Sitzungssaal verläßt? (Ungeheures Gelächter; Zur Ordnung! Solche Redensarten dürfen hier nicht gesprochen werden.) Was fehlt uns? wir haben einen konstitutionellen Staat, will man etwa Republik? (Neuer Lärm. Durch Beschluß der Versammlung muß der Redner die Tribüne verlassen.)

Ein Schreiben des Kommandos der Bürgerwehr wird verlesen, worin es die Versammlung bittet zu erlauben, daß täglich eine Ehrenwache innerhalb des Hauses aufgestellt, und es dem Kommando überlassen bleibe, für die Sicherheit der Versammlung zu sorgen.

Parisius beantragt: Den Präsidenten zu ermächtigen durch Requisition des Kommandos der Bürgerwehr für die Sicherheit der Versammlung zu sorgen; wird angenommen.

Endlich kommt man zur Abstimmung über die Vertagung. Reichensperger zieht seinen Antrag zurück. Der Antrag des Abg. Dielitz wird mit 202 gegen 147 Stimmen verworfen, und der Antrag des Abg. Phillips mit großer Majorität angenommen. Die Sitzung wird demnach um 11 Uhr bis 1 Uhr Nachmittags vertagt, und die Minister sollen auf Antrag Bergs aufgefordert werden zu erscheinen.

103 Berlin, 1. November.

Nachmittags-Sitzung. (Siehe den Verfolg in dem heute morgen ausgegebenen Extrablatte.)

Die alten Minister mit Ausnahme Pfuels sind erschienen und nehmen ihre Plätze ein. Auch der Unterstaatssekretair General Brandt ist anwesend. - Gegen 2 Uhr wird die Sitzung eröffnet. Ein Schreiben des Grafen Brandenburg an den Präsidenten Unruh wird verlesen, wodurch derselbe eine beglaubigte Abschrift einer vom Minister Eichmann contrasignirten Cabinetsordre einsendet, welche ihn mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt. Bis zur Bildung desselben sollten die alten Minister die laufenden Geschäfte besorgen.

Die äußerste Linke durch die Abg. Waldeck, Jacoby und Temme stellten folgenden Antrag: Die hohe Versammlung wolle beschließen: 1) sofort durch das Plenum eine Commission von 21 Mitgliedern zu wählen und derselben den Auftrag zu ertheilen, der Versammlung, in Betracht der bedrohlichen Lage des Landes, die geeigneten Mittel vorzuschlagen; 2) die Sitzung nicht eher aufzuheben, als bis die Commission ihre Vorschläge gemacht hat

Das linke Centrum mit der schwankenden Linken stellt folgenden Antrag. durch die Abg. Rodbertus, Berg, Wachsmuth, Arntz: Es soll eine von dem Präsidenten zu ernennende Commission von 25 Mitgliedern mit Hinzuziehung der Vicepräsidenten, den Entwurf einer Adresse, über die Lage des Landes an Sr. Majestät den König vorlegen und diese Adresse dem König übergeben.

Der Minister Eichmann nimmt das Wort nicht, um über die Anträge zu sprechen, sondern sich über ihr Nichterscheinen in der Vormittagssitzung zu entschuldigen. In Folge der Entlassung des Minister-Präsidenten von Pfuel hätten die andern Minister das ganze Ministerium für aufgelöst betrachtet und sind nur mit der provisorischen Fortführung der Geschäfte bis zur Ernennung des neuen Ministeriums vom König beauftragt worden; sie können sich jedoch nicht mehr in vollem Sinne als die Vertreter der Krone betrachten und ersuchten daher die Versammlung, ihre Berathungen einstweilen auszusetzen.

Jacoby. Die ernste und bedrohliche Lage, in der sich das Land in diesem Augenblicke befindet, ist das traurige Erbtheil dreier Ministerien, welche nicht den Muth hatten, der Reaktion und der Camarilla entgegenzutreten. Verfallen wir nicht in denselben Fehler. Der König hat den Herrn Brandenburg mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt. Brandenburg ist ein Anhänger des Absolutismus. Ergreifen wir daher ein schleuniges Mittel um das Land aus dieser Gefahr zu retten. Schreiten wir nicht ein, so wird der Bürger genöthigt sein, eine neue Revolution zu machen. Ich bin für sofortige Niedersetzung einer Commission, um die nothwendigen Mittel vorzuschlagen. Ich bin aber gegen die vorgeschlagene Deputation, denn wir haben an Wien das Beispiel. Hätte Wien nicht so lange mit Adressen vermittelt, dann wäre es dort besser. Verfallen wir nicht in denselben Fehler.

Arntz spricht sich für die Deputation aus, damit der König die rechte Stimmung des Landes erfahre, wir müssen einschreiten, damit das Land nicht in Gefahr komme. Das ist unsere Verpflichtung.

Berg. Man stelle den König nicht als der Versammlung feindlich gegenüberstehend dar. Die Ernennung des Grafen Brandenburg zum Ministerpräsidenten ist ein gesetzlicher Schritt. Die Absendung einer Deputation an den König ist auch ein gesetzlicher. Der König ist von der Gesinnung der Volksvertreter nicht gehörig unterrichtet. Die Stimmung und die Lage des Landes werden ihm falsch geschildert. Es ist daher unsere Pflicht, dem Könige über die wahre Sachlage Aufklärung zu geben.

Waldeck trägt auf Schluß der Debatte an. Man kommt zur Abstimmung. Der Waldeck'sche Antrag wird verworfen und der Rodbertus-Berg-Wachsmuth'sche (linkes Centrum) angenommen.

In Folge dessen schlägt der Präsident Unruh folgende Commission zur Entwerfung und Uebergabe einer Adresse vor: Arntz, Rodbertus, Bucher, Kirchmann, Berg, Reichensperger, Baumstark, Jacobi, Behnsch, Cieskowski, Hartmann, Ostermann, D'Ester, Wachsmuth u. A.

D'Ester. Dringende Interpellation an den Minister des Innern: 1) ob die an den Straßenecken befindliche Bekanntmachung wirklich von ihm ausgegangen und 2) wenn dies der Fall ist, wie der Minister diese Bekanntmachung zu rechtfertigen gedenke.

Die Majorität erkennt die Dringlichkeit dieser Interpellation an.

D'Ester: Ich will Sie nicht lange hier aufhalten. Der Herr Minister droht in seinem Plakate mit Heranziehung des Militärs zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung, in einem Augenblick, wo die ganze Stadt in der größten Aufregung sich befindet.

Minister Eichmann: Es ist Ihnen bekannt, wie uns früher lebhafte Vorwürfe gemacht wurden, weil wir nichts zum Schutze der Personen der Abgeordneten gethan. Daß es der Bürgerwehr nicht möglich war, die Ordnung aufrecht zu erhalten, haben Sie alle empfunden. Deshalb hält es das Ministerium für seine Pflicht, das Militär, wenn es nothwendig ist, zu requiriren. Die betreffenden Behörden, welche die Bekanntmachung erwähnt, sind die Stadtbehörden und der von denselben ausgegangene Sicherheitsausschuß und der Präsident der königl. Polizei.

D'Ester: Ich kann mich mit dieser Antwort keineswegs zufrieden erklären. Wenn sich der Minister auf die ihm früher gemachten Vorwürfe beruft, so mögen Sie nur bedenken, daß diese von einer Minorität ausgingen. Auf die Vorwürfe des ganzen Volkes ist der Minister nie eingegangen. Er hat dem Ansuchen einer Minorität nachgegeben, weil sie reaktionäre Maßregeln vorschlagen. Ich muß den Minister daran erinnern, daß nach dem Bürgerwehrgesetz es nur dem Commando der Bürgerwehr zusteht, Militär zu requiriren. Seine Maßregel ist daher jedenfalls eine ungesetzliche, die wir nicht billigen können. (Die Rechte unterbricht den Redner mehrmals durch ihren Skandal bei den Worten "reactionäre Maßregel" etc. Die Linke stimmt dem Redner durch Bravo bei; auch das Centrum Bravo!)

Abg. Behrends macht die faktische Bemerkung, daß das Commando der Bürgerwehr bereits gegen die gesetzwidrige Bekanntmachung des Ministers protestirt habe.

Hierauf wird die Sitzung eine Stunde vertagt (von 3 bis 4 Uhr) damit die 25er Commission die Adresse an den König entwerfe.

Während dieser Pause wird der Platz vor dem Sitzungshause (der Gendarmenmarkt) mit einigen tausend Mann Bürgerwehr, welche eine dreifache Chaine bilden, besetzt. Die bewaffneten Maschienenbauer haben den Platz vor dem Hauptportal besetzt; jedoch so, daß noch eine große Masse gebildeter Leute, welche neugierig dem Ausgange der Berathungen entgegenharren, und auch viele andere aus den niedern Classen den innern Raum des Platzes ausfüllen. Der Eingang zu den Tribünen in der Charlottenstraße ist noch ganz frei. - Die Bürgerwehr und die fliegenden Corps sind in der ganzen Stadt consignirt um einem Gewaltstreiche der Reaction vorzubeugen.

Um 4 3/4 Uhr wird die Sitzung wieder eröffnet, und die von der Kommission einstimmig angenommene Adresse wird verlesen; sie lautet:

"Majestät! In Folge der Benachrichtigung, daß der Graf Brandenburg mit der Bildung eines neuen Kabinets beauftragt ist, hat die Nationalversammlung in ihrer heutigen Sitzung den Beschluß gefaßt, aus ihrer Mitte eine Deputation an Ew. Majestät zu entsenden, um Sie in Kenntniß zu setzen, daß dieser Schritt Ew. Majestät die größten Besorgnisse im Volke erregt und unabsehbares Unglück über das Land zu bringen droht. Schon seit Wochen haben unheilvolle Gerüchte, Ew. Maj. treues Volk über die Absichten der Reaktion erschreckt, und die Ernennung des jetzt abgetretenen Ministeriums hatte diese Gerüchte nicht zu schwächen vermocht. - Eine Regierung unter den Auspizien des Grafen Brandenburg, welche wiederum ohne Aussicht ist eine Majorität in der Nationalversammlung und Vertrauen im Lande zu gewinnen, würde die Aufregung unzweifelhaft zum Ausbruch steigern und unendlich traurige, an das Geschick eines Nachbarstaates erinnernde Folgen für Ew. Majestät Hauptstadt und Land nach sich ziehen. Ew. Majestät sind von Ihren bisherigen Räthen über den Zustand des Landes nicht wohl unterrichtet worden, wenn man Ihnen die Gefahren für Thron und Land verschwiegen hat, welche aus solcher Ernennung erwachsen. Wir legen deshalb die eben so ehrfurchtsvolle als dringende Bitte. Ew. Majestät ans Herz, ein Herz, das stets für das Wohl des Volkes geschlagen hat, dem Lande durch ein volksthümliches Ministerium eine neue Bürgschaft zu geben, daß Ew. Majestät Absichten mit den Wünschen des Volkes in Einklang stehen. -"

Diese Adresse wird ohne alle Diskussion fast einstimmig angenommen.

Minister sind nicht anwesend.

Nach Annahme der Adresse trägt die Rechte auf Schluß der Sitzung an Es ist aber ein, von der Prioritäts-Commission als dringlich anerkannter, Antrag eingereicht der laut Beschluß der Versammlung zur Debatte kommen muß. Der Antrag ist von den Abg. Schulze (Delitsch) und Pilet (schwankende Linke) und lautet:

"Die Sitzung nicht eher zu schließen als bis die an den König nach Potsdam gesanndte Commission zurückgekehrt ist, und ihren Bericht abgestattet hat."

"Das ist eine Permanenz-Erklärung" ruft die Rechte und bestreitet die Dringlichkeit des Antrages.

Rehfeld: Wir haben heute so viel von Spannung und Aufregung gesprochen, aber diese Aufregung findet sich nicht im Lande sondern nur in dieser Versammlung.

Die Redner der Rechten werden von der Linken tüchtig abgefertigt und die Dringlichkeit in namentlicher Abstimmung mit 189, gegen 122 Stimmen anerkannt.

Nach dieser Abstimmung entfernte sich die Rechte in Masse, um die Versammlung beschlußunfähig zu machen.

Nach der Geschäftsordnung findet der Namensaufruf der Anwesenden statt um zu sehen ob die Versammlung noch beschlußfähig ist.

Der Präsident verkündet, daß nur 187 Abgeordnete anwesend sind.

Ein Redner bemerkt, daß die Versammlung dennoch beschlußfähig sei, weil sich 25 Mitglieder und die Präsidenten in Potsdam als Deputation beim König befinden. Wenn diese zurückkehren sind wir beschlußfähig.

Abg. Temme meint, da es dem Präsidenten zusteht die Sitzung zu schließen und anzuberaumen, so kann sie derselbe auf einige Stunden bis um 9 Uhr vertagen.

Die Abg. Schulze (Wanzleben) und Andere erklären, daß obgleich die Versammlung in diesem Augenblicke nicht mehr beschlußfähig sei, sie doch Alle hier bleiben würden.

Der Präsident Phillipps erklärt, daß er seinen Platz in diesem kritischen Augenblicke nicht verlassen werde und so lange auf seinem Posten bleiben, bis die Deputation zurückgekehrt sein wird. Diesem Beispiel möge Jeder folgen.

Die Abgeordneten verfügen sich größtentheils in die Restauration, welche dicht am Sitzungssaal ist, der Präsident und Andere bleiben im Saal. Die Permanenz der Nationalversammlung ist also eingetreten. Schluß dieses Briefes 7 Uhr Abends.

20 Berlin, 2. Nov.

Der gestrige Abend ist ruhig vorübergegangen. Heute zieren zwei Plakate die Straßenecken und Brunnen, eines von unserm ehrenwerthen Bürgerwehrkommandeur, Hr. Rimpler, das andere von unserem noch ehrenwertheren Minister des Innern Eichmann. Hr. Rimpler, der sich dadurch besonders charakterisirt, daß er, wenn er etwas verdorben hat, mit schöngeschriebenen Plakaten post festum kommt, ist heute so gütig in seiner Bekanntmachung sein "innigstes Bedauern" über die am 31. Oktbr. stattgehabten Vorfälle zwischen Bürgerwehr und Maschinenbauern auszusprechen. Wie mitleidig! Glaubt Hr. Rimpler damit die Todten wieder lebendig zu machen? Hr. Eichmann macht bekannt, daß die Vorfälle vom Dienstag der Regierung die Pflicht auflegten, Truppen zu requiriren, sobald die Bürgerwehr sich als unzureichend erweise. Was diese Bekanntmachung in der Ministerialsprache bedeutet, kann sich Jedermann denken; nämlich: "was wir Euch jetzt in Aussicht stellen, haben wir bereits gethan." Die Bekanntmachung des Ministers Eichmann steht indeß nicht zusammenhangslos da. Sie ist in vollem Einklang mit dem Hauptereigniß des Tages, der Ministerkrisis. Das Ministerium Pfuel hat diesmal wirklich abgedankt. Eine nicht contrasignirte Kabinets-Ordre beauftragt den Grafen Brandenburg mit der Bildung eines Kabinets. So wäre also das Längsterwartete eingetroffen und Hr. Eichmann hätte in seinem Schwanenliede seinem Nachfolger nur ein Erbtheil übermachen wollen, um in Erwartung der Dinge, die da kommen würden, die Bourgeoisie ein Wenig ins Bockshorn zu jagen.

Aufregung hervorzurufen ist die Ministerkrisis nicht mehr im Stande; sie hat aber die schon herrschende Erregtheit um kein Geringes gesteigert. Ueberall diskutiren zahlreiche Haufen über das Ereigniß, in welchem man das Signal zum Kampfe sieht. Das Schauspielhaus, wo sich die Vereinbarer heute Nachmittag wieder versammelt haben, ist von einem Bataillon Bürgerwehr besetzt. Große Volksmassen strömen auf dem Gendarmenmarkte hin und her, auf den Beschluß der Versammlung harrend.

Das Schloß ist stärk besetzt und die bekannten Gitterthüren sind geschlossen. Auch in andere öffentliche Gebäude ist Bürgerwehr gelegt. Die fliegenden Korps der Studenten, Künstler, Handwerker, Maschinenbauer und jungen Kaufleute sind in ihren Appellplätzen konsignirt. Man spricht davon, daß heute Abend die um die Stadt lagernden Truppen einrücken sollen. Das Vorspiel scheint beendet.

14 Berlin, 2. Nov., Abends.

Es ist in der Nachmittagssitzung der Versammlung eine Adresse an den König beschlossen worden, worin er von der Lage des Landes benachrichtigt wird. Eine Deputation von 21 Mitgliedern begibt sich nach Potsdam und muß noch heute Abend zurückkehren. Die Versammlung bleibt so lange permanent. Die Antwort des Königs ist entscheidend. Vor dem Schauspielhause steht viel Bürgerwehr, aber dem Volke ist bekannt gemacht, daß dieselbe nur zum Schutze der Versammlung und im Nothfall gegen das Militär bestimmt ist. Zwei Plakate von Rimpler werden ausgegeben: das Eine warnt vor jedem Konflikt zwischen Bürgern und Volk; das Andere spricht sich mit Entrüstung gegen die Eichmann'sche Bekanntmachung aus. Von Wien gute Nachrichten, so daß die Stimmung im Volke eine ungemein hochherzige und fast freudige ist. Alle Parteien sind einig gegen die Camarilla.

Die Schloßthore sind geschlossen, im Innern steht eine Kompagnie Bürgerwehr. Auch die sämmtlichen Stadtthore sind besetzt: das Oranienburger von den Maschinenbauern, das Hamburger vom Handwerkerverein etc. Kurz, man erwartet mit festem Muthe den Feind, und ist organisirt.

100 Berlin, 31. Okt.

Der Kongreß der vereinigten demokratischen Vereine hat seine Sitzungen heute geschlossen. Was hat er gethan? Wie hat er den verschiedenen auf ihn gesetzten Hoffnungen entsprochen? Wir blicken zurück auf seine Ergebnisse und müssen gestehen, sie haben nicht viel Werth, wenn man von dem Kongreß erwartete, daß er eine Revolution machen würde. Seine Resultate sind eine große Volksversammlung, eine Demonstration zu Gunsten Wiens und eine von ihm angeregte Demonstration bei dem Schauspielhause mit Ueberreichung einer Petition, daß die Nationalversammlung die Regierung auffordern solle, so rasch wie möglich der bedrohten Stadt zu Hülfe zu eilen. Wochenlang hat man die Operationen der schurkischen Kamarilla in Oesterreich aus dem freien vereinigten Deutschland angeglotzt und jetzt, wo es in Flammen steht, petitionirt man um Hülfe. Der Schritt der Nationalversammlung hätte schon vor 14 Tagen geschehen müssen. Der Kongreß verschwendete, wie alle Versammlungen, die aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt sind, anfangs seine beste Zeit mit Formalitäten. Wenn der Deutsche nur Akten zusammenschreiben kann, über die gleichgültigsten Dinge lange Reden halten, so ist er zufrieden. Die ersten Tage des Kongresses waren fürchterlich langweilig - die lächerliche Eitelkeit drängte sich bei jeder Gelegenheit hervor, die Amendements wollten kein Ende nehmen, um die Geschäftsordnung zankte man sich wohl hunderte Male, lauter Strohdrescherei. Besonders verschuldet diese Zeitverschwendung der bisherige Zentralausschuß, der nichts vorbereitet, nicht einmal eine Geschäftsordnung entworfen hatte, um den Gang der Debatte abzukürzen. Hr. Kriege bemerkte in seiner Berichterstattung, es habe dem Ausschusse immer an den nöthigen Geldmitteln gefehlt, wenigstens seien sie sehr unregelmäßig eingegangen. Das mag den Ausschuß einigermaßen entschuldigen, freizusprechen von dem Vorwurfe der Unthätigkeit ist er nicht. Nachdem schon durch den Formalitätenkram, bei welchem meist die berliner Demokratie ihre Lichter leuchten ließ, ein großer Theil der Deputirten ermüdet war, kam durch die Berichte der einzelnen Deputirten über den Stand der Demokratie in ihren Provinzen einiges Leben in die Versammlung. Nach diesen Berichten ist Schlesien am weitesten in der demokratischen Bewegung vorangerückt, was die Deputirten dieser Gegend auch mit Betonung hervorhoben. Später wurden Kommissionen zur Berichterstattung über 1) die innere Politik, 2) die äußere, 3) das Verhältniß zum Parlamente in Frankfurt, (!) 4) über die soziale Frage gewählt. Sie haben Bericht erstattet, wie aber buchstäblich die Berichte lauten, habe ich nicht im Gedächtniß behalten. Es wurden die Robespierre'schen Menschenrechte, von Oppenheim modifizirt. verlesen, von einer Seite her aber wurde gegen die Deklaration derselben, als den Ausdruck der Bourgeoisierevolution, protestirt. - Dann hörten wir überflüssige Debatten über das frankfurter Parlament, in Bezug auf welches beschlossen wurde, daß man auf Neuwahlen, Mißtrauensvoten etc. hinwirken, und zu diesem Zwecke eine allgemeine Agitation durch ganz Deutschland veranstalten solle etc. So viel weiß ich, daß es der sozialen Frage am schlimmsten bei der Kommission ergangen ist; die Papiere waren verloren und die soziale Frage mußte sich daher bis zum nächsten Kongresse vertrösten, wo ihre "Lösung" wohl unzweifelhaft eintreten wird.

Bei der kurzen Debatte darüber, welche am vierten Tage stattfand, stellte Friedr. Schnake den Antrag, daß alle Vereine aufgefordert werden sollten, Vorschläge und Anträge, soziale Fragen betreffend, zu diskutiren, an den Zentralausschuß einzuschicken und diesen zu verpflichten, daß er einen Generalbericht darüber veröffentliche. Der Antrag wurde angenommen, ein anderer, die Berufung eines sozialen Parlamentes betreffend, vorläufig abgelehnt. Ein Bericht, in seinen Grundzügen kommunistisch, wurde von Bercht verlesen und der Kongreß beschloß, diese §§. allen Vereinen zur Besprechung und Begutachtung zu überweisen. Das war alles was wir im Kongreß über die "soz. Frage" gehört haben, mehr schon als die Leute wünschten, da nach deren Ansicht der Kongreß nur zu dem Zwecke zusammengekommen war, um den in Frankfurt schon einmal beschlossenen Organisationsplan noch einmal zu beschließen.

Schon am zweiten Tage wurde von einer Seite der Versammlung versucht, diesem Formalitätenkram ein Ende zu machen. Daraus bildete sich eine Art Partei, die sich zur "rothen Republik" bekennen wolle, und sich von da regelmäßig privatim versammelte. Das Wort "Partei" gefiel den Andern nicht, sie machten den Parteimännern Vorwürfe, daß sie Spannungen und Spaltungen hervorriefen. Als wenn nicht in jeder größern Versammlung Meinungsverschiedenheit zur Parteibildung führen müßte. Genug, beide Parteien trampelten und trommelten und es entstand ein solcher Wirrwar, daß die Lenker dieser Stürme, die Präsidenten Hamberger und Dr. Asch aus Breslau, erzürnt ihr Scepter niederlegten. Dem Dr. Asch folgten einige Andere, die ihren Austritt für sich, nicht für ihre Vereine, aus dem Verband erklärten. Die andern entschiedenen Schlesier protestirten gegen das Verfahren ihrer Landsleute, daß sie sich durch einigen Lärm bewegen ließen, auszutreten, bewogen vielleicht nur durch ihre Eitelkeit und ihren Zorn, ihre Privatansichten nicht zur ausführlichen Geltung bringen zu können.

Wir sind überzeugt, die Vereine jener Herren werden dieses Verfahren ebensowenig billigen. Jene entschiedenere Partei bewirkte auch, daß wenigstens eine Volksversammlung, Tagesordnung Wien, unter den Zelten abgehalten wurde, kurz, daß die Theilnahme für die unglückliche Stadt und eine entscheidende Handlung und Hülfe angeregt wurden. Angeregt? Konnte der Kongreß mehr thun, wenn seine Mitglieder am letzten Tage bis auf 50-60 zusammengeschmolzen waren, wenn die Berliner Demokratie überhaupt so wenig zur Anregung des Volkes that? Dieser Berliner Demokratie fehlt es an allem Zusammenhange der einzelnen Glieder untereinander. Von der Demonstration am Schauspielhause ist nichts besonderes zu berichten, als daß einige langweilige Reden gehalten, das Volk bis zum andern Tage auf eine Entscheidung vertröstet wurde. Bürger Ruge hatte eine Volksversammlung auf diesen Tag anberaumt, erschien aber nicht. Warum dem Volke Arbeitszeit und Arbeitslohn rauben, warum es zusammenberufen, wenn man ihm Nichts zu sagen hat? Man entmuthigt es, und sein Vertrauen zu seinen Führern schwindet. Wie wir hören, sollen einzelne Klubs über das Auftreten einiger sogenannten Führer und Redner in diesen Tagen sich sehr hart mißbilligend ausgesprochen haben.

Am Abende, als über den Antrag von Waldeck: "daß die preuß. Regierung dem bedrohten Wien mit allen Kräften sofort zu Hülfe eilen solle" in der Nationalversammlung verhandelt wurde, wogte die Masse um das Schauspielhaus herum, und die Trommeln der Bürgerwehr wurden gerührt. Wo waren da die Volksmänner, Redner u. s. w.?

Der Antrag Rodbertus "daß die Centralgewalt aufgefordert werden solle von der preuß. Regierung, daß sie aus allen Kräften der bedrohten Volksfreiheit und dem Reichstage Wiens zu Hülfe eilen möge" etc. ist eine offizielle leise Ohrfeige für den Reichsverweser. Hr. Schmerling und Peucker sollen Wien zu Hülfe eilen! Lächerliches Gaukelspiel, Diplomatenbetrug! Zwei Reichskonstabler werden sie wieder nach Olmütz schicken zum Kaiser. Das Volk von Berlin ist sehr gespannt, wie die Regierung den Beschluß ausführen wird.

Der Kongreß wurde am 31. Okt. Abends geschlossen; ein Antrag auf Permanenz verworfen. Die entschiedenere Partei hat gethan, was sie thun konnte; fremd und unbekannt mit den Verhältnissen Berlin's und gar nicht unterstützt von den Berliner Demokraten. Von diesem Kapitel später.

* Berlin, 2. Nov.

Die "Neue Preuß. Zeitung" (Ritterin vom Landwehrkreuz "mit Gott für König und Vaterland") verlegt die Nationalversammlung nach Schwedt. Man höre:

In der Stadt geht das Gerücht, daß in Folge der vorgestrigen Vorgänge die Nationalversammlung nach Schwedt verlegt werden soll.

Dieselbe Zeitung berichtet sodann noch folgendes amusante Diktum:

Ein Mann des Volks theilte am Abend des 31. der versammelten Menge den Erfolg der Abstimmung in der Nationalversammlung mit folgenden Worten mit:

testirt Rehfeld gegen die in der letzten Sitzung gefaßten Beschlüsse, weil sich die Versammlung in einem unfreiwilligen Zustande befunden habe. Draußen hätte Anarchie geherrscht und die einzelnen Mitglieder wären bedroht gewesen.

Auch Pieper muß sein Wort dazu geben; unter allgemeinem Gelächter besteigt er die Tribune und spricht: Ein geehrter Redner hat vorhin von der Würde dieser Versammlung gesprochen. Ich bin nur ein schlichter Handwerker (Fleischer). Aber ist das der Würde eines Abgeordneten angemessen, wenn man ihn durch Appartements führt, wenn er den Sitzungssaal verläßt? (Ungeheures Gelächter; Zur Ordnung! Solche Redensarten dürfen hier nicht gesprochen werden.) Was fehlt uns? wir haben einen konstitutionellen Staat, will man etwa Republik? (Neuer Lärm. Durch Beschluß der Versammlung muß der Redner die Tribüne verlassen.)

Ein Schreiben des Kommandos der Bürgerwehr wird verlesen, worin es die Versammlung bittet zu erlauben, daß täglich eine Ehrenwache innerhalb des Hauses aufgestellt, und es dem Kommando überlassen bleibe, für die Sicherheit der Versammlung zu sorgen.

Parisius beantragt: Den Präsidenten zu ermächtigen durch Requisition des Kommandos der Bürgerwehr für die Sicherheit der Versammlung zu sorgen; wird angenommen.

Endlich kommt man zur Abstimmung über die Vertagung. Reichensperger zieht seinen Antrag zurück. Der Antrag des Abg. Dielitz wird mit 202 gegen 147 Stimmen verworfen, und der Antrag des Abg. Phillips mit großer Majorität angenommen. Die Sitzung wird demnach um 11 Uhr bis 1 Uhr Nachmittags vertagt, und die Minister sollen auf Antrag Bergs aufgefordert werden zu erscheinen.

103 Berlin, 1. November.

Nachmittags-Sitzung. (Siehe den Verfolg in dem heute morgen ausgegebenen Extrablatte.)

Die alten Minister mit Ausnahme Pfuels sind erschienen und nehmen ihre Plätze ein. Auch der Unterstaatssekretair General Brandt ist anwesend. ‒ Gegen 2 Uhr wird die Sitzung eröffnet. Ein Schreiben des Grafen Brandenburg an den Präsidenten Unruh wird verlesen, wodurch derselbe eine beglaubigte Abschrift einer vom Minister Eichmann contrasignirten Cabinetsordre einsendet, welche ihn mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt. Bis zur Bildung desselben sollten die alten Minister die laufenden Geschäfte besorgen.

Die äußerste Linke durch die Abg. Waldeck, Jacoby und Temme stellten folgenden Antrag: Die hohe Versammlung wolle beschließen: 1) sofort durch das Plenum eine Commission von 21 Mitgliedern zu wählen und derselben den Auftrag zu ertheilen, der Versammlung, in Betracht der bedrohlichen Lage des Landes, die geeigneten Mittel vorzuschlagen; 2) die Sitzung nicht eher aufzuheben, als bis die Commission ihre Vorschläge gemacht hat

Das linke Centrum mit der schwankenden Linken stellt folgenden Antrag. durch die Abg. Rodbertus, Berg, Wachsmuth, Arntz: Es soll eine von dem Präsidenten zu ernennende Commission von 25 Mitgliedern mit Hinzuziehung der Vicepräsidenten, den Entwurf einer Adresse, über die Lage des Landes an Sr. Majestät den König vorlegen und diese Adresse dem König übergeben.

Der Minister Eichmann nimmt das Wort nicht, um über die Anträge zu sprechen, sondern sich über ihr Nichterscheinen in der Vormittagssitzung zu entschuldigen. In Folge der Entlassung des Minister-Präsidenten von Pfuel hätten die andern Minister das ganze Ministerium für aufgelöst betrachtet und sind nur mit der provisorischen Fortführung der Geschäfte bis zur Ernennung des neuen Ministeriums vom König beauftragt worden; sie können sich jedoch nicht mehr in vollem Sinne als die Vertreter der Krone betrachten und ersuchten daher die Versammlung, ihre Berathungen einstweilen auszusetzen.

Jacoby. Die ernste und bedrohliche Lage, in der sich das Land in diesem Augenblicke befindet, ist das traurige Erbtheil dreier Ministerien, welche nicht den Muth hatten, der Reaktion und der Camarilla entgegenzutreten. Verfallen wir nicht in denselben Fehler. Der König hat den Herrn Brandenburg mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt. Brandenburg ist ein Anhänger des Absolutismus. Ergreifen wir daher ein schleuniges Mittel um das Land aus dieser Gefahr zu retten. Schreiten wir nicht ein, so wird der Bürger genöthigt sein, eine neue Revolution zu machen. Ich bin für sofortige Niedersetzung einer Commission, um die nothwendigen Mittel vorzuschlagen. Ich bin aber gegen die vorgeschlagene Deputation, denn wir haben an Wien das Beispiel. Hätte Wien nicht so lange mit Adressen vermittelt, dann wäre es dort besser. Verfallen wir nicht in denselben Fehler.

Arntz spricht sich für die Deputation aus, damit der König die rechte Stimmung des Landes erfahre, wir müssen einschreiten, damit das Land nicht in Gefahr komme. Das ist unsere Verpflichtung.

Berg. Man stelle den König nicht als der Versammlung feindlich gegenüberstehend dar. Die Ernennung des Grafen Brandenburg zum Ministerpräsidenten ist ein gesetzlicher Schritt. Die Absendung einer Deputation an den König ist auch ein gesetzlicher. Der König ist von der Gesinnung der Volksvertreter nicht gehörig unterrichtet. Die Stimmung und die Lage des Landes werden ihm falsch geschildert. Es ist daher unsere Pflicht, dem Könige über die wahre Sachlage Aufklärung zu geben.

Waldeck trägt auf Schluß der Debatte an. Man kommt zur Abstimmung. Der Waldeck'sche Antrag wird verworfen und der Rodbertus-Berg-Wachsmuth'sche (linkes Centrum) angenommen.

In Folge dessen schlägt der Präsident Unruh folgende Commission zur Entwerfung und Uebergabe einer Adresse vor: Arntz, Rodbertus, Bucher, Kirchmann, Berg, Reichensperger, Baumstark, Jacobi, Behnsch, Cieskowski, Hartmann, Ostermann, D'Ester, Wachsmuth u. A.

D'Ester. Dringende Interpellation an den Minister des Innern: 1) ob die an den Straßenecken befindliche Bekanntmachung wirklich von ihm ausgegangen und 2) wenn dies der Fall ist, wie der Minister diese Bekanntmachung zu rechtfertigen gedenke.

Die Majorität erkennt die Dringlichkeit dieser Interpellation an.

D'Ester: Ich will Sie nicht lange hier aufhalten. Der Herr Minister droht in seinem Plakate mit Heranziehung des Militärs zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung, in einem Augenblick, wo die ganze Stadt in der größten Aufregung sich befindet.

Minister Eichmann: Es ist Ihnen bekannt, wie uns früher lebhafte Vorwürfe gemacht wurden, weil wir nichts zum Schutze der Personen der Abgeordneten gethan. Daß es der Bürgerwehr nicht möglich war, die Ordnung aufrecht zu erhalten, haben Sie alle empfunden. Deshalb hält es das Ministerium für seine Pflicht, das Militär, wenn es nothwendig ist, zu requiriren. Die betreffenden Behörden, welche die Bekanntmachung erwähnt, sind die Stadtbehörden und der von denselben ausgegangene Sicherheitsausschuß und der Präsident der königl. Polizei.

D'Ester: Ich kann mich mit dieser Antwort keineswegs zufrieden erklären. Wenn sich der Minister auf die ihm früher gemachten Vorwürfe beruft, so mögen Sie nur bedenken, daß diese von einer Minorität ausgingen. Auf die Vorwürfe des ganzen Volkes ist der Minister nie eingegangen. Er hat dem Ansuchen einer Minorität nachgegeben, weil sie reaktionäre Maßregeln vorschlagen. Ich muß den Minister daran erinnern, daß nach dem Bürgerwehrgesetz es nur dem Commando der Bürgerwehr zusteht, Militär zu requiriren. Seine Maßregel ist daher jedenfalls eine ungesetzliche, die wir nicht billigen können. (Die Rechte unterbricht den Redner mehrmals durch ihren Skandal bei den Worten „reactionäre Maßregel“ etc. Die Linke stimmt dem Redner durch Bravo bei; auch das Centrum Bravo!)

Abg. Behrends macht die faktische Bemerkung, daß das Commando der Bürgerwehr bereits gegen die gesetzwidrige Bekanntmachung des Ministers protestirt habe.

Hierauf wird die Sitzung eine Stunde vertagt (von 3 bis 4 Uhr) damit die 25er Commission die Adresse an den König entwerfe.

Während dieser Pause wird der Platz vor dem Sitzungshause (der Gendarmenmarkt) mit einigen tausend Mann Bürgerwehr, welche eine dreifache Chaine bilden, besetzt. Die bewaffneten Maschienenbauer haben den Platz vor dem Hauptportal besetzt; jedoch so, daß noch eine große Masse gebildeter Leute, welche neugierig dem Ausgange der Berathungen entgegenharren, und auch viele andere aus den niedern Classen den innern Raum des Platzes ausfüllen. Der Eingang zu den Tribünen in der Charlottenstraße ist noch ganz frei. ‒ Die Bürgerwehr und die fliegenden Corps sind in der ganzen Stadt consignirt um einem Gewaltstreiche der Reaction vorzubeugen.

Um 4 3/4 Uhr wird die Sitzung wieder eröffnet, und die von der Kommission einstimmig angenommene Adresse wird verlesen; sie lautet:

„Majestät! In Folge der Benachrichtigung, daß der Graf Brandenburg mit der Bildung eines neuen Kabinets beauftragt ist, hat die Nationalversammlung in ihrer heutigen Sitzung den Beschluß gefaßt, aus ihrer Mitte eine Deputation an Ew. Majestät zu entsenden, um Sie in Kenntniß zu setzen, daß dieser Schritt Ew. Majestät die größten Besorgnisse im Volke erregt und unabsehbares Unglück über das Land zu bringen droht. Schon seit Wochen haben unheilvolle Gerüchte, Ew. Maj. treues Volk über die Absichten der Reaktion erschreckt, und die Ernennung des jetzt abgetretenen Ministeriums hatte diese Gerüchte nicht zu schwächen vermocht. ‒ Eine Regierung unter den Auspizien des Grafen Brandenburg, welche wiederum ohne Aussicht ist eine Majorität in der Nationalversammlung und Vertrauen im Lande zu gewinnen, würde die Aufregung unzweifelhaft zum Ausbruch steigern und unendlich traurige, an das Geschick eines Nachbarstaates erinnernde Folgen für Ew. Majestät Hauptstadt und Land nach sich ziehen. Ew. Majestät sind von Ihren bisherigen Räthen über den Zustand des Landes nicht wohl unterrichtet worden, wenn man Ihnen die Gefahren für Thron und Land verschwiegen hat, welche aus solcher Ernennung erwachsen. Wir legen deshalb die eben so ehrfurchtsvolle als dringende Bitte. Ew. Majestät ans Herz, ein Herz, das stets für das Wohl des Volkes geschlagen hat, dem Lande durch ein volksthümliches Ministerium eine neue Bürgschaft zu geben, daß Ew. Majestät Absichten mit den Wünschen des Volkes in Einklang stehen. ‒“

Diese Adresse wird ohne alle Diskussion fast einstimmig angenommen.

Minister sind nicht anwesend.

Nach Annahme der Adresse trägt die Rechte auf Schluß der Sitzung an Es ist aber ein, von der Prioritäts-Commission als dringlich anerkannter, Antrag eingereicht der laut Beschluß der Versammlung zur Debatte kommen muß. Der Antrag ist von den Abg. Schulze (Delitsch) und Pilet (schwankende Linke) und lautet:

„Die Sitzung nicht eher zu schließen als bis die an den König nach Potsdam gesanndte Commission zurückgekehrt ist, und ihren Bericht abgestattet hat.“

„Das ist eine Permanenz-Erklärung“ ruft die Rechte und bestreitet die Dringlichkeit des Antrages.

Rehfeld: Wir haben heute so viel von Spannung und Aufregung gesprochen, aber diese Aufregung findet sich nicht im Lande sondern nur in dieser Versammlung.

Die Redner der Rechten werden von der Linken tüchtig abgefertigt und die Dringlichkeit in namentlicher Abstimmung mit 189, gegen 122 Stimmen anerkannt.

Nach dieser Abstimmung entfernte sich die Rechte in Masse, um die Versammlung beschlußunfähig zu machen.

Nach der Geschäftsordnung findet der Namensaufruf der Anwesenden statt um zu sehen ob die Versammlung noch beschlußfähig ist.

Der Präsident verkündet, daß nur 187 Abgeordnete anwesend sind.

Ein Redner bemerkt, daß die Versammlung dennoch beschlußfähig sei, weil sich 25 Mitglieder und die Präsidenten in Potsdam als Deputation beim König befinden. Wenn diese zurückkehren sind wir beschlußfähig.

Abg. Temme meint, da es dem Präsidenten zusteht die Sitzung zu schließen und anzuberaumen, so kann sie derselbe auf einige Stunden bis um 9 Uhr vertagen.

Die Abg. Schulze (Wanzleben) und Andere erklären, daß obgleich die Versammlung in diesem Augenblicke nicht mehr beschlußfähig sei, sie doch Alle hier bleiben würden.

Der Präsident Phillipps erklärt, daß er seinen Platz in diesem kritischen Augenblicke nicht verlassen werde und so lange auf seinem Posten bleiben, bis die Deputation zurückgekehrt sein wird. Diesem Beispiel möge Jeder folgen.

Die Abgeordneten verfügen sich größtentheils in die Restauration, welche dicht am Sitzungssaal ist, der Präsident und Andere bleiben im Saal. Die Permanenz der Nationalversammlung ist also eingetreten. Schluß dieses Briefes 7 Uhr Abends.

20 Berlin, 2. Nov.

Der gestrige Abend ist ruhig vorübergegangen. Heute zieren zwei Plakate die Straßenecken und Brunnen, eines von unserm ehrenwerthen Bürgerwehrkommandeur, Hr. Rimpler, das andere von unserem noch ehrenwertheren Minister des Innern Eichmann. Hr. Rimpler, der sich dadurch besonders charakterisirt, daß er, wenn er etwas verdorben hat, mit schöngeschriebenen Plakaten post festum kommt, ist heute so gütig in seiner Bekanntmachung sein „innigstes Bedauern“ über die am 31. Oktbr. stattgehabten Vorfälle zwischen Bürgerwehr und Maschinenbauern auszusprechen. Wie mitleidig! Glaubt Hr. Rimpler damit die Todten wieder lebendig zu machen? Hr. Eichmann macht bekannt, daß die Vorfälle vom Dienstag der Regierung die Pflicht auflegten, Truppen zu requiriren, sobald die Bürgerwehr sich als unzureichend erweise. Was diese Bekanntmachung in der Ministerialsprache bedeutet, kann sich Jedermann denken; nämlich: „was wir Euch jetzt in Aussicht stellen, haben wir bereits gethan.“ Die Bekanntmachung des Ministers Eichmann steht indeß nicht zusammenhangslos da. Sie ist in vollem Einklang mit dem Hauptereigniß des Tages, der Ministerkrisis. Das Ministerium Pfuel hat diesmal wirklich abgedankt. Eine nicht contrasignirte Kabinets-Ordre beauftragt den Grafen Brandenburg mit der Bildung eines Kabinets. So wäre also das Längsterwartete eingetroffen und Hr. Eichmann hätte in seinem Schwanenliede seinem Nachfolger nur ein Erbtheil übermachen wollen, um in Erwartung der Dinge, die da kommen würden, die Bourgeoisie ein Wenig ins Bockshorn zu jagen.

Aufregung hervorzurufen ist die Ministerkrisis nicht mehr im Stande; sie hat aber die schon herrschende Erregtheit um kein Geringes gesteigert. Ueberall diskutiren zahlreiche Haufen über das Ereigniß, in welchem man das Signal zum Kampfe sieht. Das Schauspielhaus, wo sich die Vereinbarer heute Nachmittag wieder versammelt haben, ist von einem Bataillon Bürgerwehr besetzt. Große Volksmassen strömen auf dem Gendarmenmarkte hin und her, auf den Beschluß der Versammlung harrend.

Das Schloß ist stärk besetzt und die bekannten Gitterthüren sind geschlossen. Auch in andere öffentliche Gebäude ist Bürgerwehr gelegt. Die fliegenden Korps der Studenten, Künstler, Handwerker, Maschinenbauer und jungen Kaufleute sind in ihren Appellplätzen konsignirt. Man spricht davon, daß heute Abend die um die Stadt lagernden Truppen einrücken sollen. Das Vorspiel scheint beendet.

14 Berlin, 2. Nov., Abends.

Es ist in der Nachmittagssitzung der Versammlung eine Adresse an den König beschlossen worden, worin er von der Lage des Landes benachrichtigt wird. Eine Deputation von 21 Mitgliedern begibt sich nach Potsdam und muß noch heute Abend zurückkehren. Die Versammlung bleibt so lange permanent. Die Antwort des Königs ist entscheidend. Vor dem Schauspielhause steht viel Bürgerwehr, aber dem Volke ist bekannt gemacht, daß dieselbe nur zum Schutze der Versammlung und im Nothfall gegen das Militär bestimmt ist. Zwei Plakate von Rimpler werden ausgegeben: das Eine warnt vor jedem Konflikt zwischen Bürgern und Volk; das Andere spricht sich mit Entrüstung gegen die Eichmann'sche Bekanntmachung aus. Von Wien gute Nachrichten, so daß die Stimmung im Volke eine ungemein hochherzige und fast freudige ist. Alle Parteien sind einig gegen die Camarilla.

Die Schloßthore sind geschlossen, im Innern steht eine Kompagnie Bürgerwehr. Auch die sämmtlichen Stadtthore sind besetzt: das Oranienburger von den Maschinenbauern, das Hamburger vom Handwerkerverein etc. Kurz, man erwartet mit festem Muthe den Feind, und ist organisirt.

100 Berlin, 31. Okt.

Der Kongreß der vereinigten demokratischen Vereine hat seine Sitzungen heute geschlossen. Was hat er gethan? Wie hat er den verschiedenen auf ihn gesetzten Hoffnungen entsprochen? Wir blicken zurück auf seine Ergebnisse und müssen gestehen, sie haben nicht viel Werth, wenn man von dem Kongreß erwartete, daß er eine Revolution machen würde. Seine Resultate sind eine große Volksversammlung, eine Demonstration zu Gunsten Wiens und eine von ihm angeregte Demonstration bei dem Schauspielhause mit Ueberreichung einer Petition, daß die Nationalversammlung die Regierung auffordern solle, so rasch wie möglich der bedrohten Stadt zu Hülfe zu eilen. Wochenlang hat man die Operationen der schurkischen Kamarilla in Oesterreich aus dem freien vereinigten Deutschland angeglotzt und jetzt, wo es in Flammen steht, petitionirt man um Hülfe. Der Schritt der Nationalversammlung hätte schon vor 14 Tagen geschehen müssen. Der Kongreß verschwendete, wie alle Versammlungen, die aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt sind, anfangs seine beste Zeit mit Formalitäten. Wenn der Deutsche nur Akten zusammenschreiben kann, über die gleichgültigsten Dinge lange Reden halten, so ist er zufrieden. Die ersten Tage des Kongresses waren fürchterlich langweilig ‒ die lächerliche Eitelkeit drängte sich bei jeder Gelegenheit hervor, die Amendements wollten kein Ende nehmen, um die Geschäftsordnung zankte man sich wohl hunderte Male, lauter Strohdrescherei. Besonders verschuldet diese Zeitverschwendung der bisherige Zentralausschuß, der nichts vorbereitet, nicht einmal eine Geschäftsordnung entworfen hatte, um den Gang der Debatte abzukürzen. Hr. Kriege bemerkte in seiner Berichterstattung, es habe dem Ausschusse immer an den nöthigen Geldmitteln gefehlt, wenigstens seien sie sehr unregelmäßig eingegangen. Das mag den Ausschuß einigermaßen entschuldigen, freizusprechen von dem Vorwurfe der Unthätigkeit ist er nicht. Nachdem schon durch den Formalitätenkram, bei welchem meist die berliner Demokratie ihre Lichter leuchten ließ, ein großer Theil der Deputirten ermüdet war, kam durch die Berichte der einzelnen Deputirten über den Stand der Demokratie in ihren Provinzen einiges Leben in die Versammlung. Nach diesen Berichten ist Schlesien am weitesten in der demokratischen Bewegung vorangerückt, was die Deputirten dieser Gegend auch mit Betonung hervorhoben. Später wurden Kommissionen zur Berichterstattung über 1) die innere Politik, 2) die äußere, 3) das Verhältniß zum Parlamente in Frankfurt, (!) 4) über die soziale Frage gewählt. Sie haben Bericht erstattet, wie aber buchstäblich die Berichte lauten, habe ich nicht im Gedächtniß behalten. Es wurden die Robespierre'schen Menschenrechte, von Oppenheim modifizirt. verlesen, von einer Seite her aber wurde gegen die Deklaration derselben, als den Ausdruck der Bourgeoisierevolution, protestirt. ‒ Dann hörten wir überflüssige Debatten über das frankfurter Parlament, in Bezug auf welches beschlossen wurde, daß man auf Neuwahlen, Mißtrauensvoten etc. hinwirken, und zu diesem Zwecke eine allgemeine Agitation durch ganz Deutschland veranstalten solle etc. So viel weiß ich, daß es der sozialen Frage am schlimmsten bei der Kommission ergangen ist; die Papiere waren verloren und die soziale Frage mußte sich daher bis zum nächsten Kongresse vertrösten, wo ihre „Lösung“ wohl unzweifelhaft eintreten wird.

Bei der kurzen Debatte darüber, welche am vierten Tage stattfand, stellte Friedr. Schnake den Antrag, daß alle Vereine aufgefordert werden sollten, Vorschläge und Anträge, soziale Fragen betreffend, zu diskutiren, an den Zentralausschuß einzuschicken und diesen zu verpflichten, daß er einen Generalbericht darüber veröffentliche. Der Antrag wurde angenommen, ein anderer, die Berufung eines sozialen Parlamentes betreffend, vorläufig abgelehnt. Ein Bericht, in seinen Grundzügen kommunistisch, wurde von Bercht verlesen und der Kongreß beschloß, diese §§. allen Vereinen zur Besprechung und Begutachtung zu überweisen. Das war alles was wir im Kongreß über die „soz. Frage“ gehört haben, mehr schon als die Leute wünschten, da nach deren Ansicht der Kongreß nur zu dem Zwecke zusammengekommen war, um den in Frankfurt schon einmal beschlossenen Organisationsplan noch einmal zu beschließen.

Schon am zweiten Tage wurde von einer Seite der Versammlung versucht, diesem Formalitätenkram ein Ende zu machen. Daraus bildete sich eine Art Partei, die sich zur „rothen Republik“ bekennen wolle, und sich von da regelmäßig privatim versammelte. Das Wort „Partei“ gefiel den Andern nicht, sie machten den Parteimännern Vorwürfe, daß sie Spannungen und Spaltungen hervorriefen. Als wenn nicht in jeder größern Versammlung Meinungsverschiedenheit zur Parteibildung führen müßte. Genug, beide Parteien trampelten und trommelten und es entstand ein solcher Wirrwar, daß die Lenker dieser Stürme, die Präsidenten Hamberger und Dr. Asch aus Breslau, erzürnt ihr Scepter niederlegten. Dem Dr. Asch folgten einige Andere, die ihren Austritt für sich, nicht für ihre Vereine, aus dem Verband erklärten. Die andern entschiedenen Schlesier protestirten gegen das Verfahren ihrer Landsleute, daß sie sich durch einigen Lärm bewegen ließen, auszutreten, bewogen vielleicht nur durch ihre Eitelkeit und ihren Zorn, ihre Privatansichten nicht zur ausführlichen Geltung bringen zu können.

Wir sind überzeugt, die Vereine jener Herren werden dieses Verfahren ebensowenig billigen. Jene entschiedenere Partei bewirkte auch, daß wenigstens eine Volksversammlung, Tagesordnung Wien, unter den Zelten abgehalten wurde, kurz, daß die Theilnahme für die unglückliche Stadt und eine entscheidende Handlung und Hülfe angeregt wurden. Angeregt? Konnte der Kongreß mehr thun, wenn seine Mitglieder am letzten Tage bis auf 50-60 zusammengeschmolzen waren, wenn die Berliner Demokratie überhaupt so wenig zur Anregung des Volkes that? Dieser Berliner Demokratie fehlt es an allem Zusammenhange der einzelnen Glieder untereinander. Von der Demonstration am Schauspielhause ist nichts besonderes zu berichten, als daß einige langweilige Reden gehalten, das Volk bis zum andern Tage auf eine Entscheidung vertröstet wurde. Bürger Ruge hatte eine Volksversammlung auf diesen Tag anberaumt, erschien aber nicht. Warum dem Volke Arbeitszeit und Arbeitslohn rauben, warum es zusammenberufen, wenn man ihm Nichts zu sagen hat? Man entmuthigt es, und sein Vertrauen zu seinen Führern schwindet. Wie wir hören, sollen einzelne Klubs über das Auftreten einiger sogenannten Führer und Redner in diesen Tagen sich sehr hart mißbilligend ausgesprochen haben.

Am Abende, als über den Antrag von Waldeck: „daß die preuß. Regierung dem bedrohten Wien mit allen Kräften sofort zu Hülfe eilen solle“ in der Nationalversammlung verhandelt wurde, wogte die Masse um das Schauspielhaus herum, und die Trommeln der Bürgerwehr wurden gerührt. Wo waren da die Volksmänner, Redner u. s. w.?

Der Antrag Rodbertus „daß die Centralgewalt aufgefordert werden solle von der preuß. Regierung, daß sie aus allen Kräften der bedrohten Volksfreiheit und dem Reichstage Wiens zu Hülfe eilen möge“ etc. ist eine offizielle leise Ohrfeige für den Reichsverweser. Hr. Schmerling und Peucker sollen Wien zu Hülfe eilen! Lächerliches Gaukelspiel, Diplomatenbetrug! Zwei Reichskonstabler werden sie wieder nach Olmütz schicken zum Kaiser. Das Volk von Berlin ist sehr gespannt, wie die Regierung den Beschluß ausführen wird.

Der Kongreß wurde am 31. Okt. Abends geschlossen; ein Antrag auf Permanenz verworfen. Die entschiedenere Partei hat gethan, was sie thun konnte; fremd und unbekannt mit den Verhältnissen Berlin's und gar nicht unterstützt von den Berliner Demokraten. Von diesem Kapitel später.

* Berlin, 2. Nov.

Die „Neue Preuß. Zeitung“ (Ritterin vom Landwehrkreuz „mit Gott für König und Vaterland“) verlegt die Nationalversammlung nach Schwedt. Man höre:

In der Stadt geht das Gerücht, daß in Folge der vorgestrigen Vorgänge die Nationalversammlung nach Schwedt verlegt werden soll.

Dieselbe Zeitung berichtet sodann noch folgendes amusante Diktum:

Ein Mann des Volks theilte am Abend des 31. der versammelten Menge den Erfolg der Abstimmung in der Nationalversammlung mit folgenden Worten mit:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div xml:id="ar135_014" type="jArticle">
          <p><pb facs="#f0003" n="0685"/>
testirt <hi rendition="#g">Rehfeld</hi> gegen die in der letzten Sitzung gefaßten Beschlüsse, weil sich die Versammlung in einem unfreiwilligen Zustande befunden habe. Draußen hätte Anarchie geherrscht und die einzelnen Mitglieder wären bedroht gewesen.</p>
          <p>Auch <hi rendition="#g">Pieper</hi> muß sein Wort dazu geben; unter allgemeinem Gelächter besteigt er die Tribune und spricht: Ein geehrter Redner hat vorhin von der Würde dieser Versammlung gesprochen. Ich bin nur ein schlichter Handwerker (Fleischer). Aber ist das der Würde eines Abgeordneten angemessen, wenn man ihn durch Appartements führt, wenn er den Sitzungssaal verläßt? (Ungeheures Gelächter; Zur Ordnung! Solche Redensarten dürfen hier nicht gesprochen werden.) Was fehlt uns? wir haben einen konstitutionellen Staat, will man etwa Republik? (Neuer Lärm. Durch Beschluß der Versammlung muß der Redner die Tribüne verlassen.)</p>
          <p>Ein Schreiben des Kommandos der Bürgerwehr wird verlesen, worin es die Versammlung bittet zu erlauben, daß täglich eine Ehrenwache innerhalb des Hauses aufgestellt, und es dem Kommando überlassen bleibe, für die Sicherheit der Versammlung zu sorgen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Parisius</hi> beantragt: Den Präsidenten zu ermächtigen durch Requisition des Kommandos der Bürgerwehr für die Sicherheit der Versammlung zu sorgen; wird <hi rendition="#g">angenommen.</hi> </p>
          <p>Endlich kommt man zur Abstimmung über die Vertagung. <hi rendition="#g">Reichensperger</hi> zieht seinen Antrag zurück. Der Antrag des Abg. <hi rendition="#g">Dielitz</hi> wird mit 202 gegen 147 Stimmen <hi rendition="#g">verworfen,</hi> und der Antrag des Abg. <hi rendition="#g">Phillips</hi> mit großer Majorität angenommen. Die Sitzung wird demnach um 11 Uhr bis 1 Uhr Nachmittags vertagt, und die Minister sollen auf Antrag Bergs aufgefordert werden zu erscheinen.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar135_017" type="jArticle">
          <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 1. November.</head>
          <p>Nachmittags-Sitzung. (Siehe den Verfolg in dem heute morgen ausgegebenen Extrablatte.)</p>
          <p>Die alten Minister mit Ausnahme Pfuels sind erschienen und nehmen ihre Plätze ein. Auch der Unterstaatssekretair General Brandt ist anwesend. &#x2012; Gegen 2 Uhr wird die Sitzung eröffnet. Ein Schreiben des Grafen Brandenburg an den Präsidenten Unruh wird verlesen, wodurch derselbe eine beglaubigte Abschrift einer vom Minister Eichmann contrasignirten Cabinetsordre einsendet, welche ihn mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt. Bis zur Bildung desselben sollten die alten Minister die laufenden Geschäfte besorgen.</p>
          <p>Die äußerste Linke durch die Abg. <hi rendition="#g">Waldeck, Jacoby</hi> und <hi rendition="#g">Temme</hi> stellten folgenden Antrag: Die hohe Versammlung wolle beschließen: 1) sofort durch das Plenum eine Commission von 21 Mitgliedern zu wählen und derselben den Auftrag zu ertheilen, der Versammlung, in Betracht der bedrohlichen Lage des Landes, die geeigneten Mittel vorzuschlagen; 2) die Sitzung nicht eher aufzuheben, als bis die Commission ihre Vorschläge gemacht hat</p>
          <p>Das linke Centrum mit der schwankenden Linken stellt folgenden Antrag. durch die Abg. <hi rendition="#g">Rodbertus, Berg, Wachsmuth, Arntz:</hi> Es soll eine von dem Präsidenten zu ernennende Commission von 25 Mitgliedern mit Hinzuziehung der Vicepräsidenten, den Entwurf einer Adresse, <hi rendition="#g">über die Lage des Landes</hi> an Sr. Majestät den König vorlegen und diese Adresse dem König übergeben.</p>
          <p>Der Minister <hi rendition="#g">Eichmann</hi> nimmt das Wort nicht, um über die Anträge zu sprechen, sondern sich über ihr Nichterscheinen in der Vormittagssitzung zu entschuldigen. In Folge der Entlassung des Minister-Präsidenten von Pfuel hätten die andern Minister das ganze Ministerium für aufgelöst betrachtet und sind nur mit der provisorischen Fortführung der Geschäfte bis zur Ernennung des neuen Ministeriums vom König beauftragt worden; sie können sich jedoch nicht mehr in vollem Sinne als die Vertreter der Krone betrachten und ersuchten daher die Versammlung, ihre Berathungen einstweilen auszusetzen.</p>
          <p><hi rendition="#g">Jacoby.</hi> Die ernste und bedrohliche Lage, in der sich das Land in diesem Augenblicke befindet, ist das traurige Erbtheil dreier Ministerien, welche nicht den Muth hatten, der Reaktion und der Camarilla entgegenzutreten. Verfallen wir nicht in denselben Fehler. Der König hat den Herrn Brandenburg mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt. Brandenburg ist ein Anhänger des Absolutismus. Ergreifen wir daher ein schleuniges Mittel um das Land aus dieser Gefahr zu retten. Schreiten wir nicht ein, so wird der Bürger genöthigt sein, eine neue Revolution zu machen. Ich bin für sofortige Niedersetzung einer Commission, um die nothwendigen Mittel vorzuschlagen. Ich bin aber gegen die vorgeschlagene Deputation, denn wir haben an Wien das Beispiel. Hätte Wien nicht so lange mit Adressen vermittelt, dann wäre es dort besser. Verfallen wir nicht in denselben Fehler.</p>
          <p><hi rendition="#g">Arntz</hi> spricht sich für die Deputation aus, damit der König die rechte Stimmung des Landes erfahre, wir müssen einschreiten, damit das Land nicht in Gefahr komme. Das ist unsere Verpflichtung.</p>
          <p><hi rendition="#g">Berg.</hi> Man stelle den König nicht als der Versammlung feindlich gegenüberstehend dar. Die Ernennung des Grafen Brandenburg zum Ministerpräsidenten ist ein gesetzlicher Schritt. Die Absendung einer Deputation an den König ist auch ein gesetzlicher. Der König ist von der Gesinnung der Volksvertreter nicht gehörig unterrichtet. Die Stimmung und die Lage des Landes werden ihm falsch geschildert. Es ist daher unsere Pflicht, dem Könige über die wahre Sachlage Aufklärung zu geben.</p>
          <p><hi rendition="#g">Waldeck</hi> trägt auf Schluß der Debatte an. Man kommt zur Abstimmung. Der Waldeck'sche Antrag wird verworfen und der Rodbertus-Berg-Wachsmuth'sche (linkes Centrum) angenommen.</p>
          <p>In Folge dessen schlägt der Präsident <hi rendition="#g">Unruh</hi> folgende Commission zur Entwerfung und Uebergabe einer Adresse vor: Arntz, Rodbertus, Bucher, Kirchmann, Berg, Reichensperger, Baumstark, Jacobi, Behnsch, Cieskowski, Hartmann, Ostermann, D'Ester, Wachsmuth u. A.</p>
          <p><hi rendition="#g">D'Ester.</hi> Dringende Interpellation an den Minister des Innern: 1) ob die an den Straßenecken befindliche Bekanntmachung wirklich von ihm ausgegangen und 2) wenn dies der Fall ist, wie der Minister diese Bekanntmachung zu rechtfertigen gedenke.</p>
          <p>Die Majorität erkennt die Dringlichkeit dieser Interpellation an.</p>
          <p><hi rendition="#g">D'Ester:</hi> Ich will Sie nicht lange hier aufhalten. Der Herr Minister droht in seinem Plakate mit Heranziehung des Militärs zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung, in einem Augenblick, wo die ganze Stadt in der größten Aufregung sich befindet.</p>
          <p>Minister <hi rendition="#g">Eichmann:</hi> Es ist Ihnen bekannt, wie uns früher lebhafte Vorwürfe gemacht wurden, weil wir nichts zum Schutze der Personen der Abgeordneten gethan. Daß es der Bürgerwehr nicht möglich war, die Ordnung aufrecht zu erhalten, haben Sie alle empfunden. Deshalb hält es das Ministerium für seine Pflicht, das Militär, wenn es nothwendig ist, zu requiriren. Die betreffenden Behörden, welche die Bekanntmachung erwähnt, sind die Stadtbehörden und der von denselben ausgegangene Sicherheitsausschuß und der Präsident der königl. Polizei.</p>
          <p><hi rendition="#g">D'Ester:</hi> Ich kann mich mit dieser Antwort keineswegs zufrieden erklären. Wenn sich der Minister auf die ihm früher gemachten Vorwürfe beruft, so mögen Sie nur bedenken, daß diese von einer Minorität ausgingen. Auf die Vorwürfe des ganzen Volkes ist der Minister nie eingegangen. Er hat dem Ansuchen einer Minorität nachgegeben, weil sie reaktionäre Maßregeln vorschlagen. Ich muß den Minister daran erinnern, daß nach dem Bürgerwehrgesetz es nur dem Commando der Bürgerwehr zusteht, Militär zu requiriren. Seine Maßregel ist daher jedenfalls eine <hi rendition="#g">ungesetzliche,</hi> die wir nicht billigen können. (Die Rechte unterbricht den Redner mehrmals durch ihren Skandal bei den Worten &#x201E;reactionäre Maßregel&#x201C; etc. Die Linke stimmt dem Redner durch <hi rendition="#g">Bravo</hi> bei; auch das Centrum Bravo!)</p>
          <p>Abg. <hi rendition="#g">Behrends</hi> macht die faktische Bemerkung, daß das Commando der Bürgerwehr bereits gegen die gesetzwidrige Bekanntmachung des Ministers protestirt habe.</p>
          <p>Hierauf wird die Sitzung eine Stunde vertagt (von 3 bis 4 Uhr) damit die 25er Commission die Adresse an den König entwerfe.</p>
          <p>Während dieser Pause wird der Platz vor dem Sitzungshause (der Gendarmenmarkt) mit einigen tausend Mann Bürgerwehr, welche eine dreifache Chaine bilden, besetzt. Die bewaffneten Maschienenbauer haben den Platz vor dem Hauptportal besetzt; jedoch so, daß noch eine große Masse gebildeter Leute, welche neugierig dem Ausgange der Berathungen entgegenharren, und auch viele andere aus den niedern Classen den innern Raum des Platzes ausfüllen. Der Eingang zu den Tribünen in der Charlottenstraße ist noch ganz frei. &#x2012; Die Bürgerwehr und die fliegenden Corps sind in der ganzen Stadt consignirt um einem Gewaltstreiche der Reaction vorzubeugen.</p>
          <p>Um 4 3/4 Uhr wird die Sitzung wieder eröffnet, und die von der Kommission einstimmig angenommene Adresse wird verlesen; sie lautet:</p>
          <p>&#x201E;Majestät! In Folge der Benachrichtigung, daß der Graf Brandenburg mit der Bildung eines neuen Kabinets beauftragt ist, hat die Nationalversammlung in ihrer heutigen Sitzung den Beschluß gefaßt, aus ihrer Mitte eine Deputation an Ew. Majestät zu entsenden, um Sie in Kenntniß zu setzen, daß dieser Schritt Ew. Majestät die größten Besorgnisse im Volke erregt und unabsehbares Unglück über das Land zu bringen droht. Schon seit Wochen haben unheilvolle Gerüchte, Ew. Maj. treues Volk über die Absichten der Reaktion erschreckt, und die Ernennung des jetzt abgetretenen Ministeriums hatte diese Gerüchte nicht zu schwächen vermocht. &#x2012; Eine Regierung unter den Auspizien des Grafen Brandenburg, welche wiederum ohne Aussicht ist eine Majorität in der Nationalversammlung und Vertrauen im Lande zu gewinnen, würde die Aufregung unzweifelhaft zum Ausbruch steigern und unendlich traurige, an das Geschick eines Nachbarstaates erinnernde Folgen für Ew. Majestät Hauptstadt und Land nach sich ziehen. Ew. Majestät sind von Ihren bisherigen Räthen über den Zustand des Landes nicht wohl unterrichtet worden, wenn man Ihnen die Gefahren für Thron und Land verschwiegen hat, welche aus solcher Ernennung erwachsen. Wir legen deshalb die eben so ehrfurchtsvolle als dringende Bitte. Ew. Majestät ans Herz, ein Herz, das stets für das Wohl des Volkes geschlagen hat, dem Lande durch ein volksthümliches Ministerium eine neue Bürgschaft zu geben, daß Ew. Majestät Absichten mit den Wünschen des Volkes in Einklang stehen. &#x2012;&#x201C;</p>
          <p>Diese Adresse wird ohne alle Diskussion fast einstimmig angenommen.</p>
          <p>Minister sind nicht anwesend.</p>
          <p>Nach Annahme der Adresse trägt die Rechte auf Schluß der Sitzung an Es ist aber ein, von der Prioritäts-Commission als dringlich anerkannter, Antrag eingereicht der laut Beschluß der Versammlung zur Debatte kommen muß. Der Antrag ist von den Abg. <hi rendition="#g">Schulze</hi> (Delitsch) und <hi rendition="#g">Pilet</hi> (schwankende Linke) und lautet:</p>
          <p>&#x201E;Die Sitzung nicht eher zu schließen als bis die an den König nach Potsdam gesanndte Commission zurückgekehrt ist, und ihren Bericht abgestattet hat.&#x201C;</p>
          <p>&#x201E;Das ist eine Permanenz-Erklärung&#x201C; ruft die Rechte und bestreitet die Dringlichkeit des Antrages.</p>
          <p><hi rendition="#g">Rehfeld:</hi> Wir haben heute so viel von Spannung und Aufregung gesprochen, aber diese Aufregung findet sich nicht im Lande sondern nur in dieser Versammlung.</p>
          <p>Die Redner der Rechten werden von der Linken tüchtig abgefertigt und die Dringlichkeit in namentlicher Abstimmung mit 189, gegen 122 Stimmen anerkannt.</p>
          <p>Nach dieser Abstimmung entfernte sich die Rechte in Masse, um die Versammlung beschlußunfähig zu machen.</p>
          <p>Nach der Geschäftsordnung findet der Namensaufruf der Anwesenden statt um zu sehen ob die Versammlung noch beschlußfähig ist.</p>
          <p>Der Präsident verkündet, daß nur 187 Abgeordnete anwesend sind.</p>
          <p>Ein Redner bemerkt, daß die Versammlung dennoch beschlußfähig sei, weil sich 25 Mitglieder und die Präsidenten in Potsdam als Deputation beim König befinden. Wenn diese zurückkehren sind wir beschlußfähig.</p>
          <p>Abg. <hi rendition="#g">Temme</hi> meint, da es dem Präsidenten zusteht die Sitzung zu schließen und anzuberaumen, so kann sie derselbe auf einige Stunden bis um 9 Uhr vertagen.</p>
          <p>Die Abg. <hi rendition="#g">Schulze</hi> (Wanzleben) und Andere erklären, daß obgleich die Versammlung in diesem Augenblicke nicht mehr beschlußfähig sei, sie doch Alle hier bleiben würden.</p>
          <p>Der Präsident <hi rendition="#g">Phillipps</hi> erklärt, daß er seinen Platz in diesem kritischen Augenblicke nicht verlassen werde und so lange auf seinem Posten bleiben, bis die Deputation zurückgekehrt sein wird. Diesem Beispiel möge Jeder folgen.</p>
          <p>Die Abgeordneten verfügen sich größtentheils in die Restauration, welche dicht am Sitzungssaal ist, der Präsident und Andere bleiben im Saal. Die Permanenz der Nationalversammlung ist also eingetreten. Schluß dieses Briefes 7 Uhr Abends.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar135_018" type="jArticle">
          <head><bibl><author>20</author></bibl> Berlin, 2. Nov.</head>
          <p>Der gestrige Abend ist ruhig vorübergegangen. Heute zieren zwei Plakate die Straßenecken und Brunnen, eines von unserm ehrenwerthen Bürgerwehrkommandeur, Hr. Rimpler, das andere von unserem noch ehrenwertheren Minister des Innern Eichmann. Hr. Rimpler, der sich dadurch besonders charakterisirt, daß er, wenn er etwas verdorben hat, mit schöngeschriebenen Plakaten post festum kommt, ist heute so gütig in seiner Bekanntmachung sein &#x201E;innigstes Bedauern&#x201C; über die am 31. Oktbr. stattgehabten Vorfälle zwischen Bürgerwehr und Maschinenbauern auszusprechen. Wie mitleidig! Glaubt Hr. Rimpler damit die Todten wieder lebendig zu machen? Hr. Eichmann macht bekannt, daß die Vorfälle vom Dienstag der Regierung die Pflicht auflegten, Truppen zu requiriren, sobald die Bürgerwehr sich als unzureichend erweise. Was diese Bekanntmachung in der Ministerialsprache bedeutet, kann sich Jedermann denken; nämlich: &#x201E;was wir Euch jetzt in Aussicht stellen, haben wir bereits gethan.&#x201C; Die Bekanntmachung des Ministers Eichmann steht indeß nicht zusammenhangslos da. Sie ist in vollem Einklang mit dem Hauptereigniß des Tages, <hi rendition="#g">der Ministerkrisis.</hi> Das Ministerium Pfuel hat diesmal wirklich abgedankt. Eine <hi rendition="#g">nicht contrasignirte Kabinets-Ordre</hi> beauftragt den Grafen <hi rendition="#g">Brandenburg</hi> mit der Bildung eines Kabinets. So wäre also das Längsterwartete eingetroffen und Hr. Eichmann hätte in seinem Schwanenliede seinem Nachfolger nur ein Erbtheil übermachen wollen, um in Erwartung der Dinge, die da kommen würden, die Bourgeoisie ein Wenig ins Bockshorn zu jagen.</p>
          <p>Aufregung hervorzurufen ist die Ministerkrisis nicht mehr im Stande; sie hat aber die schon herrschende Erregtheit um kein Geringes gesteigert. Ueberall diskutiren zahlreiche Haufen über das Ereigniß, in welchem man das Signal zum Kampfe sieht. Das Schauspielhaus, wo sich die Vereinbarer heute Nachmittag wieder versammelt haben, ist von einem Bataillon Bürgerwehr besetzt. Große Volksmassen strömen auf dem Gendarmenmarkte hin und her, auf den Beschluß der Versammlung harrend.</p>
          <p>Das Schloß ist stärk besetzt und die bekannten Gitterthüren sind geschlossen. Auch in andere öffentliche Gebäude ist Bürgerwehr gelegt. Die fliegenden Korps der Studenten, Künstler, Handwerker, Maschinenbauer und jungen Kaufleute sind in ihren Appellplätzen konsignirt. Man spricht davon, daß heute Abend die um die Stadt lagernden Truppen einrücken sollen. Das Vorspiel scheint beendet.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar135_019" type="jArticle">
          <head><bibl><author>14</author></bibl> Berlin, 2. Nov., Abends.</head>
          <p>Es ist in der Nachmittagssitzung der Versammlung eine Adresse an den König beschlossen worden, worin er von der Lage des Landes benachrichtigt wird. Eine Deputation von 21 Mitgliedern begibt sich nach Potsdam und muß noch heute Abend zurückkehren. Die Versammlung bleibt so lange permanent. Die Antwort des Königs ist <hi rendition="#g">entscheidend.</hi> Vor dem Schauspielhause steht viel Bürgerwehr, aber dem Volke ist bekannt gemacht, daß dieselbe nur zum Schutze der Versammlung und im Nothfall gegen das Militär bestimmt ist. Zwei Plakate von Rimpler werden ausgegeben: das Eine warnt vor jedem Konflikt zwischen Bürgern und Volk; das Andere spricht sich mit Entrüstung gegen die Eichmann'sche Bekanntmachung aus. Von <hi rendition="#g">Wien gute Nachrichten,</hi> so daß die Stimmung im Volke eine ungemein hochherzige und fast freudige ist. Alle Parteien sind <hi rendition="#g">einig</hi> gegen die Camarilla.</p>
          <p>Die Schloßthore sind geschlossen, im Innern steht eine Kompagnie Bürgerwehr. Auch die sämmtlichen Stadtthore sind besetzt: das Oranienburger von den Maschinenbauern, das Hamburger vom Handwerkerverein etc. Kurz, man erwartet mit festem Muthe den Feind, und ist organisirt.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar135_020" type="jArticle">
          <head><bibl><author>100</author></bibl> Berlin, 31. Okt.</head>
          <p>Der Kongreß der vereinigten demokratischen Vereine hat seine Sitzungen heute geschlossen. Was hat er gethan? Wie hat er den verschiedenen auf ihn gesetzten Hoffnungen entsprochen? Wir blicken zurück auf seine Ergebnisse und müssen gestehen, sie haben nicht viel Werth, wenn man von dem Kongreß erwartete, daß er eine Revolution machen würde. Seine Resultate sind eine große Volksversammlung, eine Demonstration zu Gunsten Wiens und eine von ihm angeregte Demonstration bei dem Schauspielhause mit Ueberreichung einer Petition, daß die Nationalversammlung die Regierung auffordern solle, so rasch wie möglich der bedrohten Stadt zu Hülfe zu eilen. Wochenlang hat man die Operationen der schurkischen Kamarilla in Oesterreich aus dem freien vereinigten Deutschland angeglotzt und jetzt, wo es in Flammen steht, petitionirt man um Hülfe. Der Schritt der Nationalversammlung hätte schon vor 14 Tagen geschehen müssen. Der Kongreß verschwendete, wie alle Versammlungen, die aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt sind, anfangs seine beste Zeit mit <hi rendition="#g">Formalitäten.</hi> Wenn der Deutsche nur Akten zusammenschreiben kann, über die gleichgültigsten Dinge lange Reden halten, so ist er zufrieden. Die ersten Tage des Kongresses waren fürchterlich langweilig &#x2012; die lächerliche Eitelkeit drängte sich bei jeder Gelegenheit hervor, die Amendements wollten kein Ende nehmen, um die Geschäftsordnung zankte man sich wohl hunderte Male, lauter Strohdrescherei. Besonders verschuldet diese Zeitverschwendung der bisherige Zentralausschuß, der nichts vorbereitet, nicht einmal eine Geschäftsordnung entworfen hatte, um den Gang der Debatte abzukürzen. Hr. Kriege bemerkte in seiner Berichterstattung, es habe dem Ausschusse immer an den nöthigen Geldmitteln gefehlt, wenigstens seien sie sehr unregelmäßig eingegangen. Das mag den Ausschuß einigermaßen entschuldigen, freizusprechen von dem Vorwurfe der Unthätigkeit ist er nicht. Nachdem schon durch den Formalitätenkram, bei welchem meist die berliner Demokratie ihre Lichter leuchten ließ, ein großer Theil der Deputirten ermüdet war, kam durch die Berichte der einzelnen Deputirten über den Stand der Demokratie in ihren Provinzen einiges Leben in die Versammlung. Nach diesen Berichten ist Schlesien am weitesten in der demokratischen Bewegung vorangerückt, was die Deputirten dieser Gegend auch mit Betonung hervorhoben. Später wurden Kommissionen zur Berichterstattung über 1) die innere Politik, 2) die äußere, 3) das Verhältniß zum Parlamente in Frankfurt, (!) 4) über die soziale Frage gewählt. Sie haben Bericht erstattet, wie aber buchstäblich die Berichte lauten, habe ich nicht im Gedächtniß behalten. Es wurden die Robespierre'schen Menschenrechte, von Oppenheim modifizirt. verlesen, von einer Seite her aber wurde gegen die <hi rendition="#g">Deklaration</hi> derselben, als den Ausdruck der Bourgeoisierevolution, protestirt. &#x2012; Dann hörten wir überflüssige Debatten über das frankfurter Parlament, in Bezug auf welches beschlossen wurde, daß man auf Neuwahlen, Mißtrauensvoten etc. hinwirken, und zu diesem Zwecke eine allgemeine Agitation durch ganz Deutschland veranstalten solle etc. So viel weiß ich, daß es der <hi rendition="#g">sozialen Frage</hi> am schlimmsten bei der Kommission ergangen ist; die Papiere waren verloren und die soziale Frage mußte sich daher bis zum nächsten Kongresse vertrösten, wo ihre &#x201E;Lösung&#x201C; wohl unzweifelhaft eintreten wird.</p>
          <p>Bei der kurzen Debatte darüber, welche am vierten Tage stattfand, stellte Friedr. Schnake den Antrag, daß alle Vereine aufgefordert werden sollten, Vorschläge und Anträge, soziale Fragen betreffend, zu diskutiren, an den Zentralausschuß einzuschicken und diesen zu verpflichten, daß er einen <hi rendition="#g">Generalbericht</hi> darüber veröffentliche. Der Antrag wurde angenommen, ein anderer, die Berufung eines <hi rendition="#g">sozialen Parlamentes</hi> betreffend, vorläufig abgelehnt. Ein Bericht, in seinen Grundzügen kommunistisch, wurde von Bercht verlesen und der Kongreß beschloß, diese §§. allen Vereinen zur Besprechung und Begutachtung zu überweisen. Das war alles was wir im Kongreß über die &#x201E;soz. Frage&#x201C; gehört haben, mehr schon als die Leute wünschten, da nach deren Ansicht der Kongreß nur zu dem Zwecke zusammengekommen war, um den in Frankfurt schon einmal beschlossenen Organisationsplan noch einmal zu beschließen.</p>
          <p>Schon am zweiten Tage wurde von einer Seite der Versammlung versucht, diesem Formalitätenkram ein Ende zu machen. Daraus bildete sich eine Art <hi rendition="#g">Partei,</hi> die sich zur &#x201E;rothen Republik&#x201C; bekennen wolle, und sich von da regelmäßig privatim versammelte. Das Wort &#x201E;Partei&#x201C; gefiel den Andern nicht, sie machten den Parteimännern Vorwürfe, daß sie Spannungen und Spaltungen hervorriefen. Als wenn nicht in jeder größern Versammlung Meinungsverschiedenheit zur Parteibildung führen müßte. Genug, beide Parteien trampelten und trommelten und es entstand ein solcher Wirrwar, daß die Lenker dieser Stürme, die Präsidenten Hamberger und Dr. Asch aus Breslau, erzürnt ihr Scepter niederlegten. Dem Dr. Asch folgten einige Andere, die ihren Austritt für sich, nicht für ihre Vereine, aus dem Verband erklärten. Die andern entschiedenen Schlesier protestirten gegen das Verfahren ihrer Landsleute, daß sie sich durch einigen Lärm bewegen ließen, auszutreten, bewogen vielleicht nur durch ihre <hi rendition="#g">Eitelkeit</hi> und ihren Zorn, ihre Privatansichten nicht zur ausführlichen Geltung bringen zu können.</p>
          <p>Wir sind überzeugt, die Vereine jener Herren werden dieses Verfahren ebensowenig billigen. Jene entschiedenere Partei bewirkte auch, daß wenigstens eine Volksversammlung, Tagesordnung <hi rendition="#g">Wien,</hi> unter den Zelten abgehalten wurde, kurz, daß die Theilnahme für die unglückliche Stadt und eine entscheidende Handlung und Hülfe <hi rendition="#g">angeregt</hi> wurden. Angeregt? Konnte der Kongreß mehr thun, wenn seine Mitglieder am letzten Tage bis auf 50-60 zusammengeschmolzen waren, wenn die Berliner Demokratie überhaupt so wenig zur Anregung des Volkes that? Dieser Berliner Demokratie fehlt es an allem Zusammenhange der einzelnen Glieder untereinander. Von der Demonstration am Schauspielhause ist nichts besonderes zu berichten, als daß einige langweilige Reden gehalten, das Volk bis zum andern Tage auf eine Entscheidung vertröstet wurde. Bürger Ruge hatte eine Volksversammlung auf diesen Tag anberaumt, erschien aber nicht. Warum dem Volke Arbeitszeit und Arbeitslohn rauben, warum es zusammenberufen, wenn man ihm Nichts zu sagen hat? Man entmuthigt es, und sein Vertrauen zu seinen Führern schwindet. Wie wir hören, sollen einzelne Klubs über das Auftreten einiger sogenannten Führer und Redner in diesen Tagen sich sehr hart mißbilligend ausgesprochen haben.</p>
          <p>Am Abende, als über den Antrag von Waldeck: &#x201E;daß die preuß. Regierung dem bedrohten Wien mit allen Kräften sofort zu Hülfe eilen solle&#x201C; in der Nationalversammlung verhandelt wurde, wogte die Masse um das Schauspielhaus herum, und die Trommeln der Bürgerwehr wurden gerührt. Wo waren da die Volksmänner, Redner u. s. w.?</p>
          <p>Der Antrag Rodbertus &#x201E;daß die <hi rendition="#g">Centralgewalt</hi> aufgefordert werden solle von der preuß. Regierung, daß sie aus allen Kräften der bedrohten Volksfreiheit und dem Reichstage Wiens zu Hülfe eilen möge&#x201C; etc. ist eine offizielle leise Ohrfeige für den Reichsverweser. Hr. Schmerling und Peucker sollen Wien zu Hülfe eilen! Lächerliches Gaukelspiel, Diplomatenbetrug! Zwei Reichskonstabler werden sie wieder nach Olmütz schicken zum Kaiser. Das Volk von Berlin ist sehr gespannt, wie die Regierung den Beschluß ausführen wird.</p>
          <p>Der Kongreß wurde am 31. Okt. Abends geschlossen; ein Antrag auf Permanenz verworfen. Die entschiedenere Partei hat gethan, was sie thun konnte; fremd und unbekannt mit den Verhältnissen Berlin's und gar nicht unterstützt von den Berliner Demokraten. Von diesem Kapitel später.</p>
        </div>
        <div xml:id="ar135_021" type="jArticle">
          <head><bibl><author>*</author></bibl> Berlin, 2. Nov.</head>
          <p>Die &#x201E;Neue Preuß. Zeitung&#x201C; (Ritterin vom Landwehrkreuz &#x201E;mit Gott für König und Vaterland&#x201C;) verlegt die Nationalversammlung nach Schwedt. Man höre:</p>
          <p>In der Stadt geht das Gerücht, daß in Folge der vorgestrigen Vorgänge die Nationalversammlung nach Schwedt verlegt werden soll.</p>
          <p>Dieselbe Zeitung berichtet sodann noch folgendes amusante Diktum:</p>
          <p>Ein Mann des Volks theilte am Abend des 31. der versammelten Menge den Erfolg der Abstimmung in der Nationalversammlung mit folgenden Worten mit:</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0685/0003] testirt Rehfeld gegen die in der letzten Sitzung gefaßten Beschlüsse, weil sich die Versammlung in einem unfreiwilligen Zustande befunden habe. Draußen hätte Anarchie geherrscht und die einzelnen Mitglieder wären bedroht gewesen. Auch Pieper muß sein Wort dazu geben; unter allgemeinem Gelächter besteigt er die Tribune und spricht: Ein geehrter Redner hat vorhin von der Würde dieser Versammlung gesprochen. Ich bin nur ein schlichter Handwerker (Fleischer). Aber ist das der Würde eines Abgeordneten angemessen, wenn man ihn durch Appartements führt, wenn er den Sitzungssaal verläßt? (Ungeheures Gelächter; Zur Ordnung! Solche Redensarten dürfen hier nicht gesprochen werden.) Was fehlt uns? wir haben einen konstitutionellen Staat, will man etwa Republik? (Neuer Lärm. Durch Beschluß der Versammlung muß der Redner die Tribüne verlassen.) Ein Schreiben des Kommandos der Bürgerwehr wird verlesen, worin es die Versammlung bittet zu erlauben, daß täglich eine Ehrenwache innerhalb des Hauses aufgestellt, und es dem Kommando überlassen bleibe, für die Sicherheit der Versammlung zu sorgen. Parisius beantragt: Den Präsidenten zu ermächtigen durch Requisition des Kommandos der Bürgerwehr für die Sicherheit der Versammlung zu sorgen; wird angenommen. Endlich kommt man zur Abstimmung über die Vertagung. Reichensperger zieht seinen Antrag zurück. Der Antrag des Abg. Dielitz wird mit 202 gegen 147 Stimmen verworfen, und der Antrag des Abg. Phillips mit großer Majorität angenommen. Die Sitzung wird demnach um 11 Uhr bis 1 Uhr Nachmittags vertagt, und die Minister sollen auf Antrag Bergs aufgefordert werden zu erscheinen. 103 Berlin, 1. November. Nachmittags-Sitzung. (Siehe den Verfolg in dem heute morgen ausgegebenen Extrablatte.) Die alten Minister mit Ausnahme Pfuels sind erschienen und nehmen ihre Plätze ein. Auch der Unterstaatssekretair General Brandt ist anwesend. ‒ Gegen 2 Uhr wird die Sitzung eröffnet. Ein Schreiben des Grafen Brandenburg an den Präsidenten Unruh wird verlesen, wodurch derselbe eine beglaubigte Abschrift einer vom Minister Eichmann contrasignirten Cabinetsordre einsendet, welche ihn mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt. Bis zur Bildung desselben sollten die alten Minister die laufenden Geschäfte besorgen. Die äußerste Linke durch die Abg. Waldeck, Jacoby und Temme stellten folgenden Antrag: Die hohe Versammlung wolle beschließen: 1) sofort durch das Plenum eine Commission von 21 Mitgliedern zu wählen und derselben den Auftrag zu ertheilen, der Versammlung, in Betracht der bedrohlichen Lage des Landes, die geeigneten Mittel vorzuschlagen; 2) die Sitzung nicht eher aufzuheben, als bis die Commission ihre Vorschläge gemacht hat Das linke Centrum mit der schwankenden Linken stellt folgenden Antrag. durch die Abg. Rodbertus, Berg, Wachsmuth, Arntz: Es soll eine von dem Präsidenten zu ernennende Commission von 25 Mitgliedern mit Hinzuziehung der Vicepräsidenten, den Entwurf einer Adresse, über die Lage des Landes an Sr. Majestät den König vorlegen und diese Adresse dem König übergeben. Der Minister Eichmann nimmt das Wort nicht, um über die Anträge zu sprechen, sondern sich über ihr Nichterscheinen in der Vormittagssitzung zu entschuldigen. In Folge der Entlassung des Minister-Präsidenten von Pfuel hätten die andern Minister das ganze Ministerium für aufgelöst betrachtet und sind nur mit der provisorischen Fortführung der Geschäfte bis zur Ernennung des neuen Ministeriums vom König beauftragt worden; sie können sich jedoch nicht mehr in vollem Sinne als die Vertreter der Krone betrachten und ersuchten daher die Versammlung, ihre Berathungen einstweilen auszusetzen. Jacoby. Die ernste und bedrohliche Lage, in der sich das Land in diesem Augenblicke befindet, ist das traurige Erbtheil dreier Ministerien, welche nicht den Muth hatten, der Reaktion und der Camarilla entgegenzutreten. Verfallen wir nicht in denselben Fehler. Der König hat den Herrn Brandenburg mit der Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt. Brandenburg ist ein Anhänger des Absolutismus. Ergreifen wir daher ein schleuniges Mittel um das Land aus dieser Gefahr zu retten. Schreiten wir nicht ein, so wird der Bürger genöthigt sein, eine neue Revolution zu machen. Ich bin für sofortige Niedersetzung einer Commission, um die nothwendigen Mittel vorzuschlagen. Ich bin aber gegen die vorgeschlagene Deputation, denn wir haben an Wien das Beispiel. Hätte Wien nicht so lange mit Adressen vermittelt, dann wäre es dort besser. Verfallen wir nicht in denselben Fehler. Arntz spricht sich für die Deputation aus, damit der König die rechte Stimmung des Landes erfahre, wir müssen einschreiten, damit das Land nicht in Gefahr komme. Das ist unsere Verpflichtung. Berg. Man stelle den König nicht als der Versammlung feindlich gegenüberstehend dar. Die Ernennung des Grafen Brandenburg zum Ministerpräsidenten ist ein gesetzlicher Schritt. Die Absendung einer Deputation an den König ist auch ein gesetzlicher. Der König ist von der Gesinnung der Volksvertreter nicht gehörig unterrichtet. Die Stimmung und die Lage des Landes werden ihm falsch geschildert. Es ist daher unsere Pflicht, dem Könige über die wahre Sachlage Aufklärung zu geben. Waldeck trägt auf Schluß der Debatte an. Man kommt zur Abstimmung. Der Waldeck'sche Antrag wird verworfen und der Rodbertus-Berg-Wachsmuth'sche (linkes Centrum) angenommen. In Folge dessen schlägt der Präsident Unruh folgende Commission zur Entwerfung und Uebergabe einer Adresse vor: Arntz, Rodbertus, Bucher, Kirchmann, Berg, Reichensperger, Baumstark, Jacobi, Behnsch, Cieskowski, Hartmann, Ostermann, D'Ester, Wachsmuth u. A. D'Ester. Dringende Interpellation an den Minister des Innern: 1) ob die an den Straßenecken befindliche Bekanntmachung wirklich von ihm ausgegangen und 2) wenn dies der Fall ist, wie der Minister diese Bekanntmachung zu rechtfertigen gedenke. Die Majorität erkennt die Dringlichkeit dieser Interpellation an. D'Ester: Ich will Sie nicht lange hier aufhalten. Der Herr Minister droht in seinem Plakate mit Heranziehung des Militärs zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung, in einem Augenblick, wo die ganze Stadt in der größten Aufregung sich befindet. Minister Eichmann: Es ist Ihnen bekannt, wie uns früher lebhafte Vorwürfe gemacht wurden, weil wir nichts zum Schutze der Personen der Abgeordneten gethan. Daß es der Bürgerwehr nicht möglich war, die Ordnung aufrecht zu erhalten, haben Sie alle empfunden. Deshalb hält es das Ministerium für seine Pflicht, das Militär, wenn es nothwendig ist, zu requiriren. Die betreffenden Behörden, welche die Bekanntmachung erwähnt, sind die Stadtbehörden und der von denselben ausgegangene Sicherheitsausschuß und der Präsident der königl. Polizei. D'Ester: Ich kann mich mit dieser Antwort keineswegs zufrieden erklären. Wenn sich der Minister auf die ihm früher gemachten Vorwürfe beruft, so mögen Sie nur bedenken, daß diese von einer Minorität ausgingen. Auf die Vorwürfe des ganzen Volkes ist der Minister nie eingegangen. Er hat dem Ansuchen einer Minorität nachgegeben, weil sie reaktionäre Maßregeln vorschlagen. Ich muß den Minister daran erinnern, daß nach dem Bürgerwehrgesetz es nur dem Commando der Bürgerwehr zusteht, Militär zu requiriren. Seine Maßregel ist daher jedenfalls eine ungesetzliche, die wir nicht billigen können. (Die Rechte unterbricht den Redner mehrmals durch ihren Skandal bei den Worten „reactionäre Maßregel“ etc. Die Linke stimmt dem Redner durch Bravo bei; auch das Centrum Bravo!) Abg. Behrends macht die faktische Bemerkung, daß das Commando der Bürgerwehr bereits gegen die gesetzwidrige Bekanntmachung des Ministers protestirt habe. Hierauf wird die Sitzung eine Stunde vertagt (von 3 bis 4 Uhr) damit die 25er Commission die Adresse an den König entwerfe. Während dieser Pause wird der Platz vor dem Sitzungshause (der Gendarmenmarkt) mit einigen tausend Mann Bürgerwehr, welche eine dreifache Chaine bilden, besetzt. Die bewaffneten Maschienenbauer haben den Platz vor dem Hauptportal besetzt; jedoch so, daß noch eine große Masse gebildeter Leute, welche neugierig dem Ausgange der Berathungen entgegenharren, und auch viele andere aus den niedern Classen den innern Raum des Platzes ausfüllen. Der Eingang zu den Tribünen in der Charlottenstraße ist noch ganz frei. ‒ Die Bürgerwehr und die fliegenden Corps sind in der ganzen Stadt consignirt um einem Gewaltstreiche der Reaction vorzubeugen. Um 4 3/4 Uhr wird die Sitzung wieder eröffnet, und die von der Kommission einstimmig angenommene Adresse wird verlesen; sie lautet: „Majestät! In Folge der Benachrichtigung, daß der Graf Brandenburg mit der Bildung eines neuen Kabinets beauftragt ist, hat die Nationalversammlung in ihrer heutigen Sitzung den Beschluß gefaßt, aus ihrer Mitte eine Deputation an Ew. Majestät zu entsenden, um Sie in Kenntniß zu setzen, daß dieser Schritt Ew. Majestät die größten Besorgnisse im Volke erregt und unabsehbares Unglück über das Land zu bringen droht. Schon seit Wochen haben unheilvolle Gerüchte, Ew. Maj. treues Volk über die Absichten der Reaktion erschreckt, und die Ernennung des jetzt abgetretenen Ministeriums hatte diese Gerüchte nicht zu schwächen vermocht. ‒ Eine Regierung unter den Auspizien des Grafen Brandenburg, welche wiederum ohne Aussicht ist eine Majorität in der Nationalversammlung und Vertrauen im Lande zu gewinnen, würde die Aufregung unzweifelhaft zum Ausbruch steigern und unendlich traurige, an das Geschick eines Nachbarstaates erinnernde Folgen für Ew. Majestät Hauptstadt und Land nach sich ziehen. Ew. Majestät sind von Ihren bisherigen Räthen über den Zustand des Landes nicht wohl unterrichtet worden, wenn man Ihnen die Gefahren für Thron und Land verschwiegen hat, welche aus solcher Ernennung erwachsen. Wir legen deshalb die eben so ehrfurchtsvolle als dringende Bitte. Ew. Majestät ans Herz, ein Herz, das stets für das Wohl des Volkes geschlagen hat, dem Lande durch ein volksthümliches Ministerium eine neue Bürgschaft zu geben, daß Ew. Majestät Absichten mit den Wünschen des Volkes in Einklang stehen. ‒“ Diese Adresse wird ohne alle Diskussion fast einstimmig angenommen. Minister sind nicht anwesend. Nach Annahme der Adresse trägt die Rechte auf Schluß der Sitzung an Es ist aber ein, von der Prioritäts-Commission als dringlich anerkannter, Antrag eingereicht der laut Beschluß der Versammlung zur Debatte kommen muß. Der Antrag ist von den Abg. Schulze (Delitsch) und Pilet (schwankende Linke) und lautet: „Die Sitzung nicht eher zu schließen als bis die an den König nach Potsdam gesanndte Commission zurückgekehrt ist, und ihren Bericht abgestattet hat.“ „Das ist eine Permanenz-Erklärung“ ruft die Rechte und bestreitet die Dringlichkeit des Antrages. Rehfeld: Wir haben heute so viel von Spannung und Aufregung gesprochen, aber diese Aufregung findet sich nicht im Lande sondern nur in dieser Versammlung. Die Redner der Rechten werden von der Linken tüchtig abgefertigt und die Dringlichkeit in namentlicher Abstimmung mit 189, gegen 122 Stimmen anerkannt. Nach dieser Abstimmung entfernte sich die Rechte in Masse, um die Versammlung beschlußunfähig zu machen. Nach der Geschäftsordnung findet der Namensaufruf der Anwesenden statt um zu sehen ob die Versammlung noch beschlußfähig ist. Der Präsident verkündet, daß nur 187 Abgeordnete anwesend sind. Ein Redner bemerkt, daß die Versammlung dennoch beschlußfähig sei, weil sich 25 Mitglieder und die Präsidenten in Potsdam als Deputation beim König befinden. Wenn diese zurückkehren sind wir beschlußfähig. Abg. Temme meint, da es dem Präsidenten zusteht die Sitzung zu schließen und anzuberaumen, so kann sie derselbe auf einige Stunden bis um 9 Uhr vertagen. Die Abg. Schulze (Wanzleben) und Andere erklären, daß obgleich die Versammlung in diesem Augenblicke nicht mehr beschlußfähig sei, sie doch Alle hier bleiben würden. Der Präsident Phillipps erklärt, daß er seinen Platz in diesem kritischen Augenblicke nicht verlassen werde und so lange auf seinem Posten bleiben, bis die Deputation zurückgekehrt sein wird. Diesem Beispiel möge Jeder folgen. Die Abgeordneten verfügen sich größtentheils in die Restauration, welche dicht am Sitzungssaal ist, der Präsident und Andere bleiben im Saal. Die Permanenz der Nationalversammlung ist also eingetreten. Schluß dieses Briefes 7 Uhr Abends. 20 Berlin, 2. Nov. Der gestrige Abend ist ruhig vorübergegangen. Heute zieren zwei Plakate die Straßenecken und Brunnen, eines von unserm ehrenwerthen Bürgerwehrkommandeur, Hr. Rimpler, das andere von unserem noch ehrenwertheren Minister des Innern Eichmann. Hr. Rimpler, der sich dadurch besonders charakterisirt, daß er, wenn er etwas verdorben hat, mit schöngeschriebenen Plakaten post festum kommt, ist heute so gütig in seiner Bekanntmachung sein „innigstes Bedauern“ über die am 31. Oktbr. stattgehabten Vorfälle zwischen Bürgerwehr und Maschinenbauern auszusprechen. Wie mitleidig! Glaubt Hr. Rimpler damit die Todten wieder lebendig zu machen? Hr. Eichmann macht bekannt, daß die Vorfälle vom Dienstag der Regierung die Pflicht auflegten, Truppen zu requiriren, sobald die Bürgerwehr sich als unzureichend erweise. Was diese Bekanntmachung in der Ministerialsprache bedeutet, kann sich Jedermann denken; nämlich: „was wir Euch jetzt in Aussicht stellen, haben wir bereits gethan.“ Die Bekanntmachung des Ministers Eichmann steht indeß nicht zusammenhangslos da. Sie ist in vollem Einklang mit dem Hauptereigniß des Tages, der Ministerkrisis. Das Ministerium Pfuel hat diesmal wirklich abgedankt. Eine nicht contrasignirte Kabinets-Ordre beauftragt den Grafen Brandenburg mit der Bildung eines Kabinets. So wäre also das Längsterwartete eingetroffen und Hr. Eichmann hätte in seinem Schwanenliede seinem Nachfolger nur ein Erbtheil übermachen wollen, um in Erwartung der Dinge, die da kommen würden, die Bourgeoisie ein Wenig ins Bockshorn zu jagen. Aufregung hervorzurufen ist die Ministerkrisis nicht mehr im Stande; sie hat aber die schon herrschende Erregtheit um kein Geringes gesteigert. Ueberall diskutiren zahlreiche Haufen über das Ereigniß, in welchem man das Signal zum Kampfe sieht. Das Schauspielhaus, wo sich die Vereinbarer heute Nachmittag wieder versammelt haben, ist von einem Bataillon Bürgerwehr besetzt. Große Volksmassen strömen auf dem Gendarmenmarkte hin und her, auf den Beschluß der Versammlung harrend. Das Schloß ist stärk besetzt und die bekannten Gitterthüren sind geschlossen. Auch in andere öffentliche Gebäude ist Bürgerwehr gelegt. Die fliegenden Korps der Studenten, Künstler, Handwerker, Maschinenbauer und jungen Kaufleute sind in ihren Appellplätzen konsignirt. Man spricht davon, daß heute Abend die um die Stadt lagernden Truppen einrücken sollen. Das Vorspiel scheint beendet. 14 Berlin, 2. Nov., Abends. Es ist in der Nachmittagssitzung der Versammlung eine Adresse an den König beschlossen worden, worin er von der Lage des Landes benachrichtigt wird. Eine Deputation von 21 Mitgliedern begibt sich nach Potsdam und muß noch heute Abend zurückkehren. Die Versammlung bleibt so lange permanent. Die Antwort des Königs ist entscheidend. Vor dem Schauspielhause steht viel Bürgerwehr, aber dem Volke ist bekannt gemacht, daß dieselbe nur zum Schutze der Versammlung und im Nothfall gegen das Militär bestimmt ist. Zwei Plakate von Rimpler werden ausgegeben: das Eine warnt vor jedem Konflikt zwischen Bürgern und Volk; das Andere spricht sich mit Entrüstung gegen die Eichmann'sche Bekanntmachung aus. Von Wien gute Nachrichten, so daß die Stimmung im Volke eine ungemein hochherzige und fast freudige ist. Alle Parteien sind einig gegen die Camarilla. Die Schloßthore sind geschlossen, im Innern steht eine Kompagnie Bürgerwehr. Auch die sämmtlichen Stadtthore sind besetzt: das Oranienburger von den Maschinenbauern, das Hamburger vom Handwerkerverein etc. Kurz, man erwartet mit festem Muthe den Feind, und ist organisirt. 100 Berlin, 31. Okt. Der Kongreß der vereinigten demokratischen Vereine hat seine Sitzungen heute geschlossen. Was hat er gethan? Wie hat er den verschiedenen auf ihn gesetzten Hoffnungen entsprochen? Wir blicken zurück auf seine Ergebnisse und müssen gestehen, sie haben nicht viel Werth, wenn man von dem Kongreß erwartete, daß er eine Revolution machen würde. Seine Resultate sind eine große Volksversammlung, eine Demonstration zu Gunsten Wiens und eine von ihm angeregte Demonstration bei dem Schauspielhause mit Ueberreichung einer Petition, daß die Nationalversammlung die Regierung auffordern solle, so rasch wie möglich der bedrohten Stadt zu Hülfe zu eilen. Wochenlang hat man die Operationen der schurkischen Kamarilla in Oesterreich aus dem freien vereinigten Deutschland angeglotzt und jetzt, wo es in Flammen steht, petitionirt man um Hülfe. Der Schritt der Nationalversammlung hätte schon vor 14 Tagen geschehen müssen. Der Kongreß verschwendete, wie alle Versammlungen, die aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt sind, anfangs seine beste Zeit mit Formalitäten. Wenn der Deutsche nur Akten zusammenschreiben kann, über die gleichgültigsten Dinge lange Reden halten, so ist er zufrieden. Die ersten Tage des Kongresses waren fürchterlich langweilig ‒ die lächerliche Eitelkeit drängte sich bei jeder Gelegenheit hervor, die Amendements wollten kein Ende nehmen, um die Geschäftsordnung zankte man sich wohl hunderte Male, lauter Strohdrescherei. Besonders verschuldet diese Zeitverschwendung der bisherige Zentralausschuß, der nichts vorbereitet, nicht einmal eine Geschäftsordnung entworfen hatte, um den Gang der Debatte abzukürzen. Hr. Kriege bemerkte in seiner Berichterstattung, es habe dem Ausschusse immer an den nöthigen Geldmitteln gefehlt, wenigstens seien sie sehr unregelmäßig eingegangen. Das mag den Ausschuß einigermaßen entschuldigen, freizusprechen von dem Vorwurfe der Unthätigkeit ist er nicht. Nachdem schon durch den Formalitätenkram, bei welchem meist die berliner Demokratie ihre Lichter leuchten ließ, ein großer Theil der Deputirten ermüdet war, kam durch die Berichte der einzelnen Deputirten über den Stand der Demokratie in ihren Provinzen einiges Leben in die Versammlung. Nach diesen Berichten ist Schlesien am weitesten in der demokratischen Bewegung vorangerückt, was die Deputirten dieser Gegend auch mit Betonung hervorhoben. Später wurden Kommissionen zur Berichterstattung über 1) die innere Politik, 2) die äußere, 3) das Verhältniß zum Parlamente in Frankfurt, (!) 4) über die soziale Frage gewählt. Sie haben Bericht erstattet, wie aber buchstäblich die Berichte lauten, habe ich nicht im Gedächtniß behalten. Es wurden die Robespierre'schen Menschenrechte, von Oppenheim modifizirt. verlesen, von einer Seite her aber wurde gegen die Deklaration derselben, als den Ausdruck der Bourgeoisierevolution, protestirt. ‒ Dann hörten wir überflüssige Debatten über das frankfurter Parlament, in Bezug auf welches beschlossen wurde, daß man auf Neuwahlen, Mißtrauensvoten etc. hinwirken, und zu diesem Zwecke eine allgemeine Agitation durch ganz Deutschland veranstalten solle etc. So viel weiß ich, daß es der sozialen Frage am schlimmsten bei der Kommission ergangen ist; die Papiere waren verloren und die soziale Frage mußte sich daher bis zum nächsten Kongresse vertrösten, wo ihre „Lösung“ wohl unzweifelhaft eintreten wird. Bei der kurzen Debatte darüber, welche am vierten Tage stattfand, stellte Friedr. Schnake den Antrag, daß alle Vereine aufgefordert werden sollten, Vorschläge und Anträge, soziale Fragen betreffend, zu diskutiren, an den Zentralausschuß einzuschicken und diesen zu verpflichten, daß er einen Generalbericht darüber veröffentliche. Der Antrag wurde angenommen, ein anderer, die Berufung eines sozialen Parlamentes betreffend, vorläufig abgelehnt. Ein Bericht, in seinen Grundzügen kommunistisch, wurde von Bercht verlesen und der Kongreß beschloß, diese §§. allen Vereinen zur Besprechung und Begutachtung zu überweisen. Das war alles was wir im Kongreß über die „soz. Frage“ gehört haben, mehr schon als die Leute wünschten, da nach deren Ansicht der Kongreß nur zu dem Zwecke zusammengekommen war, um den in Frankfurt schon einmal beschlossenen Organisationsplan noch einmal zu beschließen. Schon am zweiten Tage wurde von einer Seite der Versammlung versucht, diesem Formalitätenkram ein Ende zu machen. Daraus bildete sich eine Art Partei, die sich zur „rothen Republik“ bekennen wolle, und sich von da regelmäßig privatim versammelte. Das Wort „Partei“ gefiel den Andern nicht, sie machten den Parteimännern Vorwürfe, daß sie Spannungen und Spaltungen hervorriefen. Als wenn nicht in jeder größern Versammlung Meinungsverschiedenheit zur Parteibildung führen müßte. Genug, beide Parteien trampelten und trommelten und es entstand ein solcher Wirrwar, daß die Lenker dieser Stürme, die Präsidenten Hamberger und Dr. Asch aus Breslau, erzürnt ihr Scepter niederlegten. Dem Dr. Asch folgten einige Andere, die ihren Austritt für sich, nicht für ihre Vereine, aus dem Verband erklärten. Die andern entschiedenen Schlesier protestirten gegen das Verfahren ihrer Landsleute, daß sie sich durch einigen Lärm bewegen ließen, auszutreten, bewogen vielleicht nur durch ihre Eitelkeit und ihren Zorn, ihre Privatansichten nicht zur ausführlichen Geltung bringen zu können. Wir sind überzeugt, die Vereine jener Herren werden dieses Verfahren ebensowenig billigen. Jene entschiedenere Partei bewirkte auch, daß wenigstens eine Volksversammlung, Tagesordnung Wien, unter den Zelten abgehalten wurde, kurz, daß die Theilnahme für die unglückliche Stadt und eine entscheidende Handlung und Hülfe angeregt wurden. Angeregt? Konnte der Kongreß mehr thun, wenn seine Mitglieder am letzten Tage bis auf 50-60 zusammengeschmolzen waren, wenn die Berliner Demokratie überhaupt so wenig zur Anregung des Volkes that? Dieser Berliner Demokratie fehlt es an allem Zusammenhange der einzelnen Glieder untereinander. Von der Demonstration am Schauspielhause ist nichts besonderes zu berichten, als daß einige langweilige Reden gehalten, das Volk bis zum andern Tage auf eine Entscheidung vertröstet wurde. Bürger Ruge hatte eine Volksversammlung auf diesen Tag anberaumt, erschien aber nicht. Warum dem Volke Arbeitszeit und Arbeitslohn rauben, warum es zusammenberufen, wenn man ihm Nichts zu sagen hat? Man entmuthigt es, und sein Vertrauen zu seinen Führern schwindet. Wie wir hören, sollen einzelne Klubs über das Auftreten einiger sogenannten Führer und Redner in diesen Tagen sich sehr hart mißbilligend ausgesprochen haben. Am Abende, als über den Antrag von Waldeck: „daß die preuß. Regierung dem bedrohten Wien mit allen Kräften sofort zu Hülfe eilen solle“ in der Nationalversammlung verhandelt wurde, wogte die Masse um das Schauspielhaus herum, und die Trommeln der Bürgerwehr wurden gerührt. Wo waren da die Volksmänner, Redner u. s. w.? Der Antrag Rodbertus „daß die Centralgewalt aufgefordert werden solle von der preuß. Regierung, daß sie aus allen Kräften der bedrohten Volksfreiheit und dem Reichstage Wiens zu Hülfe eilen möge“ etc. ist eine offizielle leise Ohrfeige für den Reichsverweser. Hr. Schmerling und Peucker sollen Wien zu Hülfe eilen! Lächerliches Gaukelspiel, Diplomatenbetrug! Zwei Reichskonstabler werden sie wieder nach Olmütz schicken zum Kaiser. Das Volk von Berlin ist sehr gespannt, wie die Regierung den Beschluß ausführen wird. Der Kongreß wurde am 31. Okt. Abends geschlossen; ein Antrag auf Permanenz verworfen. Die entschiedenere Partei hat gethan, was sie thun konnte; fremd und unbekannt mit den Verhältnissen Berlin's und gar nicht unterstützt von den Berliner Demokraten. Von diesem Kapitel später. * Berlin, 2. Nov. Die „Neue Preuß. Zeitung“ (Ritterin vom Landwehrkreuz „mit Gott für König und Vaterland“) verlegt die Nationalversammlung nach Schwedt. Man höre: In der Stadt geht das Gerücht, daß in Folge der vorgestrigen Vorgänge die Nationalversammlung nach Schwedt verlegt werden soll. Dieselbe Zeitung berichtet sodann noch folgendes amusante Diktum: Ein Mann des Volks theilte am Abend des 31. der versammelten Menge den Erfolg der Abstimmung in der Nationalversammlung mit folgenden Worten mit:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Marx-Engels-Gesamtausgabe: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-20T13:08:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jürgen Herres: Konvertierung TUSTEP nach XML (2017-03-20T13:08:10Z)
Maria Ermakova, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Frank Wiegand: Konvertierung XML nach DTA-Basisformat (2017-03-20T13:08:10Z)

Weitere Informationen:

Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz135i_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz135i_1848/3
Zitationshilfe: Neue Rheinische Zeitung. Nr. 135. Köln, 5. November 1848, S. 0685. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_nrhz135i_1848/3>, abgerufen am 18.12.2024.