Neue Rheinische Zeitung. Nr. 14. Köln, 14. Juni 1848.ten drüber wegsehen." "Wir werden wohl neue Barrikaden bauen müssen." So hörte ich viele Männer aus dem sogenannten niedern Volke reden. - "Daran sind die indirekten Wahlen Schuld" sagt ein an allen Ecken, die förmlich mit Zetteln überklebt sind, befindlicher Anschlag. - Sie sehen, auch hier schwindet das Vertrauen; die Regierung hat es schon lange verloren, und jetzt fängt man auch an, die konstituirende Versammlung aufzugeben. - Die Reaktion scheut natürlich kein Mittel, um sich durchzusetzen; mit reichlichen Geldmitteln versehen, arbeitet sie im Geheimen an ihren Plänen. Besonders thätig ist sie seit der Rückkehr des Prinzen von Preußen, über dessen stummen Empfang sich die in Civil gekleideten Herren Gardelieutenants schon gewaltig geärgert haben. An der Spitze der Reaktionspartei steht der neugebildete Preußen-Verein, dessen Mitglieder meist pensionirte Militärs, Aristokraten, Büraukraten und Geldsäcke sind; eine neue Polizei- und Denunziantenanstalt, die sich freiwillig dem Staatsanwalt zur Verfügung gestellt hat. - Der Verein veranlaßt das Erscheinen einer Zeitung, "Preußen-Zeitung", in der er seine Grundsätze verbreiten will. - Seine Plakate häufen sich mit jedem Tage, aber - o Jammer! - das Volk mag Nichts wissen von solchen vorsündflutlichen Aktenstücken. - - Die Reaktion theilt auch Geld aus, womit sie jedoch selten ihren Zweck erreicht, höchstens ein Paar Hurrah's, wie sie dem Prinzen von Preußen von einigen bezahlten Kehlen geschrien wurden. Daß das Militär in ultra-royalistischem Sinne bearbeitet wird, versteht sich von selbst. - Kompagnieweise ruft man die Soldaten zusammen, liest ihnen eine Erklärung der Treue zu "Gott, König und Vaterland", gespickt und mit wüthenden Ausfällen gegen die "Wühler" und "Aufwiegler" vor; natürlich geben sie ihre Zustimmung dazu; denn wer würde es wagen zu widersprechen? Die Loyalitätserklärung wird dann im Namen des Regiments in die voss. Zeitung gesetzt. - Leider will das Manövre nicht recht fruchten. Die Soldaten besuchen trotz ihrer Loyalitäts-Adressen, die Volksversammlungen und Klubs und lesen trotz des Verbots, die Maueranschläge der Demokraten. - Die Reaktion operirt zu plump, als daß ihre Pläne nicht sogleich an den Tag kommen müßten. - Wem bisher noch nicht die Augen aufgegangen waren, dem sind sie es jetzt. Die reaktionäre Masse wächst hier mit jedem Tage; die Demokratie gewinnt immer mehr Anhänger und täglich bilden sich neue Klubs mit demokratischen Prinzipien. - Die friedlichen Spießbürger, die immer nur nach "Ruhe" schrien; die Bürgerwehr, welche noch vor 4 Wochen so reaktionär war, daß sie z. B. die Literaten am liebsten an den Bayonetten aufgespießt hätte; sie sind durch die aufgedeckten volksfeindlichen Umtriebe der Regierung, die Bürgerwehr besonders durch die ihres frühern Kommandeurs, General von Aschoff, so vollständig umgestimmt, daß man glauben sollte, wir hätten eine neue Revolution gehabt. - Die Hauptelemente der Demokratie sind hier die Arbeiter. Le peuple de Berlin est peuple de coeur! gleich dem Volke von Paris. Es ist wunderbar, wie diese Arbeiter von Berlin, die sich seit der Revolution in der größten Noth befinden, ihren guten Ruf so trefflich bewahrt haben. - Die Reaktion suchte sie freilich fortwährend zu Excessen zu verleiten, um sie mit der Bürgerwehr in Konflikt zu bringen, um dann um so besser über beide herfallen zu können. - Der gesunde Sinn des Volkes siegte stets über diese Versuchungen. "Keinen Krawall!" sagen sie, diese Männer des Volks; "er könnte unsern Feinden nur in die Hände arbeiten. Keine Entzweiung in einem Augenblicke, wo es gilt, einig zu sein!" Und eben dieser friedliche Sinn, dieser Geist der Brüderlichkeit ist es, welcher so viele, die immer noch dem Volke mißtrauten, auf seine Seite gebracht hat. - Ist es nicht ein Zeichen der größten Humanität, wenn Tausende von Menschen im wahren Sinne des Worts aus Mangel an Arbeit hungern und dennoch ruhig bleiben, um nur nicht der Sache der Freiheit zu schaden? An 4000 Arbeiter liefen brodlos umher, arbeitsfähig, aber ohne Arbeit. Vergebens hatten sie Beschäftigung verlangt, der Minister von Patow schickte sie zum Magistrat, der Magistrat zum Minister. Sie wurden geradezu von Pontius zu Pilatus gehetzt, ohne daß man ihr Verlangen erfüllt hätte, denn hier scheinen Ministerium, Kommune und Polizei unter einer Decke zu stecken. Wer nahm sich der Arbeiter an? Der demokratische Klub. Auch dadurch wird sein Anhang immer größer. Allgemein ist man gespannt auf die nächste Sitzung der Vereinbarer. Bis Mittwoch haben dieselben Ferien. Man spricht von einem Gesetzesvorschlag gegen Attroupements; von Militärbesetzung des Sitzungssaales, ja sogar von Verlegung der Versammlung. Wohin? Vielleicht nach Potsdam oder Stettin? - Die Physiognomie der Versammlung wird sicher jetzt eine noch ganz andere werden. Die Regierung will mit ihren verrätherischen Plänen offenbar hervortreten, weßhalb sie ihr Werkzeug an sicherer Stelle zu haben wünscht. - Wahrscheinlich werden mehrere Abgeordnete, die den Erwartungen ihrer Wähler nicht entsprochen haben, von Seiten derselben zur Aufgabe ihres Mandats veranlaßt werden, von hier Prediger Sydow und Hofrath Bauer. 19Bielefeld, 10. Juni. Die Reaktion läßt sich keine Mühe verdrießen, um unsere armen Weber und Spinner gegen die "Freigeister und Republikaner" zu fanatisiren, und man muß gestehen, ihre Bemühungen haben bis jetzt den günstigsten Erfolg davongetragen. Es ist etwas Trauriges um eine Gegend wie die unsrige mit einer untergehenden patriarchalischen Industrie. Die Leute entsinnen sich noch ihres Wohlstandes und hoffen noch immer auf die Wiederherstellung des alten Zustandes. Gleich nach der Revolution warfen sie sich der Bewegung in die Arme, wollten ihre mißliebigen Amtleute absetzen, wollten nur die entschiedensten Demokraten nach Berlin und Frankfurt senden, kamen mit der Absetzung aber nur bis zum Nachwächter, ließen sich dann von der Geistlichkeit kapern, und wählten zu Abgeordneten lautere Pietisten. Sie erwarteten von ihrem Abgeordneten wenigstens, daß er jedem armen Heuerling wieder eine Kuh in den Stall bringe, und schreiben jetzt, da nach so vielen Wochen in ihrer Lage noch gar keine Veränderung außer zum Schlechteren eingetreten ist, alles Unglück den Demokraten zu, die allein daran Schuld sind, daß Handel und Gewerbe noch nicht wieder blühen, wie früher. Gar zu lange werden wahrscheinlich auch die Pietisten kein Oberwasser behalten; je höher sie gestiegen sind, desto tiefer werden sie fallen, weil auch sie die gehegten Erwartungen nicht erfüllen können. Genug aber, für den Augenblick sind sie oben, und schüren das Feuer nach Kräften. Das berüchtigte Cösliner Manifest welches ich Ihnen zum etwaigen Abdruck beilege, wird in zahlreichen Exemplaren auf dem Lande verbreitet, ja sogar öffentlich in Kirchen, Schulen und Kasernen von Geistlichen, Beamten und Offizieren vorgelesen, und darnach verfaßte Adressen durch die Polizei zur Unterschrift in den Häusern umhergetragen. Es wird darin geradezu zum Bürgerkriege, zu einem gemeinschaftlichrn Zuge nach Berlin aufgefordert, "zur Vertilgung eines zweiten Paris aus dem preußischen Vaterlande." Es versteht sich von selbst, daß all diesen Radomontaden eine durchaus lügenhafte Schilderung unserer Revolution und der folgenden Ereignisse vorangeht, denn wie wollte diese Partei das Volk für sich stimmen, wenn nicht durch Lüge und Betrug. Die Herren wollen sich nicht länger "gängeln lassen von der Zuchtruthe der Freiheit, des Uebermuths, des Unverstandes, der Unreifheit!" sie wollen lieber selbst das Volk wieder am Gängelbande führen, wie unter der glorreichen Herrschaft eines Bodelschwingh, sie wollen ihm wieder die Bissen höchsteigen zuzählen, damit es sich nicht an ungewohnter Kost den Magen verderbe. Die Versendung dieses Cösliner Manifestes, von einem Scharfrichter, einigen Beamten und Krautjunkern unterschrieben, durch das ganze Land, an alle Behörden, konnte dem Ministerium nicht unbekannt bleiben. Wenn aber Hr. Camphausen nach den Unterschriften dieser Adressen, die der Abgeordnete Maager der Berliner Nationalversammlung überreichen soll, die Stimmung des Landes beurtheilen will, so will ich ihm doch auch sagen, wie man derartige Unterschriften zu Stande bringt. Man erzählt den Leuten, die trotz des Vorlesens vom Inhalte meistentheils nichts verstehen, man wolle ihnen die Religion nehmen; wer das Vorgelegte nicht unterschreibe, der glaube nicht an Gott u. dgl.,; zum Ueberfluß thun denn einige Spirituosa noch wahre Wunder. Besser als auf dem Lande ist es in unseren kleinen Städten; hier faßt die demokratische Entwickelung immer mehr festen Fuß. In unserer Stadt hat der "demokratische Klub" wenn auch nicht numerisch, so doch faktisch die Oberhand. Der "Arbeiterklub" in Hamm ist entschieden demokratisch; beide Klubs werden den demokratischen Kongreß in Frankfurt durch Abgeordnete beschicken. Die "Bildungsvereine" in Herford und Minden tragen noch keine so entschiedene Farbe, obschon auch sie der Mehrzahl nach aus Arbeitern bestehen. Preußische Brüder! Seine Majestät der König, in alleiniger Machtvollkommenheit, verhieß uns, in freiem, hochherzigem Entschlusse, eine konstitutionelle Verfassung, auf den breitesten Grundlagen. - Eine Bürgschaft dafür übernahm der Königliche Bruder und Thronfolger, der Prinz von Preußen, durch seine Unterschrift des Königl. Patents. - Im ganzen weiten Vaterlande antwortete dem Könige der unermeßliche Jubel des dankbaren Volkes, und jeder ächte Preuße fühlte sich gehoben in der großartigen Entschließung Seines Königs, jeder wahre Preuße wußte nun, im Rückblick auf die Vergangenheit einer gesegneten Regierung von Jahrhunderten, daß das Vaterland in der besonnenen, naturgemäßen Entwickelung, und im ruhigen Fortschritt seiner ihm gegebenen freien Institutionen, glücklich und groß werden müsse. Sollte doch, - das war die Königliche Absicht, das war ja unser Wunsch, - die hohe Blüthe unserer Industrie, unserer Künste und Wissenschaften, unseres Handels und der Gewerbe, unsers gesammten materiellen Wohlbefindens, nunmehr von dem Einen, was ihm noch fehlte, - von dem Odem der politischen Freiheit durchweht werden. Aber in dem Becher unserer Freude mischten sich die Ereignisse, die Schrecken des 19. März und der folgenden Tage, angefacht durch böswillige, kurzsichtige und verblendete Menschen, welche in der ordnungsmäßigen, bedächtigen Entwickelung des Fortschritts und seiner beglückenden Folgen, das Ende ihrer verabscheuungswürdigen Umtriebe, welche in der auf Volksliebe getragenen hohen Glorie unsers Königs ihre Brandmarkung erblicken. - Fortgerissen durch die Schreckensscenen jener Tage, ließen sich selbst biedere und loyale Bürger Berlins von dem Wahn bethören, als hätte die vorgebliche Revolution uns die politische Freiheit gebracht, ja, sie gingen in ihrer Verblendung so weit, das vaterländische brave Heer, unsere Söhne und Brüder zu beschimpfen, unsern Thronfolger, den Prinzen von Preußen zu beleidigen, und uns, alle treue Bewohner der Provinzen für fähig zu halten, die gemachte Revolution und ihre traurigen Folgen anzuerkennen! - Der König, in Seinen heiligen Gefühlen tief verletzt, aber selbst da noch voll Liebe und Vertrauen zu Seinem Volke, wollte nicht an den Edelmuth und die Treue desselben appelliren. In Seiner eigenen hochherzigen Gesinnung suchte und fand Er die wahre Gesinnung des großen Volkes wieder, - Er hoffte, Er wußte, diese mußte sich auch in Seinen Berlinern wieder klären und läutern zu der Reife der Ueberzeugung, "daß das Ruder des schwankenden Staatsschiffes nicht von der Laune und dem Willen böswilliger Parteihäupter, verblendeter und roher Massen der Hauptstadt gelenkt werden dürfte, sollten sonst Ordnung, Friede und Glück unsere neuen Institutionen befestigen helfen." Diesen Königlichen Gesinnungen, dieser Mäßigung allein verdanken wir bisher die Verhinderung eines blutigen Bürgerkrieges. Die Bewohner der treuen Provinzen verstanden und ehrten den Willen Ihres Königs, - sie ließen sich mit blutendem Herzen die unsinnigsten Gewaltstreiche einer aufrührerischen Partei im Innersten des Landes, in der Residenz, schweigend gefallen, mit ihrem Könige hoffend: "es werde, es müsse der alte Preußische Sinn, der alte Preußische Heldengeist auch in den irre geleiteten Parteimännern wieder erwachen, es müsse und werde selbst bei den widerwärtigsten, empörendsten Schritten derselben gegen die gesetzlichen Beschlüsse der ganzen Nation, endlich doch das Licht der Vernunft, das Gefühl der Ehre und die Liebe und Treue zum Vaterlande siegreich nach dem Stabe greifen, der allein uns retten kann, - nach dem Stabe des Gesetzes." Allein die treuen Bewohner der Provinzen hatten sich leider! getäuscht. Die anarchischen Zustände, inmitten eines bisher gesegneten, zufriedenen Volkes, inmitten der Hauptstadt des Landes, die ihre Größe, ihre Blüthe, unsern Königen, die ihren Wohlstand den Provinzen verdankt, - sie dauern fort, sie nehmen überhand, sie drohen uns Allen. Verderben und Untergang. Ein kräftiges Ministerium, aus dem Herzen des Volkes hervorgegangen, kann seine Kraft, seine Thätigkeit und Umsicht nicht entwickeln, - seine gesetzlichen Schritte, zur Befestigung des Vertrauens im Lande, zur Wiederherstellung der Ordnung und Ruhe, zur Wiederbelebung des gesunkenen Kredits, - sie zerschellen macht- und erfolglos an den Klippen egoistischer Bestrebungen besitz- und gesinnungsloser Parteimänner, bartloser, unreifer Knaben und verführter Massen des Arbeiterstandes. - Knaben, der Zuchtruthe kaum entwachsen, wagen es, in öffentlichen Blättern den Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung zu predigen, sie wagen es, Männer unserer Hochachtung, Männer des Ministerii mit Verderben und Tod zu bedrohen; sie wagen es, - Schmach für uns, daß wir es aussprechen müssen, - der geheiligten Person unsers Königs in frecher, ekelerregender Pöbelhaftigkeit zu nahe zu treten! - Ja, noch mehr! Männer, wir sagen absichtlich "Männer" der Hauptstadt erkühnen sich, dem vom ganzen Lande mit Begeisterung aufgenommenen Beschlusse des Ministerii und dem Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Königs, zur baldigen Rückkehr des Prinzen von Preußen in unsere Mitte, sich frech entgegen zu stellen! Bedenkt, ihr treuen, biedern Preußischen Brüder, die anmaßende Keckheit Berliner Einwohner geht so weit, unserm Thronfolger, dem ersten, treusten Unterthan des Königs, dem heldenmüthigen Prinzen von Preußen, der in den Befreiungskriegen sein Leben für das Vaterland einsetzte, - eine Stätte in diesem Vaterlande zu verweigern! Bedenkt die empörende Gewalt und ihre gräßlichen Folgen. - Bedenkt, daß dadurch die ganze jetzt zu berathende Verfassung in Frage gestellt werden kann, daß die vollständigste Auflösung aller Ordnung die unmittelbare Folge davon sein muß. - Ja, junge Männer haben sich erkühnt, dem Ministerpräsidenten gegenüber zu behaupten, daß auch die Bewohner der treuen Provinzen sich gegen die Rückkehr unsers Prinzen erklärt hätten, - sie haben es gewagt, uns als Mitschuldige ihrer verrätherischen An schläge und Absichten zu verdächtigen! - Und Berlin, die bevorzugte Stadt der Intelligenz, des Wohlstandes und bisher auch der Ehre, Berlin duldet solchen Frevel in seiner Mitte! - Nun denn, in Gottes Namen, so wollen wir ihn denn nicht dulden! - Auf! ihr Brüder, in allen Provinzen des Preußischen Vaterlandes, wappnet Euch endlich zur kräftigen Abwehr, des mit Riesenschritten auf uns zueilenden Elends. Genug haben wir ertragen, genug geduldet, genug entbehrt, genug des Frevels mitangesehen! Länger uns gängeln lassen von der Zuchtruthe der Frechheit, des Uebermuths, des Unverstandes, der Unreifheit, das hieße, unsre Namen "Preußen" brandmarben! Auf! laßt uns in der Gesammtheit des Volkes unsern Willen durch diesen Aufruf zu erkennen geben, laßt uns ihn mit den Unterschriften aller redlichen wohlmeinenden Brüder bedecken. Die gewaltige Stimme des Volkes laßt uns erheben, - die Stimme eines großen, nicht geknechteten, sondern freien Volkes, sie schalle wie Posaunenton in das Ohr der Volksverräther, sie bestimme in Berlin den wahren Volkswillen! Aber damit kein Mißton des Zweifels den Zweck unserer Kundgebung störe und uns etwa selbst irre mache, an unserm Vorhaben, so sei unser Wahlspruch: "Alles für und mit dem Volke," unser Zweck und Ziel aber:die schleunigste Befestigung der uns von unserem Könige verheißenen Konstitution, auf der breitesten Bahn, der naturgemäßen, besonnenen und friedlichen Entwicklung und die Brechung einer verderblichen Macht in der Hauptstadt, - die Vertilgung eines zweiten Paris aus dem Preußischen Vaterlande. - Erst dann, nach so großartiger Kundgebung unseres Willens, werden Ordnung und Kredit im Lande einkehren, erst dann wollen und können wir Alle das Letzte unserer Habe, gern an den Altar des Vaterlandes niederlegen! - Und nun noch ein Wort an Euch, ihr bessern, ihr treuen Bürger und Bewohner Berlins! Wohl haben wir wahrgenommen, wie Ihr den alten Preußischen Geist, das alte Preußische Rechtsgefühl, den alten Preußischen Heldenmuth, in dem Bewußtsein Euch rein bewahrtet, für Preußen könne der heilige Wahlspruch: "Mit Gott, für König und Vaterland," nie eine Unwahrheit werden, - wohl haben wir wahrgenommen, wie auch Euer Preußisches Herz blutete, bei den empörenden Ereignissen in Eurer Mitte. - Erkannt haben wir auch, daß vorzugsweise in der besonnenen und tapfern Haltung Eurer Bürgerwehr, der Ausdruck Eurer patriotischen Gesinnung sich wiederfand und mit Freude und Stolz haben wir Euch als unsere Brüder zu betrachten nie aufgehört. - Doch Eure Langmuth, Eure Geduld, sie dauerten zu lange: schon längst hättet Ihr dem frevelhaften Beginnen Eurer verführten Mitbewohner kräftigen Widerstand entgegen setzen sollen. Wart Ihr nicht stark genug dazu, - es bedurfte ja nur eines Winkes, - und wir Alle, alle Eure Brüder in den Provinzen wäre bei Euch gewesen. - Das Volk macht Euch von jetzt ab verantwortlich für die Aufrechthaltung der bestehenden Ordnung, insbesondere verpflichtet es Euch, die Ihr dem Throne so nahe seid, mit Eurem Herzblut jede fernere Beleidigung, jede freche Annäherung an denselben, abzuwehren. Bei allem, was Euch heilig ist, seid Ihr dem Volke dafür verantwortlich. Es wird einst eine schwere Rechenschaft von Euch fordern! - Sollte aber auch diese erste und letzte Kundgebung unserer Gesinnungen, unsers Willens ungehört an tauben Ohren verhallen, sollten immer und immer auf's Neue Aufreizungen der Massen in Berlin und Störung der öffentlichen Ordnung, Hinderung der öffentlichen Gewalten in Ausübung ihrer Pflichten, die Hebung des gesunkenen Kredits, des Wohlstandes und der Gesetzlichkeit niederhalten; nun denn! in der Gesammtheit des Volkes nach Berlin, um an Ort und Stelle endlich den Volkswillen öffentlich zu proklamiren? Alle Behörden, Korporationen, Gesellschaften und Personen, werden gebeten diesen Aufruf, der heute überall im Vaterlande verbreitet ist, zu veröffentlichen, ihn mit Unterschriften aller Patrioten bedecken zu lassen und ihn dann schleunigst an unsern Abgeordneten der Nationalversammlung Herrn Maager in Berlin gelangen zu lassen, der die Resultate der eingegangenen Unterschriften in den Zeitungen veröffentlichen und die gesammelten Dokumente dem Staatsministerium, als ein untrügliches Pfand des Volkswillens übergeben wird. Cöslin, den 23. Mai 1848. v. Kleist-Warnin. Bucher, Prorektor d. Gymn. Freiherr v. Therme. Wehrenberg, Braueigen. v. Borwiz-Borntin. v. Tresckow. Steffenhagen-Balfanz. Erdt, Dep. Thierarzt. v. Hackewitz, Hauptm. a. D. Leopold, Just. Rath Kanitz, Schulvorsteher. v. Alten-Tietzow E. G. Hendeß, Buchhändler. v. Lettow auf Klenzin. Laurin, Seifenfabrik. W. Brendel, Fleischermstr. v. Gaedecke. Hildebrand, Justiz-Rath. Dr. Baumgardt, Gymnasiallehrer. F. Fuchs, Scharfrichter. J. H. Schmidt, Oekonom. Gusen, OLG Kanzlei-Direktor. v. Motz, Forstmeister. v. Reichenbach, Reg.-Rath. J. H. Jonaß, Kaufm. J. Caspary, Gerbermstr. Oberschlesien. Hätten wir keine Gutsbesitzer, so gäbe es keine Ortspolizei; wäre keine Ortspolizei, so gäbe es keine Gerechtigkeit; wäre keine Gerechtigkeit, so gäbe es keine Prügel; es gibt aber Prügel, folglich muß es Gutsbesitzer geben. In Oberschlesien wird die ganze Tonleiter herauf und herunter geprügelt, von dem einfachen bis zu dem dreimal gestrichenen C, bald im sanften nachdrucksvollen Adagio, bald im rauschenden brillanten Allegro, das mitunter in eine stille tödtliche Pause übergeht. In dieser Hinsicht sind selbst die Liberalen Stockaristokraten, höchstens daß die Reaktionäre noch den Kantschu und die russische Knute vorziehen. Das Volk befindet sich, wie mir die meisten dieser schlagsüchtigen Herren versichern, unendlich wohl dabei, wie Nußbäume, welche geprügelt die besten Früchte tragen. Dieses patriarchalische Erziehungssystem hat unstreitig viel zur moralischen und sittlichen Hebung des Volkes beigetragen, Gefühle in ihm geweckt und ihm Begriffe beigebracht. Mit dem leisesten Ohr für die Schlag- und Stichwörter der Gegenwart begabt, hat es daher in der jüngsten Zeit leicht die Rolle übernommen, die man ihm übertragen. Den hohen Werth der oberschlesischen Adressen, welche an das Ministerium, den Prinzen von Preußen u. s. w. erlassen werden, wird man aus diesen Gründen hinlänglich zu würdigen wissen. Natürlich entwickelte sich durch die nahen Berührungen, in welchen der Gutsbesitzer zu seinen Einsassen lebt, ein wahrhaft liebevolles Verhältniß, das nur selten von Uebelgesinnten gestört wird. Diese gehören größtentheils zu den gänzlich Verarmten, da bekanntlich Hunger und Noth unzufrieden macht, es wird daher polizeilich für ihr Wohlergehen gesorgt und Obdach und Nahrung ihnen zeitweise kostenfrei verliehen. Aber die Undankbaren nennen diese freiwilligen Wohlthaten der Ortspolizei unerlaubte Einsperrung und eigenmächtige Detention und das Obergericht in Ratibor soll, was kaum zu glauben ist, ganz häufig derselben Meinung gewesen sein. Auch das Prügelsystem hat nicht bei der ganzen Bevölkerung den gewünschten Anklang gefunden und häufige Beschwerden sind oft deshalb erhoben worden. Um allen solchen Unannehmlichkeiten ein für alle Mal zu entgehen, soll ein Gutsherr auf die höchst sinnreiche Idee gekommen sein, jeden Mißliebigen in eine Wollzüche zu stecken, dieselbe ihm über den Kopf zuzubinden, und dann im Finstern drauf los zu hauen, ein Verfahren, das wir hiermit zur Benutzung öffentlich empfehlen, und das für die große Humanität des Erfinders spricht, der sich den Anblick selbst verdienter Leiden bei seinen Nebenmenschen gern erspart. Neben der Polizei übt der Gutsherr auch die Patrimonialgerichtsbarkeit durch einen Justizbeamten aus, den er allein zu wählen und zu besolden hat. Am Gerichtstage sitzt der Patrimonialrichter in der Kanzlei, um Recht zu sprechen, neben ihm der Aktuar, zur Seite steht der Exekutor, beide sind alte Erbstücke, die durch öfteren Verkehr mit Spitzbuben in ihrem Amte einige Aehnlichkeit mit diesen erlangt, ein neuer Beweis für die Behauptung, daß ein längerer Umgang zwischen vertrauten Personen physiognomische Aehnlichkeiten hervorruft. Acht Termine sind bis zum Mittagsessen, das bei dem Gutsherrn eingenommen wird, zu beenden. Zunächst erscheinen zwei Holzdiebe, dieselben leugnen ihre That, trotzdem sie in der polizeilichen Voruntersuchung ihr Verbrechen eingestanden haben, sie geben ein durch Prügel erpreßtes Geständniß vor. Der Richter, dessen Frau sich homöopatisch behandeln läßt, denkt similia similibus und weiß ihr erloschenes Erinnerungsvermögen durch eine neue, aber nicht allzukleine Gabe anzuregen. Drei Kreuze werden als Unterschrift der Protokolls gemalt, das natürlich die Prügel nicht enthält, weil sich dieselben ganz von selbst verstehen. Ein Grundstück soll verkauft werden, auf welchem das Dominium eine Forderung an Grundzins und Ablösungsgeldern stehen hat, eine Summe, welche durch die Zeit bedeutend angewachsen, da die Zinsen zum Kapital und außerdem die Gerichtskosten hinzukommen. Die Kauflustigen sind vorschriftsmäßig eingeladen, aber nicht erschienen. Der Gutsbesitzer ersteht das Grundstück zu dem niedrigsten Gebot, was ihm doppelt angenehm, da er es längst zu seinem Vorwerk schlagen wollte. Später eintreffende Käufer können nicht berücksichtigt werden, da ihre Uhren sämmtlich eine Viertelstunde zu spät zeigen. Einige Injurienklagen, welche folgen, sind ohne Bedeutung und Interesse, mit Ausnahme der Sporteln, welche sie abwerfen. Verwickelter erscheint ein Erbschaftsprozeß und beide Parteien suchen den Richter, so gut es geht, in polnischer Sprache, vermittelst des Aktuar und vereideten Dolmetschers, von ihren Ansprüchen zu überzeugen. Der Aktuar aber weiß so trefflich zu übersetzen, besonders aus dem Deutschen in das Polnische, daß leicht ein Irrthum und ein Vergleich zu Gunsten der Partei zu Stande kommt, welche mit dem meisten Nachdruck und mit klingenden Beweisen spricht. Sämmtliche Parteien kommen aber darin überein, daß sie von den mit ihnen ten drüber wegsehen.“ „Wir werden wohl neue Barrikaden bauen müssen.“ So hörte ich viele Männer aus dem sogenannten niedern Volke reden. ‒ „Daran sind die indirekten Wahlen Schuld“ sagt ein an allen Ecken, die förmlich mit Zetteln überklebt sind, befindlicher Anschlag. ‒ Sie sehen, auch hier schwindet das Vertrauen; die Regierung hat es schon lange verloren, und jetzt fängt man auch an, die konstituirende Versammlung aufzugeben. ‒ Die Reaktion scheut natürlich kein Mittel, um sich durchzusetzen; mit reichlichen Geldmitteln versehen, arbeitet sie im Geheimen an ihren Plänen. Besonders thätig ist sie seit der Rückkehr des Prinzen von Preußen, über dessen stummen Empfang sich die in Civil gekleideten Herren Gardelieutenants schon gewaltig geärgert haben. An der Spitze der Reaktionspartei steht der neugebildete Preußen-Verein, dessen Mitglieder meist pensionirte Militärs, Aristokraten, Büraukraten und Geldsäcke sind; eine neue Polizei- und Denunziantenanstalt, die sich freiwillig dem Staatsanwalt zur Verfügung gestellt hat. ‒ Der Verein veranlaßt das Erscheinen einer Zeitung, „Preußen-Zeitung“, in der er seine Grundsätze verbreiten will. ‒ Seine Plakate häufen sich mit jedem Tage, aber ‒ o Jammer! ‒ das Volk mag Nichts wissen von solchen vorsündflutlichen Aktenstücken. ‒ ‒ Die Reaktion theilt auch Geld aus, womit sie jedoch selten ihren Zweck erreicht, höchstens ein Paar Hurrah's, wie sie dem Prinzen von Preußen von einigen bezahlten Kehlen geschrien wurden. Daß das Militär in ultra-royalistischem Sinne bearbeitet wird, versteht sich von selbst. ‒ Kompagnieweise ruft man die Soldaten zusammen, liest ihnen eine Erklärung der Treue zu „Gott, König und Vaterland“, gespickt und mit wüthenden Ausfällen gegen die „Wühler“ und „Aufwiegler“ vor; natürlich geben sie ihre Zustimmung dazu; denn wer würde es wagen zu widersprechen? Die Loyalitätserklärung wird dann im Namen des Regiments in die voss. Zeitung gesetzt. ‒ Leider will das Manövre nicht recht fruchten. Die Soldaten besuchen trotz ihrer Loyalitäts-Adressen, die Volksversammlungen und Klubs und lesen trotz des Verbots, die Maueranschläge der Demokraten. ‒ Die Reaktion operirt zu plump, als daß ihre Pläne nicht sogleich an den Tag kommen müßten. ‒ Wem bisher noch nicht die Augen aufgegangen waren, dem sind sie es jetzt. Die reaktionäre Masse wächst hier mit jedem Tage; die Demokratie gewinnt immer mehr Anhänger und täglich bilden sich neue Klubs mit demokratischen Prinzipien. ‒ Die friedlichen Spießbürger, die immer nur nach „Ruhe“ schrien; die Bürgerwehr, welche noch vor 4 Wochen so reaktionär war, daß sie z. B. die Literaten am liebsten an den Bayonetten aufgespießt hätte; sie sind durch die aufgedeckten volksfeindlichen Umtriebe der Regierung, die Bürgerwehr besonders durch die ihres frühern Kommandeurs, General von Aschoff, so vollständig umgestimmt, daß man glauben sollte, wir hätten eine neue Revolution gehabt. ‒ Die Hauptelemente der Demokratie sind hier die Arbeiter. Le peuple de Berlin est peuple de coeur! gleich dem Volke von Paris. Es ist wunderbar, wie diese Arbeiter von Berlin, die sich seit der Revolution in der größten Noth befinden, ihren guten Ruf so trefflich bewahrt haben. ‒ Die Reaktion suchte sie freilich fortwährend zu Excessen zu verleiten, um sie mit der Bürgerwehr in Konflikt zu bringen, um dann um so besser über beide herfallen zu können. ‒ Der gesunde Sinn des Volkes siegte stets über diese Versuchungen. „Keinen Krawall!“ sagen sie, diese Männer des Volks; „er könnte unsern Feinden nur in die Hände arbeiten. Keine Entzweiung in einem Augenblicke, wo es gilt, einig zu sein!“ Und eben dieser friedliche Sinn, dieser Geist der Brüderlichkeit ist es, welcher so viele, die immer noch dem Volke mißtrauten, auf seine Seite gebracht hat. ‒ Ist es nicht ein Zeichen der größten Humanität, wenn Tausende von Menschen im wahren Sinne des Worts aus Mangel an Arbeit hungern und dennoch ruhig bleiben, um nur nicht der Sache der Freiheit zu schaden? An 4000 Arbeiter liefen brodlos umher, arbeitsfähig, aber ohne Arbeit. Vergebens hatten sie Beschäftigung verlangt, der Minister von Patow schickte sie zum Magistrat, der Magistrat zum Minister. Sie wurden geradezu von Pontius zu Pilatus gehetzt, ohne daß man ihr Verlangen erfüllt hätte, denn hier scheinen Ministerium, Kommune und Polizei unter einer Decke zu stecken. Wer nahm sich der Arbeiter an? Der demokratische Klub. Auch dadurch wird sein Anhang immer größer. Allgemein ist man gespannt auf die nächste Sitzung der Vereinbarer. Bis Mittwoch haben dieselben Ferien. Man spricht von einem Gesetzesvorschlag gegen Attroupements; von Militärbesetzung des Sitzungssaales, ja sogar von Verlegung der Versammlung. Wohin? Vielleicht nach Potsdam oder Stettin? ‒ Die Physiognomie der Versammlung wird sicher jetzt eine noch ganz andere werden. Die Regierung will mit ihren verrätherischen Plänen offenbar hervortreten, weßhalb sie ihr Werkzeug an sicherer Stelle zu haben wünscht. ‒ Wahrscheinlich werden mehrere Abgeordnete, die den Erwartungen ihrer Wähler nicht entsprochen haben, von Seiten derselben zur Aufgabe ihres Mandats veranlaßt werden, von hier Prediger Sydow und Hofrath Bauer. 19Bielefeld, 10. Juni. Die Reaktion läßt sich keine Mühe verdrießen, um unsere armen Weber und Spinner gegen die „Freigeister und Republikaner“ zu fanatisiren, und man muß gestehen, ihre Bemühungen haben bis jetzt den günstigsten Erfolg davongetragen. Es ist etwas Trauriges um eine Gegend wie die unsrige mit einer untergehenden patriarchalischen Industrie. Die Leute entsinnen sich noch ihres Wohlstandes und hoffen noch immer auf die Wiederherstellung des alten Zustandes. Gleich nach der Revolution warfen sie sich der Bewegung in die Arme, wollten ihre mißliebigen Amtleute absetzen, wollten nur die entschiedensten Demokraten nach Berlin und Frankfurt senden, kamen mit der Absetzung aber nur bis zum Nachwächter, ließen sich dann von der Geistlichkeit kapern, und wählten zu Abgeordneten lautere Pietisten. Sie erwarteten von ihrem Abgeordneten wenigstens, daß er jedem armen Heuerling wieder eine Kuh in den Stall bringe, und schreiben jetzt, da nach so vielen Wochen in ihrer Lage noch gar keine Veränderung außer zum Schlechteren eingetreten ist, alles Unglück den Demokraten zu, die allein daran Schuld sind, daß Handel und Gewerbe noch nicht wieder blühen, wie früher. Gar zu lange werden wahrscheinlich auch die Pietisten kein Oberwasser behalten; je höher sie gestiegen sind, desto tiefer werden sie fallen, weil auch sie die gehegten Erwartungen nicht erfüllen können. Genug aber, für den Augenblick sind sie oben, und schüren das Feuer nach Kräften. Das berüchtigte Cösliner Manifest welches ich Ihnen zum etwaigen Abdruck beilege, wird in zahlreichen Exemplaren auf dem Lande verbreitet, ja sogar öffentlich in Kirchen, Schulen und Kasernen von Geistlichen, Beamten und Offizieren vorgelesen, und darnach verfaßte Adressen durch die Polizei zur Unterschrift in den Häusern umhergetragen. Es wird darin geradezu zum Bürgerkriege, zu einem gemeinschaftlichrn Zuge nach Berlin aufgefordert, „zur Vertilgung eines zweiten Paris aus dem preußischen Vaterlande.“ Es versteht sich von selbst, daß all diesen Radomontaden eine durchaus lügenhafte Schilderung unserer Revolution und der folgenden Ereignisse vorangeht, denn wie wollte diese Partei das Volk für sich stimmen, wenn nicht durch Lüge und Betrug. Die Herren wollen sich nicht länger „gängeln lassen von der Zuchtruthe der Freiheit, des Uebermuths, des Unverstandes, der Unreifheit!“ sie wollen lieber selbst das Volk wieder am Gängelbande führen, wie unter der glorreichen Herrschaft eines Bodelschwingh, sie wollen ihm wieder die Bissen höchsteigen zuzählen, damit es sich nicht an ungewohnter Kost den Magen verderbe. Die Versendung dieses Cösliner Manifestes, von einem Scharfrichter, einigen Beamten und Krautjunkern unterschrieben, durch das ganze Land, an alle Behörden, konnte dem Ministerium nicht unbekannt bleiben. Wenn aber Hr. Camphausen nach den Unterschriften dieser Adressen, die der Abgeordnete Maager der Berliner Nationalversammlung überreichen soll, die Stimmung des Landes beurtheilen will, so will ich ihm doch auch sagen, wie man derartige Unterschriften zu Stande bringt. Man erzählt den Leuten, die trotz des Vorlesens vom Inhalte meistentheils nichts verstehen, man wolle ihnen die Religion nehmen; wer das Vorgelegte nicht unterschreibe, der glaube nicht an Gott u. dgl.,; zum Ueberfluß thun denn einige Spirituosa noch wahre Wunder. Besser als auf dem Lande ist es in unseren kleinen Städten; hier faßt die demokratische Entwickelung immer mehr festen Fuß. In unserer Stadt hat der „demokratische Klub“ wenn auch nicht numerisch, so doch faktisch die Oberhand. Der „Arbeiterklub“ in Hamm ist entschieden demokratisch; beide Klubs werden den demokratischen Kongreß in Frankfurt durch Abgeordnete beschicken. Die „Bildungsvereine“ in Herford und Minden tragen noch keine so entschiedene Farbe, obschon auch sie der Mehrzahl nach aus Arbeitern bestehen. Preußische Brüder! Seine Majestät der König, in alleiniger Machtvollkommenheit, verhieß uns, in freiem, hochherzigem Entschlusse, eine konstitutionelle Verfassung, auf den breitesten Grundlagen. ‒ Eine Bürgschaft dafür übernahm der Königliche Bruder und Thronfolger, der Prinz von Preußen, durch seine Unterschrift des Königl. Patents. ‒ Im ganzen weiten Vaterlande antwortete dem Könige der unermeßliche Jubel des dankbaren Volkes, und jeder ächte Preuße fühlte sich gehoben in der großartigen Entschließung Seines Königs, jeder wahre Preuße wußte nun, im Rückblick auf die Vergangenheit einer gesegneten Regierung von Jahrhunderten, daß das Vaterland in der besonnenen, naturgemäßen Entwickelung, und im ruhigen Fortschritt seiner ihm gegebenen freien Institutionen, glücklich und groß werden müsse. Sollte doch, ‒ das war die Königliche Absicht, das war ja unser Wunsch, ‒ die hohe Blüthe unserer Industrie, unserer Künste und Wissenschaften, unseres Handels und der Gewerbe, unsers gesammten materiellen Wohlbefindens, nunmehr von dem Einen, was ihm noch fehlte, ‒ von dem Odem der politischen Freiheit durchweht werden. Aber in dem Becher unserer Freude mischten sich die Ereignisse, die Schrecken des 19. März und der folgenden Tage, angefacht durch böswillige, kurzsichtige und verblendete Menschen, welche in der ordnungsmäßigen, bedächtigen Entwickelung des Fortschritts und seiner beglückenden Folgen, das Ende ihrer verabscheuungswürdigen Umtriebe, welche in der auf Volksliebe getragenen hohen Glorie unsers Königs ihre Brandmarkung erblicken. ‒ Fortgerissen durch die Schreckensscenen jener Tage, ließen sich selbst biedere und loyale Bürger Berlins von dem Wahn bethören, als hätte die vorgebliche Revolution uns die politische Freiheit gebracht, ja, sie gingen in ihrer Verblendung so weit, das vaterländische brave Heer, unsere Söhne und Brüder zu beschimpfen, unsern Thronfolger, den Prinzen von Preußen zu beleidigen, und uns, alle treue Bewohner der Provinzen für fähig zu halten, die gemachte Revolution und ihre traurigen Folgen anzuerkennen! ‒ Der König, in Seinen heiligen Gefühlen tief verletzt, aber selbst da noch voll Liebe und Vertrauen zu Seinem Volke, wollte nicht an den Edelmuth und die Treue desselben appelliren. In Seiner eigenen hochherzigen Gesinnung suchte und fand Er die wahre Gesinnung des großen Volkes wieder, ‒ Er hoffte, Er wußte, diese mußte sich auch in Seinen Berlinern wieder klären und läutern zu der Reife der Ueberzeugung, „daß das Ruder des schwankenden Staatsschiffes nicht von der Laune und dem Willen böswilliger Parteihäupter, verblendeter und roher Massen der Hauptstadt gelenkt werden dürfte, sollten sonst Ordnung, Friede und Glück unsere neuen Institutionen befestigen helfen.“ Diesen Königlichen Gesinnungen, dieser Mäßigung allein verdanken wir bisher die Verhinderung eines blutigen Bürgerkrieges. Die Bewohner der treuen Provinzen verstanden und ehrten den Willen Ihres Königs, ‒ sie ließen sich mit blutendem Herzen die unsinnigsten Gewaltstreiche einer aufrührerischen Partei im Innersten des Landes, in der Residenz, schweigend gefallen, mit ihrem Könige hoffend: „es werde, es müsse der alte Preußische Sinn, der alte Preußische Heldengeist auch in den irre geleiteten Parteimännern wieder erwachen, es müsse und werde selbst bei den widerwärtigsten, empörendsten Schritten derselben gegen die gesetzlichen Beschlüsse der ganzen Nation, endlich doch das Licht der Vernunft, das Gefühl der Ehre und die Liebe und Treue zum Vaterlande siegreich nach dem Stabe greifen, der allein uns retten kann, ‒ nach dem Stabe des Gesetzes.“ Allein die treuen Bewohner der Provinzen hatten sich leider! getäuscht. Die anarchischen Zustände, inmitten eines bisher gesegneten, zufriedenen Volkes, inmitten der Hauptstadt des Landes, die ihre Größe, ihre Blüthe, unsern Königen, die ihren Wohlstand den Provinzen verdankt, ‒ sie dauern fort, sie nehmen überhand, sie drohen uns Allen. Verderben und Untergang. Ein kräftiges Ministerium, aus dem Herzen des Volkes hervorgegangen, kann seine Kraft, seine Thätigkeit und Umsicht nicht entwickeln, ‒ seine gesetzlichen Schritte, zur Befestigung des Vertrauens im Lande, zur Wiederherstellung der Ordnung und Ruhe, zur Wiederbelebung des gesunkenen Kredits, ‒ sie zerschellen macht- und erfolglos an den Klippen egoistischer Bestrebungen besitz- und gesinnungsloser Parteimänner, bartloser, unreifer Knaben und verführter Massen des Arbeiterstandes. ‒ Knaben, der Zuchtruthe kaum entwachsen, wagen es, in öffentlichen Blättern den Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung zu predigen, sie wagen es, Männer unserer Hochachtung, Männer des Ministerii mit Verderben und Tod zu bedrohen; sie wagen es, ‒ Schmach für uns, daß wir es aussprechen müssen, ‒ der geheiligten Person unsers Königs in frecher, ekelerregender Pöbelhaftigkeit zu nahe zu treten! ‒ Ja, noch mehr! Männer, wir sagen absichtlich „Männer“ der Hauptstadt erkühnen sich, dem vom ganzen Lande mit Begeisterung aufgenommenen Beschlusse des Ministerii und dem Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Königs, zur baldigen Rückkehr des Prinzen von Preußen in unsere Mitte, sich frech entgegen zu stellen! Bedenkt, ihr treuen, biedern Preußischen Brüder, die anmaßende Keckheit Berliner Einwohner geht so weit, unserm Thronfolger, dem ersten, treusten Unterthan des Königs, dem heldenmüthigen Prinzen von Preußen, der in den Befreiungskriegen sein Leben für das Vaterland einsetzte, ‒ eine Stätte in diesem Vaterlande zu verweigern! Bedenkt die empörende Gewalt und ihre gräßlichen Folgen. ‒ Bedenkt, daß dadurch die ganze jetzt zu berathende Verfassung in Frage gestellt werden kann, daß die vollständigste Auflösung aller Ordnung die unmittelbare Folge davon sein muß. ‒ Ja, junge Männer haben sich erkühnt, dem Ministerpräsidenten gegenüber zu behaupten, daß auch die Bewohner der treuen Provinzen sich gegen die Rückkehr unsers Prinzen erklärt hätten, ‒ sie haben es gewagt, uns als Mitschuldige ihrer verrätherischen An schläge und Absichten zu verdächtigen! ‒ Und Berlin, die bevorzugte Stadt der Intelligenz, des Wohlstandes und bisher auch der Ehre, Berlin duldet solchen Frevel in seiner Mitte! ‒ Nun denn, in Gottes Namen, so wollen wir ihn denn nicht dulden! ‒ Auf! ihr Brüder, in allen Provinzen des Preußischen Vaterlandes, wappnet Euch endlich zur kräftigen Abwehr, des mit Riesenschritten auf uns zueilenden Elends. Genug haben wir ertragen, genug geduldet, genug entbehrt, genug des Frevels mitangesehen! Länger uns gängeln lassen von der Zuchtruthe der Frechheit, des Uebermuths, des Unverstandes, der Unreifheit, das hieße, unsre Namen „Preußen“ brandmarben! Auf! laßt uns in der Gesammtheit des Volkes unsern Willen durch diesen Aufruf zu erkennen geben, laßt uns ihn mit den Unterschriften aller redlichen wohlmeinenden Brüder bedecken. Die gewaltige Stimme des Volkes laßt uns erheben, ‒ die Stimme eines großen, nicht geknechteten, sondern freien Volkes, sie schalle wie Posaunenton in das Ohr der Volksverräther, sie bestimme in Berlin den wahren Volkswillen! Aber damit kein Mißton des Zweifels den Zweck unserer Kundgebung störe und uns etwa selbst irre mache, an unserm Vorhaben, so sei unser Wahlspruch: „Alles für und mit dem Volke,“ unser Zweck und Ziel aber:die schleunigste Befestigung der uns von unserem Könige verheißenen Konstitution, auf der breitesten Bahn, der naturgemäßen, besonnenen und friedlichen Entwicklung und die Brechung einer verderblichen Macht in der Hauptstadt, ‒ die Vertilgung eines zweiten Paris aus dem Preußischen Vaterlande. ‒ Erst dann, nach so großartiger Kundgebung unseres Willens, werden Ordnung und Kredit im Lande einkehren, erst dann wollen und können wir Alle das Letzte unserer Habe, gern an den Altar des Vaterlandes niederlegen! ‒ Und nun noch ein Wort an Euch, ihr bessern, ihr treuen Bürger und Bewohner Berlins! Wohl haben wir wahrgenommen, wie Ihr den alten Preußischen Geist, das alte Preußische Rechtsgefühl, den alten Preußischen Heldenmuth, in dem Bewußtsein Euch rein bewahrtet, für Preußen könne der heilige Wahlspruch: „Mit Gott, für König und Vaterland,“ nie eine Unwahrheit werden, ‒ wohl haben wir wahrgenommen, wie auch Euer Preußisches Herz blutete, bei den empörenden Ereignissen in Eurer Mitte. ‒ Erkannt haben wir auch, daß vorzugsweise in der besonnenen und tapfern Haltung Eurer Bürgerwehr, der Ausdruck Eurer patriotischen Gesinnung sich wiederfand und mit Freude und Stolz haben wir Euch als unsere Brüder zu betrachten nie aufgehört. ‒ Doch Eure Langmuth, Eure Geduld, sie dauerten zu lange: schon längst hättet Ihr dem frevelhaften Beginnen Eurer verführten Mitbewohner kräftigen Widerstand entgegen setzen sollen. Wart Ihr nicht stark genug dazu, ‒ es bedurfte ja nur eines Winkes, ‒ und wir Alle, alle Eure Brüder in den Provinzen wäre bei Euch gewesen. ‒ Das Volk macht Euch von jetzt ab verantwortlich für die Aufrechthaltung der bestehenden Ordnung, insbesondere verpflichtet es Euch, die Ihr dem Throne so nahe seid, mit Eurem Herzblut jede fernere Beleidigung, jede freche Annäherung an denselben, abzuwehren. Bei allem, was Euch heilig ist, seid Ihr dem Volke dafür verantwortlich. Es wird einst eine schwere Rechenschaft von Euch fordern! ‒ Sollte aber auch diese erste und letzte Kundgebung unserer Gesinnungen, unsers Willens ungehört an tauben Ohren verhallen, sollten immer und immer auf's Neue Aufreizungen der Massen in Berlin und Störung der öffentlichen Ordnung, Hinderung der öffentlichen Gewalten in Ausübung ihrer Pflichten, die Hebung des gesunkenen Kredits, des Wohlstandes und der Gesetzlichkeit niederhalten; nun denn! in der Gesammtheit des Volkes nach Berlin, um an Ort und Stelle endlich den Volkswillen öffentlich zu proklamiren? Alle Behörden, Korporationen, Gesellschaften und Personen, werden gebeten diesen Aufruf, der heute überall im Vaterlande verbreitet ist, zu veröffentlichen, ihn mit Unterschriften aller Patrioten bedecken zu lassen und ihn dann schleunigst an unsern Abgeordneten der Nationalversammlung Herrn Maager in Berlin gelangen zu lassen, der die Resultate der eingegangenen Unterschriften in den Zeitungen veröffentlichen und die gesammelten Dokumente dem Staatsministerium, als ein untrügliches Pfand des Volkswillens übergeben wird. Cöslin, den 23. Mai 1848. v. Kleist-Warnin. Bucher, Prorektor d. Gymn. Freiherr v. Therme. Wehrenberg, Braueigen. v. Borwiz-Borntin. v. Tresckow. Steffenhagen-Balfanz. Erdt, Dep. Thierarzt. v. Hackewitz, Hauptm. a. D. Leopold, Just. Rath Kanitz, Schulvorsteher. v. Alten-Tietzow E. G. Hendeß, Buchhändler. v. Lettow auf Klenzin. Laurin, Seifenfabrik. W. Brendel, Fleischermstr. v. Gaedecke. Hildebrand, Justiz-Rath. Dr. Baumgardt, Gymnasiallehrer. F. Fuchs, Scharfrichter. J. H. Schmidt, Oekonom. Gusen, OLG Kanzlei-Direktor. v. Motz, Forstmeister. v. Reichenbach, Reg.-Rath. J. H. Jonaß, Kaufm. J. Caspary, Gerbermstr. Oberschlesien. Hätten wir keine Gutsbesitzer, so gäbe es keine Ortspolizei; wäre keine Ortspolizei, so gäbe es keine Gerechtigkeit; wäre keine Gerechtigkeit, so gäbe es keine Prügel; es gibt aber Prügel, folglich muß es Gutsbesitzer geben. In Oberschlesien wird die ganze Tonleiter herauf und herunter geprügelt, von dem einfachen bis zu dem dreimal gestrichenen C, bald im sanften nachdrucksvollen Adagio, bald im rauschenden brillanten Allegro, das mitunter in eine stille tödtliche Pause übergeht. In dieser Hinsicht sind selbst die Liberalen Stockaristokraten, höchstens daß die Reaktionäre noch den Kantschu und die russische Knute vorziehen. Das Volk befindet sich, wie mir die meisten dieser schlagsüchtigen Herren versichern, unendlich wohl dabei, wie Nußbäume, welche geprügelt die besten Früchte tragen. Dieses patriarchalische Erziehungssystem hat unstreitig viel zur moralischen und sittlichen Hebung des Volkes beigetragen, Gefühle in ihm geweckt und ihm Begriffe beigebracht. Mit dem leisesten Ohr für die Schlag- und Stichwörter der Gegenwart begabt, hat es daher in der jüngsten Zeit leicht die Rolle übernommen, die man ihm übertragen. Den hohen Werth der oberschlesischen Adressen, welche an das Ministerium, den Prinzen von Preußen u. s. w. erlassen werden, wird man aus diesen Gründen hinlänglich zu würdigen wissen. Natürlich entwickelte sich durch die nahen Berührungen, in welchen der Gutsbesitzer zu seinen Einsassen lebt, ein wahrhaft liebevolles Verhältniß, das nur selten von Uebelgesinnten gestört wird. Diese gehören größtentheils zu den gänzlich Verarmten, da bekanntlich Hunger und Noth unzufrieden macht, es wird daher polizeilich für ihr Wohlergehen gesorgt und Obdach und Nahrung ihnen zeitweise kostenfrei verliehen. Aber die Undankbaren nennen diese freiwilligen Wohlthaten der Ortspolizei unerlaubte Einsperrung und eigenmächtige Detention und das Obergericht in Ratibor soll, was kaum zu glauben ist, ganz häufig derselben Meinung gewesen sein. Auch das Prügelsystem hat nicht bei der ganzen Bevölkerung den gewünschten Anklang gefunden und häufige Beschwerden sind oft deshalb erhoben worden. Um allen solchen Unannehmlichkeiten ein für alle Mal zu entgehen, soll ein Gutsherr auf die höchst sinnreiche Idee gekommen sein, jeden Mißliebigen in eine Wollzüche zu stecken, dieselbe ihm über den Kopf zuzubinden, und dann im Finstern drauf los zu hauen, ein Verfahren, das wir hiermit zur Benutzung öffentlich empfehlen, und das für die große Humanität des Erfinders spricht, der sich den Anblick selbst verdienter Leiden bei seinen Nebenmenschen gern erspart. Neben der Polizei übt der Gutsherr auch die Patrimonialgerichtsbarkeit durch einen Justizbeamten aus, den er allein zu wählen und zu besolden hat. Am Gerichtstage sitzt der Patrimonialrichter in der Kanzlei, um Recht zu sprechen, neben ihm der Aktuar, zur Seite steht der Exekutor, beide sind alte Erbstücke, die durch öfteren Verkehr mit Spitzbuben in ihrem Amte einige Aehnlichkeit mit diesen erlangt, ein neuer Beweis für die Behauptung, daß ein längerer Umgang zwischen vertrauten Personen physiognomische Aehnlichkeiten hervorruft. Acht Termine sind bis zum Mittagsessen, das bei dem Gutsherrn eingenommen wird, zu beenden. Zunächst erscheinen zwei Holzdiebe, dieselben leugnen ihre That, trotzdem sie in der polizeilichen Voruntersuchung ihr Verbrechen eingestanden haben, sie geben ein durch Prügel erpreßtes Geständniß vor. Der Richter, dessen Frau sich homöopatisch behandeln läßt, denkt similia similibus und weiß ihr erloschenes Erinnerungsvermögen durch eine neue, aber nicht allzukleine Gabe anzuregen. Drei Kreuze werden als Unterschrift der Protokolls gemalt, das natürlich die Prügel nicht enthält, weil sich dieselben ganz von selbst verstehen. Ein Grundstück soll verkauft werden, auf welchem das Dominium eine Forderung an Grundzins und Ablösungsgeldern stehen hat, eine Summe, welche durch die Zeit bedeutend angewachsen, da die Zinsen zum Kapital und außerdem die Gerichtskosten hinzukommen. Die Kauflustigen sind vorschriftsmäßig eingeladen, aber nicht erschienen. Der Gutsbesitzer ersteht das Grundstück zu dem niedrigsten Gebot, was ihm doppelt angenehm, da er es längst zu seinem Vorwerk schlagen wollte. Später eintreffende Käufer können nicht berücksichtigt werden, da ihre Uhren sämmtlich eine Viertelstunde zu spät zeigen. Einige Injurienklagen, welche folgen, sind ohne Bedeutung und Interesse, mit Ausnahme der Sporteln, welche sie abwerfen. Verwickelter erscheint ein Erbschaftsprozeß und beide Parteien suchen den Richter, so gut es geht, in polnischer Sprache, vermittelst des Aktuar und vereideten Dolmetschers, von ihren Ansprüchen zu überzeugen. Der Aktuar aber weiß so trefflich zu übersetzen, besonders aus dem Deutschen in das Polnische, daß leicht ein Irrthum und ein Vergleich zu Gunsten der Partei zu Stande kommt, welche mit dem meisten Nachdruck und mit klingenden Beweisen spricht. Sämmtliche Parteien kommen aber darin überein, daß sie von den mit ihnen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div xml:id="ar014_005" type="jArticle"> <p><pb facs="#f0002" n="0058"/> ten drüber wegsehen.“ „Wir werden wohl neue Barrikaden bauen müssen.“ So hörte ich viele Männer aus dem sogenannten niedern Volke reden. ‒ „Daran sind die indirekten Wahlen Schuld“ sagt ein an allen Ecken, die förmlich mit Zetteln überklebt sind, befindlicher Anschlag. ‒ Sie sehen, auch hier schwindet das Vertrauen; die Regierung hat es schon lange verloren, und jetzt fängt man auch an, die konstituirende Versammlung aufzugeben. ‒ Die Reaktion scheut natürlich kein Mittel, um sich durchzusetzen; mit reichlichen Geldmitteln versehen, arbeitet sie im Geheimen an ihren Plänen. Besonders thätig ist sie seit der Rückkehr des Prinzen von Preußen, über dessen stummen Empfang sich die in Civil gekleideten Herren Gardelieutenants schon gewaltig geärgert haben. An der Spitze der Reaktionspartei steht der neugebildete Preußen-Verein, dessen Mitglieder meist pensionirte Militärs, Aristokraten, Büraukraten und Geldsäcke sind; eine neue Polizei- und Denunziantenanstalt, die sich freiwillig dem Staatsanwalt zur Verfügung gestellt hat. ‒ Der Verein veranlaßt das Erscheinen einer Zeitung, „Preußen-Zeitung“, in der er seine Grundsätze verbreiten will. ‒ Seine Plakate häufen sich mit jedem Tage, aber ‒ o Jammer! ‒ das Volk mag Nichts wissen von solchen vorsündflutlichen Aktenstücken. ‒ ‒ Die Reaktion theilt auch Geld aus, womit sie jedoch selten ihren Zweck erreicht, höchstens ein Paar Hurrah's, wie sie dem Prinzen von Preußen von einigen bezahlten Kehlen geschrien wurden. Daß das Militär in ultra-royalistischem Sinne bearbeitet wird, versteht sich von selbst. ‒ Kompagnieweise ruft man die Soldaten zusammen, liest ihnen eine Erklärung der Treue zu „Gott, König und Vaterland“, gespickt und mit wüthenden Ausfällen gegen die „Wühler“ und „Aufwiegler“ vor; natürlich geben sie ihre Zustimmung dazu; denn wer würde es wagen zu widersprechen? Die Loyalitätserklärung wird dann im Namen des Regiments in die voss. Zeitung gesetzt. ‒ Leider will das Manövre nicht recht fruchten. Die Soldaten besuchen trotz ihrer Loyalitäts-Adressen, die Volksversammlungen und Klubs und lesen trotz des Verbots, die Maueranschläge der Demokraten. ‒ Die Reaktion operirt zu plump, als daß ihre Pläne nicht sogleich an den Tag kommen müßten. ‒ Wem bisher noch nicht die Augen aufgegangen waren, dem sind sie es jetzt. Die reaktionäre Masse wächst hier mit jedem Tage; die Demokratie gewinnt immer mehr Anhänger und täglich bilden sich neue Klubs mit demokratischen Prinzipien. ‒ Die friedlichen Spießbürger, die immer nur nach „Ruhe“ schrien; die Bürgerwehr, welche noch vor 4 Wochen so reaktionär war, daß sie z. B. die Literaten am liebsten an den Bayonetten aufgespießt hätte; sie sind durch die aufgedeckten volksfeindlichen Umtriebe der Regierung, die Bürgerwehr besonders durch die ihres frühern Kommandeurs, General von Aschoff, so vollständig umgestimmt, daß man glauben sollte, wir hätten eine neue Revolution gehabt. ‒ Die Hauptelemente der Demokratie sind hier die Arbeiter. Le peuple de Berlin est peuple de coeur! gleich dem Volke von Paris. Es ist wunderbar, wie diese Arbeiter von Berlin, die sich seit der Revolution in der größten Noth befinden, ihren guten Ruf so trefflich bewahrt haben. ‒ Die Reaktion suchte sie freilich fortwährend zu Excessen zu verleiten, um sie mit der Bürgerwehr in Konflikt zu bringen, um dann um so besser über beide herfallen zu können. ‒ Der gesunde Sinn des Volkes siegte stets über diese Versuchungen. „Keinen Krawall!“ sagen sie, diese Männer des Volks; „er könnte unsern Feinden nur in die Hände arbeiten. Keine Entzweiung in einem Augenblicke, wo es gilt, einig zu sein!“ Und eben dieser friedliche Sinn, dieser Geist der Brüderlichkeit ist es, welcher so viele, die immer noch dem Volke mißtrauten, auf seine Seite gebracht hat. ‒ Ist es nicht ein Zeichen der größten Humanität, wenn Tausende von Menschen im wahren Sinne des Worts aus Mangel an Arbeit <hi rendition="#g">hungern</hi> und dennoch ruhig bleiben, um nur nicht der Sache der Freiheit zu schaden?</p> <p>An 4000 Arbeiter liefen brodlos umher, arbeitsfähig, aber ohne Arbeit. Vergebens hatten sie Beschäftigung verlangt, der Minister von Patow schickte sie zum Magistrat, der Magistrat zum Minister. Sie wurden geradezu von Pontius zu Pilatus gehetzt, ohne daß man ihr Verlangen erfüllt hätte, denn hier scheinen Ministerium, Kommune und Polizei unter einer Decke zu stecken. Wer nahm sich der Arbeiter an? Der demokratische Klub. Auch dadurch wird sein Anhang immer größer.</p> <p>Allgemein ist man gespannt auf die nächste Sitzung der Vereinbarer. Bis Mittwoch haben dieselben Ferien. Man spricht von einem Gesetzesvorschlag gegen Attroupements; von Militärbesetzung des Sitzungssaales, ja sogar von Verlegung der Versammlung. Wohin? Vielleicht nach Potsdam oder Stettin? ‒ Die Physiognomie der Versammlung wird sicher jetzt eine noch ganz andere werden. Die Regierung will mit ihren verrätherischen Plänen offenbar hervortreten, weßhalb sie ihr Werkzeug an sicherer Stelle zu haben wünscht. ‒ Wahrscheinlich werden mehrere Abgeordnete, die den Erwartungen ihrer Wähler nicht entsprochen haben, von Seiten derselben zur Aufgabe ihres Mandats veranlaßt werden, von hier Prediger Sydow und Hofrath Bauer.</p> </div> <div xml:id="ar014_006" type="jArticle"> <head><bibl><author>19</author></bibl>Bielefeld, 10. Juni.</head> <p>Die Reaktion läßt sich keine Mühe verdrießen, um unsere armen Weber und Spinner gegen die „Freigeister und Republikaner“ zu fanatisiren, und man muß gestehen, ihre Bemühungen haben bis jetzt den günstigsten Erfolg davongetragen. Es ist etwas Trauriges um eine Gegend wie die unsrige mit einer untergehenden patriarchalischen Industrie. Die Leute entsinnen sich noch ihres Wohlstandes und hoffen noch immer auf die Wiederherstellung des alten Zustandes. Gleich nach der Revolution warfen sie sich der Bewegung in die Arme, wollten ihre mißliebigen Amtleute absetzen, wollten nur die entschiedensten Demokraten nach Berlin und Frankfurt senden, kamen mit der Absetzung aber nur bis zum Nachwächter, ließen sich dann von der Geistlichkeit kapern, und wählten zu Abgeordneten lautere Pietisten. Sie erwarteten von ihrem Abgeordneten wenigstens, daß er jedem armen Heuerling wieder eine Kuh in den Stall bringe, und schreiben jetzt, da nach so vielen Wochen in ihrer Lage noch gar keine Veränderung außer zum Schlechteren eingetreten ist, alles Unglück den Demokraten zu, die allein daran Schuld sind, daß Handel und Gewerbe noch nicht wieder blühen, wie früher. Gar zu lange werden wahrscheinlich auch die Pietisten kein Oberwasser behalten; je höher sie gestiegen sind, desto tiefer werden sie fallen, weil auch sie die gehegten Erwartungen nicht erfüllen können. Genug aber, für den Augenblick sind sie oben, und schüren das Feuer nach Kräften. Das berüchtigte Cösliner Manifest welches ich Ihnen zum etwaigen Abdruck beilege, wird in zahlreichen Exemplaren auf dem Lande verbreitet, ja sogar öffentlich in Kirchen, Schulen und Kasernen von Geistlichen, Beamten und Offizieren vorgelesen, und darnach verfaßte Adressen durch die Polizei zur Unterschrift in den Häusern umhergetragen. Es wird darin geradezu zum Bürgerkriege, zu einem gemeinschaftlichrn Zuge nach Berlin aufgefordert, „zur Vertilgung eines zweiten Paris aus dem preußischen Vaterlande.“ Es versteht sich von selbst, daß all diesen Radomontaden eine durchaus lügenhafte Schilderung unserer Revolution und der folgenden Ereignisse vorangeht, denn wie wollte diese Partei das Volk für sich stimmen, wenn nicht durch Lüge und Betrug. Die Herren wollen sich nicht länger „gängeln lassen von der Zuchtruthe der Freiheit, des Uebermuths, des Unverstandes, der Unreifheit!“ sie wollen lieber selbst das Volk wieder am Gängelbande führen, wie unter der glorreichen Herrschaft eines Bodelschwingh, sie wollen ihm wieder die Bissen höchsteigen zuzählen, damit es sich nicht an ungewohnter Kost den Magen verderbe. Die Versendung dieses Cösliner Manifestes, von einem Scharfrichter, einigen Beamten und Krautjunkern unterschrieben, durch das ganze Land, an alle Behörden, konnte dem Ministerium nicht unbekannt bleiben. Wenn aber Hr. Camphausen nach den Unterschriften dieser Adressen, die der Abgeordnete <hi rendition="#g">Maager</hi> der Berliner Nationalversammlung überreichen soll, die Stimmung des Landes beurtheilen will, so will ich ihm doch auch sagen, wie man derartige Unterschriften zu Stande bringt. Man erzählt den Leuten, die trotz des Vorlesens vom Inhalte meistentheils nichts verstehen, man wolle ihnen die Religion nehmen; wer das Vorgelegte nicht unterschreibe, der glaube nicht an Gott u. dgl.,; zum Ueberfluß thun denn einige Spirituosa noch wahre Wunder.</p> <p>Besser als auf dem Lande ist es in unseren kleinen Städten; hier faßt die demokratische Entwickelung immer mehr festen Fuß. In unserer Stadt hat der „demokratische Klub“ wenn auch nicht numerisch, so doch faktisch die Oberhand. Der „Arbeiterklub“ in Hamm ist entschieden demokratisch; beide Klubs werden den demokratischen Kongreß in Frankfurt durch Abgeordnete beschicken. Die „Bildungsvereine“ in Herford und Minden tragen noch keine so entschiedene Farbe, obschon auch sie der Mehrzahl nach aus Arbeitern bestehen.</p> <p> <hi rendition="#g">Preußische Brüder!</hi> </p> <p>Seine Majestät der König, in alleiniger Machtvollkommenheit, verhieß uns, in freiem, hochherzigem Entschlusse, eine konstitutionelle Verfassung, auf den breitesten Grundlagen. ‒ Eine Bürgschaft dafür übernahm der Königliche Bruder und Thronfolger, der Prinz von Preußen, durch seine Unterschrift des Königl. Patents. ‒ Im ganzen weiten Vaterlande antwortete dem Könige der unermeßliche Jubel des dankbaren Volkes, und jeder ächte Preuße fühlte sich gehoben in der großartigen Entschließung Seines Königs, jeder wahre Preuße wußte nun, im Rückblick auf die Vergangenheit einer gesegneten Regierung von Jahrhunderten, daß das Vaterland in der besonnenen, naturgemäßen Entwickelung, und im ruhigen Fortschritt seiner ihm gegebenen freien Institutionen, glücklich und groß werden müsse. Sollte doch, ‒ das war die Königliche Absicht, das war ja unser Wunsch, ‒ die hohe Blüthe unserer Industrie, unserer Künste und Wissenschaften, unseres Handels und der Gewerbe, unsers gesammten materiellen Wohlbefindens, nunmehr von dem Einen, was ihm noch fehlte, ‒ von dem Odem der politischen Freiheit durchweht werden.</p> <p>Aber in dem Becher unserer Freude mischten sich die Ereignisse, die Schrecken des 19. März und der folgenden Tage, angefacht durch böswillige, kurzsichtige und verblendete Menschen, welche in der ordnungsmäßigen, bedächtigen Entwickelung des Fortschritts und seiner beglückenden Folgen, das Ende ihrer verabscheuungswürdigen Umtriebe, welche in der auf Volksliebe getragenen hohen Glorie unsers Königs ihre Brandmarkung erblicken. ‒ Fortgerissen durch die Schreckensscenen jener Tage, ließen sich selbst biedere und loyale Bürger Berlins von dem Wahn bethören, als hätte die vorgebliche Revolution uns die politische Freiheit gebracht, ja, sie gingen in ihrer Verblendung so weit, das vaterländische brave Heer, unsere Söhne und Brüder zu beschimpfen, unsern Thronfolger, den Prinzen von Preußen zu beleidigen, und uns, alle treue Bewohner der Provinzen für fähig zu halten, die gemachte Revolution und ihre traurigen Folgen anzuerkennen! ‒ Der König, in Seinen heiligen Gefühlen tief verletzt, aber selbst da noch voll Liebe und Vertrauen zu Seinem Volke, wollte nicht an den Edelmuth und die Treue desselben appelliren. In Seiner eigenen hochherzigen Gesinnung suchte und fand Er die wahre Gesinnung des großen Volkes wieder, ‒ Er hoffte, Er wußte, diese mußte sich auch in Seinen Berlinern wieder klären und läutern zu der Reife der Ueberzeugung,</p> <p rendition="#et">„daß das Ruder des schwankenden Staatsschiffes nicht von der Laune und dem Willen böswilliger Parteihäupter, verblendeter und roher Massen der Hauptstadt gelenkt werden dürfte, sollten sonst Ordnung, Friede und Glück unsere neuen Institutionen befestigen helfen.“</p> <p>Diesen Königlichen Gesinnungen, dieser Mäßigung allein verdanken wir bisher die Verhinderung eines blutigen Bürgerkrieges.</p> <p>Die Bewohner der treuen Provinzen verstanden und ehrten den Willen Ihres Königs, ‒ sie ließen sich mit blutendem Herzen die unsinnigsten Gewaltstreiche einer aufrührerischen Partei im Innersten des Landes, in der Residenz, schweigend gefallen, mit ihrem Könige hoffend:</p> <p rendition="#et">„es werde, es müsse der alte Preußische Sinn, der alte Preußische Heldengeist auch in den irre geleiteten Parteimännern wieder erwachen, es müsse und werde selbst bei den widerwärtigsten, empörendsten Schritten derselben gegen die gesetzlichen Beschlüsse der ganzen Nation, endlich doch das Licht der Vernunft, das Gefühl der Ehre und die Liebe und Treue zum Vaterlande siegreich nach dem Stabe greifen, der allein uns retten kann, ‒ nach dem Stabe des Gesetzes.“</p> <p>Allein die treuen Bewohner der Provinzen hatten sich leider! getäuscht. Die anarchischen Zustände, inmitten eines bisher gesegneten, zufriedenen Volkes, inmitten der Hauptstadt des Landes, die ihre Größe, ihre Blüthe, unsern Königen, die ihren Wohlstand den Provinzen verdankt, ‒ sie dauern fort, sie nehmen überhand, sie drohen uns Allen. Verderben und Untergang.</p> <p>Ein kräftiges Ministerium, aus dem Herzen des Volkes hervorgegangen, kann seine Kraft, seine Thätigkeit und Umsicht nicht entwickeln, ‒ seine gesetzlichen Schritte, zur Befestigung des Vertrauens im Lande, zur Wiederherstellung der Ordnung und Ruhe, zur Wiederbelebung des gesunkenen Kredits, ‒ sie zerschellen macht- und erfolglos an den Klippen egoistischer Bestrebungen besitz- und gesinnungsloser Parteimänner, bartloser, unreifer Knaben und verführter Massen des Arbeiterstandes. ‒ Knaben, der Zuchtruthe kaum entwachsen, wagen es, in öffentlichen Blättern den Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung zu predigen, sie wagen es, Männer unserer Hochachtung, Männer des Ministerii mit Verderben und Tod zu bedrohen; sie wagen es, ‒ Schmach für uns, daß wir es aussprechen müssen, ‒ der geheiligten Person unsers Königs in frecher, ekelerregender Pöbelhaftigkeit zu nahe zu treten! ‒ Ja, noch mehr! Männer, wir sagen absichtlich „Männer“ der Hauptstadt erkühnen sich, dem vom ganzen Lande mit Begeisterung aufgenommenen Beschlusse des Ministerii und dem Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Königs, zur baldigen Rückkehr des Prinzen von Preußen in unsere Mitte, sich frech entgegen zu stellen! Bedenkt, ihr treuen, biedern Preußischen Brüder, die anmaßende Keckheit Berliner Einwohner geht so weit, unserm Thronfolger, dem ersten, treusten Unterthan des Königs, dem heldenmüthigen Prinzen von Preußen, der in den Befreiungskriegen sein Leben für das Vaterland einsetzte, ‒ eine Stätte in diesem Vaterlande zu verweigern! Bedenkt die empörende Gewalt und ihre gräßlichen Folgen. ‒ Bedenkt, daß dadurch die ganze jetzt zu berathende Verfassung in Frage gestellt werden kann, daß die vollständigste Auflösung aller Ordnung die unmittelbare Folge davon sein muß. ‒ Ja, junge Männer haben sich erkühnt, dem Ministerpräsidenten gegenüber zu behaupten, daß auch die Bewohner der treuen Provinzen sich gegen die Rückkehr unsers Prinzen erklärt hätten, ‒ sie haben es gewagt, uns als Mitschuldige ihrer verrätherischen An schläge und Absichten zu verdächtigen! ‒ Und Berlin, die bevorzugte Stadt der Intelligenz, des Wohlstandes und bisher auch der Ehre, Berlin duldet solchen Frevel in seiner Mitte! ‒ Nun denn, in Gottes Namen, so wollen wir ihn denn nicht dulden! ‒ Auf! ihr Brüder, in allen Provinzen des Preußischen Vaterlandes, wappnet Euch endlich zur kräftigen Abwehr, des mit Riesenschritten auf uns zueilenden Elends. Genug haben wir ertragen, genug geduldet, genug entbehrt, genug des Frevels mitangesehen! Länger uns gängeln lassen von der Zuchtruthe der Frechheit, des Uebermuths, des Unverstandes, der Unreifheit, das hieße, unsre Namen „Preußen“ brandmarben! Auf! laßt uns in der Gesammtheit des Volkes unsern Willen durch diesen Aufruf zu erkennen geben, laßt uns ihn mit den Unterschriften aller redlichen wohlmeinenden Brüder bedecken. Die gewaltige Stimme des Volkes laßt uns erheben, ‒ die Stimme eines großen, nicht geknechteten, sondern freien Volkes, sie schalle wie Posaunenton in das Ohr der Volksverräther, sie bestimme in Berlin den wahren Volkswillen!</p> <p>Aber damit kein Mißton des Zweifels den Zweck unserer Kundgebung störe und uns etwa selbst irre mache, an unserm Vorhaben, so sei unser Wahlspruch:</p> <p>„Alles für und mit dem Volke,“</p> <p>unser Zweck und Ziel aber:<hi rendition="#et">die schleunigste Befestigung der uns von unserem Könige verheißenen Konstitution, auf der breitesten Bahn, der naturgemäßen, besonnenen und friedlichen Entwicklung und die Brechung einer verderblichen Macht in der Hauptstadt, ‒ die Vertilgung eines zweiten Paris aus dem Preußischen Vaterlande. ‒</hi></p> <p>Erst dann, nach so großartiger Kundgebung unseres Willens, werden Ordnung und Kredit im Lande einkehren, erst dann wollen und können wir Alle das Letzte unserer Habe, gern an den Altar des Vaterlandes niederlegen! ‒</p> <p>Und nun noch ein Wort an Euch, ihr bessern, ihr treuen Bürger und Bewohner Berlins! Wohl haben wir wahrgenommen, wie Ihr den alten Preußischen Geist, das alte Preußische Rechtsgefühl, den alten Preußischen Heldenmuth, in dem Bewußtsein Euch rein bewahrtet, für Preußen könne der heilige Wahlspruch:</p> <p>„Mit Gott, für König und Vaterland,“</p> <p>nie eine Unwahrheit werden, ‒ wohl haben wir wahrgenommen, wie auch Euer Preußisches Herz blutete, bei den empörenden Ereignissen in Eurer Mitte. ‒</p> <p>Erkannt haben wir auch, daß vorzugsweise in der besonnenen und tapfern Haltung Eurer Bürgerwehr, der Ausdruck Eurer patriotischen Gesinnung sich wiederfand und mit Freude und Stolz haben wir Euch als unsere Brüder zu betrachten nie aufgehört. ‒ Doch Eure Langmuth, Eure Geduld, sie dauerten zu lange: schon längst hättet Ihr dem frevelhaften Beginnen Eurer verführten Mitbewohner kräftigen Widerstand entgegen setzen sollen. Wart Ihr nicht stark genug dazu, ‒ es bedurfte ja nur eines Winkes, ‒ und wir Alle, alle Eure Brüder in den Provinzen wäre bei Euch gewesen. ‒ Das Volk macht Euch von jetzt ab verantwortlich für die Aufrechthaltung der bestehenden Ordnung, insbesondere verpflichtet es Euch, die Ihr dem Throne so nahe seid, mit Eurem Herzblut jede fernere Beleidigung, jede freche Annäherung an denselben, abzuwehren. Bei allem, was Euch heilig ist, seid Ihr dem Volke dafür verantwortlich. Es wird einst eine schwere Rechenschaft von Euch fordern! ‒</p> <p>Sollte aber auch diese erste und letzte Kundgebung unserer Gesinnungen, unsers Willens ungehört an tauben Ohren verhallen, sollten immer und immer auf's Neue Aufreizungen der Massen in Berlin und Störung der öffentlichen Ordnung, Hinderung der öffentlichen Gewalten in Ausübung ihrer Pflichten, die Hebung des gesunkenen Kredits, des Wohlstandes und der Gesetzlichkeit niederhalten; nun denn! in der Gesammtheit des Volkes nach Berlin, um an Ort und Stelle endlich den Volkswillen öffentlich zu proklamiren?</p> <p>Alle Behörden, Korporationen, Gesellschaften und Personen, werden gebeten diesen Aufruf, der heute überall im Vaterlande verbreitet ist, zu veröffentlichen, ihn mit Unterschriften aller Patrioten bedecken zu lassen und ihn dann schleunigst an unsern Abgeordneten der Nationalversammlung Herrn Maager in Berlin gelangen zu lassen, der die Resultate der eingegangenen Unterschriften in den Zeitungen veröffentlichen und die gesammelten Dokumente dem Staatsministerium, als ein untrügliches Pfand des Volkswillens übergeben wird.</p> </div> <div xml:id="ar014_007" type="jArticle"> <head>Cöslin, den 23. Mai 1848.</head> <p>v. Kleist-Warnin. Bucher, Prorektor d. Gymn. Freiherr v. Therme. Wehrenberg, Braueigen. v. Borwiz-Borntin. v. Tresckow. Steffenhagen-Balfanz. Erdt, Dep. Thierarzt. v. Hackewitz, Hauptm. a. D. Leopold, Just. Rath Kanitz, Schulvorsteher. v. Alten-Tietzow E. G. Hendeß, Buchhändler. v. Lettow auf Klenzin. Laurin, Seifenfabrik. W. Brendel, Fleischermstr. v. Gaedecke. Hildebrand, Justiz-Rath. Dr. Baumgardt, Gymnasiallehrer. F. Fuchs, Scharfrichter. J. H. Schmidt, Oekonom. Gusen, OLG Kanzlei-Direktor. v. Motz, Forstmeister. v. Reichenbach, Reg.-Rath. J. H. Jonaß, Kaufm. J. Caspary, Gerbermstr.</p> </div> <div xml:id="ar014_008" type="jArticle"> <head>Oberschlesien.</head> <p>Hätten wir keine Gutsbesitzer, so gäbe es keine Ortspolizei; wäre keine Ortspolizei, so gäbe es keine Gerechtigkeit; wäre keine Gerechtigkeit, so gäbe es keine Prügel; es gibt aber Prügel, folglich muß es Gutsbesitzer geben. In Oberschlesien wird die ganze Tonleiter herauf und herunter geprügelt, von dem einfachen bis zu dem dreimal gestrichenen C, bald im sanften nachdrucksvollen Adagio, bald im rauschenden brillanten Allegro, das mitunter in eine stille tödtliche Pause übergeht. In dieser Hinsicht sind selbst die Liberalen Stockaristokraten, höchstens daß die Reaktionäre noch den Kantschu und die russische Knute vorziehen. Das Volk befindet sich, wie mir die meisten dieser schlagsüchtigen Herren versichern, unendlich wohl dabei, wie Nußbäume, welche geprügelt die besten Früchte tragen. Dieses patriarchalische Erziehungssystem hat unstreitig viel zur moralischen und sittlichen Hebung des Volkes beigetragen, Gefühle in ihm geweckt und ihm Begriffe beigebracht. Mit dem leisesten Ohr für die Schlag- und Stichwörter der Gegenwart begabt, hat es daher in der jüngsten Zeit leicht die Rolle übernommen, die man ihm übertragen. Den hohen Werth der oberschlesischen Adressen, welche an das Ministerium, den Prinzen von Preußen u. s. w. erlassen werden, wird man aus diesen Gründen hinlänglich zu würdigen wissen. Natürlich entwickelte sich durch die nahen Berührungen, in welchen der Gutsbesitzer zu seinen Einsassen lebt, ein wahrhaft liebevolles Verhältniß, das nur selten von Uebelgesinnten gestört wird. Diese gehören größtentheils zu den gänzlich Verarmten, da bekanntlich Hunger und Noth unzufrieden macht, es wird daher polizeilich für ihr Wohlergehen gesorgt und Obdach und Nahrung ihnen zeitweise kostenfrei verliehen. Aber die Undankbaren nennen diese freiwilligen Wohlthaten der Ortspolizei unerlaubte Einsperrung und eigenmächtige Detention und das Obergericht in Ratibor soll, was kaum zu glauben ist, ganz häufig derselben Meinung gewesen sein. Auch das Prügelsystem hat nicht bei der ganzen Bevölkerung den gewünschten Anklang gefunden und häufige Beschwerden sind oft deshalb erhoben worden. Um allen solchen Unannehmlichkeiten ein für alle Mal zu entgehen, soll ein Gutsherr auf die höchst sinnreiche Idee gekommen sein, jeden Mißliebigen in eine Wollzüche zu stecken, dieselbe ihm über den Kopf zuzubinden, und dann im Finstern drauf los zu hauen, ein Verfahren, das wir hiermit zur Benutzung öffentlich empfehlen, und das für die große Humanität des Erfinders spricht, der sich den Anblick selbst verdienter Leiden bei seinen Nebenmenschen gern erspart. Neben der Polizei übt der Gutsherr auch die Patrimonialgerichtsbarkeit durch einen Justizbeamten aus, den er allein zu wählen und zu besolden hat.</p> <p>Am Gerichtstage sitzt der Patrimonialrichter in der Kanzlei, um Recht zu sprechen, neben ihm der Aktuar, zur Seite steht der Exekutor, beide sind alte Erbstücke, die durch öfteren Verkehr mit Spitzbuben in ihrem Amte einige Aehnlichkeit mit diesen erlangt, ein neuer Beweis für die Behauptung, daß ein längerer Umgang zwischen vertrauten Personen physiognomische Aehnlichkeiten hervorruft. Acht Termine sind bis zum Mittagsessen, das bei dem Gutsherrn eingenommen wird, zu beenden. Zunächst erscheinen zwei Holzdiebe, dieselben leugnen ihre That, trotzdem sie in der polizeilichen Voruntersuchung ihr Verbrechen eingestanden haben, sie geben ein durch Prügel erpreßtes Geständniß vor. Der Richter, dessen Frau sich homöopatisch behandeln läßt, denkt similia similibus und weiß ihr erloschenes Erinnerungsvermögen durch eine neue, aber nicht allzukleine Gabe anzuregen. Drei Kreuze werden als Unterschrift der Protokolls gemalt, das natürlich die Prügel nicht enthält, weil sich dieselben ganz von selbst verstehen.</p> <p>Ein Grundstück soll verkauft werden, auf welchem das Dominium eine Forderung an Grundzins und Ablösungsgeldern stehen hat, eine Summe, welche durch die Zeit bedeutend angewachsen, da die Zinsen zum Kapital und außerdem die Gerichtskosten hinzukommen. Die Kauflustigen sind vorschriftsmäßig eingeladen, aber nicht erschienen. Der Gutsbesitzer ersteht das Grundstück zu dem niedrigsten Gebot, was ihm doppelt angenehm, da er es längst zu seinem Vorwerk schlagen wollte. Später eintreffende Käufer können nicht berücksichtigt werden, da ihre Uhren sämmtlich eine Viertelstunde zu spät zeigen.</p> <p>Einige Injurienklagen, welche folgen, sind ohne Bedeutung und Interesse, mit Ausnahme der Sporteln, welche sie abwerfen. Verwickelter erscheint ein Erbschaftsprozeß und beide Parteien suchen den Richter, so gut es geht, in polnischer Sprache, vermittelst des Aktuar und vereideten Dolmetschers, von ihren Ansprüchen zu überzeugen. Der Aktuar aber weiß so trefflich zu übersetzen, besonders aus dem Deutschen in das Polnische, daß leicht ein Irrthum und ein Vergleich zu Gunsten der Partei zu Stande kommt, welche mit dem meisten Nachdruck und mit klingenden Beweisen spricht. Sämmtliche Parteien kommen aber darin überein, daß sie von den mit ihnen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0058/0002]
ten drüber wegsehen.“ „Wir werden wohl neue Barrikaden bauen müssen.“ So hörte ich viele Männer aus dem sogenannten niedern Volke reden. ‒ „Daran sind die indirekten Wahlen Schuld“ sagt ein an allen Ecken, die förmlich mit Zetteln überklebt sind, befindlicher Anschlag. ‒ Sie sehen, auch hier schwindet das Vertrauen; die Regierung hat es schon lange verloren, und jetzt fängt man auch an, die konstituirende Versammlung aufzugeben. ‒ Die Reaktion scheut natürlich kein Mittel, um sich durchzusetzen; mit reichlichen Geldmitteln versehen, arbeitet sie im Geheimen an ihren Plänen. Besonders thätig ist sie seit der Rückkehr des Prinzen von Preußen, über dessen stummen Empfang sich die in Civil gekleideten Herren Gardelieutenants schon gewaltig geärgert haben. An der Spitze der Reaktionspartei steht der neugebildete Preußen-Verein, dessen Mitglieder meist pensionirte Militärs, Aristokraten, Büraukraten und Geldsäcke sind; eine neue Polizei- und Denunziantenanstalt, die sich freiwillig dem Staatsanwalt zur Verfügung gestellt hat. ‒ Der Verein veranlaßt das Erscheinen einer Zeitung, „Preußen-Zeitung“, in der er seine Grundsätze verbreiten will. ‒ Seine Plakate häufen sich mit jedem Tage, aber ‒ o Jammer! ‒ das Volk mag Nichts wissen von solchen vorsündflutlichen Aktenstücken. ‒ ‒ Die Reaktion theilt auch Geld aus, womit sie jedoch selten ihren Zweck erreicht, höchstens ein Paar Hurrah's, wie sie dem Prinzen von Preußen von einigen bezahlten Kehlen geschrien wurden. Daß das Militär in ultra-royalistischem Sinne bearbeitet wird, versteht sich von selbst. ‒ Kompagnieweise ruft man die Soldaten zusammen, liest ihnen eine Erklärung der Treue zu „Gott, König und Vaterland“, gespickt und mit wüthenden Ausfällen gegen die „Wühler“ und „Aufwiegler“ vor; natürlich geben sie ihre Zustimmung dazu; denn wer würde es wagen zu widersprechen? Die Loyalitätserklärung wird dann im Namen des Regiments in die voss. Zeitung gesetzt. ‒ Leider will das Manövre nicht recht fruchten. Die Soldaten besuchen trotz ihrer Loyalitäts-Adressen, die Volksversammlungen und Klubs und lesen trotz des Verbots, die Maueranschläge der Demokraten. ‒ Die Reaktion operirt zu plump, als daß ihre Pläne nicht sogleich an den Tag kommen müßten. ‒ Wem bisher noch nicht die Augen aufgegangen waren, dem sind sie es jetzt. Die reaktionäre Masse wächst hier mit jedem Tage; die Demokratie gewinnt immer mehr Anhänger und täglich bilden sich neue Klubs mit demokratischen Prinzipien. ‒ Die friedlichen Spießbürger, die immer nur nach „Ruhe“ schrien; die Bürgerwehr, welche noch vor 4 Wochen so reaktionär war, daß sie z. B. die Literaten am liebsten an den Bayonetten aufgespießt hätte; sie sind durch die aufgedeckten volksfeindlichen Umtriebe der Regierung, die Bürgerwehr besonders durch die ihres frühern Kommandeurs, General von Aschoff, so vollständig umgestimmt, daß man glauben sollte, wir hätten eine neue Revolution gehabt. ‒ Die Hauptelemente der Demokratie sind hier die Arbeiter. Le peuple de Berlin est peuple de coeur! gleich dem Volke von Paris. Es ist wunderbar, wie diese Arbeiter von Berlin, die sich seit der Revolution in der größten Noth befinden, ihren guten Ruf so trefflich bewahrt haben. ‒ Die Reaktion suchte sie freilich fortwährend zu Excessen zu verleiten, um sie mit der Bürgerwehr in Konflikt zu bringen, um dann um so besser über beide herfallen zu können. ‒ Der gesunde Sinn des Volkes siegte stets über diese Versuchungen. „Keinen Krawall!“ sagen sie, diese Männer des Volks; „er könnte unsern Feinden nur in die Hände arbeiten. Keine Entzweiung in einem Augenblicke, wo es gilt, einig zu sein!“ Und eben dieser friedliche Sinn, dieser Geist der Brüderlichkeit ist es, welcher so viele, die immer noch dem Volke mißtrauten, auf seine Seite gebracht hat. ‒ Ist es nicht ein Zeichen der größten Humanität, wenn Tausende von Menschen im wahren Sinne des Worts aus Mangel an Arbeit hungern und dennoch ruhig bleiben, um nur nicht der Sache der Freiheit zu schaden?
An 4000 Arbeiter liefen brodlos umher, arbeitsfähig, aber ohne Arbeit. Vergebens hatten sie Beschäftigung verlangt, der Minister von Patow schickte sie zum Magistrat, der Magistrat zum Minister. Sie wurden geradezu von Pontius zu Pilatus gehetzt, ohne daß man ihr Verlangen erfüllt hätte, denn hier scheinen Ministerium, Kommune und Polizei unter einer Decke zu stecken. Wer nahm sich der Arbeiter an? Der demokratische Klub. Auch dadurch wird sein Anhang immer größer.
Allgemein ist man gespannt auf die nächste Sitzung der Vereinbarer. Bis Mittwoch haben dieselben Ferien. Man spricht von einem Gesetzesvorschlag gegen Attroupements; von Militärbesetzung des Sitzungssaales, ja sogar von Verlegung der Versammlung. Wohin? Vielleicht nach Potsdam oder Stettin? ‒ Die Physiognomie der Versammlung wird sicher jetzt eine noch ganz andere werden. Die Regierung will mit ihren verrätherischen Plänen offenbar hervortreten, weßhalb sie ihr Werkzeug an sicherer Stelle zu haben wünscht. ‒ Wahrscheinlich werden mehrere Abgeordnete, die den Erwartungen ihrer Wähler nicht entsprochen haben, von Seiten derselben zur Aufgabe ihres Mandats veranlaßt werden, von hier Prediger Sydow und Hofrath Bauer.
19Bielefeld, 10. Juni. Die Reaktion läßt sich keine Mühe verdrießen, um unsere armen Weber und Spinner gegen die „Freigeister und Republikaner“ zu fanatisiren, und man muß gestehen, ihre Bemühungen haben bis jetzt den günstigsten Erfolg davongetragen. Es ist etwas Trauriges um eine Gegend wie die unsrige mit einer untergehenden patriarchalischen Industrie. Die Leute entsinnen sich noch ihres Wohlstandes und hoffen noch immer auf die Wiederherstellung des alten Zustandes. Gleich nach der Revolution warfen sie sich der Bewegung in die Arme, wollten ihre mißliebigen Amtleute absetzen, wollten nur die entschiedensten Demokraten nach Berlin und Frankfurt senden, kamen mit der Absetzung aber nur bis zum Nachwächter, ließen sich dann von der Geistlichkeit kapern, und wählten zu Abgeordneten lautere Pietisten. Sie erwarteten von ihrem Abgeordneten wenigstens, daß er jedem armen Heuerling wieder eine Kuh in den Stall bringe, und schreiben jetzt, da nach so vielen Wochen in ihrer Lage noch gar keine Veränderung außer zum Schlechteren eingetreten ist, alles Unglück den Demokraten zu, die allein daran Schuld sind, daß Handel und Gewerbe noch nicht wieder blühen, wie früher. Gar zu lange werden wahrscheinlich auch die Pietisten kein Oberwasser behalten; je höher sie gestiegen sind, desto tiefer werden sie fallen, weil auch sie die gehegten Erwartungen nicht erfüllen können. Genug aber, für den Augenblick sind sie oben, und schüren das Feuer nach Kräften. Das berüchtigte Cösliner Manifest welches ich Ihnen zum etwaigen Abdruck beilege, wird in zahlreichen Exemplaren auf dem Lande verbreitet, ja sogar öffentlich in Kirchen, Schulen und Kasernen von Geistlichen, Beamten und Offizieren vorgelesen, und darnach verfaßte Adressen durch die Polizei zur Unterschrift in den Häusern umhergetragen. Es wird darin geradezu zum Bürgerkriege, zu einem gemeinschaftlichrn Zuge nach Berlin aufgefordert, „zur Vertilgung eines zweiten Paris aus dem preußischen Vaterlande.“ Es versteht sich von selbst, daß all diesen Radomontaden eine durchaus lügenhafte Schilderung unserer Revolution und der folgenden Ereignisse vorangeht, denn wie wollte diese Partei das Volk für sich stimmen, wenn nicht durch Lüge und Betrug. Die Herren wollen sich nicht länger „gängeln lassen von der Zuchtruthe der Freiheit, des Uebermuths, des Unverstandes, der Unreifheit!“ sie wollen lieber selbst das Volk wieder am Gängelbande führen, wie unter der glorreichen Herrschaft eines Bodelschwingh, sie wollen ihm wieder die Bissen höchsteigen zuzählen, damit es sich nicht an ungewohnter Kost den Magen verderbe. Die Versendung dieses Cösliner Manifestes, von einem Scharfrichter, einigen Beamten und Krautjunkern unterschrieben, durch das ganze Land, an alle Behörden, konnte dem Ministerium nicht unbekannt bleiben. Wenn aber Hr. Camphausen nach den Unterschriften dieser Adressen, die der Abgeordnete Maager der Berliner Nationalversammlung überreichen soll, die Stimmung des Landes beurtheilen will, so will ich ihm doch auch sagen, wie man derartige Unterschriften zu Stande bringt. Man erzählt den Leuten, die trotz des Vorlesens vom Inhalte meistentheils nichts verstehen, man wolle ihnen die Religion nehmen; wer das Vorgelegte nicht unterschreibe, der glaube nicht an Gott u. dgl.,; zum Ueberfluß thun denn einige Spirituosa noch wahre Wunder.
Besser als auf dem Lande ist es in unseren kleinen Städten; hier faßt die demokratische Entwickelung immer mehr festen Fuß. In unserer Stadt hat der „demokratische Klub“ wenn auch nicht numerisch, so doch faktisch die Oberhand. Der „Arbeiterklub“ in Hamm ist entschieden demokratisch; beide Klubs werden den demokratischen Kongreß in Frankfurt durch Abgeordnete beschicken. Die „Bildungsvereine“ in Herford und Minden tragen noch keine so entschiedene Farbe, obschon auch sie der Mehrzahl nach aus Arbeitern bestehen.
Preußische Brüder!
Seine Majestät der König, in alleiniger Machtvollkommenheit, verhieß uns, in freiem, hochherzigem Entschlusse, eine konstitutionelle Verfassung, auf den breitesten Grundlagen. ‒ Eine Bürgschaft dafür übernahm der Königliche Bruder und Thronfolger, der Prinz von Preußen, durch seine Unterschrift des Königl. Patents. ‒ Im ganzen weiten Vaterlande antwortete dem Könige der unermeßliche Jubel des dankbaren Volkes, und jeder ächte Preuße fühlte sich gehoben in der großartigen Entschließung Seines Königs, jeder wahre Preuße wußte nun, im Rückblick auf die Vergangenheit einer gesegneten Regierung von Jahrhunderten, daß das Vaterland in der besonnenen, naturgemäßen Entwickelung, und im ruhigen Fortschritt seiner ihm gegebenen freien Institutionen, glücklich und groß werden müsse. Sollte doch, ‒ das war die Königliche Absicht, das war ja unser Wunsch, ‒ die hohe Blüthe unserer Industrie, unserer Künste und Wissenschaften, unseres Handels und der Gewerbe, unsers gesammten materiellen Wohlbefindens, nunmehr von dem Einen, was ihm noch fehlte, ‒ von dem Odem der politischen Freiheit durchweht werden.
Aber in dem Becher unserer Freude mischten sich die Ereignisse, die Schrecken des 19. März und der folgenden Tage, angefacht durch böswillige, kurzsichtige und verblendete Menschen, welche in der ordnungsmäßigen, bedächtigen Entwickelung des Fortschritts und seiner beglückenden Folgen, das Ende ihrer verabscheuungswürdigen Umtriebe, welche in der auf Volksliebe getragenen hohen Glorie unsers Königs ihre Brandmarkung erblicken. ‒ Fortgerissen durch die Schreckensscenen jener Tage, ließen sich selbst biedere und loyale Bürger Berlins von dem Wahn bethören, als hätte die vorgebliche Revolution uns die politische Freiheit gebracht, ja, sie gingen in ihrer Verblendung so weit, das vaterländische brave Heer, unsere Söhne und Brüder zu beschimpfen, unsern Thronfolger, den Prinzen von Preußen zu beleidigen, und uns, alle treue Bewohner der Provinzen für fähig zu halten, die gemachte Revolution und ihre traurigen Folgen anzuerkennen! ‒ Der König, in Seinen heiligen Gefühlen tief verletzt, aber selbst da noch voll Liebe und Vertrauen zu Seinem Volke, wollte nicht an den Edelmuth und die Treue desselben appelliren. In Seiner eigenen hochherzigen Gesinnung suchte und fand Er die wahre Gesinnung des großen Volkes wieder, ‒ Er hoffte, Er wußte, diese mußte sich auch in Seinen Berlinern wieder klären und läutern zu der Reife der Ueberzeugung,
„daß das Ruder des schwankenden Staatsschiffes nicht von der Laune und dem Willen böswilliger Parteihäupter, verblendeter und roher Massen der Hauptstadt gelenkt werden dürfte, sollten sonst Ordnung, Friede und Glück unsere neuen Institutionen befestigen helfen.“
Diesen Königlichen Gesinnungen, dieser Mäßigung allein verdanken wir bisher die Verhinderung eines blutigen Bürgerkrieges.
Die Bewohner der treuen Provinzen verstanden und ehrten den Willen Ihres Königs, ‒ sie ließen sich mit blutendem Herzen die unsinnigsten Gewaltstreiche einer aufrührerischen Partei im Innersten des Landes, in der Residenz, schweigend gefallen, mit ihrem Könige hoffend:
„es werde, es müsse der alte Preußische Sinn, der alte Preußische Heldengeist auch in den irre geleiteten Parteimännern wieder erwachen, es müsse und werde selbst bei den widerwärtigsten, empörendsten Schritten derselben gegen die gesetzlichen Beschlüsse der ganzen Nation, endlich doch das Licht der Vernunft, das Gefühl der Ehre und die Liebe und Treue zum Vaterlande siegreich nach dem Stabe greifen, der allein uns retten kann, ‒ nach dem Stabe des Gesetzes.“
Allein die treuen Bewohner der Provinzen hatten sich leider! getäuscht. Die anarchischen Zustände, inmitten eines bisher gesegneten, zufriedenen Volkes, inmitten der Hauptstadt des Landes, die ihre Größe, ihre Blüthe, unsern Königen, die ihren Wohlstand den Provinzen verdankt, ‒ sie dauern fort, sie nehmen überhand, sie drohen uns Allen. Verderben und Untergang.
Ein kräftiges Ministerium, aus dem Herzen des Volkes hervorgegangen, kann seine Kraft, seine Thätigkeit und Umsicht nicht entwickeln, ‒ seine gesetzlichen Schritte, zur Befestigung des Vertrauens im Lande, zur Wiederherstellung der Ordnung und Ruhe, zur Wiederbelebung des gesunkenen Kredits, ‒ sie zerschellen macht- und erfolglos an den Klippen egoistischer Bestrebungen besitz- und gesinnungsloser Parteimänner, bartloser, unreifer Knaben und verführter Massen des Arbeiterstandes. ‒ Knaben, der Zuchtruthe kaum entwachsen, wagen es, in öffentlichen Blättern den Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung zu predigen, sie wagen es, Männer unserer Hochachtung, Männer des Ministerii mit Verderben und Tod zu bedrohen; sie wagen es, ‒ Schmach für uns, daß wir es aussprechen müssen, ‒ der geheiligten Person unsers Königs in frecher, ekelerregender Pöbelhaftigkeit zu nahe zu treten! ‒ Ja, noch mehr! Männer, wir sagen absichtlich „Männer“ der Hauptstadt erkühnen sich, dem vom ganzen Lande mit Begeisterung aufgenommenen Beschlusse des Ministerii und dem Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Königs, zur baldigen Rückkehr des Prinzen von Preußen in unsere Mitte, sich frech entgegen zu stellen! Bedenkt, ihr treuen, biedern Preußischen Brüder, die anmaßende Keckheit Berliner Einwohner geht so weit, unserm Thronfolger, dem ersten, treusten Unterthan des Königs, dem heldenmüthigen Prinzen von Preußen, der in den Befreiungskriegen sein Leben für das Vaterland einsetzte, ‒ eine Stätte in diesem Vaterlande zu verweigern! Bedenkt die empörende Gewalt und ihre gräßlichen Folgen. ‒ Bedenkt, daß dadurch die ganze jetzt zu berathende Verfassung in Frage gestellt werden kann, daß die vollständigste Auflösung aller Ordnung die unmittelbare Folge davon sein muß. ‒ Ja, junge Männer haben sich erkühnt, dem Ministerpräsidenten gegenüber zu behaupten, daß auch die Bewohner der treuen Provinzen sich gegen die Rückkehr unsers Prinzen erklärt hätten, ‒ sie haben es gewagt, uns als Mitschuldige ihrer verrätherischen An schläge und Absichten zu verdächtigen! ‒ Und Berlin, die bevorzugte Stadt der Intelligenz, des Wohlstandes und bisher auch der Ehre, Berlin duldet solchen Frevel in seiner Mitte! ‒ Nun denn, in Gottes Namen, so wollen wir ihn denn nicht dulden! ‒ Auf! ihr Brüder, in allen Provinzen des Preußischen Vaterlandes, wappnet Euch endlich zur kräftigen Abwehr, des mit Riesenschritten auf uns zueilenden Elends. Genug haben wir ertragen, genug geduldet, genug entbehrt, genug des Frevels mitangesehen! Länger uns gängeln lassen von der Zuchtruthe der Frechheit, des Uebermuths, des Unverstandes, der Unreifheit, das hieße, unsre Namen „Preußen“ brandmarben! Auf! laßt uns in der Gesammtheit des Volkes unsern Willen durch diesen Aufruf zu erkennen geben, laßt uns ihn mit den Unterschriften aller redlichen wohlmeinenden Brüder bedecken. Die gewaltige Stimme des Volkes laßt uns erheben, ‒ die Stimme eines großen, nicht geknechteten, sondern freien Volkes, sie schalle wie Posaunenton in das Ohr der Volksverräther, sie bestimme in Berlin den wahren Volkswillen!
Aber damit kein Mißton des Zweifels den Zweck unserer Kundgebung störe und uns etwa selbst irre mache, an unserm Vorhaben, so sei unser Wahlspruch:
„Alles für und mit dem Volke,“
unser Zweck und Ziel aber:die schleunigste Befestigung der uns von unserem Könige verheißenen Konstitution, auf der breitesten Bahn, der naturgemäßen, besonnenen und friedlichen Entwicklung und die Brechung einer verderblichen Macht in der Hauptstadt, ‒ die Vertilgung eines zweiten Paris aus dem Preußischen Vaterlande. ‒
Erst dann, nach so großartiger Kundgebung unseres Willens, werden Ordnung und Kredit im Lande einkehren, erst dann wollen und können wir Alle das Letzte unserer Habe, gern an den Altar des Vaterlandes niederlegen! ‒
Und nun noch ein Wort an Euch, ihr bessern, ihr treuen Bürger und Bewohner Berlins! Wohl haben wir wahrgenommen, wie Ihr den alten Preußischen Geist, das alte Preußische Rechtsgefühl, den alten Preußischen Heldenmuth, in dem Bewußtsein Euch rein bewahrtet, für Preußen könne der heilige Wahlspruch:
„Mit Gott, für König und Vaterland,“
nie eine Unwahrheit werden, ‒ wohl haben wir wahrgenommen, wie auch Euer Preußisches Herz blutete, bei den empörenden Ereignissen in Eurer Mitte. ‒
Erkannt haben wir auch, daß vorzugsweise in der besonnenen und tapfern Haltung Eurer Bürgerwehr, der Ausdruck Eurer patriotischen Gesinnung sich wiederfand und mit Freude und Stolz haben wir Euch als unsere Brüder zu betrachten nie aufgehört. ‒ Doch Eure Langmuth, Eure Geduld, sie dauerten zu lange: schon längst hättet Ihr dem frevelhaften Beginnen Eurer verführten Mitbewohner kräftigen Widerstand entgegen setzen sollen. Wart Ihr nicht stark genug dazu, ‒ es bedurfte ja nur eines Winkes, ‒ und wir Alle, alle Eure Brüder in den Provinzen wäre bei Euch gewesen. ‒ Das Volk macht Euch von jetzt ab verantwortlich für die Aufrechthaltung der bestehenden Ordnung, insbesondere verpflichtet es Euch, die Ihr dem Throne so nahe seid, mit Eurem Herzblut jede fernere Beleidigung, jede freche Annäherung an denselben, abzuwehren. Bei allem, was Euch heilig ist, seid Ihr dem Volke dafür verantwortlich. Es wird einst eine schwere Rechenschaft von Euch fordern! ‒
Sollte aber auch diese erste und letzte Kundgebung unserer Gesinnungen, unsers Willens ungehört an tauben Ohren verhallen, sollten immer und immer auf's Neue Aufreizungen der Massen in Berlin und Störung der öffentlichen Ordnung, Hinderung der öffentlichen Gewalten in Ausübung ihrer Pflichten, die Hebung des gesunkenen Kredits, des Wohlstandes und der Gesetzlichkeit niederhalten; nun denn! in der Gesammtheit des Volkes nach Berlin, um an Ort und Stelle endlich den Volkswillen öffentlich zu proklamiren?
Alle Behörden, Korporationen, Gesellschaften und Personen, werden gebeten diesen Aufruf, der heute überall im Vaterlande verbreitet ist, zu veröffentlichen, ihn mit Unterschriften aller Patrioten bedecken zu lassen und ihn dann schleunigst an unsern Abgeordneten der Nationalversammlung Herrn Maager in Berlin gelangen zu lassen, der die Resultate der eingegangenen Unterschriften in den Zeitungen veröffentlichen und die gesammelten Dokumente dem Staatsministerium, als ein untrügliches Pfand des Volkswillens übergeben wird.
Cöslin, den 23. Mai 1848. v. Kleist-Warnin. Bucher, Prorektor d. Gymn. Freiherr v. Therme. Wehrenberg, Braueigen. v. Borwiz-Borntin. v. Tresckow. Steffenhagen-Balfanz. Erdt, Dep. Thierarzt. v. Hackewitz, Hauptm. a. D. Leopold, Just. Rath Kanitz, Schulvorsteher. v. Alten-Tietzow E. G. Hendeß, Buchhändler. v. Lettow auf Klenzin. Laurin, Seifenfabrik. W. Brendel, Fleischermstr. v. Gaedecke. Hildebrand, Justiz-Rath. Dr. Baumgardt, Gymnasiallehrer. F. Fuchs, Scharfrichter. J. H. Schmidt, Oekonom. Gusen, OLG Kanzlei-Direktor. v. Motz, Forstmeister. v. Reichenbach, Reg.-Rath. J. H. Jonaß, Kaufm. J. Caspary, Gerbermstr.
Oberschlesien. Hätten wir keine Gutsbesitzer, so gäbe es keine Ortspolizei; wäre keine Ortspolizei, so gäbe es keine Gerechtigkeit; wäre keine Gerechtigkeit, so gäbe es keine Prügel; es gibt aber Prügel, folglich muß es Gutsbesitzer geben. In Oberschlesien wird die ganze Tonleiter herauf und herunter geprügelt, von dem einfachen bis zu dem dreimal gestrichenen C, bald im sanften nachdrucksvollen Adagio, bald im rauschenden brillanten Allegro, das mitunter in eine stille tödtliche Pause übergeht. In dieser Hinsicht sind selbst die Liberalen Stockaristokraten, höchstens daß die Reaktionäre noch den Kantschu und die russische Knute vorziehen. Das Volk befindet sich, wie mir die meisten dieser schlagsüchtigen Herren versichern, unendlich wohl dabei, wie Nußbäume, welche geprügelt die besten Früchte tragen. Dieses patriarchalische Erziehungssystem hat unstreitig viel zur moralischen und sittlichen Hebung des Volkes beigetragen, Gefühle in ihm geweckt und ihm Begriffe beigebracht. Mit dem leisesten Ohr für die Schlag- und Stichwörter der Gegenwart begabt, hat es daher in der jüngsten Zeit leicht die Rolle übernommen, die man ihm übertragen. Den hohen Werth der oberschlesischen Adressen, welche an das Ministerium, den Prinzen von Preußen u. s. w. erlassen werden, wird man aus diesen Gründen hinlänglich zu würdigen wissen. Natürlich entwickelte sich durch die nahen Berührungen, in welchen der Gutsbesitzer zu seinen Einsassen lebt, ein wahrhaft liebevolles Verhältniß, das nur selten von Uebelgesinnten gestört wird. Diese gehören größtentheils zu den gänzlich Verarmten, da bekanntlich Hunger und Noth unzufrieden macht, es wird daher polizeilich für ihr Wohlergehen gesorgt und Obdach und Nahrung ihnen zeitweise kostenfrei verliehen. Aber die Undankbaren nennen diese freiwilligen Wohlthaten der Ortspolizei unerlaubte Einsperrung und eigenmächtige Detention und das Obergericht in Ratibor soll, was kaum zu glauben ist, ganz häufig derselben Meinung gewesen sein. Auch das Prügelsystem hat nicht bei der ganzen Bevölkerung den gewünschten Anklang gefunden und häufige Beschwerden sind oft deshalb erhoben worden. Um allen solchen Unannehmlichkeiten ein für alle Mal zu entgehen, soll ein Gutsherr auf die höchst sinnreiche Idee gekommen sein, jeden Mißliebigen in eine Wollzüche zu stecken, dieselbe ihm über den Kopf zuzubinden, und dann im Finstern drauf los zu hauen, ein Verfahren, das wir hiermit zur Benutzung öffentlich empfehlen, und das für die große Humanität des Erfinders spricht, der sich den Anblick selbst verdienter Leiden bei seinen Nebenmenschen gern erspart. Neben der Polizei übt der Gutsherr auch die Patrimonialgerichtsbarkeit durch einen Justizbeamten aus, den er allein zu wählen und zu besolden hat.
Am Gerichtstage sitzt der Patrimonialrichter in der Kanzlei, um Recht zu sprechen, neben ihm der Aktuar, zur Seite steht der Exekutor, beide sind alte Erbstücke, die durch öfteren Verkehr mit Spitzbuben in ihrem Amte einige Aehnlichkeit mit diesen erlangt, ein neuer Beweis für die Behauptung, daß ein längerer Umgang zwischen vertrauten Personen physiognomische Aehnlichkeiten hervorruft. Acht Termine sind bis zum Mittagsessen, das bei dem Gutsherrn eingenommen wird, zu beenden. Zunächst erscheinen zwei Holzdiebe, dieselben leugnen ihre That, trotzdem sie in der polizeilichen Voruntersuchung ihr Verbrechen eingestanden haben, sie geben ein durch Prügel erpreßtes Geständniß vor. Der Richter, dessen Frau sich homöopatisch behandeln läßt, denkt similia similibus und weiß ihr erloschenes Erinnerungsvermögen durch eine neue, aber nicht allzukleine Gabe anzuregen. Drei Kreuze werden als Unterschrift der Protokolls gemalt, das natürlich die Prügel nicht enthält, weil sich dieselben ganz von selbst verstehen.
Ein Grundstück soll verkauft werden, auf welchem das Dominium eine Forderung an Grundzins und Ablösungsgeldern stehen hat, eine Summe, welche durch die Zeit bedeutend angewachsen, da die Zinsen zum Kapital und außerdem die Gerichtskosten hinzukommen. Die Kauflustigen sind vorschriftsmäßig eingeladen, aber nicht erschienen. Der Gutsbesitzer ersteht das Grundstück zu dem niedrigsten Gebot, was ihm doppelt angenehm, da er es längst zu seinem Vorwerk schlagen wollte. Später eintreffende Käufer können nicht berücksichtigt werden, da ihre Uhren sämmtlich eine Viertelstunde zu spät zeigen.
Einige Injurienklagen, welche folgen, sind ohne Bedeutung und Interesse, mit Ausnahme der Sporteln, welche sie abwerfen. Verwickelter erscheint ein Erbschaftsprozeß und beide Parteien suchen den Richter, so gut es geht, in polnischer Sprache, vermittelst des Aktuar und vereideten Dolmetschers, von ihren Ansprüchen zu überzeugen. Der Aktuar aber weiß so trefflich zu übersetzen, besonders aus dem Deutschen in das Polnische, daß leicht ein Irrthum und ein Vergleich zu Gunsten der Partei zu Stande kommt, welche mit dem meisten Nachdruck und mit klingenden Beweisen spricht. Sämmtliche Parteien kommen aber darin überein, daß sie von den mit ihnen
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Marx-Engels-Gesamtausgabe: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-20T13:08:10Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jürgen Herres: Konvertierung TUSTEP nach XML
(2017-03-20T13:08:10Z)
Maria Ermakova, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Frank Wiegand: Konvertierung XML nach DTA-Basisformat
(2017-03-20T13:08:10Z)
Weitere Informationen:Die angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Ausgabe: Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie. Bd. 1 (Nummer 1 bis Nummer 183) Köln, 1. Juni 1848 bis 31. Dezember 1848. Glashütten im Taunus, Verlag Detlev Auvermann KG 1973.
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