Neue Rheinische Zeitung. Nr. 93. Köln, 3. September 1848.Für die Dringlichkeit dieses Antrags stimmt nur die Linke. Während der Abstimmung über die Dringlichkeit schreit einer im Centrum schnell und laut: "Sitzen bleiben." Centren und Rechte bleiben sitzen. Dies ist charakteristisch. Tagesordnung: 1. Wahl des Präsidenten. Stimmende 436. Gagern 396. Hermann aus München 31. Blum 2. Soiron 2. Simon (Breslau), Kotschy, Beisler, Rotenhahn, Hermann aus Sachsen je eine Stimme. Also der "Edle" wieder erster Präsident. Furchtbares Bravo und Händeklatschen. Gagern hält die gewöhnliche, rührende (diesmal kurze) Antrittsrede. (Bravo). 2. Wahl des ersten Vizepräsidenten. Gewählt haben 435. Soiron 284. Hermann 141. Blum 2. Brentano 1. Grävel 1. v. Schnuk 1. Simon (Breslau) 1. Gagern: Also ist Soiron erster Vizepräsident. (Bravo und langes Zischen). Soiron: Meine Herren, ich danke Ihnen für die Neuwahl und werde meine Pflicht wie bisher thun. (Furchtbaaes Gelächter, Trommeln, Bravo und Zischen.) (Hr. Soiron hat ganz recht, die Versammlug wegen seiner Neuwahl obendrein zu verhöhnen.) Präsident verliest eine Erklärung der äußersten Linken und mehrerer anderer Abgeordneten, die gegen die Wahl Soirons namentlich protestiren, und wegen der daraus entspringenden nachtheiligen Folgen zum Voraus ihre Hände in Unschuld waschen. (Rechts Zischen; links Ruhe; rechts die Namen). Präsident verliest sie; (Zischen). Es treten noch drei Abgeordnete bei. 3. Wahl des zweiten Vicepräsidenten. Von 417 Wählenden hatte v. Hermann 270 Stimmen, Simon (Breslau) 108, Simson (Königsberg) 13, Soiron 1, Radowitz 15, Schüler aus Jena 2, Blum 2, Kotschy 1. Also v. Hermann die absolute Majorität. (Bravo). v. Hermann. Dankt, daß man ihn aufs Neue zum Gehülfen des edlen Mannes, auf den Deutschland mit Stolz blickt, gewählt. Wird nach der Geschäftsordnung den Willen der Versammlung vollführen. (Bravo). Veit von Berlin macht im Namen seiner Buchhandlung in Berlin der Versammlung dasselbe Anerbieten wie der obenerwähnte Hahn aus Hannover. Die Versammlung votirt Hrn. Veit einstimmigen Dank, und überläßt wie früher die Auswahl der Bücher den verschiedenen Ausschüssen. Schwetschke aus Halle stellt gleichfalls seine Buchhandlung zu derselben Disposition. (Ungeheure Freude, abermals Dankvotum etc.) Präsident zeigt viele Beiträge zur Flotte an, u. A. 497 Fl. von den Deutschen in Konstantinopel). Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung. Murschel, Berichterstatter, empfiehlt die Ausschußanträge. Nach einer von häufigem Schlußruf unterbrochenen Diskussion, in der viele Amendements vorkommen und die um so unerquicklicher ist, je breiter sich darin der kleinigkeitskrämerische Bürgerverstand geltend machen kann, wird mit geringer Modifikation der Ausschußantrag angenommen, folgenden Inhalts: Jeder Ausschuß schlägt für eine entstehende Lücke 3 Mitglieder vor, aus denen die Versammlung wählt. Nach einem frühern Antrag Soirons (den ich bereits gemeldet) beschließt die Versammlung die alten Schulden des Fünfziger-Ausschusses an die Stadt Frankfurt mit Dank zurückzuzahlen. Nach einem fernern Antrage beschließt die Versammlung fast einstimmig, dem Fünfziger-Ausschuß den Dank der deutschen Nation auszusprechen und demselben nachträglich die Reisekosten und 3 Thlr. tägliche Diäten für die Zeit seines Beisammenseins aus der Reichskasse zu vergütigen. (Gegen den letztern Beschluß stimmte die äußerste Rechte). Der Vicepräsident Hermann berichtet über 13 Urlaubsgesuche die seit dem 25. d. M. eingelaufen, darunter eins des Grafen v. Auersperg "auf unbestimmte Zeit." (Mißbilligung). Präsident v. Gagern theilt betreffs des Gesetzentwurfs über Minister-Verantwortlichkeit 3 Anträge mit. Der erste von Biedermann, "die Amendements zu diesem Entwurf dem Ausschuß vor der Diskussion einzureichen, um durch Kenntnißnahme derselben die Diskussion zu erleichten." Ein zweiter von Radowitz, Bally, Rothenhahn und andern Reaktionären, "die Berathung des Gesetzentwurfs wegen Ministerverantwortlichkeit hinauszuschieben bis nach vollendeter Berathung der Grundrechte, (Rösler höhnisch vom Platze: "ich sehe keine Reaktion") und zwar wegen der großen Dringlichkeit der Grundrechte," (von denen die Rechte am besten weiß, daß sie nie in Kraft treten werden). Einen dritten Antrag stellt Gagern selbst, "nach Biedermanns Vorschlag die Amendements binnen 12 Tagen einzureichen und also bis dahin die Berathung auszusetzen." Mit Gagerns Antrag giebt man sich zufrieden. Schluß der Sitzung 2 Uhr. Tagesordnung für morgen: 1. Beantwortung verschiedener Interpellationen seitens der Minister; 2. Erledigung der Gallerie-Zuhörerfrage; 3. Fortsetzung der Grundrechte. * Berlin, 31. Aug. Ungeachtet aller Anstrengungen ist es den Polizisten bis gestern Abend nicht geglückt, den gegen Herrn Karbe und Herrn Edgar Bauer erlassenen Verhaftsbefhl zu vollstrecken. Ersterer ist mehrfach öffentlich erschienen, war aber jedesmal mit einer so starken Leibgarde seiner Anhänger umgeben, daß die Polizeibeamten nicht wagen konnten Hand an ihn zu legen. In der gestern Abend erschienenen Zeitungshalle macht er sogar selbst öffentlich bekannt, daß der Polizei seine Verhaftung noch nicht gelungen sei. 69 Berlin, 31. Aug. Das Polizeigericht hat heute das Urtheil gegen die Herren Schramm, Löwinson, Edgar Bauer und Eichler wegen Betheiligung bei mehreren nicht der Polizei angezeigten Volksversammlungen gesprochen. Die drei ersten wurden für schuldig erachtet, und jeder zu einer Geldbuße von 5 Thlrn. verurtheilt; Eichler wurde wegen mangelnden Beweises frei gesprochen. Berlin. Die Berliner Nachrichten melden, daß der von Hrn. von Below überbrachte siebenmonatliche Waffenstillstand bereits vom Könige unterzeichnet worden sei. Nach der Voss. Ztg. sollte Hr. v. Below am 31. mit der Ratifikation nach Lübeck abgehen, um dort die Auswechselung der Ratifikationen vorzunehmen. 103 Berlin, 31. August. Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. -- Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung des Bürgerwehr-Gesetzes. -- Nach Erledigung der Tagesgeschäfte, bringt der Präsident Grabow den in letzter Sitzung amendirten §. 44. zur Abstimmung; derselbe wird einstimmig angenommen und lautet: §. 44. Die Anführer der Bürgerwehr, werden von allen Bürgerwehrmännern der Dienstwehrliste (§. 15.) gewählt. Die folgenden 3 §§. werden einstimmig angenommen, sie lauten: §. 45. Ist die Bürgerwehrmannschaft in einer Gemeinde geringer als eine Kompagnie, so wählen sämmtliche Bürgerwehrmänner der Dienstwehrliste die Führer der Rotten, und wenn sie einen Zug bilden, auch den Zugführer und dessen Stellvertreter. §. 46. Besteht die Bürgerwehrmannschaft in einer Gemeinde aus einer oder mehreren Kompagnien, so wählt jede Kompagnie ihren Hauptmann und die übrigen Anführer. §. 47. Ist die Kompagnie aus der Bürgerwehrmannschaft zweier oder mehrerer Gemeinden zusammengesetzt, so wir der Wahlakt der gemeinschaftlichen Anführer in derjenigen Gemeinde vorgenommen, welche die stärkste Bürgerwehrmannschaft hat. Mehrere Zusatz-Paragraphen betreffend die Wahl der Majors und Obersten werden lebhaft debattirt. Abg. Mathäi: Durch die Annahme des amendirten §. 44. haben wir das Prinzip der direkten Wahlen ausgesprochen, dadurch fallen §§. 50 und 51, welche indirekte Wahlen vorschreiben, von selbst weg es wir müssen daher neue Bestimmungen über die zweckmäßigste Wahl der Majors und Obersten eingeführt werden. Meiner Ansicht nach kann die Wahl dieser Oberoffiziere ganz nach demselben Grundsatze stattfinden, wie die der Zugführer und Hauptleute. -- Abg. Berends: Nimmt sein Amendement zurück und schließt sich dem des Abg. Mathäi an. Minister des Innern Kühlwetter: Es ist in allen konstitutionellen Staaten Grundsatz den König aus der Diskussion zu lassen. Bei Gelegenheit der Eidesleistungen hat man schon die Person des Königs in die Diskussion verwickelt. Hier handelt es sich eigentlich darum der Krone eine Ehrenleistung zuzuwenden, die in der Ernennung der Obersten der Bürgerwehr liegt. -- Es ist die Regierung aufs Wesentlichste dabei interessirt, daß der Oberbefehl keinem Manne übergeben werde, der die Regierung vielleicht ihr Vertrauen nicht geben könne. Abg. Waldeck: Das Prinzip der indirekten Wahl der höheren Anführer ist gefallen und man will noch an der Kanditatenliste festhalten. Eine solche Wahl repräsentirt aber nie die wahre Meinung des Volks. Der Minister des Innern wünscht daß der Regierung ein Einfluß auf die Wahl der Obersten gestattet werde. Das Ministerium wird dann den Kommandeur jedesmal in seinem eigenen Geiste wählen. Minister-Präsident glaubt, daß die Regierung ein mäßiges Verlangen stellte, denn der vorgeschlagene Candidat ist entweder der Mann des allgemeinen Vertrauens dann wird ihn auch die Regierung wählen, oder er ist für absichtliche Zwecke gewählt, dann wird ihn die Re- gierung recusiren müssen. -- Minister Hansemann: Der Rede des Abg. Waldeck liege nur die Idee zu Grunde, ein Theil der Nation oder der Bürgerwehr befinde sich in einem Gegensatze zur Regierung. Das konstitutionelle Ministerium ist gestützt auf die Majorität des Landes. (Baden, Belgien!) Ich glaube wohl, daß einer solchen Regierung ein Einfluß auf die Wahl zu gestatten ist. Alle Ministerien haben Einen Grundsatz zu verfolgen, nämlich den, die öffentliche Ordnung zu erhalten. Es kann daher nur darauf ankommen, ob der Kommandeur ein tüchtiger, zuverlässiger Mann sei. Der Herr Abg. moge doch nach Paris gehen und sich überzeugen, ob sich jetzt noch Jemand über die Februar-Ereignisse freuet! (Als ob man da nach Paris zu gehen brauche!) Im Juni haben sich die Nationalgarden zum größten Theil sehr gut geschlagen. (!!) Es ist Gefahr, daß die Nationalgarde sich nicht gut (gegen das Volk) schlage, wenn das Volk sie im Gegensatze zur Regierung frei wählt. -- Minister Kühlwetter berichtigt: Wenn ich von einer gewissen Ehrfurcht gegen den König gesprochen, so habe ich damit nur von der Krone gesprochen, an die Ehrfurcht für eine bestimmte Persönlichkeit habe ich aber nicht gedacht. Abg. Jung. Der Minister des Innern sagt: Die Bürgerwehr solle ein Organ der executiven Gewalt sein, nein! Die Bürgerwehr soll ein Wächter der executiven Gewalt sein. -- Man spricht von Vertrauen. Ich kenne aber das Gefühl der Pietät, das man von uns verlangt, nur Personen nicht Sachen gegenüber. Die Engländer haben nur Pietät gegen ihre freie Verfassung und sie würden sich durch das Wort Pietät nicht ihre Rechte verkummern lassen. -- Abg. Temme: Ich weiß nicht wie weit das gegenwärtige Ministerium bereit ist, die Verheissungen die bei der Errichtung dieses Instituts von dem damaligen Ministerium gegeben wurden, zu erfullen. Damals wurde die freie Wahl der Führer und eine Verfassung auf der breitesten Grundlage versprochen. Das Volk wird sich nur solche Männer zum Kommandeur wählen, die sein Vertrauen besitzen und dagegen sollte eine Regierung nie etwas einzuwenden haben. -- Minister Milde: Spricht sehr langweilig über Vertrauen. -- Abstimmung: Der Prasident giebt dem Amendement des Abg. Kunth die Priorität, welches lautet: "Der Oberst wird vom Könige, aus einer Liste von drei Kandidaten, welche in Gemäßheit des §. 44. seqq. gewählt werden, ernannt." Die namentliche Abstimmung ergiebt 225 Stimmen dafür; 136 Stimmen dagegen. -- Ministerielle Majorität 89 Stimmen. -- Rodbertus und v. Berg stimmen mit der Linken. Hierauf werden verschiedene Zusatz-Amendements über die Art der Wahl der Kandidaten der Majors und Obersten angenommen und deren Redaktion dem Berichterstatter uberwiesen; ebenso der ursprüngliche §. 48 angenommen. Der §. 49 erhält auch durch ein Amendement des Abg. Mathäi eine andere Fassung und lautet jetzt: "Ueber Beschwerden gegen die Gültigkeit der Wahlen bis zum Hauptmann einschließlich entscheidet, vorbehaltlich der Berufung an die Kreisvertretung, die Gemeindevertretung des Wahlortes." "Ueber Beschwerden gegen die Gültigkeit der Wahlen des Majors und Obersten entscheidet diejenige Kreisvertretung, in welcher der Wahlort liegt, vorbehaltlich der Berufung an die Bezirksvertretung." "Sowohl für die Beschwerden über die Gültigkeit der Wahlen, als auch für die Berufung an die Kreisvertretung findet eine präklusivische Frist von 10 Tagen Statt." "An der Entscheidung nehmen diejenigen nicht Theil, welche bei der angegriffenen Wahl als Gemeindevorsteher, Protokollführer oder Stimmzähler Theil genommen haben." Die ursprünglichen §§. 50 und 51 fallen weg und sind durch die Amendements Kunth und Mathaei ersetzt. Schließlich werden noch die §§. 52, 53, 54 mit kleinen Abänderungen angenommen. Bei §. 53 hat zwar eine längere Debatte über das Amendement des Abgeordneten Weichsel Statt gefunden, daß die Wahlen alle Jahre erneuert werden sollten, indem eine Dienstzeit von drei Jahren eine gewisse Stabilität herbeiführen würde; die Linke unterstützte dies Amendement, welches jedoch verworfen wurde Hierauf Schluß der Sitzung. Das Bürgerwehrgesetz wird erst in der nächsten Woche bis zu Ende berathen werden. Zur morgenden Sitzung liegen außer dem Gesetz über die Erhöhung der Rübenzucker- und Maischsteuer und dem Bericht der Central-Abtheilung wegen Unterstützung der verarmten Krieger aus den Feldzügen von 1813-15, noch ein dringender Antrag des Abg. Nenstiel wegen sofortiger Abschaffung der Hofedienste (Robot) und die Antwort des Ministers des Innern auf die Interpellation des Abg. Berends, wegen der Haussuchung im Handwerkerverein, vor. 61 Wien, 28. August. Sitzung des Reichstags vom 26. August. Auf der Tagesordnung stand der Schluß der Berathung über den Antrag Kudlichs. Umlauft, ein sonst guter Demokrat, der aber dennoch erst Handschuhe anzieht, wenn er sich mit einem Minister einläßt, protestirt dawider, daß ihm der Präsident gestern das Wort nicht gestattet; als er sich gegen Vorwürfe des k. k. öste#r. Hofdemokraten und Ministers Dobblhoff habe verwahren wollen. Goldmark schließt sich mit einem unbehandschuhten Proteste seinem Freunde an. Auf den Frachtwagen der Amendements zu Kudlichs Antrag werden neu unterstützte aufgeladen, andere von ihm herabgenommen. Das Centrum huldigt inzwischen der Verdauung. Ein Abgeordneter, ich glaude Volkmar, fleht, aus Barmherzigkeit die Amendements zu beseitigen, weil man sich mit diesem Heuwagen ohnehin schon vor dem Publikum lächerlich gemacht. (Zischen). Fällt beim Abstimmen durch, denn nur die Linke erhebt sich aus dem Verdauungswerke, der Bauch bleibt sitzen. Jetzt kommen Interpellationen. Doch nicht Löhner, sondern der Ritter v. Lasser, Dr., Aktuar und Hofkammerprokurator erhebt sich mit seiner Gustav-Adolf-Miene, um den Minister des Aeußern zu fragen, ob derselbe von der Volksbewegung in der Walachei etwas erfahren und welche Politik er derselben gegenuber befolgt habe und zu befolgen gedenke; ob die aus der Walachei hier angekommene Deputation zur Anrufung des österr. Schutzes von dem Minister empfangen worden u s. w. Wessenberg, ein Mann von mehr als 70 Jahren, von denen er etwa 35 im deutschen Bundesvatikan zugebracht, bis er am 26. Mai durch die Schlauheit der damaligen s. g. Demokraten ins Ministerium des österr. Aeußern verrückt wurde, aus welchem er indessen vor einigen Tagen in Wien erst eingetroffen ist, steht auf mit dem Ansehen einer Erscheinung aus dem Kyffhäuser. Seine Mundgestikulationen verrathen, daß er sprechen will, um seine Gedanken zu verbergen. Lautlose Stille; kein Ton von Menschenstimme läßt sich vernehmen; jeder horcht und hort nichts; selbst die Stenographen sind unthätig Wirklich ein interessanter Moment für den, welcher noch niemals Gelegenheit gehabt, eine lebende Protokoll-Ruine des vermoderten deutschen Bundes zu sehen. -- Ritter v Lasser aus Ober-Oesterreich merkt sich's, rückt an und nähert mit Kavalier-Anstand sein Ohr dem ministeriellen Munde. Der ganze Reichstag sammelte sich um den verwittweten Bundestagsrest, aber selbst Ritter v. Lasser ist nicht im Stande, ihm etwas abzulauschen. Diese Gelegenheit benutzt Dobblhoff, sich dreinzumischen und dem zudringlichen Interpellanten etwas in's Ohr zu raunen, worauf sich derselbe entfernt und die Bundestags-Scene bis auf einigen Privatklatsch im Centrum ein Ende hat. Wessenbergs Rede ward den Stenographen später schriftlich zugestellt und wird -- gewiß zum Erstaunen aller Bundestagsleichen -- morgen in Europa stenographirt auftreten. -- Eine zweite Interpellation ist ebenso unvernehmbar; worauf der Abg. Kudlich Doktorand der Rechte aus Schlesien, eine durch Rede, Humor und Aeußerlichkeit pikante Persönlichkeit, als Antragsteller das Schlußwort erhält. Mit satyrischer Begeisterung erinnert er die Versammlung an den begeisterten Zuruf mit dem sie ihn vor 4 Wochen begrüßt, als er seinen Antrag gestellt habe und sagt: Er werde ka t und kurz zu sein streben, um die Versammlung vor fernerem Enthusiasmus zu bewahren; man habe seinen Antrag ein aus einem Lorbeer entsprossenes Kleeblatt genannt und es sei in der That vielleicht besser, daß derselbe ein Boden geworden für nahrhaften Klee, als für ungenießbaren Lorbeer. Wenn der Reichstag sich durch den Antrag, wie man gesagt, zu gefährlicher Begeisterung habe hinreißen lassen, so könne er sich jetzt, wohl schon darüber verantworten, nachdem die Berathung darüber mehr als 14 Tage gedauert. Man sei jetzt so klug wie zuvor, obgleich man die Sache aus tyrolischem, böhmischem, juridischem, politischem, kroatischem, galizischem u. s. w. Gesichtspunkte betrachtet habe. Von dem Dampfwagen, welchem wie der Abg. Borrosch gemeint, ein Hemmschuh anzulegen, sei ihm nichts vorgekommen; der Dampf habe die Versammlung nicht so forttreiben können, weil die Maschine tüchtig mit der Geschäftsordnung geheitzt worden sei u. s. w. Was die Entschädigung betreffe, so sei er der Meinung, dieselbe müsse eine Ausnahme sein für die Fälle, wo das Verhältniß aus einem Privatvertrage entstanden, dergleichen er selbst kenne. Für die Abgeordneten, welche sich auf die Grundbücher berufen und die Herrschaften als Besitzer bezeichnet, bemerke er, daß er gewünscht, sie hätten sich mehr auf die Grundbücher des Menschenrechts berufen, worin von Tazitus bis Rotteck, und seinetwegen auch bis auf Palecky, alle Bauern als gleichberechtigte Staatsbürger ursprünglich verzeichnet stünden. (Palecky nickt bejahend mit dem Kopfe). Von einem Verhältniß wie zwischen Gläubiger und Schuldner, konne hier durchaus nicht die Rede sein, wohl aber lediglich nur von dem zwischen einer herrschenden und beherrschten Kaste. "Als die Völker ackerbauend wurden," fährt er fort, "verdroß es sie, in den Krieg zu ziehen; sie zahlten einem Theile der Lust dazu hatte, eine Entschädigung dafur, daß er für sie in den Krieg ziehe. Auf der einen Seite wuchs nun die Gewalt, während auf der andern die Schwäche und die Bundesfürsten gaben dann zur Unterdrückung ihre Sanktion. So entstand das Verhältniß, um welches es sich handelt und welches den Völkern zur Warnung dienen soll, daß sie sich nie die Wehrhaftigkeit entreißen lassen sollen." Der Unterstaatssekretair Mayer habe mit politischer Weisheit von dem Entstehen eines Proletariats, andere von Kommunismus gesprochen, überhaupt nur wider den Bauer, nicht aber wider den Gutsbesitzer plädirt und den Anschein gewonnen, als interessirten sie sich um das Proletariat, davon könne indessen vorläufig um so weniger die Rede sein, als der Bauer, wenn er dem Gutsherrn nichts mehr zu leisten und zu zahlen habe, das allenfallsige Proletariat mit mildernder Hand in Thätigkeit setzen und beseitigen werde. (Großer Beifall). Borrosch und Helfert legen gegen ihre Namensnennung Protest ein, wogegen Kudlich fragt, wofür sie ihre Namen denn trügen, wenn sie nicht genannt sein wollten. Justizminister Bach (im Juni blutrother Demokrat, im August antidemokratischer Minister) besteigt pfiffig lachend und um sich blickend die Tribüne. Kudlich: Die Debatte ist geschlossen. Präsident beruft sich auf einen Paragraphen der Geschäftsordnung, welcher dem Minister zu jeder Zeit das Wort gestatte. Justizminister spricht nun in einer langen schlauen Ministerrede gegen den Antrag, deren Piedestal in Verhältnissen aus allen menschlichen Verhältnissen, in centnerschweren Bedenken über diese Verhältnisse, in Recht, Eigenthum und gar in Nationalehre, kurz in einem fuchsschwänzigen Bourgeois-Balast besteht, aus dessen Annahme das Ministerium eine Kabinetsfrage machen will. (Das Centrum erschreckt). Er will dem Reichstag blos den Anspruch eines in Entschädigung einbalsamirten Prinzips lassen, welches dann im Mumienkasten der Provinziallandtage in egyptische Finsterniß begraben oder zu deutsch, ins Leben gerufen, ausgearbeitet werden soll. Nicht zweideutige Worte und Humanitätsrücksichten, sondern Recht, Eigenthum, Nationalehre (?) müßten den Beschluß des Reichstags leiten. Dies geschehe auch in Deutschland; Frankfurt und Berlin hätten es ebenfalls gethan. Vor Allem müsse man gerecht sein, mit der Gerechtigkeit erlange man die Freiheit. Nach dem Abtritt dieses Juni-Demokraten wackelt Finanzminister Kraus zum Stuhl, um in einem halbstündigen Minister-Salbader, in welchem ebenfalls viele Eigenthums- und Oekonomiebeweise vorkamen, zu verkünden, daß der Staat einen Theil der Entschädigung übernehmen würde. Beide Minister wußten unter dem Gewäsche übrigens einen nicht zu übersehenden Takt zu beobachten; sie adressirten sich zu verschiedenen Malen nämlich an Stadions apostolische Bauern aus Galizien, die die Entschädigung mit dem Knüppel entrichten und gaben sich alle Mühe, dieselben zu ködern. Kraus, nannte sich dabei einen gebornen Galizier und debitirte mit kalkulirender Schachergemüthlichkeit Vieles aus "Dichtung und Wahrheit." Die Sache klang ungemein erbaulich. Kudlich will noch einmal das Wort ergreifen, weil ihm als Antragsteller das letzte Wort zustehe. Der Präsident Strobach verweigert es ihm mit professorisch-diktatorischem Tone. Goldmark unterstützt Kudlich auf Grund des §. 62 und 64 der Geschäfts- (Un) Ordnung, wonach immer der Abgeordnete das letzte Wort, die Minister, aber nur während der Debatte, jederzeit dasselbe hätten. Präsident Strobach: "Wird der Antrag unterstützt?" (Geschieht). Es soll darüber abgestimmt werden. Goldmark widersetzt sich, indem es sich, weil kein Antrag. sondern blos eine Ordnungsfrage gestellt sei, von keiner Abstimmung handeln könne. Präsident beharrt bei seiner Ansicht. Helfert spricht für Kudlich und Goldmark; immer müsse der Abgeordnete das letzte Wort haben. Löhner. Der Ausdruck, jeder Zeit können die Minister das Wort ergreifen, lasse sich nur von der Dauer der Verhandlung verstehen, sonst konne der Minister es ja auch noch während der Abstimmung nehmen (Bravo), und durch einen solchen Terrorismus. .... Präsident Strobach mit gewaltiger Amtsmine: Ich rufe den Redner wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung. (Lärm, Bravo im Centrum und Rechts, Links Zischen.) Goldmark mit Heftigkeit, während ein gegenüber sitzender Abgeordneter unterirdisch die Faust ballt: Gegen einen solchen Akt der Willkür und Parteilichkeit muß ich feierlichst protestiren. (Lärm, Beifall, Zischen.) Gobbi erinnert daran, daß man sich im Reichstage befinde. Präsident ermahnt Löhner, sich niederzusetzen, weil er zur Ordnung gerufen sei. Löhner bleibt stehen, protestirt und fordert vom Präsidenten, diesen Ruf zurückzunehmen. Präsident beharrt büreaukratisch-stolz dabei. Schuselka protestirt mit einem großen Theil der Versammlung ebenfalls wider ein solches Diktatorverfahren. (Große Aufregung. Präsident Strobach hat Mühe, sich von den gegen ihn gerichteten Angriffen zu erholen.) Präsident erklärt, daß er zur Fragestellung und Beschlußfassung am Dienstag eine besondere Sitzung anberaumen, wenn die Versammlung beistimme. Sie that es. Ende. 61 Wien, 29. August. Sie sehen, die Sitzung endete in einem kleinen Sturm, der etwas czechisch geblasen, wie die Tagespresse meint. Morgen alea jacta erunt. Wird der Antrag verworfen oder nur mit Entschädigung angenommen, dann werden die Bauern interveniren; wird er ohne Entschädigung angenommen, werden also die Bauern zufrieden gemacht, so geht Oesterreich in die Bahn des Spießbürgerthums über. Die Stadt und die Arbeiter sind einstweilen ruhig und ordentlich, denn die Zahl der Todten und Verwundeten ist heute bereits auf 360 angewachsen. Der Sicherheitsausschuß hat sich in einen demokratischen Verein zur Wahrung der Volksrechte verwandelt und findet ungeheure Mitgliedschaft. Tausend Frauen Wien's haben ihm eine Adresse überreichen lassen, worin sie für die Zeit der Gefahr thätige Hülfe versprechen. Am Samstag wurden die gebliebenen Arbeiter, nicht wie in Paris als Banditen und Mordbrenner, sondern feierlichst beerdigt; die ganze akademische Legion, ein großer Theil der Nationalgarde, der Sicherheitsausschuß waren nebst einer gewaltigen Menge im Geleite. Die Stimmung ist umgeschlagen, die Nationalgarde schämt sich dieses Vorfalls, viele haben erklärt, in keinem Falle mehr wider die Arbeiter ziehen zu wollen. Es ist noch Ehre und Nobility im Wiener Spießbürgerthum. Eine Menge Flugblätter, die ganze Presse nehmen sich der Arbeiter an, das Ministerium ist in der öffentlichen Meinung bankrutt; selbst die Jesuitenschlange, "die Presse", nimmt sich, freilich aus niederträchtigen Gründen, der Arbeiter wider das Ministerium an. Nur die matte, phrasenreiche Konstitution spricht noch von Dobblhoff's mildem Sinn. Die Arbeiter der Nordbahn erklären in einem Maueranschlag heute den ganzen Vorfall und wälzen die Schuld auf die Sicherheitswache und auf den brutalen Theil der Nationalgarde. Bald hätte ich etwas vergessen, nämlich die Antwort Wessenberg's auf die walachische Interpellation. Sie ist zwar noch nicht an's Tageslicht gekommen, Sie können aber fest darauf rechnen, daß das Ministerium des Aeußern nur darum allein so leise gesprochen, weil es Türken und Russen, geschweige sie abzuhalten, zum Schutz der walachischen Freiheit selber herbeigerufen, so etwas indessen vor Zuhörern keineswegs ganz laut verkünden darf. O, es sind Gauner! In welche Verlegenheit könnte Jellachich, wenn die walachisch-serbisch-illyrische Presse die Serben, Illyrier, Walacher etc. des Jellachichich darüber aufklären käme, welchem Geiste und welcher Kreatur sie Blut und Leben opfern! Darum her mit den Türken, Mongolen und Baschkiren; sie sollen fortan die Säulen des civilisirten Absolutismus sein! In welche Satanshaut der österreichische Absolutismus sich hüllt, davon hat man bei Ihnen noch überall nicht die rechte Ahnung. * Wien, 28. Aug.
Von Arbeitern sind schwer verwundet 152, leicht verwundet 130, todt 30; von der Sicherheitsgarde: schwer verwundet 4, leicht verwundet 18, vermißt 3; von der Nationalgarde: schwer verwundet 4, leicht verwundet 30, todt 1. Unter den Verwundeten der ersten Rubrik befinden sich 10 Frauenzimmer. Für die Dringlichkeit dieses Antrags stimmt nur die Linke. Während der Abstimmung über die Dringlichkeit schreit einer im Centrum schnell und laut: „Sitzen bleiben.“ Centren und Rechte bleiben sitzen. Dies ist charakteristisch. Tagesordnung: 1. Wahl des Präsidenten. Stimmende 436. Gagern 396. Hermann aus München 31. Blum 2. Soiron 2. Simon (Breslau), Kotschy, Beisler, Rotenhahn, Hermann aus Sachsen je eine Stimme. Also der „Edle“ wieder erster Präsident. Furchtbares Bravo und Händeklatschen. Gagern hält die gewöhnliche, rührende (diesmal kurze) Antrittsrede. (Bravo). 2. Wahl des ersten Vizepräsidenten. Gewählt haben 435. Soiron 284. Hermann 141. Blum 2. Brentano 1. Grävel 1. v. Schnuk 1. Simon (Breslau) 1. Gagern: Also ist Soiron erster Vizepräsident. (Bravo und langes Zischen). Soiron: Meine Herren, ich danke Ihnen für die Neuwahl und werde meine Pflicht wie bisher thun. (Furchtbaaes Gelächter, Trommeln, Bravo und Zischen.) (Hr. Soiron hat ganz recht, die Versammlug wegen seiner Neuwahl obendrein zu verhöhnen.) Präsident verliest eine Erklärung der äußersten Linken und mehrerer anderer Abgeordneten, die gegen die Wahl Soirons namentlich protestiren, und wegen der daraus entspringenden nachtheiligen Folgen zum Voraus ihre Hände in Unschuld waschen. (Rechts Zischen; links Ruhe; rechts die Namen). Präsident verliest sie; (Zischen). Es treten noch drei Abgeordnete bei. 3. Wahl des zweiten Vicepräsidenten. Von 417 Wählenden hatte v. Hermann 270 Stimmen, Simon (Breslau) 108, Simson (Königsberg) 13, Soiron 1, Radowitz 15, Schüler aus Jena 2, Blum 2, Kotschy 1. Also v. Hermann die absolute Majorität. (Bravo). v. Hermann. Dankt, daß man ihn aufs Neue zum Gehülfen des edlen Mannes, auf den Deutschland mit Stolz blickt, gewählt. Wird nach der Geschäftsordnung den Willen der Versammlung vollführen. (Bravo). Veit von Berlin macht im Namen seiner Buchhandlung in Berlin der Versammlung dasselbe Anerbieten wie der obenerwähnte Hahn aus Hannover. Die Versammlung votirt Hrn. Veit einstimmigen Dank, und überläßt wie früher die Auswahl der Bücher den verschiedenen Ausschüssen. Schwetschke aus Halle stellt gleichfalls seine Buchhandlung zu derselben Disposition. (Ungeheure Freude, abermals Dankvotum etc.) Präsident zeigt viele Beiträge zur Flotte an, u. A. 497 Fl. von den Deutschen in Konstantinopel). Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung. Murschel, Berichterstatter, empfiehlt die Ausschußanträge. Nach einer von häufigem Schlußruf unterbrochenen Diskussion, in der viele Amendements vorkommen und die um so unerquicklicher ist, je breiter sich darin der kleinigkeitskrämerische Bürgerverstand geltend machen kann, wird mit geringer Modifikation der Ausschußantrag angenommen, folgenden Inhalts: Jeder Ausschuß schlägt für eine entstehende Lücke 3 Mitglieder vor, aus denen die Versammlung wählt. Nach einem frühern Antrag Soirons (den ich bereits gemeldet) beschließt die Versammlung die alten Schulden des Fünfziger-Ausschusses an die Stadt Frankfurt mit Dank zurückzuzahlen. Nach einem fernern Antrage beschließt die Versammlung fast einstimmig, dem Fünfziger-Ausschuß den Dank der deutschen Nation auszusprechen und demselben nachträglich die Reisekosten und 3 Thlr. tägliche Diäten für die Zeit seines Beisammenseins aus der Reichskasse zu vergütigen. (Gegen den letztern Beschluß stimmte die äußerste Rechte). Der Vicepräsident Hermann berichtet über 13 Urlaubsgesuche die seit dem 25. d. M. eingelaufen, darunter eins des Grafen v. Auersperg „auf unbestimmte Zeit.“ (Mißbilligung). Präsident v. Gagern theilt betreffs des Gesetzentwurfs über Minister-Verantwortlichkeit 3 Anträge mit. Der erste von Biedermann, „die Amendements zu diesem Entwurf dem Ausschuß vor der Diskussion einzureichen, um durch Kenntnißnahme derselben die Diskussion zu erleichten.“ Ein zweiter von Radowitz, Bally, Rothenhahn und andern Reaktionären, „die Berathung des Gesetzentwurfs wegen Ministerverantwortlichkeit hinauszuschieben bis nach vollendeter Berathung der Grundrechte, (Rösler höhnisch vom Platze: „ich sehe keine Reaktion“) und zwar wegen der großen Dringlichkeit der Grundrechte,“ (von denen die Rechte am besten weiß, daß sie nie in Kraft treten werden). Einen dritten Antrag stellt Gagern selbst, „nach Biedermanns Vorschlag die Amendements binnen 12 Tagen einzureichen und also bis dahin die Berathung auszusetzen.“ Mit Gagerns Antrag giebt man sich zufrieden. Schluß der Sitzung 2 Uhr. Tagesordnung für morgen: 1. Beantwortung verschiedener Interpellationen seitens der Minister; 2. Erledigung der Gallerie-Zuhörerfrage; 3. Fortsetzung der Grundrechte. * Berlin, 31. Aug. Ungeachtet aller Anstrengungen ist es den Polizisten bis gestern Abend nicht geglückt, den gegen Herrn Karbe und Herrn Edgar Bauer erlassenen Verhaftsbefhl zu vollstrecken. Ersterer ist mehrfach öffentlich erschienen, war aber jedesmal mit einer so starken Leibgarde seiner Anhänger umgeben, daß die Polizeibeamten nicht wagen konnten Hand an ihn zu legen. In der gestern Abend erschienenen Zeitungshalle macht er sogar selbst öffentlich bekannt, daß der Polizei seine Verhaftung noch nicht gelungen sei. 69 Berlin, 31. Aug. Das Polizeigericht hat heute das Urtheil gegen die Herren Schramm, Löwinson, Edgar Bauer und Eichler wegen Betheiligung bei mehreren nicht der Polizei angezeigten Volksversammlungen gesprochen. Die drei ersten wurden für schuldig erachtet, und jeder zu einer Geldbuße von 5 Thlrn. verurtheilt; Eichler wurde wegen mangelnden Beweises frei gesprochen. Berlin. Die Berliner Nachrichten melden, daß der von Hrn. von Below überbrachte siebenmonatliche Waffenstillstand bereits vom Könige unterzeichnet worden sei. Nach der Voss. Ztg. sollte Hr. v. Below am 31. mit der Ratifikation nach Lübeck abgehen, um dort die Auswechselung der Ratifikationen vorzunehmen. 103 Berlin, 31. August. Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. — Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung des Bürgerwehr-Gesetzes. — Nach Erledigung der Tagesgeschäfte, bringt der Präsident Grabow den in letzter Sitzung amendirten §. 44. zur Abstimmung; derselbe wird einstimmig angenommen und lautet: §. 44. Die Anführer der Bürgerwehr, werden von allen Bürgerwehrmännern der Dienstwehrliste (§. 15.) gewählt. Die folgenden 3 §§. werden einstimmig angenommen, sie lauten: §. 45. Ist die Bürgerwehrmannschaft in einer Gemeinde geringer als eine Kompagnie, so wählen sämmtliche Bürgerwehrmänner der Dienstwehrliste die Führer der Rotten, und wenn sie einen Zug bilden, auch den Zugführer und dessen Stellvertreter. §. 46. Besteht die Bürgerwehrmannschaft in einer Gemeinde aus einer oder mehreren Kompagnien, so wählt jede Kompagnie ihren Hauptmann und die übrigen Anführer. §. 47. Ist die Kompagnie aus der Bürgerwehrmannschaft zweier oder mehrerer Gemeinden zusammengesetzt, so wir der Wahlakt der gemeinschaftlichen Anführer in derjenigen Gemeinde vorgenommen, welche die stärkste Bürgerwehrmannschaft hat. Mehrere Zusatz-Paragraphen betreffend die Wahl der Majors und Obersten werden lebhaft debattirt. Abg. Mathäi: Durch die Annahme des amendirten §. 44. haben wir das Prinzip der direkten Wahlen ausgesprochen, dadurch fallen §§. 50 und 51, welche indirekte Wahlen vorschreiben, von selbst weg es wir müssen daher neue Bestimmungen über die zweckmäßigste Wahl der Majors und Obersten eingeführt werden. Meiner Ansicht nach kann die Wahl dieser Oberoffiziere ganz nach demselben Grundsatze stattfinden, wie die der Zugführer und Hauptleute. — Abg. Berends: Nimmt sein Amendement zurück und schließt sich dem des Abg. Mathäi an. Minister des Innern Kühlwetter: Es ist in allen konstitutionellen Staaten Grundsatz den König aus der Diskussion zu lassen. Bei Gelegenheit der Eidesleistungen hat man schon die Person des Königs in die Diskussion verwickelt. Hier handelt es sich eigentlich darum der Krone eine Ehrenleistung zuzuwenden, die in der Ernennung der Obersten der Bürgerwehr liegt. — Es ist die Regierung aufs Wesentlichste dabei interessirt, daß der Oberbefehl keinem Manne übergeben werde, der die Regierung vielleicht ihr Vertrauen nicht geben könne. Abg. Waldeck: Das Prinzip der indirekten Wahl der höheren Anführer ist gefallen und man will noch an der Kanditatenliste festhalten. Eine solche Wahl repräsentirt aber nie die wahre Meinung des Volks. Der Minister des Innern wünscht daß der Regierung ein Einfluß auf die Wahl der Obersten gestattet werde. Das Ministerium wird dann den Kommandeur jedesmal in seinem eigenen Geiste wählen. Minister-Präsident glaubt, daß die Regierung ein mäßiges Verlangen stellte, denn der vorgeschlagene Candidat ist entweder der Mann des allgemeinen Vertrauens dann wird ihn auch die Regierung wählen, oder er ist für absichtliche Zwecke gewählt, dann wird ihn die Re- gierung recusiren müssen. — Minister Hansemann: Der Rede des Abg. Waldeck liege nur die Idee zu Grunde, ein Theil der Nation oder der Bürgerwehr befinde sich in einem Gegensatze zur Regierung. Das konstitutionelle Ministerium ist gestützt auf die Majorität des Landes. (Baden, Belgien!) Ich glaube wohl, daß einer solchen Regierung ein Einfluß auf die Wahl zu gestatten ist. Alle Ministerien haben Einen Grundsatz zu verfolgen, nämlich den, die öffentliche Ordnung zu erhalten. Es kann daher nur darauf ankommen, ob der Kommandeur ein tüchtiger, zuverlässiger Mann sei. Der Herr Abg. moge doch nach Paris gehen und sich überzeugen, ob sich jetzt noch Jemand über die Februar-Ereignisse freuet! (Als ob man da nach Paris zu gehen brauche!) Im Juni haben sich die Nationalgarden zum größten Theil sehr gut geschlagen. (!!) Es ist Gefahr, daß die Nationalgarde sich nicht gut (gegen das Volk) schlage, wenn das Volk sie im Gegensatze zur Regierung frei wählt. — Minister Kühlwetter berichtigt: Wenn ich von einer gewissen Ehrfurcht gegen den König gesprochen, so habe ich damit nur von der Krone gesprochen, an die Ehrfurcht für eine bestimmte Persönlichkeit habe ich aber nicht gedacht. Abg. Jung. Der Minister des Innern sagt: Die Bürgerwehr solle ein Organ der executiven Gewalt sein, nein! Die Bürgerwehr soll ein Wächter der executiven Gewalt sein. — Man spricht von Vertrauen. Ich kenne aber das Gefühl der Pietät, das man von uns verlangt, nur Personen nicht Sachen gegenüber. Die Engländer haben nur Pietät gegen ihre freie Verfassung und sie würden sich durch das Wort Pietät nicht ihre Rechte verkummern lassen. — Abg. Temme: Ich weiß nicht wie weit das gegenwärtige Ministerium bereit ist, die Verheissungen die bei der Errichtung dieses Instituts von dem damaligen Ministerium gegeben wurden, zu erfullen. Damals wurde die freie Wahl der Führer und eine Verfassung auf der breitesten Grundlage versprochen. Das Volk wird sich nur solche Männer zum Kommandeur wählen, die sein Vertrauen besitzen und dagegen sollte eine Regierung nie etwas einzuwenden haben. — Minister Milde: Spricht sehr langweilig über Vertrauen. — Abstimmung: Der Prasident giebt dem Amendement des Abg. Kunth die Priorität, welches lautet: „Der Oberst wird vom Könige, aus einer Liste von drei Kandidaten, welche in Gemäßheit des §. 44. seqq. gewählt werden, ernannt.“ Die namentliche Abstimmung ergiebt 225 Stimmen dafür; 136 Stimmen dagegen. — Ministerielle Majorität 89 Stimmen. — Rodbertus und v. Berg stimmen mit der Linken. Hierauf werden verschiedene Zusatz-Amendements über die Art der Wahl der Kandidaten der Majors und Obersten angenommen und deren Redaktion dem Berichterstatter uberwiesen; ebenso der ursprüngliche §. 48 angenommen. Der §. 49 erhält auch durch ein Amendement des Abg. Mathäi eine andere Fassung und lautet jetzt: „Ueber Beschwerden gegen die Gültigkeit der Wahlen bis zum Hauptmann einschließlich entscheidet, vorbehaltlich der Berufung an die Kreisvertretung, die Gemeindevertretung des Wahlortes.“ „Ueber Beschwerden gegen die Gültigkeit der Wahlen des Majors und Obersten entscheidet diejenige Kreisvertretung, in welcher der Wahlort liegt, vorbehaltlich der Berufung an die Bezirksvertretung.“ „Sowohl für die Beschwerden über die Gültigkeit der Wahlen, als auch für die Berufung an die Kreisvertretung findet eine präklusivische Frist von 10 Tagen Statt.“ „An der Entscheidung nehmen diejenigen nicht Theil, welche bei der angegriffenen Wahl als Gemeindevorsteher, Protokollführer oder Stimmzähler Theil genommen haben.“ Die ursprünglichen §§. 50 und 51 fallen weg und sind durch die Amendements Kunth und Mathaei ersetzt. Schließlich werden noch die §§. 52, 53, 54 mit kleinen Abänderungen angenommen. Bei §. 53 hat zwar eine längere Debatte über das Amendement des Abgeordneten Weichsel Statt gefunden, daß die Wahlen alle Jahre erneuert werden sollten, indem eine Dienstzeit von drei Jahren eine gewisse Stabilität herbeiführen würde; die Linke unterstützte dies Amendement, welches jedoch verworfen wurde Hierauf Schluß der Sitzung. Das Bürgerwehrgesetz wird erst in der nächsten Woche bis zu Ende berathen werden. Zur morgenden Sitzung liegen außer dem Gesetz über die Erhöhung der Rübenzucker- und Maischsteuer und dem Bericht der Central-Abtheilung wegen Unterstützung der verarmten Krieger aus den Feldzügen von 1813-15, noch ein dringender Antrag des Abg. Nenstiel wegen sofortiger Abschaffung der Hofedienste (Robot) und die Antwort des Ministers des Innern auf die Interpellation des Abg. Berends, wegen der Haussuchung im Handwerkerverein, vor. 61 Wien, 28. August. Sitzung des Reichstags vom 26. August. Auf der Tagesordnung stand der Schluß der Berathung über den Antrag Kudlichs. Umlauft, ein sonst guter Demokrat, der aber dennoch erst Handschuhe anzieht, wenn er sich mit einem Minister einläßt, protestirt dawider, daß ihm der Präsident gestern das Wort nicht gestattet; als er sich gegen Vorwürfe des k. k. öste#r. Hofdemokraten und Ministers Dobblhoff habe verwahren wollen. Goldmark schließt sich mit einem unbehandschuhten Proteste seinem Freunde an. Auf den Frachtwagen der Amendements zu Kudlichs Antrag werden neu unterstützte aufgeladen, andere von ihm herabgenommen. Das Centrum huldigt inzwischen der Verdauung. Ein Abgeordneter, ich glaude Volkmar, fleht, aus Barmherzigkeit die Amendements zu beseitigen, weil man sich mit diesem Heuwagen ohnehin schon vor dem Publikum lächerlich gemacht. (Zischen). Fällt beim Abstimmen durch, denn nur die Linke erhebt sich aus dem Verdauungswerke, der Bauch bleibt sitzen. Jetzt kommen Interpellationen. Doch nicht Löhner, sondern der Ritter v. Lasser, Dr., Aktuar und Hofkammerprokurator erhebt sich mit seiner Gustav-Adolf-Miene, um den Minister des Aeußern zu fragen, ob derselbe von der Volksbewegung in der Walachei etwas erfahren und welche Politik er derselben gegenuber befolgt habe und zu befolgen gedenke; ob die aus der Walachei hier angekommene Deputation zur Anrufung des österr. Schutzes von dem Minister empfangen worden u s. w. Wessenberg, ein Mann von mehr als 70 Jahren, von denen er etwa 35 im deutschen Bundesvatikan zugebracht, bis er am 26. Mai durch die Schlauheit der damaligen s. g. Demokraten ins Ministerium des österr. Aeußern verrückt wurde, aus welchem er indessen vor einigen Tagen in Wien erst eingetroffen ist, steht auf mit dem Ansehen einer Erscheinung aus dem Kyffhäuser. Seine Mundgestikulationen verrathen, daß er sprechen will, um seine Gedanken zu verbergen. Lautlose Stille; kein Ton von Menschenstimme läßt sich vernehmen; jeder horcht und hort nichts; selbst die Stenographen sind unthätig Wirklich ein interessanter Moment für den, welcher noch niemals Gelegenheit gehabt, eine lebende Protokoll-Ruine des vermoderten deutschen Bundes zu sehen. — Ritter v Lasser aus Ober-Oesterreich merkt sich's, rückt an und nähert mit Kavalier-Anstand sein Ohr dem ministeriellen Munde. Der ganze Reichstag sammelte sich um den verwittweten Bundestagsrest, aber selbst Ritter v. Lasser ist nicht im Stande, ihm etwas abzulauschen. Diese Gelegenheit benutzt Dobblhoff, sich dreinzumischen und dem zudringlichen Interpellanten etwas in's Ohr zu raunen, worauf sich derselbe entfernt und die Bundestags-Scene bis auf einigen Privatklatsch im Centrum ein Ende hat. Wessenbergs Rede ward den Stenographen später schriftlich zugestellt und wird — gewiß zum Erstaunen aller Bundestagsleichen — morgen in Europa stenographirt auftreten. — Eine zweite Interpellation ist ebenso unvernehmbar; worauf der Abg. Kudlich Doktorand der Rechte aus Schlesien, eine durch Rede, Humor und Aeußerlichkeit pikante Persönlichkeit, als Antragsteller das Schlußwort erhält. Mit satyrischer Begeisterung erinnert er die Versammlung an den begeisterten Zuruf mit dem sie ihn vor 4 Wochen begrüßt, als er seinen Antrag gestellt habe und sagt: Er werde ka t und kurz zu sein streben, um die Versammlung vor fernerem Enthusiasmus zu bewahren; man habe seinen Antrag ein aus einem Lorbeer entsprossenes Kleeblatt genannt und es sei in der That vielleicht besser, daß derselbe ein Boden geworden für nahrhaften Klee, als für ungenießbaren Lorbeer. Wenn der Reichstag sich durch den Antrag, wie man gesagt, zu gefährlicher Begeisterung habe hinreißen lassen, so könne er sich jetzt, wohl schon darüber verantworten, nachdem die Berathung darüber mehr als 14 Tage gedauert. Man sei jetzt so klug wie zuvor, obgleich man die Sache aus tyrolischem, böhmischem, juridischem, politischem, kroatischem, galizischem u. s. w. Gesichtspunkte betrachtet habe. Von dem Dampfwagen, welchem wie der Abg. Borrosch gemeint, ein Hemmschuh anzulegen, sei ihm nichts vorgekommen; der Dampf habe die Versammlung nicht so forttreiben können, weil die Maschine tüchtig mit der Geschäftsordnung geheitzt worden sei u. s. w. Was die Entschädigung betreffe, so sei er der Meinung, dieselbe müsse eine Ausnahme sein für die Fälle, wo das Verhältniß aus einem Privatvertrage entstanden, dergleichen er selbst kenne. Für die Abgeordneten, welche sich auf die Grundbücher berufen und die Herrschaften als Besitzer bezeichnet, bemerke er, daß er gewünscht, sie hätten sich mehr auf die Grundbücher des Menschenrechts berufen, worin von Tazitus bis Rotteck, und seinetwegen auch bis auf Palecky, alle Bauern als gleichberechtigte Staatsbürger ursprünglich verzeichnet stünden. (Palecky nickt bejahend mit dem Kopfe). Von einem Verhältniß wie zwischen Gläubiger und Schuldner, konne hier durchaus nicht die Rede sein, wohl aber lediglich nur von dem zwischen einer herrschenden und beherrschten Kaste. „Als die Völker ackerbauend wurden,“ fährt er fort, „verdroß es sie, in den Krieg zu ziehen; sie zahlten einem Theile der Lust dazu hatte, eine Entschädigung dafur, daß er für sie in den Krieg ziehe. Auf der einen Seite wuchs nun die Gewalt, während auf der andern die Schwäche und die Bundesfürsten gaben dann zur Unterdrückung ihre Sanktion. So entstand das Verhältniß, um welches es sich handelt und welches den Völkern zur Warnung dienen soll, daß sie sich nie die Wehrhaftigkeit entreißen lassen sollen.“ Der Unterstaatssekretair Mayer habe mit politischer Weisheit von dem Entstehen eines Proletariats, andere von Kommunismus gesprochen, überhaupt nur wider den Bauer, nicht aber wider den Gutsbesitzer plädirt und den Anschein gewonnen, als interessirten sie sich um das Proletariat, davon könne indessen vorläufig um so weniger die Rede sein, als der Bauer, wenn er dem Gutsherrn nichts mehr zu leisten und zu zahlen habe, das allenfallsige Proletariat mit mildernder Hand in Thätigkeit setzen und beseitigen werde. (Großer Beifall). Borrosch und Helfert legen gegen ihre Namensnennung Protest ein, wogegen Kudlich fragt, wofür sie ihre Namen denn trügen, wenn sie nicht genannt sein wollten. Justizminister Bach (im Juni blutrother Demokrat, im August antidemokratischer Minister) besteigt pfiffig lachend und um sich blickend die Tribüne. Kudlich: Die Debatte ist geschlossen. Präsident beruft sich auf einen Paragraphen der Geschäftsordnung, welcher dem Minister zu jeder Zeit das Wort gestatte. Justizminister spricht nun in einer langen schlauen Ministerrede gegen den Antrag, deren Piedestal in Verhältnissen aus allen menschlichen Verhältnissen, in centnerschweren Bedenken über diese Verhältnisse, in Recht, Eigenthum und gar in Nationalehre, kurz in einem fuchsschwänzigen Bourgeois-Balast besteht, aus dessen Annahme das Ministerium eine Kabinetsfrage machen will. (Das Centrum erschreckt). Er will dem Reichstag blos den Anspruch eines in Entschädigung einbalsamirten Prinzips lassen, welches dann im Mumienkasten der Provinziallandtage in egyptische Finsterniß begraben oder zu deutsch, ins Leben gerufen, ausgearbeitet werden soll. Nicht zweideutige Worte und Humanitätsrücksichten, sondern Recht, Eigenthum, Nationalehre (?) müßten den Beschluß des Reichstags leiten. Dies geschehe auch in Deutschland; Frankfurt und Berlin hätten es ebenfalls gethan. Vor Allem müsse man gerecht sein, mit der Gerechtigkeit erlange man die Freiheit. Nach dem Abtritt dieses Juni-Demokraten wackelt Finanzminister Kraus zum Stuhl, um in einem halbstündigen Minister-Salbader, in welchem ebenfalls viele Eigenthums- und Oekonomiebeweise vorkamen, zu verkünden, daß der Staat einen Theil der Entschädigung übernehmen würde. Beide Minister wußten unter dem Gewäsche übrigens einen nicht zu übersehenden Takt zu beobachten; sie adressirten sich zu verschiedenen Malen nämlich an Stadions apostolische Bauern aus Galizien, die die Entschädigung mit dem Knüppel entrichten und gaben sich alle Mühe, dieselben zu ködern. Kraus, nannte sich dabei einen gebornen Galizier und debitirte mit kalkulirender Schachergemüthlichkeit Vieles aus „Dichtung und Wahrheit.“ Die Sache klang ungemein erbaulich. Kudlich will noch einmal das Wort ergreifen, weil ihm als Antragsteller das letzte Wort zustehe. Der Präsident Strobach verweigert es ihm mit professorisch-diktatorischem Tone. Goldmark unterstützt Kudlich auf Grund des §. 62 und 64 der Geschäfts- (Un) Ordnung, wonach immer der Abgeordnete das letzte Wort, die Minister, aber nur während der Debatte, jederzeit dasselbe hätten. Präsident Strobach: „Wird der Antrag unterstützt?“ (Geschieht). Es soll darüber abgestimmt werden. Goldmark widersetzt sich, indem es sich, weil kein Antrag. sondern blos eine Ordnungsfrage gestellt sei, von keiner Abstimmung handeln könne. Präsident beharrt bei seiner Ansicht. Helfert spricht für Kudlich und Goldmark; immer müsse der Abgeordnete das letzte Wort haben. Löhner. Der Ausdruck, jeder Zeit können die Minister das Wort ergreifen, lasse sich nur von der Dauer der Verhandlung verstehen, sonst konne der Minister es ja auch noch während der Abstimmung nehmen (Bravo), und durch einen solchen Terrorismus. ‥‥ Präsident Strobach mit gewaltiger Amtsmine: Ich rufe den Redner wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung. (Lärm, Bravo im Centrum und Rechts, Links Zischen.) Goldmark mit Heftigkeit, während ein gegenüber sitzender Abgeordneter unterirdisch die Faust ballt: Gegen einen solchen Akt der Willkür und Parteilichkeit muß ich feierlichst protestiren. (Lärm, Beifall, Zischen.) Gobbi erinnert daran, daß man sich im Reichstage befinde. Präsident ermahnt Löhner, sich niederzusetzen, weil er zur Ordnung gerufen sei. Löhner bleibt stehen, protestirt und fordert vom Präsidenten, diesen Ruf zurückzunehmen. Präsident beharrt büreaukratisch-stolz dabei. Schuselka protestirt mit einem großen Theil der Versammlung ebenfalls wider ein solches Diktatorverfahren. (Große Aufregung. Präsident Strobach hat Mühe, sich von den gegen ihn gerichteten Angriffen zu erholen.) Präsident erklärt, daß er zur Fragestellung und Beschlußfassung am Dienstag eine besondere Sitzung anberaumen, wenn die Versammlung beistimme. Sie that es. Ende. 61 Wien, 29. August. Sie sehen, die Sitzung endete in einem kleinen Sturm, der etwas czechisch geblasen, wie die Tagespresse meint. Morgen alea jacta erunt. Wird der Antrag verworfen oder nur mit Entschädigung angenommen, dann werden die Bauern interveniren; wird er ohne Entschädigung angenommen, werden also die Bauern zufrieden gemacht, so geht Oesterreich in die Bahn des Spießbürgerthums über. Die Stadt und die Arbeiter sind einstweilen ruhig und ordentlich, denn die Zahl der Todten und Verwundeten ist heute bereits auf 360 angewachsen. Der Sicherheitsausschuß hat sich in einen demokratischen Verein zur Wahrung der Volksrechte verwandelt und findet ungeheure Mitgliedschaft. Tausend Frauen Wien's haben ihm eine Adresse überreichen lassen, worin sie für die Zeit der Gefahr thätige Hülfe versprechen. Am Samstag wurden die gebliebenen Arbeiter, nicht wie in Paris als Banditen und Mordbrenner, sondern feierlichst beerdigt; die ganze akademische Legion, ein großer Theil der Nationalgarde, der Sicherheitsausschuß waren nebst einer gewaltigen Menge im Geleite. Die Stimmung ist umgeschlagen, die Nationalgarde schämt sich dieses Vorfalls, viele haben erklärt, in keinem Falle mehr wider die Arbeiter ziehen zu wollen. Es ist noch Ehre und Nobility im Wiener Spießbürgerthum. Eine Menge Flugblätter, die ganze Presse nehmen sich der Arbeiter an, das Ministerium ist in der öffentlichen Meinung bankrutt; selbst die Jesuitenschlange, „die Presse“, nimmt sich, freilich aus niederträchtigen Gründen, der Arbeiter wider das Ministerium an. Nur die matte, phrasenreiche Konstitution spricht noch von Dobblhoff's mildem Sinn. Die Arbeiter der Nordbahn erklären in einem Maueranschlag heute den ganzen Vorfall und wälzen die Schuld auf die Sicherheitswache und auf den brutalen Theil der Nationalgarde. Bald hätte ich etwas vergessen, nämlich die Antwort Wessenberg's auf die walachische Interpellation. Sie ist zwar noch nicht an's Tageslicht gekommen, Sie können aber fest darauf rechnen, daß das Ministerium des Aeußern nur darum allein so leise gesprochen, weil es Türken und Russen, geschweige sie abzuhalten, zum Schutz der walachischen Freiheit selber herbeigerufen, so etwas indessen vor Zuhörern keineswegs ganz laut verkünden darf. O, es sind Gauner! In welche Verlegenheit könnte Jellachich, wenn die walachisch-serbisch-illyrische Presse die Serben, Illyrier, Walacher etc. des Jellachichich darüber aufklären käme, welchem Geiste und welcher Kreatur sie Blut und Leben opfern! Darum her mit den Türken, Mongolen und Baschkiren; sie sollen fortan die Säulen des civilisirten Absolutismus sein! In welche Satanshaut der österreichische Absolutismus sich hüllt, davon hat man bei Ihnen noch überall nicht die rechte Ahnung. * Wien, 28. Aug.
Von Arbeitern sind schwer verwundet 152, leicht verwundet 130, todt 30; von der Sicherheitsgarde: schwer verwundet 4, leicht verwundet 18, vermißt 3; von der Nationalgarde: schwer verwundet 4, leicht verwundet 30, todt 1. Unter den Verwundeten der ersten Rubrik befinden sich 10 Frauenzimmer. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div xml:id="ar093_006" type="jArticle"> <pb facs="#f0003" n="0469"/> <p>Für die Dringlichkeit dieses Antrags stimmt nur die Linke. Während der Abstimmung über die Dringlichkeit schreit einer im Centrum schnell und laut: „Sitzen bleiben.“ Centren und Rechte bleiben sitzen. Dies ist charakteristisch.</p> <p>Tagesordnung: 1. Wahl des Präsidenten.</p> <p>Stimmende 436. Gagern 396. Hermann aus München 31. Blum 2. Soiron 2. Simon (Breslau), Kotschy, Beisler, Rotenhahn, Hermann aus Sachsen je eine Stimme. Also der „Edle“ wieder erster Präsident.</p> <p>Furchtbares Bravo und Händeklatschen. Gagern hält die gewöhnliche, rührende (diesmal kurze) Antrittsrede. (Bravo).</p> <p>2. Wahl des ersten Vizepräsidenten.</p> <p>Gewählt haben 435. Soiron 284. Hermann 141. Blum 2. Brentano 1. Grävel 1. v. Schnuk 1. Simon (Breslau) 1.</p> <p><hi rendition="#g">Gagern</hi>: Also ist Soiron erster Vizepräsident. (Bravo und langes Zischen).</p> <p><hi rendition="#g">Soiron</hi>: Meine Herren, ich danke Ihnen für die Neuwahl und werde meine Pflicht wie <hi rendition="#g">bisher</hi> thun. (Furchtbaaes Gelächter, Trommeln, Bravo und Zischen.) (Hr. Soiron hat ganz recht, die Versammlug wegen seiner Neuwahl obendrein zu verhöhnen.)</p> <p><hi rendition="#g">Präsident</hi> verliest eine Erklärung der äußersten Linken und mehrerer anderer Abgeordneten, die gegen die Wahl Soirons namentlich protestiren, und wegen der daraus entspringenden nachtheiligen Folgen zum Voraus ihre Hände in Unschuld waschen. (Rechts Zischen; links Ruhe; rechts die Namen).</p> <p><hi rendition="#g">Präsident</hi> verliest sie; (Zischen). Es treten noch drei Abgeordnete bei.</p> <p>3. Wahl des zweiten Vicepräsidenten.</p> <p>Von 417 Wählenden hatte v. Hermann 270 Stimmen, Simon (Breslau) 108, Simson (Königsberg) 13, Soiron 1, Radowitz 15, Schüler aus Jena 2, Blum 2, Kotschy 1.</p> <p>Also v. Hermann die absolute Majorität. (Bravo).</p> <p>v. <hi rendition="#g">Hermann</hi>. Dankt, daß man ihn aufs Neue zum Gehülfen des edlen Mannes, auf den Deutschland mit Stolz blickt, gewählt. Wird <hi rendition="#g">nach der Geschäftsordnung den Willen der Versammlung</hi> vollführen. (Bravo).</p> <p><hi rendition="#g">Veit</hi> von Berlin macht im Namen seiner Buchhandlung in Berlin der Versammlung dasselbe Anerbieten wie der obenerwähnte Hahn aus Hannover. Die Versammlung votirt Hrn. Veit einstimmigen Dank, und überläßt wie früher die Auswahl der Bücher den verschiedenen Ausschüssen.</p> <p><hi rendition="#g">Schwetschke</hi> aus Halle stellt gleichfalls seine Buchhandlung zu derselben Disposition. (Ungeheure Freude, abermals Dankvotum etc.)</p> <p><hi rendition="#g">Präsident</hi> zeigt viele Beiträge zur Flotte an, u. A. 497 Fl. von den Deutschen in Konstantinopel).</p> <p><hi rendition="#g">Bericht</hi> des Ausschusses für Geschäftsordnung.</p> <p><hi rendition="#g">Murschel,</hi> Berichterstatter, empfiehlt die Ausschußanträge.</p> <p>Nach einer von häufigem Schlußruf unterbrochenen Diskussion, in der viele Amendements vorkommen und die um so unerquicklicher ist, je breiter sich darin der kleinigkeitskrämerische Bürgerverstand geltend machen kann, wird mit geringer Modifikation der Ausschußantrag angenommen, folgenden Inhalts: Jeder Ausschuß schlägt für eine entstehende Lücke 3 Mitglieder vor, aus denen die Versammlung wählt.</p> <p>Nach einem frühern Antrag Soirons (den ich bereits gemeldet) beschließt die Versammlung die alten Schulden des Fünfziger-Ausschusses an die Stadt Frankfurt mit Dank zurückzuzahlen.</p> <p>Nach einem fernern Antrage beschließt die Versammlung fast einstimmig, dem Fünfziger-Ausschuß den Dank der deutschen Nation auszusprechen und demselben nachträglich die Reisekosten und 3 Thlr. tägliche Diäten für die Zeit seines Beisammenseins aus der Reichskasse zu vergütigen. (Gegen den letztern Beschluß stimmte die <hi rendition="#g">äußerste Rechte</hi>).</p> <p>Der Vicepräsident <hi rendition="#g">Hermann</hi> berichtet über 13 Urlaubsgesuche die seit dem 25. d. M. eingelaufen, darunter eins des Grafen v. Auersperg „auf unbestimmte Zeit.“ (Mißbilligung).</p> <p>Präsident v. <hi rendition="#g">Gagern</hi> theilt betreffs des Gesetzentwurfs über Minister-Verantwortlichkeit 3 Anträge mit. Der erste von Biedermann, „die Amendements zu diesem Entwurf dem Ausschuß vor der Diskussion einzureichen, um durch Kenntnißnahme derselben die Diskussion zu erleichten.“ Ein zweiter von Radowitz, Bally, Rothenhahn und andern Reaktionären, „die Berathung des Gesetzentwurfs wegen Ministerverantwortlichkeit hinauszuschieben bis nach vollendeter Berathung der Grundrechte, (Rösler höhnisch vom Platze: „ich sehe keine Reaktion“) und zwar wegen der großen Dringlichkeit der Grundrechte,“ (von denen die Rechte am besten weiß, daß sie nie in Kraft treten werden). Einen dritten Antrag stellt Gagern selbst, „nach Biedermanns Vorschlag die Amendements binnen 12 Tagen einzureichen und also bis dahin die Berathung auszusetzen.“</p> <p>Mit Gagerns Antrag giebt man sich zufrieden. Schluß der Sitzung 2 Uhr.</p> <p><hi rendition="#g">Tagesordnung</hi> für morgen: 1. Beantwortung verschiedener Interpellationen seitens der Minister; 2. Erledigung der Gallerie-Zuhörerfrage; 3. Fortsetzung der Grundrechte.</p> </div> <div xml:id="ar093_007" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Berlin, 31. Aug.</head> <p>Ungeachtet aller Anstrengungen ist es den Polizisten bis gestern Abend nicht geglückt, den gegen Herrn Karbe und Herrn Edgar Bauer erlassenen Verhaftsbefhl zu vollstrecken. Ersterer ist mehrfach öffentlich erschienen, war aber jedesmal mit einer so starken Leibgarde seiner Anhänger umgeben, daß die Polizeibeamten nicht wagen konnten Hand an ihn zu legen. In der gestern Abend erschienenen Zeitungshalle macht er sogar selbst öffentlich bekannt, daß der Polizei seine Verhaftung noch nicht gelungen sei.</p> </div> <div xml:id="ar093_008" type="jArticle"> <head><bibl><author>69</author></bibl> Berlin, 31. Aug.</head> <p>Das Polizeigericht hat heute das Urtheil gegen die Herren Schramm, Löwinson, Edgar Bauer und Eichler wegen Betheiligung bei mehreren nicht der Polizei angezeigten Volksversammlungen gesprochen. Die drei ersten wurden für schuldig erachtet, und jeder zu einer Geldbuße von 5 Thlrn. verurtheilt; Eichler wurde wegen mangelnden Beweises frei gesprochen.</p> </div> <div xml:id="ar093_009" type="jArticle"> <head>Berlin.</head> <p>Die Berliner Nachrichten melden, daß der von Hrn. von Below überbrachte siebenmonatliche Waffenstillstand bereits vom Könige unterzeichnet worden sei. Nach der Voss. Ztg. sollte Hr. v. Below am 31. mit der Ratifikation nach Lübeck abgehen, um dort die Auswechselung der Ratifikationen vorzunehmen.</p> </div> <div xml:id="ar093_010" type="jArticle"> <head><bibl><author>103</author></bibl> Berlin, 31. August.</head> <p>Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. — Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung des Bürgerwehr-Gesetzes. — Nach Erledigung der Tagesgeschäfte, bringt der Präsident <hi rendition="#g">Grabow</hi> den in letzter Sitzung amendirten §. 44. zur Abstimmung; derselbe wird einstimmig angenommen und lautet:</p> <p>§. 44. Die Anführer der Bürgerwehr, werden von allen Bürgerwehrmännern der Dienstwehrliste (§. 15.) gewählt.</p> <p>Die folgenden 3 §§. werden einstimmig angenommen, sie lauten:</p> <p>§. 45. Ist die Bürgerwehrmannschaft in einer Gemeinde geringer als eine Kompagnie, so wählen sämmtliche Bürgerwehrmänner der Dienstwehrliste die Führer der Rotten, und wenn sie einen Zug bilden, auch den Zugführer und dessen Stellvertreter.</p> <p>§. 46. Besteht die Bürgerwehrmannschaft in einer Gemeinde aus einer oder mehreren Kompagnien, so wählt jede Kompagnie ihren Hauptmann und die übrigen Anführer.</p> <p>§. 47. Ist die Kompagnie aus der Bürgerwehrmannschaft zweier oder mehrerer Gemeinden zusammengesetzt, so wir der Wahlakt der gemeinschaftlichen Anführer in derjenigen Gemeinde vorgenommen, welche die stärkste Bürgerwehrmannschaft hat.</p> <p>Mehrere Zusatz-Paragraphen betreffend die Wahl der Majors und Obersten werden lebhaft debattirt.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Mathäi</hi>: Durch die Annahme des amendirten §. 44. haben wir das Prinzip der direkten Wahlen ausgesprochen, dadurch fallen §§. 50 und 51, welche indirekte Wahlen vorschreiben, von selbst weg es wir müssen daher neue Bestimmungen über die zweckmäßigste Wahl der Majors und Obersten eingeführt werden. Meiner Ansicht nach kann die Wahl dieser Oberoffiziere ganz nach demselben Grundsatze stattfinden, wie die der Zugführer und Hauptleute. —</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Berends</hi>: Nimmt sein Amendement zurück und schließt sich dem des Abg. Mathäi an.</p> <p>Minister des Innern <hi rendition="#g">Kühlwetter</hi>: Es ist in allen konstitutionellen Staaten Grundsatz den König aus der Diskussion zu lassen. Bei Gelegenheit der Eidesleistungen hat man schon die Person des Königs in die Diskussion verwickelt. Hier handelt es sich eigentlich darum der Krone eine Ehrenleistung zuzuwenden, die in der Ernennung der Obersten der Bürgerwehr liegt. — Es ist die Regierung aufs Wesentlichste dabei interessirt, daß der Oberbefehl keinem Manne übergeben werde, der die Regierung vielleicht ihr Vertrauen nicht geben könne.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Waldeck</hi>: Das Prinzip der indirekten Wahl der höheren Anführer ist gefallen und man will noch an der Kanditatenliste festhalten. Eine solche Wahl repräsentirt aber nie die wahre Meinung des Volks. Der Minister des Innern wünscht daß der Regierung ein Einfluß auf die Wahl der Obersten gestattet werde. Das Ministerium wird dann den Kommandeur jedesmal in seinem eigenen Geiste wählen.</p> <p>Minister-Präsident glaubt, daß die Regierung ein mäßiges Verlangen stellte, denn der vorgeschlagene Candidat ist entweder der Mann des allgemeinen Vertrauens dann wird ihn auch die Regierung wählen, oder er ist für absichtliche Zwecke gewählt, dann wird ihn die Re- gierung recusiren müssen. —</p> <p>Minister <hi rendition="#g">Hansemann</hi>: Der Rede des Abg. Waldeck liege nur die Idee zu Grunde, ein Theil der Nation oder der Bürgerwehr befinde sich in einem Gegensatze zur Regierung. Das konstitutionelle Ministerium ist gestützt auf die Majorität des Landes. (Baden, Belgien!) Ich glaube wohl, daß einer solchen Regierung ein Einfluß auf die Wahl zu gestatten ist. Alle Ministerien haben Einen Grundsatz zu verfolgen, nämlich den, die öffentliche Ordnung zu erhalten. Es kann daher nur darauf ankommen, ob der Kommandeur ein tüchtiger, zuverlässiger Mann sei. Der Herr Abg. moge doch nach Paris gehen und sich überzeugen, ob sich jetzt noch Jemand über die Februar-Ereignisse freuet! (Als ob man da nach Paris zu gehen brauche!) Im Juni haben sich die Nationalgarden zum größten Theil sehr gut geschlagen. (!!) Es ist Gefahr, daß die Nationalgarde sich nicht gut (gegen das Volk) schlage, wenn das Volk sie im Gegensatze zur Regierung frei wählt. —</p> <p>Minister <hi rendition="#g">Kühlwetter</hi> berichtigt: Wenn ich von einer gewissen Ehrfurcht gegen den König gesprochen, so habe ich damit nur von der Krone gesprochen, an die Ehrfurcht für eine bestimmte Persönlichkeit habe ich aber nicht gedacht.</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Jung</hi>. Der Minister des Innern sagt: Die Bürgerwehr solle ein Organ der executiven Gewalt sein, nein! Die Bürgerwehr soll ein Wächter der executiven Gewalt sein. — Man spricht von Vertrauen. Ich kenne aber das Gefühl der Pietät, das man von uns verlangt, nur Personen nicht Sachen gegenüber. Die Engländer haben nur Pietät gegen ihre freie Verfassung und sie würden sich durch das Wort Pietät nicht ihre Rechte verkummern lassen. —</p> <p>Abg. <hi rendition="#g">Temme</hi>: Ich weiß nicht wie weit das gegenwärtige Ministerium bereit ist, die Verheissungen die bei der Errichtung dieses Instituts von dem damaligen Ministerium gegeben wurden, zu erfullen. Damals wurde die freie Wahl der Führer und eine Verfassung auf der breitesten Grundlage versprochen. Das Volk wird sich nur solche Männer zum Kommandeur wählen, die sein Vertrauen besitzen und dagegen sollte eine Regierung nie etwas einzuwenden haben. —</p> <p>Minister <hi rendition="#g">Milde</hi>: Spricht sehr langweilig über Vertrauen. —</p> <p>Abstimmung: Der Prasident giebt dem Amendement des Abg. <hi rendition="#g">Kunth</hi> die Priorität, welches lautet:</p> <p>„Der Oberst wird vom Könige, aus einer Liste von drei Kandidaten, welche in Gemäßheit des §. 44. seqq. gewählt werden, ernannt.“</p> <p>Die namentliche Abstimmung ergiebt 225 Stimmen dafür; 136 Stimmen dagegen. — Ministerielle Majorität 89 Stimmen. — Rodbertus und v. Berg stimmen mit der Linken.</p> <p>Hierauf werden verschiedene Zusatz-Amendements über die Art der Wahl der Kandidaten der Majors und Obersten angenommen und deren Redaktion dem Berichterstatter uberwiesen; ebenso der ursprüngliche §. 48 angenommen.</p> <p>Der §. 49 erhält auch durch ein Amendement des Abg. Mathäi eine andere Fassung und lautet jetzt:</p> <p>„Ueber Beschwerden gegen die Gültigkeit der Wahlen bis zum Hauptmann einschließlich entscheidet, vorbehaltlich der Berufung an die Kreisvertretung, die Gemeindevertretung des Wahlortes.“</p> <p>„Ueber Beschwerden gegen die Gültigkeit der Wahlen des Majors und Obersten entscheidet diejenige Kreisvertretung, in welcher der Wahlort liegt, vorbehaltlich der Berufung an die Bezirksvertretung.“</p> <p>„Sowohl für die Beschwerden über die Gültigkeit der Wahlen, als auch für die Berufung an die Kreisvertretung findet eine präklusivische Frist von 10 Tagen Statt.“</p> <p>„An der Entscheidung nehmen diejenigen nicht Theil, welche bei der angegriffenen Wahl als Gemeindevorsteher, Protokollführer oder Stimmzähler Theil genommen haben.“</p> <p>Die ursprünglichen §§. 50 und 51 fallen weg und sind durch die Amendements Kunth und Mathaei ersetzt.</p> <p>Schließlich werden noch die §§. 52, 53, 54 mit kleinen Abänderungen angenommen.</p> <p>Bei §. 53 hat zwar eine längere Debatte über das Amendement des Abgeordneten Weichsel Statt gefunden, daß die Wahlen alle Jahre erneuert werden sollten, indem eine Dienstzeit von drei Jahren eine gewisse Stabilität herbeiführen würde; die Linke unterstützte dies Amendement, welches jedoch verworfen wurde</p> <p>Hierauf Schluß der Sitzung. Das Bürgerwehrgesetz wird erst in der nächsten Woche bis zu Ende berathen werden. Zur morgenden Sitzung liegen außer dem Gesetz über die Erhöhung der Rübenzucker- und Maischsteuer und dem Bericht der Central-Abtheilung wegen Unterstützung der verarmten Krieger aus den Feldzügen von 1813-15, noch ein dringender Antrag des Abg. Nenstiel wegen sofortiger Abschaffung der Hofedienste (Robot) und die Antwort des Ministers des Innern auf die Interpellation des Abg. Berends, wegen der Haussuchung im Handwerkerverein, vor.</p> </div> <div xml:id="ar093_011" type="jArticle"> <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, 28. August.</head> <p>Sitzung des Reichstags vom 26. August. Auf der Tagesordnung stand der Schluß der Berathung über den Antrag Kudlichs.</p> <p><hi rendition="#g">Umlauft,</hi> ein sonst guter Demokrat, der aber dennoch erst Handschuhe anzieht, wenn er sich mit einem Minister einläßt, protestirt dawider, daß ihm der Präsident gestern das Wort nicht gestattet; als er sich gegen Vorwürfe des k. k. öste#r. Hofdemokraten und Ministers Dobblhoff habe verwahren wollen. <hi rendition="#g">Goldmark</hi> schließt sich mit einem unbehandschuhten Proteste seinem Freunde an.</p> <p>Auf den Frachtwagen der Amendements zu Kudlichs Antrag werden neu unterstützte aufgeladen, andere von ihm herabgenommen. Das Centrum huldigt inzwischen der Verdauung. Ein Abgeordneter, ich glaude <hi rendition="#g">Volkmar</hi>, fleht, aus Barmherzigkeit die Amendements zu beseitigen, weil man sich mit diesem Heuwagen ohnehin schon vor dem Publikum lächerlich gemacht. (Zischen). Fällt beim Abstimmen durch, denn nur die Linke erhebt sich aus dem Verdauungswerke, der Bauch bleibt sitzen.</p> <p>Jetzt kommen Interpellationen. Doch nicht Löhner, sondern der Ritter v. <hi rendition="#g">Lasser</hi>, Dr., Aktuar und Hofkammerprokurator erhebt sich mit seiner Gustav-Adolf-Miene, um den Minister des Aeußern zu fragen, ob derselbe von der Volksbewegung in der Walachei etwas erfahren und welche Politik er derselben gegenuber befolgt habe und zu befolgen gedenke; ob die aus der Walachei hier angekommene Deputation zur Anrufung des österr. Schutzes von dem Minister empfangen worden u s. w. <hi rendition="#g">Wessenberg</hi>, ein Mann von mehr als 70 Jahren, von denen er etwa 35 im deutschen Bundesvatikan zugebracht, bis er am 26. Mai durch die Schlauheit der damaligen s. g. Demokraten ins Ministerium des österr. Aeußern verrückt wurde, aus welchem er indessen vor einigen Tagen in Wien erst eingetroffen ist, steht auf mit dem Ansehen einer Erscheinung aus dem Kyffhäuser. Seine Mundgestikulationen verrathen, daß er sprechen will, um seine Gedanken zu verbergen. Lautlose Stille; kein Ton von Menschenstimme läßt sich vernehmen; jeder horcht und hort nichts; selbst die Stenographen sind unthätig Wirklich ein interessanter Moment für den, welcher noch niemals Gelegenheit gehabt, eine lebende Protokoll-Ruine des vermoderten deutschen Bundes zu sehen. — Ritter v Lasser aus Ober-Oesterreich merkt sich's, rückt an und nähert mit Kavalier-Anstand sein Ohr dem ministeriellen Munde. Der ganze Reichstag sammelte sich um den verwittweten Bundestagsrest, aber selbst Ritter v. Lasser ist nicht im Stande, ihm etwas abzulauschen. Diese Gelegenheit benutzt Dobblhoff, sich dreinzumischen und dem zudringlichen Interpellanten etwas in's Ohr zu raunen, worauf sich derselbe entfernt und die Bundestags-Scene bis auf einigen Privatklatsch im Centrum ein Ende hat. Wessenbergs Rede ward den Stenographen später schriftlich zugestellt und wird — gewiß zum Erstaunen aller Bundestagsleichen — morgen in Europa stenographirt auftreten. — Eine zweite Interpellation ist ebenso unvernehmbar; worauf der Abg. <hi rendition="#g">Kudlich</hi> Doktorand der Rechte aus Schlesien, eine durch Rede, Humor und Aeußerlichkeit pikante Persönlichkeit, als Antragsteller das Schlußwort erhält. Mit satyrischer Begeisterung erinnert er die Versammlung an den begeisterten Zuruf mit dem sie ihn vor 4 Wochen begrüßt, als er seinen Antrag gestellt habe und sagt: Er werde ka t und kurz zu sein streben, um die Versammlung vor fernerem Enthusiasmus zu bewahren; man habe seinen Antrag ein aus einem Lorbeer entsprossenes Kleeblatt genannt und es sei in der That vielleicht besser, daß derselbe ein Boden geworden für nahrhaften Klee, als für ungenießbaren Lorbeer. Wenn der Reichstag sich durch den Antrag, wie man gesagt, zu gefährlicher Begeisterung habe hinreißen lassen, so könne er sich jetzt, wohl schon darüber verantworten, nachdem die Berathung darüber mehr als 14 Tage gedauert. Man sei jetzt so klug wie zuvor, obgleich man die Sache aus tyrolischem, böhmischem, juridischem, politischem, kroatischem, galizischem u. s. w. Gesichtspunkte betrachtet habe. Von dem Dampfwagen, welchem wie der Abg. Borrosch gemeint, ein Hemmschuh anzulegen, sei ihm nichts vorgekommen; der Dampf habe die Versammlung nicht so forttreiben können, weil die Maschine tüchtig mit der Geschäftsordnung geheitzt worden sei u. s. w. Was die Entschädigung betreffe, so sei er der Meinung, dieselbe müsse eine Ausnahme sein für die Fälle, wo das Verhältniß aus einem Privatvertrage entstanden, dergleichen er selbst kenne. Für die Abgeordneten, welche sich auf die Grundbücher berufen und die Herrschaften als Besitzer bezeichnet, bemerke er, daß er gewünscht, sie hätten sich mehr auf die Grundbücher des Menschenrechts berufen, worin von Tazitus bis Rotteck, und seinetwegen auch bis auf Palecky, alle Bauern als gleichberechtigte Staatsbürger ursprünglich verzeichnet stünden. (Palecky nickt bejahend mit dem Kopfe). Von einem Verhältniß wie zwischen Gläubiger und Schuldner, konne hier durchaus nicht die Rede sein, wohl aber lediglich nur von dem zwischen einer herrschenden und beherrschten Kaste. „Als die Völker ackerbauend wurden,“ fährt er fort, „verdroß es sie, in den Krieg zu ziehen; sie zahlten einem Theile der Lust dazu hatte, eine Entschädigung dafur, daß er für sie in den Krieg ziehe. Auf der einen Seite wuchs nun die Gewalt, während auf der andern die Schwäche und die Bundesfürsten gaben dann zur Unterdrückung ihre Sanktion. So entstand das Verhältniß, um welches es sich handelt und welches den Völkern zur Warnung dienen soll, daß sie sich nie die Wehrhaftigkeit entreißen lassen sollen.“ Der Unterstaatssekretair Mayer habe mit politischer Weisheit von dem Entstehen eines Proletariats, andere von Kommunismus gesprochen, überhaupt nur wider den Bauer, nicht aber wider den Gutsbesitzer plädirt und den Anschein gewonnen, als interessirten sie sich um das Proletariat, davon könne indessen vorläufig um so weniger die Rede sein, als der Bauer, wenn er dem Gutsherrn nichts mehr zu leisten und zu zahlen habe, das allenfallsige Proletariat mit mildernder Hand in Thätigkeit setzen und beseitigen werde. (Großer Beifall).</p> <p><hi rendition="#g">Borrosch</hi> und <hi rendition="#g">Helfert</hi> legen gegen ihre Namensnennung Protest ein, wogegen <hi rendition="#g">Kudlich</hi> fragt, wofür sie ihre Namen denn trügen, wenn sie nicht genannt sein wollten.</p> <p>Justizminister <hi rendition="#g">Bach</hi> (im Juni blutrother Demokrat, im August antidemokratischer Minister) besteigt pfiffig lachend und um sich blickend die Tribüne.</p> <p><hi rendition="#g">Kudlich</hi>: Die Debatte ist geschlossen.</p> <p><hi rendition="#g">Präsident</hi> beruft sich auf einen Paragraphen der Geschäftsordnung, welcher dem Minister zu jeder Zeit das Wort gestatte.</p> <p><hi rendition="#g">Justizminister</hi> spricht nun in einer langen schlauen Ministerrede gegen den Antrag, deren Piedestal in Verhältnissen aus allen menschlichen Verhältnissen, in centnerschweren Bedenken über diese Verhältnisse, in Recht, Eigenthum und gar in Nationalehre, kurz in einem fuchsschwänzigen Bourgeois-Balast besteht, aus dessen Annahme das Ministerium eine Kabinetsfrage machen will. (Das Centrum erschreckt). Er will dem Reichstag blos den Anspruch eines in Entschädigung einbalsamirten Prinzips lassen, welches dann im Mumienkasten der Provinziallandtage in egyptische Finsterniß begraben oder zu deutsch, ins Leben gerufen, ausgearbeitet werden soll. Nicht zweideutige Worte und Humanitätsrücksichten, sondern Recht, Eigenthum, Nationalehre (?) müßten den Beschluß des Reichstags leiten. Dies geschehe auch in Deutschland; Frankfurt und Berlin hätten es ebenfalls gethan. Vor Allem müsse man gerecht sein, mit der Gerechtigkeit erlange man die Freiheit.</p> <p>Nach dem Abtritt dieses Juni-Demokraten wackelt Finanzminister Kraus zum Stuhl, um in einem halbstündigen Minister-Salbader, in welchem ebenfalls viele Eigenthums- und Oekonomiebeweise vorkamen, zu verkünden, daß der Staat einen Theil der Entschädigung übernehmen würde. Beide Minister wußten unter dem Gewäsche übrigens einen nicht zu übersehenden Takt zu beobachten; sie adressirten sich zu verschiedenen Malen nämlich an Stadions apostolische Bauern aus Galizien, die die Entschädigung mit dem Knüppel entrichten und gaben sich alle Mühe, dieselben zu ködern. Kraus, nannte sich dabei einen gebornen Galizier und debitirte mit kalkulirender Schachergemüthlichkeit Vieles aus „Dichtung und Wahrheit.“ Die Sache klang ungemein erbaulich.</p> <p><hi rendition="#g">Kudlich</hi> will noch einmal das Wort ergreifen, weil ihm als Antragsteller das letzte Wort zustehe.</p> <p>Der Präsident <hi rendition="#g">Strobach</hi> verweigert es ihm mit professorisch-diktatorischem Tone.</p> <p><hi rendition="#g">Goldmark</hi> unterstützt Kudlich auf Grund des §. 62 und 64 der Geschäfts- (Un) Ordnung, wonach immer der Abgeordnete das letzte Wort, die Minister, aber nur während der Debatte, jederzeit dasselbe hätten.</p> <p>Präsident <hi rendition="#g">Strobach</hi>: „Wird der Antrag unterstützt?“ (Geschieht). Es soll darüber abgestimmt werden.</p> <p><hi rendition="#g">Goldmark</hi> widersetzt sich, indem es sich, weil kein Antrag. sondern blos eine Ordnungsfrage gestellt sei, von keiner Abstimmung handeln könne.</p> <p><hi rendition="#g">Präsident</hi> beharrt bei seiner Ansicht.</p> <p><hi rendition="#g">Helfert</hi> spricht für Kudlich und Goldmark; immer müsse der Abgeordnete das letzte Wort haben.</p> <p><hi rendition="#g">Löhner</hi>. Der Ausdruck, jeder Zeit können die Minister das Wort ergreifen, lasse sich nur von der Dauer der Verhandlung verstehen, sonst konne der Minister es ja auch noch während der Abstimmung nehmen (Bravo), und durch einen solchen Terrorismus. ‥‥</p> <p>Präsident <hi rendition="#g">Strobach</hi> mit gewaltiger Amtsmine: Ich rufe den Redner wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung. (Lärm, Bravo im Centrum und Rechts, Links Zischen.)</p> <p><hi rendition="#g">Goldmark</hi> mit Heftigkeit, während ein gegenüber sitzender Abgeordneter unterirdisch die Faust ballt: Gegen einen solchen Akt der Willkür und Parteilichkeit muß ich feierlichst protestiren. (Lärm, Beifall, Zischen.)</p> <p><hi rendition="#g">Gobbi</hi> erinnert daran, daß man sich im Reichstage befinde.</p> <p><hi rendition="#g">Präsident</hi> ermahnt Löhner, sich niederzusetzen, weil er zur Ordnung gerufen sei.</p> <p><hi rendition="#g">Löhner</hi> bleibt stehen, protestirt und fordert vom Präsidenten, diesen Ruf zurückzunehmen.</p> <p><hi rendition="#g">Präsident</hi> beharrt büreaukratisch-stolz dabei.</p> <p><hi rendition="#g">Schuselka</hi> protestirt mit einem großen Theil der Versammlung ebenfalls wider ein solches Diktatorverfahren. (Große Aufregung. Präsident Strobach hat Mühe, sich von den gegen ihn gerichteten Angriffen zu erholen.)</p> <p><hi rendition="#g">Präsident</hi> erklärt, daß er zur Fragestellung und Beschlußfassung am Dienstag eine besondere Sitzung anberaumen, wenn die Versammlung beistimme. Sie that es. Ende.</p> </div> <div xml:id="ar093_012" type="jArticle"> <head><bibl><author>61</author></bibl> Wien, 29. August.</head> <p>Sie sehen, die Sitzung endete in einem kleinen Sturm, der etwas czechisch geblasen, wie die Tagespresse meint. Morgen alea jacta erunt. Wird der Antrag verworfen oder nur mit Entschädigung angenommen, dann werden die Bauern interveniren; wird er ohne Entschädigung angenommen, werden also die Bauern zufrieden gemacht, so geht Oesterreich in die Bahn des Spießbürgerthums über.</p> <p>Die Stadt und die Arbeiter sind einstweilen ruhig und ordentlich, denn die Zahl der Todten und Verwundeten ist heute bereits auf 360 angewachsen. Der Sicherheitsausschuß hat sich in einen demokratischen Verein zur Wahrung der Volksrechte verwandelt und findet ungeheure Mitgliedschaft. Tausend Frauen Wien's haben ihm eine Adresse überreichen lassen, worin sie für die Zeit der Gefahr thätige Hülfe versprechen.</p> <p>Am Samstag wurden die gebliebenen Arbeiter, nicht wie in Paris als Banditen und Mordbrenner, sondern feierlichst beerdigt; die ganze akademische Legion, ein großer Theil der Nationalgarde, der Sicherheitsausschuß waren nebst einer gewaltigen Menge im Geleite. Die Stimmung ist umgeschlagen, die Nationalgarde schämt sich dieses Vorfalls, viele haben erklärt, in keinem Falle mehr wider die Arbeiter ziehen zu wollen. Es ist noch Ehre und Nobility im Wiener Spießbürgerthum. Eine Menge Flugblätter, die ganze Presse nehmen sich der Arbeiter an, das Ministerium ist in der öffentlichen Meinung bankrutt; selbst die Jesuitenschlange, „die Presse“, nimmt sich, freilich aus niederträchtigen Gründen, der Arbeiter wider das Ministerium an. Nur die matte, phrasenreiche Konstitution spricht noch von Dobblhoff's mildem Sinn. Die Arbeiter der Nordbahn erklären in einem Maueranschlag heute den ganzen Vorfall und wälzen die Schuld auf die Sicherheitswache und auf den brutalen Theil der Nationalgarde.</p> <p>Bald hätte ich etwas vergessen, nämlich die Antwort <hi rendition="#g">Wessenberg's</hi> auf die walachische Interpellation. Sie ist zwar noch nicht an's Tageslicht gekommen, Sie können aber fest darauf rechnen, daß das Ministerium des Aeußern nur darum allein so leise gesprochen, weil es Türken und Russen, geschweige sie abzuhalten, zum Schutz der walachischen Freiheit selber herbeigerufen, so etwas indessen vor Zuhörern keineswegs ganz laut verkünden darf. O, es sind Gauner! In welche Verlegenheit könnte Jellachich, wenn die walachisch-serbisch-illyrische Presse die Serben, Illyrier, Walacher etc. des Jellachichich darüber aufklären käme, welchem Geiste und welcher Kreatur sie Blut und Leben opfern! Darum her mit den Türken, Mongolen und Baschkiren; sie sollen fortan die Säulen des civilisirten Absolutismus sein! In welche Satanshaut der österreichische Absolutismus sich hüllt, davon hat man bei Ihnen noch überall nicht die rechte Ahnung.</p> </div> <div xml:id="ar093_013" type="jArticle"> <head><bibl><author>*</author></bibl> Wien, 28. Aug.</head> <p>Von Arbeitern sind schwer verwundet 152, leicht verwundet 130, todt 30; von der Sicherheitsgarde: schwer verwundet 4, leicht verwundet 18, vermißt 3; von der Nationalgarde: schwer verwundet 4, leicht verwundet 30, todt 1. Unter den Verwundeten der ersten Rubrik befinden sich 10 Frauenzimmer.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0469/0003]
Für die Dringlichkeit dieses Antrags stimmt nur die Linke. Während der Abstimmung über die Dringlichkeit schreit einer im Centrum schnell und laut: „Sitzen bleiben.“ Centren und Rechte bleiben sitzen. Dies ist charakteristisch.
Tagesordnung: 1. Wahl des Präsidenten.
Stimmende 436. Gagern 396. Hermann aus München 31. Blum 2. Soiron 2. Simon (Breslau), Kotschy, Beisler, Rotenhahn, Hermann aus Sachsen je eine Stimme. Also der „Edle“ wieder erster Präsident.
Furchtbares Bravo und Händeklatschen. Gagern hält die gewöhnliche, rührende (diesmal kurze) Antrittsrede. (Bravo).
2. Wahl des ersten Vizepräsidenten.
Gewählt haben 435. Soiron 284. Hermann 141. Blum 2. Brentano 1. Grävel 1. v. Schnuk 1. Simon (Breslau) 1.
Gagern: Also ist Soiron erster Vizepräsident. (Bravo und langes Zischen).
Soiron: Meine Herren, ich danke Ihnen für die Neuwahl und werde meine Pflicht wie bisher thun. (Furchtbaaes Gelächter, Trommeln, Bravo und Zischen.) (Hr. Soiron hat ganz recht, die Versammlug wegen seiner Neuwahl obendrein zu verhöhnen.)
Präsident verliest eine Erklärung der äußersten Linken und mehrerer anderer Abgeordneten, die gegen die Wahl Soirons namentlich protestiren, und wegen der daraus entspringenden nachtheiligen Folgen zum Voraus ihre Hände in Unschuld waschen. (Rechts Zischen; links Ruhe; rechts die Namen).
Präsident verliest sie; (Zischen). Es treten noch drei Abgeordnete bei.
3. Wahl des zweiten Vicepräsidenten.
Von 417 Wählenden hatte v. Hermann 270 Stimmen, Simon (Breslau) 108, Simson (Königsberg) 13, Soiron 1, Radowitz 15, Schüler aus Jena 2, Blum 2, Kotschy 1.
Also v. Hermann die absolute Majorität. (Bravo).
v. Hermann. Dankt, daß man ihn aufs Neue zum Gehülfen des edlen Mannes, auf den Deutschland mit Stolz blickt, gewählt. Wird nach der Geschäftsordnung den Willen der Versammlung vollführen. (Bravo).
Veit von Berlin macht im Namen seiner Buchhandlung in Berlin der Versammlung dasselbe Anerbieten wie der obenerwähnte Hahn aus Hannover. Die Versammlung votirt Hrn. Veit einstimmigen Dank, und überläßt wie früher die Auswahl der Bücher den verschiedenen Ausschüssen.
Schwetschke aus Halle stellt gleichfalls seine Buchhandlung zu derselben Disposition. (Ungeheure Freude, abermals Dankvotum etc.)
Präsident zeigt viele Beiträge zur Flotte an, u. A. 497 Fl. von den Deutschen in Konstantinopel).
Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung.
Murschel, Berichterstatter, empfiehlt die Ausschußanträge.
Nach einer von häufigem Schlußruf unterbrochenen Diskussion, in der viele Amendements vorkommen und die um so unerquicklicher ist, je breiter sich darin der kleinigkeitskrämerische Bürgerverstand geltend machen kann, wird mit geringer Modifikation der Ausschußantrag angenommen, folgenden Inhalts: Jeder Ausschuß schlägt für eine entstehende Lücke 3 Mitglieder vor, aus denen die Versammlung wählt.
Nach einem frühern Antrag Soirons (den ich bereits gemeldet) beschließt die Versammlung die alten Schulden des Fünfziger-Ausschusses an die Stadt Frankfurt mit Dank zurückzuzahlen.
Nach einem fernern Antrage beschließt die Versammlung fast einstimmig, dem Fünfziger-Ausschuß den Dank der deutschen Nation auszusprechen und demselben nachträglich die Reisekosten und 3 Thlr. tägliche Diäten für die Zeit seines Beisammenseins aus der Reichskasse zu vergütigen. (Gegen den letztern Beschluß stimmte die äußerste Rechte).
Der Vicepräsident Hermann berichtet über 13 Urlaubsgesuche die seit dem 25. d. M. eingelaufen, darunter eins des Grafen v. Auersperg „auf unbestimmte Zeit.“ (Mißbilligung).
Präsident v. Gagern theilt betreffs des Gesetzentwurfs über Minister-Verantwortlichkeit 3 Anträge mit. Der erste von Biedermann, „die Amendements zu diesem Entwurf dem Ausschuß vor der Diskussion einzureichen, um durch Kenntnißnahme derselben die Diskussion zu erleichten.“ Ein zweiter von Radowitz, Bally, Rothenhahn und andern Reaktionären, „die Berathung des Gesetzentwurfs wegen Ministerverantwortlichkeit hinauszuschieben bis nach vollendeter Berathung der Grundrechte, (Rösler höhnisch vom Platze: „ich sehe keine Reaktion“) und zwar wegen der großen Dringlichkeit der Grundrechte,“ (von denen die Rechte am besten weiß, daß sie nie in Kraft treten werden). Einen dritten Antrag stellt Gagern selbst, „nach Biedermanns Vorschlag die Amendements binnen 12 Tagen einzureichen und also bis dahin die Berathung auszusetzen.“
Mit Gagerns Antrag giebt man sich zufrieden. Schluß der Sitzung 2 Uhr.
Tagesordnung für morgen: 1. Beantwortung verschiedener Interpellationen seitens der Minister; 2. Erledigung der Gallerie-Zuhörerfrage; 3. Fortsetzung der Grundrechte.
* Berlin, 31. Aug. Ungeachtet aller Anstrengungen ist es den Polizisten bis gestern Abend nicht geglückt, den gegen Herrn Karbe und Herrn Edgar Bauer erlassenen Verhaftsbefhl zu vollstrecken. Ersterer ist mehrfach öffentlich erschienen, war aber jedesmal mit einer so starken Leibgarde seiner Anhänger umgeben, daß die Polizeibeamten nicht wagen konnten Hand an ihn zu legen. In der gestern Abend erschienenen Zeitungshalle macht er sogar selbst öffentlich bekannt, daß der Polizei seine Verhaftung noch nicht gelungen sei.
69 Berlin, 31. Aug. Das Polizeigericht hat heute das Urtheil gegen die Herren Schramm, Löwinson, Edgar Bauer und Eichler wegen Betheiligung bei mehreren nicht der Polizei angezeigten Volksversammlungen gesprochen. Die drei ersten wurden für schuldig erachtet, und jeder zu einer Geldbuße von 5 Thlrn. verurtheilt; Eichler wurde wegen mangelnden Beweises frei gesprochen.
Berlin. Die Berliner Nachrichten melden, daß der von Hrn. von Below überbrachte siebenmonatliche Waffenstillstand bereits vom Könige unterzeichnet worden sei. Nach der Voss. Ztg. sollte Hr. v. Below am 31. mit der Ratifikation nach Lübeck abgehen, um dort die Auswechselung der Ratifikationen vorzunehmen.
103 Berlin, 31. August. Sitzung der Vereinbarer-Versammlung. — Tagesordnung: Fortsetzung der Berathung des Bürgerwehr-Gesetzes. — Nach Erledigung der Tagesgeschäfte, bringt der Präsident Grabow den in letzter Sitzung amendirten §. 44. zur Abstimmung; derselbe wird einstimmig angenommen und lautet:
§. 44. Die Anführer der Bürgerwehr, werden von allen Bürgerwehrmännern der Dienstwehrliste (§. 15.) gewählt.
Die folgenden 3 §§. werden einstimmig angenommen, sie lauten:
§. 45. Ist die Bürgerwehrmannschaft in einer Gemeinde geringer als eine Kompagnie, so wählen sämmtliche Bürgerwehrmänner der Dienstwehrliste die Führer der Rotten, und wenn sie einen Zug bilden, auch den Zugführer und dessen Stellvertreter.
§. 46. Besteht die Bürgerwehrmannschaft in einer Gemeinde aus einer oder mehreren Kompagnien, so wählt jede Kompagnie ihren Hauptmann und die übrigen Anführer.
§. 47. Ist die Kompagnie aus der Bürgerwehrmannschaft zweier oder mehrerer Gemeinden zusammengesetzt, so wir der Wahlakt der gemeinschaftlichen Anführer in derjenigen Gemeinde vorgenommen, welche die stärkste Bürgerwehrmannschaft hat.
Mehrere Zusatz-Paragraphen betreffend die Wahl der Majors und Obersten werden lebhaft debattirt.
Abg. Mathäi: Durch die Annahme des amendirten §. 44. haben wir das Prinzip der direkten Wahlen ausgesprochen, dadurch fallen §§. 50 und 51, welche indirekte Wahlen vorschreiben, von selbst weg es wir müssen daher neue Bestimmungen über die zweckmäßigste Wahl der Majors und Obersten eingeführt werden. Meiner Ansicht nach kann die Wahl dieser Oberoffiziere ganz nach demselben Grundsatze stattfinden, wie die der Zugführer und Hauptleute. —
Abg. Berends: Nimmt sein Amendement zurück und schließt sich dem des Abg. Mathäi an.
Minister des Innern Kühlwetter: Es ist in allen konstitutionellen Staaten Grundsatz den König aus der Diskussion zu lassen. Bei Gelegenheit der Eidesleistungen hat man schon die Person des Königs in die Diskussion verwickelt. Hier handelt es sich eigentlich darum der Krone eine Ehrenleistung zuzuwenden, die in der Ernennung der Obersten der Bürgerwehr liegt. — Es ist die Regierung aufs Wesentlichste dabei interessirt, daß der Oberbefehl keinem Manne übergeben werde, der die Regierung vielleicht ihr Vertrauen nicht geben könne.
Abg. Waldeck: Das Prinzip der indirekten Wahl der höheren Anführer ist gefallen und man will noch an der Kanditatenliste festhalten. Eine solche Wahl repräsentirt aber nie die wahre Meinung des Volks. Der Minister des Innern wünscht daß der Regierung ein Einfluß auf die Wahl der Obersten gestattet werde. Das Ministerium wird dann den Kommandeur jedesmal in seinem eigenen Geiste wählen.
Minister-Präsident glaubt, daß die Regierung ein mäßiges Verlangen stellte, denn der vorgeschlagene Candidat ist entweder der Mann des allgemeinen Vertrauens dann wird ihn auch die Regierung wählen, oder er ist für absichtliche Zwecke gewählt, dann wird ihn die Re- gierung recusiren müssen. —
Minister Hansemann: Der Rede des Abg. Waldeck liege nur die Idee zu Grunde, ein Theil der Nation oder der Bürgerwehr befinde sich in einem Gegensatze zur Regierung. Das konstitutionelle Ministerium ist gestützt auf die Majorität des Landes. (Baden, Belgien!) Ich glaube wohl, daß einer solchen Regierung ein Einfluß auf die Wahl zu gestatten ist. Alle Ministerien haben Einen Grundsatz zu verfolgen, nämlich den, die öffentliche Ordnung zu erhalten. Es kann daher nur darauf ankommen, ob der Kommandeur ein tüchtiger, zuverlässiger Mann sei. Der Herr Abg. moge doch nach Paris gehen und sich überzeugen, ob sich jetzt noch Jemand über die Februar-Ereignisse freuet! (Als ob man da nach Paris zu gehen brauche!) Im Juni haben sich die Nationalgarden zum größten Theil sehr gut geschlagen. (!!) Es ist Gefahr, daß die Nationalgarde sich nicht gut (gegen das Volk) schlage, wenn das Volk sie im Gegensatze zur Regierung frei wählt. —
Minister Kühlwetter berichtigt: Wenn ich von einer gewissen Ehrfurcht gegen den König gesprochen, so habe ich damit nur von der Krone gesprochen, an die Ehrfurcht für eine bestimmte Persönlichkeit habe ich aber nicht gedacht.
Abg. Jung. Der Minister des Innern sagt: Die Bürgerwehr solle ein Organ der executiven Gewalt sein, nein! Die Bürgerwehr soll ein Wächter der executiven Gewalt sein. — Man spricht von Vertrauen. Ich kenne aber das Gefühl der Pietät, das man von uns verlangt, nur Personen nicht Sachen gegenüber. Die Engländer haben nur Pietät gegen ihre freie Verfassung und sie würden sich durch das Wort Pietät nicht ihre Rechte verkummern lassen. —
Abg. Temme: Ich weiß nicht wie weit das gegenwärtige Ministerium bereit ist, die Verheissungen die bei der Errichtung dieses Instituts von dem damaligen Ministerium gegeben wurden, zu erfullen. Damals wurde die freie Wahl der Führer und eine Verfassung auf der breitesten Grundlage versprochen. Das Volk wird sich nur solche Männer zum Kommandeur wählen, die sein Vertrauen besitzen und dagegen sollte eine Regierung nie etwas einzuwenden haben. —
Minister Milde: Spricht sehr langweilig über Vertrauen. —
Abstimmung: Der Prasident giebt dem Amendement des Abg. Kunth die Priorität, welches lautet:
„Der Oberst wird vom Könige, aus einer Liste von drei Kandidaten, welche in Gemäßheit des §. 44. seqq. gewählt werden, ernannt.“
Die namentliche Abstimmung ergiebt 225 Stimmen dafür; 136 Stimmen dagegen. — Ministerielle Majorität 89 Stimmen. — Rodbertus und v. Berg stimmen mit der Linken.
Hierauf werden verschiedene Zusatz-Amendements über die Art der Wahl der Kandidaten der Majors und Obersten angenommen und deren Redaktion dem Berichterstatter uberwiesen; ebenso der ursprüngliche §. 48 angenommen.
Der §. 49 erhält auch durch ein Amendement des Abg. Mathäi eine andere Fassung und lautet jetzt:
„Ueber Beschwerden gegen die Gültigkeit der Wahlen bis zum Hauptmann einschließlich entscheidet, vorbehaltlich der Berufung an die Kreisvertretung, die Gemeindevertretung des Wahlortes.“
„Ueber Beschwerden gegen die Gültigkeit der Wahlen des Majors und Obersten entscheidet diejenige Kreisvertretung, in welcher der Wahlort liegt, vorbehaltlich der Berufung an die Bezirksvertretung.“
„Sowohl für die Beschwerden über die Gültigkeit der Wahlen, als auch für die Berufung an die Kreisvertretung findet eine präklusivische Frist von 10 Tagen Statt.“
„An der Entscheidung nehmen diejenigen nicht Theil, welche bei der angegriffenen Wahl als Gemeindevorsteher, Protokollführer oder Stimmzähler Theil genommen haben.“
Die ursprünglichen §§. 50 und 51 fallen weg und sind durch die Amendements Kunth und Mathaei ersetzt.
Schließlich werden noch die §§. 52, 53, 54 mit kleinen Abänderungen angenommen.
Bei §. 53 hat zwar eine längere Debatte über das Amendement des Abgeordneten Weichsel Statt gefunden, daß die Wahlen alle Jahre erneuert werden sollten, indem eine Dienstzeit von drei Jahren eine gewisse Stabilität herbeiführen würde; die Linke unterstützte dies Amendement, welches jedoch verworfen wurde
Hierauf Schluß der Sitzung. Das Bürgerwehrgesetz wird erst in der nächsten Woche bis zu Ende berathen werden. Zur morgenden Sitzung liegen außer dem Gesetz über die Erhöhung der Rübenzucker- und Maischsteuer und dem Bericht der Central-Abtheilung wegen Unterstützung der verarmten Krieger aus den Feldzügen von 1813-15, noch ein dringender Antrag des Abg. Nenstiel wegen sofortiger Abschaffung der Hofedienste (Robot) und die Antwort des Ministers des Innern auf die Interpellation des Abg. Berends, wegen der Haussuchung im Handwerkerverein, vor.
61 Wien, 28. August. Sitzung des Reichstags vom 26. August. Auf der Tagesordnung stand der Schluß der Berathung über den Antrag Kudlichs.
Umlauft, ein sonst guter Demokrat, der aber dennoch erst Handschuhe anzieht, wenn er sich mit einem Minister einläßt, protestirt dawider, daß ihm der Präsident gestern das Wort nicht gestattet; als er sich gegen Vorwürfe des k. k. öste#r. Hofdemokraten und Ministers Dobblhoff habe verwahren wollen. Goldmark schließt sich mit einem unbehandschuhten Proteste seinem Freunde an.
Auf den Frachtwagen der Amendements zu Kudlichs Antrag werden neu unterstützte aufgeladen, andere von ihm herabgenommen. Das Centrum huldigt inzwischen der Verdauung. Ein Abgeordneter, ich glaude Volkmar, fleht, aus Barmherzigkeit die Amendements zu beseitigen, weil man sich mit diesem Heuwagen ohnehin schon vor dem Publikum lächerlich gemacht. (Zischen). Fällt beim Abstimmen durch, denn nur die Linke erhebt sich aus dem Verdauungswerke, der Bauch bleibt sitzen.
Jetzt kommen Interpellationen. Doch nicht Löhner, sondern der Ritter v. Lasser, Dr., Aktuar und Hofkammerprokurator erhebt sich mit seiner Gustav-Adolf-Miene, um den Minister des Aeußern zu fragen, ob derselbe von der Volksbewegung in der Walachei etwas erfahren und welche Politik er derselben gegenuber befolgt habe und zu befolgen gedenke; ob die aus der Walachei hier angekommene Deputation zur Anrufung des österr. Schutzes von dem Minister empfangen worden u s. w. Wessenberg, ein Mann von mehr als 70 Jahren, von denen er etwa 35 im deutschen Bundesvatikan zugebracht, bis er am 26. Mai durch die Schlauheit der damaligen s. g. Demokraten ins Ministerium des österr. Aeußern verrückt wurde, aus welchem er indessen vor einigen Tagen in Wien erst eingetroffen ist, steht auf mit dem Ansehen einer Erscheinung aus dem Kyffhäuser. Seine Mundgestikulationen verrathen, daß er sprechen will, um seine Gedanken zu verbergen. Lautlose Stille; kein Ton von Menschenstimme läßt sich vernehmen; jeder horcht und hort nichts; selbst die Stenographen sind unthätig Wirklich ein interessanter Moment für den, welcher noch niemals Gelegenheit gehabt, eine lebende Protokoll-Ruine des vermoderten deutschen Bundes zu sehen. — Ritter v Lasser aus Ober-Oesterreich merkt sich's, rückt an und nähert mit Kavalier-Anstand sein Ohr dem ministeriellen Munde. Der ganze Reichstag sammelte sich um den verwittweten Bundestagsrest, aber selbst Ritter v. Lasser ist nicht im Stande, ihm etwas abzulauschen. Diese Gelegenheit benutzt Dobblhoff, sich dreinzumischen und dem zudringlichen Interpellanten etwas in's Ohr zu raunen, worauf sich derselbe entfernt und die Bundestags-Scene bis auf einigen Privatklatsch im Centrum ein Ende hat. Wessenbergs Rede ward den Stenographen später schriftlich zugestellt und wird — gewiß zum Erstaunen aller Bundestagsleichen — morgen in Europa stenographirt auftreten. — Eine zweite Interpellation ist ebenso unvernehmbar; worauf der Abg. Kudlich Doktorand der Rechte aus Schlesien, eine durch Rede, Humor und Aeußerlichkeit pikante Persönlichkeit, als Antragsteller das Schlußwort erhält. Mit satyrischer Begeisterung erinnert er die Versammlung an den begeisterten Zuruf mit dem sie ihn vor 4 Wochen begrüßt, als er seinen Antrag gestellt habe und sagt: Er werde ka t und kurz zu sein streben, um die Versammlung vor fernerem Enthusiasmus zu bewahren; man habe seinen Antrag ein aus einem Lorbeer entsprossenes Kleeblatt genannt und es sei in der That vielleicht besser, daß derselbe ein Boden geworden für nahrhaften Klee, als für ungenießbaren Lorbeer. Wenn der Reichstag sich durch den Antrag, wie man gesagt, zu gefährlicher Begeisterung habe hinreißen lassen, so könne er sich jetzt, wohl schon darüber verantworten, nachdem die Berathung darüber mehr als 14 Tage gedauert. Man sei jetzt so klug wie zuvor, obgleich man die Sache aus tyrolischem, böhmischem, juridischem, politischem, kroatischem, galizischem u. s. w. Gesichtspunkte betrachtet habe. Von dem Dampfwagen, welchem wie der Abg. Borrosch gemeint, ein Hemmschuh anzulegen, sei ihm nichts vorgekommen; der Dampf habe die Versammlung nicht so forttreiben können, weil die Maschine tüchtig mit der Geschäftsordnung geheitzt worden sei u. s. w. Was die Entschädigung betreffe, so sei er der Meinung, dieselbe müsse eine Ausnahme sein für die Fälle, wo das Verhältniß aus einem Privatvertrage entstanden, dergleichen er selbst kenne. Für die Abgeordneten, welche sich auf die Grundbücher berufen und die Herrschaften als Besitzer bezeichnet, bemerke er, daß er gewünscht, sie hätten sich mehr auf die Grundbücher des Menschenrechts berufen, worin von Tazitus bis Rotteck, und seinetwegen auch bis auf Palecky, alle Bauern als gleichberechtigte Staatsbürger ursprünglich verzeichnet stünden. (Palecky nickt bejahend mit dem Kopfe). Von einem Verhältniß wie zwischen Gläubiger und Schuldner, konne hier durchaus nicht die Rede sein, wohl aber lediglich nur von dem zwischen einer herrschenden und beherrschten Kaste. „Als die Völker ackerbauend wurden,“ fährt er fort, „verdroß es sie, in den Krieg zu ziehen; sie zahlten einem Theile der Lust dazu hatte, eine Entschädigung dafur, daß er für sie in den Krieg ziehe. Auf der einen Seite wuchs nun die Gewalt, während auf der andern die Schwäche und die Bundesfürsten gaben dann zur Unterdrückung ihre Sanktion. So entstand das Verhältniß, um welches es sich handelt und welches den Völkern zur Warnung dienen soll, daß sie sich nie die Wehrhaftigkeit entreißen lassen sollen.“ Der Unterstaatssekretair Mayer habe mit politischer Weisheit von dem Entstehen eines Proletariats, andere von Kommunismus gesprochen, überhaupt nur wider den Bauer, nicht aber wider den Gutsbesitzer plädirt und den Anschein gewonnen, als interessirten sie sich um das Proletariat, davon könne indessen vorläufig um so weniger die Rede sein, als der Bauer, wenn er dem Gutsherrn nichts mehr zu leisten und zu zahlen habe, das allenfallsige Proletariat mit mildernder Hand in Thätigkeit setzen und beseitigen werde. (Großer Beifall).
Borrosch und Helfert legen gegen ihre Namensnennung Protest ein, wogegen Kudlich fragt, wofür sie ihre Namen denn trügen, wenn sie nicht genannt sein wollten.
Justizminister Bach (im Juni blutrother Demokrat, im August antidemokratischer Minister) besteigt pfiffig lachend und um sich blickend die Tribüne.
Kudlich: Die Debatte ist geschlossen.
Präsident beruft sich auf einen Paragraphen der Geschäftsordnung, welcher dem Minister zu jeder Zeit das Wort gestatte.
Justizminister spricht nun in einer langen schlauen Ministerrede gegen den Antrag, deren Piedestal in Verhältnissen aus allen menschlichen Verhältnissen, in centnerschweren Bedenken über diese Verhältnisse, in Recht, Eigenthum und gar in Nationalehre, kurz in einem fuchsschwänzigen Bourgeois-Balast besteht, aus dessen Annahme das Ministerium eine Kabinetsfrage machen will. (Das Centrum erschreckt). Er will dem Reichstag blos den Anspruch eines in Entschädigung einbalsamirten Prinzips lassen, welches dann im Mumienkasten der Provinziallandtage in egyptische Finsterniß begraben oder zu deutsch, ins Leben gerufen, ausgearbeitet werden soll. Nicht zweideutige Worte und Humanitätsrücksichten, sondern Recht, Eigenthum, Nationalehre (?) müßten den Beschluß des Reichstags leiten. Dies geschehe auch in Deutschland; Frankfurt und Berlin hätten es ebenfalls gethan. Vor Allem müsse man gerecht sein, mit der Gerechtigkeit erlange man die Freiheit.
Nach dem Abtritt dieses Juni-Demokraten wackelt Finanzminister Kraus zum Stuhl, um in einem halbstündigen Minister-Salbader, in welchem ebenfalls viele Eigenthums- und Oekonomiebeweise vorkamen, zu verkünden, daß der Staat einen Theil der Entschädigung übernehmen würde. Beide Minister wußten unter dem Gewäsche übrigens einen nicht zu übersehenden Takt zu beobachten; sie adressirten sich zu verschiedenen Malen nämlich an Stadions apostolische Bauern aus Galizien, die die Entschädigung mit dem Knüppel entrichten und gaben sich alle Mühe, dieselben zu ködern. Kraus, nannte sich dabei einen gebornen Galizier und debitirte mit kalkulirender Schachergemüthlichkeit Vieles aus „Dichtung und Wahrheit.“ Die Sache klang ungemein erbaulich.
Kudlich will noch einmal das Wort ergreifen, weil ihm als Antragsteller das letzte Wort zustehe.
Der Präsident Strobach verweigert es ihm mit professorisch-diktatorischem Tone.
Goldmark unterstützt Kudlich auf Grund des §. 62 und 64 der Geschäfts- (Un) Ordnung, wonach immer der Abgeordnete das letzte Wort, die Minister, aber nur während der Debatte, jederzeit dasselbe hätten.
Präsident Strobach: „Wird der Antrag unterstützt?“ (Geschieht). Es soll darüber abgestimmt werden.
Goldmark widersetzt sich, indem es sich, weil kein Antrag. sondern blos eine Ordnungsfrage gestellt sei, von keiner Abstimmung handeln könne.
Präsident beharrt bei seiner Ansicht.
Helfert spricht für Kudlich und Goldmark; immer müsse der Abgeordnete das letzte Wort haben.
Löhner. Der Ausdruck, jeder Zeit können die Minister das Wort ergreifen, lasse sich nur von der Dauer der Verhandlung verstehen, sonst konne der Minister es ja auch noch während der Abstimmung nehmen (Bravo), und durch einen solchen Terrorismus. ‥‥
Präsident Strobach mit gewaltiger Amtsmine: Ich rufe den Redner wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung. (Lärm, Bravo im Centrum und Rechts, Links Zischen.)
Goldmark mit Heftigkeit, während ein gegenüber sitzender Abgeordneter unterirdisch die Faust ballt: Gegen einen solchen Akt der Willkür und Parteilichkeit muß ich feierlichst protestiren. (Lärm, Beifall, Zischen.)
Gobbi erinnert daran, daß man sich im Reichstage befinde.
Präsident ermahnt Löhner, sich niederzusetzen, weil er zur Ordnung gerufen sei.
Löhner bleibt stehen, protestirt und fordert vom Präsidenten, diesen Ruf zurückzunehmen.
Präsident beharrt büreaukratisch-stolz dabei.
Schuselka protestirt mit einem großen Theil der Versammlung ebenfalls wider ein solches Diktatorverfahren. (Große Aufregung. Präsident Strobach hat Mühe, sich von den gegen ihn gerichteten Angriffen zu erholen.)
Präsident erklärt, daß er zur Fragestellung und Beschlußfassung am Dienstag eine besondere Sitzung anberaumen, wenn die Versammlung beistimme. Sie that es. Ende.
61 Wien, 29. August. Sie sehen, die Sitzung endete in einem kleinen Sturm, der etwas czechisch geblasen, wie die Tagespresse meint. Morgen alea jacta erunt. Wird der Antrag verworfen oder nur mit Entschädigung angenommen, dann werden die Bauern interveniren; wird er ohne Entschädigung angenommen, werden also die Bauern zufrieden gemacht, so geht Oesterreich in die Bahn des Spießbürgerthums über.
Die Stadt und die Arbeiter sind einstweilen ruhig und ordentlich, denn die Zahl der Todten und Verwundeten ist heute bereits auf 360 angewachsen. Der Sicherheitsausschuß hat sich in einen demokratischen Verein zur Wahrung der Volksrechte verwandelt und findet ungeheure Mitgliedschaft. Tausend Frauen Wien's haben ihm eine Adresse überreichen lassen, worin sie für die Zeit der Gefahr thätige Hülfe versprechen.
Am Samstag wurden die gebliebenen Arbeiter, nicht wie in Paris als Banditen und Mordbrenner, sondern feierlichst beerdigt; die ganze akademische Legion, ein großer Theil der Nationalgarde, der Sicherheitsausschuß waren nebst einer gewaltigen Menge im Geleite. Die Stimmung ist umgeschlagen, die Nationalgarde schämt sich dieses Vorfalls, viele haben erklärt, in keinem Falle mehr wider die Arbeiter ziehen zu wollen. Es ist noch Ehre und Nobility im Wiener Spießbürgerthum. Eine Menge Flugblätter, die ganze Presse nehmen sich der Arbeiter an, das Ministerium ist in der öffentlichen Meinung bankrutt; selbst die Jesuitenschlange, „die Presse“, nimmt sich, freilich aus niederträchtigen Gründen, der Arbeiter wider das Ministerium an. Nur die matte, phrasenreiche Konstitution spricht noch von Dobblhoff's mildem Sinn. Die Arbeiter der Nordbahn erklären in einem Maueranschlag heute den ganzen Vorfall und wälzen die Schuld auf die Sicherheitswache und auf den brutalen Theil der Nationalgarde.
Bald hätte ich etwas vergessen, nämlich die Antwort Wessenberg's auf die walachische Interpellation. Sie ist zwar noch nicht an's Tageslicht gekommen, Sie können aber fest darauf rechnen, daß das Ministerium des Aeußern nur darum allein so leise gesprochen, weil es Türken und Russen, geschweige sie abzuhalten, zum Schutz der walachischen Freiheit selber herbeigerufen, so etwas indessen vor Zuhörern keineswegs ganz laut verkünden darf. O, es sind Gauner! In welche Verlegenheit könnte Jellachich, wenn die walachisch-serbisch-illyrische Presse die Serben, Illyrier, Walacher etc. des Jellachichich darüber aufklären käme, welchem Geiste und welcher Kreatur sie Blut und Leben opfern! Darum her mit den Türken, Mongolen und Baschkiren; sie sollen fortan die Säulen des civilisirten Absolutismus sein! In welche Satanshaut der österreichische Absolutismus sich hüllt, davon hat man bei Ihnen noch überall nicht die rechte Ahnung.
* Wien, 28. Aug. Von Arbeitern sind schwer verwundet 152, leicht verwundet 130, todt 30; von der Sicherheitsgarde: schwer verwundet 4, leicht verwundet 18, vermißt 3; von der Nationalgarde: schwer verwundet 4, leicht verwundet 30, todt 1. Unter den Verwundeten der ersten Rubrik befinden sich 10 Frauenzimmer.
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Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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