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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] den nassen Kalk gemalt, sondern der Bewurf der Mauer
wird, wenn er trocken geworden, abgerieben, daß er
eine ebene feinkörnige Fläche bildet, und die Farben wer-
den nur gemischt mit Wasser oder einer schwachen Wasser-
glaslösung aufgetragen. Hier sind Nachbesserungen im
Einzelnen, so wie, wenn das Ganze einmal dasteht, zu
Herstellung der Harmonie möglich; die Leuchtkraft des
Kalks bleibt bewahrt, die Spiegelung bleibt vermieden;
statt des Firnisses der Oelbilder wird das vollendete
Werk mit einer Auflösung von Wasserglas überspritzt,
die mit der Unterlage des Mörtels sich zu steinharter
Festigkeit verbindet, während die Farben unverändert
bleiben, aber durch den feinen Glasüberzug gegen alle
schädlichen Einwirkungen der Atmosphäre, des schwär-
zenden Dampfes u. s. w. geschützt sind, die den Fresco-
bildern mit der Zeit so nachtheilig werden.

Genau angesehen kann man jedes Gemälde als ein
Nebeneinander kleiner farbiger Punkte erkennen; es läßt
sich also auch aus farbigen Stein= oder Glasstiften
ein Bild zusammensetzen, das von fern gesehen die fei-
nen Uebergänge nicht vermissen läßt. Wie der Teppich-
wirker oder die Straminstickerin ihre Gebilde dadurch
herstellen, daß sie kleine Quadrate mit verschiedenfar-
biger Wolle oder Seide ausfüllen, so verfährt auch der
Mosaikarbeiter mit kleinen Quadraten aus festem Ma-
terial, die er aneinander fügt. Diese Werke sind vor-
zugsweise monumental, und finden an Fußböden, an
Jnnenwänden und Facaden der Kirchen eine sinnvolle
Anwendung; aber auch im Kleinen werden sie zum
Schmuck in edle Metalle, gleich einzelnen werthvollen
Steinen gefaßt. Der Mosaikarbeiter verkennt seine Auf-
gabe, wenn er mit dem Oelmaler wetteifern will; aber
die einfach großartigen Christus= und Apostelgestalten
auf Goldgrund in der alten Basilika sind in ihrer ehr-
furchtgebietenden Strenge so großartig und machtvoll,
daß wir von einem eigenen Mosaikentypus am Beginn
der christlichen Kunstgeschichte reden können, und als
Wiedergabe eines historischen Bildes von erstem Rang,
wahrscheinlich der Schlacht zwischen Alexander und Da-
rius, die Philoxenos für Kassander malte, und die nach
Plinius keinem andern Gemälde nachzusetzen war, ist
uns der Fußboden eines Pompejanischen Hauses un-
schätzbar geworden.

Wählt man farbiges Glas zur Mosaik, so kann
man die Durchsichtigkeit des Materials verwerthen und
das Bild zum Fensterverschluß benutzen. Dieß war
der Anfang der Glasmalerei. Es war in alten Zeiten
leichter, glänzend gefärbtes als farblos reines Glas zu
gewinnen; damit lag es nahe, die einzelnen Stücke zu
einem vielfarbigen harmonischen Muster zusammenzufü-
gen und die Mosaik der Wände und Fußböden auch
[Spaltenumbruch] an den Fenstern sortzusetzen, oder die früher zu deren
Verschluß angewandten Teppiche in Glas nachzubilden.
Wie diese neben dem Arabeskenornament auch Figuren
enthielten, so gab man durch die Bleieinfassung oder
eine aufgezeichnete schwarze Linie den Umriß solcher
Gestalten an, und füllte das Jnnere mit kleinen ein-
farbigen Glastafeln aus, die man musivisch zusammen-
setzte. Es war diese älteste mittelalterliche Art also mehr
ein Malen mit Glas, denn auf Glas; man half nur
in dunkler Farbe mit Schattenstrichen etwas nach. Diese
erste und einfachste Weise erhielt sich bis in die Mitte
des vierzehnten Jahrhunderts. Das Fenster war im
Einklang mit dem ganzen Bau durch einen Rundbogen
abgeschlossen, oder durch einen Spitzbogen, und unter
demselben mit Maßwerk bekrönt; mit arabeskenartig
verschlungenen Linien, mit Maß= und Laubwerk wur-
den auch die Fensterscheiben verziert; sie erschienen wie
aus Glas bereitete Teppiche, auf deren Grund sich
dann allmählig auch Figuren erhoben, aber in schlichtem
strengem Styl und von geringer Größe, gewöhnlich nur
einzelne Heilige, oder mehrere einfach zusammengeord-
nete Gestalten, die aber mit ihrer Gruppe nur ein Feld
zwischen den Fensterstäben einnehmen. Die Vertheilung
zusammengehöriger Figuren in mehrere Felder ist schon
selten, und dann immer so, daß sie sich leicht ergibt,
und jede Gestalt eine gewisse Selbstständigkeit bewahrt,
wie wenn im einen Feld Maria, im andern der sie
begrüßende Engel erscheint. W. Wackernagel, der diese
Weise für die sachgemäße und allein richtige hält, sagt
darüber: "Jmmer waren die Figuren nur eingeordnete
Glieder der ganzen farbenbunten Ausschmückung, sprangen
nicht aus derselben grell hervor, sonderten sich von den
übrigen nur in so weit aus, als sich die Abbildung ei-
ner belebten menschlichen Gestalt natürlich und von selbst
aussondern mußte; ihre Zeichnung war eben so streng
als die der Arabesken, ja man möchte sagen selbst in
Arabeskenart gehalten, und wenn das Ende des Zeit-
raums ihnen auch schon eine größere Wärme und mehr
Weichheit der Bewegung gab, die Einfachheit ward be-
hauptet. Und so boten die Glasgemälde bei all ihrer
Buntheit doch dem Auge ein im Gesammteindruck sich
innig verschmelzendes Gemisch von Farben und Formen,
von Menschengestalten, von Blumen = und Blätterran-
ken, von architektonischen Gebilden, von bloßer Linear-
verzierung, boten ihm einen Eindruck dar, der sich voll-
kommen dem der romantischen Dichtkunst an die Seite
stellen läßt. Zwischen Gemäldefenstern wie denen des
Kölner Doms und Gedichten wie dem Titurel Wolframs
von Eschenbach bestand zuletzt kein weiterer Unterschied
als der der Sinne, welche hier und welche dort die
Aufnahme in die innere Anschauung vermittelten. Und
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] den nassen Kalk gemalt, sondern der Bewurf der Mauer
wird, wenn er trocken geworden, abgerieben, daß er
eine ebene feinkörnige Fläche bildet, und die Farben wer-
den nur gemischt mit Wasser oder einer schwachen Wasser-
glaslösung aufgetragen. Hier sind Nachbesserungen im
Einzelnen, so wie, wenn das Ganze einmal dasteht, zu
Herstellung der Harmonie möglich; die Leuchtkraft des
Kalks bleibt bewahrt, die Spiegelung bleibt vermieden;
statt des Firnisses der Oelbilder wird das vollendete
Werk mit einer Auflösung von Wasserglas überspritzt,
die mit der Unterlage des Mörtels sich zu steinharter
Festigkeit verbindet, während die Farben unverändert
bleiben, aber durch den feinen Glasüberzug gegen alle
schädlichen Einwirkungen der Atmosphäre, des schwär-
zenden Dampfes u. s. w. geschützt sind, die den Fresco-
bildern mit der Zeit so nachtheilig werden.

Genau angesehen kann man jedes Gemälde als ein
Nebeneinander kleiner farbiger Punkte erkennen; es läßt
sich also auch aus farbigen Stein= oder Glasstiften
ein Bild zusammensetzen, das von fern gesehen die fei-
nen Uebergänge nicht vermissen läßt. Wie der Teppich-
wirker oder die Straminstickerin ihre Gebilde dadurch
herstellen, daß sie kleine Quadrate mit verschiedenfar-
biger Wolle oder Seide ausfüllen, so verfährt auch der
Mosaikarbeiter mit kleinen Quadraten aus festem Ma-
terial, die er aneinander fügt. Diese Werke sind vor-
zugsweise monumental, und finden an Fußböden, an
Jnnenwänden und Façaden der Kirchen eine sinnvolle
Anwendung; aber auch im Kleinen werden sie zum
Schmuck in edle Metalle, gleich einzelnen werthvollen
Steinen gefaßt. Der Mosaikarbeiter verkennt seine Auf-
gabe, wenn er mit dem Oelmaler wetteifern will; aber
die einfach großartigen Christus= und Apostelgestalten
auf Goldgrund in der alten Basilika sind in ihrer ehr-
furchtgebietenden Strenge so großartig und machtvoll,
daß wir von einem eigenen Mosaikentypus am Beginn
der christlichen Kunstgeschichte reden können, und als
Wiedergabe eines historischen Bildes von erstem Rang,
wahrscheinlich der Schlacht zwischen Alexander und Da-
rius, die Philoxenos für Kassander malte, und die nach
Plinius keinem andern Gemälde nachzusetzen war, ist
uns der Fußboden eines Pompejanischen Hauses un-
schätzbar geworden.

Wählt man farbiges Glas zur Mosaik, so kann
man die Durchsichtigkeit des Materials verwerthen und
das Bild zum Fensterverschluß benutzen. Dieß war
der Anfang der Glasmalerei. Es war in alten Zeiten
leichter, glänzend gefärbtes als farblos reines Glas zu
gewinnen; damit lag es nahe, die einzelnen Stücke zu
einem vielfarbigen harmonischen Muster zusammenzufü-
gen und die Mosaik der Wände und Fußböden auch
[Spaltenumbruch] an den Fenstern sortzusetzen, oder die früher zu deren
Verschluß angewandten Teppiche in Glas nachzubilden.
Wie diese neben dem Arabeskenornament auch Figuren
enthielten, so gab man durch die Bleieinfassung oder
eine aufgezeichnete schwarze Linie den Umriß solcher
Gestalten an, und füllte das Jnnere mit kleinen ein-
farbigen Glastafeln aus, die man musivisch zusammen-
setzte. Es war diese älteste mittelalterliche Art also mehr
ein Malen mit Glas, denn auf Glas; man half nur
in dunkler Farbe mit Schattenstrichen etwas nach. Diese
erste und einfachste Weise erhielt sich bis in die Mitte
des vierzehnten Jahrhunderts. Das Fenster war im
Einklang mit dem ganzen Bau durch einen Rundbogen
abgeschlossen, oder durch einen Spitzbogen, und unter
demselben mit Maßwerk bekrönt; mit arabeskenartig
verschlungenen Linien, mit Maß= und Laubwerk wur-
den auch die Fensterscheiben verziert; sie erschienen wie
aus Glas bereitete Teppiche, auf deren Grund sich
dann allmählig auch Figuren erhoben, aber in schlichtem
strengem Styl und von geringer Größe, gewöhnlich nur
einzelne Heilige, oder mehrere einfach zusammengeord-
nete Gestalten, die aber mit ihrer Gruppe nur ein Feld
zwischen den Fensterstäben einnehmen. Die Vertheilung
zusammengehöriger Figuren in mehrere Felder ist schon
selten, und dann immer so, daß sie sich leicht ergibt,
und jede Gestalt eine gewisse Selbstständigkeit bewahrt,
wie wenn im einen Feld Maria, im andern der sie
begrüßende Engel erscheint. W. Wackernagel, der diese
Weise für die sachgemäße und allein richtige hält, sagt
darüber: „Jmmer waren die Figuren nur eingeordnete
Glieder der ganzen farbenbunten Ausschmückung, sprangen
nicht aus derselben grell hervor, sonderten sich von den
übrigen nur in so weit aus, als sich die Abbildung ei-
ner belebten menschlichen Gestalt natürlich und von selbst
aussondern mußte; ihre Zeichnung war eben so streng
als die der Arabesken, ja man möchte sagen selbst in
Arabeskenart gehalten, und wenn das Ende des Zeit-
raums ihnen auch schon eine größere Wärme und mehr
Weichheit der Bewegung gab, die Einfachheit ward be-
hauptet. Und so boten die Glasgemälde bei all ihrer
Buntheit doch dem Auge ein im Gesammteindruck sich
innig verschmelzendes Gemisch von Farben und Formen,
von Menschengestalten, von Blumen = und Blätterran-
ken, von architektonischen Gebilden, von bloßer Linear-
verzierung, boten ihm einen Eindruck dar, der sich voll-
kommen dem der romantischen Dichtkunst an die Seite
stellen läßt. Zwischen Gemäldefenstern wie denen des
Kölner Doms und Gedichten wie dem Titurel Wolframs
von Eschenbach bestand zuletzt kein weiterer Unterschied
als der der Sinne, welche hier und welche dort die
Aufnahme in die innere Anschauung vermittelten. Und
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Der Mosaikarbeiter verkennt seine Auf- gabe, wenn er mit dem Oelmaler wetteifern will; aber die einfach großartigen Christus= und Apostelgestalten auf Goldgrund in der alten Basilika sind in ihrer ehr- furchtgebietenden Strenge so großartig und machtvoll, daß wir von einem eigenen Mosaikentypus am Beginn der christlichen Kunstgeschichte reden können, und als Wiedergabe eines historischen Bildes von erstem Rang, wahrscheinlich der Schlacht zwischen Alexander und Da- rius, die Philoxenos für Kassander malte, und die nach Plinius keinem andern Gemälde nachzusetzen war, ist uns der Fußboden eines Pompejanischen Hauses un- schätzbar geworden. Wählt man farbiges Glas zur Mosaik, so kann man die Durchsichtigkeit des Materials verwerthen und das Bild zum Fensterverschluß benutzen. Dieß war der Anfang der Glasmalerei. 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Wackernagel, der diese Weise für die sachgemäße und allein richtige hält, sagt darüber: „Jmmer waren die Figuren nur eingeordnete Glieder der ganzen farbenbunten Ausschmückung, sprangen nicht aus derselben grell hervor, sonderten sich von den übrigen nur in so weit aus, als sich die Abbildung ei- ner belebten menschlichen Gestalt natürlich und von selbst aussondern mußte; ihre Zeichnung war eben so streng als die der Arabesken, ja man möchte sagen selbst in Arabeskenart gehalten, und wenn das Ende des Zeit- raums ihnen auch schon eine größere Wärme und mehr Weichheit der Bewegung gab, die Einfachheit ward be- hauptet. Und so boten die Glasgemälde bei all ihrer Buntheit doch dem Auge ein im Gesammteindruck sich innig verschmelzendes Gemisch von Farben und Formen, von Menschengestalten, von Blumen = und Blätterran- ken, von architektonischen Gebilden, von bloßer Linear- verzierung, boten ihm einen Eindruck dar, der sich voll- kommen dem der romantischen Dichtkunst an die Seite stellen läßt. Zwischen Gemäldefenstern wie denen des Kölner Doms und Gedichten wie dem Titurel Wolframs von Eschenbach bestand zuletzt kein weiterer Unterschied als der der Sinne, welche hier und welche dort die Aufnahme in die innere Anschauung vermittelten. Und

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 48. Stuttgart/Tübingen, 30. November 1856, S. 1139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt48_1856/11>, abgerufen am 23.11.2024.