hat bald die Semiten dafür ausgegeben, bald die Atlanten, die Kelten, die Be- wohner von Irak, endlich die Inder, während man, nach allen Beobachtun- gen annehmen kann, daß die Erkenntniß einer Natur-Einheit sich bei allen wilden Völkern gleichmäßig entwickelt habe. Ueberhaupt ist wohl mit Recht die Frage aufgeworfen, und der Zweifel entstanden, ob jene uns in einem roheren Zustande erscheinenden Völker, ursprünglich Wilde zu nennen sind? ob man sie nicht vielleicht als Trümmer einer untergegangenen Kultur anzusehen habe, als gerettete Ueberbleibsel aus dem großen Schiffbruch des menschlichen Geschlechts? - Geschichtlich läßt sich hierüber nichts ermitteln, und wenn auf der einen Seite der vorgefaßte Glaube an eine primitive Naturweisheit, die Liebe zum Wunderbaren, die auf eine fast krankhafte Weise sich zu verbreiten scheint, geneigt macht, die Naturkenntnisse der Wil- den zu überschätzen, so läßt sich anderseits nicht läugnen, daß auffallende Spuren vereinzelten Wissens unter ihnen angetroffen werden. - Es ist zwar natürlich, daß das einzig Geregelte das diese Wilden um sich sehen, auf sie ge- wirkt haben muß; die Eintheilung des Jahres braucht nicht von einer Nazion zur andern über gegangen zu seyn, und eine gewisse natürliche Astrono- mie hat gar nichts wunderbares.
Auffallender ist es, wenn in den Nächten am Orenoco, während meiner astronomischen Beobachtungen, die Aeußerungen meiner indischen Begleiter mich zu der Bemerkung veranlaßten, daß nicht nur übereinstimmende Be- nennungen der Constellationen, sondern auch anderweitige Kenntnisse vom Lauf der Sterne, sich bei solchen Völkern finden, die in ungeheuren Wäldern
lebend,
hat bald die Semiten dafür ausgegeben, bald die Atlanten, die Kelten, die Be- wohner von Irak, endlich die Inder, während man, nach allen Beobachtun- gen annehmen kann, daß die Erkenntniß einer Natur-Einheit sich bei allen wilden Völkern gleichmäßig entwickelt habe. Ueberhaupt ist wohl mit Recht die Frage aufgeworfen, und der Zweifel entstanden, ob jene uns in einem roheren Zustande erscheinenden Völker, ursprünglich Wilde zu nennen sind? ob man sie nicht vielleicht als Trümmer einer untergegangenen Kultur anzusehen habe, als gerettete Ueberbleibsel aus dem großen Schiffbruch des menschlichen Geschlechts? – Geschichtlich läßt sich hierüber nichts ermitteln, und wenn auf der einen Seite der vorgefaßte Glaube an eine primitive Naturweisheit, die Liebe zum Wunderbaren, die auf eine fast krankhafte Weise sich zu verbreiten scheint, geneigt macht, die Naturkenntnisse der Wil- den zu überschätzen, so läßt sich anderseits nicht läugnen, daß auffallende Spuren vereinzelten Wissens unter ihnen angetroffen werden. – Es ist zwar natürlich, daß das einzig Geregelte das diese Wilden um sich sehen, auf sie ge- wirkt haben muß; die Eintheilung des Jahres braucht nicht von einer Nazion zur andern über gegangen zu seyn, und eine gewisse natürliche Astrono- mie hat gar nichts wunderbares.
Auffallender ist es, wenn in den Nächten am Orenoco, während meiner astronomischen Beobachtungen, die Aeußerungen meiner indischen Begleiter mich zu der Bemerkung veranlaßten, daß nicht nur übereinstimmende Be- nennungen der Constellationen, sondern auch anderweitige Kenntnisse vom Lauf der Sterne, sich bei solchen Völkern finden, die in ungeheuren Wäldern
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[51v/0106]
hat bald die Semiten dafür ausgegeben, bald die Atlanten, die Kelten, die Be-
wohner von Irak, endlich die Inder, während man, nach allen Beobachtun-
gen annehmen kann, daß die Erkenntniß einer Natur Einheit sich bei allen
wilden Völkern gleichmäßig entwickelt habe. Ueberhaupt ist wohl mit Recht
die Frage aufgeworfen, und der Zweifel entstanden, ob jene uns in einem
roheren Zustande erscheinenden Völker, ursprünglich Wilde zu nennen sind?
ob man sie nicht vielleicht als Trümmer einer untergegangenen Kultur
anzusehen habe, als gerettete Ueberbleibsel aus dem großen Schiffbruch des
menschlichen Geschlechts? – Geschichtlich läßt sich hierüber nichts ermitteln,
und wenn auf der einen Seite der vorgefaßte Glaube an eine primitive
Naturweisheit, die Liebe zum Wunderbaren, die auf eine fast krankhafte
Weise sich zu verbreiten scheint, geneigt macht, die Naturkenntnisse der Wil-
den zu überschätzen, so läßt sich anderseits nicht läugnen, daß auffallende
Spuren vereinzelten Wissens unter ihnen angetroffen werden. – Es ist zwar
natürlich, daß das einzig Geregelte das diese Wilden um sich sehen, auf sie ge-
wirkt haben muß; die Eintheilung des Jahres braucht nicht von einer Nazion
zur andern über gegangen zu seyn, und eine gewisse natürliche Astrono-
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Auffallender ist es, wenn in den Nächten am Orenoco, während meiner
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mich zu der Bemerkung veranlaßten, daß nicht nur übereinstimmende Be-
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Dieses Werk wurde auf der Grundlage der Transkription in
Hamel, Jürgen u. Klaus Harro Tiemann (Hg.) (1993): Alexander von Humboldt:
Über das Universum. Die Kosmosvorträge 1827/28 in der Berliner Singakademie.
Frankfurt a. M.: Insel.
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[Kohlrausch, Henriette]: Physikalische Geographie. Vorgetragen von Alexander von Humboldt. [Berlin], [1828]. [= Nachschrift der ‚Kosmos-Vorträge‛ Alexander von Humboldts in der Sing-Akademie zu Berlin, 6.12.1827–27.3.1828.], S. 51v. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_msgermqu2124_1827/106>, abgerufen am 16.07.2024.
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